Anästhesiol Intensivmed Notfallmed Schmerzther 2010; 45(5): 304-313
DOI: 10.1055/s-0030-1253563
Fachwissen
Anästhesiologie
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York

Der Suchtkranke in der Anästhesie – Substanzabhängigkeiten und perioperative Behandlungsstrategien

Drug addiction and anaesthesia: most popular recreational drugs in Germany and anaesthesiological management of drug addictsIngrid Rundshagen
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Publikationsdatum:
07. Mai 2010 (online)

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Zusammenfassung

Suchtkranke bedürfen aufgrund ihrer Begleiterkrankungen, des veränderten Bedarfs an Anästhetika und Analgetika sowie der spezifischen Begleit- oder Drogenersatztherapie besonderen anästhesiologischen Strategien. Trotz hoher klinischer Relevanz fehlen bisher umfassende evidenzbasierte Untersuchungen und Therapieempfehlungen. Die perioperative Therapie ist nicht die Therapie der Grunderkrankung, vielmehr sind die Besonderheiten der chronischen Suchterkrankungen zu akzeptieren. Als gleichrangige perioperative Behandlungsprinzipien gelten: 1. Stabilisierung der körperlichen Abhängigkeit durch Substitution. 2. Vermeidung von Distress und Drogenhunger. 3. weitestgehende intra- und postoperative Stressabschirmung. 4. Vermeidung analgetischer Unterversorgung. 5. postoperative Optimierung der regionalen oder systemischen Analgesie durch Nichtopioide bzw. Koanalgetika. 6. Berücksichtigung der vielschichtigen körperlichen und psychischen Co-Morbiditäten. Die Sorge vor Suchtreaktivierung sollte auf keinen Fall zu einer analgetischen Unterversorgung der Patienten Anlass geben. Angst und Schmerz gelten als potenzielle Auslöser für das Verlangen nach der Droge bzw. den Rückfall in die Sucht. Diese Therapieprinzipien gelten auch für Patienten mit Drogenabstinenz.

Abstract

Drug addicts need special anesthesiological care due to their co-morbidities, their modified need for analgesics and anesthetics and/or their specific substitution therapies. In spite of the high incidence of addiction worldwide controlled studies and evidence based recommendations for the anaesthesiological management of the patients are missing. The perioperative care is not the treatment of addiction, on the contrary the specific aspects of a chronic disease have to be accepted. Equally important perioperative treatment strategies for the management of drug addicts include: 1. stabilisation of the physical dependence by substitution therapies. 2. avoidance of distress or craving.3. perioperative stress relief.4. strict avoidance of inadequate analgesic treatment.5. postoperative optimization with regional or systemic analgesia with non-opioids, opiods and co-analgesics. 6. consideration of specific physical or psychological comorbidities. Inadequate analgesic treatment is known to be responsible for relapses into addiction and has strictly to be avoided. This holds true even for people with long term drug abstinence.

Kernaussagen

  • Die Suchterkrankung ist eine chronische Erkrankung.

  • Aufgrund der Begleiterkrankungen, des veränderten Bedarfs an Anästhetika und Analgetika sowie der spezifischen Begleit- oder Drogenersatztherapie bedürfen Suchtkranke besonderer anästhesiologischer Aufmerksamkeit.

  • Anästhesiologische Therapieprinzipien sind:

    • Stabilisierung der körperlichen Abhängigkeit durch Substitution

    • Vermeidung von Distress und Drogenhunger

    • intra- und postoperative Stressabschirmung

    • Vermeidung analgetischer Unterversorgung

    • postoperative Optimierung der regionalen oder systemischen Analgesie durch Nichtopioide bzw. Co-Analgetika

    • Berücksichtigung der vielschichtigen körperlichen und psychischen Co-Morbiditäten

  • Unter akuter Wirkung von Drogen ist eine Anästhesie kontraindiziert. Es bestehen die üblichen Notfallindikationen, wobei ein erhöhtes Risiko besteht.

  • Suchtkranke können aufgrund von Kreuztoleranzen einen 30 –100 % erhöhten Bedarf an Analgetika haben.

  • Die Gabe von Naloxon ist bei Narkoseausleitung kontraindiziert.

  • Bei Drogenabstinenten gilt die analgetische Unterversorgung als suchtaktivierend und ist unbedingt zu vermeiden.

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Literaturverzeichnis

PD Dr. med. Ingrid Rundshagen

eMail: ingrid.rundshagen@charite.de