Flugmedizin · Tropenmedizin · Reisemedizin - FTR 2010; 17(1): 39-40
DOI: 10.1055/s-0030-1248765
DFR-Mitteilungen

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Arbeits- und betriebsmedizinische Weiterbildung – Qualifizierung zur arbeitsmedizinischen Vorsorge G 35 bei beruflichem Auslandsaufenthalt

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Publication Date:
19 February 2010 (online)

 
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Leider wissen viele Führungskräfte und Personalverantwortliche immer noch nicht über ihre gesetzliche Verpflichtung Bescheid, bei beruflich in tropische oder subtropische Länder Reisenden zuvor eine arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchung (bis Dezember 2008: Berufsgenossenschaftliche Grundsatzuntersuchung G 35) zu veranlassen. Diese Verpflichtung besteht nicht erst seit dem Inkrafttreten der Verordnung zur Arbeitsmedizinischen Vorsorge (ArbMedVV) im Dezember 2008. Betriebsärzte sind verpflichtet, Arbeitgeber auf die Veranlassungspflicht hinzuweisen, wenn Arbeitnehmer bei ihren Geschäftsreisen besonderen klimatischen Belastungen oder Infektionsgefährdungen ausgesetzt sind. Dies gilt auch für Länder, die nicht in den Tropen oder Subtropen liegen, wenn beispielsweise die medizinische Versorgung in der Destination unzureichend ist.

Bis Ende 2008 war es für Betriebsärzte sehr schwierig, die damals erforderliche berufsgenossenschaftliche Ermächtigung für diese sehr wichtige und sinnvolle Vorsorgeuntersuchung zu erlangen. Jetzt, nachdem der 1-wöchige Einführungslehrgang in Tübingen nicht mehr angeboten wird, sind Qualifikationsmöglichkeiten und entsprechende Zertifizierungsangebote in den Fokus von Arbeitsmedizinern gerückt, da sie über "erforderliche Fachkenntnisse" verfügen müssen. Mit einem Zertifikat kann ein Basiswissen bescheinigt werden, welches in Art und Umfang dem 1-wöchigen Einführungslehrgang entspricht.

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Nur wenige Ärzte hatten die Ermächtigung zur G-35-Untersuchung

Die Voraussetzungen, um die - zwischenzeitlich ungültige - Ermächtigung zur G-35-Untersuchung zu erlangen, waren hoch: Neben einem anerkannten Einführungsseminar für den BG-Grundsatz G 35 mussten 50 tropenmedizinische Untersuchungen, davon mindestens 10 Nachuntersuchungen nach G 35 und ein mindestens 14-tägiger Einsatz als Arzt an tropischen Arbeitsplätzen, nachgewiesen werden. Die Teilnahme an einem mehrwöchigen Lehrgang für Tropenmedizin und Parasitologie an einer der anerkannten Fortbildungsstätten ersetzte die Teilnahme am Einführungsseminar. Damals wie heute war die Zusatzbezeichnung Tropenmedizin ein entsprechender Qualifikationsnachweis.

Diese relativ hohen Anforderungen führten zu einer unzureichenden Anzahl ermächtigter Ärzte. Viele Betriebe kamen der gesetzlichen Verpflichtung nicht nach, diese Untersuchung vor einem Langzeitaufenthalt im Ausland oder für häufig Reisende zu veranlassen. Eine Stichprobe an im FORUM Reisen und Medizin 2008 im Internet gelisteten 168 Reisemedizinern im Bundesland Berlin veranschaulicht die damalige Situation, die zwischenzeitlich noch nicht signifikant durch qualifizierte Reisemediziner verbessert wurde (Abb. [1]). Für das Land Berlin mit rund 3,4 Millionen Einwohnern ließen sich nur 168 Reisemediziner auf dieser Homepage listen, davon hatten nur 7 Ärzte die G-35-Ermächtigung. Das FORUM bezeichnet sich als "das größte deutsche Netzwerk reisemedizinisch fortgebildeter Ärzte". Die Liste erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit - nicht jeder festangestellte Werkarzt lässt sich in diese Liste eintragen. Am 10.01.2010, also mehr als 1 Jahr nach Wegfall der Ermächtigungen, werden hier immer noch ermächtigte Ärzte aufgeführt.

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Abb. 1 Qualifikation der 168 Reisemediziner in Berlin. Forum Reisen und Medizin 2008, www.frm-web.de

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DFR-Zertifikat als Ersatz für 1-wöchiges Einführungsseminar in Tübingen

Der Vorstand des Deutschen Fachverbands Reisemedizin hat vor diesem Hintergrund das Zertifikat "Arbeitsaufenthalt im Ausland unter besonderen klimatischen und gesundheitlichen Belastungen (ehemals G 35)" eingeführt und mich damit beauftragt, Fortbildungs- und Zertifizierungsmöglichkeiten für Betriebsärzte bekannt zu machen.

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Der Fachverband, der Curricula entwickelt und Zertifizierungen durchführt, wird dieses Zertifikat nach erfolgreicher Teilnahme an einem 32-stündigen Basisseminar nach den Vorgaben des Curriculums "Reisemedizinische Gesundheitsberatung" der Bundesärztekammer und einem zusätzlichen 2-tägigen Aufbauseminar "Internationale Arbeitseinsätze und Langzeitaufenthalte" sowie "Gesundheitsstörungen bei Reiserückkehrern" oder diesem Aufbauseminar entsprechenden Qualifikationen auf Antrag erteilen (Abb. [2]). Diese insgesamt 6-tägige Fortbildung ist vom Umfang und Inhalt her dem damaligen 1-wöchigen Einführungsseminar in Tübingen vergleichbar.

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Abb. 2 Geplantes DFR-Zertifikat "Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Auslandsaufenthalt".

Die Themen des Basisseminars sind hinlänglich bekannt. Das Aufbauseminar, welches zusätzlich für das neue Zertifikat absolviert werden muss, setzt sich aus den Modulen 6 und 12 des Curriculums zum Fachzertifikat (DFR) zusammen. Insbesondere sind dies folgende Themen:

  • spezielle Probleme beruflicher und humanitärer Auslandseinsätze

  • arbeits- und versicherungsrechtliche Fragen

  • ArbMedVV: Vor- und Nachuntersuchungen

  • Einsatzfähigkeit bei Vorerkrankungen

  • Gesundheitsstörungen bei Reiserückkehrern oder bei Einreisenden aus außereuropäischen Ländern u. a. m.

  • Differenzialdiagnose Fieber nach Reiserückkehr

  • Differenzialdiagnose Hauterkrankungen und Geschlechtskrankheiten

  • Abschlusstest

Die Vielfalt der Themen zeigt, wie umfangreich und anspruchsvoll reisemedizinische Untersuchungen, Beratungen und Impfungen sind. Obwohl im Aufbauseminar verschiedene Differenzialdiagnosen bei erkrankten Reiserückkehren zum Themenspektrum gehören, wird der Betriebsarzt zumindest bei schwierigen Fällen auf ein Konsil mit einem erfahrenen Reise- und Tropenmediziner zurückgreifen müssen.

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Für Ärzte mit unzureichenden Fachkenntnissen bieten sich Kooperationen an

Für das Basiszertifikat bzw. eine gleichwertige Fortbildung ist der erfolgreiche Abschluss eines 32-stündigen Kurses nach den Vorgaben des Curriculums der Bundesärztekammer "Reisemedizinische Gesundheitsberatung" Voraussetzung. Vergleichbare und vom Fachverband anerkannte Fortbildungsangebote werden unter anderem vom Centrum für Reisemedizin in Düsseldorf, der Deutschen Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit e. V. (DTG), dem Kölner Institut für Reisemedizin, aber auch von verschiedenen Akademien der Ärztekammern wie zum Beispiel in Baden-Württemberg und Hessen angeboten, die Aufbaumodule zurzeit nur vom CRM in Düsseldorf.

Nach der ArbMedVV § 7 (1) gilt folgender Grundsatz: "Verfügt der Arzt oder die Ärztin für bestimmte Untersuchungen nicht über die erforderlichen Fachkenntnisse oder die speziellen Anerkennungen oder Ausrüstungen, so hat er oder sie Ärzte oder Ärztinnen hinzuzuziehen, die diese Anforderungen erfüllen". Häufig greifen Arbeitsmediziner auf die Fachkompetenz von Spezialisten zurück. Als Beispiele gelten Fachkonsilien zwischen Betriebsärzten und Radiologen bei der Beurteilung von Röntgenbildern bzw. der fachliche Rat von HNO-Ärzten bei der Interpretation von Tonaudiogrammen. Auch bei unklaren Symptomen nach Tropenaufenthalt oder bei der Gelbfieberimpfung wird die kollegiale Zusammenarbeit häufig sinnvoll sein.

Reisemedizinisch erfahrene Ärzte ohne die Gebietsbezeichnung Arbeitsmedizin bzw. die Zusatzbezeichnung Betriebsmedizin oder Tropenmedizin dürfen auf der Vorsorgekarteikarte nicht den Vermerk "keine gesundheitlichen Bedenken" bescheinigen, selbst wenn sie zuvor im Besitz der G-35-Ermächtigung waren. In diesen und in anderen Fällen bieten sich Kooperationsvereinbarungen mit erfahrenen Reise- und Tropenmedizinern an. Der Betriebsarzt veranlasst in Zweifelsfällen eine Konsiliaruntersuchung und bescheinigt nach Rücksprache die gesundheitliche Unbedenklichkeit (wenn sie besteht) als Tätigkeitsvoraussetzung bei der Pflichtuntersuchung G 35 (ArbMedVV § 4, Abs. 2).

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Der Bedarf an qualifizierter Beratung steigt, Weiterbildung lohnt sich

Der DFR vertritt ein 2-stufiges Konzept: Das "Basiszertifikat" soll allen Ärzten, die mit Reisemedizin zu tun haben, Grundlagen vermitteln. Auch wenn der Betriebsarzt die Voraussetzungen für eine weiterführende Zertifizierung "Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Auslandsaufenthalt" erfüllt, hat er noch nicht alle Qualifikationsvoraussetzungen wie bei der ehemaligen G-35-Ermächtigung erworben. Es fehlen ihm noch die Erfahrung aus 50 durchgeführten reisemedizinischen Untersuchungen und ein mindestens 14-tägiger Einsatz als Arzt an tropischen Arbeitsplätzen.

Zur Weiterqualifikation eignen sich zusätzlich Exkursionen und Kurse in Ländern mit besonderen gesundheitlichen Gefährdungen, die dann mitunter die ungemein wichtigen praktischen Erfahrungen vor Ort vermitteln. Solche Kurse bieten mehrere Veranstalter an, auch der Fachverband selbst. Zudem kann der Erwerb des Fachzertifikats Reisemedizin (DFR) das Wissen über die Reisemedizin deutlich vertiefen.

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Fazit

Der Bedarf an qualifizierter reisemedizinischer Beratung für Arbeitnehmer mit Tätigkeiten in Tropen, Subtropen und sonstigen Auslandsaufenthalten mit besonderen klimatischen Belastungen und Infektionsgefährdungen (ArbMedVV, Anhang Teil: 4 (1) 2.) und schlechter medizinischer Versorgung ist sehr hoch und wird in den nächsten Jahren noch zunehmen. Daher sollten möglichst viele Ärzte die vorhandenen Fortbildungsmöglichkeiten im Bereich Reise- und Tropenmedizin nutzen.

Dr. Uwe Ricken, Bad Essen

 
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Abb. 1 Qualifikation der 168 Reisemediziner in Berlin. Forum Reisen und Medizin 2008, www.frm-web.de

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Abb. 2 Geplantes DFR-Zertifikat "Arbeitsmedizinische Vorsorge bei Auslandsaufenthalt".