Pro
Die wesentlichen Ziele der langfristigen oder sogar lebenslangen neuroleptischen Rezidivprophylaxe
bei Patienten mit einer Schizophrenie sind vor allem die konsequente Symptomremission,
die Verhinderung einer progredienten Symptomverschlechterung und die Rezidivprophylaxe.
Bei dieser lebenslangen Therapie ist ein integratives Therapiekonzept [1], welches individuell auf den Patienten abgestimmt ist, mit den Bestandteilen Pharmakotherapie,
Psychotherapie, Familientherapie und Psychoedukation der entscheidende Schlüssel zum
Erfolg. Nach der Erstmanifestation ist die langfristige Therapie über die ersten beiden
Therapiejahre hinaus im Einzelfall zu diskutieren, jedoch muss bei einem Rezidiv oder
multiplen Rezidiven der Erkrankung, was sicherlich der Mehrheit der Patienten entspricht,
eine lebenslange Therapie dringend in Betracht gezogen werden [2].
Ältere Arbeiten konnten zeigen, dass es selbst nach einem jahrelangen symptomfreien
Intervall unter konsequenter antipsychotischer Medikation (2–5 Jahre) nach Absetzen
dieser Medikation mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Rückfall kommt [3]. Durch ein Rezidiv kann es zu sehr negativen Konsequenzen für den Betroffenen, mit
Zunahme der positiven wie auch der negativen Symptomatik und z. T. erhöhten Neuroleptikadosierungen
kommen. Ebenfalls drohen Verlängerungen der stationären Behandlungen mit den bekannten
psychosozialen und sozioökonomischen Folgen.
Neuroleptika haben die vielversprechendsten Effekte
Neben intensiver Arbeit an der Compliance des Patienten haben Neuroleptika die größte
Effektivität in der Rezidivprophylaxe. Diese rezidivprophylaktische Wirkung der Antipsychotika
wurde mittlerweile in einer Vielzahl von Studien innerhalb der letzten 50 Jahre mehrfach
gezeigt [1]
[4]. Bemerkenswert ist hierbei, dass eine kontinuierliche und langfristige, d. h. auch
lebenslange, antipsychotische Therapie das Rezidivrisiko um knapp 60 % verringern
kann [5]. Selbst bei Patienten mit einer schizophrenen Ersterkrankung, bei denen nach 1-jähriger
Depotbehandlung ein fachärztlich begleiteter Absetzversuch unternommen wurde, betrug
die Rezidivrate 78 % nach einem Jahr und 96 % nach 2 Jahren (Kriterium: Zunahme der
psychotischen Symptome auf der Brief Psychiatric Rating Scale) [6]. Aus diesen Gründen hat die Empfehlung, dass nach einem ersten Rezidiv eine medikamentöse
antipsychotische Behandlung kontinuierlich für 2–5 Jahre (und nach multiplen Rezidiven
gegebenenfalls lebenslang) erfolgen sollte, Einzug in die nationalen und internationalen
Therapierichtlinien (z. B. [2]) gefunden und sollte auch in der klinischen Anwendung dringend Beachtung finden.
Risiko-Nutzen-Abwägung
Die lebenslange neuroleptische Rezidivprophylaxe bei der Schizophrenie steht im Spannungsfeld
der medizinisch evidenten Rückfallprophylaxe, dem Nebenwirkungsprofil der Typika (z. B.
extrapyramidale Bewegungsstörungen) und Atypika (z. B. metabolische Störungen) im
Langzeitverlauf, dem individuellen Krankheitsverlauf und der Wünsche und Bedürfnisse
des betroffenen Patienten. Die Auswahl des Präparates, die Höhe der Dosierung und
die Galenik (orale Medikation versus Depotmedikation) müssen dem individuellen Einzelfall
angepasst werden.
Wie behandeln?
Aus heutiger Sicht sprechen die Daten eher für eine kontinuierliche Langzeittherapie
mit einer im Vergleich zur Akutphase niedrigeren Neuroleptikadosierung und gegen die
intermittierende Therapie mit Anpassung der Dosierung bei Frühzeichen der Erkrankung.
Die Problematik ist jedoch, dass aktuelle, methodisch einwandfreie Studien zu dieser
Thematik fehlen. Eine Metaanalyse aus dem Jahre 1996 konnte zeigen, dass die intermittierende
Therapie mit Neuroleptika mit einer doppelt so hohen Rückfallrate im Vergleich zu
der kontinuierlichen Therapie unterlegen ist [7].
Die Dosierung innerhalb dieser lebenslangen Therapie sollte zwischen 300 und 600 mg
Chlorpromazinäquivalente liegen, denn Dosierungen unterhalb dieses Bereiches erhöhen
wiederum das Rückfallrisiko [8]. Wie in der Akutbehandlung werden auch in der lebenslangen Behandlung nach heutiger
Sicht atypische Substanzen vor dem Hintergrund der einzelnen Nebenwirkungsprofile
den typischen Substanzen vorgezogen.
Compliance und Nebenwirkungen
Auch eine optimal gestaltete Langzeitbehandlung kann nur wirken, wenn der betroffene
Patient die Medikation auch wie vereinbart einnimmt. Ein wesentlicher Punkt für das
schizophrene Rezidiv ist die Noncompliance des Patienten, denn ungefähr 2 Drittel
der Patienten halten sich nicht an das verordnete Therapieregime [9]. Diese kann sich durch ein vollständiges Absetzen der Medikation, aber auch durch
eine selbstständige Reduktion der Medikamente (partielle Noncompliance), manifestieren.
Ein weiterer wesentlicher Punkt in der lebenslangen Behandlung ist ein intensives
Monitoring (beginnende Dyskinesien, Gewichtszunahme, Laborveränderungen) sowohl der
substanzspezifischen Nebenwirkungen als auch der Veränderungen in der Psychopathologie
(Frühwarnzeichen) des Betroffenen. Aus diesen Gründen muss eine lebenslange neuroleptische
Therapie bei der Schizophrenie stets fachärztlich begleitet werden, um Rezidive und
unerwünschte Wirkungen zu vermeiden.
Fazit
Die Schizophrenie ist eine häufig chronifizierende Erkrankung, die zu einer deutlichen
Beeinträchtigung der Lebensqualität für Betroffene und einer enormen Belastung der
Angehörigen führt. Da diese Erkrankung bereits im jungen Erwachsenenalter auftritt
und häufig das Erlangen einer ausreichenden beruflichen Qualifikation, einer langfristigen
Berufstätigkeit und den Aufbau stabiler Partnerschaften verhindert, muss die Therapie
effektiv und andauernd sein. Durch jedes Rezidiv mit erneuter Hospitalisierung kommt
es bei den Betroffenen zu einer massiven Störung der beruflichen und sozialen Entwicklung.
Durch eine lebenslange neuroleptische Behandlung ist es möglich, die Zahl dieser Rezidive
gering zu halten und den betroffenen Patienten ein symptom- und beschwerdefreies Leben
zu ermöglichen. Bei vielen nicht psychiatrischen Erkrankungen, wie beispielsweise
der arteriellen Hypertonie und verschiedenen Autoimmunerkrankungen, werden durch eine
lebenslange pharmakologische Therapie außerordentliche Erfolge verzeichnet. Dieses
sollte auch das Ziel der neuroleptischen Therapie bei der Schizophrenie sein.
Aus diesen Gründen und der umfassenden Evidenz für diese Therapieform, die Einzug
in die nationalen und internationalen Behandlungsrichtlinien gefunden hat, ist der
Verzicht auf eine lebenslange neuroleptische Therapie unter Berücksichtigung der intraindividuellen
Bedürfnisse und Nebenwirkungen des jeweiligen Patienten nicht mehr zu begründen.
Kontra
Die Schizophrenie ist eine häufig chronisch verlaufende und in vielen Fällen rezidivierende
Erkrankung. Dass eine kontinuierliche antipsychotische Therapie über mehrere Jahre
das Risiko eines Krankheitsrezidivs um bis zu 2 Drittel verringern kann, wurde in
vielen Studien gezeigt und auch in den älteren und neueren evidenzbasierten Leitlinien
zur Schizophreniebehandlung festgehalten [2]
[10]. Folgerichtig wird auch eine kontinuierliche antipsychotische medikamentöse Behandlung
empfohlen [2]
[10]
[11], allerdings wird in der britischen NICE-Leitlinie explizit darauf hingewiesen, dass
in Ausnahmefällen wie beispielsweise bei besonderer Sensitivität für Nebenwirkungen
auch eine gezielte Intervallbehandlung überlegt werden sollte [10].
Besteht bez. der in der Regel zu empfehlenden Fortsetzung der antipsychotischen Behandlung
nach der Akutphase noch weitgehend Einigkeit, so wird bei Festlegung der erforderlichen
Dauer die Formulierung unscharf. So wird in der Langversion der deutschen Leitlinie
ausgeführt, dass aus den Studien zur Langzeitwirksamkeit (Absetz- und prospektive
Studien) der Antipsychotika zwar Empfehlungen für die Dauer der antipsychotischen
Medikation abgeleitet werden können, jedoch eine hochwertige Evidenz zur optimalen
Dauer der Langzeittherapie nicht verfügbar ist [2]. Dies ist auch der Grund, warum die Empfehlung nach einem ersten Rezidiv eine medikamentöse
antipsychotische Behandlung kontinuierlich für 2–5 Jahre (und nach multiplen Rezidiven
ggf. lebenslang) durchzuführen, im Zeitraum sehr unpräzise gehalten ist und in der
deutschen Leitlinie nur mit niedrigem Empfehlungsgrad (Grad C) ausgesprochen wird
[2]. Dies wirft die Frage für den Behandler auf, wie eine individuell angepasste medikamentöse
Langzeitbehandlung zu gestalten ist, und ob Anhaltspunkte existieren, bei welchen
Patienten nach welchem Zeitraum ein Absetzen der neuroleptischen Therapie nicht nur
vertretbar, sondern möglicherweise auch von Vorteil ist.
Welche Patienten profitieren möglicherweise nicht von einer lebenslangen Neuroleptikatherapie?
Nach einer ersten schizophrenen Episode zeigt sich bei etwa 15–20 % der Patienten
im weiteren Verlauf kein Rezidiv mehr [2]
[11]. Da es noch keine zuverlässigen Rückfallprädiktoren für diese Gruppe außer allgemeinen
Eigenschaften für einen besseren Verlauf wie etwa weibliches Geschlecht, rascher Beginn,
geringe Dauer der unbehandelten Psychose, kein komorbider Substanzkonsum gibt, wird
empfohlen, bei Erstmanifestation die antipsychotische Therapie mindestens 1–2 Jahre
nach Abklingen der akuten Episode fortzusetzen [2]. Kommt es durch vor allem äußere Stressoren zu einem ersten Rezidiv, so stellt sich
die Frage, ob sich damit die Rückfallwahrscheinlichkeit im weiteren Verlauf und damit
gar die Gesamtprognose entscheidend ändert. Neben der Pharmakotherapie erwiesen sich
insbesondere Psychoedukation, kognitive Verhaltenstherapie und Familieninterventionen
als wirksam in der Rezidivprophylaxe [2]. So könnte möglicherweise davon ausgegangen werden, dass Patienten, welche einen
Rückfall durch äußere Stressoren erlitten haben, die oben genannten Verfahren durchlaufen
und ein Verständnis für Frühwarnzeichen entwickelt haben sowie über ein gezielt trainiertes
und verbessertes Stressmanagement verfügen, eine reduzierte Rückfallwahrscheinlichkeit
aufweisen. Dementsprechend wäre hier eine längerdauernde (über 5 Jahre hinaus durchgeführte)
Neuroleptikabehandlung nicht notwendig. Zudem liegen kontrollierte Studien, welche
den Langzeitverlauf über mehr als 5 Jahre bei Patienten beobachten, bei denen die
neuroleptische Medikation allmählich abgesetzt wurde, nicht vor.
Daneben bestehen Hinweise, dass für die Gruppe der Patienten mit auch unter Clozapin
therapieresistentem Verlauf die Rückfall- bzw. Verschlechterungsrate geringer ist
als bei solchen, welche auf Neuroleptika angesprochen haben [12]. Somit erscheint eine antipsychotische Pharmakotherapie dann nicht langfristig oder
gar lebenslang vertretbar, wenn der Patient bisher nicht profitiert hat, d. h. die
Symptome sich nicht gebessert haben oder die Besserung in einem sehr ungünstigen Verhältnis
zu aufgetretenen Nebenwirkungen steht. Jedem erfahrenen Kliniker sind Patienten bekannt,
welche eine neuroleptische Behandlung über längere Zeit ablehnen, und sich im Langzeitverlauf
nicht von Patienten unter dauerhafter Neurolepsie unterscheiden.
Risiko-Nutzen-Abwägung
Einer lebenslangen neuroleptischen Rezidivprophylaxe mit einem reduzierten Rückfallrisiko
stehen die Langzeitfolgen einer neuroleptischen Behandlung gegenüber. Auch bei der
Therapie mit modernen Antipsychotika ist mit einem Auftreten von irreversiblen tardiven
Dyskinesien zu rechnen, so werden in einer neueren Untersuchung an hauptsächlich mit
modernen Antipsychotika (der sog. zweiten Generation) behandelten Patienten Inzidenzraten
von 0,73 % für tardive Dyskinesien mit einer Persistenz von über 80 % in 2 Jahren
angegeben [13]. Neben den extrapyramidalen Störungen spielen metabolische Komplikationen bei der
antipsychotischen Pharmakotherapie eine entscheidende Rolle. Gerade unter den modernen
Antipsychotika ist das Risiko für das Auftreten eines metabolischen Syndroms oder
eines Diabetes mellitus erhöht [14]. Dieses wird mit für die erhöhte Mortalität bei schizophren Erkrankten verantwortlich
gemacht, da in einigen Studien eine erhöhte kardiovaskuläre Mortalität mit der Exposition
einer Neuroleptikabehandlung korrelierte [15]. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass in einer finnischen Kohorte eine
Langzeitbehandlung mit Antipsychotika (über 7–11 Jahre) mit einer reduzierten Mortalität
assoziiert war, was vermutlich z. T. auf eine verringerte Suizidalität unter Clozapin
zurückgeführt werden kann [16].
Wie absetzen?
Wenn die Entscheidung für ein Absetzen der neuroleptischen Medikation bei stabilem
Verlauf gefallen ist, so sollte die Dosis nur allmählich und schrittweise über einen
längeren Zeitraum ausgeschlichen werden, da sich bei abruptem Absetzen erhöhte Rückfallraten
und Verschlechterungen zeigten [17]. In diesem Zusammenhang ist ebenfalls interessant, dass die meisten Rückfälle innerhalb
von 6–12 Monaten nach Absetzen auftreten und bei keinem Auftreten eines Rezidivs innerhalb
dieses Zeitraums mit einem eher stabilen weiteren Verlauf zu rechnen ist [17].
Fazit
Ob eine neuroleptische Pharmakotherapie über einen langen Zeitraum oder gar lebenslang
fortzuführen ist, bedarf einer individuellen Risiko-Nutzen-Abwägung. Dabei ist auch
zu berücksichtigen, dass in den letzten Jahren in der Behandlung der Schizophrenie
immer mehr patientenrelevante Parameter in den Vordergrund getreten sind. Dabei spielen
weniger die von Behandlern aufgestellten Ziele wie konsequente Symptomremission, Verhinderung
einer Symptomverschlechterung und Rezidivprophylaxe eine Rolle, sondern es gewinnt
die objektive und subjektive Lebensqualität zunehmend an Bedeutung [10]
[18]. Als Prädiktor für eine erniedrigte subjektive Lebensqualität fungiert dabei u. a.
auch die Höhe der antipsychotischen Dosierung [18]. Oft berichten Patienten unmittelbar nach einer Dosisreduktion oder dem Absetzen
von einer subjektiven Verbesserung und erhöhtem Wohlbefinden, was einem u. U. erhöhten
Rückfallrisiko gegenübergestellt werden muss. Entscheidend ist, dass die Entscheidung
für oder wider eine andauernde (lebenslange) antipsychotische Pharmakotherapie vom
Therapeuten und Patienten gemeinsam zu treffen ist. Denn nur so kann eine wirkliche
individuelle Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden und ggf. die Therapieadhärenz erhöht
werden.