PiD - Psychotherapie im Dialog 2010; 11(2): 145-150
DOI: 10.1055/s-0030-1248464
Aus der Praxis

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Psyche und Krebs

Können psychosoziale Faktoren Krebs verursachen oder den Verlauf von Krebserkrankungen beeinflussen?Wolfgang  Söllner
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Publication Date:
31 May 2010 (online)

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Zusammenfassung

Psychische Faktoren tragen über ihren Einfluss auf den Lebensstil zur Entwicklung von Krebserkrankungen bei. Der direkte Einfluss psychischer Faktoren (Stress, belastende Lebensereignisse, Depression) auf die Entstehung von Krebs ist möglich, biologisch erklärbar, aber empirisch nicht gesichert. Es bestehen deutliche Hinweise dafür, dass es eine starke Interaktion zwischen psychischen Faktoren und Risikoverhalten insbesondere bei tabakabhängigen Tumoren gibt. Die Ergebnisse der Studien zur Frage des Einflusses psychischer Faktoren auf den Krankheitsverlauf sind inhomogen. Einige methodisch gute Studien zeigen, dass Depression bzw. Gefühle von Hilf- und Hoffnungslosigkeit einerseits und mangelnde soziale Unterstützung andererseits im Zusammenwirken mit biologischen Prognosefaktoren den Verlauf von bestimmten Krebserkrankungen beeinflussen können. Diese Faktoren könnten einen direkten Einfluss auf die Krebserkrankung über eine Beeinflussung der Immunkompetenz und indirekt über einen Einfluss auf das Risikoverhalten und die Mitarbeit bei der Krebsbehandlung (Adherence) nehmen. Bisherige systematische Reviews und Metaanalysen können diese Zusammenhänge bisher nicht bestätigen, ihre Ergebnisse sind jedoch durch methodische Probleme eingeschränkt. Der Effekt psychotherapeutischer Interventionen auf den Verlauf von Krebserkrankungen ist nicht belegt.

Literatur

1 In Fall-Kontroll-Studien wird eine Gruppe von Patienten zu psychologischen Faktoren und Lebensereignissen in der Zeit vor der Krebsdiagnose befragt und mit einer Kontrollgruppe aus gesunden Probanden oder Patienten mit gutartigen Tumoren verglichen.

2 In diesem Beitrag kann aus Gründen des begrenzten Umfangs nicht auf die experimentelle Forschung eingegangen werden. Verwiesen sei dazu auf die Übersichtsarbeiten zu psycho-neuro-immunologischen Zusammenhängen von Schüßler und Schubert (2001) und Reiche et al. (2004).

3 Die immunological surveillance scheint bei verschiedenen Krebsarten unterschiedlich wirksam zu sein, ausgeprägt bei sog. immunogenen Tumoren, die oft virusassoziiert sind (z. B. Melanom, Non-Hodgkin-Lymphome) und kaum ausgeprägt bei anderen Krebsarten, wie Lungen- oder Darmkrebs (Schüßler u. Schubert 2001).

4 Die Hazard Ratio ist ein in Kohortenstudien häufig verwendetes statistisches Maß für den Effekt einer Variablen auf das Risiko, dass ein Ereignis (z. B. das Auftreten von Krebs) eintritt. Die HR kann zwischen 0 und 2 schwanken; ein Wert über 1 gibt ein erhöhtes Risiko an, ein Wert unter 1 ein erniedrigtes. Das 95 %-Konfidenzintervall gibt den Vertrauensbereich an, d. h. dass bei einer Wiederholung des Messverfahrens für 95 % aller Stichproben die Aussage innerhalb der unteren und der oberen Grenze richtig ist.

5 Die Gefäßneubildung (Angiogenese) ist ein das Tumorwachstum fördernder Faktor.

Prof. Dr. med. Wolfgang Söllner

Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie
Klinikum Nürnberg

Prof. Ernst-Nathan-Straße 1, Hs. 8

90419 Nürnberg

Email: Wolfgang.soellner@klinikum-nuernberg.de