Zeitschrift für Phytotherapie 2009; 30(6): 271-272
DOI: 10.1055/s-0030-1247117
Editorial

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Zum Nutzen pflanzlicher Atemwegstherapeutika

Volker Schulz
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Publication Date:
12 January 2010 (online)

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Ein Damoklesschwert mit dem Namen H1N1 schwebt über der Infekt-Saison des Winters 2009/2010. Was entwickelt sich aus dem neuen Influenza-Stamm, der im April des Jahres in Mexiko erstmals geortet wurde? Darüber denken die Gesundheitsbehörden ebenso wie Millionen gesundheitsbewusster Bürger nach. Die vorbeugende Impfung für disponierte Personenkreise zur Eindämmung einer drohenden Epidemie erscheint zwingend. Trotzdem meinte kürzlich mein Taxifahrer, dass er sich nicht impfen ließe und zeigte mir stattdessen eine Packung »neu entwickelter Kapseln gegen die Grippe«. Meine Anmerkung, dass das Risiko der jetzigen Grippeimpfung kaum anders als das jeder früheren sein könne, schien an seiner Entscheidung nichts mehr zu ändern. Tatsächlich brachte es die Eile der Entwicklung ja mit sich, dass mangels Anwendungserfahrung mit den 3 derzeit in Deutschland zugelassenen H1N1-Impfstoffen letzte Fragen über unerwünschte Wirkungen, etwa auch durch zugesetzte Adjuvantien, noch nicht endgültig zu beantworten sind ([1]). So wird es zumindestens erklärlich, dass ein hoch disponierter Infekt-Kandidat mit der Impfung zögert und sich zum eigenen Trost eine Wochendosis Tamiflu® ins Handschuhfach legt. Kratzt es dann wirklich im Hals, steht er immer noch vor der Frage, ob der Infekt als »grippal« oder doch nur als »banal« einzustufen ist. Spätestens bei der Lektüre der Gebrauchsinformation der Reserve-Arznei fällt dem Leidtragenden dann auf, dass auch Neuraminidase-Hemmer nicht so harmlos wirken, wie er es gern hätte. Statistische Risikovergleiche sind dabei die eine, die Lage aus der Sicht des Betroffenen die andere Seite der Medaille.

Die Empfehlungen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft (AKDÄ) zur Therapie von Atemwegsinfektionen ([2]) sind frei von inneren Zweifeln der Patienten. An erster Stelle steht die Prävention durch Impfung, an zweiter Stelle werden, limitiert für bestimmte Risikogruppen, Virustatika oder Antibiotika genannt. Ergänzend wird unter »symptomatische Therapie« aber auch Stellung genommen zu Nasensprays, Antitussiva, Expektorantien (darunter pflanzliche Zubereitungen aus Efeu, Thymian, Eukalyptus oder Isländisch Moos) sowie »weiteren Behandlungsmaßnahmen«, darunter Immunstimulantien (Echinacea), Inhalationen, Lokaltherapeutika (Gurgeln mit Salbei- oder Ratanhia-Blätter-Aufguss), Antihistaminika, Vitamin C, Zink. Für alle gemeinsam stehen unverkennbare Zweifel an der Wirksamkeit. Einigen pflanzlichen Mitteln wird immerhin zugestanden: »Vereinzelte positive Resultate zur Beeinflussung der akuten Bronchitis bedürfen der Bestätigung.«

Das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG) wendet sich mit seinem Internet-Portal »Gesundheitsinformation« direkt an die Patienten mit Atemwegsinfektionen ([3]). Gebräuchlichen Phytopharmaka wird ein wenig mehr Raum und Recht gegeben. Zur Anwendung von Sonnenhut-Präparaten heißt es zum Beispiel: »Es ist unklar, ob Extrakte aus Sonnenhut (Echinacea) Erkältungen verhindern können. Die Einnahme bestimmter Echinacea-Produkte zu Beginn einer Erkältung kann aber möglicherweise ihre Dauer und Schwere begrenzen.« Zur Behandlung mit einem Pelargonium-sidoides-Präparat wird unter Bezugnahme auf einen aktuellen Cochrane-Review ausgeführt: »Aus ihrer Analyse zog die Forschergruppe den vorsichtigen Schluss, dass Umckaloabo® die Beschwerden von Kindern und Erwachsenen mit akuter Bronchitis oder Sinusitis etwas lindern könnte.«

Kritischer als die AKDÄ geht das IQWiG jedoch mit den Antibiotika um. Ebenfalls unter Bezug auf einen Cochrane-Report aus dem Jahr 2009 heißt es dazu: »Es zeigte sich, dass ein eindeutiger Nutzen von Antibiotika bei unkomplizierten Erkältungen nicht belegt ist. Angesichts dessen bekommen die unerwünschten Wirkungen eine Bedeutung. Aus den Studien lässt sich ableiten, dass im Durchschnitt von 100 Personen, die Antibiotika eingenommen hatten, etwa 8–9 von einer spezifischen Nebenwirkung betroffen waren. Dabei handelte es sich gewöhnlich um Durchfall und andere Magen-Darm-Beschwerden wie zum Beispiel Übelkeit. Andere häufige Nebenwirkungen von Antibiotika sind Hautausschläge und Scheidenentzündungen.«

Der verbreitete Antibiotika-Missbrauch bei banalen Infekten der Atemwege – laut einer US-Statistik betraf er z.B. 51% aller Patienten mit Schnupfen und 66% derer mit Bronchitis ([2]) – hat allerdings nicht nur in mangelnder Aufklärung der Bevölkerung seine Wurzeln. Der behandlungswillige Infekt-Patient greift auch deshalb nach dem falschen Strohhalm, weil unbedenklichere und auf ihre Weise heilsam lindernde pflanzliche Arzneimittel bei diesen Indikationen in Misskredit gebracht werden. Aktuelle Belege zu Wirksamkeit und Unbedenklichkeit sind immer noch die beste Antwort auf alle Zweifel und Bedenken an Echinacea, Eukalyptusöl, Efeu oder Eibisch. Ganz in diesem Sinne wird auf die Seiten 275, 285, 289, 292 und 308 der vorliegenden Ausgabe der ZPT verwiesen.

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Literatur

  • 1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft .Stellungnahme zur Schutzimpfung gegen die neue Influenza A (H1N1). Stand 10.09.2009. www.akdae.de
  • 2 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft .Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen. 2. Aufl., Juli 2002. www.akdae.de
  • 3 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen .Gesundheitsinformation – Akute Atemwegsinfektionen. Stand Oktober 2009. www.gesundheitsinformation.de
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Literatur

  • 1 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft .Stellungnahme zur Schutzimpfung gegen die neue Influenza A (H1N1). Stand 10.09.2009. www.akdae.de
  • 2 Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft .Empfehlungen zur Therapie akuter Atemwegsinfektionen. 2. Aufl., Juli 2002. www.akdae.de
  • 3 Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen .Gesundheitsinformation – Akute Atemwegsinfektionen. Stand Oktober 2009. www.gesundheitsinformation.de