Inhaltsverzeichnis
Seite
Abkürzungsverzeichnis
238
Teil I
Einführung und Methodik
238
Hintergrund und Ziele
238
Methodik
238
Teil II
Grundlagen
242
Kapitel 1
Definition und Epidemiologie
242
1 – 1
Definition und Epidemiologie des RDS bei Erwachsenen (AG 1)
242
1 – 2
Definition und Epidemiologie des RDS bei Kindern (AG 9)
245
Kapitel 2
Pathophysiologie
247
2 – 1
Pathophysiologie des RDS bei Erwachsenen (AGs 2, 11, 12)
247
2 – 1
Pathophysiologie des RDS bei Kindern (AG 9)
251
Teil III
Diagnosesicherung
252
Kapitel 3
Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS
252
3 – 1
Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS bei Erwachsenen (AG 3)
252
3 – 2
Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS bei Kindern (AG 9)
256
3 – 3
Abgrenzung des RDS von spezifischen Motilitätsstörungen des Dünn- und Dickdarms (AG
10)
257
Teil IV
Allgemeine (symptomunabhängige) Therapieverfahren
259
Kapitel 4
Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren
259
4 – 1
Allgemeine Grundsätze in der Therapie des RDS (AG 6)
259
4 – 2
Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren beim RDS bei Erwachsenen (AG 6)
260
4 – 3
Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren beim RDS bei Kindern (AG 9)
262
Kapitel 5
Ernährung
262
5 – 1
Diagnostische und therapeutische Rolle der Ernährung beim RDS bei Erwachsenen (AG
5)
262
5 – 2
Diagnostische und therapeutische Rolle der Ernährung beim RDS bei Kindern (AG 5, AG
9)
266
Kapitel 6
Psyche
266
6 – 1
Diagnostische und therapeutische Rolle der Psyche beim RDS bei Erwachsenen (AG 4)
266
6 – 2
Diagnostische und therapeutische Rolle der Psyche beim RDS bei Kindern (AG 9)
268
Teil V
Gezielte (symptomorientierte) Therapie
268
Kapitel 7
Therapie der RDS-Symptome Diarrhö und Schmerz
268
7 – 1
Therapie von Diarrhö und Schmerz beim RDS von Erwachsenen (AG 7)
268
A) Symptom Schmerz
268
B) Symptom Diarrhö
271
7 – 2
Therapie von Schmerzen und Diarrhö bei Kindern mit RDS (AG 9)
272
Kapitel 8
Therapie der RDS-Symptome Obstipation und Blähungen
273
8 – 1
Therapie von Obstipation und Blähungen beim RDS von Erwachsenen (AG 8)
273
A) Symptom Obstipation
273
B) Symptomkomplex „Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz”
276
8 – 2
Therapie von Obstipation und Blähungen bei Kindern mit RDS (AG 9)
278
Appendix I
Beispiele für gebräuchliche Therapieschemata von pharmakologischen Behandlungen des
Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen
279
Appendix II
Beispiele von Substanzen in der Entwicklung oder von Substanzen aus anderen Indikationen
zum potenziellen Einsatz beim RDS
279
Appendix III
Ältere Diagnose-Kriterien des RDS
281
Literatur
282
Abkürzungsverzeichnis
Abkürzungsverzeichnis
ACPO
akute kolonische Pseudoobstruktion, syn. Ogilvie-Syndrom
CED
chronisch entzündliche Darmerkrankungen
CI
Confidence Interval, engl.
CIPO
chronische intestinale Pseudoobstruktion
CMV
Cytomegalie Virus
ENS
enterisches Nervensystem
FBDSI
Functional Bowel Disorder Severity Index
FBS
Funktionelle Bauchschmerzen (engl. FAB, functional abdominal pain)
FD
Funktionelle Dyspepsie
GSRS-IBS
Gastrointestinal Symptom Rating Score
HADS
Hospital Anxiety Depression Scale, engl.
H&E
Hämatoxylin-Eosin-Färbung
IBS
Irritable Bowel Syndrome, engl.
IBS-IS
Irritable Bowel Syndrome Impact scale, engl.
IBS-SSS
IBS-severity scoring system, engl.
ICC
interstitielle Cajal-Zellen (engl. cells)
IMC
idiopathisches Megakolon/-rektum
LGG
Lactobacillus GG
NNT
Number Needed to Treat, engl.
NTC
Normal Transit Constipation, engl.
SERT
Seretonin Wiederaufnahme (engl. reuptake) Transporter
STC
Slow-Transit Constipation, engl.
QOL
Quality of Life, engl.
PBMC
periphere mononukleäre Blutzellen
PHQ
Patient Health Quenstionnaire
PI-RDS
Postinfektiöses Reizdarmsyndrom
RCT
radomisierte kontrollierte Studie (engl. randomized controlled trial)
PTSD
Posttraumatic Stress Disorder, engl.
RDS
Reizdarmsyndrom
RDS-A
RDS mit wechselndem (alternierendem) Stuhlverhalten (z. B. Phasen von Diarrhö im Wechsel
mit Phasen von Obstipation)
RDS-D
Reizdarmsyndrom, Diarrhö-prädominant
RDS-O
Reizdarmsyndrom, Obstipations-prädominant
RDS-M
Reizdarmsyndrom mit gemischtem Stuhlverhalten (z. B. innerhalb eines Tages sowohl
Diarrhö als auch Obstipation)
SSRI
Selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (engl. reuptake inhibitor)
TCA
Trizyklische Antidepressiva
Teil I – Einführung und Methodik
Teil I – Einführung und Methodik
Hintergrund und Ziele
Seit Formulierung der ersten deutschen Konsensus-Empfehlungen [1 ] hat sich unser Verständnis des Reizdarmsyndroms von seinen Grundlagen bis hin zur
Behandlung wesentlich verbessert. Verantwortlich hierfür sind bedeutende Fortschritte
in der Aufklärung der Pathomechanismen sowie eine beträchtliche Zahl valider epidemiologischer
Befunde und prospektiver, randomisiert-kontrollierter Studien unterschiedlichster
Therapiekonzepte.
Die vorliegende S 3-Leitlinie wurde daher auf eine breite interdisziplinäre Grundlage
gestellt: unter Federführung der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten
(DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM)
wirkten 11 weitere nationale Fachgesellschaften sowie die Patientenorganisation (Deutsche
Reizdarmselbsthilfe e. V.) aktiv bei der Vorbereitung und Formulierung mit ([Tab. E-1 ]). Weitere Fortschritte im Vergleich mit dem Celle-Konsens betreffen die erstmalige
Einbeziehung der Empfehlungen zum kindlichen Reizdarmsyndrom sowie die Abgrenzung
des Reizdarmsyndroms von klar definierten Motilitätsstörungen des unteren Gastrointestinaltrakts.
Die Behandlungsempfehlungen wurden nicht nach den unterschiedlichen Therapiemodalitäten,
sondern nach den dominanten Beschwerden gegliedert. Hierdurch sollte die praktische
Anwendbarkeit verbessert und die Integration der unterschiedlichen Methoden in ein
individualisiertes Managementkonzept für den einzelnen Patienten und sein spezifisches
Symptomprofil erleichtert werden.
Tab. E-1 Teilnehmende Fachgesellschaften.
Federführung und Koordination
1.
Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) in Koordination
mit
2.
Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie & Motilität (DGNM) und in Zusammenarbeit
mit
3.
Deutsche Gesellschaft für Innere Medizin (DGIM)
4.
Berufsverband Niedergelassener Gastroenterologen (bng)
5.
Gesellschaft für Pädiatrische Gastroenterologie und Ernährung (GPGE)
6.
Deutsche Gesellschaft für Ernährungsmedizin (DGEM)
7.
Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Viszeralchirurgie (DGAV)
8.
Deutsche Gesellschaft für Allgemein- und Familienmedizin (DEGAM)
9.
Deutsche Gesellschaft zum Studium des Schmerzes (DGSS)
10.
Deutsche Gesellschaft für Verhaltensmedizin und Verhaltensmodifikation (DGVM)
11.
Deutsche Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM)
12.
Deutsche Gesellschaft für Tropenmedizin und Internationale Gesundheit (DTG)
13.
Deutsche Gesellschaft für Naturheilkunde
14.
Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V. (Patientenorganisation)
Aktuelle internationale Leitlinien, insbesondere die der britischen und amerikanischen
Fachgesellschaften [2 ]
[3 ]
[4 ] sowie die Ergebnisse des Rom-III-Konsensus [5 ] wurden zur Vorbereitung eingehend herangezogen, erwiesen sich aber besonders im
Hinblick auf die konkrete Anwendbarkeit der diagnostischen und therapeutischen Algorithmen
als nur eingeschränkt nutzbar: Viele der Vorgaben sind nämlich nicht unmittelbar auf
das deutsche Gesundheitssystem mit seinen teilweise völlig anderen Patientenpfaden,
Diagnosewegen, verfügbaren Therapien und Kostenaspekten übertragbar. Außerdem sind
die dort zugrunde liegenden, aber teilweise realitätsfernen, nicht praktikablen Definitionen
ebenso wie die unzureichende oder fehlende Differenzierung der Schweregrade kritisch
zu werten. Insbesondere im Rom-III-Konsens, aber auch in anderen internationalen Leitlinien
werden die häufigen banalen gastrointestinalen Befindlichkeitsstörungen ohne wesentlichen
Krankheitswert nicht ausreichend vom klinisch relevanten „eigentlichen” Reizdarmsyndrom
abgegrenzt.
Ziel dieser Leitlinie war es, den aktuellen Kenntnisstand zu Definition, Pathophysiologie,
Diagnostik und Therapie aller Formen des Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen und Kindern
(≥ 4 Jahre) zusammenzufassen, zu bewerten und in praxisrelevante Empfehlungen zu übertragen.
Abschnitte in dieser Leitlinie, die sich auf Kinder (≥ 4 Jahre) und Jugendliche beziehen,
sind als solche erkennbar und beziehen sich inhaltlich auf diesen Altersbereich. Die
Gruppe der Kinder < 4 Jahre ist nicht Gegenstand dieser Leitlinie.
Die Empfehlungen der Leitlinie richten sich an das gesamte Spektrum der an der Diagnostik
und Therapie beteiligten Berufsgruppen (Allgemeinmediziner, Internisten, Kinder- und
Jugendmediziner, Psychologen, Psychiater, Psychosomatiker etc.) ebenso wie an Betroffene
und Leistungserbringer (Krankenkassen, Rentenversicherungsträger). Die Leitlinie soll
der evidenzbasierten Fort- und Weiterbildung dienen und auf dieser Basis eine Verbesserung
der medizinischen Versorgung dieser Patienten in der ambulanten und stationären Versorgung
erreichen.
Hierfür war es eine grundlegende Vorbedingung, die Leitlinie auf das Krankheitsbild
des Reizdarmsyndroms im engeren Sinne (wie oben dargelegt) zu beschränken, denn nur
dieses indiziert durch die Schwere, Häufigkeit und Chronizität der Beschwerden und
dadurch nachvollziehbare Beeinträchtigung der Lebensqualität eine angemessene diagnostische
Abklärung und eine systematische Behandlung.
Methodik
Auswahl der Leitlinien-Mitglieder
Die Deutsche Gesellschaft für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten (DGVS) und die
Deutsche Gesellschaft für Neurogastroenterologie und Motilität (DGNM) beauftragten
Prof. Dr. P. Layer und PD Dr. C. Pehl, den Konsensusbericht zum Reizdarmsyndrom aus
dem Jahre 1999 zu überarbeiten. Diese bildeten ein Koordinationskomitee und stellten
die Arbeitsgruppen ([Tab. E-2 ]) zusammen.
Tab. E-2 Mitglieder der Leitliniengruppe.
AG 1. Definition, Epidemiologie, natürlicher Verlauf, Prognose, Schweregrad, Lebensqualität
und assoziierte Störungen
Leitung: Prof. Dr. Thomas Frieling, Krefeld
PD Dr. Andreas Franke, Flensburg
Prof. Dr. Peter Henningsen, München
PD Dr. Jörg Hoffmann, Ludwigshafen
Prof. Dr. Michael Karaus, Göttingen
Dipl.-Psych. Rita Kuhlbusch-Zicklam, Krefeld (Literatursuche)
AG 2. Ätiologie, Pathogenese/Pathophysiologie (zentral/peripher)
Leitung: Prof. Dr. Michael Schemann, München
Dr. MBA Birgit Adam, Essen
Prof. Dr. Ulrike Ehlert, Zürich
PD Dr. Dieter Saur, München
Dr. Ulrich Wahnschaffe, Greifswald
AG 3. Diagnostik/Diagnose
Leitung: Prof. Dr. Peter Layer, Hamburg (DGVS, DGIM)
Prof. Dr. Hans-Dieter Allescher, Garmisch-Partenkirchen (DGIM)
Dr. MSc Viola Andresen, Hamburg (DGNM) (Literatursuche)
Dr. Berndt Birkner, München
Dr. Bernd Bokemeyer, Minden (bng)
Prof. Dr. Wolfgang Fischbach, Aschaffenburg
Prof. Dr. Stephan Hollerbach, Celle
AG 4. Psyche
Leitung: Prof. Dr. Paul Enck, Tübingen (DGNM)
PD Dr. Sigrid Elsenbruch, Essen
Prof. Dr. Gabriele Moser, Wien
Dr. Dipl.-Psych. Christina Rosenberger, Hamburg (Literatursuche)
Prof. Dr. Antonius Schneider, München (DEGAM)
Dr. Dipl. Psych. Sefik Tagay, Düsseldorf
AG 5. Ernährung
Leitung: Prof. Dr. Stephan C. Bischoff, Stuttgart (DGEM, DGPM)
PD Dr. Jürgen Gschossmann, Forchheim
Prof. Dr. Martin Katschinski, Bremen
PD Dr. Bärbel Otto, München (Literatursuche)
PD Dr. Hans-Joachim Thon, Bonn
AG 6. Allgemeines therapeutisches Management
Leitung: Prof. Dr. Dipl. Psych. Hubert Mönnikes, Berlin (DGVM, DGPM)
Dr. Dipl. Psych. Ulrich Cuntz, Prien
PD Dr. Andreas Klauser, Starnberg
Dr. Ute Martens, Tübingen
PD Dr. Frauke Musial, Essen (DG für Naturheilkunde) (Literatursuche)
Dr. Andrea Riedl, Berlin
Dr. Marco Schmidtmann, Berlin
Dr. Stefan Schmiedel, Hamburg (DTG)
Anna-Sophia Habbel, Berlin
AG 7. Therapie von Schmerzen und Diarrhö
Leitung: Prof. Dr. Wolfgang Kruis, Köln
PD Dr. Winfried Häuser, Saarbrücken (DGSS)
PD Dr. Ulf Helwig, Oldenburg
PD Dr. Jost Langhorst, Essen (DG für Naturheilkunde) (Literatursuche)
Dr. Tobias Liebregts, Essen
Prof. Dr. Jörg-Dieter Schulzke, Berlin
PD Dr. Antje Timmer, München
AG 8. Therapie von Obstipation und Meteorismus/Flatulenz
Leitung: PD Dr. Christian Pehl, Vilsbiburg (DGNM)
Dr. Felix Gundling, München
Dr. Hermann Harder, Mannheim
PD Dr. Ahmed Madisch, Hannover
Dr. Harald Matthes, Berlin (Literatursuche)
Prof. Dr. Heiner Krammer, Mannheim
Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, Berlin
PD Dr. Winfried Voderholzer, Berlin
AG 9. Besondere pädiatrische Aspekte
Leitung: Dr. Martin Claßen, Bremen
Dr. Thomas Berger, Datteln
Dr. Stephan Buderus, Bonn
Dr. Axel Enninger, Stuttgart
Dr. Simone Kathemann, Essen
PD Dr. Anjona Schmidt-Choudhury, Bochum (GPGE)
AG 10. Abgrenzung Motilitätsstörungen Dünn- und Dickdarm, „Kurzleitlinie”
Leitung: PD Dr. Jutta Keller, Hamburg
Prof. Dr. Martin Kreis, München (DGAV)
Dr. Holger Seidl, München
Dr. Ivo van der Voort, Berlin (Literatursuche)
Prof. Dr. Thilo Wedel, Kiel
AG 11. Pathophysiologie: Stress
Leitung: Prof. Dr. Gerald Holtmann, Essen
Prof. Dr. Wolfgang Senf, Düsseldorf
Dr. MSc Sebastian Haag, Essen (Literatursuche)
AG 12. Pathophysiologie: Psyche
Leitung: Prof. Dr. Stefan Müller-Lissner, Berlin
Mitglieder ohne AG-Zuordnung
Dr. Wolfgang Blank, München (DEGAM)
Petra Ilgenstein (Deutsche Reizdarmselbsthilfe e. V.)
Koordinationskomitee
Prof. Dr. Peter Layer (DGVS, DGIM)
PD Dr. Christian Pehl (DGNM)
Dr. MSc Viola Andresen (Leitliniensekretärin) (DGNM)
Dr. Katarina Dathe (Leitlinienkoordinatorin der DGVS)
Dr. Jan Preiß (Methodik)
Methodische Unterstützung
Wolfgang Höhne, Berlin (TMF-Leitlinien-Plattform)
Torsten Karge, Berlin (TMF-Leitlinien-Plattform)
Daniela Menge, Hamburg (redaktionelle Unterstützung)
Ursula Bruckmann, Berlin (Unterstützung AG 8)
Die Auswahl der Leitliniengruppe erfolgte vornehmlich auf dem Boden fachlicher Expertise.
Zudem war eine Vertreterin der Deutschen Reizdarmselbsthilfe (Patientenvertreterin)
bei allen Sitzungen der AG-Leiter und der abschließenden Konsensuskonferenz als stimmberechtigtes
Mitglied anwesend. Jede der neben DGVS und DGNM beteiligten Fachgesellschaften benannte
ebenfalls Vertreter.
Die Struktur der Leitlinie orientiert sich am Deutschen Instrument zur methodischen
Leitlinien-Bewertung (DELBI) und entspricht den Anforderungen der AWMF an eine S 3-Leitlinie
[6 ].
Die von den AGs 1, 2, 11 und 12 verfassten Texte orientieren sich formal an den in
den Grundlagenwissenschaften etablierten Methoden zur Literatursuche und -bewertung.
Die AG 10, die sich mit Motilitätsstörungen befasste, erarbeitete parallel zur Leitlinie
Reizdarmsyndrom eine S 3-Leitlinie zu Motilitätsstörungen des unteren Verdauungstrakts.
Die Arbeit dieser AG erfolgte stets in enger Absprache mit den anderen AGs, da zahlreiche
Überschneidungspunkte bestanden. Die Empfehlungen, die die Abgrenzung verschiedener
Motilitätsstörungen vom RDS betreffen, wurden in der vorliegenden RDS-Leitlinie im
Kapitel 3 als spezielle differenzialdiagnostische Erweiterung mit aufgenommen. Die
gesamten ausführlichen Empfehlungen der AG 10 werden als separate Leitlinie gesondert
veröffentlicht.
Die Methodik wurde vom Koordinationsteam ausformuliert und für Kommentare und Änderungen
zirkuliert. Zudem wurden Änderungsvorschläge von Frau Prof. Dr. I. Kopp (Leitlinienkommission
der AWMF sowie AWMF-Institut für Medizinisches Wissensmanagement) eingearbeitet. Details
zur Methodik sind in einem separaten Methodenreport dargestellt.
Der zeitliche Ablauf des Konsensusprozesses ist in [Tab. E-3 ] dargestellt. Die Leitlinie soll voraussichtlich in 5 Jahren aktualisiert werden.
Tab. E-3 Zeitlicher Ablauf der Leitlinienerstellung.
Termin
Leitlinienabschnitt
Januar 2008
Treffen des Koordinationsteams zur Strukturplanung
Frühling 2008
Zusammenstellung der AG-Leiter und Mitglieder
Sommer 2008
Erstellung der Fragenkataloge durch die AGs
September 2008
Erstellung der Basis-Literatursuche und Workshop zur Literatursuche und Methodik
Oktober–Dezember 2008
Systematische Literatursuche, Clinical Appraisal, Erstellung der Evidenztabellen
Januar–März 2009
Erster Entwurf der Statements und Kommentare
März 2009
Treffen der AG-Leiter und des Koordinationsteams zur ersten Sichtung und Diskussion
der Statement-Entwürfe
April 2009
Fertigstellung der ersten Statements und Kommentare
Mai/Juni 2009
1. Delphi-Runde (Online-Kommentierung und Abstimmung)
Juli/August 2009
Überarbeitung der Statements auf Basis der Delphi-1-Kommentare
18./ 19. September 2009
Konsensuskonferenz in Hamburg
Oktober 2009
2. Delphi-Runde (10 Statements wurden nochmals umformuliert und daher erneut abgestimmt)
November 2009–März 2010
Fertigstellung der ausführlichen Kommentare zu den Statements durch die AGs
April–August 2010
Erstellung des Gesamt-Manuskripts mit Literaturliste durch die Leitliniensekretärin
in Abstimmung mit dem LL-Organisationsteam und den Koautoren
September/Oktober 2010
Durchsicht und Freigabe der beteiligten Fachgesellschaften und deren Vertreter
Finanzierung der Leitlinie und Darlegung möglicher Interessenskonflikte
Die Erstellung der S 3-Leitlinie wurde durch finanzielle Mittel der Deutschen Gesellschaft
für Verdauungs- und Stoffwechselkrankheiten ermöglicht. Mit diesen Mitteln wurden
Personalkosten (Leitliniensekretariat) sowie im Rahmen der Arbeitsgruppentreffen und
Konsensusverfahren angefallene Kosten (Reisekosten, Technik und Catering) finanziert.
Eine Beeinflussung der Arbeit der Teilnehmer an dem Konsensusprozess und der daraus
abgeleiteten Empfehlungen hat durch die finanzierende Fachgesellschaft nicht stattgefunden.
Die Erstellung der Leitlinie erfolgte in redaktioneller Unabhängigkeit. Die an dem
Erstellungsprozess der Leitlinie beteiligten Teilnehmer waren ehrenamtlich tätig.
Die Teilnehmer der Leitlinie dokumentierten in einem Formular eventuell bestehende
persönliche Interessenskonflikte (das Formular ist in dem separaten Methodenreport
zu dieser Leitlinie aufgeführt).
Literatursuche
Jede AG benannte ein Mitglied, das die Literatursuche durchführt. Die Literatursuche
erfolgte von der AG mit Unterstützung des Leitliniensekretariats der DGVS. Für die
Literatursuche wurde zunächst eine Basissuche definiert. Jede AG definierte darüber
hinaus Suchwörter, die mit der Basissuche verknüpft wurden. Bis September 2008 wurden
MEDLINE, PREMEDLINE, PsycINFO, CAMbase und Cochrane Central Register of Controlled
Trials durchsucht. Diese Literatursuche wurde ergänzt durch Arbeiten, um die die AG-Teilnehmer
wussten, die zuvor nicht erfasst wurden.
Es wurden neben kontrollierten Studien nur Beobachtungsstudien mit einem Beobachtungszeitraum
von mindestens 4 Wochen berücksichtigt. Wegen der hohen Placeboansprechrate des Krankheitsbilds
wurden Fallserien nicht berücksichtigt.
Die in der Literatursuche identifizierte Literatur wurde in Evidenztabellen zusammengefasst,
die der Leitliniengruppe vor der ersten Fragebogenrunde zur Verfügung gestellt wurden.
Evidenzgrade und Empfehlungsstärke
In manchen Leitlinien ergibt sich die Stärke der Empfehlung automatisch aus der Evidenzklasse
(„Level of Evidence”). Dies führt dazu, dass Medikamente, die in großen Studien untersucht
wurden, immer eine stärkere Empfehlung erhalten als Medikamente, die möglicherweise
wirksamer sind, aber nicht so gut untersucht wurden. Um diesem Dilemma zu entgehen,
wird ein solcher Automatismus oft vermieden. Entsprechend dem Regelwerk der AWMF,
den methodischen Empfehlungen der GRADE Working Group [7 ] und einigen der neueren DGVS-Leitlinien haben wir daher die Trennung von Evidenzklasse
und Empfehlungsstärke übernommen. Die Evidenzklasse und der Evidenzgrad wurden hier
entsprechend des Oxford-Centre for Evidence Based Medicine eingeteilt ([Tab. E-5 ]
[E-6 ]) und basiert auf dem Studiendesign und der direkten oder indirekten Anwendbarkeit
[8 ].
Tab. E-4 Empfehlungsstärke.
Empfehlungsstärke
Formulierung
Bedeutung für Ärzte
Bedeutung für Patienten
Symbol
stark positiv
„soll”
Die meisten Patienten sollten die empfohlene Intervention erhalten: „Definitely Do
it”
Nahezu alle Patienten würden sich für die empfohlene Intervention entscheiden und
nur eine kleine Minderheit nicht.
↑↑
abgeschwächt positiv
„sollte” oder „kann”
Unterschiedliche Entscheidungen sind bei verschiedenen Patienten angemessen, die von
der Situation des Patienten abhängen, aber auch von persönlichen Vorstellungen und
Präferenzen: „Probably Do it”
Eine Mehrzahl der Patienten (> 50 %) würde sich für die Intervention entscheiden,
aber viele auch nicht.
↑
abgeschwächt negativ
„sollte eher nicht”
„Probably don’t do it”
Eine Mehrzahl der Patienten (> 50 %) würde sich gegen die Intervention entscheiden,
aber viele auch nicht.
↓
stark negativ
„soll nicht”
„Definitely don’t do it”
Nahezu alle Patienten würden sich gegen die Intervention entscheiden und nur eine
kleine Minderheit nicht.
↓
unklar
„Keine Empfehlung” sollte eine begründete Ausnahme bleiben. In der klinischen Praxis
muss ja oft trotz fehlender Daten dennoch eine Entscheidung getroffen werden.
←→
Tab. E-5 Evidenzklassen.
Klasse
Therapie
Diagnostik
Prognose
1a
systematische Übersicht (SR)[1 ] von randomisierten klinischen Studien (RCT)
SR1 von diagnostischen Klasse-1-Studien; CDR[2 ] von Klasse-1b-Studien aus verschiedenen Zentren
SR1 von Inzeptionskohortenstudien; CDR2 , validiert in verschiedenen Populationen
1b
einzelne RCT
Validierungskohortenstudie mit gutem Referenzstandard; oder CDR getestet in einem
Zentrum
Inzeptionskohortenstudie mit ≥ 80 % Follow-up; CDR1 , validiert in einer Population
1c
Alles-oder-Nichts
absolute SpPIns[3 ] ( = specific, positive, in) und SnNOuts3 ( = sensitive, negative, out)
Alles-oder-Nichts-Fallserien
2a
SR1 von Kohortenstudien
SR1 von diagnostischen Klasse-2- Studien
SR1 von retrospektiven Kohortenstudien oder Placebogruppen in RCT
2b
einzelne Kohortenstudie oder RCT minderer Qualität
explorative Kohortenstudien mit gutem Referenzstandard; CDR2 nach Ableitung oder validiert nur an Teilgruppen oder Datenbanken
retrospektive Kohortenstudie oder Follow-up der Placebogruppe in einem RCT; CDR2 nach Ableitung oder validiert an Teilgruppen
2c
Outcome-Studien, Ökologische Studien
Outcome-Studien
3a
SR1 von Fallkontrollstudien
SR1 von Klasse-3-Studien
3b
einzelne Fallkontrollstudie
nicht konsekutive Studie; oder ohne konsistent angewandten Referenzstandard
4
(Fallserien oder) Kohorten-/Fallkontrollstudien minder Qualität
Fallkontrollstudien, schlechter oder nicht unabhängiger Referenzstandard
Fallserien oder prognostische Kohortenstudien mäßiger Qualität
5
Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evdenz oder basierend auf physiologischen
Modellen, Laborforschung oder Definitionen
Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evdenz oder basierend auf physiologischen
Modellen, Laborforschung oder Definitionen
Expertenmeinung ohne explizite Bewertung der Evdenz oder basierend auf physiologischen
Modellen, Laborforschung oder Definitionen
1Mit Homogenität.
2Clinical Decision Rule (Algorithmen oder Punktesysteme, die helfen, eine Prognose
oder diagnostische Kategorie abzuschätzen).
3SpPIns haben eine so hohe Spezifität, dass sie die definitive Diagnose stellen, SnNOuts
haben eine so hohe Sensitivität, dass ein negatives Ergebnis die Diagnose ausschließt.
Tab. E-6 Evidenzgrade.
A
direkt anwendbare Studien der Evidenzklasse 1
B
Studien der Evidenzklasse 2 oder 3 oder indirekte Anwendbarkeit[1 ] von Studien der Evidenzklasse 1
C
Studien der Evidenzklasse 4 oder indirekte Anwendbarkeit1 von Studien der Evidenzklasse 2 oder 3
D
Studien der Evidenzklasse 5 oder indirekte Anwendbarkeit1 von Studien der Evidenzklasse 4 oder beunruhigend uneinheitliche oder nicht aussagekräftige
Studien irgendeiner Evidenzklasse
1Indirekte Anwendbarkeit bezieht sich auf Situationen, die sich möglicherweise klinisch
relevant von der in der vorliegenden Evidenz untersuchten Situation unterscheiden
(z. B. unterschiedliche Klasse von Antidepressiva oder die Studie war an einer unterschiedlichen
Population von Reizdarmpatienten durchgeführt).
Die Empfehlungsstärke wurde festgelegt in Abhängigkeit von potenziellem Nutzen und
Risiko der Intervention, Evidenzgrad, Patientenpräferenzen, Umsetzbarkeit und mitunter
ökonomischen Überlegungen. Die Empfehlungsstärke spiegelt sich vor allem in der Formulierung
der Empfehlung wider und wurde nach GRADE eingeteilt ([Tab. E-4 ]). Den Statements, z. B. aus dem Bereich Epidemiologie oder Pathophysiologie, die
den aktuellen Wissensstand wiedergeben, ohne eine Empfehlung zu formulieren, wurde
keine Empfehlungsstärke zugeordnet.
Formulierung der Empfehlungen
Die AGs formulierten auf der Basis der existierenden Leitlinien unter Einbeziehung
zusätzlicher Literatur Empfehlungen. In einem Treffen von Koordinierungskommitee und
den AG-Leitern wurden die Empfehlungen diskutiert und, wo notwendig, umformuliert.
Danach wurden die Empfehlungen in einem onlinebasierten Fragebogen von allen Teilnehmern
des Leitlinienprojekts bewertet. Mithilfe der Kommentare aus den Fragebogen wurden
die Empfehlungen von den AGs und dem Koordinationskomitee erneut bearbeitet.
In einer Konsensuskonferenz im Herbst 2009 erfolgte zunächst eine Diskussion der Empfehlungen
in den AGs. Am zweiten Tag der Konsensuskonferenz wurden alle Empfehlungen im Plenum
diskutiert und gegebenenfalls erneut überarbeitet. Die Abstimmung erfolgte anonym
über ein TED-System. Die Konsensusstärke ist in der gedruckten Leitlinie zusammen
mit dem Empfehlungssgrad und der Empfehlungssärke angegeben ([Tab. E-7 ]). Die Statements zur Pathophysiologie und Epidemiologie wurden auf der Konsensuskonferenz
ebenfalls vorgestellt, aber nur in Teilen diskutiert. Dementsprechend ist hier auch
keine Konsensusstärke angegeben.
Tab. E-7 Konsensusstärke.
starker Konsens
Zustimmung von > 95 % der Teilnehmer
Konsens
Zustimmung von > 75 – 95 % der Teilnehmer
mehrheitliche Zustimmung
Zustimmung von > 50 – 75 % der Teilnehmer
kein Konsens
Zustimmung von weniger als 50 % der Teilnehmer
Einzelne Empfehlungen, die nach der oben genannten Fragebogenrunde mindestens 95 %
Zustimmung erhielten, wurden zum Großteil ohne erneute Abstimmung im Plenum übernommen.
Wo die AG dennoch eine Umformulierung für notwendig hielt, wurde eine zweite Fragebogenrunde
durchgeführt.
Nachdem die AGs Kommentare zu den Empfehlungen erstellt hatten, wurden diese von Dr.
MSc V. Andresen und Prof. Dr. P. Layer in einem Manuskript zusammengefasst. Das Manuskript
wurde von allen beteiligten Fachgesellschaften kommentiert und autorisiert.
Ein ausführlicher Methodenreport zu dieser Leitlinie ist online im Leitlinienregister
der AWMF (http://www.awmf.org/leitlinien) publiziert.
Teil II – Grundlagen
Teil II – Grundlagen
Kapitel 1 – Definition und Epidemiologie
1 – 1: Definition und Epidemiologie des RDS bei Erwachsenen (AG 1)
Statement 1-1-1: Definition
Die Krankheit des Reizdarmsyndroms (RDS; Irritable Bowel Syndrome/IBS) liegt vor,
wenn alle 3 Punkte erfüllt sind.
[Starker Konsens]
Es bestehen chronische, d. h. länger als 3 Monate[2 ] anhaltende Beschwerden (z. B. Bauchschmerzen, Blähungen), die von Patient und Arzt
auf den Darm bezogen werden und in der Regel mit Stuhlgangsveränderungen einhergehen.
Die Beschwerden sollen begründen, dass der Patient deswegen Hilfe sucht und/oder sich
sorgt und so stark sein, dass die Lebensqualität hierdurch relevant beeinträchtigt
wird.
Voraussetzung ist, dass keine für andere Krankheitsbilder charakteristischen Veränderungen
vorliegen, welche wahrscheinlich für diese Symptome verantwortlich sind.
Kommentar
Die bisherigen Definitionen (Manning [10 ], Kruis [11 ], Rom I [12 ], Rom II [13 ], Rom III [14 ], siehe auch Appendix III) weisen grundlegende Schwächen auf und bilden die klinische
Realität in mehrfacher Hinsicht nicht ausreichend ab:
Sie sind allenfalls unvollständig validiert.
Sie basieren auf dem Postulat einer (rein) symptombasierten Diagnosestellung (d. h.
ohne zusätzliche Ausschlussdiagnostik). Tatsächlich sind die Symptome des RDS unspezifisch,
zeigen eine zeitliche Variabilität und überlappen mit anderen organischen oder funktionellen
Erkrankungen. Entsprechend konnte bisher keine einheitliche Pathophysiologie des RDS
nachgewiesen werden [1 ]
[10 ]
[15 ]
[16 ]
[17 ]
[18 ]
[19 ]
[20 ].
Das generell als obligat geforderte typische Symptom-Cluster „Bauchschmerzen plus
Stuhlgangveränderungen” findet sich nur bei Untergruppen der Reizdarmpatienten. Im
Gegensatz dazu steht bei vielen Patienten der Symptomkomplex „Blähungen/abdominelle
Distension” als belastend im Vordergrund, wurde aber von bisherigen Definitionen nicht
ausreichend abgebildet.
Der Schweregrad der Symptome wurde in keiner Definition berücksichtigt. Somit konnte
das Reizdarmsyndrom bisher nur ungenügend von banalen Verdauungssymptomen abgegrenzt
werden. Es ist davon auszugehen, dass hierdurch u. a. überschätzte Prävalenzraten
resultierten.
Auffällige Untersuchungsergebnisse schlossen ein Reizdarmsyndrom generell aus. Dieses
Vorgehen ist angesichts der sich mehrenden Nachweise von verschiedenen pathophysiologischen
Veränderungen des Reizdarmsyndroms nicht mehr haltbar (z. B. Vermehrung intraepithelialer
Lymphozyten oder Mastzellen, Alterationen der Zytokin-Expression etc.; siehe Kapitel
2 und [Tab. 2-1 ]). Vielmehr sollten nur solche Auffälligkeiten zum Ausschluss eines Reizdarmsyndroms
führen, die bereits klar einer anderen Erkrankung zugeordnet sind und die gleichzeitig
auch die Symptome erklären können (z. B. Granulome mit der Folge einer Morbus-Crohn-Diagnose
als wahrscheinliche Ursache der Beschwerden).
Aus diesem Grunde empfiehlt die Deutsche Leitliniengruppe bei der Definition des Reizdarmsyndroms
sämtliche auf den Darm bezogene Beschwerden einzubeziehen und dabei auf eine obligate
Symptomkombination zu verzichten,
eine relevante Beeinträchtigung durch die Beschwerden zu fordern,
definierte andere Erkrankungen, die sich mit einem ähnlichen Beschwerdebild manifestieren
können, möglichst verlässlich auszuschließen. Umgekehrt ist die Diagnose RDS nur bei
solchen Befundauffälligkeiten zu verlassen, wenn diese offensichtlich Ausdruck einer
anderen definierten Erkrankung sind.
Statement 1-1-2: Geschichtliche Entwicklung
Der Begriff des Reizdarmsyndroms hat sich aus anekdotischen symptomenbezogenen Berichten
über Patienten mit chronisch wiederkehrenden Abdominalbeschwerden assoziiert mit verändertem
Stuhlverhalten entwickelt.
Kommentar
Bereits vor 3000 Jahren beschrieb Hippokrates einen Patienten mit Abdominalbeschwerden,
verändertem Stuhlverhalten, Blähungen und Stuhldrang [21 ]. Unter den nachfolgenden Berichten [21 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ]
[25 ] beschrieben Osler und Hurst [24 ] 1892 eine „Muköse Kolitis” (mucous colitis) mit Abgang von Schleim (Mukorrhö), Zelldebris
und „Intestinalem Sand”. Viele dieser Patienten wurden als hysterisch, hypochondrisch
oder depressiv charakterisiert und litten unter Bauchkoliken. Der Begriff „spastisches
Kolon” bzw. „irritables Colon” wurde 1928 von Ryle [26 ] bzw. 1929 von Jordan und Kiefer [24 ] benutzt, die eine muskuloneurale Störung des Dickdarms bei 30 % von gastroenterologischen
ambulanten Patienten (outpatients) mit Bauchschmerzen und gestörter Defäkation beschrieben.
In der Literatur wurden seitdem verschiedene Begriffe benutzt (funktionelle Diarrhö,
nervöse Diarrhö, vegetative Neurose, Dyssnergie des Kolons, Kolonspasmen, spastisches
Kolon, Enterospasmus, muköse Kolitis, mukomembranöse Kolitis, irritables Kolonsyndrom)
[27 ]. Chaudhary und Truelove [28 ] beschrieben 2 unterschiedliche klinische Subtypen, nämlich ein spastisches Kolon
mit Abdominalschmerzen und Wechsel von Obstipation und Diarrhö bzw. eine schmerzlose
Diarrhö.
Statement 1-1-3: Natürlicher Verlauf und Prognose
Das Reizdarmsyndrom ist bei einem Teil der Patienten spontan rückläufig, häufig aber
auch chronisch verlaufend.
Es besteht keine gesteigerte Koprävalenz mit anderen schwerwiegenden Erkrankungen
des Gastrointestinaltrakts, aber durchaus mit schwerwiegenden anderen Erkrankungen,
wie z. B. Depression.
Kommentar
Die Untersuchungsdauer über den natürlichen Verlauf des Reizdarmsyndroms umfassen
5, 11 bzw. 13 Jahre [2 ]. Hiernach haben nach 7 Jahren 55 % der Reizdarmpatienten weiterhin RDS-Beschwerden,
13 % werden beschwerdefrei und 21 % zeigen eine Symptomenminderung, die dann nicht
mehr den Rom-I-Kriterien entsprachen. Die Prognose des Reizdarmsyndroms ist abhängig
von der Länge der Krankengeschichte. Patienten mit einer langen Krankengeschichte
weisen eine geringere Wahrscheinlichkeit der Besserung auf. Hierbei ist ein permanenter
Lebensstress prognoserelevant. So zeigen Patienten mit permanentem Lebensstress keine
Besserung ihrer Beschwerden über 6 Monate im Vergleich zu 44 % der Patienten ohne
Lebensstress. Das Reizdarmsyndrom ist nicht mit der Entwicklung anderer gastrointestinaler
oder anderer schwerwiegender Erkrankungen assoziiert und weist keine erhöhte Mortalität
auf. Reizdarmpatienten haben ein höheres Risiko, operiert zu werden (Hysterektomie,
Cholezystektomie) als Nicht-Reizdarmpatienten.
Statement 1-1-4: Inzidenz und Prävalenz
Epidemiologie, Inzidenz und Prävalenz des Reizdarmsyndroms sind variabel, definitionsabhängig
und werden von zahlreichen Faktoren beeinflusst.
Kommentar
Die Literaturdaten über die Inzidenz und Prävalenz des Reizdarmsyndroms beruhen überwiegend
auf postalisch erhobenen Daten an der Allgemeinbevölkerung, sog. „community based
samples”. Dies zeigt, dass diese Gruppe insgesamt häufiger zum Arzt geht und nicht
nur die Subgruppe von Reizdarmpatienten mit schweren und lang anhaltenden Beschwerden.
Prävalenz und Inzidenz sind abhängig von den benutzen Definitionen (Manning, Kruis,
Rom I, II, III), der Anzahl der verwendeten Kriterien innerhalb der Definitionen,
dem Vorhandensein von Arztbesuchen (33 – 90 % der Patienten nehmen keine Arztbesuche
war, Hauptgründe für den Arztbesuch sind Bauchschmerzen, Distension, Schmerzintensität,
Symptome nach den Rom-II-Kriterien, psychologische und soziale Faktoren [29 ]
[30 ]
[31 ]
[32 ]
[33 ]), von der Identifizierung als Reizdarmpatienten durch den Arzt (höchste Rate von
diagnostizierten Fällen mit ca. 50 % in Italien und USA) und von den untersuchten
Kollektiven (primary vs. secondary care). Hierbei ist die Wahrscheinlichkeit eines
Arztbesuchs bei Reizdarmpatienten höher als bei Nicht-Reizdarmpatienten [34 ]
[35 ]
[36 ]
[37 ]
[38 ]
[39 ]
[40 ].
Es liegen zzt. 37 epidemiologische Studien vor [2 ]. Hierbei ist die Inzidenz in vielen Ländern trotz unterschiedlicher Lebensstile
vergleichbar. Nach diesen Studien liegt die Prävalenz zwischen 2,5 und 25 % (Manning),
5,5 und 13,6 % (Rom I) und 2,5 und 19,1 % (Rom II) und zeigt eine höhere Prävalenz
und Variabilität nach den Manning im Vergleich zu Rom-I- und -II-Kriterien. Hierbei
beeinflusst die Anzahl der verwendeten Manning-Kriterien die Prävalenz von 2,5 – 37
%, bei Verwendung von 3 Manning-Kriterien liegt die Prävalenz bei ca. 10 %. Die gepoolte
Prävalenz liegt bei 7 % [4 ].
Die wahre Prävalenz der Reizdarmsubgruppen bleibt unklar. Die bisherigen Daten über
Inzidenz, Prävalenz und natürlichem Vorkommen des Reizdarmsyndroms haben nicht zwischen
den Reizdarmsubgruppen Diarrhö-dominant (RDS-D, ⅓ der Fälle), Obstipations-dominant
(RDS-O, ⅓ der Fälle) und gemischt bzw. alternierend (RDS-M, ⅓ der Fälle) unterschieden.
Statement 1-1-5: Geschlecht
Das Reizdarmsyndrom tritt häufiger bei Frauen auf.
Kommentar
Das Reizdarmsyndrom ist häufiger bei Frauen (gepoolte Odds Ratio 1,46 [41 ]
[42 ]
[43 ]
[44 ]). In der zweiten und dritten Lebensdekade überwiegen Frauen im Verhältnis 2:1. Dieses
Verhältnis ist im höheren Lebensalter deutlich weniger ersichtlich [45 ] und bei Patienten unter 50 Jahren deutlicher [41 ]
[42 ]
[43 ]. Das Reizdarmsyndrom kann in allen Altersklassen vorkommen. Die Prävalenz fällt
mit höheren Einkommen [42 ]
[44 ].
Statement 1-1-6: Schweregrade
Es gibt 3 verschiedene validierte Schweregrad-Scores, von denen am häufigsten das
IBS-severity scoring system (IBS-SSS) in Studien Anwendung gefunden hat. Es wird kritisiert,
dass diese Scores vornehmlich die Arztsicht abfragen, während die von den Patienten
empfundene Schwere des Krankheitsbilds mit anderen Parametern zusammenhängt. Es gibt
bisher keine Konsensus-Definition zum RDS-Schweregrad.
Kommentar
Es gibt 3 validierte Schweregrad-Scores mit unterschiedlicher Penetranz, alle beziehen
sich auf die Arzt-Sichtweise des Schweregrads als Maßstab für ihren Score. Das IBS-SSS
[46 ] wurde an 141 Patienten und 40 Kontrollen validiert und beinhaltet Schmerz, Distension,
Darmfehlfunktion, Quality of life (QOL)/globales Wohlfühlen und ist das am häufigsten
als validierter Score zitierte und in Studien angewendete System. Der IBS-SSS wurde
in verschiedenen Studien angewendet [47 ]
[48 ]
[49 ]
[50 ]
[51 ]. Der Functional Bowel Disorder Severity Index (FBDSI) [52 ] ist nicht spezifisch für das Reizdarmsyndrom und beinhaltet als Hauptkriterien Schmerz,
Vorliegen einer funktionellen Erkrankung sowie die Anzahl der Arztbesuche. Er wird
bei RDS-Studien nicht häufig angewendet [31 ]
[53 ]. Der Gastrointestinal Symptom Rating Score (GSRS-IBS) [54 ]
[55 ] wurde zunächst nicht nur für das RDS als allgemeiner Schweregrad-Score entwickelt.
Wiklund [55 ] hat ihn für das RDS weiterentwickelt und an 234 Patienten validiert. Er wurde bisher
vornehmlich von schwedischen Arbeitsgruppen genutzt [56 ]
[57 ]
[58 ].
Patientenbezogene (vom Patienten empfundene) Schweregradmessungen bzw. Einflüsse
Eine Konsensus-Definition des RDS-Schweregrads fehlt. Daher wird an den o. g. Scores
kritisiert, dass sie zu sehr die Arzt-Sicht zu Schweregradfaktoren in den Fragebogen
widerspiegeln und weniger die vom Patienten selbst empfundene Schwere ihrer Symptome
[59 ]
[60 ]
[61 ]. Dabei hängt die empfundene Schwere des Krankheitsbilds besonders von den Limitationen
im täglichen Leben durch das Reizdarmsyndrom ab [60 ].
Empfehlungen zur Schweregradmessung in klinischen Studien
Die aktuellen Empfehlungen der Fachgesellschaften legen dennoch den Gebrauch eines
validierten Symptom-Schweregrad-Fragebogens als einen der Outcome-Parameter nahe [62 ]
[63 ].
Statement 1-1-7: Lebensqualität
Patienten mit einem Reizdarmsyndrom erfahren eine deutliche Beeinträchtigung ihrer
Lebensqualität im Vergleich zur Normalpopulation, im Vergleich zu anderen chronischen
Erkrankungen erfahren die Reizdarmpatienten z. T. eine stärkere Beeinträchtigung.
Kommentar
Die publizierten Studien zeigen übereinstimmend eine deutliche Beeinträchtigung der
Lebensqualität im Vergleich zur Normalpopulation [42 ]
[60 ]
[64 ]
[65 ]
[66 ]
[67 ]
[68 ]
[69 ]
[70 ]. Dabei ist jedoch anzumerken, dass in zahlreichen Studien die Rekrutierung der Patienten
über Arztpraxen und Spezialzentren erfolgte, sodass Reizdarmpatienten, die keine ärztliche
Hilfe suchen, unberücksichtigt bleiben. Ferner wurden häufig nur Patienten mit einer
deutlichen Symptomatik einbezogen. Hahn et al. konnten eine enge Assoziation zwischen
der Einschränkung der Lebensqualität und der Selbsteinschätzung des Schweregrads des
Reizdarmsyndroms zeigen [60 ]. Eine Studie konnte zeigen, dass Patienten, die einen Arzt aufsuchen, im Vergleich
zu sog. Non-Consultern eine stärkere Beeinträchtigung ihrer Lebensqualität erfahren
[64 ].
Neben allgemeinen Erfassungsinstrumenten (SF-36) zur Erfassung der Lebensqualität
werden krankheitsspezifische Instrumente (Irritable Bowel SyndromeQuality of Life
[IBSQOL, IBS-QOL], Functional Digestive Disorder Quality of Life [FDDQL]) eingesetzt
[71 ]
[72 ]
[73 ], wobei dem IBS-QOL die höchste Validität zugesprochen wird [72 ]
[74 ]. Ein häufiges, in vielen Studien eingesetztes Erfassungsinstrument ist der SF-36
zur Erfassung der gesundheitsbezogenen Lebensqualität (8 Subskalen, 35 Items). Dieses
Instrument mit einer hohen Validität und Reliabilität wird vor allem auch zur Überprüfung
des Studienoutcomes eingesetzt [75 ]
[76 ]
[77 ].
Hinsichtlich des Vergleichs der Lebensqualitätsbeeinträchtigung bei Reizdarmpatienten
mit anderen Erkrankungen liegen nur wenige Studien vor. Whitehead et al. zeigten beim
Vergleich der gesundheitsbezogenen Lebensqualität, erfasst über den SF-36, eine sich
auf mehreren Skalen zeigende, deutlich stärkere Beeinträchtigung bei Reizdarmpatienten
im Vergleich zu Patienten mit einer [64 ] kongestiven Herzinsuffizienz. Gralnek et al. verglichen über den SF-36 die Daten
von Reizdarmpatienten mit den zuvor publizierten Daten von Patienten mit gastro-ösophagealer
Refluxkrankheit, Diabetes mellitus Typ 2, Depression und terminalem Nierenversagen
[67 ]. Es zeigte sich bei den Reizdarmpatienten im Vergleich zu den Patienten mit Refluxkrankheit
bis auf „Körperliche Funktionsfähigkeit” in allen Skalen ein verringerter Wert. Auch
verglichen mit den Patienten mit einem Diabetes mellitus Typ 2 zeigte sich eine stärkere
Beeinträchtigung der Lebensqualität (Ausnahme: Skala körperliche Funktionsfähigkeit
und allgemeine Gesundheitswahrnehmung). Die Reizdarmpatienten zeigten jedoch im Vergleich
zu den Patienten mit einer Depression hinsichtlich der psychischen Gesundheit höhere
Werte, obwohl den Aspekten Depression und Angst im Rahmen des Reizdarms eine große
Rolle zugeschrieben wird. Deutlich eingeschränkter ist die Lebensqualität hinsichtlich
der Skala Schmerz, während sich keine Unterschiede hinsichtlich der körperlichen Rollenerfüllung
und der allgemeinen Gesundheitswahrnehmung zeigten.
Im Vergleich zu den Patienten mit einer terminalen Niereninsuffizienz wiesen die Reizdarmpatienten
geringere Werte hinsichtlich der Skala „Psychisches Wohlbefinden” auf, während die
Werte der anderen Skalen keine signifikanten Unterschiede zeigten.
Frank et al. konnten im Rahmen des Lebensqualitätsvergleich zwischen Reizdarmpatienten
und Patienten mit einer gastro-ösophagealen Refluxkrankheit, Asthma, Migräne, Panikstörungen
und rheumatoider Arthritis zeigen, dass die Reizdarmpatienten im Vergleich mit Patienten
mit einer Refluxkrankheit, Asthma und Migräne auf vielen Skalen des SF-36 geringere
Werte aufwiesen. Verglichen mit den Patienten mit einer Panikstörung und rheumatoiden
Arthritis zeigte sich dagegen eine auf den meisten Skalen deutlich geringe Einschränkung
der Lebensqualität. Im Vergleich zu den Patienten mit einer Dyspepsie zeigte sich
insgesamt kein wesentlicher Unterschied [68 ].
Statement 1-1-8: Kosten
Das Reizdarmsyndrom verursacht erhebliche direkte (Arztbesuche, Medikamente, Diagnostik,
Krankenhausaufenthalte, Begleiterkrankungen) und indirekte Kosten (insbesondere Arbeitsausfälle
und verminderte Produktivität während der Arbeit).
Statement 1-1-9: Mit dem Reizdarmsyndrom assoziierte Störungen
Das Reizdarmsyndrom ist gehäuft mit somatoformen und psychischen Störungen assoziiert.
Kommentar
Bei 15 – 48 % der Patienten mit RDS sind die Kriterien einer Somatisierungsstörung,
der schwersten Ausprägung somatoformer Störungen, erfüllt [78 ]
[79 ]
[80 ]
[81 ]
[82 ]
[83 ]
[84 ]. Umgekehrt nennen praktisch alle Patienten mit der Diagnose „Somatisierungsstörung”
RDS-typische Beschwerden [85 ]. Entsprechend besteht eine hohe Komorbidtät mit sog. funktionellen Syndromen, die
in vielen Fällen somatoformen Störungen entsprechen, beispielsweise mit Funktioneller
Dyspepsie, Chronic-Fatigue-Syndrom oder Fibromyalgie-Syndrom [86 ]
[87 ]. Die Subtypen somatoformer Störungen sind beim RDS nicht ausreichend untersucht.
Insgesamt wird die Gesamt-Lebenszeitprävalenz für mindestens eine kriteriumsgemäße
psychische Erkrankung zwischen 38 % und 100 % angegeben; die Mehrzahl der Studien,
die Patienten mit psychischen Erkrankungen nicht von vorneherein ausschließen, kommt
auf eine Rate von über 90 % [78 ]
[79 ]
[80 ]
[81 ]
[82 ]
[88 ]
[89 ]
[90 ]
[91 ]. Die Prävalenz steigt mit der Versorgungsstufe [82 ].
Im Einzelnen schwanken die Angaben für depressive Erkrankungen zwischen 20 und 70
% und für Angsterkrankungen zwischen 20 und 50 %. Dabei kommt klinisch der Panikstörung
mit den für sie pathognomonischen episodischen vegetativen Beschwerden offenbar eine
besondere Bedeutung zu; sie wurde in verschiedenen Studien bei rund 30 % (15 – 41
%) der untersuchten RDS-Patienten gesehen [80 ]
[81 ]
[82 ]
[89 ]
[90 ]
[92 ]
[93 ]. Umgekehrt ist das Risiko, an einem RDS zu leiden, bei Personen mit Panikstörung
mindestens doppelt so hoch wie bei Personen ohne diese Diagnose und liegt bei 17 –
45 % [94 ]
[95 ]
[96 ]
[97 ]
[98 ]. Patienten mit klinisch relevanten depressiven Erkrankungen leiden in 25 – 59 %,
Patienten mit generalisierter Angststörung an 26 – 37 % auch an einem RDS [98 ]
[99 ].
Erst in den letzten Jahren wird die Assoziation von Traumafolgeerkrankungen und RDS
beachtet; in allen außer einer Studie traten Posttraumatische Belastungsstörungen
(Posttraumatic Stress Disorder, PTSD) bei Patienten mit RDS gehäuft auf [90 ]
[100 ]
[101 ]
[102 ]
[103 ]. Speziell beim RDS wird darüber hinaus auch über eine Assoziation mit Essstörungen
berichtet: Die Hälfte bis zwei Drittel der Patienten mit einer aktuellen oder früheren
Essstörung erfüllten die RDS-Kriterien [104 ]
[105 ].
1-2: Definition und Epidemiologie des RDS bei Kindern (AG 9)
Vorbemerkung
Der Begriff des Reizdarmsyndroms ist für das Kindesalter weder in der wissenschaftlichen
Literatur noch im klinischen Alltag so lange und so klar etabliert wie im Erwachsenenalter.
Funktionelle Abdominalbeschwerden von Kindern wurden lange nach den Kriterien von
Apley und Naish [106 ] eingeteilt, und viele ältere Studien inkludierten Patienten nach diesen Kriterien.
Es besteht mittlerweile Konsens, dass die Terminologie „Rezidivierende Bauchschmerzen”
nach Apley ein Symptom beschreibt und auch Patienten mit organischen Ursachen umfasst.
Kinder mit Reizdarmsyndrom wurden früher hier subsumiert.
Ab 1999 wurden funktionelle Störungen dann überwiegend nach den Definitionen der pädatrischen
Rom-II-Konferenz [107 ] eingeteilt. Studien haben gezeigt, dass die relativ strikten Rom-II-Kriterien (Einschlusskriterien
und Dauer der Symptomatik) bis zu 47 % von Kindern mit nicht organischen Abdominalbeschwerden
nicht klassifizieren konnten [108 ]
[109 ].
Deswegen wurden in der Rom-III-Konferenz neue Definitionen funktioneller abdomineller
Störungen bei Kindern formuliert [110 ]. Ein Vergleich zwischen Rom II und Rom III zeigt eine z. T. divergente Einstufung
in die Kategorien [111 ].
Ein Kardinalproblem der Leitlinienerstellung zum Reizdarm für die Pädiatrie ist, dass
nur wenige Studien zu diesem Thema publiziert sind und dass fast alle Studien sich
auf die ältere Rom-II-Definition beziehen.
Eine eindeutige Zuordnung aller Kinder mit Bauchschmerzen zu den Unterkategorien der
Rom-Definition ist nicht in allen Fällen möglich. Aus diesem Grund und aus der historisch
bedingten fehlenden bzw. unscharfen Trennung in älteren Studien wurden einige der
Empfehlungen der vorliegenden Leitlinie (v. a. zur Diagnostik) für die gesamte Gruppe
der Kinder mit funktionellen Bauchschmerzen formuliert.
Grundsätzlich können Erkenntnisse aus Erwachsenenstudien nicht auf Kinder und Jugendliche
übertragen werden. Die Evidenzbasis ist bei Kindern und Jugendlichen deutlich kleiner
als bei Erwachsenen.
Statement 1-2-1
Zur Definition des Reizdarmsyndroms bei Kindern und Jugendlichen sollten die Rom-III-Kriterien
verwendet werden. Diese differieren von den Erwachsenenkriterien.
Kommentar
Im Gegensatz zu den Empfehlungen bei Erwachsenen wird die Anwendung der Rom-Kriterien
im Kindesalter aus folgenden Gründen empfohlen:
Die Anwendbarkeit und Validität der Rom-Kriterien ist durch mehrere – wenn auch zahlenmäßig
begrenzte – Studien belegt. Danach lassen sich durch Anwendung der Rom-III-Kriterien
über 80 % der Kinder und Jugendlichen mit chronischen Bauchschmerzen klassifizieren,
wobei die Diagnose „Reizdarmsyndrom” in etwa 40 – 50 % gestellt werden kann [111 ]
[112 ].
Alternative Konsensus-Kriterien oder evaluierte Kriterien für Kinder und Jugendliche
existieren nicht.
Bis zu einem Alter von etwa 8 – 12 Jahren können Lokalisation und Charakter der Beschwerden
von den Kindern selbst nicht gut spezifiziert werden. Das heißt, die Patienten sind
in der Regel nicht in der Lage, ihre Beschwerden von sich aus nach ihrem subjektiven
Eindruck auf den Darm zu beziehen. Die Diagnose muss sich daher zum großen Teil auf
Angaben der Eltern stützen. Die Rom-Definition bietet hier eine gewisse Hilfestellung
in Form objektiv beobachtbarer Kriterien.
Neben dem RDS werden nach den Rom-III-Kriterien funktionelle Bauchschmerzen, funktionelle
Dyspepsie und die abdominelle Migräne klinisch definiert ([Tab. 1-2-1 ]). Für die Validität dieser Unterscheidung gibt es begrenzte Evidenz [108 ]
[111 ]
[113 ]
[114 ]
[115 ]
[116 ]
[117 ]
[118 ]
[119 ].
Tab. 1-2-1 Rom-III-Kriterien für die mit Bauchschmerzen assoziierten funktionellen gastrointestinalen
Störungen bei Kindern (> 4 Jahre) und Jugendlichen [110 ].
H2a. Diagnostische Kriterien
[1 ] für eine funktionelle Dyspepsie
Alle folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Anhaltend oder wiederkehrend auftretende Schmerzen oder Missempfindungen mit Schwerpunkt
im Oberbauch (oberhalb des Nabels).
2. Keine Erleichterung durch Defäkation, keine Assoziation mit dem Beginn eine Änderung
von Stuhlfrequenz oder -form (d.h. es liegt kein RDS vor).
3. Keine Anzeichen für einen entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen
Prozess, der die Symptome des Patienten erklärt.
H2b. Diagnostische Kriterien
[2 ] für ein Reizdarmsyndrom
Alle folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Abdominelle Missempfindungen (eine unangenehme Empfindung, die nicht als Schmerz
beschrieben wird) oder Schmerzen, die mindestens in 25 % der Zeit mit 2 oder mehr
der folgenden Kriterien assoziiert sind:
a. Besserung durch Defäkation,
b. Auftreten ist mit einer Änderung der Stuhlfrequenz assoziiert,
c. Auftreten ist mit einer Änderung der Form (des Aussehens) des Stuhlgangs assoziiert.
2. Keine Anzeichen für einen entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen
Prozess, der die Symptome des Patienten erklärt.
H2c. Diagnostische Kriterien
[3 ] für eine abdominelle Migräne
Alle folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Anfallsartige Episoden mit heftigen, akuten periumbilikalen Schmerzen, die für
mindestens 1 Stunde andauern.
2. Zwischenzeitlich Perioden mit normalem Gesundheitszustand über Wochen bis Monate.
3. Der Schmerz beeinträchtigt normale Aktivitäten.
4. Der Schmerz ist mit mindestens 2 der folgenden Symptome assoziiert:
a. Appetitlosigkeit,
b. Übelkeit,
c. Erbrechen,
d. Kopfschmerzen,
e. Lichtscheu,
f. Blässe.
5. Keine Anzeichen für einen entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen
Prozess, der die Symptome des Patienten erklärt.
H2 d. Diagnostische Kriterien
[4 ] für funktionelle Bauchschmerzen im Kindesalter
Alle folgenden Kriterien müssen erfüllt sein:
1. Episodischer oder kontinuierlicher Bauchschmerz.
2. Unzureichende Kriterien für andere funktionelle gastrointestinale Störungen.
3. Keine Anzeichen für einen entzündlichen, anatomischen, metabolischen oder neoplastischen
Prozess, der die Symptome des Patienten erklärt.
H2 d1. Diagnostische Kriterien
[5 ] für das Syndrom der funktionellen Bauchschmerzen im Kindesalter
Die Kriterien für funktionelle Bauchschmerzen im Kindesalter müssen in mindestens
25 % der Zeit erfüllt sein und mindestens eines der Folgenden:
1. Beeinträchtigung alltäglicher Funktionen.
2. Zusätzliche somatische Symptome wie Kopfschmerzen, Gliederschmerzen oder Schlafstörungen.
1Die Kriterien sind mindestens einmal pro Woche seit mindestens 2 Monaten vor Diagnosestellung
erfüllt.
2Die Kriterien sind mindestens einmal pro Woche seit mindestens 2 Monaten vor Diagnosestellung
erfüllt.
3Die Kriterien sind mindestens zweimal in den letzten 12 Monaten erfüllt.
4Die Kriterien sind mindestens einmal pro Woche seit mindestens 2 Monaten vor Diagnosestellung
erfüllt.
5Die Kriterien sind mindestens einmal pro Woche seit mindestens 2 Monaten vor Diagnosestellung
erfüllt.
Ein Problem in der Abgrenzung der verschiedenen Unterformen funktioneller abdomineller
Beschwerden nach anamnestischen Kriterien besteht bei Kindern, wie oben erwähnt, darin,
dass die Angaben zur Stuhlfrequenz und -konsistenz in bestimmten Altersgruppen wenig
zuverlässig sind und dass Lokalisation und Charakter der Beschwerden von Kindern vor
dem 8.–12. Lebensjahr nicht gut spezifiziert werden können.
Zu Unterschieden der RDS-Symptomatik zwischen den verschiedenen pädiatrischen Altersgruppen
und Erwachsenen liegen keine Studien vor. Funktionelle Störungen bei Kindern < 4 Jahren
stellen aufgrund der unterschiedlichen Reifungsstadien des digestiven Systems und
des enterischen Nervensystems vermutlich separate Entitäten dar [120 ] und sind nicht Inhalt der vorliegenden Leitlinie.
In der psychiatrischen Literatur werden rezidivierende Bauchschmerzen bei Kindern
ohne Nachweis einer organischen Ursache nach ICD 10 als „somatoforme Störung” definiert
[121 ]. Eine Korrelation zwischen der psychiatrischen Nomenklatur und der Rom-Klassifikation
wurde nicht hergestellt.
Wegen der geringen Zahl von Studien mit Einschlusskriterien nach Rom III werden in
dieser Leitlinie auch Studien berücksichtigt, deren Patienten nach den Rom-II-Kriterien
rekrutiert wurden. Unterschiede in den Kriterien könnten Einfluss auf die Ergebnisse
haben.
Statement 1-2-2
Die tatsächliche Prävalenz sowie Geschlechts- und Altersverteilung des RDS im Kindesalter
sind unklar.
Kommentar
Es existieren nur einzelne, auf die Rom-II-Kriterien bezogene epidemiologische Studien
in begrenzten Populationen, die die verschiedenen Typen funktioneller Bauchschmerzen
entsprechend differenzieren [108 ]
[109 ]
[122 ]
[123 ]
[124 ]
[125 ]
[126 ]. Daten aus Deutschland sind nicht spezifisch für funktionelle Ursachen [127 ].
Anzunehmen ist eine Prävalenz unterhalb derjenigen von rezidivierenden Bauchschmerzen.
Diese bewegt sich verschiedenen Studien zufolge in einem Bereich von 0,3 –ca. 20 %
[128 ]. In Italien konnte – basierend auf den Rom-II-Definitionen – in der Primärversorgung
von Patienten bis zum 14. Lebensjahr eine Prävalenz des Reizdarmsyndroms von 0,14
% und von funktionellen Bauchschmerzen von 0,62 % ermittelt werden [125 ], auch wenn diese Zahlen aus der Beobachtung des klinisch-pädiatrischen Alltags für
Deutschland eher höher zu liegen scheinen.
Unter Patienten, die wegen rezidivierender oder chronischer funktioneller Bauchschmerzen
in spezialisierten kindergastroenterologischen Abteilungen vorgestellt werden, sind
etwa 22 – 45 % nach den Rom-Kriterien als RDS einzustufen [108 ]
[109 ]
[111 ]
[116 ].
Zur Geschlechts- und Altersverteilung existieren keine ausreichenden Daten.
Statement 1-2-3
Es gibt Hinweise darauf, dass Angststörungen und Depression bei Kindern mit funktionellen
Bauchschmerzen im Vergleich zu gesunden Kindern gehäuft auftreten. Die Häufigkeit
von Angststörungen und Depression bei Kindern und Jugendlichen mit Bauchschmerzen
scheint dagegen bei funktionellen Störungen im Vergleich zu organischen Störungen
nicht unterschiedlich zu sein.
Kommentar
Literatur zu psychischen Komorbiditäten funktioneller Bauchschmerzen: [129 ]
[130 ]
[131 ]
[132 ]
[133 ]
[134 ]
[135 ]. Separate Daten zum Reizdarmsyndrom liegen nicht vor. Die Kausalitätsbeziehung ist
unklar.
Statement 1-2-4
Es gibt Hinweise darauf, dass chronische Bauchschmerzen im Kindesalter im Langzeitverlauf
mit einem erhöhten Risiko sowohl für Bauchschmerzen und andere somatische Symptome,
wie z. B. Kopfschmerzen, als auch für psychosoziale Störungen, wie z. B. Angststörungen,
oder häufigen Fehlzeiten in der Schule oder am Arbeitsplatz, einhergehen.
Kommentar
Die Hinweise ergeben sich aus mehreren kleineren Fall-Kontrollstudien und einzelnen
Kohortenstudien, die den Langzeitverlauf von Kindern mit chronischen Bauchschmerzen
über 5 – 10 Jahre bzw. bis ins Erwachsenenalter verfolgen [127 ]
[130 ]
[131 ]
[133 ]
[136 ]. Untersuchungen zum Verlauf speziell des kindlichen RDS existieren bisher nicht.
Statement 1-2-5
Es gibt schwache Hinweise darauf, dass Bauchschmerzen im Kindesalter einen Risikofaktor
für die Entwicklung eines RDS im Erwachsenenalter darstellen könnten.
Kommentar
Die Hinweise ergeben sich vor allem aus 2 Kohortenstudien [137 ]
[138 ]. In beiden Studien entspricht die Diagnose der kindlichen Bauchschmerzen keiner
gängigen Definition. Howell fand eine positive Korrelation nur für kindliche Bauchschmerzen
in einem begrenzten Altersbereich von 7 – 9 Jahren, nicht jedoch für Bauchschmerzen
im Kindesalter insgesamt. Chitkara stützt sich in seiner Befragung ausschließlich
auf „erinnerte” Bauchschmerzen der erwachsenen Probanden. Daher die Einstufung als
„schwache” Hinweise.
Statement 1-2-6
Es gibt Hinweise darauf, dass funktionelle Bauchschmerzen bei Kindern eine erhebliche
Verminderung der Lebensqualität verursachen können. Die Auswirkungen des RDS im Kindesalter
auf die Lebensqualität wurden bisher nicht separat untersucht.
Kommentar
Eine Studie zeigte in einer selektierten Patientengruppe, dass funktionelle Bauchschmerzen
im Kindesalter eine erhebliche Verminderung der Lebensqualität verursachen [133 ]
[139 ]. Diese Beeinträchtigungen waren sogar schwerer als bei organischen gastrointestinalen
Erkrankungen wie z. B. bei chronisch entzündlichen Darmerkrankungen oder Refluxkrankheit.
Kapitel 2 – Pathophysiologie
2-1: Pathophysiologie des RDS bei Erwachsenen (AGs 2, 11, 12)
Vorbemerkungen
Die im Folgenden beschriebenen Faktoren sind zwar mit RDS assoziiert, jedoch können
daraus keine kausalen Zusammenhänge abgeleitet werden. Alle Faktoren könnten einen
relevanten Pathomechanismus für Reizdarm darstellen, obwohl sie häufig nicht spezifisch
für Reizdarm sind; vielmehr kommen ähnliche Störungen auch bei chronisch entzündlichen
Darmerkrankungen vor.
Eine Reihe von Studien identifizierte vielversprechende Biomarker ([Tab. 2-1 ]). Allerdings existieren momentan keine für RDS spezifischen Biomarker.
Tab. 2-1 Nachgewiesene Veränderungen beim Reizdarmsyndrom mit Biomarker-Potenzial.[1 ]
potenzielle Biomarker
Veränderungen bei Reizdarm
Motilität
erhöhte Transitzeit bei RDS-D verringerte Transitzeit bei RDS-O
Sensitivität
z. T. erhöhte viszerale Sensitivität
Schleimhautpermeabilität
verringerter Gewebewiderstand verringerte Expression des Tight-Junction-Proteins ZO-1
Immunzellen in Schleimhautbiopsien – intraepitheliale T-Zellen, Mastzellen
– Nerv-Mastzell-Assoziation
erhöhte Anzahl CD 3 + -Lymphozyten erhöhte Anzahl und Reaktivität c-kit und Tryptase positiver Zellen engere lokale Assoziation zwischen Nerven und Mastzellen
Immunmediatoren in Schleimhautbiopsien – Tryptase und andere Proteasen – Histamin – Proteases – Zytokine – Defensine
erhöhte Freisetzung erhöhte Freisetzung erhöhte Freisetzung bei RDS-D erhöhte Freisetzung von IL 1β bei PI-RDS erhöhte Freisetzung von humanem β-Defensin 2
Nerven in Schleimhautbiopsien – Nervenfasern – viszerale Afferenzen
erhöhte Anzahl PGP 9.5 positiver Nervenfasern, erhöhte Substanz-P-Expression erhöhte TRPV1-Expression
Schleimhautbiopsie Überstände – Nervensensibilisierung
Aktivierung des ENS durch Histamin, Serotonin und Proteasen Aktivierung viszeraler Afferenzen
Immunmediatoren im Blut – Zytokine – HPA-Achse – Antikörper
erhöhte TH-2-Zytokinspiegel, erhöhte IL-6, IL-8, TNF-α, IL-1β Spiegel erhöhte ACTH und Kortisol-Spiegel Antikörper gegen bakterielles Flagellin
Serotoninmetabolismus – Serotoninspiegel – Enterochromaffine Zellen – Serotonin-Wiederaufnahme-Transporter (SERT)
erhöhte Serotonin-Plasmaspiegel bei RDS-D erhöhte Anzahl in Schleimhautbiopsien veränderte SERT-Expression und Funktion
Genexpression – Schleimhaut
erhöhte Expression von DKFZP564O0823 (vermutliche Funktion: Schleimproduktion)
Stuhl – Mediatoren aus Immunzellen oder Mikrobiota – Mikrobiota
erhöhte Konzentration von humanem β-Defensin, Proteasen, S 100A12, Lactoferrin instabile Mikrobiota
Verhalten
veränderte Symptomperzeption
1ACTH = Adrenokortikotropes Hormon; RDS-O = Reizdarm vom Obstipationstyp; RDS-D =
Reizdarm vom Durchfalltyp; ENS = enterisches Nervensystem; HPA Achse = Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenrinden
Achse; IL = Interleukin; ZO-1 = Zonula occludens 1, PI-RDS = postinfektiöses Reizdarmsyndrom,
PGP = Protein gene product (panneuronaler Marker); TRPV1 = Transient Receptor Potential
Vanniloid Receptor 1 (Marker viszeraler Afferenzen).
Eine eindeutige Korrelation zwischen RDS-Subtypen, entsprechend der Rom-Klassifikation,
und den auf molekularer und zellulärer Ebene postulierten Pathomechanismen scheint
zunehmend problematischer zu werden.
Statement 2-1-1
RDS-Patienten haben Störungen der intestinalen Barriere, Motilität, Sekretion und/oder
viszeralen Sensibilität.
Kommentar
Als Hinweis auf eine verringerte Barrierefunktion zeigte sich eine erhöhte Permeabilität
in Dickdarmbiopsien von Reizdarmpatienten [140 ]. Dies war verbunden mit einer verringerten mRNA-Expression des Tight-Junction-Proteins
ZO-1 (Zonula occludens). Darüber hinaus erhöhten Schleimhautbiopsie-Überstände von
Reizdarmpatienten die Permeabilität in einem Zellrasen der Dickdarmzelllinie Caco-2
[140 ].
Die Kolonschleimhaut von Reizdarmpatienten zeigt eine erhöhte Proteasen-Aktivität,
die vermutlich auf eine Aktivierung von Trypsin zurückzuführen ist. Dies führt zu
einer beschleunigten Degradation des Tight-Junction-Proteins Occludin und wäre damit
eine mögliche Erklärung für die erhöhte Schleimhautpermeabilität bei RDS [141 ]. Eine erhöhte intestinale Permeabilität ist assoziiert mit einer viszeralen Hypersensitivität
[142 ].
Bei Reizdarmpatienten wurden Störungen der Dünndarm- und Dickdarmmotilität beschrieben,
ohne dass bisher ein reizdarmtypisches pathologisches Motilitätsmuster identifiziert
werden konnte [143 ]. Die Kolontransitzeit ist bei Reizdarmpatienten verändert [144 ]: Bei RDS-D ist der Transit beschleunigt, bei RDS-O dagegen verlangsamt [145 ].
Während Dehnung des Colon descendens zeigten Reizdarmpatienten eine gegenüber gesunden
Kontrollen erhöhte Kolonmotilität [48 ]. Gleichzeitig war der Ruhetonus der Kolonmuskulatur bei RDS-D geringer als bei RDS-O.
Zusätzlich hatten Patienten mit RDS-D einen höheren basalen Motilitätsindex (Kontraktionen
pro Minute) als solche mit einem RDS-O.
Der Transit intestinaler Gasansammlung ist bei Reizdarmpatienten, wahrscheinlich aufgrund
einer Motilitätsstörung, erschwert [146 ].
Reizdarmpatienten vom Durchfall- und Obstipations-prädominanten Typ zeigen eine erhöhte
Sekretion im Duodenum und Jejunum [147 ].
Reizdarmpatienten spüren einen im Rektum geblähten Ballon früher, d. h. bei geringeren
Volumina, und empfinden die Dehnung früher als schmerzhaft [148 ]
[149 ]
[150 ]. Die möglichen Ursachen können auf verschiedenen Ebenen (mukosal, spinal, zentral)
liegen.
In mehreren Studien konnte allerdings auch gezeigt werden, dass einige Reizdarmpatienten
normosensitiv oder sogar hyposensitiv auf intestinale Dehnung reagieren [144 ]
[151 ].
Statement 2-1-2
Für die Pathophysiologie des Reizdarmsyndroms relevant sind diverse molekulare und
zelluläre Mechanismen, einzeln und in Kombination, wobei deren Häufigkeiten und Spezifität
z. T. ungeklärt sind.
Statement 2-1-3
RDS ist oft mit einer Störung des enteralen Immungleichgewichts assoziiert. Die mikroinflammatorischen
oder neuroimmunologischen Prozesse in der Darmmukosa sind assoziiert mit einer lokalen
Zunahme von Immunzellen (Mastzellen, T-Lymphozyten) und/oder EC-Zellen.
Kommentar
Es gibt Hinweise, dass in einer Untergruppe von Patienten die Manifestation des RDS
durch eine Immunaktivierung hervorgerufen wird [152 ]
[153 ]
[154 ]
[155 ]
[156 ]
[157 ]. Diese Immunaktivierung unterhält eine geringgradige Entzündung, die sich in einer
erhöhten Ausschüttung von proinflammatorischen Zytokinen zeigt. Außerdem weisen RDS-Patienten
eine erhöhte Anzahl aktivierter T-Zellen auf [158 ]
[159 ]. In einigen Studien gibt es klare Hinweise für geringgradige Entzündung bei RDS:
erhöhte Lymphozytenzahl in der Lamina propria und/oder der intraepithelialen Lymphozyten
trotz normaler H&E-Färbung.
In Kolonbiospien von Patienten mit postinfektiösem RDS zeigte sich eine erhöhte Expression
des proinflammatorischen Zytokins IL-1β [160 ].
In Kolonbiopsien von RDS-Patienten zeigte sich eine verringerte Expression und Sekretion
der Chemokine IL-8, CXCL-9 and MCP-1 [161 ]. Damit hat die Schleimhaut von RDS-Patienten ein Defizit an Chemokinen, die eine
kritische Rolle bei mukosalen Abwehrmechanismen spielen.
Bei RDS-Patienten wurde eine erhöhte Mastzelldichte bzw. erhöhte Freisetzung der Mastzellmediatoren,
insbesondere Proteasen und Histamin beschrieben [162 ]
[163 ]. Gleichzeitig befanden sich die Mastzellen in unmittelbarer Nähe von Nervenfasern.
Diese anatomische Assoziation korreliert mit der viszeralen Schmerzintensität und
der Schmerzfrequenz.
RDS-Patienten zeigen eine Erhöhung einzelner Zytokine oder eines Zytokinpanels. Insbesondere
das proinflammatorische Zytokin IL-1β sowie IL-6, IL-8 und TNF-α finden sich akzentuiert,
wohingegen eine Suppression der Aktivität des antiinflammatorischen Zytokins IL-10
gezeigt werden konnte. Eine sichere Zuordnung der Zytokinmuster zu einem TH-1- oder
TH-2-Profil ist nicht möglich.
Eine weitere Studie ging der Hypothese nach, ob ein proinflammatorisches Zytokinprofil
bei RDS-Patienten durch das cholinerge System beeinflusst wird. Dabei waren Patienten
mit RDS als auch Patienten mit einer manifesten Depression im Vergleich zu gesunden
Kontrollen untersucht worden. Es zeigte sich, dass sowohl die RDS- als auch die Depressionspatienten
ein proinflammatorisches Zytokinprofil aufwiesen. Bei Patienten mit einem RDS allein
fand sich zusätzlich eine verstärkte Muskarin-Rezeptor-vermittelte IL-6 Antwort [164 ].
Bei RDS-Patienten ist das antimikrobiell wirkende Protein Humanes β-Defensin-2 erhöht
[165 ]
[166 ]. Dieses Ergebnis führt zu der Hypothese, dass bei RDS-Patienten eine Aktivierung
des mukosalen angeboren Immunsystems gegen eine proinflammatorische Antwort vorliegt.
Im Stuhl von RDS-Patienten (Durchfall-prädominanter Typ) wurden erhöhte Proteasekonzentrationen
(Serinproteasen) gemessen [167 ]. Proteasen in Stuhlüberständen von RDS-Patienten induzieren im Tiermodell viszerale
Nozizeption durch PAR-2(Protease activated receptor)-Aktivierung [167 ]
[168 ]. Die Proteasen in Stuhlüberständen von Colitis-ulcerosa-Patienten führen im gleichen
Tiermodell zu einer viszeralen Hyposensitivität durch PAR-4-Aktivierung.
Eine erhöhte proteolytische Aktivität zeigte sich in Schleimhautbiopsien von RDS-Patienten
[169 ]. Überstände dieser Schleimhautbiopsien aktivieren sensorische Nervenfasern der Darm-Hirn-Achse
(sehr wahrscheinlich Schmerzfasern) durch Stimulation von PAR-2-Rezeptoren. PAR-2-Aktivierung
im Darmepithel könnte durch Permeabilitätserhöhung zu einer Barrieredysfunktion beitragen.
Die erhöhte Expression von Trypsinogen IV in der Schleimhaut von RDS-Patienten könnte
Grundlage einer vermehrten PAR-2-Stimulation bei RDS-Patienten sein [170 ].
PBMC (periphere mononukleäre Blutzellen) von RDS Patienten weisen ein proinflammatorisches
Zytokinprofil auf [171 ]
[172 ]. PBMC-Überstände von Patienten mit postinfektiösem RDS (RDS-D entsprechend den Rom-III-Kriterien)
aktivieren mechanosensitive viszerale Afferenzen [173 ]. PBMC-Überstände von Kontrollpatienten hemmen dagegen die Aktivität der mechanosensitiven
mukosalen Afferenzen.
Campylobacter jejuni ist ein bekannter Bakterienstamm, der einer der häufigsten Auslöser
einer akuten Gastroenteritis ist. An diese kann sich bei genetisch prädisponierten
Patienten im Anschluss ein RDS entwickeln. Die Pathogenese dieser Erkrankung ist jedoch
noch nicht komplett verstanden. Es konnte jedoch gezeigt werden, dass eine basolaterale
Infektion mit C. jeuni eine raschere Reduktion des transepithelialen elektrischen
Widerstands und eine erhöhte Sekretion von IL-8 als bei der apikalen Infektion bewirkt.
Damit gibt es Hinweise, dass durch die „Vorschädigung” die Barrierefunktion der Darmepithelien
bereits verändert zu sein scheint. Darüber hinaus zeigte sich eine erhöhte Expression
des Chemokins IL-8. Beides zusammen scheint auch die Entwicklung eines RDS zu beeinflussen
[174 ].
Bei schweren Formen von RDS wurde eine enterische Ganglionitis beschrieben [175 ].
Statement 2-1-4
Die RDS-Symptomatik kann durch einen enteralen Infekt ausgelöst werden und kann über
Wochen, Monate und Jahre persistieren.
Kommentar
Der epidemiologische Zusammenhang wurde in mehreren Studien belegt [176 ]
[177 ]
[178 ]. Histologisches Korrelat ist eine vermehrte Infiltration der Submukosa mit ECL-Zellen
und CD 8-Lymphozyten [179 ].
Statement 2-1-5
Bei RDS-Patienten finden sich Alterationen serotonerger Mechanismen auf der Substrat-
und Rezeptor-Ebene.
Kommentar
Bei RDS wurden prä- und postprandial Änderungen des Serotoninspiegels bzw. der Serotoninmetaboliten
im Blut beschrieben.
Patienten mit RDS-D haben prä- und postprandial erhöhte Serotoninplasmaspiegel, sehr
wahrscheinlich als Konsequenz eines reduzierten Serotoninmetabolismus bzw. einer reduzierten
Wiederaufnahme von Serotonin [180 ]. Dagegen zeigen Patienten mit RDS-O keinen erhöhten 5-HT-Plasma-Spiegel nach einer
Mahlzeit, sehr wahrscheinlich als Konsequenz einer reduzierten 5-HT-Freisetzung [180 ].
RDS-Patienten weisen veränderte mukosale Serotoninspiegel auf, ohne dass die Serotonin-Rezeptorexpression
verändert ist [170 ]
[181 ]. Eine Mutationsanalyse der untranslatierten Genbereiche (UTR) der Serotonin-Rezeptor-3-Untereinheiten
5-HT3A und 5-HT3E ergab eine Assoziation zwischen der 5-HT3E 3’-UTR-Variante c.*76G
> A und weiblichen RDS-Patienten mit RDS-D [182 ]. Patienten mit PI-RDS weisen eine Hyperplasie serotoninproduzierender enterochromaffiner
Zellen auf [179 ]
[183 ]
[184 ].
RDS-Patienten zeigen Änderungen der Serotonin-Wiederaufnahme-Transporter(SERT)-Expression.
Außerdem besteht möglicherweise eine Assoziationen zwischen RDS und SERT-Polymorphismen
[170 ]
[181 ]
[185 ]
[186 ].
Statement 2-1-6
Bei RDS-Patienten findet sich eine erhöhte Innervation der Schleimhaut.
Kommentar
In Schleimhautbiopsien von RDS-Patienten wurde eine erhöhte Dichte von Nervenfasern,
sehr wahrscheinlich von Nervenzellen des enterischen Nervensystems, beschrieben [187 ]
[188 ].
In Rektumschleimhautbiopsien und im Plasma von RDS-Patienten wurden erhöhte Spiegel
des Neuropeptids Vasoaktives-Intestinales-Peptid gefunden [189 ].
In Rektumschleimhaubiopsien wurde eine erhöhte Expression des von sensorischen Nervenfasern
exprimierten Rezeptors Transient Receptor Potential Vanniloid Receptor 1 (TRPV1) gefunden
[187 ]. Es war ebenfalls die Dichte Substanz-P-haltiger Nervenfasern erhöht [187 ]. Diese histologischen Befunde könnten die erhöhte Sensitivität von RDS-Patienten
auf Chili und dessen Inhaltsstoff Capsaicin erklären [190 ], welcher den TRPV1-Rezeptor aktiviert.
Statement 2-1-7
Verändertes Schleimhaut-Mediatorprofil bei RDS führt zur Aktivierung des enterischen
Nervensystems und der primär afferenten (nozizeptiven) Nerven.
Kommentar
Schleimhaut-Biopsieüberstände von RDS-Patienten aktivieren viszerale Afferenzen [188 ] und enterische Nervenzellen [191 ].
Schleimhautbiopsieüberstände von RDS-Patienten induzieren in einem Mausmodell viszerale
und somatische Nozizeption [169 ].
An o. g. Effekten sind insbesondere Proteasen beteiligt, die entweder von der Mikrobiota
oder Entzündungszellen freigesetzt werden; daneben spielen Serotonin und Histamin
eine Rolle [169 ]
[188 ]
[191 ]. Proteasen könnten bei RDS zu einer erhöhten Schleimhautpermeabilität assoziiert
mit nervaler Sensibilisierung und viszeraler Hyperalgesie führen.
Statement 2-1-8
Es existiert eine genetische Prädisposition für RDS.
Kommentar
Eine genetische Prädisposition für RDS konnte nachgewiesen werden [192 ]. Diese ist multifaktoriell geringer Ausprägung. Neben der genetischen Disposition
für das RDS konnte gezeigt werden, dass Umweltfaktoren eine wichtige Rolle spielen
[193 ]
[194 ]
[195 ].
Polymorphismen folgender Gene, die gastrointestinale Funktionen regulieren, sind mit
RDS assoziiert: mitochondriale DNA, Serotoninrezeptor 2a und 3, Serotonintransporter
(SERT), Natriumkanal Na(v)1.5, Fatty acid hydroxylase, Tumornekrosefaktor alpha, IL-10,
alpha2 adrenerger Rezeptor [185 ]
[196 ]
[197 ]
[198 ]
[199 ]
[200 ]
[201 ]. Die meisten Studien wurden nicht durch ein unabhängiges Kontrollkollektiv abgesichert
(Ausnahmen: SERT, Serotoninrezeptor 3), sodass eine Bestätigung dieser Ergebnisse
noch aussteht.
Statement 2-1-9
Die Sympathikus-Parasympathikus-Aktivierung ist bei RDS geändert.
Kommentar
Eine Vielzahl von Studien belegt eine sympathische Überaktivierung (kardiovaskuläre
und endokrine Parameter) bei RDS-Patienten unter verschiedensten standardisierten
Provokationsbedingungen [202 ]
[203 ]
[204 ]
[205 ]. Die höhere Aktivität des Sympathikus könnte die höheren Stresslevel verursachen
[206 ]. Insbesondere bei RDS-D-Patienten scheint eine reduzierte parasympathische Aktivität
nachweisbar zu sein [207 ].
Statement 2-1-10
RDS ist assoziiert mit einer veränderten Mikrobiota (Darmflora).
Kommentar
RDS-Patienten weisen, im Vergleich zu gesunden Kontrollen, sowohl in der Qualität
eine andere Zusammensetzung der Darmflora auf als auch in der Quantität [208 ].
Die quantitative Analyse verschiedener Phylotypen basierend auf der 16 s-RNA-Sequenzanalyse
ergab signifikante Unterschiede in der Mikrobiotazusammensetzung insbesondere zwischen
Patienten mit RDS-D und Kontrollen [209 ]
[210 ]
[211 ].
Bei Patienten mit RDS-D fanden sich signifikante Unterschiede im Vergleich zu gesunden
Kontrollen hinsichtlich der Zusammensetzung der Darmflora. Während bei RDS-Patienten
die Darmflora ein erhöhtes Vorkommen an Proteobakterien und Firmicutes aufwies, fand
sich jedoch eine verringerte Zahl von Acinetobacter und Bacteroides [210 ].
Stuhlproben von RDS-Patienten enthielten mehr Bakterien der Species Veillonella und
Lactobacillus mit gleichzeitig erhöhten Konzentrationen von Essigsäure und Proprionsäure
[212 ]. Die Spezies Bifidobacteria war in Stuhlproben von RDS-Patienten erniedrigt [213 ].
Statement 2-1-11
RDS-Patienten unterscheiden sich von Kontrollen hinsichtlich der individuellen Bewertung
viszeraler Sensationen und der Bereitschaft, diese zu berichten.
Kommentar
In Studien tendierten RDS-Patienten im Vergleich zu Gesunden eher dazu war, eine intestinale
Ballondehnung als unangenehm zu empfinden [214 ] bzw. ihre Empfindung „schmerzhaft” zu nennen [215 ].
Statement 2-1-12
Die spinale Weiterleitung intestinaler Reize kann bei Patienten mit RDS gesteigert
sein.
Kommentar
Die Intensität der Weiterleitung peripherer Reize an der spinalen Synapse kann durch
konkurrierende Reize modifiziert werden. Die Rektumdehnung führt beim Gesunden zu
einer Abschwächung der Schmerzantwort bei Reizung des N. suralis, bei RDS-Patienten
aber zu einer Steigerung [216 ]. Schmerzreize am Fuß reduzieren die Schmerzempfindung durch Rektumdehnung beim Gesunden,
nicht aber bei RDS-Patienten [217 ]. Bei gleichen rektalen Dehnungsreizen lassen sich bei RDS-Patientinnen gesteigerte
zerebrale evozierte Potenziale ableiten [218 ].
Statement 2-1-13
Bei RDS-Patienten führen viszerale Schmerzreize zur Aktivierung anderer und größerer
Hirnregionen als bei Kontrollen.
Kommentar
Rektale Dehnungsreize aktivieren bei RDS vermehrt den anterioren zingulären Kortex
[219 ]. Zudem war das im funktionellen MRT aktivierte Areal größer [220 ]. Auch lassen sich Geschlechtsunterschiede in der Projektion nachweisen [221 ], was z. T. die Geschlechtsunterschiede in der Epidemiologie des RDS zu erklären
vermag.
Statement 2-1-14
Erlerntes Krankheitsverhalten (learned illnes behaviour) ist bei RDS-Patienten im
Vergleich zu gesunden Kontrollen häufiger nachweisbar.
Kommentar
Die Reaktion der Umwelt auf Krankheitsäußerungen kann diese verstärken und chronifizieren
[215 ]
[222 ].
Statement 2-1-15
Eine eindeutige kausale Beziehung zwischen dem RDS und psychischem Stress konnte bislang
nicht belegt werden.
Kommentar
In der Literatur werden gänzlich unterschiedliche Stressoren berücksichtigt: auf der
einen Seite in experimentellen Untersuchungen gut standardisierbare Belastungen und
andererseits psychosoziale Belastungen.
In einer Fallkontrollstudie fand sich eine signifikant stärkere Belastung durch Lebensereignisse
bei Patienten mit RDS und funktioneller Dyspepsie [33 ]. Gleichzeitig gaben Patienten mit einem RDS mehr belastende Lebensereignisse in
der Vorgeschichte an [223 ]
[224 ]. In Kohorten von Patienten findet sich eine Assoziation zwischen dem RDS und Ängstlichkeit,
Depression und posttraumatischem Stress [102 ]
[225 ]. Eine kausale Beziehung ist bislang jedoch nicht gesichert, zumal Patienten wahrscheinlich
Lebensereignisse negativer wahrnehmen, ohne dass diese tatsächlich häufiger vorkommen.
Statement 2-1-16
Im Einzelfall könnte akuter Stress als Co-Faktor für die Entstehung bzw. die Aufrechterhaltung
des Beschwerdebilds zumindest angenommen werden und den Verlauf eines RDS ungünstig
beeinflussen. Die Datenlage ist inkonsistent.
Kommentar
In mehreren Studien, in der Patienten befragt und teils mehrere Wochen bis Monate
nachbeobachtet wurden, fand sich ein Zusammenhang zwischen dem Life-Stress sowie experimentell
induziertem Stress und der Perpetuierung des RDS [223 ]
[226 ]
[227 ]
[228 ]
[229 ]
[230 ]. In einer neueren Untersuchung, in der systematisch die tägliche psychosoziale Belastung
erfasst wurde, fand sich demgegenüber keine kausale Beziehung zwischen Stress und
Symptomen [231 ]. Die Datenlage zur Assoziation einer posttraumatischen Stresserkrankung (PTSD) ist
inkonsistent: Eine Studie konnte eine Assoziation einer PTSD mit RDS nachweisen [90 ], in einer anderen Untersuchung fand sich jedoch keine Häufung einer PTSD bei RDS-Patienten
[100 ]. In einer retrospektiven Analyse war psychischer Stress mit einer Zunahme an Meteorismus
sowie der Beschwerdeintensität bei RDS assoziiert [232 ]. Ein Zusammenhang mit der individuellen Reaktion auf Stress (sog. Coping) konnte
kürzlich nachgewiesen werden [233 ].
Statement 2-1-17
Beim Menschen hat akuter und chronischer Stress Einfluss auf gastrointestinale Funktionen.
Einzelne Untersuchungen legen zudem nahe, dass akute Stressoren Funktionen verändern,
die im Zusammenhang mit der Entstehung des RDS stehen könnten.
Kommentar
Akuter Stress moduliert zahlreiche gastrointestinale Funktionen wie Magensäuresekretion
[234 ], gastrointestinale Motilität [235 ]
[236 ]
[237 ] und Immunfunktion [238 ]
[239 ], die im Zusammenhang mit der Manifestation funktioneller Magen-Darmerkrankungen
eine Rolle spielen könnten. Allerdings sind die Effekte zum Teil individuell sehr
variabel.
Ein akuter psychischer Stressor führt bei RDS-Patienten zu einer verstärkten Wahrnehmung
rektaler Distensionen [240 ]
[241 ]. In mehreren Untersuchungen bestand eine Assoziation zwischen psychischem Stress
sowie erhöhten Kortisolspiegeln und RDS-Symptomen als Zeichen der Stressreaktion [242 ]
[243 ]
[244 ]
[245 ]
[246 ], während eine kleinere Fallserie dies nicht reproduzieren konnte [247 ].
Befunde zu Stress bei Patienten mit RDS im Vergleich zu gesunden Kontrollpersonen
verweisen darauf, dass dysfunktionale Krankheitsbewältigungsstrategien vorliegen können
[248 ].
Statement 2-1-18
Akuter und chronischer Stress verändert im Tiermodell gastrointestinale Funktionen,
die im Rahmen der Pathogenese des RDS eine Rolle spielen könnten.
Kommentar
Im Tierversuch verstärkt psychischer Stress (Wasser-Vermeidungs-Stress) das Ausmaß
einer postinflammatorischen viszeralen Hyperalgesie [247 ]
[249 ]
[250 ]. Durch Wasser-Vermeidungs-Stress kann ebenso eine Aktivierung der myenterischen
Neuronen im Kolon induziert [251 ], die Kolonmotilität beeinflusst [252 ], und die Corticotropin-releasing-factor(CRF)-Achse sowie Hypophysenfunktion moduliert
werden [253 ]
[254 ].
Bei Tieren kann durch ein frühzeitliches Trauma (Geruchs-Schockkonditionierung) eine
lang anhaltende viszerale Hyperalgesie induziert werden [255 ]. Ähnliche Effekte wurden durch frühzeitige Trennung von der Muttertier erreicht
[256 ]
[257 ]
[258 ]
[259 ]. Bereits durch akuten kurzzeitigen, jedoch auch durch repetitiven, chronischen Stress
(Immobilisation) kann eine viszerale Hyperalgesie induziert werden [260 ].
2-1: Pathophysiologie des RDS bei Kindern (AG 9)
Statement 2-2-1
Es gibt Hinweise dafür, dass genetische Faktoren für die Entstehung des RDS im Kindesalter
eine Rolle spielen. Familiäre Häufungen könnten aber auch durch intrafamiliäre Faktoren,
Coping-Strategien oder Umgebungsfaktoren bedingt sein.
Kommentar
Zwillingsstudien mit höheren Konkordanzraten bei eineiigen Zwillingen weisen auf genetische
Faktoren hin [261 ]
[262 ]. Nachgewiesen wurde auch ein gehäuftes Auftreten bei Verwandten 1. Grades [263 ]. Bezüglich intrafamiliärer Faktoren, Coping-Strategien oder Umgebungsfaktoren siehe
[264 ].
Statement 2-2-2
Die pathogenetische Bedeutung von Ernährungsfaktoren und entzündlicher oder immunologischer
Mechanismen für die Entstehung eines RDS im Kindesalter ist unklar.
Kommentar
Zur Frage Ernährung sind keine RDS-spezifischen Daten vorhanden; Kohlenhydratmalabsorptionen
sind per Definition auszuschließen. Es gibt Hinweise auf eine erhöhte Permeabilität
des Dünn- und Dickdarms sowie leichtgradige Entzündungen des Darmes (erhöhte fäkale
Calprotectin-Konzentrationen) bei 7- bis 10-Jährigen mit RDS bzw. funktionellen Bauchschmerzen
[265 ].
Statement 2-2-3
Es gibt Hinweise für die ätiologische Bedeutung bakterieller gastrointestinaler Infektionen
für die Genese des RDS bei Kindern.
Kommentar
Nachgewiesen wurde ein gehäuftes Auftreten von RDS 6 Monate nach infektiöser bakterieller
Gastroenteritis-Fallkontrollstudie [124 ]. Für Rotavirusinfektionen konnte dies nicht nachgewiesen werden [266 ].
Statement 2-2-4
Eine viszerale Hypersensitivität spielt möglicherweise eine Rolle beim kindlichen
RDS.
Kommentar
3 kleine Fallkontrollstudien zeigen übereinstimmend eine erniedrigte rektale Wahrnehmungsschwelle
bei Kindern mit RDS [117 ]
[118 ]
[119 ]. Im Vergleich zu Patienten mit organischen Beschwerden ergibt sich eine signifikant
niedrigere Schmerzschwelle bei Kindern mit funktionellen Abdominalbeschwerden im Vergleich
zu Patienten mit organischen Erkrankungen [267 ].
Statement 2-2-5
Es gibt Hinweise auf die pathogenetische Bedeutung psychischer und sozialer Faktoren
beim kindlichen RDS.
Kommentar
Bei Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen war nach einem Verlauf von 5 Jahren
das Auftreten von RDS-Symptomen mit vermehrten psychosozialen Problemen und einer
geringeren sozialen und akademischen Kompetenz vergesellschaftet [268 ]. Bei britischen Schulkindern war das Auftreten von RDS-Symptomen mit einer veränderten
Selbstwahrnehmung und vermehrter Besorgnis über den eigenen Gesundheitszustand assoziiert
[269 ]. Bei Jugendlichen und jungen Erwachsenen wurde das Ausmaß der funktionellen Beeinträchtigung
durch RDS-Symptome davon beeinflusst, wie die Patienten ihre Kompetenzen in verschiedenen
Bereichen (akademisch, sportlich, sozial) einschätzten [270 ]. Bei allen Studien sind Kausalketten nicht klar definiert.
Teil III – Diagnosesicherung
Teil III – Diagnosesicherung
Kapitel 3 – Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS
3-1: Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS bei Erwachsenen (AG 3)
Statement 3-1-1
Für die Diagnosestellung sollen grundsätzlich 2 Komponenten erfüllt sein:
Anamnese, Muster und Ausmaß der Beschwerden sind mit einem Reizdarmsyndrom vereinbar.
Die „Sicherung” des Reizdarmsyndroms erfordert den – symptomabhängig gezielten – Ausschluss
relevanter Differenzialdiagnosen (insbesondere bei Vorliegen von Alarmsymptomen)
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Einer sorgfältigen Anamnese kommt der wichtigste Stellenwert bei der Erfassung des
typischen Symptomkomplexes zu.
Ad A) Der Verdacht auf ein Reizdarmsyndrom wird durch eine typische oder kompatible
Beschwerdekonstellation und -schwere (vgl. Definition; 1-1-1) sowie weiterer anamnestischer
Kriterien (z. B. Dauer und Dynamik der Symptome im Verlauf, Symptomauslösung durch
einen Darminfekt etc.) geweckt [271 ].
Ad B) Relevante Differenzialdiagnosen in Abhängigkeit des Leitsymptoms sind in [Tab. 3-1 ] aufgeführt. Cave: Der Nachweis eines Alarmsymptoms schließt die Diagnose eines Reizdarmsyndroms
für das praktische diagnostische Management zunächst aus, auch wenn infolge der Häufigkeit
des Syndroms eine statistische Koprävalenz mit anderen gastrointestinalen Erkrankungen
angenommen werden kann. Zur differenzialdiagnostischen Wertigkeit des Fehlens von
Alarmsymptomen s. u.
Tab. 3-1 Wichtige Differenzialdiagnosen des Reizdarmsyndroms bei Patienten mit chronischen
Abdominalbeschwerden.
Reizdarmsyndrom-Leitsymptom
wichtige Differenzialdiagnosen (u. a.)
Diarrhö
infektiöse Kolitis, z. B. u. a.
pathogene Keime: Salmonellen, Shigellen, Yersinien, Campylobacter, Clostridien, Tropheryma Whipplei
etc.
Parasiten: Würmer, Gardia lamblia, Kryptosporidien bei HIV, Amoeben oder Blastocystsis hominis
nach Tropenreise
Pilze: Histoplasmose bei HIV
Viren: Cytomegalie Virus (CMV) bei Immunsuppression Morbus Crohn Colitis ulcerosa Sprue/Zöliakie bakterielle Fehlbesiedelung des Dünndarms Symptomatische Kohlenhydratmalabsorption (z. B. Laktose- oder Fruktosemalabsorption) mikroskopische Kolitis chologene Diarrhö Clostridium-difficile Kolitis chronische Pankreatitis autonome Neuropathie (Diabetes) Medikamentenunverträglichkeit Nahrungsmittelallergie Hyperthyreose Inkontinenz hormonaktive Neuroendokrine Tumoren kolorektales Karzinom (paradoxe Diarrhö)
Schmerz
Morbus Crohn Ulkus-Krankheit gastrointestinale Tumoren mesenteriale Ischämie Porphyrie Endometriose Ovarialtumoren Dünndarm-Stenosen (z. B. radiogen, Briden) postoperative Funktionsstörungen (z. B. Briden) C1-Esterase-Inhibitor-Mangel
Obstipation
Medikamentennebenwirkung Hypothyreose kolorektales Karzinom (im Wechsel mit paradoxer Diarrhö bei Stenosesymptomatik) chronische Divertikelkrankheit funktionelle oder strukturelle Stuhlentleerungsstörung
Blähungen, Distension
bakterielle Fehlbesiedelung (Small Intestinal Bacterial Overgrowth, SIBO) Kohlenhydratmalabsorption (z. B. symptomatische Laktose- und/oder Fruktosemalabsorption) postoperative Funktionsstörungen (z. B. Briden)
Statement 3-1-2
Wenn nach sorgfältiger initialer Diagnosestellung gemäß den o. g. Kriterien im weiteren
Verlauf keine neuen Aspekte auftauchen, soll eine erneute Diagnostik im weiteren Management
vermieden werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Die Diagnose Reizdarmsyndrom kann als praktisch gesichert betrachtet werden, wenn
die relevanten Differenzialdiagnosen ausgeschlossen sind. Dies wurde durch mehrere
Studien gezeigt, in denen über Nachbeobachtungszeiträume zwischen 2 und 30 Jahren
die Diagnose in mehr als 95 % stabil geblieben war [272 ]
[273 ]
[274 ]
[275 ]
[276 ]
[277 ].
Wenn keine neuen Aspekte auftauchen, ist eine Wiederholungsdiagnostik daher generell
unergiebig und somit nicht indiziert, und das Management sollte auf die Therapie konzentriert
werden.
Statement 3-1-3
Eine möglichst frühe Sicherung der Diagnose bzw. ein möglichst verlässlicher Ausschluss
relevanter Differenzialdiagnosen ([Tab. 3-1 ]) soll angestrebt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Eine rasche Diagnosestellung ist aus folgenden Gründen wichtig:
A) Vermeidung einer Diagnose- und ggf. Therapieverschleppung anderer, womöglich schwerwiegender
Ursachen der Symptome. Es wurde gezeigt, dass bei typischen Symptomkonstellationen
ein Reizdarmsyndrom als statistisch wahrscheinlich angenommen werden kann. Dabei wurde
zwischen funktionellen und „organischen” Ursachen mit Sensitivitäten und Spezifitäten
von jeweils über 80 % diskriminiert. Diese respektablen Vorhersagewahrscheinlichkeiten
sind aber v. a. Ausdruck der relativ höheren Prävalenz des RDS („Pre-test-Wahrscheinlichkeit”),
nicht der individuellen Treffsicherheit der Methode, und basieren somit zumindest
teilweise auf einem statistischen Artefakt [11 ]
[278 ]
[279 ]
[280 ]. Umgekehrt aber demonstrieren diese Befunde auch, dass ein hinlänglich zuverlässiger
Ausschluss anderer Ursachen allein aufgrund anamnestischer Angaben und dem Fehlen
sogenannter Alarmsymptome grundsätzlich nicht gelingt. So wurde bei bis zu 5 % der
Patienten, bei denen klinisch initial ein Reizdarmsyndrom diagnostiziert worden war,
im kurz- bis mittelfristigen Verlauf eine „organische” Erkrankung gefunden [281 ]. Dies ist von großer praktischer Bedeutung im konkreten Einzelfall, weil einem Teil
dieser Differenzialdiagnosen beträchtliche Relevanz und therapeutische Dringlichkeit
zukommt; würde bei den betreffenden Patienten die für die Beschwerden verantwortliche
Grundkrankheit nicht diagnostiziert, würden sie als „typisches” RDS fehlbehandelt.
Beispiele:
Chronisch entzündliche Darmerkrankungen (CED): Bei Patienten mit initialer Diagnose eines RDS ist das relative Risiko für die Entdeckung
einer CED-Erkrankung (als wahre Ursache der Beschwerden) im weiteren Verlauf der nächsten
5 Jahre konstant deutlich gesteigert (RR = 16,3; 95 % CI 6,6 – 40,7) [282 ]. Somit manifestiert sich ein beträchtlicher Teil der CED erstmalig klinisch als
klassisches RDS, insbesondere bei Patienten ohne fassbare entzündliche Aktivität.
Umgekehrt erfüllen selbst in Remission zwischen 25 und 40 % der Patienten mit bekannten
CED die typischen RDS-Kriterien [283 ]
[284 ]. Bei dieser Konstellation ist das klinische Beschwerdebild als Ausdruck der entzündlichen
Grundkrankheit und nicht als separate Reizdarm-Erkrankung aufzufassen. Zwar können
hier auch ähnlich wie beim postinfektiöse PI-RDS postinflammatorische Veränderungen
des enterischen Nervensystems als Ursache der Beschwerden beteiligt sein, aber aufgrund
der unterschiedlichen Verlaufsformen (z. B. erneute Schübe, Komplikationen etc.) sollte
eine klare Abgrenzung der CED in Remission zum RDS beibehalten werden.
Zöliakie ( = einheimische Sprue): Mehrere Studien sowie eine Metaanalyse haben demonstriert, dass bei mehr als 4 %
der Patienten mit typischem Reizdarmsyndrom eine unerkannte Zöliakie zugrunde liegt
[285 ]
[286 ]
[287 ]
[288 ]
[289 ].
In einer weiteren Analyse an über 1000 Zöliakiepatienten wurde gezeigt, dass vor Diagnosestellung
mehr als 75 % unter Bauchschmerzen und Blähungen gelitten hatten, wovon mehr als die
Hälfte langfristig als Reizdarm, ein weiteres Drittel als psychische Störung fehldiagnostiziert
und -behandelt worden waren. Bei über 20 % war die Zöliakie-Diagnose um mehr als 10
Jahre verschleppt worden [290 ].
Besondere Aufmerksamkeit ist bei neu aufgetretener Reizdarm-Symptomatik geboten:
Kolorektales Karzinom: In einer prospektiven Kohortenstudie an fast 3000 Patienten lag die Inzidenz eines
kolorektalen Karzinoms im ersten Jahr nach Diagnosestellung eines „Reizdarmsyndroms”
bei 1 % und war somit gegenüber der Normalbevölkerung stark erhöht (RR 16; 95 % CI
7 – 41). Im weiteren Follow-up fanden sich dann keine Unterschiede mehr [282 ].
Ovarialkarzinom: Bei mehr als 85 % der betroffenen Patientinnen treten vor der Krebsdiagnose typische
Reizdarmbeschwerden neu und meist als erstes Symptom auf, in der Mehrzahl bereits
mehr als 6 Monate vor Diagnosestellung [291 ]
[292 ]
[293 ]
[294 ]
[295 ]
[296 ]. Dies trifft auch für > 50 % der Patientinnen mit Ovarialfrühkarzinomen und Borderline-Karzinomen
zu [297 ].
Insgesamt haben „Alarmsymptome” zwar eine hohe Spezifität für das Vorliegen entzündlicher
oder maligner Grundkrankheiten [298 ]; für deren Ausschluss spielen sie demgegenüber wegen ihrer sehr geringen Sensitivität
[299 ] eine unmaßgebliche Rolle. Daher hat ihr Fehlen nur einen geringen prädiktiven Wert
für das (ausschließliche!) Vorliegen eines Reizdarms.
B) Es gibt Hinweise, dass der (Patient und Arzt gleichermaßen überzeugende) Ausschluss
relevanter anderer Ursachen das gegenseitige Vertrauensverhältnis verbessert und wegen
der damit verbundenen Beruhigung („Reassurance”) auch zum Therapieerfolg beitragen
kann [281 ]
[300 ]
[301 ].
C) Darüber hinaus wird offensichtlich auch die gesundheitsökonomische Effizienz des
Langzeitmanagements gestärkt; insbesondere sinkt die Zahl der nachfolgenden Arztbesuche
und der diagnostischen Prozeduren [272 ]. Diesem Effekt dürfte angesichts des chronischen, oft jahrzehntelangen Verlaufs
der Erkrankung im langfristigen Management eine beträchtliche Bedeutung zukommen.
Statement 3-1-4
Um die Diagnose zu sichern, soll bei jedem Patienten eine obligate Basis-Diagnostik
durchgeführt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Diese sollte in Abhängigkeit von Anamnese und Symptomkonstellation durch eine individuell
angepasste weiterführende (Stufen-)Diagnostik ergänzt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Um einen undifferenzierten Einsatz von Methoden und Ressourcen („Überdiagnostik”)
zu vermeiden, erfolgt die Abklärung des Beschwerdebilds als Stufendiagnostik: Die
(obligate) Basisdiagnostik dient dem Ausschluss von Differenzialdiagnosen, die Symptome
des gesamten Spektrums des Reizdarmsyndroms verursachen können (neben typischen Differenzialdiagnosen
wie eine CED [283 ]
[284 ] oder Zöliakie [285 ]
[290 ] kann sich z. B. auch das Ovarialkarzinom mit Stuhlgangsveränderungen, Schmerzen,
Blähungen etc. manifestieren [295 ]
[297 ], vgl. Kommentar zu Statement 3-1-3). Die weiterführende Diagnostik bearbeitet dann
gezielte Fragestellungen in Abhängigkeit von der Hauptsymptomatik. Hierbei unterscheidet
sich das diagnostische Vorgehen zwischen Patienten mit und ohne Diarrhö (vgl. Statement
3-1-12)
Die Prinzipen der diagnostischen Strategie sind in [Abb. 3-1 ] schematisch zusammengefasst.
Abb. 3-1 Schema zum diagnostischen Vorgehen beim Verdacht auf ein RDS (Erstdiagnostik).
Statement 3-1-5
Die Basisdiagnostik soll eine sorgfältige und eingehende Anamneseerhebung enthalten.
Hierbei sollten die Beschwerdeangaben möglichst exakt (z. B. durch Symptomtagebücher)
quantifiziert werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Ziel ist die möglichst präzise Erfassung der Symptomkonstellation und -dynamik sowie
das aktive Abfragen von Alarmsymptomen. Alarmsymptome haben eine geringe Sensitivität,
aber eine hohe Spezifität für zugrunde liegende nicht funktionelle Erkrankungen [298 ]
[299 ] (vgl. auch Kommentar zu Statement 3-1-3). Sind sie vorhanden, sollte die Arbeitsdiagnose
eines Reizdarmsyndroms zunächst verlassen werden.
Erfahrungsgemäß bilden die Angaben vieler Patienten bei einer einmaligen anamnestischen
Befragung das tatsächliche chronische Beschwerdebild nicht ausreichend ab. Daher sollten
die Symptome über einen gewissen Zeitraum durch den Patienten täglich möglichst quantitativ
erfasst und hierdurch besser „objektiviert” werden, z. B. durch Symptomtagebücher
(z. B. über visuelle Analogskalen, VAS) und Stuhlprotokolle. Als Instrumente können
hierzu auch standardisierte, möglichst validierte Fragebogen (z. B. Rom III [5 ], Bristol Stool Form Scale [302 ], Bowel Disease Questionnaire [278 ] etc.) eingesetzt werden.
Statement 3-1-6
Im Rahmen der Basisdiagnostik soll eine körperliche Untersuchung (inklusive rektaler
Untersuchung) durchgeführt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Die körperliche Untersuchung dient in erster Linie dem klinischen Ausschluss von Befunden,
die auf eine entzündliche oder maligne Grundkrankheit hinweisen könnten. Das Reizdarmsyndrom
weist keine sicher positiv verwertbaren Zeichen auf.
Statement 3-1-7
Im Rahmen der Basisdiagnostik soll eine Basislabor-Diagnostik erfolgen.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Folgende Laboruntersuchungen werden generell oder als individuell weiterführende Diagnostik
empfohlen [Konsens]:
Generell empfohlene Laboruntersuchungen:
Blutbild
BSG/CRP
Urinstatus
Individuell weiterführende Laboruntersuchungen:
Serum-Elektrolyte, Nierenretentionswerte, Leber- und Pankreasenzyme
TSH
Blutzucker/HbA1c
Stuhl-Mikrobiologie (vor allem bei Diarrhö)
Zöliakie-AK (Transglutaminase-AK)
Calprotectin A/Lactoferrin im Stuhl
Kommentar
Auch die Laborbefunde dienen dem differenzialdiagnostischen Ausschluss von anderen
Grundkrankheiten ([Tab. 3-1 ]), denn auffällige Laborwerte insbesondere auch im Sinne der sogenannten „Alarmsymptome”
(z. B. Anämie, Entzündungszeichen) sprechen zunächst gegen die Diagnose Reizdarmsyndrom
[298 ].
Hierzu sind in aller Regel keine umfangreichen Untersuchungen notwendig. Ein allgemeines
Minimalprogramm ist in Abhängigkeit vom klinischen Bild, vom Alter des Patienten und
insbesondere vom Leitsymptom sowie anderen differenzialdiagnostischen Erwägungen gezielt
zu ergänzen. Hierbei ist zu abzuwägen, inwieweit eine maßvolle Erweiterung des labordiagnostischen
Spektrums, die ja in der Regel nur vergleichsweise geringe Mehrkosten bedingt, zur
individuellen differenzialdiagnostischen Absicherung beitragen kann.
Statement 3-1-8
Eine abdominale Ultraschalluntersuchung sollte durchgeführt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Der Wert der Sonografie zum Nachweis eines RDS ist durch Studien nicht belegt. Dennoch
zählt sie zur allgemein üblichen und in praxi generell durchgeführten Basisdiagnostik
bei der initialen Abklärung chronischer abdominaler Beschwerden. Sie dient im Wesentlichen
dem Ausschluss von definierten Differenzialdiagnosen. Da die Aussagekraft einer Sonografie
in hohem Maße von den Untersuchungsbedingungen abhängt (z. B. akute Schallbedingungen,
Qualität des Geräts, Erfahrung des Untersuchers), wären prospektive Studien sinnvoll,
um bei dieser Fragestellung das Risiko von falsch positiven und falsch negativen Ergebnissen
besser einschätzen zu können.
Statement 3-1-9
Im Rahmen der Basisdiagnostik soll bei Frauen eine gynäkologische Ursache der Beschwerden
ausgeschlossen werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Eine Vielzahl von Studien belegt, dass typische Reizdarmsymptome zu den häufigsten
Erst- bzw. Frühsymptomen von Ovarialtumoren zählen. Da in diesen Fällen eine frühe
Diagnosestellung lebenswichtig ist, sollte bei Frauen grundsätzlich frühzeitig eine
gynäkologische Abklärung erfolgen. Dies gilt gerade auch und insbesondere bei einer
kürzeren (< 1 Jahr) Beschwerdedauer [291 ]
[292 ]
[293 ]
[294 ]
[295 ]
[296 ]
[297 ] (vgl. auch Kommentar zu Statement 3-1-3).
Statement 3-1-10
Patienten mit V. a. Reizdarmsyndrom können nach Durchführung der Basisdiagnostik probatorisch
therapiert werden, ohne dass eine Sicherung der Diagnose erfolgt ist.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
In Abhängigkeit von der individuellen Konstellation (z. B. Muster, Schwere, Dauer
und Dynamik der Symptome, subjektiver Leidensdruck, Sorgen bzw. Abklärungswunsch und
Alter des Patienten) muss eine weiterführende Ausschlussdiagnostik, insbesondere eine
Ileokoloskopie, nicht in jedem Einzelfall erforderlich erscheinen. Vielmehr kann nach
Abwägung der o. g. Aspekte eine probatorische Behandlung medizinisch vertretbar und
gerechtfertigt sein. In diesen Fällen kann aber die Diagnose „Reizdarmsyndrom” (noch)
nicht als gestellt gelten; sie sind als unabgeklärte Abdominalbeschwerden zu betrachten.
Statement 3-1-11
Um die Diagnose eines Reizdarmsyndroms zu sichern, sollte beim Erwachsenen eine Ileokoloskopie
zur Ausschlussdiagnostik durchgeführt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Die Ileokoloskopie hat einen besonders hohen Nachweis- und Ausschlusswert relevanter
Differenzialdiagnosen [282 ]
[283 ]
[284 ]
[303 ]. Sie ist hierbei besonders geeignet, entzündliche oder bösartige Beschwerdeursachen
auszuschließen. Dies kann auch zur Beruhigung des Patienten beitragen. Bei typischer
und schwerwiegender Symptomatik eines Reizdarmsyndroms im Sinne der Definition kommt
ihr somit ein unverzichtbarer Stellenwert im Rahmen des diagnostischen (und auch therapeutischen)
Managements zu. Dies gilt unabhängig von ihrer Rolle im Rahmen der Kolonkarzinom-Vorsorge
und insbesondere auch bei einer kürzeren (< 1 Jahr) Beschwerdedauer [282 ] (vgl. auch Kommentar zu Statement 3-1-3).
Statement 3-1-12
Besteht Diarrhö als wesentliches Symptom, soll grundsätzlich eine eingehende diagnostische
Abklärung einschließlich Erregerdiagnostik im Stuhl sowie endoskopischer (inklusive
Stufenbiopsien) und funktionsdiagnostischer Untersuchungen durchgeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Bei Patienten mit chronischer Diarrhö lässt sich in der Mehrzahl der Fälle eine identifizierbare
und therapierbare zugrunde liegende Störung nachweisen (vgl. auch Kommentar zu Statement
3-1-3) [303 ].
Statement 3-1-13
Die Diagnostik soll individuell unter Einbeziehung endoskopischer, bildgebender, funktionsdiagnostischer
und ggf. weiterer Verfahren erweitert werden, um wichtige differenzialdiagnostische
Krankheitsbilder ([Tab. 3-1 ]) auszuschließen, die typische Reizdarmsymptome verursachen können und die nicht
bereits durch die Basisdiagnostik erfasst wurden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Das Programm der weiterführenden, insbesondere der apparativen Diagnostik sollte an
die individuell auszuschließenden Differenzialdiagnosen angepasst werden (z. B. [282 ]
[283 ]
[284 ]
[285 ]
[290 ]
[303 ] (vgl. auch Kommentar zu Statement 3-1-3). Kriterien können u. a. sein: Alter des
Patienten, Intensität und Muster der hauptsächlichen Beschwerden, Symptomdauer und
Symptomdynamik. Zum Spektrum der erweiterten Diagnostik zählt auch eine psychologische
Evaluation (siehe auch Kapitel 4 und Kapitel 6).
Statement 3-1-14
Tests zum Nachweis sog. „Disease Marker” (Biomarker) als positive Diagnosekriterien
des Reizdarmsyndroms sollten aufgrund derzeit unzureichender Evidenzlage nicht eingesetzt
werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Der sichere positive Nachweis eines RDS mittels spezifischer „Disease Marker” ist
derzeit nicht grundsätzlich möglich und kann in der Routinediagnostik derzeit nicht
empfohlen werden. Allerdings wurde in den vergangenen Jahren eine Reihe von unterschiedlichen
Veränderungen bei RDS-Patienten nachgewiesen, von denen einige möglicherweise in der
Zukunft auch als diagnostische Unterstützung herangezogen werden könnten (vgl. Kapitel
2 und [Tab. 2-1 ]).
Wichtige Beispiele sind:
Viszerale Hypersensitivität: Diese kann mittels computergesteuerter Barostat-Messung bei einer Untergruppe der
Patienten nachgewiesen werden und weist dann auf ein RDS hin [150 ]
[304 ]. Umgekehrt hat das Fehlen einer viszeralen Hypersensitivität aber einen nur mäßigen
Ausschlusswert für das RDS [144 ]. Die Barostat-Methode ist derzeit nicht für die klinische Routine etabliert, auch
wenn sie in Einzelfällen hilfreich sein kann.
Blut-Biomarker: Ein in den USA zugelassener Blut-Screening-Test für das RDS („Prometheus® IBS diagnostics”)
testet eine Konstellation aus insgesamt 10 „RDS-Blut-Biomarkern” und kann damit angeblich
die Diagnose „Reizdarmsyndrom ” in Zusammenschau mit den übrigen klinischen Parametern
sichern. Der praktische Wert dieses Testes kann derzeit (noch) nicht eindeutig beurteilt
werden, denn die hierzu publizierte Evidenz ist unzureichend [305 ].
Genetische Analysen: Neue experimentelle Micro-Array-Studien deuten darauf hin, dass sich beim RDS Veränderungen
im Gen-Expressionsmuster z. B. des mukosalen Immunsystems finden. Inwieweit diese
Veränderungen in Abgrenzung zu anderen gastrointestinalen Erkrankungen spezifisch
für das Reizdarmsyndrom sind, muss noch genauer validiert werden. Möglicherweise bietet
diese neuartige Technik jedoch irgendwann die Möglichkeit, die Diagnose „Reizdarmsyndrom”
anhand von Mukosa-Biopsien direkt zu stellen [306 ].
Statement 3-1-15
Bei anamnestischen Hinweisen auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit sollte eine
probatorische, gezielte Eliminationsdiät erfolgen (Empfehlungsstärke ↑). Die Untersuchung
von IgG-Titern auf Nahrungsmittelallergene sollte nicht erfolgen (Empfehlungsstärke
↓).
[Evidenzgrad D, Konsens]
Kommentar
Unspezifische Unverträglichkeiten gegenüber bestimmten Nahrungsmitteln sind bei Patienten
mit RDS häufig; ihre gezielte Meidung kann zum Wegfall oder zur erheblichen Besserung
von Symptomen führen. Die klinische Signifikanz der Bestimmung von Serum-IgG-Titern
zur Detektion etwaiger Nahrungsmittelallergene ist demgegenüber ungesichert [288 ]
[307 ]
[308 ]
[309 ]
[310 ].
Statement 3-1-16
Die Bestimmung quantitativer Parameter der Stuhlflora (z.B „Darm-Ökogramm”) soll nicht
erfolgen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓↓, Konsens]
Kommentar
Die humane Kolon-Flora besteht zu > 99 % aus Anaerobiern, die bei einer Routine-Stuhlsammlung
nicht verlässlich erfasst werden können. Es gibt keine Daten, die belegen würden,
dass das Spektrum der in „Darm-Ökogrammen” identifizierbaren Aerobier die Symptome
des RDS bedingen.
3-2: Diagnostisches Vorgehen bei V. a. RDS bei Kindern (AG 9)
Statement 3-2-1
Nach den Rom-III-Kriterien sollten entzündliche, anatomische und metabolische Störungen
ausgeschlossen werden. Eine Reihe von Erkrankungen wie Kohlenhydratmalabsorptionen
hat phänotypische Überschneidungen zum RDS.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Aufgrund der Diagnose- und Einschlusskriterien gibt es keine Studien zum diagnostischen
Wert bestimmter Tests [135 ].
Statement 3-2-2
Die Basisdiagnostik/Erstlinien-Diagnostik soll bei Kindern eine sorgfältige und eingehende
Anamneseerhebung umfassen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Ziel ist v. a. eine gezielte Erfassung möglicher Alarmsymptome, die auf eine organische
Pathologie hindeuten. Als Alarmsymptome gelten: Gewichtsabnahme, Abnahme der Wachstumsrate;
gastrointestinaler Blutverlust; signifikantes Erbrechen; chronische, schwere Diarrhö;
persistierende rechtsseitige Oberbauchschmerzen oder rechtseitige Unterbauchschmerzen;
unerklärtes Fieber; positive Familiengeschichte für entzündliche Darmerkrankungen
[135 ]. Im gleichen Review konnten keine Beweise dafür gefunden werden, dass klinische
Charakteristika wie die Häufigkeit, Lokalisation, Zeitpunkt des Auftretens (z. B.
nächtliches Aufwachen aus dem Schlaf) zur Differenzierung zwischen organischen und
funktionellen Beschwerden dienen können [135 ]. Eruiert werden sollten auch mögliche Auslöser der Beschwerden (insbesondere Darminfektionen).
Statement 3-2-3
Zur Basisdiagnostik bei Kindern gehören weiterhin eine körperliche Untersuchung sowie
ein Basislabor.
Empfohlen werden folgende Labor-Untersuchungen:
BB, CRP o. BSG, Lipase, GPT, Gamma-GT, ges IgA, Gewebstransglutaminase-IgA-AK, TSH,
Kreatinin, BZ[3 ]
Urinstatus
Stuhl auf Giardia lamblia, Würmer
bei Diarrhö: Stuhluntersuchungen auf fäkale Inflammationsmarker (Calprotectin oder
Lactoferrin)
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Da die Normalität bestimmter Laborparameter zu den Inklusionskriterien von Studien
gehörte, gibt es keine belastbaren Aussagen zu dieser Fragestellung.
Neben einer Anamnese mit dem Abfragen der Warnsymptome, einer gründlichen klinischen
Untersuchung werden dennoch auch von der American Academy of Pediatrics einige Basis-Labortests
empfohlen [135 ]. Für die Bestimmung der fäkalen Inflammationsmarker sprechen Daten von Carrocio
[311 ] und Shulman [265 ].
Statement 3-2-4
Zum Ausschluss einer Kohlenhydratmalabsorption (Laktose, Fruktose) sollten bei Kindern
Wasserstoffexhalationstests durchgeführt oder entsprechende probatorische Eliminationsdiäten
versucht werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Wegen der hohen Prävalenz der Kohlenhydratmalabsorptionen und der ähnlichen Symptomatik
beider Störungsgruppen wird eine diesbez. Diagnostik empfohlen. Welches Kohlenhydrat
getestet werden sollte, muss nach einer Ernährungsanamnese entschieden werden.
Statement 3-2-5
Eine weiterführende Diagnostik soll bei Kindern erfolgen, wenn es Hinweise auf eine
somatische Erkrankung anhand von Anamnese, Untersuchungsbefund und Basisdiagnostik
gibt bzw. wenn Alarmzeichen vorliegen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Als Alarmsymptome/-Zeichen werden angesehen [135 ]:
Schmerzen abseits des Nabels
Ausstrahlung der Schmerzen
schwere Diarrhö
sichtbares Blut im Stuhl
Fieber
ungewollte Gewichtsabnahme
Wachstumsstörung
Menstruationsstörungen; Pubertas tarda
Leistungsknick
tastbare Resistenzen
familiäre Vorgeschichte entzündlicher Darmerkrankungen
Der diagnostische Wert spezifischer weiterführender Untersuchungen ist unklar. Für
den prädiktiven Wert der Sonografie wurde keine Evidenz nachgewiesen [312 ].
Ohne diagnostischen Wert sind z. B. folgende Untersuchungen:
Grundsätzlich sind invasive weiterführende Untersuchungen nur bei Vorliegen von Warnsignalen
vorzunehmen.
3-3: Abgrenzung des RDS von spezifischen Motilitätsstörungen des Dünn- und Dickdarms
(AG 10)
Neben den in Kapitel 3-1 und 3-2 angesprochenen Differenzialdiagnosen eines RDS ist
es ebenfalls wichtig zu beachten, dass sich auch spezifische Motilitätsstörungen des
Dünn- und Dickdarms mit RDS-Symptomen manifestieren können. Während bei milderen Krankheitsverläufen
eine klare Abgrenzung zum RDS nicht immer möglich ist bzw. durchaus überlappende Krankheitsbilder
und verwandte Pathophysiologien vermutet werden, sollte insbesondere bei schwereren
Verläufen eine definierte Motilitätsstörung als Differenzialdiagnose zum RDS in Betracht
gezogen und abgeklärt werden.
In diesem Kapitel sollen vor allem die möglichen Differenzialdiagnosen als Abgrenzung
zum RDS vorgestellt werden. Die ausführlichen Erläuterungen zur Pathophysiologie,
Diagnostik und Therapie der spezifischen Motilitätsstörungen des Dünn- und Dickdarms
werden in einer separaten Leitlinie abgehandelt (siehe Keller et al. S 3-Leitlinie
der DGVS und DGNM zu Definition, Pathophysiologie, Diagnostik und Therapie intestinaler
Motilitätsstörungen 2011).
Statement 3-3-1
Intestinale Motilitätsstörungen beruhen auf einer neuromuskulären Dysfunktion von
Dünn- und/oder Dickdarm einschließlich Rektum. Sie können primär, das heißt ohne verursachende
Erkrankung, oder sekundär infolge einer anderen Erkrankung/Störung auftreten.
Kommentar
Bei den primären Erkrankungen lassen sich in seltenen Fällen bestimmte genetische
Veränderungen nachweisen. Beim klinisch variablen Morbus Hirschsprung beispielsweise
liegt eine heterogene Vererbung vor; neben monogenen Formen sind polygen bedingte
Störungen bekannt. Zu den Ursachen einer sekundären intestinalen Motilitätsstörung
zählen neurologische oder rheumatologische Systemerkrankungen/Autoimmunerkrankungen,
toxische oder endokrine Neuropathien, Strahlenenteritis, eosinophile Gastroenteritis,
Angioödem, Paraneoplasien und postoperative oder postinfektiöse Zustände [313 ]
[314 ]
[315 ]
[316 ].
Statement 3-3-2
Prinzipiell wird pathophysiologisch zwischen intestinalen Neuropathien und Myopathien
unterschieden. Mischformen kommen aber ebenfalls vor, und die pathophysiologische
Bedeutung sonstiger Strukturen (interstitielle Cajal-Zellen, ICC; enterische Gliazellen)
wird zunehmend evident.
Kommentar
Die Motilität von Dünn- und Dickdarm wird maßgeblich durch folgende Zellsysteme innerhalb
der Darmwand reguliert: das enterische Nervensystem (ENS), die ICC und die glatte
Muskulatur. Neuropathische intestinale Motilitätsstörungen beruhen häufig auf einer
Affektion des enterischen Nervensystems, können aber auch durch Erkrankungen des autonomen
und/oder zentralen Nervensystems verursacht werden [313 ]
[314 ]
[315 ]. Viszerale Myopathien sind insgesamt selten und treten überwiegend kongenital (familiär
oder sporadisch) auf. Oft sind neben mehreren Abschnitten des tubulären Gastrointestinaltrakts
auch die Muskulatur von Gallen- und Harnblase betroffen. Enterische Mesenchymopathien
sind histopathologisch durch quantitative und morphologische Veränderungen der ICC
gekennzeichnet [317 ]
[318 ]
[319 ].
Statement 3-3-3
Bestimmte Formen des RDS sind histopathologisch durch neuromuskuläre Veränderungen
gekennzeichnet, die auch bei definierten chronischen Motilitätsstörungen vorliegen
können. Demnach könnte es sich um unterschiedliche Ausprägungsgrade einer intestinalen
neuromuskulären Dysfunktion handeln mit fließenden Übergängen zwischen den verschiedenen
Entitäten.
Kommentar
Die histopathologischen Veränderungen beim RDS tragen zum Verständnis der Pathogenese
bei [320 ], sind aber aufgrund der Heterogenität, des uneinheitlichen Auftretens und der unterschiedlichen
Ausprägung nicht geeignet für eine reliable histopathologische Diagnostik.
Statement 3-3-4
Als Motilitätsstörungen im engeren Sinn etabliert sind die chronische intestinale
Pseudoobstruktion (CIPO), die akute kolonische Pseudoobstruktion (ACPO, syn.: Ogilvie-Syndrom),
das idiopathische Megakolon/-rektum (IMC), der Morbus Hirschsprung, die „slow transit
constipation” (STC) und anorektale Funktionsstörungen (Beckenbodendyssynergie, Anismus,
Beckenbodenspastik).
Kommentar
Die CIPO ist eine schwere intestinale Motilitätsstörung, die intermittierend oder
chronisch zu (Sub-)Ileussymptomen (und entsprechenden Befunden bei der bildgebenden
Diagnostik) führt, ohne dass eine intestinale Obstruktion vorliegt. Motilitätsstörungen
betreffen vorwiegend den Dünndarm, können sich aber auch an allen anderen Abschnitten
des Magen-Darm-Traktes und im Bereich anderer Organe (Urogenitaltrakt) manifestieren
[313 ]
[314 ]
[315 ].
Die ACPO (Ogilvie-Syndrom) ist charakterisiert durch eine massive Kolondilatation,
die sich auf dem Boden einer Motilitätsstörung ohne Vorliegen einer mechanischen Obstruktion
im Verlauf weniger Tage entwickelt. Sie tritt bei Patienten mit gravierenden, akuten
Grunderkrankungen oder postoperativ auf [321 ]
[322 ]
[323 ].
Das idiopathische Megakolon/-rektum (IMC) ist definiert als anhaltende Dilatation
eines Kolonsegments, der keine organische Erkankung zugrunde liegt [324 ].
Der Morbus Hirschsprung ist durch ein angeboren tonisch-kontrahiertes, damit funktionell
obstruiertes distales Darmsegment mit konsekutiv massiv prästenotisch dilatiertem
Darm charakterisiert. Ursache ist das segmental völlige Fehlen von enterischen Nervenzellen
(Aganglionose) im Plexus myentericus und submucosus [316 ]
[325 ].
Die STC ist charakterisiert durch eine starke, das Krankheitsbild dominierende Verzögerung
des Kolontransits (cave: sekundäre Verzögerung des Kolontransits bei Stuhlentleerungsstörung
möglich). Betroffene (meist junge Frauen) sprechen oft selbst auf eine hoch dosierte
Laxantienbehandlung nicht an [326 ]
[327 ]
[328 ]. Die Beckenbodendyssynergie ist definiert als frustrane oder eingeschränkte Entleerung
trotz versuchter Defäkation mit Pressen bei Ausschluss eines mechanischen Entleerungshindernisses,
die auf einer willkürlich, aber unbewusst gesteuerten mangelnden Koordination zwischen
intrarektaler Druckerhöhung und Relaxation des Sphinkterapparats beruht [328 ]. Sekundäre Störungen von Dünn- und Dickdarmmotilität treten als Folge von Erkrankungen
wie Dumping-Syndrom, bakteriellem Dünndarmüberwuchs, Gallensäure-Malabsorption, Kohlenhydratmalabsorption
und bei chronischer Inflammation auf. Klinisch steht meist das Symptom Durchfall im
Vordergrund. Auch eine partielle Obstruktion des Darmlumens führt zu Änderungen der
Motilität [329 ].
Statement 3-3-5
Die Symptomatik lässt weder eine sichere Differenzierung zwischen mechanischer Obstruktion
und Motilitätsstörung noch zwischen etablierten Motilitätsstörungen und einem Reizdarmsyndrom
zu. Dies gilt insbesondere bei moderaten Beschwerden, die bei den meisten Patienten
vorliegen.
Kommentar
Zu den unspezifischen Symptomen intestinaler Motilitätsstörungen zählen Übelkeit,
Erbrechen, abdominelle Schmerzen, Völlegefühl, Blähungen, Diarrhö und/oder Obstipation.
Bei schweren intestinalen Motilitätsstörungen kann es (infolge einer bakteriellen
Fehlbesiedlung und/oder der reduzierten Absorptionskapazität des Darmes) zu Zeichen
der (generalisierten) Malabsorption kommen. Rezidivierendes Erbrechen und/oder chronische
Diarrhöen können zu sämtlichen Manifestationen der Exsikkose und des Elektrolytmangels
führen. Die Schwere der gastrointestinalen Symptome lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse
auf die zugrunde liegende Ursache zu. Schwerste Beschwerden im Sinne eines akuten
Abdomens/Ileus sprechen aufgrund der relativen Häufigkeit der Krankheitsbilder in
erster Linie für eine mechanische Obstruktion, können aber auch durch eine CIPO hervorgerufen
werden [313 ]
[314 ]
[315 ]. Die Schwere der gastrointestinalen Symptome lässt keine zuverlässigen Rückschlüsse
auf die zugrunde liegende Ursache zu. Schwerste Beschwerden im Sinne eines akuten
Abdomens/Ileus sprechen aufgrund der relativen Häufigkeit der Krankheitsbilder in
erster Linie für eine mechanische Obstruktion, können aber auch durch eine CIPO hervorgerufen
werden.
Statement 3-3-6
Die differenzialdiagnostische Abgrenzung ausgeprägter intestinaler Motilitätsstörungen
vom RDS ist bei Ausschluss einer mechanischen Obstruktion anhand der folgenden Kriterien
möglich: Ileus- bzw. Subileusepisoden (CIPO), morphologische Veränderungen wie Megakolon
und Megarektum, stark verzögerter Kolontransit (STC), Nachweis einer Beckenbodendyssynergie
(mit Ansprechen der Symptomatik auf gezielte Therapie), typische histopathologische
Befunde (Morbus Hirschsprung) bzw. ausgeprägte Veränderungen der neuromuskulären intestinalen
Strukturen und/oder der manometrisch zu erfassenden Motilitätsmuster.
Kommentar
Schwere der Symptomatik und deren Relevanz für Lebensqualität und Prognose rechtfertigen
bei Verdacht auf CIPO in aller Regel ausführliche und auch invasive diagnostische
Maßnahmen. Ziele der Diagnostik sind der Ausschluss relevanter Differenzialdiagnosen
(mechanische Obstruktion!), die Identifizierung sekundärer Formen, die Aufdeckung
der zugrunde liegenden Pathophysiologie und möglicher Komplikationen.
Diagnostisch wegweisend bei ACPO (Ogilvie-Syndrom) sind: klinisches Bild, Abdomenübersichtsaufnahme,
ggf. zusätzlich Abdomen-CT, Laboruntersuchungen zur Erfassung von Ursachen und Komplikationen
und in manchen Fällen eine vorsichtige Koloskopie bei unvorbereitetem Darm (auch therapeutisch)
[321 ]
[322 ]
[323 ].
Ein chronisches Megakolon kann so ausgeprägt sein, dass die Diagnose bei klinischen
Routineuntersuchungen offensichtlich ist, exakte diagnostische Kriterien sind aber
nicht etabliert. Ein Megarektum wird meist radiologisch gesichert. Die Diagnose idiopathisches
Megakolon/-rektum erfordert den Ausschluss möglicher Ursachen [324 ].
Zur Diagnostik des Morbus Hirschsprung werden üblicherweise die rektale Saugbiopsie
mit anschließender Untersuchung der Acethylcholin-Esterase (AchE)-Aktivität, die anorektale
Manometrie und Kolon-Kontrastdarstellungen eingesetzt [330 ].
Ziele der Diagnostik bei schwerer Obstipation sind der Ausschluss einer organischen
Ursache sowie die Differenzierung zwischen Kolontransitstörung (STC), Stuhlentleerungsstörung
und Obstipation bei normalem Kolontransit („normal transit constipation”, NTC). Grundlage
der Diagnostik bilden die ausführliche und gezielte Anamnese und die körperliche Untersuchung
einschließlich digitaler rektaler Untersuchung (bei Erwachsenen). Weitergehende Untersuchungen
werden bei Patienten mit Alarmsymptomen oder fehlendem Ansprechen auf übliche therapeutische
Maßnahmen empfohlen [326 ]
[327 ]
[328 ]
[331 ]
[332 ].
Teil IV – Allgemeine (symptomunabhängige) Therapieverfahren
Teil IV – Allgemeine (symptomunabhängige) Therapieverfahren
In diesem Abschnitt werden Therapieverfahren abgehandelt, die unabhängig vom dominanten
Symptom bei allen Patienten eingesetzt werden können. Hierzu zählen allgemeine, komplementäre,
alternative, diätetische und psychotherapeutische Maßnahmen.
Kapitel 4 – Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren
4-1: Allgemeine Grundsätze in der Therapie des RDS (AG 6)
Die folgenden Empfehlungen beschreiben allgemeine Prinzipien, die aus Sicht der Konsensusgruppe
für die praktische Therapie des Reizdarmsyndroms in Deutschland eine wichtige Rolle
spielen. Sie berücksichtigt eine Reihe von Besonderheiten der Erkrankung im Hinblick
auf ihre Manifestation (z. B. Symptomvielfalt und -wandel des klinischen Bildes) und
Therapie (z. B. keine gesicherte kausale Therapie, keine etablierte symptomatische
Standardtherapie), speziell im Rahmen unseres Gesundheitssystems (Verfügbarkeit zahlreicher
effektiver Medikamente nur als „Off-label”-Therapie, mitunter sogar ohne Zulassung
in Deutschland). Die Empfehlungen basieren im Wesentlichen auf der Meinung und praktischen
Erfahrung der Experten der Konsensusgruppe „Reizdarmsyndrom” und wurden im Plenum
der Konsensuskonferenz diskutiert und abgestimmt.
Statement 4-1-1
In der Therapie des RDS sollen dem Patienten grundsätzlich ein plausibles individuelles
Krankheitsmodell und ein kongruentes Behandlungskonzept vermittelt werden.
Hierbei sollen auch individuelle Triggerfaktoren gezielt eruiert und im Krankheitsmodell
und Behandlungskonzept berücksichtigt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Statement 4-1-2
Die medikamentöse Therapie soll symptomorientiert erfolgen. Ihr Erfolg misst sich
an der Symptombesserung und der Verträglichkeit.
Bei unzureichendem Therapieerfolg kann es erforderlich sein, sukzessiv unterschiedliche
Medikamente einzusetzen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Statement 4-1-3
Ein erfolgreiches medikamentöses Therapieregime kann fortgesetzt, verändert (z. B.
als Bedarfs- anstelle der Dauermedikation) oder im Sinne eines Auslassversuchs unterbrochen
werden. Diese Optionen gelten auch für nicht medikamentöse Behandlungskonzepte.
Hierüber sollte in Absprache mit dem Patienten sowie substanz- bzw. interventionsabhängig
entschieden werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Statement 4-1-4
Aufgrund der Heterogenität des Reizdarmsyndroms gibt es keine Standardtherapie. Deswegen
hat jede Therapie zunächst probatorischen Charakter; deren Dauer sollte a priori mit
dem Patienten besprochen werden.
Ein medikamentöser Therapieversuch ohne Ansprechen sollte nach spätestens (!) 3 Monaten
abgebrochen werden.
Für nicht medikamentöse Behandlungsansätze können abweichende Zeiträume gelten.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Statement 4-1-5
Bei nur partiellem Ansprechen auf eine Monotherapie und/oder zur Behandlung verschiedenartiger
Symptome können sowohl Kombinationen verschiedener Substanzen als auch Kombinationen
medikamentöser und nicht medikamentöser Behandlungen eingesetzt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Statement 4-1-6
Die Verwendung von nur für andere Indikationen zugelassenen Substanzen („Off-label”
-Therapien) kann notwendig sein und ist möglich, wenn nach der wissenschaftlichen
Datenlage ein therapeutischer Effekt erwartet werden kann. Aufgrund des benignen Verlaufs
des Reizdarmsyndroms sollte jedoch bei der Entscheidung hierfür eine sorgfältige individuelle
Risiko-Nutzen-Abwägung stattfinden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Statement 4-1-7
Bei therapierefraktärer, schwerer Symptomatik kann in Einzelfällen ein Behandlungsversuch
mit einem bislang nur im Ausland zugelassenen Wirkstoff sinnvoll sein. In solchen
Fällen wird die Konsultation eines spezialisierten Zentrums empfohlen.
Diesen Patienten sollte ferner die Möglichkeit zur Teilnahme an kontrollierten, klinischen
Behandlungsstudien ermöglicht werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
4-2: Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren beim RDS bei Erwachsenen
(AG 6)
Statement 4-2-1
Grundlegende Aspekte der Arzt-Patienten-Interaktion als Basis der RDS-Therapie
Der behandelnde Arzt soll dem Patienten ein schlüssiges pathophysiologisches Konzept
der Symptomgenese vermitteln. Hierbei sollte insbesondere über den Zusammenhang zwischen
Stress bzw. Emotionen und somatischer Symptomatik informiert werden. Mögliche (bedrohliche)
Differenzialdiagnosen sollen (ggf. durch interdisziplinäre Zusammenarbeit) für den
Patienten nachvollziehbar ausgeschlossen werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Psychophysiologische Erklärungsmodelle, die im Sinne einer „reattribution technique‘
Symptome mit Emotionen in Verbindung setzen, können hilfreich sein [333 ]. Eine positive Arzt-Patienten-Beziehung führt zu einer geringen Anzahl an Rekonsultationen
[274 ]. Hierbei ist es zudem sehr wichtig, bedrohliche Differenzialdiagnosen (insbesondere
Krebserkrankungen) für den Patienten nachvollziehbar auszuschließen [37 ]
[334 ]
[335 ]
[336 ]
[337 ]
[338 ]
[339 ]. Auch eine regelmäßige Terminvereinbarung zur Besprechung der empfohlenen Maßnahmen
zu Beginn der Betreuung kann angstreduzierend wirken, wobei der Betroffene selbst
den Abstand der Gespräche vorschlagen sollte. Persönliche Zuwendung im Rahmen der
Arzt-Patient-Interaktion, Selbsthilfegruppen, der normale zeitliche Krankheitsverlauf
und der Placeboeffekt können Faktoren sein, die zur einer symptomatischen Beschwerdebesserung
beitragen [274 ]
[301 ]
[340 ]
[341 ]
[342 ]
[343 ]
[344 ]
[345 ].
Statement 4-2-2
Symptombeeinflussung durch Lebensstil-Modifikation
Es gibt keine generellen Ernährungs- und Lebensstil-Empfehlungen beim Reizdarmsyndrom.
Der Patient kann aber Ernährungs- und Verhaltensvorgaben erhalten. Dabei sollten diese
auf der Beobachtung individueller Trigger der Symptomatik (z. B. Stress, bestimmte
Nahrungsmittel, Bewegungs- oder Schlafmangel etc.) oder bestehenden Komorbiditäten
(z. B. Depression) basieren.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Bezüglich evidenzbasierter Empfehlungen zu günstigen Veränderungen des Verhaltens
bzw. des Lebensstils (regulierter Tagesablauf, Änderung der Ernährungsgewohnheiten,
körperliche Aktivität) ist die aktuelle Datenlage unzureichend. In einer Studie hierzu
schien Rauchen oder moderater Alkoholkonsum die gastrointestinale Symptomatik jedoch
nicht zu beeinflussen [346 ].
Dennoch sind – unabhängig von der möglichen Beeinflussung der RDS-Symptomatik – allgemeine
Empfehlungen bezüglich einer gesunden Lebensführung (nicht rauchen, wenig Alkohol
trinken, bewusst essen, ausreichend bewegen, genug schlafen, Stressabbau u. v. a.
m.) im Rahmen der (haus-)ärztlichen Gesundheitsberatung wünschenswert (vgl. hierzu
die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Ernährungsmedizin).
Statement 4-2-3
Aktives Eingehen auf psychische Einflussfaktoren und individuelle Reaktionsmechanismen
des Patienten
Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom sollen psychische Einflussfaktoren (wie Stressfaktoren
in Beruf, Familie etc.), Angst und Depressivität sowie die Tendenz zu Somatisierung
(ggf. in interdisziplinärer Zusammenarbeit) erhoben werden. Dadurch kann der Behandlungserfolg
günstig beeinflusst werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens]
Kommentar
Bei komorbider Angst und Depression kann eine adäquate Behandlung dieser Störungen
auch die RDS-Symptomatik günstig beeinflussen (vgl. Kap. Psyche). Es liegen jedoch
bislang keine Studien vor, die untersuchten, ob sich ein Behandlungserfolg einstellt
oder verbessert, wenn auf Somatisierung eingegangen wird.
Zudem beeinflusst fortdauernder (v. a. häuslicher) Stress den Krankheitsverlauf [226 ].
Statement 4-2-4
Unterscheidung verschiedener Subtypen des Reizdarmsyndroms
Um Patienten mit Reizdarmsyndrom adäquat behandeln zu können, sollte eine Unterscheidung
zwischen Obstipationsprädominanz, Diarrhöprädominanz und wechselndem, gemischtem Stuhlverhalten
vorgenommen werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Diese Unterteilung ist insbesondere wichtig, wenn es um die Indikation von Medikamenten
geht (z. B. Antidiarrhoika, Laxanzien etc., siehe Kapitel 7 und 8, gezielte symptomorientierte
Therapie).
Es finden sich zudem Hinweise darauf, dass Patienten, die über den schnellen Wechsel
von Obstipation und hartem Stuhl zu Diarrhö und hoher Stuhlfrequenz klagen, auch stärker
durch ihre Symptome belastet sind als Patienten mit Diarrhö-dominantem Reizdarmsyndrom
und z. B. größere Tendenzen zu Somatisierung und eine höhere Prävalenz von psychiatrischen
Komorbiditäten zeigen [347 ].
Statement 4-2-5
Evaluation extraintestinaler Beschwerden bei RDS-Patienten
Bei Patienten mit Reizdarmsyndrom sollten auch weitere, extraintestinale körperliche
Beschwerden mit erfasst werden, um eine Somatisierungstendenz zu erkennen, die eine
spezifische Therapie erfordert.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Obwohl bislang keine Studie zur Verbesserung des Behandlungserfolgs des RDS durch
gleichzeitiges Eingehen auf komorbide extraintestinale körperliche Beschwerden (z.
B. Fibromyalgie, Chronic-Fatigue-Syndrom, Kopfschmerz und andere Schmerzensyndrome)
vorliegt, erscheint es sinnvoll, auf extraintestinale Komorbidität einzugehen, da
bei Nichterkennen einer Somatisierungstendenz die Interpretation von Symptomen und
die Einleitung einer adäquaten Therapie erschwert wird [83 ]
[84 ].
Statement 4-2-6
Die subjektive Einschätzung der Patienten
Die subjektive Einschätzung der Patienten zu Schwere und Auswirkungen ihrer Symptomatik
auf das tägliche Leben sollte erhoben werden, um ein Verständnis der Erkrankung und
ihrer Bedeutung für den Patienten zu gewinnen.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Im klinischen Alltag ist vorrangig die subjektive Einschätzung des Patienten wichtig;
diese korreliert jedoch nicht mit der gemessenen Symptomschwere, sondern damit, wie
sehr die Symptome das tägliche Leben beeinflussen [52 ]. Für eine entsprechende Evaluation ist im Allgemeinen eine ausführliche Anamnese
ohne spezielle Fragebogen ausreichend.
Messinstrumente zur Objektivierung, z. B. Functional Bowel Disorder Severity Index
(FBDSI), IBS Severity Scoring System (IBS-SSS) und Irritable Bowel Syndrome Impact
Scale (IBS-IS) sind daher insbesondere zu Studienzwecken sinnvoll.
Statement 4-2-7
Komplementäre oder alternative Therapieformen
Die Behandlung des Reizdarmsyndroms mit alternativen Therapieformen kann aufgrund
der unzureichenden Datenlage nicht empfohlen werden. Im Einzelfall können komplementäre
Therapieformen erwogen werden.
[Evidenzgrad A für Akupunktur, sonst C/D, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Trotz unzureichender Studienlage ist Yoga (wie auch autogenes Training, Tai-chi, Qigong
etc.) als aktive, längerfristig durchführbare sowie nebenwirkungsarme und kostengünstige
Form der körperorientierten Therapie anwendbar [348 ].
Bei insgesamt schwacher Datenlage zur Fußreflexzonenmassage gibt es bislang keinen
Anhalt für einen spezifischen Effekt der Behandlung [349 ]. Zudem ist die Passivität des Patienten bei diesem Verfahren als ungünstig zu beurteilen,
da die Evidenzlage bei funktionellen Störungen eindeutig aktive Verfahren favorisiert
[350 ].
Qualitativ hochwertige Studien zum Heilfasten fehlen derzeit, die vorliegenden Daten
deuten jedoch auf eine Verbesserung der Parameter RDS-spezifische Symptome, Depression,
Ängstlichkeit und Lebensqualität hin [351 ]. Der Einfluss des Heilfastens auf die Darmflora bei RDS-Patienten und die Nachhaltigkeit
eines möglichen positiven Effekts sind jedoch bislang ungeklärt. Um Komplikationen
wie Mangelerscheinungen, die Entwicklung einer Essstörung (z. B. Orthorexie) oder
eine generelle Angst vor erneuter Nahrungsaufnahme zu vermeiden, ist eine strenge
Berücksichtigung der Ausschlusskriterien für eine Teilnahme am Heilfasten (z. B. nicht
im Kindes- und Jugendalter durchführen!) notwendig. Deshalb sollte Heilfasten nur
in ausgewählten Fällen und ausschließlich unter streng kontrollierten Bedingungen
erwogen werden.
Die Studienlage zur Osteopathie ist unzulänglich, allerdings berichtet die einzige
vorliegende Studie positive Ergebnisse [352 ]. Jedoch ist die Passivität des Patienten als ungünstig zu beurteilen, da die Evidenzlage
bei funktionellen Störungen eindeutig aktive Verfahren favorisiert [350 ].
In einer Metaanalyse mehrerer Studien zur Akupunktur ergab sich kein Anhalt für einen
akupunkturspezifischen positiven Effekt bei RDS-Patienten [353 ]. Allerdings zeigten einige Studien einen deutlichen Placeboeffekt, sowohl bei Verum-
als auch bei Sham-Akupunktur, sodass eine Anwendung im Einzelfall erwogen werden kann
[354 ]
[355 ].
4-3: Allgemeine, komplementäre und alternative Verfahren beim RDS bei Kindern (AG
9)
Statement 4-3-1
Die Betreuung eines Kindes mit RDS sollte ggf. unter Einbeziehung psychosozialer Professionen
erfolgen. In therapierefraktären Fällen sollte frühzeitig ein Kindergastroenterologe
mit einbezogen werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Hierzu gibt es keine Studien. Wegen der Häufigkeit psychischer Komorbiditäten und
psychosozialer Belastungsfaktoren erscheint aber die Einbeziehung von psychosozialen
Professionen sinnvoll, auch zur Vorbereitung eventueller kognitiv-behavioristischer
Trainingsprogramme. Der pädiatrische Gastroenterologe bringt seine Expertise bezüglich
seltener organischer Erkrankungen und die erweiterten, spezifischen Diagnoseverfahren
(z. B. Endoskopie, Funktionstests) für die differenzierte Suche nach organischen Ursachen
ein.
Statement 4-3-2
In der Interaktion mit Kindern und Eltern sollten die Beschwerden der Kinder ernst
genommen werden. Funktionelle Beschwerdemodelle und das biopsychosoziale Bauchschmerzmodell
sollten nach entsprechender Vordiagnostik thematisiert werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Die Akzeptanz eines biopsychosozialen Krankheitsmodells durch die Eltern verbessert
den Outcome bei Kindern mit rezidivierenden Bauchschmerzen [356 ]. Eine Beratung bzw. eine Schulung der Eltern zum richtigen Umgang mit den Schmerzen
(„Ablenkung statt Verstärkung”) kann einen positiven Einfluss auf den Verlauf der
Schmerzsymptomatik haben [357 ].
Statement 4-3-3
Komplementäre oder alternative Therapieformen (Akupunktur, TCM, Homöopathie etc.)
sollten beim kindlichen RDS eher nicht angewendet werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Diese Therapieverfahren werden häufig angewendet [358 ], ihre Sicherheit und Wirkung sind bislang aber nicht dokumentiert. Ein starker Placeboeffekt
ist aufgrund der Daten zu placebokontrollierten Medikamentenstudien zu postulieren
[359 ]
[360 ].
Kapitel 5 – Ernährung
5-1: Diagnostische und therapeutische Rolle der Ernährung beim RDS bei Erwachsenen
(AG 5)
I. Einleitung
Das Thema „Ernährung” im Kontext von Reizdarmsyndrom (RDS) wird kontrovers diskutiert.
Zum einen ist unklar, ob Ernährungsfaktoren bei der Entstehung von RDS eine Rolle
spielen, zum anderen ist wenig bekannt, inwieweit ernährungsmedizinische Maßnahmen
sinnvoller Bestandteil eines Therapiekonzepts für Patienten mit RDS sein können. Nachdem
ein Paradigmenwechsel in der Definition des RDS zu erwarten ist, wonach das Krankheitsbild
nicht ausschließlich anhand von Symptomkonstellationen und Ausschluss anderer Erkrankungen,
sondern nach pathophysiologischen Veränderungen wie subklinische Entzündung, Störung
des Darmnervensystems oder Störung im Bereich der Darm-Hirn-Achse definiert wird,
kann erwartet werden, dass auch die Rolle der Ernährung in der Pathophysiologie des
RDS neu definiert werden muss. Derzeit ist lediglich festzuhalten, dass das RDS gegenüber
Nahrungsmittelunverträglichkeiten ( = immunologisch vermittelte Nahrungsmittelallergien
oder meist durch Enzymdefekte verursachte Nahrungsmittelintoleranzen) abgegrenzt werden
muss und dass nur wenige pauschale Ernährungsempfehlungen evidenzbasiert sind. Dem
steht eine Erwartungshaltung vieler Patienten bez. der Ernährungstherapie gegenüber,
die die evidenzbasierten Empfehlungen vielfach übersteigt. Da andererseits bekannt
ist, dass Placeboeffekt und Suggestion eine relevante Rolle in der Behandlung des
RDS spielen können, ist es möglich, dass durch eine allzu „nüchterne” Darstellung
der Evidenz ernährungstherapeutischer Maßnahmen wertvolle Therapieoptionen vertan
werden könnten. Schließlich ist zu berücksichtigen, dass das Fehlen einheitlicher
Ernährungsempfehlungen in keiner Weise ausschließt, dass individuelle Ernährungstherapien
wie beispielsweise auf subjektiven Unverträglichkeiten basierende Eliminationsdiäten
sehr erfolgreich sein können, ohne dass andere Erkrankungen als RDS nachgewiesen sind.
Daraus mag verständlich werden, warum hier präsentierte, nach strengen Kriterien geprüfte
Empfehlungen und therapeutischer Alltag manchmal divergieren. Trotz all dieser Limitationen
können 11 Empfehlungen ausgesprochen werden, die überwiegend mit starkem Konsens gestärkt
wurden.
Statement 5-1-1
Es gibt keine einheitliche Ernährungsempfehlung für alle Patienten mit einem Reizdarmsyndrom,
aber es gibt zahlreiche individuelle Ernährungsempfehlungen, die sich an den jeweiligen
Symptomen orientieren.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Der Evidenzgrad B dieser Äußerung basiert auf zahlreichen Arbeiten (aller Evidenzgrade
inklusive Grad I), die zu dieser Thematik negative Ergebnisse erbracht haben. Auf
deren Nennung wird verzichtet. Ebenso haben zahlreiche Arbeiten belegt, dass es für
Subgruppen von Patienten mit RDS evidenzbasierte Empfehlungen gibt, die im Folgenden
mit entsprechender Literatur dargestellt werden. Andererseits gibt es keine Arbeit,
die das Statement 5-1-1 als primäre Fragestellung adressiert. Aus diesem Grund wurde
der Evidenzgrad von A nach B abgestuft.
Statement 5-1-2
Ernährungsbezogene Empfehlungen für Patienten mit der Diagnose Reizdarmsyndrom vom
postinfektiösen Typ weichen nicht von den Empfehlungen für Patienten mit anderen Typen
des Reizdarmsyndroms ab.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Da die Pathogenese und die Pharmakotherapie des PI-RDS sich teilweise abgrenzen lassen
von anderen Formen des RDS, stellt sich die Frage, ob eine solche Differenzierung
auch sinnvoll oder gar notwendig ist, wenn es um Ernährungsempfehlungen geht. Allerdings
fehlen Studien, die spezielle Ernährungsempfehlungen für Patienten mit der Diagnose
RDS vom postinfektiösen Typ rechtfertigen. Vieles spricht dafür, dass die im Folgenden
ausgesprochenen Ernährungsempfehlungen beim PI-RDS ebenso gelten wie für andere Formen
von RDS. Möglicherweise wirken Probiotika bzw. probiotische Nahrungsmittel bei PI-RDS
besser als bei anderen Formen (s. u.). Dies könnte aus pathophysiologischen Überlegungen
abgeleitet werden (siehe Kapitel 2), ist aber bislang durch ernährungsmedizinische
Studien nicht belegt.
Statement 5-1-3
Es gibt keine ernährungsbezogenen Empfehlungen zur Prävention des Reizdarmsyndroms.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ←→ starker Konsens]
Kommentar
Studien, die ernährungsbezogene Empfehlungen zur Prävention des Reizdarmsyndroms rechtfertigen,
stehen aus.
II. Nahrungsmittelunverträglichkeiten und RDS
Statement 5-1-4
Bei Patienten mit Symptomen eines Reizdarmsyndroms sollten Hinweise auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten
mit geeigneten Methoden abgeklärt und im Fall der Bestätigung behandelt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Zur Behandlung sollten eine Aufklärung und Schulung zur Erkrankung erfolgen und eine
individuelle Ernährungsberatung durchgeführt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Hinweise auf Nahrungsmittelunverträglichkeiten ergeben sich aufgrund von Eigenanamnese
und Familienanamnese (letztere im Fall von Nahrungsmittelallergien). Sie können im
Zweifelsfall durch einen offenen oder einen doppelblinden, placebokontrollierten Provokationstest
verifiziert werden (double-blind placebo-controlled food challenge, DBPCFC). Die Grundlagen
der Nahrungsmittelallergien mit Manifestation am Gastrointestinaltrakt wurden an anderer
Stelle detailliert beschrieben [361 ]
[362 ]. Zur weiteren Abklärung einer Nahrungsmittelallergie wird auf die aktuelle Leitlinie
der Deutschen Gesellschaft für Allergologie und Klinische Immunologie (DGAKI) verwiesen
[363 ].
Für die Abklärung von Laktosemalabsorption sowie anderen Formen von Kohlenhydratmalabsorption
beispielsweise mittels H 2 -Atemtest wird auf die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Verdauungs- und
Stoffwechselerkrankungen (DGVS) und der Deutschen Gesellschaft für Neurogastroenterologie
und Motilität (DGNM) hingewiesen [364 ].
Die Evidenz für eine Ernährungsberatung im Fall einer nachgewiesenen Nahrungsmittelunverträglichkeit
ist hinreichend belegt: Eine Patienten-Schulung einschließlich Diätberatung beim RDS
verbessert die abdominale Schmerzsymptomatik [365 ]. Eine Aufklärung über die Erkrankung zusammen mit Lebensstil- und Diätberatung verbesserte
beim RDS die abdominale Symptomatik, dies ist allerdings nur bei überwiegender Diarrhö
nachgewiesen [366 ]. Ein einmaliges Schulungsprogramm zum RDS, einschließlich der Diätberatung führte
nach 6 Monaten dazu, dass mehr Patienten mit als ohne Schulung nicht mehr die Kriterien
eines RDS zeigten. Ein Effekt auf den Abdominalschmerz wurde nicht beobachtet [367 ]. Die Mehrheit der Patienten mit RDS empfand ihren Wissenstand über die Erkrankung
als unzureichend, etwa Œ der Patienten sah erhebliche Defizite in ihrem Wissen über
die Krankheit [337 ]. Eine probatorische Therapie kann in Einzelfällen zum Erfolg führen (Expertenmeinung).
Statement 5-1-5
Patienten mit Symptomen eines Reizdarmsyndroms und einer gesicherten Kohlenhydratmalabsorption
(z. B. von Laktose, Fruktose oder Sorbitol) sollten probatorisch eine an diesem zuckerarme
Kost verzehren.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Grundsätzlich kann gefragt werden, ob eine RDS-Symptomatik, die sich nach Kohlenhydrat-Elimination
bessert, aber nicht restlos verschwindet, als RDS klassifiziert werden sollte. Da
es aber in der Praxis viele unvermeidbare Überschneidungen zwischen RDS und Kohlenhydrat-Intoleranzen
gibt, soll hier auf die Thematik eingegangen werden.
Bei Patienten mit RDS und Fruktosemalabsorption, die auf eine fruktosearme Ernährung
angesprochen haben, führt die Reexposition gegenüber einer fruktosereichen Ernährung
in der Mehrzahl der Fälle zu einer Verschlechterung der Symptome [368 ]. Das Einhalten einer fruktosearmen Ernährung führt zur Symptombesserung, während
das Nichteinhalten der Diät die Symptome nicht bessert [369 ]. Patienten mit RDS und Fruktosemalabsorption erzielen nach einer Diätberatung bei
Einhalten der Diät ein besseres Ansprechen der Bauchbeschwerden als bei Nichteinhalten
der Diät [370 ]. In einer Querschnittsstudie der norwegischen Bevölkerung fand sich beim RDS kein
Zusammenhang zwischen den Tests für Malabsorption und der tatsächlich empfundenen
Nahrungsmittelunverträglichkeit [371 ]. In einer Kohorten-Studie wurde bei über 90 % der Patienten mit RDS eine Kohlenhydratmalabsorption
gefunden. Bei der Mehrzahl der Patienten kam es zu einer deutlichen Symptombesserung
unter einer im malabsorbierten zuckerarmen Ernährung [372 ]. Die Diät sollte mindestens 14 Tage andauern [372 ] und nur bei klarer Symptomminderung dauerhaft fortgesetzt werden.
Statement 5-1-6
Bei Patienten mit RDS und anamnestischen Hinweisen auf eine Nahrungsmittelunverträglichkeit
sollte eine gezielte Eliminationsdiät erfolgen.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Bei erwachsenen Patienten mit RDS ohne Hinweise auf eine Zöliakie kann eine glutenreduzierte
Diät versucht werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Eliminationsdiäten erfordern Verlaufskontrollen zur Vermeidung von Mangelernährung
und sollen nur bei Therapieansprechen dauerhaft durchgeführt werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑↑, Konsens]
Kommentar
Dieses Statement zielt auf Patienten ab, die Nahrungsmittelunverträglichkeiten überzeugend
und wiederholt angeben, ohne dass eine Nahrungsmittelallergie, eine Kohlenhydratmalabsorption
oder eine Zöliakie nach anerkannten diagnostischen Kriterien nachgewiesen werden konnte.
Die zweite Aussage des Statements beruht auf einer einzelnen, nicht randomisierten
Studie, in der an 145 Patienten mit RDS-D gezeigt wurde, dass eine glutenfreie Kost
zu einer Verbesserung der Beschwerde-Symptomatik sowie der Stuhlfrequenz führt [288 ], wobei die zugrunde liegenden Mechanismen unklar sind.
Dazu gehören auch Patienten mit RDS, die gleichzeitig deutlich erhöhte Serum-Titer
von IgG gegen Nahrungsproteine aufweisen. Diese Konstellation wird beobachtet, weil
viele Betroffene aus eigenem Antrieb eine „IgG-Diagnostik” initiieren. In diesen Fällen
kann, insbesondere wenn die Symptomatik nicht auf die etablierte Pharmakotherapie
anspricht, für einen begrenzten Zeitraum die Elimination von Nahrungsmitteln, die
zu erhöhten IgG-Titern führen, versucht werden. Dies sollte allerdings nur bei dauerhaftem
Therapieansprechen fortgeführt werden. Hintergrund für diesen Hinweis ist eine gewisse
Studienlage, die für eine Besserung der RDS-Symptomatik nach Elimination von Nahrungsmitteln,
für die hohe IgG-Titer gemessen wurden, spricht [307 ]
[308 ]
[373 ]. Beispielsweise wurden in einer unkontrollierten Kohorten-Studie an 25 Patienten
mit RDS Nahrungsmittel mit einem IgG-4-Titer > 250 µg/l eliminiert. Nach 3 und 6 Monaten
zeigte sich eine signifikante Besserung der Abdominalbeschwerden unter Einschluss
des Schmerzes [307 ]. Dies wurde in neueren Studien bestätigt: In einer Pilotstudie an 20 Patienten,
die auf eine Pharmakotherapie refraktär waren, wurden auf der Basis von IgG-Ak Nahrungsmittel
eliminiert und eine Rotationsdiät durchgeführt. Es zeigte sich eine nachhaltige Besserung
der Reizdarmsymptomatik über 1 Jahr [309 ]. In einer Fallkontrollstudie an 58 therapierefraktären Patienten mit RDS wurden
36 Patienten einer Fastentherapie, 22 einer Pharmakotherapie plus Psychotherapie zugeführt.
Die Fastentherapie führte zu einem besseren symptomatischen Ergebnis [351 ]. Hintergrund des Benefits von Eliminationsdiäten basierend auf IgG-Titern ist weniger
wahrscheinlich ein allergisch/immunologischer Mechanismus wie bei der Nahrungsmittelallergie,
sondern eher eine gestörte Darmbarriere, die zu einem Anstieg von IgG-Ak gegen Nahrungsproteine
führen kann. Bei Fortsetzung der Therapie wegen guten klinischen Ansprechens muss
eine Mangelernährung im Verlauf ausgeschlossen werden.
Dies bedeutet nicht, dass es eine Empfehlung gibt für die Messung von IgG bzw. IgG4
bei Erwachsenen mit RDS und V. a. Nahrungsmittelunverträglichkeit. Im Gegenteil, die
allergologischen Fachgesellschaften auf nationaler und europäischer Ebene lehnen eine
Empfehlung solcher Diagnostik nach dem aktuellen Stand des Wissens explizit ab [310 ], was nicht verhindert, dass Betroffene aus eigenem Antrieb eine solche Diagnostik
initiieren und danach häufig einen Stellungnahme des Arztes erwarten.
III. Spezielle diätetische Interventionen: Probiotika, Ballaststoffe und Nahrungsergänzungsmittel
Statement 5-1-7
Ausgewählte Probiotika können in der Behandlung des RDS eingesetzt werden, wobei die
Wahl des Stammes nach der Symptomatik erfolgt.
[Evidenzgrad A
[4 ], Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Einzelheiten zum Evidenzgrad bestimmter Probiotika [Tab. 5-1 ].
Tab. 5-1 Evidenzgrade unterschiedlicher Probiotika-Stämme in Abhängigkeit des prädominanten
RDS-Symptoms.
Probiotika-Stamm
RDS Schmerz/Bläh-Typ
RDS Schmerztyp
RDS Obstipationstyp
Bifidobacterium infantis 35 624
B
Bifidobacterium animalis ssp. lactis DN-173 010
B
C
Lactobacillus casei Shirota
B
B
Lactobacillus plantarum
C
Lactobacillus rhamnosus GG
B[1 ]
E. coli Nissle 1917
C
Kombinationspräparate
C
1Nur an Kindern gezeigt.
Kommentar
Das Thema Probiotika und RDS ist in weiten Kreisen der Ärzteschaft ein kontroverses
Thema, was gleichermaßen auf unberechtigte Vorbehalte wie auf ungenügende Studienlage
zurückzuführen ist. Die neuere Literatur macht deutlich, dass nicht generell gesagt
werden kann, dass Probiotika zur Therapie des RDS wirksam oder nicht wirksam sind,
sondern dass differenziert werden muss, welche probiotischen Spezies bzw. welcher
Stamm bei welcher Patientengruppe nachweislich wirksam oder unwirksam ist. Durch eine
solche differenzierte Betrachtungsweise wird die Materie komplexer, aber auch realistischer,
und vermeintliche Widersprüche können teilweise erklärt werden [374 ]. Jedenfalls liegen inzwischen auf randomisierten kontrollierten Studien (RCT) basierende
Metaanalysen und systematische Reviews vor [375 ]
[376 ]
[377 ], die trotz aller methodischer Limitationen einzelner Studien zeigen, dass bestimmte
Probiotika wie B. infantis in der Mehrzahl der vorliegenden RCT wirksam sind [375 ]. Aufgrund der methodischen Limitationen wurde der Evidenzgrad dennoch von A nach
B abgestuft.
Einzele RCT liegen auch für andere Probiotikaspezies vor wie B. animalis [378 ], Lactobacillus casei Shirota [379 ], Lactobacillus plantarum [380 ]
[381 ]
[382 ]. Betont werden muss auch, dass die Statements nicht exkludieren, dass andere als
die genannten probiotischen Stämme da und dort wirksam sein können, aber die evidenzbasierte
Medizin kann sich nur auf solche beziehen, für die eine entsprechende Studienlage
bereits vorliegt. Bifidobacterium animalis ssp. lactis DN-173 010 und Lactobacillus
casei Shirota sind in entsprechend gekennzeichneten, aber in normalen Lebensmittelgeschäften
verfügbaren Joghurts bzw. Trinkjoghurts erhältlich. Lactobacillus plantarum wird als
Komponente in Synbiotika auf dem Markt angeboten. Bifidobacterium infantis wird weltweit
als Nahrungsergänzungsmittel vermarktet.
Eine einzelne RCT-Studie an 104 Kindern mit RDS, funktionellen Bauchschmerzen (FBS)
oder funktioneller Dyspepsie (FD) zeigte einen Rückgang der Schmerzsymptome nach Gabe
von Lactobacillus GG (LGG) im Vergleich zur Placebogruppe (25 vs. 9,6 %, NNT 7, 95
% CI: 4 – 123), allerdings nur in der RDS-Gruppe (n = 37), nicht in der FBS- oder
FD-Gruppe [383 ]. Mittels RCT an 48 Patienten wurde die Wirksamkeit der Kombinationsmischung bestehend
aus B. longum, B. infantis, B. breve, L. acidophilus, L. plantarum, L. bulgaricus,
S. thermophilus (nur als Nahrungsergänzungsmittel erhältlich) belegt [384 ]. Das Probiotikum E. coli-DSM17252 ist ebenfalls wirksam getestet worden [385 ]. Ähnliche Ergebnisse liegen für die Kombination Lactobacillus rhamnosus – Bifidobactrium
breve – Propionibacterium freudenreichii vor [386 ]. Es wurden jeweils nur die neuesten Studien zitiert. Für andere Kombinationspräparationen,
die z. T. nicht auf dem deutschen Markt erhältlich sind, liegen ebenfalls vereinzelte
Studien vor, die hier nicht berücksichtigt wurden. Aufgrund der wenigen Studien mit
meist eher kleinen Fallzahlen wurde von Evidenzgrad B nach C abgestuft.
Eine RCT an 70 Patienten mit RDS-O zeigte, dass eine Flasche Trinkjoghurt 65 ml mit
Lactobacillus casei Shirota die Symptome der Obstipation nach 2 Wochen reduziert (89
versus 56 %), während Flatulenz und Blähungen unbeeinflusst blieben [379 ]. Möglicherweise ist dieser Effekt auf eine Änderung der bakteriellen Fermentationsleistung
im Darm zurückzuführen [387 ].
In einer 9-wöchigen RCT an 70 Patienten konnte die Wirksamkeit von E. coli Stamm Nissle
1917 auf Stuhlfrequenz und Stuhlkonsistenz bei Patienten mit RDS-O belegt werden [388 ]. Dies wurde in einer randomisierten, offenen, vergleichenden Therapiestudie bestätigt
[389 ]. Aufgrund der begrenzten Studienlage wurde Evidenzgrad C gewählt. In einer RCT wurde
an gesunden Frauen gezeigt, dass B. animalis DN 173 010 die Transitzeit reduziert.
Dies kann indirekt als Zeichen dafür gewertet werden, dass eine „Slow-Transit-Obstipation”
günstig beeinflusst wird [390 ]. Aufgrund des indirekten Nachweises erfolgte eine Abstufung des Evidenzgrads nach
C. In einer kürzlich publizierten Phase-IV-Studie (Multicenterstudie, Fallserien)
an 3511 Patienten mit GI-Beschwerden wurde gezeigt, dass obstipative Symptome des
RDS mittels probiotischer Therapie positiv beeinflusst werden konnten [391 ]. Ähnliche Ergebnisse wurden in einer monozentrischen Studie mit 150 RDS-Patienten
erzielt [392 ].
Statement 5-1-8
Bei Erwachsenen mit Reizdarmsyndrom und überwiegend obstipativen Beschwerden können
Ballaststoffe zur Behandlung eingesetzt werden. Dabei sollten lösliche Ballaststoffe
wie Psyllium/Plantago und Ispaghula bevorzugt verwendet werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Ballaststoffe werden bei Erwachsenen vorwiegend in der Behandlung des RDS vom Obstipationstyp
diskutiert. Allerdings könnten sie auch Nebenwirkungen wie verstärkte Blähungen induzieren.
Als alleinige Therapie scheinen sie von begrenzter Bedeutung zu sein, allerdings könnte
sie eine sinnvolle, ergänzende, empirische Therapie insbesondere bei RDS-Patienten
mit Obstipation sein, die wenige Ballaststoffe zu sich nehmen [393 ]
[394 ]. Wichtig ist es, mit niedrigen Dosen zu beginnen und diese stufenweise und behutsam
je nach Verträglichkeit zu steigern [395 ]. Andererseits nehmen Patienten mit RDS mehr Ballaststoffe zu sich als entsprechende
Kontrollpersonen [396 ].
Bei Erwachsenen gibt es mehrere kleine Studien, die zeigen, dass Ballaststoffe zur
Therapie des RDS effektiv sein können, wobei die Daten teilweise widersprüchlich sind.
Deshalb wurde insgesamt der Evidenzgrad B gewählt. In einer kleinen randomisierten
kontrollierten Studie an 14 Patienten pro Behandlungsarm war Weizenkleie nicht besser
als Placebo in ihrer Wirkung auf die Abdominalsymptome [397 ]. In einer weiteren randomisierten klinischen Studie an 28 Patienten pro Behandlungsarm
war eine ballaststoffreiche Kost (30 g Ballaststoffe/Tag) nicht besser in ihrer Wirkung
auf abdominale Symptome als eine ballaststoffarme Kost (10 g/Tag) [398 ]. In einer Metaanalyse aus 17 Studien zur Wirkung von Ballaststoffen ergab sich eine
geringfügige Besserung der gesamten Abdominalbeschwerden unter Ballaststoffen [399 ]. Dieser Effekt war ausgeprägter bei überwiegender Obstipation. Ballaststoffe waren
nicht wirksam in der Verbesserung der sonstigen Abdominalbeschwerden. Lösliche Ballaststoffe
wie Psyllium, Ispaghula und Kalziumpolycarbophil waren wirksam, während unlösliche
wie Korn und Weizenkleie nicht wirksam waren [400 ]. In einer kontrollierten randomisierten Studie wurden 30 g Weizenkleie pro Tag mit
5 g partiell hydrolisiertem Guar Gum verglichen. Symptomerleichterung und Verträglichkeit
waren besser unter Guar Gum [401 ].
Aufgrund möglicher synergistischer Effekte kann in der Behandlung des Reizdarmsyndroms
eine Kombination aus Ballaststoffen und ausgewählten Probiotika versucht werden [402 ]. Um die positiven Effekte von Ballaststoffen beim Reizdarmsyndrom vom Obstipationstyp
zu steigern, sollte auf eine ausreichende Trinkmenge am Tag entsprechend den Empfehlungen
der Deutschen Gesellschaft für Ernährung (DGE) geachtet werden [399 ].
Statement 5-1-9
Auch bei Patienten mit Reizdarmsyndrom vom Diarrhö-Typ oder vom Schmerz-Typ können
lösliche Ballaststoffe zur Therapie eingesetzt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Auch bei Patienten mit Schmerz/Bläh- und Diarrhö-Typ können Ballaststoffe erfolgreich
eingesetzt werden [403 ]
[404 ]. Brot hat keinen anhaltenden positiven Effekt [405 ]
[406 ]. In einer kleinen RCT konnte gezeigt werden, dass Psyllium (2 × 3,4 g) und Methylcellulose
(2 × 2 g) keine vermehrte Gasproduktion bewirken [407 ]. Die genannten löslichen Ballaststoffe sind auf dem deutschen Markt in verschiedenen
Präparaten erhältlich.
Statement 5-1-10
Bei Kindern sollten Ballaststoffe in der Behandlung von Reizdarmsyndrom, rekurrierenden
abdominalen Schmerzen und chronischer Obstipation eher nicht eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Bei Kindern sind Ballaststoffe in Metaanalysen nicht effektiv in der Behandlung von
RDS, rekurrierenden abdominalen Schmerzen und chronischer Obstipation [408 ]
[409 ], wenngleich einzelne Studien für ausgesuchte Ballaststoffe positive Ergebnisse erzielten
[410 ].
Statement 5-1-11
Nahrungsergänzungsmittel (außer Pro- und Präbiotika[5 ]) werden zur Behandlung des Reizdarmsyndroms nicht empfohlen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ←→, starker Konsens]
Kommentar
Es gibt keine ausreichende Studienlage, die eine evidenzbasierte Empfehlung erlauben
würde. Ausnahmen sind nachgewiesene Mangelzustände, die unabhängig von der Diagnose
RDS eine Indikation zur Supplementation sein können.
5-2: Diagnostische und therapeutische Rolle der Ernährung beim RDS bei Kindern (AG
5, AG 9)
Statement 5-2-1
Zur Therapie des Reizdarmsyndroms bei ausgewogen und altersgemäß ernährten Kindern
sollte die Ernährung nicht umgestellt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Bei offensichtlicher Fehlernähung sollte eine Nahrungsumstellung erfolgen, ebenso
bei nachgewiesener Nahrungsmittelunverträglichkeit, die aber die Diagnose RDS ausschließt
(vgl. Statement 1-1-1). Nach Cochrane-Analyse gibt es keine Evidenz für die Erhöhung
des Ballaststoffgehaltes der Nahrung [409 ].
Statement 5-2-2
Probiotika können bei Kindern versucht werden, insbesondere bei postenteritischer
Genese des Reizdarmsyndroms oder prädominanter Diarrhö.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Eine einzelne RCT-Studie an 104 Kindern mit RDS, funktionellen Bauchschmerzen (FBS)
oder funktioneller Dyspepsie (FD) zeigte einen Rückgang der Schmerzsymptome nach Gabe
von LGG im Vergleich zur Placebogruppe (25 vs. 9.6 %, NNT 7, 95 % CI: 4 – 123), allerdings
nur in der RDS-Gruppe (n = 37), nicht in der FBS oder FD-Gruppe [383 ] (siehe auch Statement 5-1-7). In einer anderen Studie zu LGG und Kindern mit RDS
konnte keine Reduktion von Symptomen durch Therapie mit LGG nachgewiesen werden bis
auf eine geringere Inzidenz von empfundener abdominaler Distension in der Verumgruppe
[383 ]
[411 ].
Statement 5-2-3
Bei Kindern sollten Ballaststoffe in der Behandlung von Reizdarmsyndrom, rekurrierenden
abdominalen Schmerzen und chronischer Obstipation eher nicht eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Bei Kindern sind Ballaststoffe in Metaanalysen nicht effektiv in der Behandlung von
RDS, rekurrierenden abdominalen Schmerzen und chronischer Opstipation [408 ]
[409 ], wenngleich einzelne Studien für ausgesuchte Ballaststoffe positive Ergebnisse erzielten
[410 ].
Kapitel 6 – Psyche
6-1: Diagnostische und therapeutische Rolle der Psyche beim RDS bei Erwachsenen (AG
4)
Statement 6-1-1
Psychische Komorbiditäten können mit einem einfachen, auch im klinischen Alltag einsetzbaren
psychometrischen Instrument (z. B. Hospital Anxiety Depression Scale, HADS; Patient
Health Questionnaires, PHQ) gescreent werden. In der Praxis kann die Befragung nach
Angststörung und depressiven Symptomen ausreichen. Bei bestehendem Verdacht sollte
eine fachgerechte psychiatrisch/psychologisch/psychosomatische Untersuchung erfolgen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Bei den deutschen Versionen der HADS-D [412 ] und des PHQ-D [413 ] handelt es sich um einfache psychometrische Tests, die mit wenigen Fragen erlauben,
abzuschätzen, ob eine Depression, eine Angststörung oder eine andere psychische Auffälligkeit
vorliegen. Während ein erfahrener Arzt dies auch mit eigenen Fragen ermitteln kann,
wird dem Unerfahrenen hier eine Hilfe angeboten.
Statement 6-1-2
Trauma und Missbrauch sollten bedacht und vorsichtig exploriert werden. Bei Bedarf
sollte eine psychologisch/psychosomatische Betreuung veranlasst werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Psychischer Stress und Missbrauch scheinen sowohl in der Entstehung als auch im Symptomverlauf
eine Rolle beim Reizdarmsyndrom zu spielen [414 ]
[415 ].
Es konnte keine diagnostische Studie identifiziert werden, die den Nutzen oder die
Effektivität einer spezifisch psychosomatischen Diagnostik auf hausärztlicher oder
internistisch-gastroenterologischer Ebene belegt, jedoch belegen epidemiologische
Studien den prädiktiven Wert von psychischen Beeinträchtigungen für die Entwicklung
und den Verlauf eines Reizdarmsyndroms [416 ]. Es scheint daher wichtig, solche Belastungsreaktionen bereits frühzeitig zu identifizieren
und in die Therapieplanung einzubeziehen [415 ].
Es gibt zwar deutliche Hinweise auf die Effektivität von Psychotherapien, jedoch ist
nicht nur die Zahl der Studien relativ gering, sondern auch die Qualität der Untersuchungen
oft eingeschränkt [417 ]
[418 ]. Dies gilt auch für die Studien, in denen sich die Hypnotherapie („gut directed
hypnotherapy”) als wirkungsvoll erwiesen hat [419 ]
[420 ].
Statement 6-1-3
Bei Hinweisen auf eine relevante psychosoziale Belastung oder psychische Komorbidität
soll eine psychologische Diagnostik und gegebenenfalls eine Psychotherapie veranlasst
werden. Dabei soll die allgemeine ärztliche Betreuung weitergeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, Konsens]
Kommentar
Insbesondere sind Psychotherapien für RDS-Patienten mit komorbiden psychischen Störungen
sowie solchen, die nicht auf die herkömmlichen medikamentösen Therapien ansprechen
(„second line”), geeignet [417 ]. Ob und inwieweit Psychotherapien bei RDS-Patienten mit psychischer Komorbidität
effektiver sind als bei RDS-Patienten ohne psychische Komorbidität, lässt sich derzeit
nicht beantworten, da die untersuchten Patientenkollektive fast ausschließlich aus
Tertiärzentren stammen.
Insbesondere die Langzeitwirkungen der Psychotherapie sind bislang nicht ausreichend
untersucht [421 ]. Psychotherapie wirkt jedoch sowohl auf die gastrointestinalen Symptome wie auf
die psychische Komorbidität und die Lebensqualität, und präliminäre Daten belegen,
dass diese Wirkungen unabhängig voneinander sind [422 ].
Statement 6-1-4
Entspannungstherapie (z. B. nach Jacobson, autogenes Training) sollte eher nicht als
Monotherapie durchgeführt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Statement 6-1-5
Psychotherapeutische Verfahren (darmbezogene Hypnose, kognitive Verhaltenstherapie,
psychodynamische Therapie) sind zur Therapie des RDS effektiv und sollten in ein Therapiekonzept
integriert werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑↑, starker Konsens – Gründe für Abstufung: Eingeschränkte
Anzahl und Qualität der metaanalysierten Studien]
Kommentar zu 6-1-4 und 6-1-5
Die meisten Studien haben kognitiv-behaviorale und psychodynamische Therapien untersucht,
während es zu den Verfahren Hypno-, Entspannungs- und Stressmanagementtherapie weniger
Untersuchungen gibt.
Es gibt deutliche Hinweise auf die Effektivität von Psychotherapien, jedoch ist nicht
nur die Zahl der Studien relativ gering, sondern auch die Qualität der Untersuchungen
oft eingeschränkt [417 ]
[418 ]. Dies gilt auch für die Studien, in denen sich die Hypnotherapie („gut directed
hypnotherapy”) als wirkungsvoll erwiesen hat [419 ]
[420 ].
Während sich aufgrund der Datenlage keine eindeutige Empfehlung für eine bestimmte
Therapieform ableiten lässt, ist relativ sicher nachgewiesen, dass Entspannungstherapien
als alleinige Therapiemethode nur eine geringe Wirkung haben [417 ]
[423 ].
Eine Therapieempfehlung in Abhängigkeit bestimmter Symptommuster (z. B. Diarrhö oder
Obstipation) lässt die Datenlage nicht zu.
Auf Patienten mit gastrointestinalen Problemen spezialisierte Psychotherapeuten sind
wahrscheinlich in der Psychotherapie des RDS vorteilhaft.
Statement 6-1-6
Eine abgestufte psychotherapeutische Intervention auf haus- und fachärztlicher Ebene
(„kleine Psychotherapie” = psychosomatische Grundversorgung) – beispielsweise zuerst
in Form von Selbsthilfestrategien (Patientenhandbuch) – kann durchgeführt werden,
da sie den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen kann.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Anhand einer großen randomisierten Studie mit 420 Patienten aus 54 hausärztlichen
Praxen [424 ] konnte die Effektivität eines Selbstmanagement-Handbuchs belegt werden. Auch die
Effektivität von Verhaltenstherapie, ausgehend von der hausärztlichen Praxis, realisiert
durch eine „practice nurse”, wurde belegt [425 ].
Unter Zusammenschau der bisherigen Studienergebnisse wird eine abgestufte psychotherapeutische
Intervention auf hausärztlicher Ebene für sinnvoll erachtet. Allerdings müssten die
Leistungserbringer/Praxisteams entsprechend dafür geschult bzw. ausgebildet werden.
Ein Selbstmanagementtagebuch in deutscher Sprache müsste erst entwickelt und validiert
werden.
Statement 6-1-7
Bei Vorliegen einer psychischen Komorbidität (Depression, Angststörung) können Antidepressiva
verschrieben werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Statement 6-1-8
Bei RDS vom Obstipationstyp sollen trizyklische Antidepressiva nicht verschrieben
werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓↓, Konsens]
Statement 6-1-9
Bei RDS-Obstipation können Serotonin-Wiederaufnahmehemmer (SSRI) insbesondere bei
im Vordergrund stehenden Schmerzen und/oder psychischer Komorbidität eingesetzt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Statement 6-1-10
SSRI sollten eher nicht zur Behandlung von Blähungen/Meteorismus eingesetzt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Statement 6-1-11
Trizyklische Antidepressiva zur Therapie der RDS-Symptome (Diarrhö, Schmerz) sollten
unterhalb der üblichen Dosis für eine antidepressive Wirkung eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar zu Statements 6-1-7 bis 6-1-11
Antidepressiva sind als wirksam auf die globale gastrointestinale Symptomatik (Schmerz,
Stuhlfrequenz und -konsistenz) wie auch auf die psychische Komorbidität (Depression,
Angst) beim Reizdarmsyndrom berichtet worden [417 ]
[426 ]. Dies gilt sowohl für die trizyklischen Antidepressiva als auch für die SSRI. Der
Wirkmechanismus ist weitgehend unklar [427 ].
In den neueren Studien wurden trizyklische Antidepressiva mit einer Dosierung von
10 – 50 mg pro Tag unterhalb der üblichen Dosierung einer effizienten antidepressiven
Medikation verwendet [417 ].
Nebenwirkungen antidepressiver Therapie sind allerdings oftmals gastrointestinaler
Natur und können daher die RDS-Symptomatik verschlechtern [417 ].
Eine spezifische Wirksamkeit bei speziellen Subtypen des RDS konnte nicht gezeigt
werden. Eine Langzeitwirkung oberhalb von 8 Wochen ist nicht gesichert.
Statement 6-1-12
Andere psychoaktive Substanzen sollten nicht verschrieben werden, wenn keine spezifische
Komorbidität dies erfordert.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Für Neuroleptika und Anxiolytika liegen keine gesicherten Studienergebnisse vor.
Statement 6-1-13
Bei Indikation zur Psychotherapie kann diese mit einer Psychopharmakotherapie kombiniert
werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Eine vergleichende Beurteilung der Wirksamkeit von Psychopharmaka und von Psychotherapien
lässt die Datenlage nicht zu, insbesondere nicht im Hinblick auf Langzeitwirkungen
sowie die Kosten. Die NNT wird für beide Verfahren auf etwa 4 Fälle berechnet [417 ]. Erfahrungen aus der Psychiatrie lassen eine Kombination als erfolgreicher erscheinen
als beide Verfahren allein.
6-2: Diagnostische und therapeutische Rolle der Psyche beim RDS bei Kindern (AG 9)
Statement 6-2-1
Die Betreuung eines Kindes mit RDS sollte ggf. unter Einbeziehung psychosozialer Professionen
erfolgen. In therapierefraktären Fällen sollte frühzeitig ein Kindergastroenterologe
mit einbezogen werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Hierzu gibt es keine Studien. Wegen der Häufigkeit psychischer Komorbiditäten und
psychosozialer Belastungsfaktoren erscheint aber die Einbeziehung von psychosozialen
Professionen sinnvoll, auch zur Vorbereitung evtl. kognitiv-behavioristischer Trainingsprogramme.
Der pädiatrische Gastroenterologe bringt seine Expertise bez. seltener organischer
Erkrankungen und die erweiterten, spezifischen Diagnoseverfahren (z. B. Endoskopie,
Funktionstests) für die differenzierte Suche nach organischen Ursachen ein.
Statement 6-2-2
Kinder mit funktionellen Bauchschmerzen sollten mit kognitivem Verhaltenstraining
oder Hypnose behandelt werden.
Symptomtagebücher und Entspannungsverfahren (z. B. Yoga) können als Teil des verhaltenstherapeutischen
Konzepts hilfreich sein.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Evidenz für Nutzen bei funktionellen Bauchschmerzen allgemein, keine spezifischen
Daten für Reizdarmsyndrom bei Kindern [428 ]
[429 ]
[430 ]
[431 ].
Statement 6-2-3
Amitriptylin sollte eher nicht für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt
werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Eine kleine Studie von Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren mit neu diagnostiziertem
RDS hat einen nur inkonsistenten Effekt auf die Schmerzen gehabt [432 ]. Eine größere Studie konnte bei 90 Kindern einen ausgezeichneten Effekt sowohl von
Placebo als auch von Amitriptylin nachweisen. Amitriptylin war aber Placebo bezüglich
der Schmerzen nicht überlegen, reduzierte allerdings signifikant Angstscores [359 ]. Andere Psychopharmaka wurden bei Kindern nicht untersucht.
Teil V – Gezielte (symptomorientierte) Therapie
Teil V – Gezielte (symptomorientierte) Therapie
Kapitel 7 – Therapie der RDS-Symptome Diarrhö und Schmerz
7-1: Therapie von Diarrhö und Schmerz beim RDS von Erwachsenen (AG 7)
A) Symptom Schmerz
Statement 7-1-1
Eine Behandlung von Schmerzen mit peripheren Analgetika (ASS, Paracetamol, NSAR, Metamizol)
sollte eher nicht durchgeführt werden.
[Evidenzgrad B (Paracetamol), Evidenzgrad D für andere Medikamente, Empfehlungsstärke
↓, starker Konsens]
Kommentar
Es liegen keine kontrollierten Studien zur Therapie des RDS mit ASS, NSAR und Metamizol
vor. In einer RCT war Paracetamol Placebo nicht überlegen [433 ]. In 2 RCT war Paracetamol nur in Kombination mit Butylscopolamin Placebo überlegen
[433 ]
[434 ]. Aufgrund der potenziellen Nebenwirkungen erfolgte eine Abstufung der Empfehlung.
Statement 7-1-2
Eine Behandlung von Schmerzen mit Opioiden und Opioidagonisten soll nicht durchgeführt
werden.
[Evidenzgrad A für κ-Agonisten, Evidenzgrad D für μ-Agonisten und klassische Opiate,
Evidenzgrad A für Opiatantagonisten, Empfehlungsstärke ↓↓, starker Konsens]
Kommentar
Es gibt keine Studiendaten zum Einsatz von klassischen Opiaten oder gezielten μ-Opiodagonisten
beim RDS. Hingegen wurden κ-Opioidagonisten (z. B. Fedotozine oder Asimadoline) untersucht,
wobei die Datenlage keine eindeutige, überzeugende Wirksamkeit belegt. Es zeigten
sich meist nur in Subgruppen-Analysen positive Effekte. Die Verträglichkeit schien
gut zu sein [435 ]
[436 ]
[437 ]
[438 ]. Bisher ist keine Substanz der κ-Opioidagonisten irgendwo zugelassen und verfügbar,
sodass keine Empfehlung ausgesprochen werden kann.
Aufgrund der unzureichenden Studienlage und der potenziellen gastrointestinalen Nebenwirkungen
der verfügbaren, klassischen Opiaten erfolgt eine Heraufstufung der negativen Empfehlung.
Opioidantagonisten wie Naloxon und Naltrexon wurden ebenfalls beim RDS getestet, ohne
dass eine eindeutige Wirksamkeit belegt werden konnte [439 ]
[440 ]
Statement 7-1-3
Eine Therapie von Schmerzen mit Spasmolytika sollte erfolgen.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In einer Metaanalyse wurden 22 RCT mit 1778 Patienten, die Spasmolytika mit Placebo
verglichen zusammengefasst. Das relative Risiko für anhaltende gastrointestinale Beschwerden
(inkl. Bauchschmerzen) lag für die Spasmolytika gesamt bei 0,68 (95 % CI 0,57 – 0,81),
für Otilonium (4 RCT, 435 Patienten) bei 0,55 (95 % CI 0,31 – 0,97), Hyoscin (3 RCT,
426 Patienten) bei 0,63 (95 % CI 0,51 – 0,78) und für Pfefferminzöl (4 RCT, 392 Patienten)
bei 0,43 (95 % CI 0,32 – 0,59) [441 ]. NICE [3 ] fasste 6 Studien zusammen, welche die Effekte auf Schmerz untersuchten. Spasmolytika
waren Placebo in der Schmerzreduktion überlegen. NICE [3 ] schlussfolgert, dass es eine mäßige Evidenz guter methodischer Qualität für die
Überlegenheit von Spasmolytika (vom Typ der Antimuskarine als auch der glatten Muskelrelaxantien)
gegenüber Placebo in der Schmerzreduktion gibt. Aufgrund der begrenzten Studiendauer
und der unterschiedlichen methodischen Qualität der RCT erfolgte eine Abstufung der
Empfehlung.
Statement 7-1-4
Eine Behandlung von Schmerzen mit löslichen Ballaststoffen kann durchgeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In einer Metaanalyse wurden 12 Studien mit 591 Patienten zusammengefasst. Das relative
Risiko für anhaltende gastrointestinale Beschwerden (inkl. Schmerzen) lag bei 0,87
(95 % CI 0,76 – 1,00). Positive Effekte waren auf Studien mit Ispaghula (5 Studien,
242 Patienten), RR 0,78 (95 % CI 0,63 – 0,96) beschränkt [441 ]. Aufgrund der unterschiedlichen Effektmaße konnte NICE keine valide Synthese der
Studiendaten bez. Schmerzreduktion durch Ballaststoffe durchführen. Daher erfolgt
eine Abstufung der Empfehlung [3 ].
Statement 7-1-5
Trizyklische Antidepressiva können bei Erwachsenen zur Therapie von Schmerzen eingesetzt
werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In einer Metaanalyse wurden 9 placebokontrollierte RCT mit 575 Patienten zusammengefasst.
Das relative Risiko von anhaltenden gastrointestinalen Symptomen (inkl. Schmerzen)
von trizyklischen Antidepressiva (TCA) im Vergleich zu Placebo war 0,68 (95 % CI
0,56 –0,83). Die NNT für eine Verhinderung der RDS-Symptompresistenz war 4 (95 % CI
3 – 8) [417 ]. Der Parameter Schmerz wurde in 2 Studien mit TCA erfasst. Die Evidenz für eine
Überlegenheit von TCA zu Placebo zur Schmerzreduktion ist daher eingeschränkt [3 ]. Daher erfolgte eine Abstufung der Empfehlung.
Statement 7-1-6
SSRI können bei Erwachsenen zur Therapie von Schmerzen eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In einer Metaanalyse wurden 5 placebokontrollierte RCT mit 230 Patienten zusammengefasst.
Das relative Risiko von anhaltenden gastrointestinalen Symptomen (inkl. Schmerzen)
von SSRI im Vergleich zu Placebo war 0,62 (95 % CI 0,45 – 0,87). Die NNT für eine
Verhinderung der RDS-Symptompresistenz war 3,5 (95 % CI 2 – 14) [417 ]. Es liegt keine schlüssige Evidenz für eine Überlegenheit von SSRI zu Placebo zur
Schmerzreduktion vor, da nur eine Studie dieses Outcome berichtete [3 ]. Daher erfolgte eine Abstufung der Empfehlung.
Statement 7-1-7
Für eine Behandlung von Schmerzen können in Einzelfällen 5-HT3-Antagonisten (z. B.
Alosetron) gegeben werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Eine positive Wirksamkeit von 5-HT3-Antagonisten auf Schmerzen und allgemeine Symptomlinderung
beim Diarrhö-prädominantem RDS wurde in mehreren prospektiven, randomisierten, doppelblinden,
placebokontrollierten Studien nachgewiesen und in Metaanalysen bestätigt [442 ]
[443 ]. Das Medikament ist allerdings nur in den USA im Rahmen eines speziellen Verschreibungsprogramms
zugelassen. Es dient als Reservemedikament für therapierefraktäre Patienten mit RDS-D,
da es neben häufiger Obstipation in seltenen Fällen (ca. 0,1 – 0,2 %) zum Auftreten
einer ischämischen Kolitis kommt.
Statement 7-1-8
Eine Behandlung von Schmerzen mit Probiotika kann durchgeführt werden
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Eine neue Metaanalyse [444 ] und ein systematisches Review [376 ] zeigen therapeutische Wirksamkeit von Probiotika. Neben dem allgemeinen Problem
unzureichender Qualität der meisten (Einzel-)Studien, besteht hier noch die Besonderheit,
dass verschiedenste probiotische Keime einzeln oder in Kombination getestet wurden,
sodass ein allgemeingültiges Statement zu Probiotika kaum möglich ist. Ganz überwiegend
wurde auch nur der allgemeine klinische Effekt bei RDS untersucht. Bezüglich Schmerzbesserung
gibt es 3 positive Angaben, 2 für Bifidobacterium infantis 35 624 [171 ]
[445 ] und eine für Lactobacillus plantarum [381 ] (vgl. Statement 5-1-7 und [Tab. 5-1 ]). Ausreichende Langzeitergebnisse einer probiotischen Therapie liegen nicht vor.
Statement 7-1-9
Eine Therapie von Schmerzen mit Antibiotika sollte eher nicht durchgeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Bei RDS gibt es neben Fallberichten auch kontrollierte Studien, ganz überwiegend zu
Rifaximin [446 ], aber auch vereinzelt zu Neomycin [447 ]. Behandlungsziel war meist eine bakterielle Überwucherung, Effekte auf RDS werden
allgemein beschrieben, aber nicht für einzelne Symptome wie Schmerzen. Langzeitergebnisse
sind nicht bekannt. Bei unklarer Wirkung auf das Symptom „Schmerzen’ und potenziellen
Nebenwirkungen der Therapie erfolgt eine Herabstufung in eine schwach negative Empfehlung.
Statement 7-1-10
Eine Therapie mit Pregabalin/Gabapentin sollte eher nicht durchgeführt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Ein Effekt von Pregabalin auf die Schmerzwahrnehmung wurde in einer kleinen placebokontrollierten
experimentellen Studie bei RDS Patienten mit Hypersensitivität nachgewiesen [448 ]. Es gibt aber bisher keine größere Studie zum therapeutischen Effekt auf klinische
Endpunkte des RDS. Da die Therapie mit Pregabalin/Gabapentin mit nennenswerten Nebenwirkungen
verbunden ist, erfolgt eine Abstufung der Empfehlung.
Statement 7-1-11
Eine Therapie von Schmerzen mit Phytotherapeutika kann durchgeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Vorbemerkung: Pfefferminzöl und Kümmelöl werden in der Kategorie Spasmolytika bewertet.
Das Cochrane Review 2006 [449 ] zu Phytotherapeutika umfasst 75 Studien mit 7957 Patienten. Endpunkte: Globaler
Symptomscore, RDS-Einzelsymptome; Ergebnisse: Einige Phytotherapeutika waren Kontrollen
bzgl. Endpunkten überlegen; nur 3 hochwertige RCT.
NICE [3 ] analysierte 3 RCT, in denen einzelne Phytotherapeutika, und 2 RCT in dem das Kombinations-Phytotherapeutikum
STW (-II) jeweils mit Placebo verglichen wurden. Nur für das Kombinations-Phytotherapeutikum
lag ein Schmerzscore vor. Das Kombinations-Phytotherapeutikum war Placebo bez. abdomineller
Schmerzen überlegen.
Statement 7-1-12
Eine Therapie von Schmerzen mit Aloe Vera sollte eher nicht erfolgen.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Es liegt ein systematisches Review mit Metaanalyse zu Aloe Vera vs. Placebo vor; Endpunkte:
Globaler Symptomscore, RDS-Einzelsymptome; Ergebnis: Aloe vera ist Placebo nicht überlegen
und hat potenziell relevante Nebenwirkungen [449 ]
[450 ].
Statement 7-1-13
Eine Therapie von Schmerzen mit Pankreasenzymen soll nicht erfolgen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓↓, starker Konsens]
Kommentar
Episodisch wird über den Einsatz von Pankreasenzymen beim RDS berichtet. Unklar ist
bei diesen Beschreibungen, ob eine Maldigestion bzw. Malabsorption differenzialdiagnostisch
ausgeschlossen wurde. Eine Datenlage und insbesondere placebokontrollierte Studien
bestehen hierzu nicht. Daher kann keine Empfehlung gegeben werden.
B) Symptom Diarrhö
Statement 7-1-14
Eine Unterscheidung in der Behandlung der meist vergesellschafteten Symptome Diarrhö
und imperativer Stuhldrang besteht nicht.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ←→, starker Konsens]
Kommentar
In der Rom-II-Klassifikation wurde nach Stuhlfrequenz, Stuhlkonsistenz, Stuhldrang
und Stuhlreiz klassifiziert, eine gute Übereinstimmung mit der Ätiologie und Behandlungsoptionen
ist jedoch nicht darstellbar. Daher ist während der Klassifikation des Reizdarms nach
Rom-III-Kriterien nur noch nach diarrhöischem und obstipiertem Typ unterschieden [2 ]
[347 ]
[451 ]
[452 ].
Statement 7-1-15
Loperamid kann bei Reizdarmpatienten im Erwachsenenalter zur Behandlung der Diarrhö
eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Drei prospektiv randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studien zeigen eine
therapeutische Wirksamkeit von Loperamid bei RDS-D [453 ]
[454 ]
[455 ]. Dies gilt insbesondere für die Symptome Stuhlkonsistenz und Stuhldrang, aber auch
für abdominelle Beschwerden dabei. Dabei berichtet die erste dieser 3 Studien allerdings
über eine Zunahme nächtlicher abdomineller Beschwerden unter Loperamideinnahme, was
das prinzipielle Risiko der Induktion einer Obstruktion reflektieren dürfte.
Statement 7-1-16
Aufgrund fehlender Evidenz kann Racecadotril bei Reizdarmpatienten zur Verbesserung
der Diarrhö nicht empfohlen werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ←→, starker Konsens]
Kommentar
Laut Hersteller gibt es keine schriftlichen Angaben über die Wirkung von Racecadotril
bei RDS.
Statement 7-1-17
Ballaststoffe können zur Behandlung der Diarrhö bei einem Diarrhö-dominanten RDS verwendet
werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Während wasserunlösliche Ballaststoffe die intestinale Transitzeit verkürzen und damit
der Obstipation im Rahmen eines RDS entgegenwirken können, eignen sich bei RDS-D insbesondere
lösliche Ballaststoffe für die Therapie. Auch wenn die meisten Studien zur anti-diarrhöischen
Wirkung an Patienten mit anderen Diarrhö-Formen durchgeführt worden sind, gibt es
zumindest eine prospektiv randomisierte doppelblinde placebokontrollierte Studie bei
RDS-Patienten, die in einer Subgruppenanalyse auch Diarrhö-dominante Patienten analysiert
hat und diese Schlussfolgerung unterstützt [401 ]. Der Wirkungsmechanismus beruht dabei auf ihrer Metabolisierung durch die bakterielle
Flora im Kolon und auf der konsekutiven Freisetzung kurzkettiger Fettsäuren mit ihrer
proabsorptiven Wirkung sowie dem gelatierenden Effekt mit Erhöhung der Stuhlkonsistenz.
Statement 7-1-18
Für eine Behandlung der Diarrhö können in Einzelfällen 5-HT3-Antagonisten (z. B. Alosetron)
gegeben werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Die Wirksamkeit von 5-HT3-Antagonisten zur Behandlung des Durchfalls beim Diarrhö-prädominantem
RDS wurde in mehreren prospektiven, randomisierten, doppelblinden, placebokontrollierten
Studien nachgewiesen [456 ]
[457 ]
[458 ]
[459 ]. Das Medikament ist allerdings nur in den USA im Rahmen eines speziellen Verschreibungsprogramms
zugelassen. Es dient als Reservemedikament für therapierefraktäre Patienten mit RDS-D,
da es neben häufiger Obstipation in seltenen Fällen (ca. 0,1 – 0,2 %) zum Auftreten
einer ischämischen Kolitis kommt.
Statement 7-1-19
Eine Behandlung der Diarrhö mit Cholestyramin kann durchgeführt werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Ein systematisches Review [460 ] zu Untersuchungen über Gallensäurenmalabsorption bei Diarrhö-prädominantem RDS zeigte
eine Prävalenz von 10 % mit schwerem, von 32 % mit mäßigem und von 26 % mit mildem
Gallensäurenverlust. Die der Schwere angepasste Therapie mit Cholestyramin war v.
a. bei ausprägtem Gallensäurenverlust sehr erfolgreich (96 %).
Statement 7-1-20
Eine Behandlung der Diarrhö mit Probiotika kann durchgeführt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Eine neue Metaanalyse [444 ] und ein systematisches Review [376 ] zeigen therapeutische Wirksamkeit von Probiotika. Neben dem allgemeinen Problem
unzureichender Qualität der meisten (Einzel-)Studien, besteht hier noch die Besonderheit,
dass verschiedenste probiotische Keime einzeln oder in Kombination getestet wurden,
sodass ein allgemeingültiges Statement zu Probiotika kaum möglich ist. Ganz überwiegend
wurde auch nur der allgemeine klinische Effekt bei RDS untersucht. Ausreichende Über
spezifische Effekte auf Diarrhö gibt es keine Angaben. Langzeitergebnisse einer probiotischen
Therapie liegen nicht vor.
Statement 7-1-21
Eine Behandlung der Diarrhö mit Antibiotika sollte eher nicht durchgeführt werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Bei RDS gibt es neben Fallzahlen auch kontrollierte Studien, ganz überwiegend zu Rifaximin
[446 ], aber auch vereinzelt zu Neomycin [447 ]. Behandlungsziel war meist eine bakterielle Überwucherung, Effekte auf RDS werden
allgemein beschrieben, aber nicht für einzelne Symptome wie Diarrhö. Langzeitergebnisse
sind nicht bekannt.
Bei unklarer Wirkung auf das Symptom „Diarrhö’ und potenziellen Nebenwirkungen der
Therapie erfolgt eine Herabstufung in eine schwach negative Empfehlung.
Statement 7-1-22
Eine Therapie mit Phytotherapeutika kann bei Stuhlunregelmäßigkeiten durchgeführt
werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Vorbemerkung: Eine eindeutige Aussage bzgl. Diarrhö lässt sich nicht machen, da in
den Studien bzw. Metaanalysen nicht die Outcomes Stuhlfestigkeit oder Frequenz, sondern
ein globaler Stuhl-Score verwendet wurde.
Pfefferminzöl und Kümmelöl werden in der Kategorie Spasmolytika bewertet.
Das Cochrane Review 2006 [449 ] zu Phytotherapeutika umfasst 75 Studien mit 7957 Patienten; Endpunkte: Globaler
Symptomscore, RDS-Einzelsymptome; Ergebnisse: Einige Phytotherapeutika waren Kontrollen
bez. Endpunkten überlegen; nur 3 hochwertige RCT;
NICE 2008 [3 ] analysierte 3 RCT, in denen einzelne Phytotherapeutika (Curcumin, Erdrauchkraut,
Schleifenblume), und 2 RCT, in dem das Kombinations-Phytotherapeutikum STW (-II) mit
Placebo verglichen wurden. Das Kombinations-Phytotherapeutikum, nicht aber die einzelnen
Phytotherapeutika waren Placebo bez. Stuhlnormalisierung überlegen.
Statement 7-1-23
Eine Therapie von Diarrhö mit Aloe vera sollte eher nicht erfolgen.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens, Gründe für Abstufung: unzureichende
Qualität der metaanalysierten Studien]
Kommentar
Es liegt ein systematisches Review mit Metaanalyse zu Aloe vera vs. Placebo vor; Endpunkte:
Globaler Symptomscore, RDS-Einzelsymptome; Ergebnis: Aloe vera ist Placebo nicht überlegen;
potenziell relevante Nebenwirkungen; Gründe für Abstufung: Geringe Zahl und unzureichende
Qualität der metaanalysierten Studien sowie Auftreten von Nebenwirkungen [449 ]
[450 ].
Statement 7-1-24
Spasmolytika können zur Therapie von Stuhlunregelmäßigkeiten eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Spasmolytika wie Mebeverin können Stuhlkonsistenz und -frequenz verbessern [404 ]
[461 ].
Statement 7-1-25
Eine Behandlung von Diarrhö oder Schmerz mit TCM/Kräutertherapie sollte eher nicht
durchgeführt werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Im NICE 2008 [3 ] wurden 6 Studien referiert. Endpunkte waren ein globaler Symptomscore sowie RDS-Einzelsymptome
und Lebensqualität. Bei sehr heterogener Studienlage, insbesondere was die Auswahl
der Rezepturen betrifft (spezifische Kräuter, Kombinationen, individualisierte vs.
Standardtherapie etc.), zeigten einige Rezepturen positive Effekte auf Symptome des
Reizdarmsyndroms. Aufgrund der unzureichenden Studienlage wird keine Therapieempfehlung
für die Praxis gegeben.
Ein weiteres, systematisches Review mit Metaanalyse [462 ] hat 19 Studien zur TCM Kräutertherapie eingeschlossen. Hier waren die Endpunkte
ein globaler Symptomscore sowie RDS-Einzelsymptome und Lebensqualität.
Auch hier keine Therapieempfehlung aufgrund der heterogenen Studienlage.
Ein Cochrane Review aus dem Jahr 2006 [449 ], mit insgesamt 75 Studien, davon 15 zur TCM Kräutertherapie, kommt zu ähnlichen
Schlussfolgerungen. Auch hier wird aufgrund der heterogenen Studienqualität keine
Therapieempfehlung abgegeben.
7-2: Therapie von Schmerzen und Diarrhö bei Kindern mit RDS (AG 9)
Statement 7-2-1
Verkapseltes Pfefferminzöl kann als Spasmolytikum bei Kindern und Jugendlichen eingesetzt
werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In einer Studie mit Pfefferminzöl für 2 Wochen wurde ein Effekt bei Kindern mit funktionellen
Bauchschmerzen nachgewiesen [463 ], der von der American Academy of Pediatrics als signifikant eingeschätzt wird [135 ], von einer Cochrane-Analyse hingegen nicht [464 ].
Statement 7-2-2
Amitriptylin sollte eher nicht für die Behandlung von Kindern und Jugendlichen eingesetzt
werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Eine kleine Studie von Jugendlichen zwischen 12 und 18 Jahren mit neu diagnostiziertem
RDS hat einen nur inkonsistenten Effekt auf die Schmerzen gehabt [432 ]. Eine größere Studie konnte bei 90 Kindern einen ausgezeichneten Effekt sowohl von
Placebo als auch von Amitriptylin nachweisen. Amitriptylin war aber Placebo bezüglich
der Schmerzen nicht überlegen, reduzierte allerdings signifikant Angstscores [359 ]. Andere Psychopharmaka wurden bei Kindern nicht untersucht.
Statement 7-2-3
Probiotika können bei Kindern versucht werden, insbesondere bei postenteritischer
Genese des Reizdarmsyndroms oder prädominanter Diarrhö.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Zwei Studien zu Probiotika (LGG) bei Patienten mit funktionellen Bauchschmerzen zeigen
keine Evidenz in der Gesamtpopulation [383 ]
[411 ]. In der kleinen Subgruppe von Kindern mit RDS fanden sich bei Gawronska [383 ] jedoch positive Effekte. Zu anderen Probiotika gibt es keine Studien.
Statement 7-2-4
Auf einen regelmäßigen Einsatz von Analgetika und chemisch definierten Spasmolytika
sollte zugunsten anderer Therapieverfahren verzichtet werden. In Ausnahmefällen können
sie zur punktuellen Schmerzbekämpfung eingesetzt werden.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Für den regelmäßigen Einsatz von Analgetika oder Spasmolytika für diese Indikation
gibt es keine Evidenz. Aufgrund der möglichen Risiken und der Verfügbarkeit anderer,
weniger riskanter Therapieverfahren sollte darauf verzichtet werden.
Kapitel 8 – Therapie der RDS-Symptome Obstipation und Blähungen
8-1: Therapie von Obstipation und Blähungen beim RDS von Erwachsenen (AG 8)
A) Symptom Obstipation
Die folgenden Empfehlungen betreffen das Reizdarmsyndrom mit vorherrschender Obstipation
(RDS-O). Eine Obstipation liegt vor bei einer Stuhlfrequenz unter 3 /Woche oder bei
Vorliegen einer harten Stuhlkonsistenz bei mehr als 25 % der Stuhlentleerungen [14 ]. Weitere Symptome können die Notwendigkeit zum Pressen, das Gefühl der blockierten
oder inkompletten Entleerung und/oder die Notwendigkeit der manuellen Mithilfe bei
der Entleerung bei mehr als 25 % der Stuhlentleerungen sein. Zur Definition des RDS
siehe Kapitel 1 „Epidemiologie und Definition”. Die Abgrenzung zwischen einem RDS-O
und einer funktionellen chronischen Obstipation kann dabei in der klinschen Routine
im Einzelfall schwierig sein, insbesondere wenn die Patienten mit einer funktionellen
Obstipation während einer schweren Obstipationsphase auch einmal über Bauchschmerzen
klagen. In den folgenden Empfehlungen wird dies berücksichtigt, indem die Therapieoptionen,
die auch für die chronische funktionelle Obstipation in Betracht kommen, im Rahmen
der Kommentare benannt werden. Nicht eingegangen werden kann im Rahmen dieser Empfehlungen
auf die Therapie spezifischer Obstipationsformen wie z. B. der Obstipation bei verzögertem
Kolontransit (siehe hierzu Kapitel 3-3 „Motilitätsstörungen in Abgrenzung zum RDS”)
sowie auf eine Obstipation im Rahmen einer anorektalen Entleerungsstörung.
I. Ballaststoffe (siehe auch Kapitel 5 „Ernährung”) und Laxanzien
Statement 8-1-1
Ballaststoffe in Form der wasserlöslichen Gelbildner wie z. B. Flohsamenschalen (Psyllium)
sollten bei RDS-O versucht werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Mehrere Metaanalysen haben den Effekt von Ballaststoffen bei RDS analysiert [4 ]
[400 ]
[441 ]
[465 ]
[466 ]. Dabei wird die Analyse erschwert durch die niedrige Studienqualität (u. a. kleine
Patientenzahl) vieler Studien. Zudem ist der Anteil der Patienten mit RDS-O in den
Studien unterschiedlich hoch oder es ist keine Subtypen-Spezifizierung erfolgt. Die
Metaanalysen sprechen für einen signifikanten Effekt von wasserlöslichen Ballaststoffen
wie z. B. Psyllium (Flohsamenschalen) oder, sofern erhältlich, Ispaghula und Kalziumpolycarbophil.
Dagegen erzielen, im Gegensatz zur Effektivität bei chronischer Obstipation [467 ], wasserunlösliche Ballaststoffe wie z. B. Weizenkleie keine signifikante Besserung
der RDS-Symptomatik und induzieren häufiger Blähbeschwerden [3 ]. Für weitere Details siehe Kapitel 5 „Ernährung”.
Statement 8-1-2
Osmotische Laxanzien vom Macrogoltyp können bei RDS-O gegeben werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Insbesondere bei Auftreten von Blähungen unter Ballaststofftherapie sollten Macrogol-Präparate
verwendet werden. Die Effektivität von Macrogol ist bei der chronischen Obstipation
durch eine Metaanalyse gesichert [467 ]. Für das RDS-O liegt nur eine kleine Studie bei Jugendlichen vor. Macrogol verbesserte
die Defäkationsfrequenz, hatte aber keinen Effekt auf die Schmerzintensität [468 ]. Daher kann trotz der nachgewiesenen Effektivität von Macrogol in der Therapie der
chronischen Obstipation für das RDS-O nur ein Evidenzgrad B ausgesprochen werden.
Statement 8-1-3
Neben Macrogol können bei RDS-O auch andere osmotische oder stimulierende Laxanzien
versucht werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Bezüglich Laxanzien gibt es nur Untersuchungen zur Therapie der chronischen Obstipation.
Gemäß einer Metaanalyse aus 2005 gibt es gute Evidenz für eine Therapie mit Macrogol
und eine ausreichende Evidenz für Laktulose [467 ]. Die Datenlage zu weiteren Laxantien (z. B. Senna-Präparate, Bisacodyl, Natriumpicosulfat)
ist zwar spärlich [467 ]
[469 ], an ihrer Wirksamkeit kann aber aus klinischer Sicht kein Zweifel bestehen. Die
typischen Nebenwirkungen z. B. in Form von Blähungen bei Laktulose oder krampfartigen
Bauchschmerzen bei den stimulierenden Laxantien können zur Verschlechterung der Begleitsymptomatik
des Patienten mit RDS-O führen. Daher wird von einer Verwendung von Laktulose bei
RDS-O eher abgeraten.
Mit Ausnahme der oben erwähnten Studie zur Macrogol-Therapie liegen keine kontrollierten
Daten zu Therapien des RDS-O mit anderen Laxanzienarten vor. Allerdings wiesen die
Studien zur Obstipationstherapie mit Macrogol und Laktulose stets einen größeren Anteil
von Patienten mit RDS-Symptomen (Schmerz, Blähungen) auf. Jedoch nur die Studie von
Medoff u. a. [470 ] hat protokollgemäß Patienten mit RDS-O (7 / 43) in eine offene Dosisfindungsstudie
zur Obstipationstherapie mit Natriumphosphattabletten eingeschlossen. Insgesamt sollten
aufgrund der eingeschränkten Datenlage und der Effektivität der alternativen Therapieoptionen
andere Laxanzien nur in Ausnahmefällen zur Therapie des RDS-O verwendet werden.
II. Prokinetika und Sekretagoga
Statement 8-1-4
Prucaloprid kann in therapierefraktären Fällen zur Therapie des RDS-O aufgrund der
nachgewiesenen Effektivität bei chronischer Obstipation versucht werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Für den 5-HT4-Agonisten Tegaserod liegen mehrere große placebokontrollierte, randomisierte
Studien sowie Metaanalysen vor mit Wirkungsnachweis zur Therapie des RDS-O und der
chronischen Obstipation [442 ]
[465 ]. Derzeit steht dieses Medikament jedoch nicht zur Therapie zur Verfügung, da es
aufgrund (seltener) Nebenwirkungen (Verdacht auf erhöhte Rate kardiovaskulärer Ereignisse)
vom Markt genommen wurde.
Für den 5-HT4-Agonisten Prucaloprid liegen zwar keine Studien zur Therapie des RDS-O
vor, Prucaloprid erwies sich aber in mehreren großen placebokontrollierten Studien
als effektiv in der Therapie der chronischen Obstipation [471 ]
[472 ]
[473 ]. Daher ist eine Empfehlung Grad B für das RDS-O möglich, wenn Ballaststoffe/Macrogol,
Phytopharmaka oder Probiotika/Antibiotika nicht effektiv sind.
Eine generelle Effektivität von 5-HT4-Agonisten in der Therapie des RDS-O und der
chronischen Obstipation ist nicht gesichert, da sich die 5-HT4-Agonisten Cisaprid
und Renzaprid hier nicht effektiv zeigten [442 ].
Zudem ist Cisaprid aufgrund von Nebenwirkungen (potenziell tödliche Herzrhythmusstörungen
aufgrund von QT-Zeit-Verlängerung sowie Cytochrom-P450-Interaktionen) nicht mehr erhältlich.
Renzaprid ist nicht zugelassen; ob eine Weiterentwicklung erfolgt, ist unklar.
Statement 8-1-5
Domperidon, ein Dopamin-2-Rezeptor-Agonist, sollte aufgrund widersprüchlicher Studienergebnisse
derzeit nicht zur Therapie des RDS-O verwendet werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Dopamin-2-Rezeptor-Agonisten stellen derzeit keine Therapieoption beim RDS-O und der
chronischen Obstipation dar, da 2 der 3 publizierten Studien keinen Effekt im Vergleich
zu Placebo bei RDS fanden. Zudem ist die Qualität der publizierten Studien niedrig
und erfolgte keine Subtypisierung [474 ]
[475 ]
[476 ].
Statement 8-1-6
Lubiproston, ein Chloridkanal-Aktivator, kann unter Berücksichtigung der Verfügbarkeit
zur Therapie des RDS-O eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Lubiproston ist zur Therapie des RDS-O und der chronischen Obstipation geeignet [477 ]
[478 ]
[479 ]. Bezüglich RDS-O wurden in 2 Phase-III-Studien 1171 Patienten mit 2 × 8 µg Lubiproston
oder Placebo behandelt. Ein Ansprechen (moderate oder deutliche Besserung über mindestens
2 der 3 Therapiemonate!) auf Lubiproston zeigte sich bei 17,9 % der Patienten im Vergleich
zu 10,1 % unter Placebo (p < 0,001). Als Nebenwirkung der Therapie tritt gehäuft Übelkeit
auf. Derzeit ist Lubiproston aber nur über internationale Apotheke erhältlich (Zulassung
in den USA und in der Schweiz), sodass es aktuell nur in Einzelfällen empfohlen werden
kann. Der Zulassungsantrag für Europa wurde unter Angabe von „strategischen Gründen”
im September 2009 zurückgezogen.
III. Medikamente zur Beeinflussung der Kolonflora (Antibiotika/Probiotika)
Statement 8-1-7
Nicht resorbierbare Antibiotika (z. B. Rifaximin, Neomycin) sollten bei Patienten
mit RDS-O eher nicht gegeben werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Für die nicht resorbierbaren Antibiotika Neomycin [447 ]
[480 ] und Rifaximin [481 ]
[482 ] liegen positive placebokontrollierte Studien zur Therapie des Reizdarmsyndroms vor.
In diese Studien wurden auch Patienten mit RDS-O eingeschlossen. Eine Subanalyse der
RDS-Studie mit Neomycin ergab Hinweise auf einen möglichen Zusammenhang zwischen dem
Vorhandensein Methan-produzierender Darmbakterien und dem Vorliegen eines RDS-O [447 ]. Zudem war die Effektivität von Neomycin bei dieser Patientengruppe erhöht. Ein
Nachweis einer bakteriellen Fehlbesiedlung stellt keine Vorraussetzung für die Wirksamkeit
von Antibiotika beim RDS dar [480 ]
[481 ].
Trotz obiger Studien ist die Konsensus-Konferenz der Meinung, dass Antibiotika nur
mit Zurückhaltung bei Patienten mit RDS zur Therapie eingesetzt werden sollten. Die
Bedenken gegenüber einer Therapie mit Antibiotika sowie das Fehlen von Studien mit
ausschließlicher Therapie von Patienten mit RDS-O begründet auch die Abstufung der
Empfehlungsstärke.
Statement 8-1-8
Probiotika können bei Patienten mit RDS-O versucht werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Für Probiotika liegen mehrere positive Metaanalysen zur RDS-Therapie vor [376 ]
[444 ]
[483 ]
[484 ]. Allerdings sind in diese Metaanalysen Studien mit einer Vielzahl verschiedener
Bakterienarten, Multispeziestherapien sowie verschiedenste Bakteriendosierungen eingegangen,
was die Bewertung beeinträchtigt und zur Abstufung der Empfehlungsstärke geführt hat.
Außerdem fehlt in fast allen Studien eine Responderdefinition, wie sie für moderne
Arzneimittelprüfungen verlangt wird und bei chemisch definierten Substanzen verwendet
wurde. (Für Details siehe Kapitel 5 „Ernährung”.)
IV. Phytopharmaka
Statement 8-1-9
Die Pflanzenmixtur STW-5 kann bei RDS-O versucht werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Für das Phytopharmakon STW-5, ein Gemisch aus 9 Pflanzenextrakten, liegt eine deutsche
Multicenterstudie zur Effektivität beim RDS vor [485 ]. In dieser Studie wurden auch RDS-O-Patienten mit eingeschlossen. Eine getrennte
Analyse für die Patienten mit RDS-O erfolgte nicht (→ Evidenzgrad B).
Statement 8-1-10
Sonstige Phytotherapeutika/Kräutermischungen sind mit wenigen Ausnahmen bei RDS-O
nicht effektiv und sollten daher eher nicht verwendet werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Sallon et al. berichten über eine Wirksamkeit des tibetanischen Phytopharmakons Padma
Lax [486 ]. Padma Lax stellt ein Gemisch aus 15 Pflanzenextrakten (u. a. Anthrachinon-haltig!)
und Mineralien (u. a. Natriumsulfat und Magnesium!) und ist rezeptfrei in der Schweiz
erhältlich. Bensoussan et al. 1998 [487 ] verglichen ein chinesisches „Standard-Pflanzen-Präparat” (Gemisch aus 20 Pflanzenextrakten)
mit einem indivdualisierten chinesischen Pflanzen-Gemisch und Placebo bei RDS-Patienten.
In die Studie wurden auch Patienten mit RDS-O aufgenommen. Das chinesische Standard-Gemisch
und weniger ausgeprägt das individualisierte Gemisch besserten einen RDS-Summenscore,
in den u. a. das Symptom Obstipation einging. Gemäß einem Review und einer Metaanalyse
zur Herbaltherapie sind ansonsten chinesische Kräutermischungen bei RDS-O nur qualitativ
unzureichend untersucht oder ineffektiv [462 ]. Die Qualität der Studien erlaubt nur einen Evidenzgrad B.
V. Weitere Medikamente zur Behandlung von RDS-O
Statement 8-1-11
Spasmolytika können auch zur Therapie von Patienten mit RDS-O eingesetzt werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Mehrere Metaanalysen belegen einen Wirkungsnachweis für Spasmolytika (inkl. Pfefferminzöl-Präparate)
in der Therapie des Reizdarmsyndroms [441 ]
[461 ]
[465 ]
[466 ]
[488 ]. In diese Metaanalysen sind jedoch Studien mit einer Vielzahl verschiedener Spasmolytika
eingegangen, die zudem zum Großteil in Deutschland nicht zugelassen sind. Eine spezifische
Empfehlung von Spasmolytika zur Therapie des RDS-O wird weiter erschwert durch die
Tatsache, dass in die zumeist bereits länger zurückliegenden Studien nur vereinzelt
RDS-O-Patienten eingeschlossen wurden und/oder keine Differenzierung in RDS-Subtypen
erfolgte. Dennoch zeigen mehrere Studien, dass Spasmolytika auch beim RDS-O effektiv
sein können [433 ]
[489 ]
[490 ].
Von den in Deutschland erhältlichen chemisch definierten Spasmolytika sind nur Mebeverin
und Butylscopolamin in placebokontrollierten Studien beim Reizdarmsyndrom untersucht
worden. Während in Beobachtungsstudien ein Ansprechen auf Mebeverin beim RDS in bis
zu 70 % sowie in Vergleichsstudien mit chemisch differenten Spasmolytika eine vergleichbare
Effektivität angegeben wird [491 ]
[492 ], war Mebeverin in der einzigen placebokontrollierten Studie bei sehr kleiner Fallzahl
nicht wirksamer als Placebo [493 ]. Schäfer und Ewe [433 ] untersuchten in einer placebokontrollierten Multicenterstudie in Deutschland Butylscopolamin
(± Paracetamol) bei 712 RDS-Patienten (≈ 20 % RDS-O; RDS-Definition nicht nach etablierten
Studienkriterien). Butylscopolamin (± Paracetamol) war dabei signifikant besser wirksam
als Placebo („global response”), wobei jedoch keine statistische Auswertung bez. der
Patienten mit RDS-O bzw. des Symptoms Obstipation erfolgte.
Statement 8-1-12
SSRI können bei therapierefraktärem RDS-O, insbesondere bei im Vordergrund stehenden
Schmerzen und/oder psychischer Komorbidität, versucht werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Metaanalysen belegen die Wirksamkeit von trizyklischen Antidepressiva und SSRI in
der Therapie des Reizdarmsyndroms [465 ]
[466 ]. Wie bei zahlreichen Metaanalysen zur Therapie der RDS sind auch in diese Metaanalysen
verschiedene (Wirk-)Substanzen gepoolt eingegangen, wodurch die Empfehlung einer spezifischen
Substanz erschwert wird.
Zur Therapie des (schmerzhaften) RDS-O sollten SSRI den trizyklischen Antidepressiva
vorgezogen werden, da trizyklische Antidepressiva aufgrund ihrer anticholinergen (Neben-)Wirkung
eine Obstipation verstärken können. Trotz nachgewiesener Effektivität stellen diese
Medikamente aufgrund des Nebenwirkungsrisikos Reservemittel dar. Positive Studien
mit RDS-O-Patienten (bei geringer Patientenzahl) liegen vor für Fluoxetin und Paroxetin
[403 ]
[494 ]. Die Substanzen werden dabei generell niedriger dosiert als in der Therapie der
Depression. Für weitere Details siehe Kapitel 6 „Psyche”.
Möglichkeiten der Kombinationstherapien bei RDS mit Obstipation:
Möglichkeiten der Kombinationstherapien bei RDS mit Obstipation sind in [Abb. 8-1 ] dargestellt.
Abb. 8-1 Möglichkeiten der Kombinationstherapien bei RDS mit Obstipation.
B) Symptomkomplex „Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz”
Die meisten RDS-Patienten klagen auch über Beschwerden aus dem Bereich „Blähungen/Meteorismus/Flatulenz/abdominelle
Distension”. Nicht selten werden diese Beschwerden sogar als das am meisten beeinträchtigende
Symptom beschrieben. Daneben gibt es auch Patienten, bei denen die Blähbeschwerden
als einziges Symptom vorliegen („funktionelle Blähungen”).
Dem Gefühl von Blähungen können verschiedene Mechanismen zugrunde liegen [495 ]. Durch Insufflation eines inerten Gases in den Dünndarm und rektale oder anale Wiedergewinnung
konnte gezeigt werden, dass bei Gesunden Luft unabhängig von flüssigen oder festen
Darminhalt transportiert werden kann und es erst bei Insufflation großer Luftmengen
zum Blähgefühl und abdomineller Distension kommt. Bei RDS-Patienten mit Blähgefühl
kommt es dagegen vielfach bereits bei geringer Luftinsufflation zum Auftreten von
Beschwerden und/oder abdomineller Distension. Dabei können verschiedene Gruppen unterschieden
werden. Bei einem Teil der Patienten findet sich eine vermehrte Retention insufflierter
Luft, die auf einer selektiven Transportstörung für Luft im Bereich des Dünndarms
zu beruhen scheint. Diese Patienten berichten zumeist über eine im Laufe des Tages
zunehmende abdominelle Distension, die mit Dehnungsmessstreifen auch belegt werden
konnte.
Zudem spielen beim Aufteten einer abdominellen Distension pathologische Reflexmechanismen
(in dieser Studie einhergehend mit minimaler Gasretention im Dickdarm) mit inappropiatem
Tiefertreten des Zwerchfells und Tonusverlust der Bauchwandmuskulatur mit ventro-kaudaler
Redistribution des Darmes eine Rolle [496 ].
Eine weitere Gruppe von RDS-Patienten klagt trotz normalen Gastransports und ohne
objektivierbare abdominelle Distension bei Luftinsufflation im Bereich des Dünn- oder
Dickdarms über Blähbeschwerden [497 ]. Als Mechanismus wird hier eine Hypersensitivität des Darmes für Dehnung angenommen,
wie sie in Studien mit Ballondehnung des Darmes bei einem Teil der Reizdarmpatienten
wiederholt gezeigt werden konnte.
Die Mechanismen für das Auftreten von Blähbeschwerden scheinen dabei bei RDS-O und
RDS-D unterschiedlich zu sein [495 ]. Bei RDS-Patienten mit (z. B. durch Dehungsmessstreifen) objektivierter abdomineller
Distension fanden sich vermehrt Patienten mit RDS-O und häufig eine viszerale Hyposensitivität.
Bei den Patienten mit Blähbeschwerden ohne abdominelle Distension lag dagegen häufiger
ein RDS-D sowie eine viszerale Hypersensitivität vor.
Das Erstellen von Therapieempfehlungen für Patienten mit Blähbeschwerden wird durch
eine Reihe von Gründen erschwert: Nur wenige Studien befassen sich isoliert mit der
Therapie von Blähbeschwerden, zumeist ist diese Symptomatik nur eine sekundäre Variable
in Studien zur Therapie des RDS oder die Beschwerden gehen in einen globalen Symptomscore
ein und können nicht isoliert bewertet werden. Zudem werden in den Studien entweder
nur einzelne Symptome des Formenkreises „Blähbeschwerden” (Blähungen, abdominelle
Distension, Meteorismus, Flatulenz) angegeben oder die einzelnen Symptome werden zu
einem Summenscore zusammengefasst oder unterschiedliche Definitionen für „Blähungen”,
„Meteorismus” und „Flatulenz” verwendet. Die Mitglieder der Arbeitsgruppe haben sich
daher bei der Erstellung der Statements darauf geeinigt, die Symptomatik zu einem
Beschwerdekomplex „Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz” zusammenzufassen
und Therapieempfehlungen jeweils für den „gesamten” Beschwerdekomplex anzugeben.
Statement 8-1-13
Eine effektive medikamentöse Therapie der Obstipation bzw. der Diarrhö des RDS-Patienten
kann auch die Beschwerden aus dem Symptombereich Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz
bessern.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
In zahlreichen Studien zur Therapie des Reizdarmsyndroms bzw. seiner Subtypen wurde
neben der Effektivität der Therapie auf das Hauptsymptom „Obstipation” bzw. „Diarrhö”
auch die Effektivität bez. der Wirksamkeit bei Blähungen, abdomineller Distension,
Meteorismus und/oder Flatulenz untersucht. Hierbei zeigte sich, dass eine effektive
Therapie des RDS-Hauptsymptoms Obstipation bzw. Diarrhö auch zu einer Verbesserung
der Symptome Blähungen, abdominelle Distension, Meteorismus und/oder Flatulenz führen
kann.
Eine Besserung von Blähungen, abdominelle Distension, Meteorismus und/oder Flatulenz
ist, neben den in den folgenden Statements spezifisch genannten Substanzen, beschrieben
für Ballaststoffe [498 ], Spasmolytika [499 ], 5-HT4-Agonisten wie Tegaserod [500 ] sowie für den Chloridkanal-Aktivator Lubiproston bei chronischer Obstipation [478 ]. Da der 5-HT3-Antagonist Alosetron trotz nachgewiesener Effektivität in der Therapie
des RDS-D (Diarrhö, Schmerz) zu keiner Besserung von Blähbeschwerden geführt hat [456 ]
[459 ]
[501 ], kann jedoch nicht von einer generellen Effektivität einer RDS-Medikation auf die
Symptome Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz ausgegangen werden.
Insbesondere bei einer Therapie mit (wasserunlöslichen) Ballaststoffen ist zudem auch
auf die Möglichkeit einer Induktion von Blähbeschwerden zu achten [405 ].
VI. Medikamente zur Beeinflussung der Kolonflora
Statement 8-1-14
Eine Therapie mit Probiotika kann zur Besserung von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz
führen.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Zur Therapie von Blähungen, abdomineller Distension, Meteorismus und/oder Flatulenz
mit Probiotika gibt es positive Studienergebnisse bei jedoch zumeist geringer Studienqualität
(→ Herabstufung der Empfehlungsstärke; Übersicht bei Brenner 2009 [376 ], Hoveyda 2009 [483 ]). Dabei kann jedoch nicht von einer generellen Wirksamkeit von Probiotika ausgegangen
werden. Von den in Deutschland erhältlichen Probiotika gibt es positive Studienergebnisse
zu einem Kombinationspräparat aus Autolysat und Zellfragmenten von Escherichia coli
(DSM 17 252) and Enterococcus faecalis (DSM 16 440), zu E. coli Nissle 1917 (nur retrospektive
Daten), zu der einer Kombinationsmischung bestehend aus B. longum, B. infantis, B.
breve, L. acidophilus, L. plantarum, L. bulgaricus, S. thermophilus (nur als Nahrungsergänzungsmittel
erhältlich) und zu der Kombination Bifidobacterium animalis ssp. lactis DN-173 010,
Streptococcus thermophilus, Lactobacillus bulgaricus (in einem kommerziellen Joghurt
enthalten) [378 ]
[392 ]
[502 ]
[503 ]. In einer weiteren kleinen Studie besserte Lactobacillus casei Shirota (in einem
kommerziellen Trink-Joghurt) die Passage von Wind, nicht aber das Gefühl der Blähungen
(oder die RDS-Symptomatik) bei Patienten mit RDS-Symptomen (RDS-O, RDS-D, RDS mit
wechselndem Stuhlverhalten (RDS-A) und einem pathologischem Laktulose-Atemtest (als
Hinweis auf bakteriellen Dünndarmüberwuchs) [387 ]. Weitere Details sind im Kapitel 5 „Ernährung” nachzulesen.
Statement 8-1-15
Eine Therapie mit dem nicht resorbierbaren Antibiotikum Rifaximin kann in therapierefraktären
Fällen zur Behandlung von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz
versucht werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↑, Konsens]
Kommentar
Randomisiert kontrollierte Studiendaten liegen zur Therapie dieser Beschwerdesymptomatik
mit dem nicht resorbierbaren Antibiotikum Rifaximin vor [481 ]
[482 ]. In der placebokontrollierten Studie von Sharara et al. besserte Rifaximin die Beschwerden
bei 41,3 % gegenüber 22,9 % unter Placebo. Der signifikante Unterschied zu Placebo
blieb auch nach Ende der Therapie erhalten, eine persistierende Besserung fand sich
aber nur bei 28,6 % (Rifaximin) bzw. 11,5 % (Placebo). Der Erfolg einer antibiotischen
Therapie beweist dabei nicht das Vorliegen einer bakteriellen Fehlbesiedelung als
Ursache der Beschwerden und das Vorliegen eines pathologischen Atemtests stellt keine
Vorraussetzung für die Wirksamkeit der Therapie dar.
Trotz obiger Studien ist die Konsensus-Konferenz der Meinung, dass Antibiotika nur
mit Zurückhaltung bei Patienten mit RDS zur Therapie eingesetzt werden sollten. Die
Bedenken gegenüber einer Therapie mit Antibiotika bei RDS-Patienten begründet auch
die Abstufung der Empfehlungsstärke.
VII. Phytopharmaka
Statament 8-1-16
Phytopharmaka können zur Therapie von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz
versucht werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Eine spezifische Studie zur Therapie von Blähungen, abdomineller Distension, Meteorismus
und/oder Flatulenz durch Phytopharmaka liegt nicht vor. In der Therapiestudie mit
STW5 bei Patienten mit Reizdarmsyndrom wurde auch über eine Besserung von Beschwerden
aus diesem Symptomkomplex berichtet [485 ]. Auch in der Studie zur Therapie des RDS-O mittels der tibetanischen Kräuterlösung
Padma Lax (in der Schweiz erhältlich) wird eine signifikante Besserung von Blähbeschwerden
(„Flatulenz”) angegeben [486 ]. Eine Therapie aus der traditionellen chinesischen Medizin mit einem „chinesischen
Standard Pflanzenprodukt” bei RDS-Patienten führte zu einer signifikanten Besserung
eines Summenscores, in den auch Blähbeschwerden mit eingingen [487 ]. Da keine der Studien spezifisch Blähbeschwerden untersuchte, wurde nur der Evidenzgrad
B vergeben.
VIII. Weitere Medikamente zur Behandlung von Blähungen
Statement 8-1-17
Cholinergika/Parasympatikomimetika sollten nicht zur Therapie von Blähungen/abdomineller
Distension/Meteorismus/Flatulenz verordnet werden.
[Evidenzgrad A, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Basierend auf der Theorie der Transportstörung mit Distension des Darmes als Ursache
von Blähbeschwerden bei RDS-Patienten wurden Cholinergika/Parasympatikomimetika therapeutisch
versucht. In einer Pilotstudie konnte mittels intravenöser Gabe eine Beschwerdebesserung
erzielt werden [504 ]. In einer nachfolgenden randomisiert-kontrollierten Studie mit oraler Gabe zeigte
sich jedoch kein signifikanter Therapieeffekt [505 ], sodass diese Medikamentengruppe derzeit nicht verordnet werden sollte.
Statement 8-1-18
Für entschäumende Substanzen (Simethikon, Dimethikon) liegen keine Daten zur Therapie
von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz beim Reizdarmsyndrom vor.
Aufgrund der positiven Effekte auf diese Symptome in Studien bei Dyspepsie und akuter
Enteritis kann jedoch ein Behandlungsversuch unternommen werden.
[Evidenzgrad C, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Studien zur Therapie von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz bei
RDS-Patienten mit Carminativa wie Simethikon oder Dimethikon liegen nicht vor. In
einer placebokontrollierten Studie zur Therapie der funktionellen Dyspepsie war Simethikon
effektiv in der Besserung eines Gesamtscores unter Einschluss von Blähbeschwerden
[506 ]. Auch bei Patienten mit akuter Enteritis konnten Blähbeschwerden/abdominelle Distension
unter einer Kombinationstherapie mit Simethikon und Loperamid am effektivsten behandelt
werden [507 ].
Statement 8-1-19
Eine Therapie von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz mit Pankreasenzymen
soll bei RDS nicht erfolgen.
[Evidenzgrad D, Empfehlungsstärke ↓↓, starker Konsens]
Kommentar
Zur Therapie von Blähungen mittels Pankreas-Enzymen liegt – bei Patienten ohne exokrine
Pankreasinsuffizienz – nur eine Studie bei gesunden jungen Menschen vor, die unter
Enzymgabe weniger dyspeptische Beschwerden nach Genuss einer fettreichen Mahlzeit
aufwiesen [508 ].
Statement 8-1-20
Analgetika sollten nicht zur Behandlung von Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz
gegeben werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, starker Konsens]
Kommentar
Nur eine Studie untersuchte systematisch eine medikamentöse analgetische (Kombinations-)Therapie
des RDS [433 ]. Mehr Patienten sprachen zwar auf eine Therapie mit Butylscopolamin plus Paracetamol
als auf eine Monotherapie mit diesen Substanzen an. Es bestand jedoch kein signifikanter
Unterschied zwischen der Kombinationstherapie und dem Spasmolytikum als Monosubstanz.
Butylscopolamin (± Paracetamol) war signifikant wirksamer als Placebo, nicht jedoch
das Analgetikum allein. Zudem wurde in der Studie nicht spezifisch auf den Symptomkomplex
Blähungen/abdominelle Distension/Meteorismus/Flatulenz eingegangen. Der absolute Unterschied
im Prozentsatz der Patienten mit Blähbeschwerden zum Ende der Therapie war jedoch
zwischen den Gruppen sehr gering (3 %).
Statement 8-1-21
Trizyklische Antidepressiva und SSRI sollten eher nicht zur Therapie von (schmerzlosen)
Blähungen/abdomineller Distension/Meteorismus/Flatulenz verordnet werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↓, Konsens]
Kommentar
Die Datenlage zur Effektivität von trizyklischen Antidepressiva oder SSRIs bei Blähbeschwerden
ist widersprüchlich. In der Studie von Tack et al. [509 ] zeigte sich eine Besserung (Intensität der Blähbeschwerden, Intensität der schwersten
Episode mit Blähbeschwerden, Zahl der Tage mit Blähbeschwerden) durch Gabe des SSRIs
Citalopram. Bezüglich Fluoxetin liegt ein positive und eine negative Studie vor [494 ]
[510 ]. Paroxetin zeigte keine Effektivität, das trizyklische Antidepressivum Doxepin eine
nicht signifikante Besserung im Vergleich zu Placebo [403 ]
[511 ].
Kombinationstherapien bei RDS mit Blähungen:
Möglichkeiten der Kombinationstherapien bei RDS mit Blähungen sind in [Abb. 8-2 ] dargestellt.
Abb. 8-2 Möglichkeiten der Kombinationstherapien bei RDS mit Blähungen.
8-2: Therapie von Obstipation und Blähungen bei Kindern mit RDS (AG 9)
Statement 8-2-1
Macrogol sollte für die Therapie der Obstipation im Rahmen des RDS versucht werden.
Andere Laxantien sollten eher nicht verwendet werden.
[Evidenzgrad B, Empfehlungsstärke ↑, starker Konsens]
Kommentar
Für die Therapie der Obstipation im direkten Zusammenhang mit RDS bei Kindern gibt
es keine Studien. Allerdings wurden viele Untersuchungen zur Therapie der funktionellen
chronischen Obstipation bei Kindern publiziert. Macrogol ist das für die Therapie
der Obstipation bei Kindern am besten in Studien untersuchte Medikament [512 ]. Insofern kommt es auch für die Behandlung der Obstipation im Rahmen des RDS am
ehesten infrage.
Appendix I: Beispiele für gebräuchliche Therapieschemata von pharmakologischen Behandlungen
des Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen
Appendix I: Beispiele für gebräuchliche Therapieschemata von pharmakologischen Behandlungen
des Reizdarmsyndroms bei Erwachsenen
Die [Tab. A-1 ] gibt einige Beispiele von gängigen Therapieschemata bei der pharmakologischen Behandlung
des RDS von Erwachsenen und erhebt dabei keinesfalls den Anspruch auf Vollständigkeit.
Es wurden verschiedene wirksame Substanzen aufgelistet unabhängig von ihrem Zulassungsstatus,
also auch für eine Anwendung im Off-Label-Bereich. Zudem weisen wir ausdrücklich darauf
hin, dass diese Angaben lediglich der Orientierung dienen. Die Indikationsstellung,
Überprüfung von möglichen Kontraindikationen sowie die individuelle Dosierung liegen
allein in der Verantwortung des Verschreibers.
Tab. A-1 Beispiele von gängigen Therapieschemata bei der pharmakologischen Behandlung des RDS
von Erwachsenen.
Präparate (alphabetisch geordnet)
Dosierung
Anmerkungen
Alosetron-Tabletten
2 × tgl. 0,5 bis 1 mg Tabletten
nur bei therapierefraktärer Diarrhö; nur in den USA im Rahmen eines Verschreibungsprogramms
zugelassen
Amitriptylin-Tabletten
Dosis einschleichen: z. B. Beginn mit 1 × tgl. 12,5 mg oder 1 × tgl. 25 mg (typischerweise
abends), Steigerung z. B. im Wochentakt um weitere 12,5 oder 25 mg bis insgesamt 1
× tgl. 50 mg oder maximal 1 × tgl. 75 mg
Dosierung niedriger als bei der antidepressiven Behandlung, verzögerter Eintritt der
positiven Wirkung bei im Gegenzug oft frühzeitig einsetzenden Nebenwirkungen wie Müdigkeit,
Benommenheit, Schwindel, Mundtrockenheit u. a.
Butylscopolamin 10 mg Dragees
3 – 5 × tgl. 1 – 2 Dragees
Butylscopolamin (8 mg) /Paracetamol (800 mg) Suppositorium
bei akuten Schmerzen bzw. Schmerzverschlimmerung, bis zu max. 4 × tgl. für wenige
Tage
keine Dauertherapie!
Flohsamenschalen
2 – 6 × tgl. 1 Messlöffel bzw. 1 Beutel; jeweils mit je 150 ml Wasser
auf ausreichende Flüssigkeitszufuhr achten
Iberogast (Lösung)
3 × tgl. 20 Tropfen
Laktulose-Saft
1 – 4 × tgl. 10 – 20 ml
Dauertherapie möglich
Loperamid 2 mg (verschiedene Zubereitungsformen)
Dosierung nach Bedarf, z. B. 1 × 2 mg bei jedem flüssigen Stuhlgang (bis zu ca. 5
– 8 × tgl.)
Dosis kann gesteigert werden, solange der Patient noch Durchfall hat; Dauertherapie
möglich und manchmal notwendig; bei frühmorgendlichen Durchfällen prophylaktische
Einnahme am Vorabend sinnvoll
Lubiproston-Tabletten
2 × tgl. 8 µg für RDS-O; 2 × tgl. 24 µg für chronische Obstipation
nur in den USA und in der Schweiz zugelassen
Mebeverin 135 mg bzw. 200 mg Retard-Tabletten
3 × tgl. 135 mg oder 2 × tgl. 200 mg retard
Paroxetin
Dosis einschleichen: z. B. Beginn mit 1 × tgl. 10 mg (typischerweise morgens), Steigerung
z. B. im 1- bis 2-Wochentakt um weitere 10 mg bis insgesamt 1 × tgl. 20 mg.
Dosierung niedriger als bei der antidepressiven Behandlung, verzögerter Eintritt der
positiven Wirkung bei im Gegenzug oft frühzeitig einsetzenden Nebenwirkungen, z. B.
Agitiertheit, Schlaflosigkeit, Übelkeit, Mundtrockenheit u. a.
PEG-Elektrolyt-Laxantien (Pulver zum Auflösen)
1 – 4 × tgl. 1 Beutel
Dauertherapie möglich
Pfefferminzöl; diverse verschiedene Zubereitungsformen
siehe Herstellerangaben
Probiotika; unterschiedliche Stämme in unterschiedlichen Zubereitungsformen (vgl.
Kapitel 5)
Therapieschemata unterschiedlich, siehe Herstellerangaben
diverse Probiotika auch in kommerziell erhältlichen Joghurt-Zubereitungen enthalten
Prucaloprid 1 oder 2 mg
1 × tgl. 2 mg bei Erwachsenen bzw. 1 × tgl. 1 mg bei Personen > 65 Jahre
Zulassung nur für Frauen, aber gleiche Wirksamkeit bei Männern anzunehmen
Rifaximin 200 mg Tabletten
2 – 3 × tgl. 1 – 2 Tabletten für 1 – 2 Wochen
Therapie kann bei Bedarf in Zyklen wiederholt werden
Simeticon; unterschiedliche Zubereitungsformen (z. B. Saft oder Kapseln)
1 – 5 Einzeldosen; insgesamt bis 400 mg tgl.
noch höhere Dosierungen sind möglich und können ggf. effektiver sein
Appendix II: Beispiele von Substanzen in der Entwicklung oder von Substanzen aus anderen
Indikationen zum potenziellen Einsatz beim RDS
Appendix II: Beispiele von Substanzen in der Entwicklung oder von Substanzen aus anderen
Indikationen zum potenziellen Einsatz beim RDS
Zunehmende Erkenntnisse der physiologischen Vorgänge sowie der Reizdarmsyndrom-assoziierten
pathophysiologischen Veränderungen im Darm und im enterischen Nervensystem (vgl. Kapitel
2) tragen auch zur Entwicklung neuer, eher zielgerichteter Medikamente bei, die in
der Zukunft für das Reizdarmsyndrom und die verschiedenen RDS-Subtypen möglicherweise
effektivere Therapieansätze schaffen können. In der [Tab. A-2 ] sind verschiedene Beispiele für Substanzen aufgeführt, die sich entweder als neue
Wirkstoffe in der direkten Entwicklung für die RDS-Therapie befinden (z. B. Linaclotid,
Ramosetron, etc.) oder die bereits für andere Indikationen zugelassen sind und sich
in Studien als zumindest potenziell wirksam beim RDS erwiesen haben (z. B. Clonidin,
Melatonin). Die Tabelle erhebt keinen Anspruch auf Vollständigkeit.
Tab. A-2 Beispiele von Substanzen in der Entwicklung für das RDS oder von Substanzen aus anderen
Indikationen zum potenziellen Einsatz beim RDS.
Zielsystem
Rezeptor-Aktivität
Substanzen, z. B.
humane physiologische Effekte
potenzielle RDS-Indikation
Entwicklungsstand
Serotonin-Rezeptor-System
5-HT4 -Agonisten
Prucaloprid [473 ]
ATI-7505 [513 ]
Velusetrag [514 ]
beschleunigen Transit, steigern Sekretion
RDS-Obstipation
Prucaloprid: zugelassen in D für Obstipation, übrige: Phasen II–III
5-HT3 -Antagonisten
Cilansetron, Ramosetron [443 ]
Alosetron Ondansetron
reduzieren Motilität, Sensitivität und Sekretion, steigern Compliance
RDS-Diarrhö
Alosetron: zugelassen für RDS in den USA; Ondansetron: Off-Label, zugelassen in D
übrige: Phase III
5-HT3 -Partial-Agonisten
MKC-733 [515 ]
beschleunigt Transit
RDS-Obstipation
Phase II
Serotonin-Transporter-System
SSRI/SNRI
z. B. Venlafaxin [516 ]
reduzieren Sensitivität und Tonus, steigern Compliance
RDS
Off-Label, zugelassen in D
cholinerges System
selektive M 3 -Antagonisten
Darifenacin [517 ]
reduzieren Motilität
RDS-Diarrhö
Off-Label, zugelassen in D
α-adrenerges System
α2 -Agonisten
Clonidin [518 ]
reduzieren Sensitivität und Tonus, steigern Compliance
RDS-Diarrhö
Off-Label, zugelassen in D
β-adrenerges System
β3-Rezeptor-Agonist
Solabegron [519 ]
hemmt die Kontraktilität der Darmmuskulatur
RDS (Diarrhö?)
Phase II
Opioid-System
periphere μ-Opioid Antagonisten
Alvimopan [520 ]
Methylnaltrexon
beschleunigen Transit
RDS-Obstipation
Methyl-naltrexon: Off-Label, zugelassen in D,
Alvimopan: Off-Label, zugelassen in den USA
κ-Opioidagonist
Asimadoline [435 ]
[521 ]
reduzieren Sensitivität
RDS
Phase III
Benzodiazepin
2,3-Benzodiazepin-Rezeptor
Dexofisopam [522 ]
steigert Stuhlkonsistenz und reduziert Stuhlfrequenz
RDS-Diarrhö
Phase II–III
Melatonin
Rezeptor ?
Melatonin [523 ]
reduziert RDS-Schmerzen
RDS
Off-Label, zugelassen in D
Somatostatin
Somatostatin-Rezeptor-Agonist
Octreotid
verlangsamt Transit, reduziert Sekretion
RDS-Diarrhö
Off-Label, zugelassen in D
Neurokinin
Neurokinin-Antagonisten 1 und 2
Ezlopitant Nepadutant
reduzieren viszeralen Schmerz (NK1 ) und Motilität (NK2 )
RDS
Phase II
Chlorid-Kanal
Chlorid-Kanal-Aktivator
Lubiproston [524 ]
verstärkt Sekretion, beschleunigt Transit, verbessert RDS-O-Symptome
RDS-Obstipation
zugelassen in den USA und der Schweiz
Chlorid-Kanal-Inhibitor
Crofelmer [525 ]
reduziert sekretorische Diarrhö
RDS-Diarrhö
Zulassung in den USA beantragt
Guanylat-Cyclase C
Guanylat Cyclase C-Agonist
Linaclotid [526 ]
[527 ].
verstärkt Sekretion, beschleunigt Transit, reduziert Sensitivität
RDS-Obstipation
Phase III
Gallensäuren
luminaler Inhalt
Chenodeoxycholat [528 ]
Beschleunigt Transit und verstärkt Sekretion
RDS-Obstipation
Off-Label, zugelassen in D
anti- inflammatorisch
mukosales Immunsystem
Mesalazin [529 ]
antiinflammatorisch
RDS (mit erhöhter Immunaktivität)
Off-Label, zugelassen in D
Mastzellen
Mastzellstabilisator
Ketotifen [530 ]
reduziert Sensitivität
RDS
Off-Label, zugelassen in D
Appendix III: Ältere Diagnose-Kriterien des RDS
Appendix III: Ältere Diagnose-Kriterien des RDS
Die Manning-Kriterien [10 ]
Beginn der Schmerzen im Zusammenhang mit häufigeren Stuhlentleerungen
Flüssigere Stühle assoziiert mit dem Beginn von Schmerzen
Schmerzlinderung nach Stuhlentleerung
Deutliche abdominelle Blähungen
Gefühl der unvollständigen Darmentleerung in mehr als 25 % der Zeit
Diarrhö mit Schleimbeimengungen in mehr als 25 % der Zeit
Die Kruis-Kriterien [11 ]
Ein Gesamtscore von ≥ 44 spricht für ein RDS mit einem prädiktiven Wert von 94 %.
A: Fragen, die vom Patienten ausgefüllt werden.
Frage
Score
1. Sind Sie hier wegen Ihrer Bauchschmerzen? Leiden Sie unter Blähungen? Leiden Sie an unregelmäßigem Stuhlgang?
+ 34
2. Leiden Sie unter diesen Beschwerden seit mehr als zwei Jahren?
+ 16
3. Wie können Ihre Bauchschmerzen beschrieben werden: brennend, stechend, sehr stark,
fürchterlich, Druckgefühl, dumpf, bohrend, nicht so schlimm?
+ 23
4. Ist Ihnen wechselhaftes Stuhlverhalten zwischen Verstopfung und Durchfall aufgefallen?
+ 14
B: Checkliste, die vom Arzt ausgefüllt wird.
Frage
Score
1. Auffällige Befunde in der körperlichen Untersuchung und/oder Anamnese, die auf
eine andere Erkrankung als RDS hinweisen.
–47
2. BSG > 20 / 2 Stunden
–13
3. Leukozytose > 10 000 /cm3
–50
4. Hämoglobin – < 12 % bei Frauen – < 14 % bei Männern
–98
5. Anamnestisch Blut im Stuhl
–98
Die Rom-I-Kriterien [12 ]
Drei Monate lang andauernde oder rezidivierende Symptome von abdominellem Schmerz
oder Irritation, welche
sich mit einer Stuhlentleerung bessern können,
an eine Änderung der Stuhlfrequenz gekoppelt sein können oder
mit einer Änderung der Stuhlkonsistenz zusammenhängen können.
Zwei oder mehr der folgenden Kriterien bestehen mindestens 25 % (ein Viertel) der
Zeit:
eine Änderung der Stuhlfrequenz (mehr als 3 Stuhlentleerungen pro Tag oder weniger
als 3 Stuhlentleerungen pro Woche),
deutlicher Unterschied in der Stuhlkonsistenz (hart, weich, wässrig oder kaum geformt),
Schleimbeimengungen im Stuhl,
Blähungen oder Gefühl der abdominellen Distension,
veränderte Stuhlpassage (z. B. Gefühl der inkompletten Entleerung, Pressen, Stuhldrang).
Die Rom-II-Kriterien [13 ]
Während der vergangenen 12 Monate über die Dauer von mindestens 12 Wochen (nicht unbedingt
aufeinander folgend) abdominelle Schmerzen oder abdominelles Unwohlsein, wobei mindestens
2 der 3 folgenden Charakteristika erfüllt sind:
Erleichterung der Beschwerden nach der Defäkation,
Beginn der Beschwerden in Assoziation mit einer Änderung der Stuhlfrequenz und/oder
Beginn der Beschwerden in Assoziation mit einer Änderung der Stuhlkonsistenz.
Symptome, die darüber hinaus die Diagnose Reizdarmsyndrom stützen:
abnorme Veränderung der Stuhlfrequenz (< 3 Stuhlgänge pro Woche oder > 3 Stuhlgänge
pro Tag),
abnorme Veränderung der Stuhlkonsistenz (hart, breiig, wässrig),
abnorme Stuhlpassage (mühsam, gesteigerter Stuhldrang, Gefühl der inkompletten Entleerung),
peranaler Schleimabgang,
Blähungen oder Gefühl der abdominellen Distension.
Die Rom-III-Kriterien [14 ]
Für mindestens 3 Tage pro Monat während der vergangenen 3 Monate rezidivierende abdominelle
Schmerzen oder abdominelles Unwohlsein[6 ] in Assoziation mit mindestens 2 der folgenden Faktoren:
Besserung der Beschwerden nach der Defäkation[7 ],
Beginn der Beschwerden in Assoziation mit einer Änderung der Stuhlfrequenz7 ,
Beginn der Beschwerden in Assoziation mit einer Änderung der Stuhlkonsistenz7 .
Symptome, die darüber hinaus die Diagnose Reizdarmsyndrom stützen:
abnorme Veränderung der Stuhlfrequenz (< 3 Stuhlgänge pro Woche oder > 3 Stuhlgänge
pro Tag),
abnorme Veränderung der Stuhlkonsistenz (hart/klumpig oder breiig/wässrig),
mühsame Stuhlentleerung mit starkem Pressen,
gesteigerter Stuhldrang,
Gefühl der inkompletten Stuhlentleerung,
peranaler Schleimabgang,
Blähungen oder Gefühl der abdominellen Distension.