Rofo 2010; 182(9): 803-805
DOI: 10.1055/s-0029-1245385
Technische Innovationen

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

DFine Radiofrequenzkyphoplastie (RFK) – Kyphoplastie mit ultrahochviskösem Zement

F. A. Elgeti, T. Marnitz, T. J. Kröncke, B. Gebauer
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eingereicht: 3.3.2010

angenommen: 25.3.2010

Publication Date:
27 April 2010 (online)

Zusammenfassung

Bisher etablierte Verfahren zur minimalinvasiven, perkutanen Augmentation bei Wirbelkörperfrakturen sind die Vertebroplastie und konventionelle Ballonkyphoplastie. Wir beschreiben ein technisch neuartiges Kyphoplastiesystem (StabiliT® Vertebral Augmentation System, DFine Europe GmbH, Mannheim). Das Verfahren hat zwei Kernkomponenten: 1. Ultrahochvisköser PMMA-Zement (ER2 Bone Cement) mit verlängerter Applikationsdauer (ca. 30 min, hydraulisch kontrollierte Einbringung). 2. Ein angulierbares Osteotome (VertecoRTM Midline Osteotome). Material, Spezifikationen und Anwendung werden vorgestellt. Der klinische Einsatz wird anhand von zwei repräsentativen, technisch erfolgreichen Fallberichten osteoporotischer Frakturen illustriert. Der ultrahochvisköse Zement ist aufgrund einer verlängerten Verarbeitungszeit und der verwendeten Hydraulik besonders sicher und kontrolliert einzubringen. Der Einsatz des navigierbaren Midline Osteotomes ermöglichte in beiden Fällen einen unilateralen Zugang sowie die gezielte, frakturspezifische und substanzschonende Augmentation. Diese Eigenschaften sind vorteilhaft im Rahmen der etablierten Indikationen zur perkutanen Vertebroplastie und Kyphoplastie. Zukünftig ist der bevorzugte Einsatz aber auch im kritischen Einzelfall zu erwägen, etwa bei frakturbedingter oder osteolytischer Hinterkantenbeteiligung.

Die Vertebroplastie mit PMMA-Zement wurde 1984 von Galibert und Deramond erstmalig angewandt (Galibert et al. Neurochirurgie 1987; 33: 166 – 168). Ursprünglich zur Behandlung eines aggressiven Hämangioms, wurde die Technik seitdem hauptsächlich zur Versorgung von Frakturen des osteoporotisch oder tumorbedingt geschwächten Wirbelkörpers angewandt. Eine Weiterentwicklung der 90er-Jahre durch Reiley war die Ballonkyphoplastie (Lieberman et al. Spine 2001; 26: 1631 – 1638). Die klassischen Vertebroplastieverfahren verwenden niedrigviskösen Zement, der eine passive Kyphosekorrektur (durch entsprechende Lagerung) ermöglicht. Bei der Ballonkyphoplastie wird durch Balloninflation zunächst frakturierte und intakte Trabekelstruktur verdrängt. So wird gleichzeitig eine Kavität zur sicheren Zementeinbringung erzeugt und der frakturierte Wirbelkörper nach Möglichkeit wiederaufgerichtet. Für Verfahren mit niedrigviskösem Zement sind unkontrollierte spinale, paravertebrale und intervertebrale Zementaustritte oder pulmonal – embolische Zementverschleppung beschrieben – bei zumeist geringer klinischer Relevanz (Layton et al. AJNR 2007; 28: 683 – 689; Kim et al. Radiology 2009; 251: 250 – 259). Es finden sich jedoch auch teils fatale Einzelfallberichte pulmonaler, kardialer oder auch paradoxer zerebraler Embolien.

Im Gegensatz zu herkömmlichen Vertebroplastie- und Kyphoplastiesystemen verwendet das hier beschriebene, neuartige Verfahren „StabiliT® Vertebral Augmentation System” (DFine Europe GmbH, Mannheim) ultrahochviskösen Zement. Der hochvisköse Zement soll für Anwender gut kontrollierbar sein und damit eine hohe Patientensicherheit bieten. Zum anderen soll der Zement auch gegen Widerstand benachbarte Strukturen verschieben können, d. h. Wirbelkörperfrakturen wiederaufrichten können. Die intakte Knochensubstanz soll dabei weitgehend geschont werden.

Technisch gesehen steigt die Viskosität von PMMA-Zements bei der Polymerisation von flüssigem Monomer und pulverförmigem, festem Polymer exponentiell an. Bei der Anwendung bedeutet dies zum einen eine kurze Verarbeitungszeit. Zum anderen wird üblicherweise nur gering polymerisierter und damit niedrigvisköser Zement verarbeitet, um die Injizierbarkeit zu gewährleisten. Eine möglichst lange zu verarbeitender, gleichbleibend hochvisköser Zement stellt also in Bezug auf die Polymerisation zunächst konträre Anforderungen. Um diesen Widerspruch aufzulösen Bedarf es mehrerer Schritte: Zunächst wurde beim DFine ER 2 Bone Cement durch unterschiedliche Partikelgrößen des pulverförmigen Polymers die Polymerisation deutlich verlangsamt und beträgt mehr als 30 Minuten für eine Zementmischung. Zum zweiten wird die PMMA-Polymerisation anteilig und erst unmittelbar vor der Applikation kontrolliert beschleunigt. Dies geschieht im sogenannten Aktivierungselement ([Abb. 3]) wie in einem Durchlauferhitzer durch Zuführung thermischer Energie, und zwar durch Anlage eines hochfrequenten Wechselstroms, der von einem Radiofrequenzgenerator in der Steuerungseinheit erzeugt wird. Eine gleichbleibend hohe Zementviskosität von 4000 – 6000 Pa × s wird durch die Steuerungseinheit autonom gewährleistet. Der zugrunde liegende Algorithmus berücksichtigt Einflussfaktoren wie Zeit, Umgebungstemperatur und Druck. Die Injektion des ultrahochviskösen Zements ist rein manuell nicht möglich. Das DFine StabiliT® Vertebral Augmentation System verwendet eine Hydraulik (wassergefüllt), durch die der Zement maschinell gestützt mit einer konstanten Injektionsgeschwindigkeit von 1,2 ml/min appliziert wird. Die Applikation einer Zementmischung (9 ml) kann bis zur Gesamtverarbeitungsdauer von ca. 30 min mehrfach unterbrochen werden. Das System hat einen Drucksensor und zeigt während der Injektion optisch den Widerstand im Hydrauliksystem an. Start und Unterbrechung der Injektion erfolgen über eine Fernbedienung in einem Abstand von bis zu 3m von der Strahlenquelle. Dadurch soll die Strahlenexposition der Durchleuchtungskontrolle für den Interventionalisten minimiert werden.

Abb. 1 Systemkomponenten: DFine StabiliT Vertebral Augmentation System.

Abb. 2 Applikatoraufbau: Hydraulikzylinder, Zementkartusche, Aktivierungselement, teflonbeschichtete Applikationskanüle.

Abb. 3 Aktivierungselement (Innenansicht).

Um den Zement zielgerichtet in den Wirbelkörper einbringen zu können, verwendet das System eine navigierbare, angulierbare Nadel, das „VertecoRTM Midline Staging Osteotome”. Nach transpedikulärer oder extrapedikulärer Punktion des Wirbelkörpers in üblicher Technik werden mit dem Midline Osteotome gezielt Frakturspalten punktiert sowie Kanäle und Hohlräume geschaffen, von denen aus der Zement sich verteilt und im Trabekelwerk der Spongiosa verzahnt. Die Anwendung des Midline Osteotomes soll außerdem eine unipedikuläre Anwendung ermöglichen.

Systemkomponenten „StabiliT® Vertebral Augmentation System” ([Abb. 1]):

10G Punktionsnadel (Koaxialsystem mit Trocar- oder Schrägschliff, Einführkanüle), 11,5G navigierbares Midline Osteotome und starres StraightLine Osteotome (Biopsieset), Radiofrequenzaktivierungselement, StabiliT® ER 2 Bone Cement (9 ml Kartusche) mit Hydrauliksystem und von innen mit Teflon beschichteter Applikationskanüle, Multiplex Controller (Steuerungseinheit) und Handschalter – für maschinell kontrollierte, ferngesteuerte Zementeinbringung).

Wir führten die Interventionen in üblicher Technik durch: Präinterventionelle Bildgebung, biplanare Durchleuchtungskontrolle, Bauchlagerung, sterile Abdeckung, Analgosedierung, Lokalanästhesie, Patientenmonitoring.

Die Etablierung der Zugänge zum Zielwirbelkörper kann je nach Bedarf unipedikulär oder bipedikulär erfolgen. Dabei werden üblicherweise Punktionsnadel und Einführkanüle koaxial gemeinsam eingebracht. Nachfolgend kann fakultativ mit dem StraightLine Osteotome eine Biopsie gewonnen werden. Dann wird mit dem angulierbaren Midline Osteotome der Weg für die folgende Zementinjektion vorgebahnt, indem gezielt und frakturspezifisch Kanäle und Hohlräume erzeugt werden.

Parallel dazu wird zunächst die Steuerungseinheit in Betrieb genommen, die Raumtemperatur (beeinflusst die PMMA-Polymerisation) wird abgeglichen. Das flüssige PMMA-Monomer wird durch Unterdruck (30 ml Spritze) der Kartusche mit dem pulverisierten PMMA-Polymer zugefügt, ein weiteres Vermischen ist nicht vorgesehen. Nach kurzer Wartezeit wird das Hydraulikelement an der Steuerungseinheit eingesetzt und mit der PMMA-Zementkartusche und dem Aktivierungselement verbunden. Die Kabelverbindung vom Radiofrequenzgenerator bzw. von der Steuerungseinheit mit dem Aktivierungselement wird hergestellt ([Abb. 2]). Aus dem Aktivierungselement kann dann mit Hydraulikunterstützung der aktivierte und nun bereits hochvisköse Zement über die zugehörige Applikationskanüle und die in den Wirbelkörper eingebrachte Einführkanüle injiziert werden.

Im ersten Fallbeispiel ([Abb. 4] [5]) wurde über einen unilateralen Zugang eine symmetrische, mittellinienüberschreitende Zementdeposition erreicht. Das zweite Fallbeispiel ([Abb. 6]) zeigt die aktive Höhenrekonstruktion eines frakturierten Wirbelkörpersegments (Grad II). In beiden Fällen sind relevante spinale bzw. foraminale Zementaustritte oder pulmonalembolische Zementverschleppung nicht beobachtet worden. Der technische Erfolg korrelierte mit einer klinischen Symptombesserung zwei Tage postinterventionell.

Abb. 4 Fall 1: 71-jährige Patienten mit manifester Osteoporose, in der Vergangenheit thorakale Kompressionsfrakturen. Seit 4 Wochen erneut konservativ therapierefraktäre Schmerzen VAS 8 / 10. a Laterale konventionelle Röntgenaufnahme mit multiplen Kompressionsfrakturen. b MRT (T2w fs) mit Nachweis ödemäquivalenten Signals deckplattennah im BWK 10. c Postinterventionelle Kontrollaufnahme.

Abb. 5 Fall 1: Intervention (ap). a Pedikelpunktion. b Nach Entfernung der Punktionsnadel verbleibt die Einführhülse. c Einbringung des Midline Osteotomes mit Angulation und d weiterer Vorschub nach kontralateral. e Einbringung der Applikationskanüle. fh Die nachfolgende Zementinjektion folgt dem angelegten Pfad und dringt von dort aus in das Trabekelwerk ein, sodass sich eine symmetrische Zementdeposition und eine interspongiöse Verzahnung ergibt.

Abb. 6 Fall 2: 70-jährige Pat. mit Osteoporose. Wirbelkörperkompressionsfraktur BWK 12 und LWK 1. Seit 3 Monaten therapierefraktäre Schmerzen VAS 9 / 10. Über einen rechts transpedikulären Zugangs erfolgte die deckplattennahe Einbringung der Punktionsnadel a. Mit dem Midline Osteotome wurde dann gezielt der Frakturspalt punktiert b. Wiederum folgt die Zementinjektion zunächst dem Kanal des Midline Osteotomes c. Danach füllt sich jedoch der Frakturspalt d. Nachdem das ursprüngliche Volumen des Frakturspalts gefüllt ist, wird weiterer Zement eingebracht, der die Deckplatte nach kranial in ihre ursprüngliche Stellung zurücktreibt e, f. Der Kyphosewinkel und der ventrale Höhenverlust verringern sich. Nachfolgend unipedikuläre Augmentation der kranial angrenzenden BWK 12- Fraktur.

Zusammenfassend ist grundlegend neu gegenüber den etablierten Vertebroplastie- und Kyphoplastieprodukten die über einen Radiofrequenzgenerator gesteuerte, thermische Aktivierung der PMMA-Polymerisation vor der Injektion. Dadurch kann eine deutlich verlängerte Applikationsdauer von ca. 30 min erreicht werden. Diese – falls notwendig – verlängerte Arbeitszeit und die maschinell über das Hydrauliksystem gesteuerte Zementeinbringung ermöglichen eine sehr gute Kontrolle der Intervention, die sich positiv bei den ersten Anwendungen oder komplizierten Eingriffen auswirkt, aber auch bei mehrsegmentalen Interventionen vorteilhaft ist.

Die hohe Viskosität in Verbindung mit der maschinell gesteuerten, hydraulischen Zementapplikation ermöglicht anders als die herkömmlichen Vertebroplastie die aktive Wiederaufrichtung frakturierter Wirbelkörper. Es ist somit auch ohne vorherige intravertebrale Expansion, z. B. eines Ballons, Stents etc., als Kyphoplastieverfahren einzustufen. Gleichzeitig ist der Verzicht auf die Schaffung einer großvolumigen Kavität substanzschonend und verringert möglicherweise das langfristig unvorteilhafte „Stress shielding”.

Ob die höhere Zementviskosität weniger symptomatische Zementaustritte aufweist im Sinne einer relevant verbesserten Sicherheit für den Patienten ist aufgrund der geringen Komplikationsrate der etablierten Verfahren im Rahmen größerer klinischer Studien zu überprüfen. Im Alltag können die genannten Eigenschaften des Verfahrens jedoch vorteilhaft sein und zukünftig gerade in kritischen Einzelfällen, etwa im Rahmen einer tumor- oder frakturbedingt destruierten Wirbelkörperhinterkante, eine kontrollierte Intervention ermöglichen.

Dr. Florian A Elgeti

Klinik für Strahlenheilkunde, Bereich Diagnostische und Interventionelle Radiologie, Charité Universitätsmedizin Berlin

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