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DOI: 10.1055/s-0029-1245070
© Georg Thieme Verlag Stuttgart · New York
Zwei Seiten einer Medaille
Publication History
Publication Date:
15 December 2009 (online)
Auf die Frage, ob er selbst einen Organspendeausweise besitze, wollte Karl Kardinal Lehmann auf der Pressekonferenz im Rahmen des Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Nephrologie nicht antworten. Deutlich gibt er dem fragenden Journalisten zu verstehen, dass das niemanden etwas angehe. Ein Moment betretenes Schweigen.
Wir alle sind es gewohnt, das Thema Organspende rational anzugehen. So wie in dieser Ausgabe von Dialyse aktuell greifen wir die zweifelsohne wichtigen medizinischen Fragen auf: Welche Komplikationen treten rund um eine Organtransplantation auf und wie können wir diese bestmöglich behandeln? Doch die Organspende hat eine nicht zu unterschätzende emotionale Seite, sowohl für die Empfänger von Organen als auch für die Spender bzw. deren Angehörige. Neben der Freude über das neue Organ, die Chance zum Weiterleben, steht der Tod eines anderen Menschen, das Leid der Angehörigen.
Das „geschenkte Leben” ist nur eine Seite der Medaille, macht Vera Kalitzkus in ihrem Buch „Dein Tod, mein Leben – Warum wir Organspenden richtig finden und trotzdem davor zurückschrecken” (Suhrkamp Verlag, Reihe medizinHuman) klar. Zum einen ist dieses Geschenk von den transplantierten Menschen hart erkämpft, sie müssen mit der ständigen Angst vor einer Abstoßung leben, müssen zahlreiche Nebenwirkungen und Einschränkungen in Kauf nehmen. Zum anderen sind da die Angehörigen der Organspender (zumindest wenn man die Lebendspende einmal außen vor lässt), die zwar in der Gewissheit leben, dass der Tod des geliebten Menschen einem schwer kranken Menschen das Überleben ermöglicht. Für viele Angehörige ist jedoch die Organentnahme eine traumatische Erfahrung.
Die Frage „Haben Sie einen Organspendeausweis?” wird zur Gretchenfrage, zur Frage, ob man für oder gegen die Organspende ist. Doch diese Frage ist sehr persönlich. Und auch wenn man die Spende eines Organs prinzipiell befürwortet, sind Zweifel doch nur natürlich. „Die Problematik ist wesentlich komplexer, als es die Klage um den leidigen Organmangel aus fehlender Solidarität in unserer Gesellschaft suggeriert”, betont Kalitzkus. Und so ist die Entscheidung für oder gegen eine Organspende eine Entscheidung, die jeder für sich selbt beantworten muss. Vorwürfe – und seien es auch nur leise und subtile – sind hier nicht angebracht.
Es ist wichtig und notwendig sich mit dem Thema auseinanderzusetzen, ganz persönlich und auch in der Öffentlichkeit. Karl Kardinal Lehmann hat sich in der Pressekonferenz der Organspende gegenüber positiv, empathisch geäußert. Doch er hat auch zugegeben, dass er beim Thema Hirntod und Organspende unsicher ist. Kennt untröstliche Angehörige, die ihr Kind verloren haben und die einen würdelosen Umgang mit dem Sterben und der Organentnahme zu ertragen hatten. Kennt auf der anderen Seite aber auch das Leiden der Menschen, die so sehnlich auf ein neues Organ warten und befürwortet daher die Organspende.
Das Thema aufgreifen und zur Organspende appelieren: ja, unbedingt. Menschen zu einem Ja zur Organspende überreden: Nein, auf keinen Fall. Eine Pflicht zur Organspende, das darf es nicht geben. Natürlich sollten wir uns (auch weiterhin) für die Menschen einsetzen, die unsere Hilfe benötigen und alles tun, denjenigen zu helfen, die auf ein Organ warten. Doch es täte uns allen wahrscheinlich ganz gut, im Umgang mit dem Thema Organspende auch die andere Seite der Medaille nicht ganz auszublenden.
