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DOI: 10.1055/s-0029-1245045
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Blutzuckerselbstmessung - Die "Leitplanke" auch für den Typ-2-Diabetiker
Publication History
Publication Date:
07 January 2010 (online)
- Auf den Trend kommt es an, nicht auf einzelne Messwerte
- Blutzucker messen, interpretieren und Therapiestrategien entwickeln
- Software hilft Kosten sparen
- Hohes Einsparpotenzial durch Selbstmessung
Für Typ-1-Diabetiker ebenso wie für insulinpflichtige Typ-2-Diabetiker gehört die regelmäßige Blutzuckerselbstkontrolle seit langem zum festen Bestandteil ihrer Therapie. Aber auch für Typ-2-Diabetiker, die noch kein Insulin brauchen, sollte die Blutzuckerselbstkontrolle zum Bestandteil eines strukturierten Diabetes-Managements werden. Dass der Patient seinen Blutzucker selbst misst, macht allerdings nur dann Sinn, wenn sich aus den ermittelten Daten eine Handlungskonsequenz ergibt, erklärte Dr. Frank Achermann, Facharzt Diabetologie und Endokrinologie aus Luzern, im Rahmen der 9. Elmauer Gespräche. Ein großes Problem sei, so Achermann, dass immer noch viele Ärzte den Diabetes als statisches Problem ansehen. Man müsse sich jedoch vielmehr klar machen, dass der Blutzucker eine Resultante darstellt aus einer Reihe von Variablen wie Kohlenhydratmenge, Insulinmenge und körperlicher Aktivität. "Eigentlich kann ich mit dem Blutzucker wenig anfangen, wenn ich nicht weiß, wie es dazu gekommen ist und welche Faktoren in den vorausgegangenen Stunden einen Einfluss gehabt haben", sagte Achermann.
#Auf den Trend kommt es an, nicht auf einzelne Messwerte
Ein einzelner Wert als Momentaufnahme besitzt in diesem dynamischen Prozess wenig Aussagekraft. Erst die fortgesetzte Betrachtung ähnlicher Abläufe macht es möglich, Bedeutung von Essgewohnheiten oder Sport oder Einflüsse durch die Verteilung oraler Antidiabetika über den Tag abzuschätzen und Trends zu analysieren. "Um zu erfahren, was passiert, wenn ich Kartoffeln oder Salat esse, benötige ich eine ganze Reihe von Messstreifen", äußerte Achermann. 5 Messstreifen pro Quartal beim nicht-insulinpflichtigen Diabetes genügen eindeutig nicht, um die nötigen Informationen zu erhalten. Entsprechend wendet sich Achermann entschieden gegen eine Restriktion der Blutzuckerselbstkontrolle, vorausgesetzt, die Messung wird als "Leitplanke" genutzt, um auf der richtigen Spur zu bleiben oder dorthin zu gelangen.
Das Messen des Blutzuckers muss eine Lebensstiländerung zur Folge haben. Für den Arzt und das Diabetes-Team schafft die Selbstkontrolle die Basis für eine Strategieanalyse, dem Betroffenen verhilft sie zur Unabhängigkeit. Der Patient verbringt nur wenige Stunden mit dem Diabetes-Team und ist folglich die allermeiste Zeit auf sich allein gestellt. "Deshalb muss er lernen, seine Werte zu interpretieren und daraus Konsequenzen zu ziehen", forderte Achermann.
#Blutzucker messen, interpretieren und Therapiestrategien entwickeln
Achermann nutzt seit über 20 Jahren die Möglichkeiten der elektronischen Datenerfassung, weil "alles andere wenig Sinn macht". Ein solches modernes Informations-Management-System bietet etwa die Accu-Chek 360° Software. Dieses Programm spiegelt das Therapieverhalten im Tages- und Wochenverläufen grafisch wider. Auf diese Weise lassen sich Blutzuckerwerte konsekutiv zusammen mit den verschiedenen Einflussfaktoren rasch und objektiv darstellen und dann mit dem Patienten besprechen. "Ich habe 10 Minuten Zeit für jeden Patienten. Ich will optimal die Strategie besprechen und will dem Patienten zeigen, dass er sich selbst helfen kann, dass er Ursache und Wirkung im Blutzuckerprofil darstellen und die Therapie entsprechend steuern kann." Die Verlässlichkeit von Daten in Formularen leidet unter Übertragungsfehlern, Zeitfehlern, Fälschungen und dem schlichten Fehlen von Werten. Eine Untersuchung von Dr. D. Franke, Pforzheim, zeigt die Diskrepanz zwischen dokumentierten versus gespeicherten Werten auf. Demnach wurden nur 43 % der Daten identisch erfasst, 57 % der Entscheidungsgrundlage waren entsprechend fehlerhaft.
#Software hilft Kosten sparen
Die Software-unterstützte grafische Darstellung entspricht nicht nur dem Qualitätsstandard in der modernen Diabetologie. Sie hilft auch, Kosten einzusparen durch den geringeren Zeitaufwand bei der Konsultation, durch genauere Problemdefinition, bessere Strategieempfehlung und durch besseres Verständnis für die Blutzuckerwerte mit der Chance, das Erfahrene in aktives Handeln umzusetzen. Vor allem wird erreicht, dass der Patient Verantwortung für die eigene Gesunderhaltung übernimmt.


Bild: Jobst/Pitopia
Hohes Einsparpotenzial durch Selbstmessung
Eine Kosten-Nutzen-Rechnung der Blutzuckerselbstkontrolle bei Typ-2-Diabetikern für Deutschland stellte Dr. Christian Weber vom Baseler Institut für Medizininformatik und Biostatistik (IMIB) auf. Die Untersuchung geht davon aus, dass Patienten durch das eigenständige Messen ihre Essgewohnheiten umstellen und mehr körperliche Aktivität entwickeln. Dadurch verbessert sich nicht nur der Blutzuckerspiegel, sondern auch andere klinische Parameter wie Blutdruck und Blutfette. Letztlich werden auf diese Weise teure Folgekomplikationen wie Schlaganfall, Herzinfarkt oder Amputationen vermieden. Im Vergleich von Patienten, die selbstständig den Blutzucker messen relativ zu den "Nichtmessern" ergibt sich ein Einsparpotenzial pro gewonnenem Lebensjahr zwischen 7000 und 9000 Euro, ermittelte Weber. Aktuell misst nur ein gutes Drittel der nicht-insulinpflichtigen Typ-2-Diabetiker ihren Blutzucker. Geht man davon aus, dass es innerhalb von 5 Jahren 60 % sein werden, dann würde sich je nach Szenario für die Krankenkassen ein Einsparpotenzial zwischen 83 und 237 Millionen Euro ergeben.
Martin Bischoff
Quelle: "Elmauer Gespräche 2009" am 7. März 2009. Veranstalter: Roche Diagnostics GmbH


Bild: Jobst/Pitopia