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DOI: 10.1055/s-0029-1245040
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Jugendliche und junge Erwachsenen mit Diabetes mellitus Typ 1 - Übergang von der Pädiatrie in die Erwachsenenmedizin
Korrespondenz
PD Dr. Thomas Michael Kapellen
Department für Frauen und Kindermedizin Universitätsklinikum Leipzig AöR
Liebigstr. 20a
04103 Leipzig
eMail: ThomasMichael.Kapellen@medizin.uni-leipzig.de
Publikationsverlauf
Publikationsdatum:
07. Januar 2010 (online)


Der erfolgreiche Übergang von Patienten mit Diabetes von der pädiatrischen in die internistisch diabetologische Betreuung stellt eine Herausforderung für alle Beteiligten dar. Es besteht seit längerem Konsens über die Notwendigkeit, geeignete Transfermodelle zu etablieren oder zu verbessern. Dieser Artikel soll für Chancen und Barrieren beim Transfer von Patienten mit Diabetes sensibilisieren und mögliche Lösungen anbieten. Viele der hier genannten Aspekte treffen auch auf Patienten mit anderen chronischen Erkrankungen, die im Kindesalter auftreten, zu (z. B. Asthma).
Der Begriff "Transfer" impliziert mehr als nur eine rein administrative Überweisung, sondern steht für das angestrebte Konzept einer strukturierten Übergabe. Die American Society for Adolescent Medicine definierte Transition als "... einen zielgerichteten und geplanten Übergang von Adoleszenten und jungen Erwachsenen mit chronischen physischen und medizinischen Beeinträchtigungen von einer kindzentrierten zu einer an Erwachsenenbedürfnisse ausgerichteten Gesundheitsbetreuung" (1). In der Praxisleitlinie der Deutschen Diabetes-Gesellschaft wird das Thema folgendermaßen aufgegriffen: "Der Übergang von der pädiatrischen in die internistische Diabetesbetreuung trifft junge Menschen mit Diabetes im Alter von 16 bis 21 Jahren in einer Lebensphase allgemeiner Umbrüche und sollte begleitet werden (Übergangssprechstunden, strukturierte pädiatrisch-internistische Übergabe o. ä. (2). Fachgesellschaften und Berufsverbände fordern zwar eine Verbesserung des Transfers, allerdings mangelt es meist an strukturell-organisatorischen, personellen und ökonomischen Voraussetzungen.
In Deutschland wird das Modell der interdisziplinären Übergangssprechstunde (ÜSP) gemeinsam mit dem Pädiater und Internisten favorisiert. 2002 hatten von den 36 deutschen Universitätsklinika nur 8 eine Übergangssprechstunde im Bereich Endokrinologie/Diabetologie etabliert (3). Die Kliniken begründeten das Nichtvorhandensein einer ÜSP folgendermaßen: fehlendes Personal (58 %), Sachkosten (23 %), kein Bedarf (10 %), Patienten werden in der Pädiatrie weiterbehandelt (4 %), ist nicht erwünscht (4 %) oder es wurde noch nicht darüber nachgedacht (23 %). Im Gegensatz dazu waren sich Pädiater und Internisten einig, dass akute Komplikationen, wie Hypoglykämien oder Ketoazidosen bei Patienten mit Typ-1-Diabetes, durch eine ÜSP vermindert werden könnten (3). Aus der Sicht der Patienten würde solch eine ÜSP als sehr hilfreich angenommen werden (3, 4).
Der Übergang in die Erwachsenbetreuung fällt in eine Phase mit erhöhter Stoffwechselinstabilität und Risiko für Komplikationen wie Ketoazidosen (5). Zum einen ist dies eine Folge verminderter Insulinsensitivität während der Pubertät, aber auch psychosoziale Veränderungen spielen eine Rolle (Tab. [1]) (6). Darüber hinaus haben Studien gezeigt, dass mehr als 10% der Jugendlichen zu dieser Zeit schon mikrovaskuläre Komplikationen (wie Retino-, Nephro- oder Neuropathie) entwickelt haben (7). Es wird angenommen, dass gerade im jungen Erwachsenenalter das Verhalten und die Einstellung zur Erhaltung der Gesundheit geprägt wird (8). Somit hat sowohl schon die pädiatrische Diabetologie in der Prävention von Langzeitfolgen als auch der Hausarzt und der Erwachsenen-Diabetologe eine entscheidende medizinische und ökonomische Verantwortung. Gerade bei Patienten mit Typ-1-Diabetes treten in bis zu 20 % Essstörungen/Körperschemastörungen (Bulimia oder Anorexia nervosa, Adipositas) auf, was oft mit Insulinreduktionen zur Gewichtskontrolle einhergeht (7). Weiterhin sind bei den jungen Erwachsenen psychiatrische Begleiterkrankunken, v. a. Depression, häufig (ca. 10-25 %) (7). Angst vor Folgeerkrankungen belastet die Patienten. Nonadherence in der täglichen Diabetestherapie und Risk taking behaviour mit Alkohol- oder Drogenkonsum können schwere Stoffwechselentgleisungen provozieren. Diese möglichen Schwierigkeiten um die Zeit des Transfers sollten auch dem Hausarzt und dem weiterbetreuenden Diabetologen bewusst sein. Der Hausarzt hat hier oft eine entscheidende Rolle bei der Problemlösung. Oft kennt er den Patienten und seine Familie besser als der weiterbehandelnde Diabetologe. Er kann auch leichter eine mögliche Überprotektion des chronisch kranken Kindes durch die Eltern, welche die Entwicklung zur Selbstständigkeit in der Diabetestherapie hindert, erkennen. Weitere Veränderungen und Herausforderungen im sozialen Umfeld wie z. B. erste Partnerschaften, der Beginn einer beruflichen Laufbahn oder der Auszug aus dem Elternhaus kann eine Diabeteseinstellung empfindlich stören.


Tab. 1 Mögliche Barrieren beim Übergang in die Erwachsenmedizin (14).
Ein anderer Aspekt ist, dass es sowohl dem Pädiater als auch dem Patienten oft schwer fällt eine über Jahre gewachsene Betreuungsbeziehung zu beenden, sodass der Übergang hinausgezögert wird oder nach dem Transfer keine angemessene diabetologische Weiterbetreuung erfolgt (9). Eine weitere zentrale Sorge bei der Übergangsplanung ist die Sicherung der Weiterbehandlung durch einen Spezialisten und die Vermeidung eines Drop-out aus der medizinischen Behandlungskette. Studien berichteten, dass bis zu 30 % der Patienten nicht durch einen Diabetologen, sondern entweder "nur" durch den Hausarzt behandelt wurden oder gar keinen Arzt hatten (4, 7). Darüber hinaus wird öfter der Diabetologe noch mal gewechselt. Gründe hierfür sind Behandlungsunzufriedenheit, ein Umzug oder auch die ständige Rotation der Ärzte in den Klinikambulanzen (3, 4).
Mögliche Unterschiede zwischen pädiatrischer und internistischer Betreuung können ebenfalls den Transfer erschweren (Tab. [2]). Nach einer Umfrage erwarten die Patienten vom behandelnden Arzt hauptsächlich Privatsphäre und Vertrautheit (69 %), kurze Wartezeiten (67 %) und eine informelle Atmosphäre (63 %) (10). Positiv ist zu sehen, dass die Zeit des Überganges für den Patienten auch eine Chance zum Neuanfang sein und seine Eigenständigkeit fördern kann.


Tab. 2 Unterschiede zwischen pädiatrischer und internistischer Betreuung als mögliche Barriere im Transferprozess (15).
Durchführung des Übergangs
Ein optimales Alter für den Übergang kann nicht allgemeingültig benannt werden (11). Der Übergangszeitpunkt sollte individualisiert werden entsprechend der medizinischen, psychologischen oder sozialen Situation (4). Das Zielalter ist das 16. bis 21. Lebensjahr. Seitdem das Disease Management Programm Sachsen eine pädiatrische Betreuung bis zum 21. Lebensjahr zulässt, nimmt die Mehrheit unserer Patienten das Angebot der Weiterbetreuung bis über das 18. Lebensjahr wahr. Aktuelle problematische Situationen wie gehäufte Hypoglykämien oder Ketoazidosen sind schlechte Zeitpunkte einen Übergang durchzuführen. Wichtig ist eine frühzeitige Vorbereitung (etwa 1 Jahr) des Jugendlichen auf den Arztwechsel und die Möglichkeit der Mitentscheidung über die geeignete Weiterbehandlung (12). Für die Patienten ist es wichtig, dass sie Informationen über den weiter behandelnden Arzt erhalten (4). Die Einbeziehung der Eltern kann hilfreich sein, wenn die Eigenständigkeit des Patienten nicht adäquat erscheint. Zur Vorbereitung kann auch eine nochmalige Schulung mit Förderung der Verantwortungsübernahme über die selbständige Therapieentscheidung, der Symptomerkennung oder gegebenenfalls die Einbeziehung von Diätassistenten oder Psychologen gehören (10). Ein ausführlicher Abschlussbericht von Seiten des Pädiaters und eine Rückmeldung über die Weiterbehandlung an den Pädiater sind Teil einer guten Transferqualität. Eine kollegiale und verständnisvolle Zusammenarbeit zwischen der pädiatrischen Einrichtung und dem Diabetologen ist Voraussetzung für die Übergangsplanung. Interdisziplinäre Übergangssprechstunden gemeinsam mit dem Pädiater und dem weiter behandelnden Arzt stellen eine Optimalform der Transition dar. Gemeinsam kann ein Resümee gezogen und die Weiterbehandlung diskutiert werden. Bei der Übergangssprechstunde sollte ein Wiedervorstellungstermin beim neuen Arzt festgelegt werden und Recall- und Reminderfunktionen etabliert werden, um die Kontinuität in der Weiterbetreuung zu sichern (12). Regelmäßige Evaluierungen sichern die Qualität von Transferarrangements. Weitere Vorteile einer ÜSP sind die Verhinderung von Informationsverlusten, die Förderung der Behandlungszufriedenheit, der Abbau von Vorurteilen, die gemeinsame Weiterbildung über pädiatrische und internistische Schwerpunkte der Therapie oder auch die Stärkung wissenschaftlicher Kooperation (3, 13).


Bild: Pixland
Fazit für die Praxis
Mögliche Barrieren beim Transfer können auf verschiedenen Ebenen existieren: ökonomisch (Zeit, Personal), im medizinisch strukturellem Umfeld, Patientenebene (metabolisch, psychisch oder sozial).
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Mögliche Barrieren beim Transfer können auf verschiedenen Ebenen existieren: ökonomisch (Zeit, Personal), im medizinisch strukturellem Umfeld, Patientenebene (metabolisch, psychisch oder sozial).
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Der Übergang sollte frühzeitig geplant werden und zwischen dem 16. und 21. Lebensjahr stattfinden.
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Optimal ist eine gemeinsame Übergangssprechstunde.
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Eine ärztliche Konstanz in der Betreuung des Patienten verhindert Nonadherence, einen Drop-out in der Betreuung, Informationsverluste, eine verbesserte Behandlungszufriedenheit und ist Voraussetzung für Versorgungsforschung auf diesem komplexen Gebiet.
Literatur bei der Redaktion
#Korrespondenz
PD Dr. Thomas Michael Kapellen
Department für Frauen und Kindermedizin Universitätsklinikum Leipzig AöR
Liebigstr. 20a
04103 Leipzig
eMail: ThomasMichael.Kapellen@medizin.uni-leipzig.de
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Tab. 1 Mögliche Barrieren beim Übergang in die Erwachsenmedizin (14).


Tab. 2 Unterschiede zwischen pädiatrischer und internistischer Betreuung als mögliche Barriere im Transferprozess (15).


Bild: Pixland