Dialyse aktuell 2009; 13(10): 580-581
DOI: 10.1055/s-0029-1245026
Forum der Industrie

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Anämietherapie mit kontinuierlichem Erythropoietin-Rezeptor-Aktivator - Stabile Hämoglobinwerte bei einmal monatlicher Gabe

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05 January 2010 (online)

 
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Mit Methoxy-Polyethylenglykol-Epoetin beta (Mircera®) steht der 1. Vertreter einer neuen Substanzklasse von kontinuierlichen Erythropoietin-Rezeptor-Aktivatoren (C.E.R.A.) zur Behandlung der symptomatischen Anämie bei chronischen Nierenerkrankungen zur Verfügung. In der Erhaltungsphase reicht die monatliche subkutane oder intravenöse (i. v.) Gabe, um die Hb-Werte (Hb: Hämoglobin) im Zielbereich zu halten.

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Große Hb-Variabilität und begrenzte Zielwerte als Herausforderung

Der enge Zielbereich für den Hb-Wert ist eine therapeutische Herausforderung. Die Richtlinien der KDOQI ("Kidney Disease Outcomes Quality Initiative") empfehlen eine stabile Einstellung der Patienten auf Hb-Konzentrationen zwischen 11 und 12 g/dl, wobei Werte über 13 g/dl vermieden werden sollten [1]. Auch in den europäischen EBPG-Leitlinien (EBPG: "European Best Practice Guidelines") wird ein Hb-Zielwert von mehr als 11 g/dl angestrebt, wobei ein Hb-Wert über 14 g/dl vermieden werden soll. Liegt zusätzlich eine schwere kardiovaskuläre Erkrankung oder ein Diabetes mellitus vor, wird eine obere Hb-Konzentration von 12 g/dl empfohlen [2].

Das Mortalitätsrisiko von Hämodialysepatienten wächst bei Hb-Werten unter 11 g/dl deutlich [3]. Andererseits führen zu hohe Hb-Werte bei Patienten mit renaler Anämie weder zur Verbesserung der Erkrankung noch des kardiovaskulären Risikos [4]. Studienergebnisse weisen sogar darauf hin, dass oberhalb eines Hb-Wertes von 13 g/dl die Sterblichkeit wieder ansteigt [3]. In der Praxis wird ein Hb-Zielwert von 11-13 g/dl allerdings nicht bei allen Patienten erreicht, da hierzu etwa die Standardabweichung der Hämoglobinwerte lediglich 0,5 g/dl betragen dürfte. Dieser Wert ergibt sich jedoch schon allein aufgrund der methodenbedingten Schwankungsbreite bei der Konzentrationsbestimmung des Hämoglobins im Labor.

Es ist bei der Therapie einer renalen Anämie nicht nur schwierig, den Hb-Zielwert zu erreichen, sondern auch ihn dauerhaft im Zielbereich zu stabilisieren, da der Hb-Wert bei diesen Patienten häufig Schwankungen mit großer Amplitude aufweist. So ergab eine retrospektive Auswertung der Daten von 1 573 Dialysepatienten, dass die Hb-Konzentration durch eine ESA-Therapie in nur knapp 21 % der Fälle über 6 Monate stabil in einem Bereich zwischen 11-13 g/dl war [5]. Die übrigen Patienten wiesen in diesem Zeitraum Hb-Werte auf, die teilweise oder komplett ober- bzw. unterhalb des Zielkorridors lagen (Abb. [1]).

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Abb. 1 Verlauf der Hämoglobinwerte unter der ESA-Therapie. Nur knapp 21 % der Dialysepatienten weisen während der 6-monatigen Beobachtungsdauer einen stabilen Wert im Zielbereich von 11–13 g/dl auf; Gruppe 1: dauerhaft Hb < 11 g/dl, Gruppe 2: dauerhaft Hb > 13 g/dl, Gruppe 3: dauerhaft Hb = 11–13 g/dl, Gruppe 4: "Low-Level-Cycler", Gruppe 5: "High-Level-Cycler", Gruppe 6: "High-Amplitude-Cycler". nach [5] Gruppe 1: dauerhaft Hb < 11 g/dl, Gruppe 2: dauerhaft Hb > 13 g/dl, Gruppe 3: dauerhaft Hb = 11–13 g/dl, Gruppe 4: "Low-Level-Cycler", Gruppe 5: "High-Level-Cycler", Gruppe 6: "High-Amplitude-Cycler"

Für ein solches Hb-Cycling gibt es unterschiedliche Ursachen: Während etwa eine Dosiserhöhung des Erythropoetins oder eine vermehrte Eisensubstitution zur Steigerung des Hb-Werts führen können, sind eine Erniedrigung oder Aussetzung der Erythropoetindosis, Infektionen oder eine geringere Eisenzufuhr Faktoren, die die Hb-Konzentration senken. Die Folgen einer großen Hb-Variabilität können für die Patienten fatal sein: Sie ist mit einer erhöhten Mortalität assoziiert [3].

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Problemlose Umstellung

Wie Prof. Martin Kuhlmann, Berlin, auf dem DGfN-Kongress erklärte, kann man durch eine Umstellung von kurzwirksamen ESA ("erythropoiesis-stimulating agents") auf die einmal monatliche Gabe von C.E.R.A. einen stabilen Hb-Wert bei Dialysepatienten erreichen. Dies ist unabhängig von dem vorher genutzten Präparat, der Applikationsart oder der Frequenz der Behandlung. Dies belegt die einarmige, prospektive Studie MIRACEL [6], die die Praktikabilität einer Umstellung an 90 deutschen Zentren untersuchte. Die 661 Studienteilnehmer waren mit Epoetin alpha, beta, delta oder Darbepoetin vorbehandelt worden. Nach einem 2-monatigen Screening erfolgte die Umstellung von 442 Patienten unabhängig von der Vormedikation auf C.E.R.A. einmal monatlich.

Während der Screeningphase lag der mittlere Hb-Wert bei 11,7 ± 0,6 g/dl. Nach einer 5-monatigen Titrationsphase folgte die 3-monatige Evaluationsphase. Der primäre Endpunkt war ein bestimmter Hb-Korridor: 11,0-12,5 g/dl als enger und 10,0-12,0 g/dl als weiter Korridor (Abb. [2]). Im Ergebnis befanden sich 36,8 % der Patienten in der Screeningphase im engen Hb-Zielkorridor und 30,8 % in der Evaluationsphase. Innerhalb des weiten Hb-Rahmens waren es 91,6 % versus 74,9 % (Screening vs. Evaluationsphase). Eine Stabilität des Hb-Wertes (± ≤ 1g/dl des phasenspezifischen individuellen Mittelwertes) erreichten 90,6 % in der Screening- und 82,9 % in der Evaluationsphase.

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Abb. 2 MIRACEL-Studie: Anzahl der Patienten, die bei jeder Kontrolle den Hb-Zielwert erreichten. nach [6]

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Postmarketingstudie mit Peritonealdialysepatienten

Die Umstellung von Epoetin beta oder Darbepoetin alfa auf C.E.R.A. bei Patienten, die mit der Peritonealdialyse behandelt werden, bewertete eine Postmarketingstudie [7]. Alle Studienteilnehmer wurden auf C.E.R.A. einmal monatlich umgestellt. 3 Monate nach der Umstellung wurden das Injektionsintervall auf 5 Wochen verlängert. Nach 9 Behandlungsmonaten erhöhte sich der Hb-Wert von 10,7 ± 1,7 g/dl auf 12,1 ± 1,0 g/dl. Eine geringe Anpassung der Dosis war nach 1 Monat bei 7 Patienten und nach 2 Monaten bei 6 Patienten notwendig.

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Längste Halbwertszeit aller ESAs

Die lange Wirksamkeit liegt darin begründet, dass C.E.R.A. mit 160-164 Stunden nach i. v. und s. c. Applikation die längste Halbwertszeit [8] aller ESAs hat, erklärte Kuhlmann. Ein weiteres Merkmal von C.E.R.A. ist die unveränderte Wirkung bei Patienten mit Leberinsuffizienz. Dies konnte in einer nicht randomisierten, multizentrischen, offenen Studie [9] mit 12 Patienten und 12 gesunden Probanden belegt werden. Nach einer 2-wöchigen Screeningphase erhielten die Studienteilnehmer eine i. v. Dosis C.E.R.A. und wurden anschließend über etwa 8 Wochen nachbeobachtet.

Den Daten zufolge war das pharmakokinetische Profil bei beiden Gruppen ähnlich. Unter der Therapie mit C.E.R.A. kam es zu einer anhaltenden erythropoietischen Stimulation bei allen Studienteilnehmern. Die Retikulozytenzahl erreichte 7-9 Tage nach der C.E.R.A.-Gabe ihren Höhepunkt und fiel bis zu Tag 22 wieder auf die Ausgangswerte ab. Ein geringeres Ansprechen der Retikulozyten auf die Therapie führte nicht zu einem geringeren Ansprechen von Hämoglobin, Hämatokrit oder Erythrozyten. Dies legt nahe, dass eine Leberinsuffizienz keinen klinisch relevanten Effekt auf die Pharmakodynamik von C.E.R.A. hat.

Laut Kuhlmann zählt zu den weiteren pharmakokinetischen Eigenschaften von C.E.R.A. eine in vitro 50-100-fach geringere Affinität zum EPO-Rezeptor als Epoetin-beta [10]. Dabei scheint die niedrigere Affinität hauptsächlich durch eine langsamere Assoziation an den Rezeptor begründet zu sein. Diese verschiedenen Rezeptorbindungseigenschaften von C.E.R.A. könnten die kontinuierliche Stimulation der Erythropoiese ermöglichen.

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Nierenprotektion durch EPO?

Erythropoetin besitzt neben hämatopoetischen auch zytoprotektive Eigenschaften. So wird angenommen, dass EPO über einen intrazellulären Signalweg die Produktion von Stickstoffmonoxid (NO), die Angiogenese und endotheliale Progenitorzellen stimuliert und möglicherweise anti-apoptotische Effekte auf die Nierenzellen hat. Daraus könnte ein neues Behandlungskonzept entstehen, so Kuhlmann weiter. Dabei stellt sich die Frage, ob therapeutisch neben der Stabilisierung der renalen Anämie die Nierenfunktion aufrechterhalten werden kann.

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Möglicher Schutz der Podozyten

Zum einen könnte Epoetin über eine Erhöhung der Anzahl roter Blutzellen gegen oxidativen Stress schützen und über die erhöhte Sauerstoffabgabe vor tubulären Schäden bewahren [11]. Zum anderen haben Epoetin beta und C.E.R.A. einen protektiven Effekt auf die von "Advanced Glycated End Products" (AGEs) induzierten Schäden in Podozyten. Dies zeigte erstmals eine experimentelle Untersuchung [12]. Darin wurden kultivierte Mauspodozyten unter Zusatz von Epoetin beta, C.E.R.A. sowie AGE-BSA (BSA: bovines Serumalbumin) inkubiert.

Wie die Ergebnisse zeigen, hat die Inkubation mit EPO und C.E.R.A. durch einen Einfluss auf die Genexpression von p27Kip1 und NRP1 (Neuropilin 1) einen protektiven Effekt auf die von AGE-BSA induzierten Schäden in Podozyten. Deshalb könnte eine frühzeitige EPO-Therapie einen progressiven Podozytenverlust bei der diabetischen Nephropathie und damit eine Proteinurie verhindern.

Auch eine andere Forschungsarbeit [13] untersuchte die gewebeprotektiven Eigenschaften von C.E.R.A. in einem diabetischen, nicht ischämischen Nierenschadenmodell an Mäusen. Die Auswertung zeigte eine signifikant verringerte Expression von TGF-ß (TGF: "transforming growth factor"), VEGF ("vascular endothelial growth factor") und Kollagen IV in den Glomeruli und im tubulointerstitiellen Bereich.

Diese nützlichen molekularen Effekte bei der Gabe von C.E.R.A. waren dosisabhängig und im Vergleich zu Placebo statistisch signifikant. Des Weiteren konnte die Albuminurie bei einer niedrigen C.E.R.A.-Dosierung gegenüber Placebo signifikant verringert werden. Die in experimentellen Daten gezeigten protektiven Effekte von C.E.R.A. auf die Niere sollen jetzt in einer klinischen Studie belegt werden, schloss Kuhlmann.

Dr. Ralph Hausmann, Frankfurt

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen.

Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "Gemeinsam Grenzen verschieben", veranstaltet von der Roche Pharma AG, Grenzach-Wyhlen, im Rahmen des Kongresses für Nephrologie der DGfN 2009.

Der Autor ist freier Journalist.

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Literatur

  • 01 KDOQI .Clinical practice guideline and clinical practice recommendations for anemia in chronic kidney disease: 2007 Update of Hemoglobin Target. Im Internet: www.kdoqi.org
  • 02 Revised European Best Practice Guidelines for the management of anaemia in patients with chronic renal failure.  Nephrol Dial Transplant. 19 (Suppl. 2) ii1-ii47
  • 03 Regidor DL . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 1181-1191
  • 04 Drüeke TB . et al . N Engl J Med. 2006;  355 2071-2084
  • 05 Müller HJ . et al . Contributing factors to hb-cycling in a large cohort of esrd patients in germany. ASN 2006 in San Diego, Poster. 
  • 06 Fliser D . et al . DKfN 2009, Göttingen, Poster 192. 
  • 07 Corsenca A . et al . DKfN 2009, Göttingen, Poster 315. 
  • 08 Fishbane S . et al . J Clin Pharmacol. 2007;  47 1390-1397
  • 09 Kupcova V . et al . Curr Med Res Opin. 2008;  24 1943-1950
  • 10 Jarsch M . et al . Pharmacology. 2008;  81 63-69
  • 11 Rossert J . et al . J Am Soc Nephrol. 2003;  14 S177
  • 12 Rüster C . et al . DKfN 2009, Göttingen, Poster 299. 
  • 13 Menne J . et al . J Am Soc Nephrol. 2007;  18 2046-2053
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Literatur

  • 01 KDOQI .Clinical practice guideline and clinical practice recommendations for anemia in chronic kidney disease: 2007 Update of Hemoglobin Target. Im Internet: www.kdoqi.org
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  • 03 Regidor DL . et al . J Am Soc Nephrol. 2006;  17 1181-1191
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  • 07 Corsenca A . et al . DKfN 2009, Göttingen, Poster 315. 
  • 08 Fishbane S . et al . J Clin Pharmacol. 2007;  47 1390-1397
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  • 10 Jarsch M . et al . Pharmacology. 2008;  81 63-69
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  • 12 Rüster C . et al . DKfN 2009, Göttingen, Poster 299. 
  • 13 Menne J . et al . J Am Soc Nephrol. 2007;  18 2046-2053
 
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Abb. 1 Verlauf der Hämoglobinwerte unter der ESA-Therapie. Nur knapp 21 % der Dialysepatienten weisen während der 6-monatigen Beobachtungsdauer einen stabilen Wert im Zielbereich von 11–13 g/dl auf; Gruppe 1: dauerhaft Hb < 11 g/dl, Gruppe 2: dauerhaft Hb > 13 g/dl, Gruppe 3: dauerhaft Hb = 11–13 g/dl, Gruppe 4: "Low-Level-Cycler", Gruppe 5: "High-Level-Cycler", Gruppe 6: "High-Amplitude-Cycler". nach [5] Gruppe 1: dauerhaft Hb < 11 g/dl, Gruppe 2: dauerhaft Hb > 13 g/dl, Gruppe 3: dauerhaft Hb = 11–13 g/dl, Gruppe 4: "Low-Level-Cycler", Gruppe 5: "High-Level-Cycler", Gruppe 6: "High-Amplitude-Cycler"

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Abb. 2 MIRACEL-Studie: Anzahl der Patienten, die bei jeder Kontrolle den Hb-Zielwert erreichten. nach [6]