Aktuelle Dermatologie 2010; 36(12): 488-491
DOI: 10.1055/s-0029-1244105
Von den Wurzeln unseres Fachs

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Perseus, Medusa und die Darstellung der Hässlichkeit

Perseus, Medusa and the Presentation of UglinessE.  G.  Jung
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Prof. Ernst G. Jung

Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg

Email: ernst.g.jung@t-online.de

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Publication Date:
06 April 2010 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Der archaische Mythos vom edlen Helden Perseus erzählt uns, wie er mit Hilfe der Göttin Pallas Athena und des Göttervaters Zeus die schreckliche Medusa umbringt. Medusas Antlitz war so fürchterlich, dass jeder Beschauer unverzüglich versteinerte. So wurde Medusa zum Sinnbild der Hässlichkeit für die Künstler (Maler und Bildhauer) im Versuch, ebendiese darzustellen. Es können zwei Darstellungsarten unterschieden werden:

Die archaische Art zeigt das runde Gesicht „en face” mit bizarrer Verzerrung von Augen und Mund. Die zweite Art präsentiert ein komplexes Bildprogramm mit einer Folge von Aspekten, die in einer Illustration kondensiert werden. Figurative Elemente des Sinnbildes Medusa sind immer noch gültig und wirksam, durch all die Jahrhunderte hindurch und bis jetzt.

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Abstract

The archaic myth of the ideal hero Perseus tells us about the killing of the horrible Medusa with the help of his gods Pallas Athena and Zeus. Medea’s face was extremely frightful, so that every spectator was immediately petrified.

Therefore Medusa is the leading emblem for artists (painters and sculptors) for the visual presentation of ugliness. Two different modes of presentation may be distinguished:

The archaic way of Medusa’s aspect is the round face „en face” with a bizarre overrepresentation of eyes and mouth. The second view offers a complex program of consecutive aspects condensed in one illustration. Figurative elements of the emblem Medusa are still valid and active throughout the centuries and up to now.

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Einleitung

Hässlich wird meistens als Gegensatz zur Schönheit definiert, wobei der Schönheit wesentlich mehr Bedeutung zukommt, vor allem in der künstlerischen Darstellung. Hässlich kann der Verlust der natürlichen Proportionen wirken, zumal die Natur als „natürlich schön” gesehen wird. Beides aber, Schönheit und Hässlichkeit sind keine absoluten Begriffe, sie wandeln sich in der Zeit und wirken nicht überall und auf alle Menschen gleich [1]. Betrachtet man die Menschen und ihre Gesichter, so wirken die durch rassische Segregation zustande gekommenen Menschentypen bei Weitem nicht gleichermaßen schön oder indifferent oder gar hässlich. Dazu unterscheidet sich die Beurteilung von außen maßgeblich von derselben innerhalb einer Menschengruppe. Obgleich Friedrich Nietzsche meinte, Hässlichkeit sei ein Zeichen von Degeneration [2], kann dem nicht gefolgt werden. Hässlichkeit ist oft angeboren. Hässlichkeit ist auch nicht Zeichen von Krankheit, nicht von Alterung und auch nicht mit Verwerflichkeit verknüpft [1] [3] [4] [5] [6] [8]. Dies hat schon Wolfram von Eschenbach mit der hässlichen, aber hochgebildeten Figur der Kundrie aufgezeigt [7]. Hässlichkeit hat auch nichts mit der Hautfarbe zu tun, worauf wiederum Wolfram von Eschenbach schon im Mittelalter anhand der Halbbrüder Parzival und dem gescheckten Feirefiz hinwies [7].

Hässlichkeit ist schnell empfunden, schwer charakterisierbar und stellt eine Herausforderung dar zur künstlerischen Darstellung. Das Problem der Hässlichkeit und ihrer Bewältigung stammt aus der mythischen Vorzeit und steht im Zentrum des griechischen Mythos von Perseus, dem untadeligen Helden, und Medusa. Seine Darstellung beschäftigt die Künstler stets und immer noch. Dem gilt unser Interesse.

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Perseus, der ideale Held

Perseus ist das Musterbeispiel eines Lieblings der Götter. Von Zeus als Goldregen mit der Prinzessin Danae gezeugt, wird er, Bruder der Göttin Minerva, lebenslang von seinem Vater und von Pallas Athene beschützt. So wird er mehrfach vor den Nachstellungen seines Großvaters König Akrisios von Argos behütet, dem prophezeit wurde, dass ein Sohn seiner Tochter Danae ihm zum Verhängnis werden würde. Auf der Flucht erreichen Danae und ihr Sohn Perseus die Kykladeninsel Seriphos. Um Danae vor den Nachstellungen des dortigen Königs Polydektes zu bewahren, verspricht Perseus, diesem das Haupt der Gorgo Medusa zu bringen, welches jeden, der es sieht, zu Stein verwandelt.

Nun erscheint Pallas Athene und rüstet Perseus mit einem glänzenden Schild, der ein Bild zu spiegeln vermag. Sie weist ihm den Weg, den er trickreich begeht, wobei er von den Nymphen mit Flugsandalen, Manteltasche und Tarnkappe ausgerüstet wird und zudem von Hermes ein Krummschwert erhält.

So erreicht er die drei Gorgonen, deren Häupter statt Haaren Schlangen tragen und so hässlich aussehen, dass jeder, der sie direkt ansieht, fürchterlich erschrickt und sofort zu Stein erstarrt. Medusa ist die jüngste und hässlichste der drei und nur sie ist sterblich. Unter dem Schutz der Tarnkappe naht er sich der schlafenden Medusa, indem er nur in den Schild der Göttin Athena schaut. Unter deren Führung schneidet er das Medusenhaupt ab und fängt dieses in der Manteltasche auf. Aus der blutenden Wunde der kopflosen Medusa entspringen das geflügelte Ross Pegasus und ein Riese, beides Geschöpfe von Poseidon.

Pegasus, das geflügelte Ross, ist ein Fabelwesen, geboren aus dem Blut der sterbenden Medusa. Der Vater ist der alte Meeresgott Poseidon. Pegasus vermag Räume zu überbrücken, doch er wird der Verwendung durch Menschen entzogen, denen ja die Unsterblichkeit versagt bleibt, wie Gilgamesch [9] erfahren musste, und denen die Überwindung von Raum und Zeit nicht zur Verfügung steht. Nur den Dichtern und Poeten ist es vorbehalten, in ihren Geschichten von den Musen befördert den Pegasus zu reiten, über Räume und durch die Zeiten als Imaginationen und Fiktionen bis heute und auch weiterhin.

Mit Hilfe der Tarnkappe und der Flugsandalen flieht Perseus um die damalige Welt. Er sucht in Nordafrika Obdach bei König Atlas, der dies verweigert. Durch Vorzeigen des Medusenhauptes wird er zum heutigen Atlasgebirge versteinert.

In Tunesien fallen einige Tropfen des Medusenhauptes auf den Boden, wo sich sofort Schlangen bilden. Als er versucht, das Medusenhaupt mit Kräutern feucht zu halten, erstarren auch diese und werden zu Korallen. Die Artenvielfalt wird gefördert.

In Äthiopien befreit er die am Felsen gefesselte und einem archaischen Untier ausgelieferte Königstochter Andromeda, die er heiratet. Am Hochzeitsmahl erscheinen bewaffnete Feinde und Rivalen, welche er in seiner Not durch Zeigen des Gorgonenhauptes zu Stein erstarren lässt. Die Verbreitung von Marmor wird beleuchtet.

Zurück auf der Insel Seraphos, zeigt er dem ungläubigen Polydektes und seinen Gefährten das Gorgonenhaupt, weshalb diese Insel zu den felsigsten ganz Griechenlands gehört. Die Prophezeiung erfüllt sich, denn der Großvater Akrisios wird als Zuschauer bei einem Sportfest durch einen Diskuswurf an den Kopf getötet. Zurück in Argos, gibt Perseus die magischen Gegenstände zurück, das Gorgonenhaupt geht an Pallas Athene und wird begraben. Perseus übernimmt im Tausch mit Argos das Königreich von Tiryns. Ihm und Andromeda ist ein langes und glückliches Leben gegönnt, mit reichlich Kindern und Nachfahren, den Perseiden. Nach ihrem Tode werden beide zusammen zum leuchtenden Beispiel als Sternbilder zirkumpolar in den nördlichen Himmel erhoben. Der Hauptstern Mirfak bildet mit kleineren Sternen den Körper von Perseus, während Algol nebenan das Medusenhaupt darstellt. Benachbart steht das wesentlich bekanntere Sternbild Andromeda, mit den aufgereihten Sternen Sirrah, Mirach und Almak sowie der Spiralgalaxie des Andromedanebels.

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Perseus tötet Medusa

Perseus ist eine besondere, ja fast einmalige mythologische Gestalt der griechischen Sagenwelt. In der Perseusgeschichte werden verschiedene der archaischen mythologischen Figuren (Mytheme nach Didier Anzieu, [10]) zusammengeführt. Perseus ist ein Sterblicher, der, von seinem Vater Zeus wohlwollend geführt, ein untadeliges und den Göttern gefälliges Heldenleben führt. Ja er ist ein besonderer Liebling der Pallas Athene, die ihn als ausführendes „Werkzeug” ihrer unerbittlichen Rachepläne benützt, die Gorgonen zu bestrafen. Dies fokussiert sich auf die einzig sterbliche der drei Schwestern, auf Medusa, die zuvor mit ihrer Schönheit die Göttin beleidigte und dafür mit größtmöglicher Hässlichkeit bestraft wurde. So lesen wir bei Ovid [11] „von der Schauergestalt der Medusa, von Haaren besessen, mit welchen im Wechsel sich Schlangen vermischen. Solche trägt sie auch vorne auf der Brust” ([11], 4.615 ff).

Ihr schrecklicher Anblick lässt jeden sterblichen Betrachter zu Stein erstarren, was zur absoluten Isolation der Medusa führte. Nur Unsterbliche halten dem stand; Götter nämlich und ihre beiden Schwestern.

Sie soll nun durch Perseus umgebracht werden. Dafür liefert Pallas Athene direkt und indirekt die Mittel und das Wissen zur Tat, insbesondere die Tricks, um der versteinernden Wirkung des Gorgonenhauptes zu entgehen. Er erledigt den Auftrag pflichtgemäß. Auf der Flucht um die ganze damalige Welt entgeht er seinen Feinden und befördert zudem die Vielfalt der mineralischen Welt (Atlasgebirge und die Felseninsel Seraphos) und den Artenreichtum der Tierwelt (Schlangen und Korallen). Er verzichtet auf die weitere Nutzung der unglaublichen Wirkung des Medusenhauptes, gibt dieses der Pallas Athene zurück und befreit Andromeda, heiratet sie und kehrt in seine Heimat zurück. Sie führen ein langes, glückliches und gottgefälliges Leben, bekommen reichlich tüchtige Nachkommen und werden nach ihrem Ableben als Sternbilder im Himmel verewigt. Perseus verhält sich sein ganzes Heldenleben lang als treuer Diener seiner Göttin Pallas Athena und somit auch seines Vaters Zeus. Die geliehenen Attribute gibt er nach erfolgreich vollbrachter Tat zurück, verwendet diese also weder anmaßend noch unbotmäßig, er usurpiert sich nicht gegen die Götter, ist demütig und lebt traditionsgemäß, erfolgreich und fruchtbar. Ein Liebling und Günstling der Götter ohne Fehl und Tadel, eigentlich eine exemplarische Lebensgestaltung, jederzeit als Vorbild geeignet und zum Nacheifern empfohlen. Eine nahezu einmalige Geschichte in der Mythologie der Griechen und wohl auch anderer Kulturkreise.

Pallas Athena lässt das Gorgonenhaupt endgültig begraben, trägt dieses aber als Schreckbild auf ihrem Schild. Hier vermag es wohl die Gegner zu erschrecken, hat aber die versteinernde Wirkung nicht mehr. Homer allerdings schildert das Gorgonenhaupt auch auf dem Schild „Aigis” von Zeus, der damit Blitze schleudern und andere Blitze wehren kann. Damit wird gleichsam als Vorahnung eine Distanzwaffe skizziert, wie sie Jahrtausende später mit Laserkanonen realisiert wird.

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Medusa als Sinnbild der Hässlichkeit

Nun sind in den Mythen und Märchen viele Geschichten bekannt von Befreiung von Jungfrauen vor Ungeheuern oder Tyrannen, auch in der Bibel. Und Tarnkappen sowie Flügelsandalen (Siebenmeilenstiefel etc.) sind gleichfalls beliebte Utensilien für wundersame Geschehnisse und Taten in allen Kulturkreisen. Vielfältig ist solches in Wort und Bild künstlerisch festgehalten und ausgeschmückt. Von besonderem Reiz aber scheint für die bildhafte Darstellung in Bild und Skulptur das Medusenhaupt zu sein. Dabei steht nicht die Wirkung der Versteinerung im Vordergrund, sondern das Objekt selbst, das Medusenhaupt als Sinnbild des Hässlichen. Versteinerungen gibt es viele, in allen Märchen, Legenden und Mythen. Selbst in der Bibel ist die Versteinerung von Lots Frau beim Rückblick auf das untergehende Sodom festgehalten (AT, 1 Mos. 19). Das Gorgonenhaupt aber gilt als das Hässlichste vom Hässlichen, als Schreckbild eines menschenähnlichen Gesichtes und ist von steter Faszination für jeden Betrachter. Es ist nicht verwunderlich, dass seine Darstellung eine immerwährende Herausforderung darstellt für Maler und Bildhauer.

Der Begriff Medusa lebt weiter fort bis heute, so beispielsweise als Bezeichnung Medusa für das Quallenstadium der Nesseltierchen oder als Medusa-Piercing der Oberlippenmitte, hier wohl eher nicht zur Abschreckung, sondern als spezielle Markierung.

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Künstlerische Darstellung der Hässlichkeit

Schon in der antiken Welt wirkt das Medusenhaupt als Inbegriff der Hässlichkeit und stellt eine Herausforderung für darstellende Künstler dar. Man kann zwangsfrei zwei Herangehensweisen unterscheiden:

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Das archaische Bild

In der frühen Antike wird zunächst die Hässlichkeit des Gesichtes in den Vordergrund gerückt. Dargestellt wird ein rundes, deutlich vom ovalen Idealbild abgesetztes Gesicht in Frontalansicht mit groben, wulstigen Zügen und mit einem überbreiten, teilgeöffneten Mund, umrahmt von wulstigen Lippen. Bizarre Zähne sind sichtbar und die Zunge hängt weit heraus. Die Haare werden eher wie ein Fries als Begrenzung oder Gesichtsrahmen gestaltet.

Derart ist die Medusa vielfach in der griechischen schwarzfigurativen Vasenmalerei abgebildet, als Skulptur gestaltet, wie beispielsweise als Metope des Tempels von Selinunt schon 540 v. Chr. ([Abb. 1]) oder auf einer attischen Drachme aus ähnlich früher Zeit ([Abb. 2]).

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Abb. 1 Archaische Darstellung der Medusa, wie sie von Perseus enthauptet wird. Das frontal gezeigte Gesicht zeigt eine unförmig verbreiterte, eben besonders hässliche Mundpartie. Metope am Fries des Tempels von Selinunt in Sizilien, Halbrelief 540 v. Chr.

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Abb. 2 Gorgonenhaupt der Medusa auf einer attischen Drachme, 520 v. Chr.

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Das expressive Bildprogramm

Eine anders geartete Darstellung der hässlichen und schreckenerregenden Medusa gestaltet sich aus dem Bemühen, Gefühle, Regungen, Eindrücke und Stimmungen bildhaft darzustellen. Das Gesicht bleibt dem ovalen Idealbild nahe und trägt feine, wenn auch erschrockene Züge. Die Künstler, ausgehend von Phidias im 5. Jh. v. Chr., vermitteln Hässlichkeit und schreckenerregende Ausstrahlung durch die wirre und von Schlangen durchsetzte Haartracht. Offenbar soll dadurch die ursprüngliche Schönheit der Gorgone Medusa angesprochen werden, welche durch den Bann der Pallas Athena mit dem Hässlichkeit und Schrecken ausstrahlenden Attribut des Schlangenhaupts geschlagen wurde.

Dergestalte Bilder der Medusa finden sich schon als Wandmalerei in Pompeji aus dem 1. Jh. n. Chr., wo Perseus das schlangenbestückte Medusenhaupt in seiner Linken hochhält ([Abb. 3]), sowie vor allem und in großer Vielfalt in der Neuzeit. Hier sticht das Standbild „Perseus mit dem Haupt der Medusa” von Benvenuto Cellini (1554) in Florenz hervor, aber auch die berühmten Bilder von Michelangelo Caravaggio (1595), Peter Paul Rubens (1617, [Abb. 4]), Arnold Böcklin (1878) und sehr vielen anderen.

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Abb. 3 Perseus hält das abgeschlagene Haupt der Medusa in seiner Linken empor. Das Gesicht der Medusa zeigt ausgewogene, jugendliche Züge. Wandmalerei aus Pompeji, 1. Jh. n. Chr.

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Abb. 4 Das Haupt der Medusa. Ölbild von Peter Paul Rubens 1617. Das ausgewogene Gesicht zeigt Erschrecken und ist von im Haar und aus dem Blut erwachsenen Schlangen eingenommen.

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Deutung der Bilder

In der archaischen Darstellung der Hässlichkeit wird das Gesicht frontal dargestellt und charakteristisch entstellt. Dabei sind die Gesichtspartien der ersten visuellen Erkennung, die Horizontalen der Augen und des Mundes sowie die Nasenvertikale so stark verändert, dass die ausgewogene Schönheit oder wenigstens Gefälligkeit des menschlichen Gesichtes gebrochen wird. Dies wahrzunehmen erfolgt gleich beim Erstblick des Betrachters und wird dadurch eingeprägt im Erkennen und dauerhaft gespeichert im Gedächtnis. Der Ersteindruck der Hässlichkeit wird sowohl im Kurzzeit- wie auch im Langzeitgedächtnis verankert. Im runden Gesicht mit plumpen Zügen erscheinen die Augen groß, glotzend und breitstehend und der halb geöffnete Mund wird oval extrem verbreitert, von wulstigen Lippen entstellt, mit bizarren Zähnen besetzt und mit heraushängender Zunge versehen. Solche Gesichtszüge erinnern an anthropomorphe Fabelwesen, an angeborene Missbildungen und finden sich in den rituellen Masken vieler Völker wieder, so auch noch bis heute in Faschingszügen und bei ritueller Winteraustreibung. Im kulturellen Gedächtnis wird diese Darstellung der Hässlichkeit bis in die Gegenwart transportiert.

Die expressive Darstellungsart der hässlichen Medusa zeigt ein ganzes Bildprogramm, das sich durch die Jahrtausende ebenfalls bis in die Gegenwart stereotyp erhalten hat und künstlerisch gestaltet wird. Dieses zeigt ein ovales, wohlgeformtes Gesicht mit feinen Zügen, mädchenhaft also die junge und sehr schöne Medusa, bevor sie von Pallas Athena mit dem Bann der Hässlichkeit geschlagen wurde. Meist zeigen diese Gesichtszüge ein erstauntes, ängstliches Erschrecken, wohl die Reaktion auf den eben wirksam werdenden Bann. Und um das Gesicht herum wird nun, Ovid folgend [11], das absolut ungewöhnliche und damit schreckliche, von Schlangen durchsetzte Haupthaar zur Bildfülle aufgebauscht. Ja die Schlangen entspringen auch dem Körper, an den blutbefleckten Stellen, wie sie drastischer als auf dem Rubensbild ([Abb. 4]) kaum vermittelt werden können. Die Hässlichkeit des Fluches und der blutige Tod vollenden das viergliedrige Bildprogramm des Medusa-Mythos. Der Schreck des Fluchs wird hier nochmals wiederholt durch den Schreck der Enthauptung.

Seit jeher ist Schönheit beachtet, gewürdigt, angestrebt und vielfältig dargestellt worden. Hässlichkeit aber, der ungeliebte und abgelehnte Gegensatz, wurde verdrängt, gemieden und seine Darstellung gestaltete sich schwierig. Sie erfolgte weitgehend stereotyp in den zwei geschilderten Darstellungsweisen. Dazu liefert der Mythos vom edlen Helden Perseus und der hässlichen, verfluchten Medusa den Stoff, der sich tief im kulturellen Gedächtnis verankert und über Jahrtausende erhalten hat. Und er wirkt auch heute noch weiter, vielfältig und oft unterschwellig. Nicht nur in den Masken konservierter Riten finden sich die Elemente der hässlichen Gesichtsentstellung, sondern unverkennbar auch in den riesig durch Gesichtbemalung vergrößerten Mäulern der Clowns.

Andererseits wird versucht, die Schönheit ausgewogener Gesichter derart zu steigern, dass erhöhte Attraktivität resultiert und sinnlich gesteigerte Aufmerksamkeit provoziert wird. Dazu werden fließende Übergänge von Schönheit über herausfordernde Attraktivität bis an die Grenze der hässlichen Entstellung begangen [12]. Die Augenpartien werden bis zur Grenze des Bizarren betont und verändert. Die Mundpartie wird vergrößert und farblich hervorgehoben. Die dekorative Kosmetik, Augmentation und invasive Methoden der Umgestaltung sind fast grenzenlos einsetzbar. Tattoos und Piercings kommen dazu. Und die Haargestaltung schreckt nicht vor „Schlangenanspielungen” zurück.

Das Bestreben, die natürliche Schönheit zur Attraktivitätssteigerung gezielt zu ergänzen, greift schrittweise, mehr oder weniger diskret und oft nicht bewusst auf die alterprobten Elemente zurück, welche zur künstlerischen Darstellung der Hässlichkeit sich bewährt haben. Und die alten Mythen stellen diese zu Verfügung.

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Literatur

Prof. Ernst G. Jung

Maulbeerweg 20
69120 Heidelberg

Email: ernst.g.jung@t-online.de

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Literatur

Prof. Ernst G. Jung

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Abb. 1 Archaische Darstellung der Medusa, wie sie von Perseus enthauptet wird. Das frontal gezeigte Gesicht zeigt eine unförmig verbreiterte, eben besonders hässliche Mundpartie. Metope am Fries des Tempels von Selinunt in Sizilien, Halbrelief 540 v. Chr.

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Abb. 2 Gorgonenhaupt der Medusa auf einer attischen Drachme, 520 v. Chr.

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Abb. 3 Perseus hält das abgeschlagene Haupt der Medusa in seiner Linken empor. Das Gesicht der Medusa zeigt ausgewogene, jugendliche Züge. Wandmalerei aus Pompeji, 1. Jh. n. Chr.

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Abb. 4 Das Haupt der Medusa. Ölbild von Peter Paul Rubens 1617. Das ausgewogene Gesicht zeigt Erschrecken und ist von im Haar und aus dem Blut erwachsenen Schlangen eingenommen.