Pädiatrie up2date 2010; 5(1): 83-103
DOI: 10.1055/s-0029-1243966
Infektionskrankheiten

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Importierte parasitäre Infektionen

Tomas  Jelinek
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Publication Date:
22 March 2010 (online)

Einleitung

Internationale Migration und Reisetätigkeit nahmen in den letzten Jahrzehnten kontinuierlich zu und werden weiter ansteigen. Im Rahmen der Globalisierung reisen nicht nur Erwachsene, sondern auch Kinder jeder Altersstufe, jeder sozialen Schicht und oft auch alleine. Derzeit reisen pro Jahr ca. 4 Mio. Deutsche in tropische und subtropische Entwicklungsländer, in denen einerseits ein deutlich erhöhtes Risiko für Gesundheitsstörungen vor allem infektiöser Genese besteht und in denen andererseits zahlreiche Infektionskrankheiten endemisch sind, die in Europa nicht oder nicht mehr vorkommen. Moderne Transportmittel ermöglichen Reisen über große Distanzen innerhalb kürzester Zeit, sodass auch entlegenste Gebiete heute rasch erreichbar sind und Infektionen importiert werden können (Abb. [1]).

Abb. 1 Die Globalisierung bringt es mit sich: Immer Menschen reisen in immer kürzerer Zeit im immer weiter entfernte Gebiete – die eine oder andere Infektion reist mit zurück nach Hause. Quelle: Creativ Collection; Symbolbild.

Als Folge davon ergibt sich in Klinik und Praxis zunehmend häufig die Fragestellung, ob eine importierte Infektionskrankheit vorliegt. Hierbei bilden die parasitären Infektionen eine wichtige Gruppe.

Kasuistik

  • Klinik: Ein 9-jähriger Junge ohne relevante Vorerkrankungen stellt sich nach einer 3-wöchigen Familienreise durch Süd-Ostasien (Thailand, Laos, Kambodscha) in Ihrer ärztlichen Praxis vor. Informationen über nötige Impfungen und Malariaprophylaxe waren bereits vor der Abreise eingeholt worden. Es wurden eine Hepatitis A- und B-Kombinationsimpfung und eine Typhus-Impfung durchgeführt. Des Weiteren wurde eine Expositionsprophylaxe gegen Insektenstiche empfohlen und ein Mittel zur notfallmäßigen Selbstbehandlung von Malaria verschrieben. Die Impfungen für Tetanus, Diphtherie und Polio waren noch aktuell. Der Patient ist nun bereits seit 2 Monaten wieder aus dem Urlaub zurück, wobei er vor Ort, abgesehen von einer 3-tägigen Diarrhöepisode mit Übelkeit und Erbrechen, keine weiteren Beschwerden hatte.

  • Anamnese: Nach einem beschwerdefreien Intervall von 6 Wochen nach Rückkehr von der Reise trat eine diffuse, ödematöse, Schwellung des rechten Unterarms auf, die von einem Erythem über dem betroffenen Areal und von Pruritus begleitet wurde und innerhalb weniger Tage ohne weitere therapeutische Intervention rückläufig war. 5 Tage später kam es zu einer ausgeprägten Schwellung im Bereich des rechten M. pectoralis major. Der Patient klagt über konstanten Juckreiz über dem befallenen Areal sowie über regelmäßig auftretenden nächtlichen Juckreiz am gesamten Körper. Das Allgemeinbefinden ist nicht wesentlich beeinträchtigt. Während der Rundreise bestand durchweg gute Hotelunterkunft, allerdings aß die gesamte Familie z. T. auch auf Märkten und an Straßenständen. Die Reiseroute führte von Bangkok in den Norden Thailands, anschließend nach Laos und Kambodscha. Auf Nachfragen gibt die Mutter des Patienten an, dass Süßwasserkontakte bestanden (im Mekong bei Luang Prabang).

  • Diagnostik: Bei der körperlichen Untersuchung finden sich eine ca. 10 × 10 cm große, gerötete, indolente, ödematöse Schwellung über dem M. pectoralis sowie multiple Kratzeffekte am gesamten Integument. Ansonsten zeigt der Befund einen 9 5 / 12 Jahre alten Patienten in gutem Allgemein- und Ernährungszustand. Die axillären Lymphknoten sind beidseits verhärtet, indolent und gering vergrößert tastbar. Der weitere Befund ist unauffällig. Bei den Laboruntersuchungen fällt eine Bluteosinophilie auf von 56 % bei 22 700 Leukozyten/µl und ansonsten unauffälligem Blutbild. Die Blutsenkungsgeschwindigkeit ist mit 22 / 54 (1 h / 2 h) erhöht. Im Stuhl werden Zysten von Entamoeba histolytica und Endolimax nana nachgewiesen. Der Nachweis von Wurmeiern oder -larven gelingt nicht. Die Schistosomiasis-Serologie ist negativ. Bei einem deutlich erhöhten Serum-IgE von 1777 IU/ml zeigt sich eine positive Filariose-Serologie mit Antigenen von Onchocerca volvulus und Dirofilaria immitis. Ein Filariennachweis im Nativblut nach Entnahme zu verschiedenen Tages- und Nachtzeiten gelingt nicht. Antikörper gegen Entamoeba histolytica und Toxocara canis können nicht, gegen Paragonimus sp. nur in sehr niedriger Konzentration nachgewiesen werden. Eine Serumprobe wird auf Antikörper gegen Angiostrongyloides sp. und Gnathostoma spinigerum untersucht. Bei negativer Angiostrongyliasis-Serologie können signifikante Antikörperspiegel gegen Gnathostoma spinigerum-Antigene im ELISA nachgewiesen werden.

  • Therapie: Bei klinischem und serologischem Verdacht auf Gnathostomiasis wird eine Therapie mit 2 × 200 mg Albendazol (Eskazole) tägl. über 21 Tage durchgeführt. Zusätzlich wird die vorliegende intestinale nichtinvasive Amöbiasis mit 3 × 500 mg Diloxanidfuroat (Furamide) über 10 Tage behandelt. Die Therapie wird vom Patienten ohne Nebenwirkungen vertragen. 10 Tage nach Beginn der Albendazol-Gabe tritt kein nächtlicher Pruritus mehr auf. Die ödematöse Schwellung über dem M. pectoralis hat sich vollständig zurückgebildet. Seit Beendigung der Behandlung ist der Patient beschwerdefrei, weitere Schwellungen treten nicht auf. 2 Monate nach Behandlung zeigt die Eosinophilie einen deutlichen Rückgang auf 10 % bei 6500 Leukozyten/µl. Die serologischen Befunde sind weiterhin positiv, die Antikörperspiegel jedoch rückläufig.

  • Hintergrund: Bei der Gnathostomiasis erfolgt die Infektion des Menschen meist durch Verschlucken von Larven im 3. Stadium beim Verzehr von rohem oder ungenügend gekochtem Fisch, Geflügel oder Schweinefleisch. Seltener ist ein Befall durch Trinken von Cyclops-haltigem Wasser mit Ingestion von Larven im 2. Entwicklungsstadium möglich. Im vorliegenden Fall des 9-jährigen Patienten könnte die Infektion über oral aufgenommene Cyclops-Kleinkrebse möglich sein, da der Junge ausgiebig in bewässerten Reisfeldern und anderen Gewässern spielte. Der Verzehr von rohem Fisch oder Fleisch war dem Patienten und seinen Eltern nicht erinnerlich.

Reiseanamnese

Eine exakte Reiseanamnese inklusive Reiseroute und Reisedauer sollte den Anfang jeder Anamnese nach Tropenaufenthalt machen. Es ist dabei zu beachten, dass sich innerhalb des Reiselandes oft erhebliche regionale und saisonale Unterschiede hinsichtlich der Verbreitung von Infektionskrankheiten ergeben. Durch Kenntnis der geografischen Verbreitung von Tropenkrankheiten kann die Möglichkeiten der Differenzialdiagnosen geografisch eingeschränkt werden [1]. Hierbei sind aktuelle Informationsquellen mit Kartenmaterial zu relevanten Infektionskrankheiten hilfreich, wie sie z. B. im Internet (www.crm.de) oder in reisemedizischen Handbüchern (CRM Handbuch für Reisemedizin) zu finden sind [2].

Merke: Wichtig sind Fragen über frühere Tropenreisen, da insbesondere einige parasitäre Infektionskrankheiten Inkubationszeiten von Monaten bis Jahren haben können. Inkubationszeit von Tropenerkrankungen kurz (< 14 Tage) Dengue, Lassa, Ebola infektiöse Enteritiden Malaria Typhus abdominalis Leptospirose akute HIV-Infektion mittel (2 – 6 Wochen) Malaria Hepatitis A/E Leptospirose Typhus abdominalis Amöbenleberabszess Inkubationszeit lang (> 6 Wochen) Malaria Hepatitis B/E Intestinale Wurmerkrankungen Tuberkulose Leishmaniose Gnathostomiasis Schistosomiasis Filariose Bilharziose Amöbenleberabszess

Spezielle Expositionen und Risiken

Von besonderer Bedeutung für die Abklärung bei Verdacht auf importierte Parasitosen ist das gezielte Erfragen spezieller Expositionsrisiken (Tab. [1]) und die Art der durchgeführten Reise [4]. So sind längere Besuche von Freunden und Verwandten unter ggf. einfachen hygienischen Bedingungen mit einem höheren Risiko verbunden als eine zweiwöchige All-inklusive-Pauschalreise [5] (Abb. [2]). Zu diesen speziellen Expositionsrisiken gehören unter anderem: spezielle Nahrungsmittel (Fleisch, Fisch, Meeresfrüchte), unsicheres Trinkwasser, Insektenstiche, Süßwasserkontakt, Tierkontakte, Barfußlaufen (Tab. [1]).

Abb. 2 Gut durchgegart? Zu den Risikofaktoren für importierte Infektionen zählen vorrangig unsichere Lebensmittel. Quelle: Corel Stock; Symbolbild. Tabelle 1 Spezielle Expositionsrisiken und importierte Infektionen. Expositionsrisiko Infektionskrankheiten unsichere Nahrungsmittel (roh, ungenügend erhitzt oder nicht frisch verzehrt) infektiöse Enteritis, Giardiasis, Amöbiasis, Typhus abdominalis, Hepatitis A, Hepatitis E, Poliomyelitis, Askariasis, Trichuriasis, Toxocariasis, Zystizerkose, Echinokokkose u. a. spezielle Nahrungsmittel: Fleisch und Fisch Taeniasis, Trichinose, ToxoplasmoseAnisakiasis, Opisthorchiasis, Diphyllobathriasis, Capillariasis, GnathostomiasisParagonimiasis, Angiostrongyliasis, intestinale Trematoden-infektionenBrucellose, Tuberkulose, Kryptosporidiose Krebse und Krabben Fasziolose (z. B. Brunnenkresse), Fasciolopsiasis (z. B. Wassernüsse) häufig mit Reaktion an der Stich-/Bissstelle Lyme-Borreliose, Zeckenbissfieber-Rickettsiosen, Tsutsugamushi-Fieber, Trypanosomiasen (Chagaskrankheit, Schlafkrankheit) Sexualkontakt Gonorrhö, Chlamydieninfektionen, Lues, HIV-Infektion, Hepatitis B (A, C, D), Herpes genitalis, Ulcus molle, Donovanosis, Trichomoniasis, Skabies, Phthyriasis Barfußlaufen Hakenwurminfektion, kutane Larva migrans, Strongyloidiasis, Tungiasis Süßwasserkontakt Schistosomiasis, Leptospirose Tierkontakte Zoonosen

Durchgeführte Vorbeugemaßnahmen

Ebenso wichtig ist die genaue Erfassung durchgeführter prophylaktischer Maßnahmen zur Vermeidung bzw. Reduktion von Risiken, insbesondere:

  • Art und Konsequenz einer Malariaprophylaxe,

  • Umfang und Aktualität durchgeführter Impfungen.

Diese Prophylaxemaßnahmen haben unterschiedlich hohe Effektivität. Zum Beispiel sind Impfungen gegen Gelbfieber und Hepatitis A sehr wirksam und machen eine Infektion eher unwahrscheinlich. Im Gegensatz dazu besitzt die Typhusimpfung nur eine Schutzrate von ca. 75 %, auch steht derzeit keine absolut sichere Malariaprophylaxe zur Verfügung [6]. Die Wirksamkeit von Malariaprophylaxe ist außerdem von Region zu Region unterschiedlich und ändert sich auch über die Zeit. Die Einnahme von Malariaprophylaxe kann auch zu einem verspäteten Auftreten von Malaria führen und kann die Ursache für einen milderen Verlauf sein [7].

Merke: Weder Typhusimpfung noch Malariaprophylaxe bieten 100 % sicheren Schutz vor Infektion. Differenzialdiagnose Wichtige Überlegungen Welche Infektion kann sich der Patient im Reiseland zugezogen haben? Welche dieser Infektionen ist am wahrscheinlichsten bei den bestehenden Symptomen? Welcher dieser Erkrankungen ist behandelbar, oder übertragbar – oder beides?

Literatur

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PD Dr. Tomas Jelinek

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