Weltweit sind die Erkrankungen der Lunge eine der führenden Ursachen für Morbididtät
und Mortalität. Global betrachtet, sind 19 % aller Todesfälle und 15 % der „disabilty-adjusted
life years” (DELYs) [1] direkt eine Folge von Erkrankungen der Atmungsorgane. Auch wenn Lungenkrankheiten
schon immer eine große Rolle eingenommen haben, ist ihre Bedeutung in den letzten
Jahrzehnten erheblich gewachsen, was sich in einer stetig zunehmenden Inzidenz und
Prävalenz zeigt. Dies ist in erster Linie eine Folge der erheblichen Zunahme der wichtigsten
Risikofaktoren einschließlich der allgemeinen Urbanisierung und Industrialisierung,
sprich des Tabakgenusses, der Umweltbelastung und der HIV-Epidemie. Eine wesentliche
Bedeutung für die Zunahme der Lungenerkrankungen hat aber auch die demografische Entwicklung
der letzten Jahrzehnte mit einer wachsenden Lebenserwartung breiter Bevölkerungsschichten.
Diese globale Entwicklung spiegelt sich letztlich mit unterschiedlichen Schwerpunkten
auch in Deutschland wider.
Wie in den meisten europäischen Nachbarländern hat sich die deutsche Pneumologie aus
der klassischen Phthisiologie entwickelt. Die Tuberkulose war über die praktische
Medizin hinaus die große gesundheitspolitische Herausforderung in der Zeit der fortschreitenden
Industrialisierung des ausgehenden 19. und frühen 20. Jahrhunderts. Entsprechend war
die Bedeutung der Lungenmedizin in dieser Zeit sehr hoch, was zu einer flächendeckenden
Versorgung des Landes mit Lungenkliniken abseits von den Städten, in landschaftlich
schöner Umgebung führte. Diese im internationalen Vergleich erfolgreiche und vorzeigbare
Infrastruktur hat jedoch bekanntermaßen die Entwicklung einer akademischen und universitären
Pneumologie in Deutschland behindert, sodass das Fach Pneumologie zu den „kleinen”
Fächern innerhalb der Inneren Medizin gerechnet wird. Die Krankheitszahlen weltweit,
aber auch hier in Deutschland sprechen jedoch eine andere Sprache mit einer wachsenden
Nachfrage nach pneumologischer Versorgung. Es ist bemerkenswert, dass diese Entwicklung
noch nicht in den akademischen Zirkeln der medizinischen Fakultäten erkannt wurde,
wie die aktuellen Vorkommnisse in Ulm zeigen, wo das Berufungsverfahren für einen
pneumologischen Lehrstuhl kurz vor dem Abschluss ohne Begründung eingestellt wurde.
Die Einführung des DRG-Systems hat die notwendige Transparenz geschaffen und gezeigt,
welchen Stellenwert Lungenerkrankungen bei den stationären Behandlungsfällen haben
[2]. Die sichtbare Konsequenz daraus ist die Einrichtung von zunehmend mehr eigenständigen
pneumologischen Kliniken und Abteilungen in den Versorgungsstrukturen. So wurden allein
in München und Umgebung in den letzten zwei Jahren fünf neue selbstständige pneumologische
Abteilungen geschaffen.
Diese Entwicklung ist für die deutsche Pneumologie und insbesondere für die wissenschaftliche
Fachgesellschaft eine Herausforderung und Chance zu gleich, wie der Artikel von Teschler
et al. [3] in dieser Ausgabe der Pneumologie anlässlich des 100-jährigen Geburtstages der Deutschen
Gesellschaft für Pneumologie und Beatmungsmedizin facettenreich darstellt. Ausgehend
von einer Beschreibung und Analyse des Status quo zeigen die Autoren eine Vielzahl
von Entwicklungsfeldern auf, die jetzt schon einen Stellenwert haben oder in den nächsten
Jahren eine wichtige Bedeutung erlangen werden. In der Analyse des „Jetzt” wird klar
herausgearbeitet, dass die deutsche Pneumologie mehr Defizite aufweist als nur die
immer wieder diskutierte fehlende Repräsentanz in den Universitäten. Es fehlt an Nachwuchs,
an Ausbildungsstellen und im internationalen Vergleich an einer der Größe des Landes
adäquaten Rolle in der klinischen Forschung. Aber es fehlt auch an einer entsprechenden
Wahrnehmung der Pneumologie und der Probleme der Lungenerkrankungen in der Öffentlichkeit,
was wiederum von immenser Wichtigkeit für die politische Umsetzung der notwendigen
Strukturmaßnahmen ist. Die Autoren weisen vor allem auf die große Herausforderung
hin, eine breite und im Vergleich zu den anderen Fächern starke wissenschaftliche
Basis in der deutschen Pneumologie aufzubauen. Zu Recht sehen die Autoren daher eine
der wichtigsten Aufgaben der wissenschaftlichen Fachgesellschaft darin, diese Entwicklung
neben der Sicherstellung des Fortbildungsauftrages zu unterstützen und gezielt Impulse
zu geben. In Deutschland arbeitet die klinische Pneumologie auf einem sehr hohen Niveau
und findet sich im Vergleich zu anderen Ländern in der Spitzengruppe wieder. Allerdings
warten so viele Innovationen aus der Grundlagenforschung auf eine Translation in die
Klinik, was nur bei Vorhandensein einer entsprechenden wissenschaftlichen Infrastruktur
zu leisten ist. Es ist sicher richtig, dass Teschler et al. fordern, dafür die Pneumologie
noch stärker in den Universitäten zu vertreten. Das allein wird jedoch nicht reichen,
vielmehr muss auch in den großen Versorgungshäusern eine wissenschaftsorientierte
Kultur weiterentwickelt werden, wie es ja schon in einigen klinischen Zentren gelungen
ist.
Pneumologie ist in allen Bereichen der Medizin, von der Grundlagenforschung bis hin
zu hoch technischen Anwendungen in der interventionellen Bronchologie oder Intensivmedizin,
modern und spannend. Die Lungenheilkunde, die Pneumologie, ist auf einem sehr guten
Weg, sich von einem Randgebiet wieder zu einem der großen Teilgebiete innerhalb der
Inneren Medizin zu entwickeln, so wie sie einmal vor über 100 Jahre gestartet ist.
Um auf diesem Weg erfolgreich zu sein, bedarf es jedoch noch vieler Anstrengungen
und eines langen Atems.
Hinzu kommt noch eine unübersichtliche Zergliederung der Pneumologie in Vereinigungen,
Arbeitsgemeinschaften, Netzwerke und Gesellschaften. Die Wahrnehmung der Pneumologie
in der Öffentlichkeit gewinnt dadurch keine klaren Konturen, zu verwirrend und diffus
ist ihre Darstellung in Lungentag, Atemwegsliga, Deutsche Lungenstiftung, DGP, BDP
und viele andere Bereiche.
Das von den großen internationalen Gesellschaften ausgerufene „Year of the lung” bietet
jetzt die Chance, die deutsche Pneumologie organisatorisch so zu reformieren, dass
in konzentrierten und gemeinsamen Aktionen die Bedeutung der Lungenerkrankung für
die Gesundheit in der Öffentlichkeit erfolgreich und nachhaltig dargestellt werden
kann.