1 Einleitung
1 Einleitung
1.1 Vorbemerkungen
Das Lungenkarzinom ist mit jährlich über 40 000
Sterbefällen in der Bundesrepublik Deutschland die vierthäufigste
Todesursache und die häufigste Krebstodesursache [1 ]. Trotz der Fortschritte in der Diagnostik und Therapie
liegt die 5-Jahres-Überlebensrate der Patienten mit Lungenkarzinom in
europäischen und nordamerikanischen Ländern nur in einem Bereich von
5,5 – 15,7 % [2 ]
[3 ]. Ziel der vorliegenden Leitlinie ist die Verbesserung der
Prognose und der Lebensqualität von Patienten mit Lungenkarzinomen durch
Optimierung des Einsatzes der derzeitigen diagnostischen und therapeutischen
Möglichkeiten in einem interdisziplinären Ansatz. Außerdem soll
durch die Empfehlung präventiver Maßnahmen die Häufigkeit des
Lungenkarzinoms reduziert werden.
Leitlinien sind systematisch entwickelte Darstellungen und
Empfehlungen mit dem Zweck, Ärzte bei der Entscheidung über
angemessene Maßnahmen der Krankenversorgung (Prävention, Diagnostik, Therapie und Nachsorge)
unter spezifischen medizinischen Umständen zu unterstützen
[4 ]. Sie beruhen auf aktuellen wissenschaftlichen
Erkenntnissen und in der Praxis bewährten Verfahren und sorgen für
mehr Sicherheit in der Medizin, sollen aber auch ökonomische Aspekte
berücksichtigen. Die vorliegende Entwicklungsstufe 3 (S3) der Leitlinien
nach der Klassifikation der AWMF ist durch die Kombination von formaler
Evidenz-Recherche, formaler Konsensfindung, Logik (Algorithmen) sowie
Entscheidungs- und Outcome-Analyse gekennzeichnet [5 ].
Die alleinige Evidenz-Basierung einer Leitlinie kann problematisch sein, da die
Ergebnisse der zugrunde gelegten randomisierten kontrollierten Studien an
selektionierten Patientengruppen gewonnen wurden und daher nur mit
Einschränkungen im Hinblick auf die Gesamtgruppe der Patienten
verallgemeinert werden können. Insbesondere die häufigen
Begleitkrankheiten des Lungenkarzinoms zwingen zu einer besonderen Beachtung
der individuellen Behandlungssituation. Daher wurde bei der Erstellung der
vorliegenden Leitlinie besonderer Wert auf eine breite interdisziplinäre
Konsensfindung unter Beteiligung von 15 deutschen und österreichischen
wissenschaftlichen medizinischen Fachgesellschaften und 3 Berufsverbänden
sowie weiterer Expertengruppen gelegt, um auch die Besonderheiten
unterschiedlicher Therapiesituationen angemessen zu berücksichtigen.
Dennoch entbindet die vorliegende Leitlinie ebenso wie andere Leitlinien die
behandelnden Ärzte nicht von der Verantwortung, die individuellen
Behandlungssituationen der Patienten zu berücksichtigen und gegebenenfalls
in enger Abstimmung mit dem Wunsch des Patienten von den Empfehlungen der
Leitlinie abzuweichen.
1.2 Methodik der Leitlinienerstellung
In den von dem Steuerkomitee thematisch definierten Arbeitsgruppen
wurde eine systematische Literaturrecherche mit Extraktion von Kernaussagen und
einer Evidenzbewertung durchgeführt. Die systematische Literaturrecherche
umfasste den Zeitraum bis zum 30. 06. 2006. Der nachfolgende
Zeitraum bis zur Veröffentlichung der Leitlinie wurde hinsichtlich
relevanter Publikationen von den Arbeitsgruppen beobachtet. Relevante Literatur
aus diesem Zeitraum wurde dann in der Leitlinie berücksichtigt, wenn es
sich um Studien mit hoher Evidenzstärke (Evidenzgrad
1 – 2) oder Leitlinien handelte und sich neue Aspekte
ergaben. Die Bewertung der Evidenzgrade erfolgte nach den Kriterien des Oxford
Centre for Evidence-based Medicine (CEBM, 2001 [6 ]). Die
aus den Evidenzgraden abgeleiteten Empfehlungsgrade A – D
des CEBM wurden in modifizierter Form übernommen, wobei von der vom CEBM
vorgegebenen Beziehung zwischen Evidenz- und Empfehlungsgraden bei
Berücksichtigung ethischer Aspekte, der Patienten-Präferenzen, der
klinischen Relevanz, des integrierten Outcome, klinisch bedeutsamer Abweichung
von der Studiensituation, der Konsistenz und Effektstärke der Studie, der
Nutzen, Risiken und Nebenwirkungen und der Anwendbarkeit in begründeten
Fällen im Rahmen des formalen Konsensprozesses abgewichen werden konnte
(AWMF). [Tab. 1 ] zeigt die Beziehung zwischen
Evidenz- und Empfehlungsgraden für interventionelle (therapeutische) und
diagnostische Studien. Studiendesign, Ergebnisse und Evidenzbewertung
relevanter Studien sind den Evidenztabellen zu den Leitlinienkapiteln im
Anhang, der über das Internet (
www.thieme-connect.de/ejournals/html/10.1055/s-0029-1243837 )
abrufbar ist, zu entnehmen. Das Literaturverzeichnis der Leitlinie findet sich
ebenfalls im Anhang, der über das Internet abrufbar ist (
www.thieme-connect.de/ejournals/html/10.1055/s-0029-1243837 ).
Tab. 1 Beziehung zwischen
Evidenz- und Empfehlungsgrad (modifiziert nach Oxford Center for Evidence-based
Medicine 2001 und AWMF).
Evidenzgrad
Evidenz
Konsensus
Empfehlungsgrad
Therapeutische Studien
Diagnostische Studien
Modifizierende Kriterien
für Empfehlungsgrad
1a
syst. Review von
randomisierten kontrollierten klinischen Studien
syst. Review
validierende Kohortenstudien
–
ethische Aspekte – Patienten-Präferenzen –
klin. Relevanz, integr. Outcome – klinisch bedeutsame
Abweichung von
Studiensituation
–
Studien: Konsistenz, Effektstärke – Nutzen, Risiken,
Nebenwirkungen – Anwendbarkeit
A
starke
Empfehlung
1b
individ. randomisierte
kontrollierte Studie (enges Konfidenzintervall)
validierende
Kohortenstudie mit guten Referenzstandards
1c
Alle-oder-keiner-Prinzip
absolute Spezifität
zum Einschluss oder absolute Sensitivität zum Ausschluss der Diagnose
2a
systematische Review von
Kohortenstudien
syst. Review von
exploratorischen Kohortenstudien
B
mittelstarke
Empfehlung
2b
individ. Kohortenstudie,
randomisierte kontr. Studie geringerer Qualität
exploratorische
Kohortenstudie mit guten Referenzstandards
2c
Outome-Research-Studie
3a
syst. Review
Fall-Kontroll-Studien
syst. Review von
nicht-konsekutiven Studien
3b
individ.
Fall-Kontroll-Studie
nicht-konsekutive
Studien
4
Fallserie,
Kohortenstudien und Fallkontrollstudien geringerer Qualität
Fall-Kontroll-Studie,
schlechter oder nicht-unabhängiger Referenzstandard
C
schwache Empfehlung
5
Expertenmeinung ohne
explizite kritische Bewertung, physiolog. Modelle etc.
Expertenmeinung ohne
explizite kritische Bewertung, physiolog. Modelle etc.
D
fehlende oder
inkonsistente Studien, Empfehlung aufgrund von Expertenmeinung
Die Kernaussagen, Empfehlungen, Empfehlungsgrade, Algorithmen
(Flussdiagramme) und Qualitätsindikatoren wurden von den jeweiligen
Arbeitsgruppen vorgeschlagen und in formalen Konsensverfahren in
Konsensuskonferenzen sowie Delphiprozessen von der Leitliniengruppe
konsentiert. Der Leitlinientext wurde von den Arbeitsgruppen formuliert und von
einem Redaktionskomitee redaktionell überarbeitet. Abschließend
erfolgten eine Konsentierung der Leitlinie im Rahmen eines Delphi-Verfahrens
durch die Leitliniengruppe sowie die Verabschiedung durch die beteiligten
Fachgesellschaften. Die Leitlinie umfasst eine Langfassung, eine Kurzfassung
und eine Patientenfassung. Ziele, Aufgaben und Erstellungsprozess der Leitlinie
sind detailliert im Leitlinienbericht (Methodenreport) beschrieben, der
über das Internet (
www.thieme-connect.de/ejournals/html/10.1055/s-0029-1243837 )
abgerufen werden kann.
2 Epidemiologie
2 Epidemiologie
2.1 Inzidenz
Die Gesellschaft der epidemiologischen Krebsregister in
Deutschland e. V. [7 ] hat zusammen mit dem
Robert-Koch-Institut die Zahl aller Krebsneuerkrankungen, insbesondere auch die
altersspezifische Inzidenz für Lungenkrebs bei Männern und Frauen im
Jahr 2002 geschätzt (siehe [Abb. 1 ]). Danach
erkranken in Deutschland jährlich rund 32 000 Männer und
13 000 Frauen an Lungenkrebs – dies entspricht knapp
15 % aller Krebsneuerkrankungen beim Mann und 6 %
bei der Frau.
In Österreich bildet das Krebsmeldegesetz die rechtliche
Basis für die Krebsregistrierung. 2004 lag die Zahl der
Lungenkrebsneuerkrankungen bei 3864 (2576 Männer und 1288 Frauen). Wie in
Deutschland ist Lungenkrebs in Österreich nach dem Prostatakarzinom der
zweithäufigste Tumor beim Mann (12 %) und der
dritthäufigste bei der Frau (6 %) – nach Brustkrebs
und kolorektalem Krebs (siehe [Abb. 2 ]). Der Trend
der Erkrankungshäufigkeit ist bei Männern abnehmend und bei Frauen
zunehmend.
Abb. 1 Alters- und
geschlechtsspezifische Inzidenzrate für Lungenkrebs in Deutschland
[8 ].
2.2 Mortalität
Die Angaben zur Krebsmortalität in Deutschland beruhen auf
der Zahl der Krebstodesfälle eines Jahres nach der amtlichen
Todesursachenstatistik des statistischen Bundesamtes. Für das Jahr 2005
lag die Mortalität für bösartige Neubildungen der Bronchien und
der Lunge (ICD-10 C34) bei insgesamt 40 641, 28 959 Männer
und 11 682 Frauen [9 ]. Der Anteil des
Lungenkrebses an allen Krebstodesfällen ist sehr hoch: 26 %
aller Krebstodesfälle bei Männern – und damit die
häufigste Krebstodesursache – sind auf Lungenkrebs
zurückzuführen und 10 % bei Frauen. Die alters- und
geschlechtsspezifische Mortalitätsrate für Lungenkrebs nimmt mit dem
Alter zu und erreicht ihr Maximum bei Männern und Frauen in der
Altersklasse zwischen 80 – 84 Jahren.
Auch in Österreich ist Lungenkrebs weiterhin die
führende Krebstodesursache beim Mann. Die alters- und
geschlechtsspezifische Mortalitätsrate für Lungenkrebs ist mit der in
Deutschland vergleichbar (s. [Abb. 2 ]).
Abb. 2 Altersstandardisierte
und geschlechtsspezifische Inzidenz- und Mortalitätsrate in
Österreich. STATISTIK AUSTRIA, Österreichisches Krebsregister (Stand
24. 02. 2009) und Todesursachenstatistik (Erstellt am:
09. 03. 2009).
2.3 Trend
Die Erkrankungshäufigkeit erreichte bei Männern Ende der
1980er-Jahre in Deutschland ihren Gipfel. Seitdem ist die Inzidenzrate
rückläufig. Demgegenüber nimmt bei Frauen die Häufigkeit
der Erkrankung weiterhin kontinuierlich zu. Erstmals traten bei Frauen unter 40
Jahren so viele Erkrankungen an Lungenkrebs auf wie unter gleichaltrigen
Männern. Dies ist im Wesentlichen auf den steigenden Anteil von
Raucherinnen zurückzuführen (siehe [Abb. 3 ]).
Abb. 3 Altersstandardisierte
Inzidenz und Mortalität des Lungenkarzinoms in Deutschland
1970 – 2002 [7 ].
2.4 Sozioökonomischer Status
Das Lungenkrebsrisiko ist invers korreliert mit Ausbildung und
Einkommen [10 ]. Lungenkrebs ist in der
Bevölkerungsgruppe mit niedrigem Einkommen und schlechter Ausbildung
häufiger als in der Gruppe mit hohem sozioökonomischem Status.
Primär trägt die höhere Prävalenz des Rauchens bei Personen
mit niedrigem sozioökonomischem Status zu ihrem höheren
Lungenkrebsrisiko bei. Ferner ist dies die Folge einer häufigeren bzw.
höheren beruflichen Exposition gegenüber Kanzerogenen. Darüber
hinaus besteht aber oft zusätzlich eine ungünstige Konstellation
interagierender Determinanten wie z. B. Ernährung und Exposition
gegenüber Kanzerogenen in der Umwelt, deren Einfluss sich nur schwer
quantifizieren lässt.
2.5 Geographische Verteilung
Lungenkrebs ist weltweit die häufigste Krebsform, aber die
geographische Verteilung zeigt große regionale Unterschiede. Lungenkrebs
tritt am häufigsten in entwickelten Ländern in Nordamerika und Europa
auf und ist seltener in Entwicklungsländern, speziell in Südafrika
und Südamerika. Während die Erkrankungshäufigkeit in den
entwickelten Ländern abnimmt, nimmt sie in den Entwicklungsländern
zu.
Auch innerhalb der Länder schwankt die
Lungenkrebshäufigkeit stark. Sie war in der Vergangenheit in großen
Städten und in Industrieregionen besonders hoch, was zu der Annahme
führte, dass die Luftverschmutzung hierfür verantwortlich sei. Die
genauere Erforschung der Ursachen ergab, dass hierfür primär das
regional stärkere Rauchen und die häufigere berufliche Exposition
gegenüber Kanzerogenen verantwortlich waren und die Luftverschmutzung nur
einen kleineren Beitrag leistete. Das gilt auch für Deutschland
[11 ]
[12 ].
2.6 Überlebenswahrscheinlichkeit
Die relative 5-Jahres-Überlebensrate mit Lungenkrebs wird in
Deutschland mit etwa 15 % bei Männern und 18 %
für Frauen angegeben [8 ]. Die
5-Jahres-Überlebensrate variiert in Abhängigkeit vom Stadium der
Tumorerkrankung zum Zeitpunkt der Diagnose. Aufgeschlüsselt nach dem
Krankheitsstadium werden für die USA folgende
5-Jahres-Überlebenswahrscheinlichkeiten angegeben: Bei nur lokalem Befund
überleben 49 % der Patienten 5 Jahre, 16 % bei
regionaler Lymphknotenbeteiligung bzw. 2 % bei Fernmetastasen
[13 ]. In einer großen Screening-Studie mit
low-dose CT bei 31 567 asymptomatischen Personen in den USA lag die
10-Jahres-Überlebensrate für Lungenkrebserkrankungen im klinischen
Stadium I bei 88 % (95 % Konfidenzintervall:
84 % – 91 %)
[14 ]. Darüber hinaus wirken sich die Faktoren
höheres Lebensalter und männliches Geschlecht nachteilig auf die
Überlebenswahrscheinlichkeit aus [13 ].
2.7 Risikofaktoren
In den folgenden Abschnitten werden verschiedene Expositionen
dargestellt, die als Risikofaktoren zur Entstehung von Lungenkrebs beitragen.
Als Erstes werden die wissenschaftlich nachgewiesenen und der
Öffentlichkeit bekannten Risikofaktoren Rauchen, Passivrauchen,
Ernährung, Radon und ionisierende Strahlung sowie partikuläre
Luftverschmutzung und Dieselmotoremissionen beschrieben. Anschließend
folgt eine Kurzdarstellung der beruflichen Lungenkarzinogene, deren
Kausalzusammenhang zum Lungenkrebs als gesichert gilt. Die berufliche
Exposition gegenüber Kanzerogenen wird für ca.
9 – 15 % aller Lungenkrebsfälle
verantwortlich gemacht. Die Latenzzeit liegt bei 30 bis 40 Jahren
[15 ]. Demzufolge ist es notwendig, bei jedem
Lungenkarzinompatienten eine umfassende Arbeitsanamnese zu erheben (s.
Anamnesebogen im Anhang, der über das Internet abrufbar ist:
http://www.thieme-connect.de/ejournals/html/10.1055/s-0029-1243897 ).
Der begründete Verdacht auf eine Berufskrankheit ist gesetzlich
meldepflichtig. Einen ersten Überblick über die relative Bedeutung
der einzelnen Risikofaktoren gibt [Abb. 4 ].
Abb. 4 Bedeutung einzelner
Risikofaktoren im Hinblick auf das Lungenkrebsrisiko, nach [16 ].
2.7.1 Rauchen
Zigarettenrauch als Ursache von Lungenkrebs ist der alles
überragende Risikofaktor, der bereits in den 1950er-Jahren beschrieben
wurde und dessen nachteiliger Einfluss in einer Vielzahl von Untersuchungen
immer wieder belegt wurde. Der Teer-, Nikotin- und Kohlenmonoxidgehalt von
Zigarettenrauch ist über die letzten Dekaden in den meisten Ländern
deutlich gefallen, ohne dass dies das Krebsrisiko verringert hätte, ein
klarer Hinweis darauf, dass die Einführung der „leichten”
Zigarette keinen Beitrag zur Verminderung des Lungenkrebsrisikos leistet.
Mehr als 100 epidemiologische Studien zum Lungenkrebsrisiko
durch Aktivrauchen wurden durch die International Agency for Research on Cancer
(IARC), die zur Welt-Gesundheitsorganisation gehört [17 ], neu bewertet. Die Ergebnisse der Risikobewertung
lassen sich wie folgt zusammenfassen:
Die Dauer des Rauchens ist der wichtigste
Einflussfaktor.
Je früher man mit dem Rauchen beginnt und je
länger man raucht, umso höher ist das Risiko.
Das Risiko steigt auch proportional zur Anzahl gerauchter
Zigaretten.
Mit dem Rauchen aufzuhören senkt das Risiko.
Je früher man mit dem Rauchen aufhört, umso
größer ist der Nutzen.
Der karzinogene Effekt des Rauchens ist für Männer
und Frauen vergleichbar.
Rauchen erhöht das Risiko für alle histologischen
Zelltypen.
Im Jahr 2004 rauchten rund 32 Prozent der deutschen
Bevölkerung im Alter von über 18 Jahren, etwa zwei Drittel der
Raucher/innen greift täglich zur Zigarette. Zwar rauchen nach wie vor
deutlich mehr Männer (36,5 %) als Frauen
(27 %) in der deutschen Erwachsenenbevölkerung, bei
Jugendlichen und jungen Erwachsenen haben sich die Raucherquoten zwischen den
Geschlechtern – bedingt durch einen Zuwachs weiblicher Raucher –
jedoch weitgehend angeglichen. Nach wie vor nehmen deutsche Kinder und
Jugendliche im internationalen Vergleich einen Spitzenplatz beim
Zigarettenrauchen ein, allerdings deutet sich mittlerweile ein
Abwärtstrend an. Im Jahr 2007 rauchten 18 % der
männlichen und 17 % der weiblichen Jugendlichen im Alter
zwischen 12 und 17 Jahren. Das Durchschnittsalter, in dem Mädchen und
Jungen ihre erste Zigarette rauchen, lag im Jahr 2005 zwischen dem 13. und 14.
Lebensjahr [18 ].
In einer europäischen Studie [19 ]
zeigt sich bei Männern für derzeitige Zigarettenraucher eine 24-fach
höheres Risiko, an Lungenkrebs zu erkranken, als für lebenslange
Nichtraucher. Ex-Raucher haben ein 7,5-fach höheres Risiko. Die
entsprechenden Risikoschätzungen für Frauen lauten 8,7 für
Raucherinnen und 2 für Ex-Raucherinnen. Auch der Konsum von Zigarren,
Zigarillo oder Pfeifentabak war mit einem signifikant erhöhten
Lungenkrebsrisiko verbunden. Bei Männern lag das Risiko, an Lungenkrebs zu
erkranken, für einen Zigarren-/Zigarilloraucher bzw. Pfeifenraucher 8-fach
bzw. 9-fach höher im Vergleich zum Nichtraucher [20 ]. Insgesamt sind in der EU 85 % der
Lungenkrebstodesfälle auf das Rauchen zurückzuführen
(91 % Männer, 65 % Frauen) [21 ]. Überträgt man diese Anteile auf Deutschland,
dann sterben jährlich 36 000 Personen (28 000 Männer,
8000 Frauen) am Lungenkrebs durch Rauchen.
2.7.2 Passivrauchen
Die IARC nahm auch eine zusammenfassende Wertung von mehr als 50
epidemiologischen Studien zu Lungenkrebs und Passivrauchen vor
[9 ]. Die Meta-Analyse zeigt ein etwa 24 %
höheres Lungenkrebsrisiko für Frauen, die jemals einer
Passivrauchexposition durch den Partner ausgesetzt waren, im Vergleich zu
solchen, die nie exponiert waren. Für Männer liegt der
Risikoschätzer bei 37 %. Die meisten Studien, die auch die
Dauer des Zusammenlebens mit einem Raucher oder die Anzahl der durch den
Partner gerauchten Zigaretten in den Analysen berücksichtigt haben, zeigen
ein erhöhtes Risiko in der höchsten Expositionskategorie
[9 ]
[22 ]. Meta-Analysen zur
Passivrauchexposition in der Kindheit durch die Eltern zeigen ebenfalls einen
Zusammenhang mit Lungenkrebs. Die Evidenz für einen Zusammenhang zwischen
Lungenkrebs und Passivrauchen in der Kindheit ist allerdings weniger konsistent
als im Erwachsenenalter [9 ]
[23 ]
[24 ].
Ein ähnliches Bild liefern die neuen Meta-Analysen zu
Passivrauchen am Arbeitsplatz. Bei Frauen, die am Arbeitsplatz gegenüber
Passivrauch exponiert waren, ist das Lungenkrebsrisiko um ca.
19 % erhöht, bei Männern nicht-signifikant um
12 %, allerdings war hier der Stichprobenumfang relativ klein
[9 ]. Eine aktuelle Meta-Analyse zur
Expositions-Wirkungs-Beziehung zwischen Lungenkrebs und Passivrauchen am
Arbeitsplatz berichtet bei Personen, die sich viele Jahre in stark verrauchten
Arbeitsräumen aufhielten, eine Verdopplung des Lungenkrebsrisikos
[25 ]. Es ist anzunehmen, dass sich das
Lungenkarzinomrisiko bei einer langjährigen, regelmäßig die
gesamte Arbeitsschicht andauernden Exposition wie bei Arbeiten in
Gaststätten, Bierlokalen und Diskotheken verdoppelt. Handelt es sich um
lebenslange Nichtraucher mit unwesentlicher außerberuflicher
Passivrauchexposition, so wäre eine Anerkennung über § 9
Abs. 2 SGB VII [26 ] zu prüfen.
Die Einstufung von Passivrauchen als kausalen Risikofaktor
für Lungenkrebs begründet sich wie folgt:
Das Lungenkrebsrisiko steigt offensichtlich mit steigender
Exposition und ist in der höchsten Expositionskategorie signifikant
erhöht.
Der Nachweis einer Risikoerhöhung erfolgte auf breiter
epidemiologischer Basis – unabhängig von Studienort oder
-design.
Die Risikoerhöhung entspricht ca. 260
Lungenkrebstodesfällen bzw. 280 Lungenkrebsneuerkrankungen pro Jahr
[27 ].
2.7.3 Ernährung
Ernährungsgewohnheiten und ihr Einfluss auf das
Lungenkrebsrisiko lagen im Fokus zahlreicher Untersuchungen mit der Hypothese,
dass es vor allem die antioxidativen Bestandteile der Ernährung sind,
welche den oxidativen Stress auf die DNA reduzieren und damit vor einer
Krebserkrankung schützen. Am gründlichsten untersucht wurde die
Frage, ob die Ernährung mit frischem Obst und Gemüse sowie mit
spezifischen Bestandteilen (Betacarotinoide, Vitamin A, C und E, Selen,
Flavonoide, Isothiocyanate) vor der Entwicklung von Lungenkrebs schützt.
Die European Prospective Investigation into Cancer and Nutrition Study zeigte
z. B. eine starke Schutzwirkung durch die Nahrungsaufnahme von
Früchten – jedoch nicht von Gemüse [28 ].
Andere Studien belegen auch einen protektiven Effekt von Tomaten und
verschiedenen Kohlarten [29 ]. Obwohl zahlreiche Studien
vorliegen, ist eine gesicherte Aussage, ob eine Risikominderung durch die Art
der Ernährung möglich ist, ausgesprochen schwierig. Im Gegensatz zum
Rauchen sind Angaben zu den Ernährungsgewohnheiten bei Befragungen sehr
unzuverlässig. Zudem hat die Ernährung wahrscheinlich nur einen
schwachen Effekt auf die Kanzerogenese, der leicht durch ein „residual
confounding” des Rauchens überdeckt wird.
2.7.4 Radon, radioaktive Strahlenquellen und
Röntgenstrahlung
Radon-222 ist ein natürlich vorkommendes radioaktives
Edelgas, das innerhalb der Zerfallsreihen langlebiger, in Gesteinen und
Böden enthaltener Uran- und Thoriumnuklide entsteht. Der Hauptbeitrag zur
natürlichen Strahlenexposition der Bevölkerung erfolgt durch die
Inhalation des radioaktiven Radons, insbesondere in geologisch belasteten
Regionen Deutschlands wie z. B. im Bayerischen Wald und im Erzgebirge
oder aufgrund von beruflichen Tätigkeiten (Bergbau, Wasserwerke). Durch
Übertritt des Radongases aus dem Gestein kann es zu erheblichen
Konzentrationen in Innenräumen – bei Wohnungen vor allem im Keller
und Erdgeschoss – kommen. Die Konzentration in der Außenluft ist
deutlich geringer.
Die Inhalation von Radon und seinen Zerfallsprodukten führt
zu einer Exposition des Bronchialepithels durch die freigesetzte
Alphastrahlung. Die Dosen für übrige Organe und Gewebe sind
demgegenüber gering. Eine europäische Poolingstudie hat gezeigt, dass
eine lineare Expositions-Wirkungs-Beziehung angenommen werden kann. Pro
100 Bq/m3 korrigierter Radonexposition kann von einem Anstieg
des relativen Risikos um 16 % ausgegangen werden
[30 ]. Diese Datenlage macht Interventionen zur Senkung
der Radonexposition erforderlich [31 ]. In Deutschland
beträgt die mittlere Radonkonzentration in Wohnungen
49 Bq/m3 und die mittlere Konzentration im Freien
9 Bq/m3 . Bezogen auf die maximal vermeidbare Konzentration
von 40 Bq/m3 ergibt sich ein Beitrag von 5 %
des Radons in Wohnungen zum Lungenkrebsrisiko, was 1896
Lungenkrebs-Todesfällen pro Jahr entspricht [32 ].
Sehr hohe Aktivitätskonzentrationen von Radon und seinen
Zerfallsprodukten bestanden im Uranerzbergbau der Wismut AG in der ehemaligen
DDR. Insbesondere während der so genannten „wilden Jahre”
von 1946 bis 1955 bestand eine sehr hohe Exposition gegenüber
ionisierenden Alpha-Strahlen. Fast alle in [Tab. 2 ] aufgeführten entschädigten
BK-Fälle für ionisierende Strahlung (BK 2402) stammen aus der Gruppe
der Beschäftigten der Wismut AG. Deutlich niedriger ist die Exposition
für Berufstätige in Wasserwerken, Heilstollen und
Radonbädern.
Die medizinische Strahlenexposition und da vor allem die
Röntgendiagnostik bewirken den höchsten Beitrag zur zivilisatorischen
Strahlenexposition der Bevölkerung. Im Gesundheitswesen wurden bis in die
60er-Jahre hinein teilweise veraltete Röntgengeräte eingesetzt, die
auch zu einer erheblichen Personalbelastung führen konnten. Die
medizinische Strahlenexposition heute liegt im statistischen Mittel in der
gleichen Größenordnung wie die natürliche Strahlenexposition
der Bevölkerung (ca. 2 mSv/Jahr). Epidemiologisch ist es bei
kleinen Strahlendosen (< 20 mSv, Grenzwert für die
effektive Dosis für beruflich strahlenexponierte Personen) nicht
nachweisbar, dass das Mortalitätsrisiko durch Krebs erhöht wird. Das
Mortalitätsrisiko bei einer mittleren Lungendosis von 1 mSv/Jahr
wird heute kleiner als 1 pro 100 000 geschätzt.
2.7.5 Allgemeine Luftverunreinigungen/Feinstaub
Ältere epidemiologische Studien aus den USA, Polen und
Deutschland zeigen eine bis zu 1,5-fache Erhöhung des relativen Risikos
für Lungenkrebs in Regionen mit erhöhten
Luftschadstoffkonzentrationen [16 ]. Mittlerweile ist
klar, dass diese Erhöhung im Wesentlichen auf partikuläre
Luftverunreinigungen zurückzuführen ist [33 ]
[34 ].
In der Luft schwebende Partikel sind sehr heterogen sowohl im
Hinblick auf ihre Entstehung als auch ihre chemische Zusammensetzung und
Größe. Die wichtigste Quelle für Feinstaub mit einem
aerodynamischen Durchmesser bis 2,5 µm (PM2.5) bzw.
10 µm (PM10) sind Verbrennungsprozesse in der Industrie, in
Kohlekraftwerken und der Heizung von Haushalten und im Verkehr. PM2.5 ist an
straßennahen Messstationen fast doppelt so hoch wie im
städtisch-ländlichen Hintergrund. Insbesondere Dieselfahrzeuge
verursachen hohe Emissionen aus feinen und ultrafeinen
(< 0,1 µm) Rußpartikeln. An ihre große
Oberfläche sind organische Stoffe adsorbiert wie z. B.
polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Das gegenwärtige Wissen zum Zusammenhang zwischen der
Mortalität bei Erwachsenen und der Langzeitbelastung durch Feinstaub
basiert auf vier amerikanischen und zwei europäischen Kohortenstudien
[34 ]
[35 ]
[36 ]. Am größten und wichtigsten ist die Studie
der American Cancer Society, in der die Risikofaktoren und der Zeitpunkt sowie
die Todesursache der Kohorte mit Immissionsdaten von bis zu 156
Ballungsräumen der USA verknüpft wurden [37 ].
Die Kohorte umfasste über 500 000 erwachsene Männer und
Frauen, der Beobachtungszeitraum ging von 1982 bis 1998. Für die
Sterblichkeit an Lungenkrebs war das relative Risiko für PM2.5 statistisch
signifikant erhöht. Es erhöhte sich um 14 % bezogen auf
eine Veränderung von 10 µg/m3 PM2.5.
2.7.6 Diesel-Motorabgase
Bereits 1989 wurden Dieselabgase von der IARC als
„probably carcinogenic to humans (Group 2A)” eingestuft
[38 ]. Es gibt umfangreiche epidemiologische Studien zum
Lungenkrebs bei Bergarbeitern, LKW- und Busfahrern, Eisenbahnern und Bedienern
schwerer Baumaschinen, aus denen sich deutliche Hinweise auf ein
Lungenkrebsrisiko auch beim Menschen ergeben [39 ]. Die
meisten dieser Studien – und ihre Metaanalysen [40 ] – zeigen ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko.
Dieselmotoremissionen sind eine komplexe Mischung von Hunderten von Substanzen
in gasförmiger oder partikulärer Form. Für die
Kanzerogenität der Dieselabgase im Tierversuch sind vor allem die
Rußpartikel entscheidend. Dieselruß besteht aus feinen Partikeln,
die eine hohe Anzahl ultrafeiner Partikel umfassen. Diese Partikel können
tief in die Atemwege eindringen. Sie haben eine große Oberfläche, an
die organische Stoffe leicht adsorbiert werden können. Die meisten Studien
und alle Metaanalysen zeigen ein erhöhtes Lungenkrebsrisiko bei Personen,
die beruflich gegenüber Dieselabgasen exponiert waren. In diesen Studien
war die Tätigkeit in Berufen mit Exposition gegenüber Dieselabgasen
mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko assoziiert, aber als Maß der
Exposition war in den meisten Studien nur die Berufsbezeichnung und die Dauer
der Tätigkeit am Arbeitsplatz verfügbar. Deshalb ist eine
Quantifizierung des Lungenkrebsrisikos in Hinblick auf die Konzentration von
Dieselruß nicht möglich.
Insgesamt stellen Dieselabgase von allen Luftschadstoffen das
größte (Lungen-)Krebsrisiko dar [41 ].
Bezogen auf die toxikologisch wichtigste Feinstaubquelle, die
Dieselmotorabgase, ließen sich in Deutschland durch Rußfilter
jährlich ca. 1100 bis 2200 Lungenkrebstodesfälle vermeiden
[42 ].
2.7.7 Asbest
Unter der Handelsbezeichnung Asbest werden 6 verschiedene
faserige Silikatmineralien zusammengefasst. Relevant sind Chrysotil
(Weißasbest), Amosit (Braunasbest) und Krokydolith (Blauasbest).
Asbestfaserstaub besitzt eine fibrinogene und lokal tumorerzeugende Wirkung.
Vor allem Fasern der Länge > 5 µm, einem
Durchmesser < 3 µm und einem
Länge-Durchmesser-Verhältnis > 3 : 1 gelten
als hochgradig kanzerogen. Die kanzerogene Wirkung von Asbest war seit langem
bekannt und wurde bereits 1943 in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen.
Durch die lange Latenzzeit wurde eine Zunahme der asbestassoziierten
Lungenkarzinome erst 1975 mit 15 Fällen beobachtet. Danach erfolgte ein
rascher Anstieg. Seit 1995 bleibt die Karzinomrate mit ca. 700 Fällen
jährlich annähernd konstant. In Deutschland
(BRD + DDR) stieg der Inlandsverbrauch für Rohasbest
von 1948 bis 1965 steil auf ca. 244 000 Tonnen pro Jahr an und
stagnierte bis etwa 1980 auf diesem Niveau. Die zu diesem Zeitpunkt
verstärkt einsetzenden Substitutionsbemühungen führten zu einem
Absinken der Verbrauchskurve auf ca. 100 000 t bis 1989. 1979
wurde in Deutschland die Verwendung von Spritzasbest verboten, ab 1982 wurden
sukzessive Verwendungs- und später auch Herstellungsverbote für
weitere Asbesterzeugnisse erlassen. Mit den Gefahrstoffverordnungen aus den
Jahren 1990 und 1993 sowie der Chemikalienverbotsverordnung von 1993 wurde ein
durchgängiges Verbot umgesetzt [43 ]. Die kumulative
Asbestfaserstaubexposition wird in Faserjahren berechnet, ein Faserjahr
entspricht einer arbeitstäglichen achtstündigen Einwirkung über
ein Jahr von 1 Mio. Asbestfasern pro m3 [44 ].
Gefahrenquellen waren v. a. die Asbesttextilindustrie
(Herstellung von Garnen, Geweben, Seilen), die Asbestzementindustrie
(Herstellung von Platten, Rohren, Formstücken), die Bauindustrie
(Verarbeitung von Asbestzementprodukten, asbesthaltigen Kitten, Spachtelmassen,
Feuerschutzmaterialien), die chemische Industrie (Asbesteinsatz als
Füllstoff für Farben und Dichtungsmassen, Kunstharzpressmassen,
Thermoplaste, Gummireifen), die Isolier-Branche (Wärme-, Schall- und
Feuerschutz), die Asbest-Papierindustrie (Asbestpapiere und Pappen) und die
Reibbelagindustrie (asbesthaltige Brems- und Kupplungsbeläge)
[44 ]. Die IARC stufte bereits 1973 Asbest als
Humankanzerogen ein [45 ]
[46 ].
Bezüglich Synkanzerogenese mit polyzyklischen aromatischen
Kohlenwasserstoffen siehe 2.7.19.
2.7.8 Künstliche Mineralfasern
Die Gruppe der künstlichen Fasern, im angelsächsischen
Sprachgebrauch auch als Man Made Mineral Fibers (MMMF) bezeichnet, ist
heteromorph, da eine Fülle von Materialien Verwendung findet, z. B.
Metalle, Glas oder Produkte der Petrochemie. Beispiele sind Glaswollen,
Steinwollen und Schlackenwollen. Mit zunehmender Verwendung der synthetischen
Fasern wurden auf der Basis von In-vitro-Untersuchungen an isolierten Zellen
und tierexperimentellen Studien deutlich, dass diese Fasern eine
inflammatorische und je nach der gewählten Expositionskonzentration,
-dauer und dem Expositionsort auch eine kanzerogene Wirkung besitzen
können. Ein erhöhtes kanzerogenes Potenzial konnte in
tierexperimentellen Untersuchungen nach einer Faserinjektion in das Peritoneum,
jedoch nicht nach inhalativer oder intratrachealer Faserapplikation
nachgewiesen werden. Die durch die Faserstäube induzierten
Entzündungsvorgänge sind kompliziert und die Bewertung der
kanzerogenen Potenz der künstlichen Mineralfasern ist schwierig, da trotz
der Vielzahl der durch experimentelle und epidemiologische Untersuchungen
erzielten Ergebnisse noch keine definitiven Schlussfolgerungen möglich
sind. Die IARC stufte 2002 Spezialglaswollen und keramische Fasern in 2b, die
übrigen künstlichen Mineralfasern in 3 ein [47 ]. Die MAK-Kommission bewertete Glasfaser- und
Keramikfasern als K2-Stoffe (d. h. als Stoffe, die als krebserregend
für den Menschen anzusehen sind), die übrigen als Stoffe der
Kategorie 3b (d. h. als Stoffe, die wegen möglicher krebserregender
Wirkungen beim Menschen Anlass zur Besorgnis geben).
2.7.9 Polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
(PAK)
Ursprünglich gab es in der Bundesrepublik Deutschland nur
die BK Nr. 4110 „Bösartige Neubildungen der Atemwege durch
Kokereirohgase”. Unter dem Ausdruck „Kokereirohgase” im
Sinne dieser Berufskrankheit werden sowohl das so bezeichnete technische
Produkt als auch Luftverunreinigungen verstanden, die beim Betreiben der
Öfen, insbesondere beim Beschicken und Entladen der Kammern, aber auch
aufgrund von Kammerundichtigkeiten am Ofenblock frei werden. Die Kokereirohgase
enthalten eine Reihe krebserzeugender Substanzen. Von besonderer Bedeutung
für bösartige Neubildungen der Atemwege und der Lungen sind
PAK-Gemische.
Bei der unvollständigen Verbrennung von organischem
Material entstehen zahlreiche polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe.
Der
bekannteste Vertreter ist das Benzo(a)pyren. Es besteht eine erhöhte
Sterblichkeit am Lungenkarzinom für Arbeiter in der
Kohlegasproduktion.
Expositionen gegenüber PAK-haltigem Steinkohlenteerpech
finden sich bei Tätigkeiten als Dachdecker, Asphaltarbeiter, im
Schwarzdeckenbau, als Schornsteinfeger, ferner bei der Herstellung technischer
Ruße für die Automobilreifen- und Druckfarbenindustrie, bei der
Herstellung von Holzschutz-, Extraktions- und Lösemitteln, bei der
Herstellung von Kohlenstoffelektroden für die Aluminium- und
Stahlerzeugung sowie von Kohlenstoff-Werkstoffen. Teere und Peche werden in
der
Feuerfestindustrie zum Herstellen hitzebeständiger Steine, in der
Eisen-Hütten-Industrie sowie in der optischen Industrie bei der
Linsenherstellung eingesetzt. Insbesondere beim Einsatz teer- bzw. pechhaltiger
Materialien werden heute noch hohe Expositionen beobachtet.
Seit Juli 2009 gilt eine neue Berufskrankheit 4113 mit der
Legaldefinition „Lungenkrebs durch polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoffe bei Nachweis der Einwirkung einer kumulativen Dosis von
mindestens 100 Benzo(a)pyren-Jahren
((µg/m3 ) × Jahre)”.
Die IARC stufte polyzyklische aromatische Kohlenwasserstoffe
bezüglich ihrer Humankanzerogenität erstmals zwischen 1983 und 1985
ein [48 ]
[49 ]
[50 ] und bestätigte die Bewertung in 2006: Die
Leitsubstanz Benzo[a]pyren wurde als K1-Stoff (d. h. sicher
humankanzerogen) klassifiziert. Tätigkeiten in der Kohlevergasung,
Koksproduktion und Steinkohleteerdestillation und -verarbeitung und als
Schornsteinfeger gelten entsprechend aufgrund der Exposition gegenüber
Benzapyren als krebsgefährdend. Viele weitere polyzyklische aromatische
Kohlenwasserstoffe sind in die Gruppen 2a bis 3 eingeordnet.
Bezüglich des synkanzerogenen Zusammenwirkens mit Asbest
siehe 2.7.19.
2.7.10 Chromate
In der Literatur ist die krebserzeugende Wirkung der
Chrom-VI-Verbindungen für Karzinome der Lunge gut belegt. Erstmals wurde
1932 über ein vermehrtes Auftreten von Lungenkarzinomen bei
Beschäftigten in der Chromatproduktion berichtet. Der Chromatlungenkrebs
wurde bereits 1936 in die Berufskrankheitenverordnung aufgenommen.
Expositionen sind in der Chromatproduktion, bei der Verchromung,
in der Chrom-Nickel-Stahlproduktion, in Gerbereien, bei der Herstellung von
Chromatpigmenten und beim Schweißen von Chrom-Nickel-Stahl gegeben.
Zinkchromat-Verbindungen können in gelben, orangenfarbigen und roten
Farbpigmenten und in Korrosionsschutzanstrichen enthalten sein und können
v. a. bei Verwendung des Spritzverfahrens als Aerosole eingeatmet
werden. Die MAK-Kommission hat Zinkchromat als krebserzeugend beim Menschen
eingeordnet, weitere wasserlösliche 6-wertige Chromverbindungen als
krebserzeugend im Tierversuch. Die IARC hat 1990 alle Chrom-VI-Verbindungen
als
humankanzerogen bewertet [50 ].
2.7.11 Siliziumdioxid, kristallin
Die Erkenntnisse aus Studien bei Tier und Mensch veranlassten
die IARC, Quarz als „krebserregend für den Menschen”
einzustufen [51 ]. Auch durch die Senatskommission zur
Prüfung gesundheitsschädlicher Arbeitsstoffe der Deutschen
Forschungsgemeinschaft wurde 1999 die krebserzeugende Wirkung von
„Siliziumdioxid, kristallin – Quarz-, Cristobalit-, Tridymitstaub
(alveolengängiger Anteil – identisch mit der älteren Definition
„Feinstaub” – Formel SiO2 )” nach
Kategorie 1 als für den Menschen gesichert krebserzeugend eingestuft.
Nach Adjustierung auf die Rauchgewohnheiten als wichtigstem
„Confounder” zeigt sich in Metaanalysen, dass sich das
Lungenkrebsrisiko beim Vorliegen einer Silikose sowohl für Nichtraucher
als auch für Raucher im Mittel um mehr als das Zweifache erhöht.
Für den Erzbergbau, die Gewinnung und Bearbeitung von
Naturstein, die keramische Industrie, Silikat- und Tonsteinindustrie, die
Aufbereitung und den Umschlag von Kieselalgenprodukten und die
Gießereiindustrie wurden epidemiologisch solche
Über-häufigkeiten von Lungenkrebs beobachtet.
Die Datenlage zum Lungenkrebsrisiko von Steinkohlenbergleuten
ist noch uneinheitlich, sodass diese derzeit vom Geltungsbereich der Nr. 4112
Anl. BKV ausgenommen sind.
2.7.12 Arsen
Arsen wurde bereits 1973 von der IARC als humankanzerogen
eingestuft [45 ]
[52 ] auch von der
MAK-Kommission wurde es als K1-Stoff (d. h. sicher humankanzerogen)
bewertet. Die Aufnahme von Arsen kann sowohl oral als auch inhalativ erfolgen.
Früher waren Expositionen im Weinbau, bei der Herstellung, Verpackung und
Anwendung arsenhaltiger Insektizide, bei der Arsengewinnung und bei der
Kupferschmelze, beim Glasschmelzen und durch arsenhaltige Bestandteile von
Antifoulingfarben möglich. Ferner gab es beim Uran-Abbau in der ehemaligen
DDR (Wismut AG) zwischen 1946 und 1955 teilweise beachtenswerte
Arsen-Expositionen.
Heute finden sich Expositionen noch in der Laugenreinigung in
Zinkelektrolysen, bei der Herstellung und Verarbeitung von Glas sowie bei der
Herstellung von NE-Metalllegierungen für die Halbleiterindustrie, wobei
die höchsten Expositionen beim Zerkleinern und Mischen in der
Glasindustrie gemessen wurden.
2.7.13 Nickel, metallisch und Nickelverbindungen
Erhöhte Nickel-Expositionen treten vor allem bei
Schweißern, ferner beim Schleifen und Polieren, in der galvanischen
Oberflächenbeschichtung, beim Mischen, Verdichten und Plasmaschneiden in
der Metallbearbeitung und im Maschinenbau sowie in der Formenreparatur in der
Glasindustrie auf.
1990 wurden Nickel und seine Verbindungen aufgrund einer
erhöhten Lungenkrebssterblichkeit in Nickelraffinerien von der
International Agency of Research on Cancer (IARC) als Humankanzerogen (Gruppe
1) eingestuft. Metallisches Nickel gilt dagegen als „möglicherweise
krebserregend” (Gruppe 2B). Die krebserzeugende Wirkung wurde den
wasserlöslichen Nickelverbindungen zugeschrieben. Die MAK-Kommission
stufte 1972 metallisches Nickel und Nickel in wasserunlöslichen
Verbindungen – in Form atembarer Stäube – als krebserregend
beim Menschen ein. Seit 2001 gehören auch die wasserlöslichen
Verbindungen in Form von Aerosolen dazu [42 ].
2.7.14 Dichlordimethylether, Monochlordimethylether
Beide Stoffe werden in der chemischen Industrie als
Zwischenprodukte für die Synthese organischer Substanzen und in der
Zubereitung von Ionen-Austausch-Harzen genutzt. Sie sind im Tierversuch stark
kanzerogen. Monochlordimethylether erwies sich bislang nicht als eindeutig
kanzerogen, jedoch kann technischer Monochlordimethylether bis zu
7 % mit Dichlordimethylether verunreinigt sein. Die Inzidenz des
Lungenkarzinoms kann bei Männern, die gegenüber Dichlordiphenylether
oder Monochlordiphenylether exponiert waren, bis zum Faktor 8 erhöht sein
[53 ]
[54 ].
2.7.15 Beryllium
Beryllium wird als Konstruktionswerkstoff in der Luft- und
Raumfahrt, im Boots- und Fahrzeugbau und überall dort eingesetzt, wo
Bauteile sehr leicht sein müssen und hohen Beschleunigungen und
Fliehkräften ausgesetzt sind. Es wird auch als Legierungszusatz für
Kupfer und Nickel verwendet. Expositionen finden sich vor allem in der
Flugzeug-, Raumfahrt-, Elektronik- und Nuklearindustrie.
Erhöhte Todesraten durch Lungenkrebs wurden in
verschiedenen retrospektiven Studien unter Arbeitern in
Berylliumproduktionswerken ermittelt. Die IARC bewertete Beryllium und seine
Verbindungen bereits 1993 als humankanzerogen [55 ], die
MAK-Kommission 2003. Die Daten weisen insgesamt darauf hin, dass die
beschriebenen kanzerogenen Effekte überwiegend bei hohen Dosen auftreten,
die an den heute anzutreffenden Arbeitsplätzen in der Regel nicht mehr zu
erwarten sind.
2.7.16 Cadmium
Relevante Expositionen finden sich insbesondere in der
Herstellung von Nickel-Cadmium-Batterien, Cadmiumpigmenten, Cadmiumlegierungen
und in der Galvanisation. Im Jahr 1993 wurde Cadmium von der IARC auf der Basis
hinreichender Evidenz für Lungenkrebs als Humankanzerogen der Gruppe l
eingestuft. Grundlage hierfür waren epidemiologische Studien an
exponierten Kollektiven in Cadmium erzeugenden oder verarbeitenden Gewerken
[55 ]. Die MAK-Kommission folgte im Jahr 2004 mit einer
Einstufung in die Kategorie l der krebserzeugenden Arbeitsstoffe, die sich auf
neuere Untersuchungen an gegenüber Cadmium exponierten Arbeitern
gründete.
2.7.17 Wolfram- und kobalthaltige
Hartmetallstäube
Hartmetalle sind pulvermetallurgisch erzeugte Werkstoffe, die
sich durch ihre große Verschleißfestigkeit, Temperatur- und
Korrosionsbeständigkeit auszeichnen. Man unterscheidet Sinterhartmetalle,
Aufschweißlegierungen und Aufspritzpulver auf Carbidbasis. Nur noch
geringe Bedeutung haben heute Gusscarbide.
Sinterhartmetalle bestehen vorwiegend aus hochschmelzenden
Carbiden von besonders geeigneten Metallen, wie Wolfram, Titan, Tantal, Niob,
Molybdän, Chrom und Vanadium. Als Bindemittel sind Kobalt, selten Nickel
oder Eisen zugesetzt. Die Herstellung von Sinterhartmetallen verläuft
über mehrere Stufen.
Die IARC bewertete Cobalt- und Wolframcarbid-haltige
Hartmetallstäube 2006 neu und stufte sie in 2a ein (begrenzte Evidenz
für Humankanzerogenität bezüglich eines erhöhten Risikos
für Lungenkrebs) [56 ].
Die MAK-Kommission hat vorgeschlagen, bei der Herstellung und
Bearbeitung von Hartmetallen entstehende, einatembare Stäube als
krebserzeugend der Kategorie 1 einzustufen. Für die epidemiologische
Klärung eines möglichen Dosis-Wirkungs-Zusammenhangs ist es
wesentlich zu wissen, welche Expositionen üblicherweise bei der
Hartmetallverarbeitung auftreten. Eine erste Übersichtsauswertung ergab
viele Substanzen, die in der Hartmetallverarbeitung beobachtete Effekte
verursachen können. Eine genaue epidemiologische Klärung steht noch
aus. Eine Arbeitsgruppe des BGIA ermittelt zurzeit die Expositionshöhen
bezüglich Wolframcarbid und Cobalt [57 ].
2.7.18 Viren
Die Assoziation von humanen Papillomaviren (HPV) und
Epstein-Barr-Viren (EBV) mit der Entstehung von Lungenkarzinomen ist
mittlerweile gut dokumentiert [58 ]
[59 ]
[60 ]. Bei HPV besteht
offensichtlich nicht nur eine Assoziation mit Plattenepithelkarzinomen, die
auf
dem Boden von Papillomen/Papillomatose entstehen [61 ].
Insbesondere in Asien wurde auch eine Assoziation mit Adenokarzinomen
beschrieben [62 ]. EBV ist mit dem Subtyp des
großzelligen lymphoepithelialen Karzinoms assoziiert [59 ].
Die Virus-assozierten Lungenkarzinome wurden insbesondere in
Asien und Afrika beobachtet, für HPV wurden in bestimmten Regionen (Taiwan
und Okinawa/Japan) Inzidenzen von bis zu 100 % beschrieben
[63 ]. Wie auch bei anderen HPV-assoziierten Karzinomen
besteht offensichtlich eine gewisse geographische Variabilität. Für
Patienten in Europa ist auf der Basis der verfügbaren Literatur mit einer
Häufigkeit von ca. 5 % zu rechnen [64 ]. Das würde bedeuten, dass HPV nach dem Rauchen
eine wichtige Stellung als Lungenkanzerogen zukäme.
Auch bei HIV-Patienten wurde eine erhöhte Inzidenz von
Lungenkrebsfällen beobachtet, diese ist jedoch vermutlich auf einen
gesteigerten Nikotinabusus der betroffenen Bevölkerungsgruppe
zurückzuführen [65 ].
2.7.19 Synkarzinogenese
Bei den meisten Krebserkrankungen, die als Berufskrankheit in
der Berufskrankheitenliste aufgeführt werden, muss für die Frage der
Anerkennung im Berufskrankheiten-Verfahren kein Dosisgrenzwert erfüllt
werden. Unter diesen Voraussetzungen ist – bei der Einwirkung mehrerer
krebserzeugender Noxen am Arbeitsplatz – nur zu beurteilen, ob eine
dieser Noxen als wesentliche Ursache für die Entstehung der
Krebserkrankung in Betracht kommt.
Problematisch ist die Beurteilung des Zusammenwirkens mehrerer
krebserzeugender Stoffe in solchen Fallkonstellationen, für die das
Berufskrankheitenrecht Dosisgrenzwerte enthält und die ermittelten
Einwirkungen der einzelnen Noxen unterhalb des jeweiligen Dosisgrenzwertes
liegen. Diese Konstellation kann z. B. bei Lungenkrebserkrankungen nach
Exposition gegenüber Asbeststaub (Dosisgrenzwert nach BK-Nr. 4104: 25
Faserjahre) und polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen (Empfehlung
des
Ärztlichen Sachverständigenbeirats: Dosisgrenzwert 100 BaP-Jahre)
eintreten.
Nach Empfehlung des Ärztlichen Sachverständigenbeirats
„Berufskrankheiten” vom 01. Februar 2007 (Gemeinsames
Ministerialblatt, Nr. 23 vom 13. 04. 2007 S. 474) ist – bei
der Annahme einer linearen Dosis-Wirkungs-Beziehung – die Voraussetzung
für das Verdoppelungsrisiko eines Lungenkrebses erfüllt, wenn bei
Exposition gegenüber Asbestfaserstaub und PAK die Summe der vorliegenden
Bruchteile von 25 Asbestfaserjahren und 100 BaP-Jahren mindestens den Wert 1
ergibt (z. B: bei 20 Faserjahren und 20 BaP-Jahren hätte man
20 / 25 + 20 / 100 = ⅘ + ⅕ = 1).
Dieser Empfehlung wurde mit der neuen Berufskrankheit 4114 Rechnung getragen:
„Lungenkrebs durch das Zusammenwirken von Asbestfaserstaub und
polyzyklischen aromatischen Kohlenwasserstoffen bei Nachweis der Einwirkung
einer kumulativen Dosis, die einer Verursachungswahrscheinlichkeit von
mindestens 50 Prozent nach der Anlage 2 entspricht”.
Dementsprechend kann nunmehr eine Anerkennung erfolgen, wenn zwar der für
einen der Stoffe geforderte Dosisgrenzwert nicht erreicht wird, aber die
Verursachungswahrscheinlichkeit für beide Stoffe gemeinsam mindestens 50
Prozent entsprechend der Anlage 2 zur BKV beträgt.
Eine Abschätzung des Lungenkrebsrisikos durch die
Exposition gegenüber mehreren Karzinogenen ist prinzipiell sowohl mithilfe
eines additiven als auch multiplikativen Modells möglich
[66 ].
2.7.20 Veranlagung und Genetik
Generell sind zur Krebsentstehung mehrere Veränderungen
erforderlich. Genetische Faktoren können zu einer beschleunigten
Akkumulation von Mutationen und damit zu einem erhöhten Potenzial für
die Krebsentwicklung im jungen Alter führen. Der erbliche Beitrag ist
offenbar bei jungen Lungenkrebspatienten größer als bei älteren
Patienten [67 ]
[68 ]
[69 ].
Zahlreiche Studien untersuchten die Assoziation von Genen
für metabolisierende Enzyme mit Lungenkrebs. Die meisten Ergebnisse sind
widersprüchlich. Ferner gibt es Hinweise auf erbliche Einflüsse
bestimmter Varianten von DNA-Reparaturgenen beim Lungenkrebs. Für
Tumorsuppressorgene, Onkogene, Apoptose-relevante Gene und Zellzyklus-relevante
Gene betrifft die Mehrzahl der Untersuchungen Mutationen im Tumorgewebe, aber
keine genetischen Polymorphismen [70 ]
[3 ]. Umfangreiche weitere Untersuchungen zur Genetik des
Lungenkrebses sind erforderlich.
Einen Überblick über die Zahl der anerkannten
Lungenkrebs-Berufskrankheiten im Zeitraum 1978 bis 2003 gibt [Tab. 2 ]. Da es bislang in Deutschland keine
übergeordnete Berufskrebs-Statistik gibt, sind hier nur Zahlen aus der
gewerblichen Wirtschaft (ca. 90 % aller Versicherten) und nicht
aus dem Bereich anderer Unfallversicherer wiedergegeben.
Tab. 2 Häufigkeiten
von Anerkennungen von Berufskrankheiten bei Lungenkarzinomen von
1978 – 2003 durch die gewerblichen Berufsgenossenschaften
[71 ].
BK-Nr.
Noxe
Anzahl
BK-Anerkennungen 1978 – 2003
MAK-Kategorie
IARC-Einstufung
mittlere Latenzzeit in
Jahren
4104
Asbest
9175
1
1
35,4
2402
ionisierende Strahlung
(Uranbergbau)
3498
1
1
38,4
4110
PAK
254
1
1
31,4
1103
Chromate
203
1/2
1
29,0
4112
Siliziumdioxid,
kristallin
129
1
1
42,2
1108
Arsen
114
1
1
39,1
4109
Nickel
110
1
1/2b
27,5
1310
Dichlordimethylether
37
1
1
31,9
1110
Beryllium
k. A.
1
1
1104
Cadmium
k. A.
1
1
§ 9 Abs.2
wolfram-
+ cobalthaltige Hartmetallstäube
k. A.
1
2a
keine
künstl.
Mineralfasern
keine
2/3a
2b/3
keine
Passivrauchen
keine
1
1
keine
Dieselmotoremissionen
keine
2
2a
Empfehlung
Bei jedem Patienten mit Lungenkarzinom sind anamnestisch die
Risikofaktoren (Rauchen, berufliche Noxen) zu erfragen. Die Erhebung einer
umfassenden Arbeitsanamnese ist erforderlich (Empfehlungsgrad D).
3 Prävention
3 Prävention
3.1 Definition, Einführung
Primäre Prävention umfasst
Maßnahmen, die die Entwicklung einer Erkrankung vermeiden.
Sekundäre Prävention zielt auf
die frühe Krankheitserkennung und wird daher im Kapitel zur
Früherkennung behandelt, während tertiäre Prävention als
Maßnahmen zur Reduktion der negativen Auswirkungen einer bereits
aufgetretenen Erkrankung beim Lungenkrebs vornehmlich Thema der supportiven
Therapie und Palliativmedizin ist.
Die herausragende Rolle des Rauchens, das im kausalen Zusammenhang
mit über 85 % aller Lungenkrebsfälle steht und ein ca.
20-fach erhöhtes Risiko gegenüber dem Nichtraucher bedingt,
beeinflusst zudem das Erkennen und die Berechnung weiterer Parameter, die einen
negativen oder positiven Einfluss auf die Entstehung der Erkrankung haben. Das
gilt sowohl für berufliche Risikofaktoren wie auch private
Verhaltensweisen.
3.2 Tabakrauchen und Lungenkarzinom
Jede Maßnahme, die verhindert, dass mit dem
Zigarettenrauchen begonnen wird, oder die das Aufhören mit dem Rauchen bei
abhängigen Rauchern fördert, ist ein Schritt zur Prävention des
Lungenkrebses. Erforderlich sind politische Maßnahmen der Tabakkontrolle
wie Tabaksteuer, rauchfreie Arbeitsplatzgesetzgebung sowie Interventionen auf
individueller Ebene, um das Beginnen oder die Fortsetzung des Rauchens zu
verhindern. Hierzu zählen insbesondere die Begrenzung der
Zigarettenwerbung, die Reduzierung des Zugangs von Kindern zu Zigaretten, das
Verbot des Rauchens am Arbeitsplatz. Klagen gegen die Zigarettenhersteller
haben sich in den USA als wirksame Maßnahme der Tabakkontrolle
erwiesen.
3.2.1 Aktives Rauchen und Lungenkarzinom
Die epidemiologischen Zusammenhänge zwischen aktivem
Rauchen und dem damit verbundenen Lungenkrebsrisiko sind im Kapitel
„Epidemiologie” dargestellt. Die Anzahl täglich gerauchter
Zigaretten sowie die Dauer des Tabakkonsums verhalten sich proportional zum
konsekutiven Krebsrisiko; ein Schwellenwert, unterhalb dessen eine Exposition
gefahrlos erfolgen könnte, existiert nicht [72 ].
Folglich müssen alle Bemühungen um die Prävention darauf hin
gerichtet sein, aktives Tabakrauchen in jeder Weise zu reduzieren.
Die Prognose bei manifestem Lungenkarzinom ist besser, je
früher vor Manifestation der Erkrankung der Tabakkonsum beendet wurde.
Z. B. lag bei einer Studie von 543 Patienten mit lokal begrenztem,
nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC) die 5-Jahres-Überlebensrate bei
50 % für aktuelle Raucher, 54 % für
Exraucher seit 1 – 8 Jahre, 59 % für
Exraucher seit 9 – 17 Jahre und 76 % für
Nieraucher [73 ]. Zu vergleichbaren Ergebnissen kommt
eine retrospektive Längsschnittuntersuchung an 1370 Patienten mit neu
diagnostiziertem fortgeschrittenen NSCLC. Es fand sich ein signifikant besseres
Überleben bei Nierauchern im Vergleich zu aktuellen oder früheren
Rauchern [74 ] (Evidenzgrad 2b).
3.2.2 Passivrauchen und Lungenkarzinom
Wie im Kapitel „Epidemiologie” dargelegt, ist
Passivrauchen heute zweifelsfrei als wichtiger Risikofaktor für das
Lungenkarzinom anerkannt. In einer Meta-Analyse [75 ]
fand sich für passivrauchende weibliche Ehepartner gegenüber
Nicht-Exponierten ein um 24 % erhöhtes Risiko für die
Entstehung eines Lungenkarzinoms. Passivrauchen am Arbeitsplatz geht mit einer
22 %igen Risikoerhöhung für die Entstehung eines
Lungenkarzinoms einher. Nach Berechnungen des Deutschen Krebsforschungszentrums
führt Passivrauchen in Deutschland bei Nichtrauchern jährlich zu 263
Neuerkrankungen an Lungenkarzinom [76 ]. Aktuelle
internationale Übersichten kommen zu ähnlichen Ergebnissen
[77 ]
[72 ]
[78 ] (Evidenzgrad 1a).
3.2.3 Beendigung des Rauchens nach Diagnose
Lungenkarzinom
Patienten mit Lungenkarzinom sind oft motiviert, den Tabakkonsum
zu beenden [79 ]. Trotzdem rauchen etwa
50 % der Patienten mit neu diagnostiziertem Lungenkarzinom
[79 ]
[80 ] (Evidenzgrad 2b). Eine
erfolgreiche Tabakentwöhnung mit pharmakologischer Unterstützung ist
auch bei Patienten mit Lungenkarzinom möglich [79 ]
(Evidenzgrad 2a). Auch für fortgesetzte Passivrauchexposition nach der
Diagnose Lungenkarzinom ist ein ungünstiger Effekt bekannt
[81 ]
[73 ] (Evidenzgrad 2b).
3.2.3.1 Beendigung des Rauchens vor chirurgischer
Therapie
In einer retrospektiven Analyse an 261 Patienten, bei denen
eine Pneumonektomie bei Lungenkarzinom durchgeführt wurde, erwies sich
ausschließlich die Beendigung des Rauchens weniger als 1 Monat vor OP als
Prädiktor für schwere pulmonale Komplikationen (Pneumonie, ARDS)
[82 ] (Evidenzgrad 2b). Schwere pulmonale Komplikationen
waren eng mit einer erhöhten Mortalität verknüpft. In einer
Metaanalyse von Patienten mit überwiegend orthopädischen und
allgemeinchirurgischen Eingriffen war der präoperative Rauchstop
mindestens 1 Monat vor OP mit reduzierten postoperativen Komplikationen
verbunden [83 ] (Evidenzgrad 1a). Oft vergehen zwischen
der Diagnosestellung und der definitiven chirurgischen Therapie mehrere Wochen,
z. B. durch Staginguntersuchungen. In dieser Zeit kommt es zu
zahlreichen Kontakten zwischen Patienten und Ärzten, bei denen auf den
Sinn einer Tabakentwöhnung vor der Operation hingewiesen werden
sollte.
3.2.3.2 Beendigung des Rauchens vor Chemotherapie
In einer retrospektiven Untersuchung an 1370 Patienten mit neu
diagnostiziertem, fortgeschrittenem, nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom (NSCLC)
zeigte sich kein Unterschied zwischen aktuellen und früheren Rauchern
[74 ]. In einer weiteren retrospektiven
Längsschnittuntersuchung bei Patienten mit neu diagnostiziertem NSCLC war
die Beendigung des Rauchens nach 12 Monaten in einer multivarianten Analyse
mit
einem besseren Performancestatus assoziiert [84 ]. Ein
signifikanter Unterschied im Überleben wurde nicht beschrieben.
Diesen Studien steht eine Reihe von Untersuchungen entgegen,
die bei Rauchstopp eine bessere Prognose für Patienten mit Lungenkarzinom
zeigen. In einer retrospektiven Längsschnittuntersuchung bei 1155
Patienten mit NSCLC war der aktuelle Rauchstatus neben Alter,
sozioökonomischen Daten und Alkoholkonsum ein unabhängiger
Risikofaktur für Mortalität [85 ]. Auch bei
Patienten mit fortgeschrittenem NSCLC konnte ein signifikanter Zusammenhang
zwischen Rauchgewohnheiten und Prognose festgestellt werden [86 ]. Insgesamt spricht die Datenlage für mögliche
positive Effekte der Tabakentwöhnung vor einer Chemotherapie
[79 ] (Evidenzgrad 2b).
Tabakrauchen beeinflusst die Pharmakokinetik einer Vielzahl
von Substanzen. Für Patienten mit Lungenkarzinom ist z. B.
relevant, dass Raucher mit einer Dosis von 300 mg Erlotinib pro Tag
etwas niedrigere Plasmakonzentrationen hatten als Nichtraucher mit einer Dosis
von lediglich 150 mg Erlotinib pro Tag [87 ].
Ursächlich ist hier die Induktion der hepatischen Metabolisierung von
CYP3A4 und CYP1A2 durch den Tabakrauch.
Die erhöhten Kohlenmonoxid-Konzentrationen bei Rauchern
können zu einer Gewebshypoxie führen und damit die Effektivität
der Chemotherapie beeinträchtigen [88 ]
[80 ]. Inhaltsstoffe des Tabakrauchs interagieren mit
verschiedenen Rezeptoren, wie z. B. dem nikotinergen
Acetylcholin-Rezeptor, die eine Chemoresistenz begünstigen
[89 ]. Darüber hinaus unterdrückt Nikotin an
humanen Zellen die Chemotherapie-induzierte Apoptose [89 ].
3.2.3.3 Beendigung des Rauchens vor
Strahlentherapie/Radiochemotherapie
Bei Patienten mit NSCLC im Stadium I und II, die sich einer
Strahlentherapie unterzogen, war Tabakrauchen ein unabhängiger
Prädiktor der Mortalität [90 ]. Bei Patienten
mit kleinzelligem Lungenkarzinom (SCLC) im Stadium limited disease, die mit
einer Radiochemotherapie behandelt wurden, konnte gezeigt werden, dass die
Beendigung des Tabakrauchens die Prognose verbessert [91 ] (Evidenzgrad 2b).
Während einer Bestrahlung treten Infektionen bei Rauchern
gehäuft auf [92 ]
[81 ]. In
einer dieser Untersuchungen war das Langzeitüberleben verkürzt, wenn
Infektionen auftraten [92 ] (Evidenzgrad 4). Eine andere
Studie untersuchte 83 Patienten, die eine kurative Strahlentherapie bei
Lungenkarzinom erhielten, hinsichtlich des Auftretens einer
Strahlenpneumonitis. Neben dem Performance-Status und der Lungenfunktion war
der Raucherstatus ein Prädiktor für das Auftreten einer
Strahlenpneumonitis [93 ].
3.2.3.4 Entwicklung eines Zweitkarzinoms
Rauchen ist ein unabhängiger Risikofaktor für die
Entstehung von Zweitkarzinomen auch der Lunge [94 ]
[95 ] (Evidenzgrad 2b). Bei Patienten mit SCLC lag
z. B. das relative Risiko für ein Zweitkarzinom zwei Jahre nach
Beendigung der initialen Therapie für Raucher 3-mal so hoch wie für
die Patienten, die den Tabakkonsum beendeten [96 ]
(Evidenzgrad 2b).
Zusammenfassung: Die Beendigung des Tabakrauchens bei
Patienten mit Lungenkrebs zeigt positive Effekte insbesondere auf postoperative
Komplikationen und das Auftreten von Zweittumoren (Evidenzgrad 2b)
(Evidenztabelle 3.2).
3.3 Berufliche Exposition und Lungenkrebs
Die Zusammenhänge zwischen exogenen Noxen und der Entstehung
von Lungenkrebs sind im Kapitel Epidemiologie dargestellt. Grundsätzlich
kann eine berufliche Tätigkeit zu einer Exposition gegenüber jeder
dieser Noxen führen.
In Deutschland ist der Arbeitsschutz und damit grundsätzlich
die Prävention und die Minimierung jeglicher Gefährdungen gesetzlich
geregelt (Arbeitssicherheitsgesetz 1973, Arbeitsschutzgesetz 1995). Die
Gefahrstoffverordnung nimmt explizit Bezug auf kannzerogene Stoffe und legt im
Anhang IV Herstellungs- und Verwendungsverbote für bestimmte Stoffe,
Zubereitungen und Erzeugnisse, die krebserzeugende oder erbgutverändernde
Eigenschaften haben, fest. In Österreich bestehen analoge Regelungen.
Entsprechend der wissenschaftlichen Erkenntnisse über die
kanzerogene Wirkung von Arbeitsstoffen werden Gefahrstoffe
regelmäßig von verschiedenen Organisationen (z. B. DFG und
IARC) bewertet und eingestuft.
Die Festlegung von gesundheitlich unbedenklichen Grenzwerten
für kanzerogene Stoffe ist nicht möglich, da nach den bisherigen
Erkenntnissen über die Pathomechanismen der Karzinogenese auch im
Niedrigdosisbereich zumindest eine lineare Dosis-Wirkungsbeziehung angenommen
werden muss, sodass das Risiko mit abnehmender Expositionshöhe sich zwar
verringert, dann epidemiologisch nicht mehr nachweisbar, aber nicht völlig
auszuschließen ist.
Gleichfalls aus der Gefahrstoffverordnung ergibt sich die Pflicht
des Arbeitgebers, die Arbeitsplätze bezüglich ihrer Gefährdungen
zu beurteilen. Für Tätigkeiten mit krebserzeugenden Stoffen werden
folgende Vorgaben gemacht:
Es ist eine Substitution des Stoffes durch einen weniger
gefährlichen anzustreben.
Wenn dies technisch nicht möglich ist, soll eine
Verarbeitung im geschlossenen System erfolgen.
Die Einhaltung von Arbeitsplatzgrenzwerten ist
sicherzustellen.
Wenn diese nicht gewährleistet werden kann, sind weitere
technische und persönliche Schutzmaßnahmen notwendig.
Der Problematik der Beurteilung von neuentwickelten Arbeitsstoffen
versucht die Europäische Gemeinschaft mit der sog. REACH-Verordnung zu
begegnen, die die Registrierung, Bewertung, Zulassung und Beschränkung
chemischer Stoffe regelt. Die Verantwortung für die Einhaltung dieser
Verordnung liegt bei den Herstellern bzw. Importeuren.
Grundsätzlich wird trotz der verbesserten gesetzlichen
Vorschriften eine Grauzone beziehungsweise Latenzzeit zwischen der Verwendung
neuer Arbeitsstoffe und endgültiger Risikobewertung verbleiben. Als
Beispiel für den Einsatz neuer Arbeitsstoffe, deren Risikobewertung noch
nicht abgeschlossen ist, seien die Nano-Partikel genannt.
Nur durch eine konsequente und verantwortungsvolle Zusammenarbeit
von Wissenschaftlern, Gesetzgebern, Herstellern und Arbeitgebern können so
folgenschwere Fehler und Verzögerungen in der Primärprävention
durch Nichtberücksichtigen von Erkenntnissen, wie sie z. B.
seinerzeit beim Asbest eingetreten sind (Bestätigung der
Lungenkanzerogenität 1933, durchgängiges Asbestverbot in Deutschland
1993, EU-weites Verbot 2005), vermieden werden. Der Erfolg dieser spät
eingeführten Präventionsmaßnahmen wird aufgrund der langen
Latenzzeiten von ca. 30 Jahren erst ab ca. 2020 durch einen Rückgang der
Zahlen für asbestbedingte Lungenkarzinome zu belegen sein. Derzeit steigen
die Zahlen für die anerkannten Fälle BK 4104 (Lungen- oder
Kehlkopfkrebs durch Asbest) noch an. Im Jahr 2005 wurden 771 Fälle, in
2006 816 Fälle als Berufskrankheit anerkannt. (Quelle: Geschäfts- und
Rechnungsergebnisse des Hauptverbandes der gewerblichen Berufsgenossenschaften
2005 + 2006).
Die Sekundärprävention in der Arbeitsmedizin ist
bezüglich Krebserkrankungen v. a. durch lebenslange nachgehende
(nach Expositionsende erfolgende) arbeitsmedizinische Vorsorgeuntersuchungen
geregelt. Diese werden durch die ZeBWis (Zentrale Betreuungsstelle Wismut)
für die im Uranbergbau tätig gewesenen Arbeitnehmer, durch die ZAs
(Zentrale Erfassungsstelle asbeststaubgefährdeter Arbeitnehmer) für
die Asbestexponierten und durch ODIN (Organisationsdienst für nachgehende
Untersuchungen) für alle übrigen krebserzeugenden Arbeitsstoffe
organisiert.
3.4 Strahlung
Um die Strahlenexposition so gering wie möglich zu halten,
gelten allgemein die drei folgenden Regeln [97 ],
nämlich dass
die Aufenthaltszeit in Bereichen erhöhter
Strahlenexposition so kurz wie möglich zu halten ist. Dies bedeutet, dass
man sich in Räumen mit erhöhtem Radioaktivitätsgehalt
(z. B. Radon) oder in Strahlenschutzbereichen nur so lange wie unbedingt
erforderlich aufhält oder Patienten nur bei strenger fachkundiger
Indikation einer radiologischen Untersuchung unterzieht.
der Abstand zur Strahlenquelle so groß wie möglich
gewählt wird. Das Abstandsquadrat-Gesetz ist eines der effektivsten
Schutzmöglichkeiten für beruflich strahlenexponierte Personen. Wenn
z. B. ein Arzt bei einer Röntgenuntersuchung einen Schritt vom zu
untersuchenden Patienten zurücktritt (von ca. 30 cm auf 1 m)
so wird die Dosis um den Faktor 10 bereits reduziert.
Abschirmungen genutzt werden sollen. Bei Röntgenstrahlung
kann z. B. eine Bleischürze je nach Strahlenqualität zwischen
einem Faktor 10 und 100 die Dosis reduzieren. Bauliche und technische
Strahlenschutzvorkehrungen sind einzuplanen.
Das Strahlenrisiko ist stark vom Alter bei Exposition
abhängig. Aus diesem Grund gelten besondere Schutzvorkehrungen für
das ungeborene Kind. Auch bei Kindern und Jugendlichen sind strengste
Maßstäbe für die Schutzmöglichkeiten anzulegen.
So werden Kinder im Mutterleib heute nur noch in Notfallsituation
der Mutter Röntgenstrahlung ausgesetzt, und in allen anderen Fällen
wird die Diagnostik mit nicht ionisierenden Strahlen (Ultraschall,
Magnetresonanztomografie) durchgeführt.
Als Konsequenz aus dem Strahlenschutz sind heute, mit Ausnahme des
genehmigten, qualitätsgesicherten Mammografie-Screenings, keine
Reihenuntersuchungen mit Röntgenstrahlen oder
„Routine-Untersuchungen” mehr erlaubt.
Die Medizin und insbesondere die Röntgendiagnostik bewirkt im
statistischen Mittel mit ca. 2 mSv/Jahr eine zusätzliche
Strahlendosis zur etwa gleich hohen natürlichen Strahlenexposition. Alle
Versuche, in Deutschland diese medizinische Exposition zu reduzieren, waren
bisher erfolglos, wobei gerade bei der Rechtfertigung einer radiologischen
Untersuchung die größten Einsparpotenziale liegen. In den letzten
Jahren ist die medizinische Strahlenexposition aufgrund der stark wachsenden
Nutzung von CT-Untersuchungen gestiegen [98 ].
Das wissenschaftliche Beratungsgremium des
Bundesumweltministeriums, die Strahlenschutzkommission, hat mit ihrer
Stellungnahme vom 12. Mai 2005 nach Auswertung aller vorliegenden
Gesundheitsstudien zum Radon festgestellt, dass ab dem Bereich von 100 bis
200 Bq/m3 eine statistisch signifikante Erhöhung der
Lungenkrebsrate durch Radon gegeben ist. Der Gedanke der Vorsorge verlangt
Maßnahmen zum Schutz vor Radon unterhalb dieser Schwelle der Signifikanz.
Konsequenterweise wird deshalb im Radon-Handbuch 2009 der WHO für
Wohnungen ein Referenzwert von 100 Bq/m3 empfohlen
[99 ]. Grundsätzlich kann die Radonkonzentration in
Wohnräumen durch vermehrtes Lüften oder Belüften gesenkt werden.
Dabei erhöht sich aber insbesondere im Winter der Wärmeverlust. Bei
höheren Radonkonzentrationen empfehlen sich bauliche Maßnahmen wie
z. B. die Beseitigung undichter Stellen, die Versiegelung von
Kellerböden oder das Abdichten von Wänden. In Gebieten mit
erhöhter Radonkonzentration im Boden sollte die tatsächliche
Innenraumbelastung ermittelt und dem Gebäudezustand angepasste
Sanierungsmaßnahmen ergriffen werden. Bei Neubauten sind die
entsprechenden bautechnischen Maßnahmen von vornherein einzuplanen. Das
Bundesumweltministerium bietet Hilfen bei der Sanierung radonbelasteter
Wohnungen an. Dafür hat das Ministerium Merkblätter zur Sanierung von
radonbelasteten Häusern erstellt, die kostenlos versandt werden.
Bei beruflichen Tätigkeiten im Umfeld natürlicher
Strahlenquellen (kosmische, terrestrische Strahlung, natürliche
radioaktive Stoffe) sind ab Strahlendosen oberhalb von 1 mSv Auflagen
für Arbeitgeber festgelegt worden, sodass z. B. die
Strahlenexposition ermittelt werden muss und gegebenenfalls
Schutzmaßnahmen eingeführt werden müssen. Beim Umgang mit
angereicherten radioaktiven Stoffen (Kernenergie) gelten die Regelungen
für beruflich strahlenexponierte Personen. Hier ist in einer Hierarchie
vom Verantwortlichen über den Beauftragten der Strahlenschutz organisiert
und personifiziert [97 ].
3.5 Luftverschmutzung
Grenzwerte für Feinstaub (Partikel mit einem Durchmesser
unter 10 bzw. 2.5 µm) dienen der Verminderung des Erkrankungs- und
Sterberisikos für Atemwegserkrankungen, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und
Lungenkrebs [100 ]. Da die Grenzwerte derzeit in vielen
Städten nicht eingehalten werden können, werden zusätzliche
Maßnahmen (Verkehrslenkung, Umweltzonen) eingeführt. Am effektivsten
ist allerdings der Einsatz von Rußfiltern für Dieselfahrzeuge, der
in Deutschland bei Neufahrzeugen mittlerweile weitgehend erfolgt und EU-weit
schrittweise durch Verschärfung der Emissionsgrenzwerte für
Kraftfahrzeuge (Euronorm) durchgesetzt wird.
3.6 Private Lebensführung und Ernährung
Körperliche Aktivität führt im Vergleich zu
sitzender Tätigkeit zu einer Verringerung des Lungenkrebsrisikos, auch
unter Berücksichtigung des Zigarettenrauchens [10 ]
[101 ]
[102 ].
Ebenso wirkt eine Ernährung, die reich an Früchten und
Gemüse ist, protektiv [11 ]
[29 ]
[103 ]
[104 ]
[105 ]
[106 ]. In einer großen europäischen Studie sowie
einer zusammenfassenden Analyse von 7 Kohorten wurde ein starker protektiver
Effekt ausschließlich [28 ] beziehungsweise
vorzugsweise [107 ] der Einnahme von Früchten und
weniger dem Verzehr von Gemüse zugeschrieben. Nach der vorherrschenden
Hypothese beruht dieser Effekt auf dem Vorhandensein von Antioxidantien, die
den oxidativen DNA-Schaden der Zelle und damit das Krebsentstehungsrisiko
verringern [108 ].
Einzelne Nahrungsbestandteile wurden in Klassen gruppiert oder
auch einzeln analysiert. Dabei zeigte sich für Tomaten
[109 ]
[110 ]
[111 ] und Kreuzblütengewächse
(Gemüsekohlarten wie Weißkohl, Rotkohl, Brokkoli, Blumenkohl,
Rosenkohl, Senfkohl, Kohlrabi, aber auch Radieschen, Raps, Senf, Meerrettich
und Kresse) [29 ]
[111 ] ein
verringertes Risiko (Evidenzgrad 4). Entsprechende Studien basieren entweder
auf der Auswertung entsprechender Fragebogen oder der Analyse von assoziierten,
antioxidativ wirksamen Mikronährstoffen im Blut, anderen
Flüssigkeiten oder Körperbestandteilen. So ergab eine Metaanalyse
für Selen mittels Fragebogen zwar keine positive Assoziation, während
erhöhte Selenspiegel im Blut und in Zehennägeln auf einen protektiven
Effekt hinwiesen [112 ].
Mehrere Untersuchungen, die sowohl die Nahrungsaufnahme
dokumentierten als auch Blutkonzentrationen maßen, wiesen für
Carotinoide eine Protektion aus [113 ]
[114 ]
[115 ]
[116 ]
[117 ]
[118 ]. Sie haben zu den großen
Chemopräventionsstudien geführt, die jedoch weitgehend negativ
ausfielen bzw. teilweise sogar eine schädliche Wirkung zeigten
(s. u.). Kohortenstudien wiesen zwar tendenziell ebenfalls auf einen
protektiven Effekt einer Vielzahl von Carotinoiden [103 ]
[109 ]
[119 ] und eines antioxidativen Index [116 ] hin. Die Zusammenführung der Daten von 7 solcher
Studien konnte jedoch für keines der Carotinoide außer
β-Kryptoxanthin eine starke protektive Assoziation aufzeigen
[115 ]. Die Datenlage für Vitamin C ist suggestiv
für einen positiven Effekt, während für Vitamin A keine Aussagen
getroffen werden konnten [120 ]. Dagegen waren
erhöhte Serumspiegel von Vitamin B6 mit einem verminderten
Lungenkrebsrisiko behaftet, von Folaten oder Vitamin B12 hingegen nicht
[121 ].
In den letzten Jahren wurden vermehrt pflanzenchemische Wirkstoffe
wie Flavonoide und Isothiozyanate untersucht. Diese niedermolekularen
Substanzen werden von Pflanzen gebildet und haben entweder eine potente
antioxidative Aktivität (Flavonoide) oder induzieren
Phase-2-Detoxifikationsenzyme wie Glutathion-S-Transferase (Isothiozyante) und
könnten darüber antikanzerogen wirken. Bei Isothiozyanaten handelt es
sich um Metabolite von Glukosinolaten, die in hoher Konzentration bei
Kreuzblütengewächsen vorkommen. Ähnlich wie bei dieser
Gemüsesorte war das Lungenkrebsrisiko niedriger bei vermehrter Einnahme
oder erhöhten Urinspiegeln von Isothiozyanaten [122 ]
[123 ]
[124 ]. Ebenso gibt es hinreichende Evidenz, dass
Flavonoide, insbesondere Quercetin, in ähnlicher Weise zu einer Reduktion
der Lungenkrebsrate führen können [125 ]
[126 ]
[127 ] (Evidenzgrad 3a).
Flavonoide kommen vor in Äpfeln, Sellerie, Zwiebeln,
Teeblättern, Zitrusfrüchten, Beeren und Soja [126 ]. Knoblauch war hingegen nicht protektiv
gegenüber Lungenkrebs [128 ]. Insofern ist
anzunehmen, dass organischer Schwefel, der sowohl in hoher Konzentration in
Zwiebeln aber auch Knoblauch vorkommt, nicht für den protektiven Effekt
verantwortlich ist [126 ].
Hoher Alkoholkonsum ist mit einem erhöhten Lungenkrebsrisiko
assoziiert [129 ] ebenso wie ein erniedrigter
Body-Mass-Index [114 ]
[130 ].
Beim Alkoholkonsum scheint Bier eher einen negativen Einfluss zu haben,
während Weinkonsum eher mit einer Verringerung des Lungenkrebsrisikos
assoziiert ist [131 ]. Der Effekt von Alkoholkonsum auf
das Lungenkrebsrisiko ist epidemiologisch nur schwer von einem häufig
begleitenden Zigarettenkonsum abzugrenzen, welcher möglicherweise für
diese Assoziation verantwortlich ist.
3.7 Medikamentöse Primär- und
Sekundärprävention („Chemoprävention”)
Ausgehend von experimentellen Daten und weiteren Beobachtungen
[108 ], die die Hypothese unterstützten, dass
β-Carotine und Retinoide möglicherweise chemopräventiv wirken,
wurden 3 große randomisierte, doppelblinde, plazebo-kontrollierte
Chemopräventionsstudien in Hochrisikopopulationen (starken Rauchern)
initiiert [132 ]
[133 ]
[134 ]. Bei keiner dieser Studien konnte ein protektiver
Effekt beobachtet werden (Evidenzgrad 1b). Darüber hinaus war bei zweien
die β-Carotingabe sogar mit einem erhöhtem Lungenkrebsrisiko
assoziiert [134 ]
[135 ]
(Evidenzgrad 2b).
Ebenfalls negative Ergebnisse ergaben sich in großen Studien
für die Gabe von Aspirin [135 ]
[136 ]
[137 ], Vitamin E
[138 ], Retinylpalmitat [139 ]
[140 ], N-Acetylcystein [140 ] und
andere Substanzen (Übersicht bei: [140 ]).
Diese insgesamt ernüchternden Ergebnisse weisen darauf hin,
dass die Rolle von Mikronährstoffen in der Chemoprävention komplexer
sind als zunächst angenommen. Auch haben sie dazu geführt, keine
weiteren großen Studien mehr zu initiieren, sondern eher kleine Studien
durchzuführen, die als Zielpunkt geeignete Surrogat-Biomarker der
pulmonalen Karzinogenese untersuchen [140 ].
Ebenso ist die Datenlage bei Studien zur sekundären
Prävention des Lungenkrebses eher ernüchternd.
N-(4-hydroxyphenyl)retinamide (4-HPR) war nicht effektiv bzgl. einer Reversion
von Plattenepithelmetaplasie, Dysplasie oder anderer genetischer und
phänotypischer Abnormitäten im Bronchialepithel von Rauchern
[141 ]. Gleichfalls zeigte Isotretinoin keinen Einfluss
auf eine Plattenepithelmetaplasie [141 ]. Inhalierte
Kortikosteroide zeigten keinen Effekt bzgl. einer Regression älterer
bronchialer Dysplasien oder der Prävention neu aufgetretener Läsionen
[142 ]. 13-cis-retinoic acid (13cRA) wies hingegen eine
signifikante Aktivität in Bezug auf eine Verringerung bzw. Reversion einer
Leukoplakie der Mundschleimhaut auf. Es war ebenfalls aktiv in Bezug auf die
Entstehung von sekundären Zweitkarzinomen in der Lunge oder dem
Ösophagus bei Überlebenden eines Kopf-Hals-Karzinoms
[143 ].
Empfehlungen
• Tabakrauchen sollte konsequent vermieden bzw. beendet
werden (Empfehlungsgrad A).
• Passivrauchexposition sollte in jeder Weise vermieden
werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit Lungenkarzinom sollte der Tabakkonsum
regelmäßig erfragt und dokumentiert werden (Empfehlungsgrad A).
• Patienten mit Lungenkarzinom, die noch rauchen, sollten
dazu motiviert werden, den Tabakkonsum zu beenden. Ihnen sollte eine
qualifizierte Tabakentwöhnung angeboten werden (Empfehlungsgrad A).
• Die Einhaltung der gesetzlichen Arbeitschutzvorschriften
und Verordnungen gewährleistet in Zusammenarbeit mit einer ständigen
wissenschaftlichen Überprüfung und Risikobewertung von Gefahrstoffen
eine weitgehende Minimierung der Gefährdung durch kanzerogene Noxen am
Arbeitsplatz (Empfehlungsgrad A).
• Zur Verminderung des Lungenkrebsrisikos durch Radon muss
die Exposition in Wohnungen durch bautechnische Maßnahmen konsequent
vermindert werden. Bei der Indikationsstellung für die medizinische
Anwendung ionisierender Strahlung gilt es, den Nutzen der Strahlenanwendung
kritisch gegenüber dem Risiko der Strahlenexposition abzuwägen
(Empfehlungsgrad A).
• Das Lungenkrebsrisiko durch Luftschadstoffe kann am
effektivsten durch Reduktion der Emission von Dieselruß verringert werden
(Empfehlungsgrad A).
• Ernährung, die reich an Früchten, frischen
Gemüsen und Tomaten ist, verringert das Erkrankungsrisiko für
Lungenkrebs und wird daher empfohlen (Empfehlungsgrad C).
• Eine medikamentöse Primär- oder
Sekundärprävention kann bislang außerhalb von Studien nicht
empfohlen werden (Empfehlungsgrad A).
4 Früherkennung des Lungenkarzinoms
4 Früherkennung des Lungenkarzinoms
4.1 Bildgebende Verfahren
Studien zur Früherkennung von Lungenkarzinomen bei
Risikopersonen mit bildgebenden Verfahren wurden zunächst unter Einsatz
der Röntgenthoraxübersichtsaufnahmen bei starken Rauchern in den
70er-Jahren des 20. Jahrhunderts durchgeführt. In randomisierten
multizentrischen Studien in den USA [144 ]
[145 ]
[146 ]
[147 ], der damaligen Tschechoslowakei [148 ] und der ehemaligen DDR (Wilde 1989
[149 ]) wurde die Thoraxübersichtsaufnahme allein
sowie in Kombination mit zytologischen Sputumuntersuchungen eingesetzt.
Übereinstimmend fand sich in den Screeninggruppen keine
Mortalitätsreduktion, obwohl der Anteil detektierter nicht-kleinzelliger
Lungenkarzinome gegenüber den Kontrollgruppen vermehrt war und die
Resektabilität und das Outcome der resezierten Tumoren gut war
(Evidenzgrad 1a).
In zahlreichen weiteren Analysen wurden Limitationen in
Studiendesign und -auswertung analysiert [150 ]
[151 ]
[152 ]. Letztendlich hat jedoch keine Fachgesellschaft bis
heute den Einsatz der Thoraxübersichtsaufnahme zur Früherkennung des
Lungenkarzinoms bei asymptomatischen Rauchern oder anderen Risikogruppen
empfohlen [153 ].
Aktuell wird der Stellenwert regelmäßiger
Thoraxübersichtsaufnahmen in der Früherkennung asymptomatischer
Lungenkarzinome im Rahmen einer prospektiven, randomisierten, multizentrischen
US-amerikanischen „PLCO-Studie” (Prostate, Lung, Colon,
Ovary-Trial) erneut überprüft [154 ].
Ergebnisse liegen bislang nicht vor.
Analysen von Thoraxaufnahmen von Patienten, bei denen später
Lungenkarzinome diagnostiziert wurden, zeigten, dass auf
Übersichtsaufnahmen bis über 3 cm große Tumoren nicht
erkannt wurden [155 ]
[156 ].
Mit der Einführung der Computertomografie (CT) und
insbesondere der dosisreduzierten helikalen (Spiral-)CT als sehr sensitiver
Methode zur Detektion auch kleiner Lungenrundherde kam in den 90er-Jahren
erneut Interesse an der radiologischen Früherkennung von Lungenkarzinomen
auf.
In verschiedenen prospektiven Studien in Japan
[157 ]
[158 ]
[159 ]
[160 ]
[161 ], den USA [162 ]
[163 ]
[164 ]
[165 ]
[166 ]
[167 ] und Europa [168 ]
[169 ]
[170 ] wurde die Machbarkeit
(Feasibility) einer Lungenkarzinomfrüherkennung mittels Niedrigdosis-CT
(Low-dose-CT) untersucht (Evidenzgrad 1b) (Evidenztabelle 4.1).
Dabei wurde einerseits die Sensitivität der CT für
Lungenkarzinome insbesondere in frühen Stadien – teils auch im
Vergleich zur Thoraxübersichtsaufnahme – getestet, andererseits aber
auch der Einsatz diagnostischer Algorithmen zum Management diagnostizierter
pathologischer Befunde untersucht. Hierbei galt das besondere Interesse den
falsch positiven – also im weiteren Verlauf als benigne nachgewiesenen
– Befunden.
Zusammenfassend zeigten die Studien übereinstimmend folgende
Ergebnisse:
In der jeweils ersten Untersuchung
(Prävalenzuntersuchung) asymptomatischer Individuen (überwiegend
starke Raucher, weniger Nichtraucher und Asbest-exponierte Arbeitnehmer) fanden
sich bei 0,7 – 2,7 % der Personen
nicht-kleinzellige Lungenkarzinome und der Anteil der Tumoren im Stadium I
(T1-2, N0, M0) betrug 55 bis 93 %.
Bei (in der Regel jährlichen) Kontrolluntersuchungen
(Inzidenz) wurden bei 0,3 bis 1,5 % der Probanden
nicht-kleinzellige Lungenkarzinome diagnostiziert, der Anteil der Tumoren im
Stadium I betrug 63 bis 100 %.
Es wurden erheblich mehr Karzinome durch CT-Untersuchungen
(Screening-detektierte Karzinome) als zwischen 2 CT-Untersuchungen aufgrund
von
Symptomen (sog. Intervallkarzinome) diagnostiziert.
Der Anteil invasiver Maßnahmen wegen benigner
Läsionen unter Verwendung diagnostischer Algorithmen, die in der Regel auf
Dichte, Größe und Wachstumsverhalten von gefundenen Lungenrundherden
basierten, betrug zwischen 14 und 55 %.
Keine der bislang publizierten Studien besaß ein
Studiendesign, das einen Einfluss regelmäßiger CT-Untersuchungen auf
die Mortalität am Lungenkarzinom hätte nachweisen können.
Wenngleich die Machbarkeitsstudien übereinstimmend Ergebnisse
zeigten, die die Hoffnung unterstützen, dass der Einsatz
regelmäßiger CT bei Risikopersonen die Sterblichkeit am
Lungenkarzinom potenziell reduzieren könnte (Prävalenz höher als
Inzidenz, großer Anteil früher Tumorstadien, Anteil früher
Stadien bei Inzidenzuntersuchungen höher als bei
Prävalenzuntersuchungen, geringer Anteil an Intervallkarzinomen,
vertretbare Rate unnötiger invasiver Maßnahmen), erlaubt das
jeweilige Studiendesign keine Kontrolle von Faktoren, die ebenfalls zu diesen
scheinbar günstigen Ergebnissen führen könnten, ohne dass
tatsächlich eine Reduktion der Mortalität am Lungenkarzinom durch
regelmäßige CT vorläge. Hier werden besonders folgende Faktoren
diskutiert:
Überdiagnose („overdiagnosis bias”): Diagnose
von Tumoren, die aufgrund eines langsamen Wachstums und/oder Erkrankung der
betreffenden Person an konkurrierenden Erkrankungen nicht zum Tod der
betreffenden Person führen würden.
Unterschiedliche Aggressivität von spontan bzw. durch
Screening gefundenen Tumoren („length bias”):
regelmäßige Untersuchungen finden prinzipiell mit
größerer Wahrscheinlichkeit langsam wachsende, biologisch benignere
Tumoren (späte oder keine Metastasierung), weil bei diesen der Zeitraum
länger ist, in dem die Diagnose (bildgebend) bereits möglich ist, der
Tumor aber noch nicht zu Symptomen führt.
Diagnosevorverlegung („lead time bias”): Die
bildgebende Diagnose eines Tumors vor Auftreten von Symptomen verlängert
– im Vergleich zur Diagnose durch Symptome – prinzipiell die
Lebenszeit mit diagnostiziertem Tumor, auch wenn der Verlauf der Erkrankung
durch die frühere Diagnose nicht beeinflusst wird. Daher sind
traditionelle Messgrößen der Prognose der betroffenen Personen
(Stadienverteilung, 5-Jahres-Überleben, medianes Überleben,
krankheitsfreies Überleben) prinzipiell besser als bei Kollektiven mit
aufgrund von Symptomen diagnostizierten Tumoren.
Aus diesen Gründen werden derzeit prospektive randomisierte
kontrollierte Studien durchgeführt, bei denen die Mortalität in einem
Screening-Arm (mit regelmäßigem CT) und einem Kontroll-Arm (ohne
regelmäßiges CT) verglichen werden soll.
Eine US-amerikanische Studie (National Lung Screening Trial) hat
Ende 2004 ca. 53 000 Probanden eingeschlossen, in einer multinationalen
europäischen Studie (NELSON-Trial: Niederlande, Belgien, Dänemark)
wurden bis Ende 2006 ca. 19 000 Probanden eingeschlossen, daneben gibt
es kleinere randomisierte Studien.
Im Falle einer tatsächlichen, relevanten (hier
20 %igen) Mortalitätsreduktion durch regelmäßiges
CT werden statistisch belegbare Ergebnisse (p < 0,05) der NLST
nicht vor 2010, der übrigen Studien isoliert später, bei (geplantem)
Pooling der Daten aber ggf. früher erwartet. Bis zur Vorlage dieser
Ergebnisse werden Früherkennungsuntersuchungen mittels CT beispielsweise
von der Society of Thoracic Radiology nur innerhalb von Studien empfohlen
[171 ].
Empfehlungen
• Der Nutzen der Anfertigung von
Thoraxübersichtsaufnahmen zur Früherkennung asymptomatischer
Lungenkarzinome, auch bei Risikopersonen (Raucher, Asbestexposition), ist
bislang nicht belegt. Ein Screening mittels Thoraxübersichtsaufnahmen bei
asymptomatischen Risikopersonen wird daher derzeit nicht empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Ein möglicher Nutzen regelmäßiger CT bei
Risikopersonen ist ebenfalls bislang nicht belegt. Daher wird auch die CT zum
Screening asymptomatischer Risikopersonen derzeit nicht empfohlen
(Empfehlungsgrad B).
• Wenn möglich, sollte asymptomatischen Riskopersonen,
die die Durchführung einer Früherkennungsuntersuchung mittels CT
wünschen, die Gelegenheit gegeben werden, die Untersuchung im Rahmen einer
prospektiven, kontrollierten, randomisierten Studie durchführen zu lassen
(Empfehlungsgrad D).
4.2 Sputumzytologie
Die großen Studien zur Sputumzytologie in den 1970er- und
1980er-Jahren untersuchten überwiegend die Rolle der Sputumzytologie in
Verbindung mit konventionellem Röntgen-Thorax-Screening und der
eigenständige Beitrag der Sputumzytologie zum Screening blieb dabei
oftmals unklar (Mayo Lung Project: [144 ]
[172 ]
[173 ], Johns Hopkins Project:
[174 ]
[175 ]
[176 ]
[177 ], Memorial
Sloan-Kettering Center Project: [178 ]
[146 ]). Diese Studien waren darüber hinaus
bezüglich der Rolle der Sputumzytologie oftmals nicht ausreichend
„gepowert”. Insgesamt waren alle bis heute verfügbaren
Studien nicht in der Lage, einen Überlebensvorteil durch das Screening
mittels Sputumzytologie oder durch die Kombination der Sputumzytologie mit
radiologischer Diagnostik zu belegen. Auch in Metaanalysen der Studiendaten war
kein Überlebensvorteil durch Screening mittels Sputumzytologie nachweisbar
[179 ] (Evidenzgrad 1a).
Weitere Verbesserungen der Sputumdiagnostik konnten
zwischenzeitlich z. B. mit computerunterstützter zytometrischer
Bildanalyse [180 ]
[181 ]
[182 ]
[183 ] und molekularbiologischen Methoden erzielt werden
[184 ]
[185 ]
[186 ]
[187 ]
[188 ]
[189 ]
[190 ]
[191 ]
[192 ]
[193 ]
[194 ]
[195 ]
[196 ]. Große prospektive Studien, die eine
Neubewertung der Sputumzytologie auf der Basis dieser Techniken als
Screeningverfahren zuließen, stehen noch aus.
Empfehlung
Aufgrund der derzeitigen Evidenzen wird ein Screening auf das
Vorliegen von Lungenkrebs mittels Sputum-Zytologie nicht empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
4.3 Endoskopische Verfahren
Bei klinischem Verdacht auf ein Lungenkarzinom oder bei
verdächtigen Befunden in den nicht-invasiven Methoden erfolgt in der Regel
eine Bronchoskopie. Die klassische Weißlichtbronchoskopie erkennt zwar
gut manifeste endobronchiale Tumoren, übersieht jedoch unter
Umständen frühe Veränderungen im Schleimhautniveau (Dysplasie,
Carcinoma in situ, frühes invasives Karzinom). Die Sensitivität der
Weißlichtbronchoskopie ist somit für das
„Frühkarzinom” nicht optimal. Die Entdeckung früher
neoplastischer Läsionen kann durch technische Neuentwicklungen wie die
Autofluoreszenzbronchoskopie oder das sog. „narrow-band-imaging”
deutlich verbessert werden (Übersicht bei Wagner 2007 [197 ]).
Aufgrund der Invasivität der Bronchoskopie ist sie nicht zur
Frühdiagnostik bei asymptomatischen Risikokollektiven geeignet.
Empfehlungen zum Einsatz der Bronchoskopie im Rahmen der Primärdiagnostik
des Lungenkarzinoms finden sich im Kapitel Diagnostik.
Empfehlung
Aufgrund der Invasivität der Bronchoskopie ist sie nicht
zur Frühdiagnostik bei asymptomatischen Risikokollektiven geeignet
(Empfehlungsgrad D).
4.4 Tumormarkerdiagnostik
Schneider u. Mitarbeiter [198 ] unterzogen
ein Panel von Tumormarkern des Lungenkarzinoms (CRP, SCC, CEA, NSE, CYFRA 21-1,
M2-PK) bei 647 Patienten, von denen 200 an einem Lungenkarzinom erkrankt waren,
einer Fuzzy-Logik-Analyse. Die Sensitivitäten der genannten Tumormarker
liegen für die Tumorstadien I und II zwischen 20 und 30 %,
maximal bei 67 %. Mit Einsatz der Fuzzy-Logik-Analyse stieg die
Sensitivität (bei einer zugrunde gelegten Spezifität von
95 %) auf 75 %. Der positive prädiktive Wert
lag damit bei 87 %, der negative prädiktive Wert bei
89 %. Geht man unter analogen Randbedingungen von einem
realistischen Screening-Kollektiv aus, in welchem die Punktprävalenz eines
Lungenkarzinoms realistischerweise nicht mehr als 2 %
beträgt, so liegt bei einer wiederum zugrunde gelegten Sensitivität
von 75 % und einer Spezifität von 95 % der
positive prädiktive Wert nur noch bei 23 %, der negative
prädiktive Wert bei 99 %. Da ein positiver prädiktiver
Wert von 23 % für ein groß angelegtes Screening viel
zu häufig (nämlich in 77 % der
„verdächtigen” Fälle) einen später
unbegründeten Tumorverdacht auslösen würde, ist das Verfahren
– für sich allein genommen – zum Screening großer
Kollektive ungeeignet. Es könnte seinen Stellenwert in Kombination mit
anderen Screeningverfahren unter Beweis stellen.
Weiterhin sind molekularbiologische und -genetische Verfahren im
peripheren Blut in Entwicklung.
Empfehlung
Ein Screening auf das Vorliegen von Lungenkrebs bei
Risikoprobanden mit Tumormarkern wird nicht empfohlen (Empfehlungsgrad A).
5 Diagnostik
5 Diagnostik
5.1 Klinische Präsentation
5.1.1 Symptome
Ungefähr 90 % der Patienten mit
Lungenkarzinom weisen initial Krankheitssymptome auf. Die Prognose
asymptomatischer Patienten ist geringfügig besser als diejenige
symptomatischer Patienten [199 ]
[200 ]. [Tab. 3 ] zeigt die
Symptome und klinischen Zeichen, die initial beim Lungenkarzinom auftreten.
Tab. 3 Häufigkeit von
Initialsymptomen bei Lungenkarzinom (modifiziert nach Spiro et al, 2007
[201 ]).
Symptom bzw.
klinisches Zeichen
Häufigkeit
Husten Gewichtsverlust Luftnot Brustschmerzen Hämoptyse Knochenschmerzen Trommelschlägelfinger
(Clubbing) Fieber Schwächegefühl
8 – 75 % 0 – 68 % 3 – 60 % 20 – 49 % 6 – 35 % 6 – 25 % 0 – 20 % 0 – 20 % 0 – 10 %
Etwa ein Drittel der Symptome wird durch den Primärtumor
verursacht. In einem weiteren Drittel der Erkrankungsfälle existieren
systemische Symptome wie Anorexie, Gewichtsverlust oder
Schwächegefühl (Asthenie), und in wiederum einem Drittel der
Erkrankungen sind für einen definierten Metastasierungsort spezifische
Symptome vorhanden [199 ]
[200 ].
Mehrwöchige bis mehrmonatige Verzögerungen in der
Diagnosestellung sind häufig. Sie entstehen einerseits durch die relativ
späte Vorstellung des Patienten bei seinem Hausarzt/praktischen Arzt,
andererseits durch die verzögerte Überweisung an den Spezialisten
für Lungentumorerkrankungen bzw. an den Lungenarzt [202 ]. Es wird angestrebt, die Diagnose eines
Lungenkarzinoms innerhalb von 2 Monaten nach Auftreten klinischer Symptome zu
stellen und die Behandlung innerhalb von 6 Wochen nach Diagnosestellung zu
initiieren [200 ].
5.1.2 Symptome des Primärtumors
Zentrale Lungenkarzinome führen häufiger als periphere
Tumoren zu klinischen Symptomen. Husten (auch ein sich ändernder
Hustencharakter des COPD-Patienten mit bekanntem chronischen Husten) ist das
am
häufigsten beobachtete Symptom, gefolgt von Dyspnoe, Brustschmerzen und
Hämoptyse bzw. Expektoration eines blutig tingierten Sputums. Andere
Manifestationen wie Vena-cava-superior-Syndrom, Dysphagie oder Stridor sind
eher selten [200 ].
Gerade die Konstellation von Hämoptyse und
unauffälligem Röntgenbild der Thoraxorgane bei
> 40-jährigen Patienten mit COPD und Raucheranamnese sollte
Anlass sein, die Indikation für eine weitere Diagnostik wie CT-Thorax oder
Bronchoskopie zu prüfen [203 ].
5.1.3 Symptome und klinische Zeichen der intrathorakalen
Tumorausbreitung
Als Folge einer direkten Tumorausbreitung oder des
Lymphknotenbefalls können durch Beteiligung von nervalen Strukturen,
Brustwand, Gefäßstrukturen oder viszeralen Organen wie
Ösophagus verschiedene Symptome auftreten. Dazu gehören z. B.
die Heiserkeit (linksseitige Stimmbandparese bei Infiltration des N.
recurrens), die Läsion des Plexus brachialis (Tumor oberhalb des Sulcus
superior, Pancoast-Tumor), das Horner-Syndrom (Befall des Ganglion stellatum)
und das Vena-cava-superior-Syndrom (obere Einflussstauung).
Brustwandschmerzen oder Thoraxschmerzen sind durch die Invasion
des Tumors in die Pleura bzw. Brustwand bedingt und treten bei ca.
50 % der Patienten im Krankheitsverlauf auf. Auch eine
Rippenmetastasierung kann für Thoraxschmerzen verantwortlich sein.
5.1.4 Symptome der extrathorakalen Tumorausbreitung
Bei ungefähr einem Drittel der Patienten sind Symptome
bedingt durch extrathorakale Metastasen vorhanden. Die Prädilektionsorgane
einer Metastasierung sind die Knochen (insbesondere das Achsenskelett und die
proximalen Teile der langen Röhrenknochen), Leber, Nebennieren und
intraabdominelle Lymphknoten, Hirn und axilläre, supraklavikuläre und
zervikale Lymphknoten.
Häufige Symptome sind Schmerzen (z. B. durch
Knochenbefall), Schwächegefühl, Gewichtsverlust, Ikterus
(Leberbefall), Kopfschmerzen, Übelkeit, fokale neurologische
Manifestationen, Krampfanfälle, Verwirrtheit (ZNS-Befall). Der
supraklavikuläre Lymphknotenbefall ist aufgrund seiner Zugänglichkeit
für eine Feinnadelbiopsie von besonderer Bedeutung für
Diagnosesicherung und Staging.
Wie in einer Metaanalyse gezeigt wurde, liegt bei Patienten mit
klinischen Auffälligkeiten wie Gewichtsverlust, Anämie, Anorexie,
Schwäche (Fatigue) häufig eine systemische Metastasierung vor
[204 ]. Dieser Aspekt unterstreicht die Notwendigkeit
einer gründlichen Anamnese und einer sorgfältigen klinischen
Untersuchung.
5.2 Anamnese, klinische Untersuchung,
Laboruntersuchungen
Als Basisdiagnostik des Lungenkarzinoms
kann das folgende Untersuchungsprogramm angesehen werden:
Anamnese, klinische Untersuchung
Laboruntersuchungen
Röntgen Thorax (p. a. und seitlich)
Spiral-CT Thorax (inkl. Oberbauchregion bis inkl.
Nebennieren)
Bronchoskopie
Sonografie Abdomen
Der initiale Verdacht auf ein Lungenkarzinom wird aufgrund
entsprechender Symptome (s. „Klinische Präsentation”) und
eines auffälligen Befundes in einer Röntgenaufnahme der Thoraxorgane
gestellt. Neben der eigentlichen Krankheitsvorgeschichte sind
Begleiterkrankungen und die Familienanamnese zu berücksichtigen. Zu
erfragen sind außerdem die Rauchgewohnheiten (Bestimmung der sog.
Packungsjahre = packyears; Konsum von 20 Zigaretten pro
Tag für 1 Jahr entspricht 1 packyear; der Konsum von 40 Zigaretten pro Tag
über 10 Jahre ergibt beispielsweise 20 packyears) sowie die berufliche
Schadstoffexposition (z. B. Asbest, Arsenverbindungen, Chrom, Nickel
etc.).
Die physikalische Untersuchung beinhaltet neben einer allgemeinen
internistischen Untersuchung schwerpunktmäßig die Beurteilung der
thorakalen Organe und die verschiedenen Lymphknotenstationen. Auf besondere
klinische Zeichen wie obere Einflussstauung oder Horner-Syndrom ist zu achten
(s. „Klinische Präsentation”).
Der Allgemeinzustand eines Patienten und seine
Leistungsfähigkeit kann anhand des Karnofsky-Index und des
ECOG/WHO-Performance-Status (s. [Tab. 4 ])
quantifiziert werden.
Die Basislaboruntersuchungen umfassen das Blutbild inkl.
Differenzialblutbild, die Elektrolyte, die Leber- und Nierenparameter und die
Gerinnungswerte.
Unverändert gilt, dass aufgrund der eingeschränkten
Spezifität und Sensitivität eine routinemäßige Bestimmung
von Tumormarkern wie CEA, NSE oder CYFRA 21 – 21 in der
Primärdiagnostik wie auch in der Rezidivdiagnostik des Lungenkarzinoms
nicht empfohlen wird [205 ].
Tab. 4 Allgemeinzustand und
Leistungsfähigkeit eines Patienten [206 ].
ECOG/WHO-Performance-Status (PS)
Grad
Karnofsky
Index
normale,
uneingeschränkte körperliche Aktivität
0
normale Aktivität,
keine Beschwerden, kein Hinweis auf Tumorleiden
100 %
mäßig
eingeschränkte körperliche Aktivität u. Arbeitsfähigkeit,
nicht bettlägerig
1
– geringfügig
verminderte Aktivität und Belastbarkeit – normale
Aktivität nur mit Anstrengung, deutlich verringerte Aktivität
90 %
80 %
arbeitsunfähig,
meist selbstständige Lebensführung, wachsendes Ausmaß an Pflege
und Unterstützung notwendig, weniger als 50 %
bettlägerig
2
– unfähig zu
normaler Aktivität, versorgt sich selbstständig –
gelegentliche Hilfe, versorgt sich weitgehend selbst
70 %
60 %
weitgehend unfähig,
sich selbst zu versorgen, kontinuierliche Pflege oder Hospitalisierung
notwendig, rasche Progredienz des Leidens, mehr als 50 %
bettlägerig
3
– ständige
Unterstützung und Pflege, häufige ärztliche Hilfe
erforderlich – überwiegend bettlägerig, spezielle
Hilfe erforderlich
50 %
40 %
100 %
bettlägerig, völlig pflegebedürftig
4
– dauernd
bettlägerig, geschulte Pflegekraft notwendig –
schwerkrank, Hospitalisierung, aktiv supportive Therapie –
moribund
30 %
20 %
10 %
Paraneoplastische Syndrome: Tumoren
können Krankheitserscheinungen hervorrufen, die nicht durch die
physikalischen Effekte des Primärtumors oder seiner Metastasen bedingt
sind. Sie werden durch biologisch aktive Substanzen wie z. B.
Polypeptidhormone oder Zytokine, welche durch den Tumor produziert werden, oder
z. B. durch Antikörper als Reaktion des Organismus auf den Tumor
hervorgerufen. Paraneoplastische Syndrome können sich organbezogen oder
als systemische Phänomene manifestieren (s. [Tab. 5 ]).
Tab. 5 Paraneoplastische
Syndrome des Lungenkarzinoms [207 ].
Endokrine Syndrome
Syndrom der inadäquaten
ADH-Produktion
(SIADH) Cushing-Syndrom Hyperkalziämie Hyperkalzitoninämie Gynäkomastie Hypoglykämie Hyperthyreoidismus
Hämatologische Syndrome
Chronische
Anämie Leukozytose mit Eosinophilie Leukämoide
Reaktion Autoimmunhämolytische
Anämie Erythrozytose Thrombo-zytose,
-penie Mikroangiopathische hämolytische
Anämie Autoimmunhämolytische
Anämie Koagulopathie Thrombophlebitis
Neurologische Symptome
Subakute sensorische
Neuropathie Mononeuritis multiplex Intestinale
Pseudoobstruktion Lambert-Eaton-myasthenisches Syndrom
(LENS) Myasthenia
gravis Enzephalomyelitis Nekrotisierende
Myelopathie Tumorassoziierte
Retinopathie Guillain-Barré-Syndrom Limbische
Enzephalopathie Opsoclonus-Myoclonus Subakute Myelopathie
Dermatologische Symptome
Erythema gyratum
repens Erythema
multiforme Tylosis Erythroderma Sweet-Syndrom Acanthosis
nigricans Nekrolytisches migrierendes Erythem Exfoliative
Dermatitis Pruritus und Urtikaria
Skelettale Syndrome
Hypertrophe Osteoarthropathie
(Marie-Bamberger-Syndrom) Trommelschlägelfinger
Renale
Syndrome
Glomerulonephritis Nephrotisches Syndrom
Metabolische
Syndrome
Laktatazidose Hypourikämie
Kollagenose-vaskulitische
Syndrome
Dermatomyositis Polymyositis Vaskulitis Systemischer
Lupus erythematodes (LE)
Bei ca. 10 % der Patienten mit Lungenkarzinom treten
entsprechende Veränderungen auf. Das Ausmaß der klinischen
Symptomatik korreliert nicht mit der Größe des Primärtumors.
Die Krankheitszeichen können zeitlich vor der Diagnose der malignen
Grunderkrankung auftreten, aber auch erst im Verlauf der Tumorerkrankung
evident werden oder schließlich Zeichen eines Tumorrezidivs sein.
Wichtig ist, dass ein Patient mit Lungenkarzinom und einem
paraneoplastischen Syndrom nicht auf der Basis der klinischen Symptome alleine
von einer potenziell kurativen Behandlung ausgeschlossen wird
[200 ] (Evidenzgrad 5).
Empfehlungen: Initiale Evaluation
• Bei Patienten mit vermutetem oder nachgewiesenem
Lungenkarzinom soll eine sorgfältige klinische Evaluation inkl. Anamnese
und körperlicher Untersuchung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad
A).
• Ein Patient mit Lungenkarzinom und einem
paraneoplastischen Syndrom soll aufgrund der Symptome nicht von einem
potenziell kurativem Therapieansatz ausgeschlossen werden (Empfehlungsgrad
A).
5.3 Bildgebung und Diagnosesicherung
5.3.1 Bildgebende Verfahren
Generell gilt, dass eine rechtfertigende Indikation für den
Einsatz ionisierender Strahlung zur Diagnostik nach § 23 der
Röntgenverordnung (RöV) nur besteht, wenn der gesundheitliche Nutzen
gegenüber dem Strahlenrisiko überwiegt. Strahlenfreie Verfahren mit
vergleichbarem gesundheitlichen Nutzen, wie die Magnetresonanztomografie (MRT),
sind bei der Abwägung zu berücksichtigen. Aus ökonomischen und
ethischen Aspekten sollte die Magnetresonanztomografie (MRT) dann eingesetzt
werden, wenn sich aus dem Befund therapeutische Konsequenzen ergeben
können.
5.3.1.1 Thoraxübersicht
Die Übersichtsaufnahme in zwei Ebenen ist das am
häufigsten eingesetzte initiale radiologische Verfahren im Thoraxbereich.
Sie wird häufig bereits vor oder bei Verdacht auf Lungenkarzinom
durchgeführt. Gemeinhin zeigt sich das Lungenkarzinom direkt oder indirekt
als Rundherd, Raumforderung, Atelektase, Mediastinalverbreiterung oder mit
einem Pleuraerguss. Die Thoraxübersicht wird als initiales radiologisches
Verfahren in der Abklärung eines Lungenkarzinoms empfohlen. Sowohl bei
positivem Befund als auch bei negativem Befund und Diskrepanz zur Klinik sollte
eine weitergehende Diagnostik folgen.
5.3.1.2 Strahlenbelastung durch die Diagnostik
Die typische Strahlendosis einer
Thoraxübersichtsaufnahme in 2 Ebenen beträgt 0,02 mSv
(natürliche Strahlenbelastung in Deutschland 2,1 mSv/a,
Transatlantikflug 0,1 mSv) (Ref:
www.bfs.de ).
Die typische Dosis einer Thorax-CT beträgt beim
Erwachsenen 5 mSv ([208 ] Evidenzgrad 3b). Bei
Kindern (2 mSv pro Thorax-CT) ist mit 1,5 – 10
induzierten Tumorerkrankungen pro 10 000 Thorax-CT Untersuchungen zu
rechnen ([209 ], Evidenzgrad 2a); beim 65-jährigen
Erwachsenen mit 0,5 pro 10 000 Thorax-CT Untersuchungen. Dies ist im
Vergleich zu sehen mit einer kumulativen Tumorinzidenz von etwa 4200 pro
10 000 Personen (= 42 %) ([209 ], Evidenzgrad 2a).
Die MRT kommt ohne ionisierende Strahlung aus.
Patienten mit Verdacht auf Lungenkarzinom haben vom
potenziellen Ergebnis einer CT Thorax einen großen Nutzen, der das
relativ geringe Risiko eines strahleninduzierten Schadens überwiegt.
5.3.1.3 Computertomografie (CT)
Die CT soll grundsätzlich als
kontrastmittelverstärkte Untersuchung von Thorax und Oberbauch
(Nebennieren und Leber) durchgeführt werden, wobei die portalvenöse
Kontrastmittelphase für die Leber gefordert wird. Die empfohlenen
indikations- und geräteadaptierten Untersuchungstechniken werden stets
aktuell in den Standardempfehlungen der AG Thoraxdiagnostik der Deutschen
Röntgengesellschaft angegeben (Diederich, Heussel:
http://www.thieme-connect.de/ejournals/html/roefo/doi/10.1055/s-2005-864762 ;
Biederer et al:
http://apps.drg.de/ag-thorax/daten/radio/do/Konsensus_CT-Protokolle.pdf ).
Die Diagnose eines Lungenkarzinoms kann mittels CT auf
vielfältige Weise erreicht werden. Offensichtliche Zeichen von
Infiltration oder Metastasierung erlauben die Diagnose eines malignen
Prozesses. Darüber hinaus ergeben sich aus morphologischen Kriterien,
Kontrastmittelaufnahme oder Wachstumsnachweis in Verlaufsuntersuchungen klare
Hinweise auf einen malignen Tumor. Da die CT genaue Informationen über die
Lage von Läsionen liefert, soll sie stets vor invasiven Maßnahmen,
insbesondere vor einer Bronchoskopie oder Mediastinoskopie, durchgeführt
werden, um diese gezielt und zeitsparend durchführen zu können.
Mehrere Studien haben die Kontrastmittelaufnahme als einen
wichtigen Parameter zur Charakterisierung der Dignität eines
solitären Rundherdes ausgewiesen ([210 ],
Evidenzgrad 2a).
5.3.1.4 Morphologie
Zahlreiche charakteristische CT-Befunde wurden für
gutartige solitäre Rundherde beschrieben. Diese enthalten verschiedene
Verkalkungsmuster wie z. B. diffus, konzentrisch, laminar, zentral oder
ein „Popcorn”-Muster. Nur wenige Studien haben die Genauigkeit
bei der Erkennung maligner Rundherde untersucht. Zeichen maligner Rundherde
sind: Spikulae, „Gefäßzeichen”, nekrotische Areale,
umschriebene Pleuraverdickung, pleurale Retraktion, Inhomogenität,
Bronchuszeichen. Zusammenfassend kann festgehalten werden, dass die
morphologischen Zeichen eines solitären Rundherdes in der CT in der Regel
nicht ausreichend genau sind, um die Diagnose eines malignen Rundherdes zu
stellen. Insgesamt ist die Sensitivität der CT in der Entdeckung von
Läsionen sehr hoch, während die Spezifität zu gering ist ([211 ], Evidenzgrad 2a).
5.3.1.5 T-Staging aus radiologischer Sicht
Radiologische Kriterien für die Operabilität sind
bestimmte T3- (z. B. Thoraxwandinfiltration) oder T4-Situationen
(z. B. Infiltration von Mediastinalorganen). Zeichen, wie Kontakt zur
Aorta < 90 ° der Zirkumferenz, Kontakt zum Mediastinum
fehlend bzw. < 3 cm, können in der CT sicher erhoben
werden. Sie ergeben in 97 % eine technische Resektabilität
([212 ], Evidenzgrad 2a). Wenn diese Zeichen fehlen, ist
in 50 % mit einer Inoperabilität zu rechnen ([212 ] Evidenzgrad 2a). Dies kann für den Patienten
unter Umständen eine Probethorakotomie bedeuten. Vergleichbar ist die
Situation bei der Tumorbeziehung zur Thoraxwand mit einer Sensitivität
zwischen 38 – 87 % und einer Spezifität
zwischen 40 – 90 % ([212 ] Evidenzgrad 2a). Da die zugrunde liegenden Studien
überwiegend aus den 80er- und 90er-Jahren stammen, ist bei
Übertragung auf die aktuelle radiologische Untersuchungstechnik
tendenziell von besseren Ergebnissen auszugehen. Ein weiterer Faktor, der eine
inoperable T4-Situation bedingt, ist eine Pleura- oder Perikardkarzinose.
Entsprechende Ergüsse werden mittels radiologischer Schnittbildverfahren
sensitiv detektiert. Ein Pleuraerguss ist in diesem Setting meistens maligne.
Eine Verdickung der Pleura wird in der CT zwar sensitiv (100 %)
dargestellt, erreicht jedoch nur eine unzureichende Spezifität
(40 %). Sicherer ist die Detektion einer Knocheninvasion in der
CT, zumindest bei entsprechender digitaler Befundung ([212 ] Evidenzgrad 2a).
5.3.1.6 N- Staging aus radiologischer Sicht
Die Verwendung der Lymphknotengröße als Indikator
einer Lymphknotenmetastasierung ist ein unzuverlässiger Parameter, was
für alle morphologischen bildgebenden Verfahren gilt ([212 ]
[213 ] Evidenzgrad 2a). So
können hiläre und subkarinale Lymphknoten mit einer Größe
von 15 mm normal, d. h. nicht-maligne sein. Begleiterkrankungen
des Lungenkarzinoms wie die Retentionspneumonie oder eine kardiale
Dekompensation können eine benigne Lymphknotenvergrößerung
bedingen. Andererseits können Mikrometastasen in normal großen
Lymphknoten verborgen sein. Bei Anwendung eines Durchmessers von 10 mm
in der kurzen Achse als Schwellenwert werden für den einzelnen Patienten
Sensitivitäten und Spezifitäten von ca. 62 % erreicht
([213 ] Evidenzgrad 2a). Folglich sind auch ein Drittel
der Lymphknoten > 2 cm in der kurzen Achse nicht maligne.
Nichtsdestotrotz sind vergrößerte Lymphknoten in den Befundberichten
zu erwähnen und ihre Lokalisation gemäß UICC (Union
internationale contre le cancer,
www.uicc.org ) zu benennen, um
sie im weiteren Staging konkret abklären zu können. Spätestens
in Zusammenschau mit einer FDG-PET ist die Lymphknotengröße ein
hilfreicher Parameter: In einer Metaanalyse wurde bei LK
< 10 mm und negativer FDG-PET lediglich eine
5 %-Wahrscheinlichkeit, bei > 15 mm großen
LK eine 21 %-Wahrscheinlichkeit einer falsch negativen
N2-Bewertung gefunden ([213 ] Evidenzgrad 2a). Dies
bedeutet, dass bei kleinen LK und normaler PET keine Mediastinoskopie erfolgen
muss, diese jedoch bei großen LK trotz negativer PET durchzuführen
ist.
5.3.1.7 Magnetresonanztomografie (MRT)
Aktuell steht erstmals ein gut strukturiertes und
standardisierbares Protokoll für die MRT des Thorax zur Verfügung
([214 ] Evidenzgrad 4). Für Detektion und Staging
eines Lungenkarzinoms umfasst das Protokoll auch die Gabe eines
intravenösen Kontrastmittels, was auch hier für Untersuchungen im
Rahmen des M-Stagings gilt.
Die Ergebnisse der MRT des Thorax zum Staging eines
Lungenkarzinoms sind in erfahrenen Händen grundsätzlich vergleichbar
zur CT. Beziehungen zu Thoraxwand und Mediastinum lassen sich durch den
höheren Weichgewebskontrast (z. B. Differenzierung Tumor vs.
Atelektase vs. Muskulatur) mit aktuellen Techniken besser abschätzen als
in der CT. Auch liefert eine dynamische MRT während fortgesetzter Atmung
deutlich bessere Erkenntnisse zum Vorliegen einer Infiltration von Thoraxwand
oder Mediastinum als die CT in Atemstillstand. Der Vorteil der MRT in der
EKG-getriggerten Darstellung pulsierender Gefäße gegenüber der
CT ist durch inzwischen flächendeckende Verbreitung von
Subsekunden-CT-Scannern und der Möglichkeit zur EKG-Triggerung in der CT
verschwunden. Auch die Vorteile der MRT in Bezug auf multiplanare Bildgebung
und freie Wahl der Akquisitionsebene sind durch die verbesserte
Abbildungsqualität in der CT mittels isotroper Datensätze
ausgeglichen. Der hohe Weichteilkontrast in Verbindung mit der fehlenden
Artefaktbildung im Bereich von zervikothorakalem Übergang, Neuroforamina
und Spinalkanal machen die MRT jedoch weiterhin zum Verfahren der Wahl bei
OP-Vorbereitung eines Sulcus-superior-Tumors und bei Wirbelsäulenkontakt
([212 ]
[215 ] Evidenzgrad
2a).
5.3.1.8 M-Staging
Die MRT ist das Verfahren der Wahl zur Detektion von
Hirnmetastasen. Sie soll bei symptomatischen Patienten, bei kurativer
Therapieindikation höhergradiger NSCLC und SCLC sowie bei SCLC vor
prophylaktischer Bestrahlung (PCI) eingesetzt werden, da sie der CT
überlegen ist ([216 ] Evidenzgrad 2b).
Die Ergebnisse der MRT im Hinblick auf Metastasen in
Nebennieren und Leber sind tendenziell besser als mit der CT, ohne dass eine
klare Empfehlung zur grundsätzlichen Durchführung einer MRT abgegeben
werden kann.
5.3.2 Diagnosesicherung
Die Sicherung eines vermuteten Lungenkarzinoms hat in aller
Regel mikroskopisch-morphologisch zu erfolgen, d. h. mit bioptischen
Methoden. Die Ausbreitungsdiagnostik bezeichnet man als Staging, hier wirken
bildgebende mit bioptischen Methoden zusammen. Als Klassifikation für
Tumorgröße, Lymphknotenbefall und Fernmetastasen und auch für
eine Stadieneinteilung nach prognostisch vergleichbaren Tumorsituationen wird
die Verwendung der 2007 durch die IASLC vorgeschlagenen und für 2009
vorgesehenen Revision der TNM-Klassifikation und Stadieneinteilung der UICC
(vorherige Revision 1997) empfohlen ([217 ]
[218 ]
[219 ] (s. auch Kapitel
„Staging”).
5.3.2.1 Bronchoskopie
Die Bronchoskopie stellt die wichtigste Methode zur
Diagnosesicherung dar. Insbesondere bei zentralen Tumoren besteht eine
ausgezeichnete diagnostische Sicherheit ([220 ]
Evidenzgrad 2a, [221 ] Evidenzgrad 1b), bei peripheren
Tumoren hängt die Trefferquote von der Rundherdgröße ab ([222 ] Evidenzgrad 1b, [223 ]
Evidenzgrad 2a).
Bei peripheren Raumforderungen sollte eine Kombination
verschiedener Techniken zum Einsatz kommen (Bürste, Nadel, Katheter,
Zange) ([224 ] Evidenzgrad 3a). Hierdurch kann unter
Verwendung eines Durchleuchtungsgeräts die diagnostische Erfolgsquote
gesteigert werden ([222 ] Evidenzgrad 1b,
[225 ] Evidenzgrad 2a, [226 ]
Evidenzgrad 2a, [227 ] Evidenzgrad 2a). Evtl.
können innovative Navigationstechniken die Diagnostik kleiner Rundherde
noch weiter verbessern ([228 ]
[229 ]
[230 ]
[231 ]
[232 ]
[233 ] (alle Evidenzgrad 2b)).
Die eingriffsbezogene Letalität der Bronchoskopie liegt
im Promillebereich. Die Hauptkomplikationen, insbesondere bei peripheren
Läsionen, sind Pneumothorax mit einer Häufigkeit von
1 – 4 % und leichte Hämorrhagien ([234 ] Evidenzgrad 1b, [222 ]
Evidenzgrad 1b, [223 ] Evidenzgrad 2a,
[226 ] Evidenzgrad 2a, [227 ]
Evidenzgrad 2a).
Somit sollte ein Patient bei Verdacht auf Lungenkarzinom mit
einem Durchmesser von mehr als 2 cm einer Bronchoskopie zugeführt
werden ([223 ] Evidenzgrad 2a, [226 ]
[227 ] Evidenzgrad 2a).
Ob auch Patienten mit Raumforderungen von weniger als
2 cm Durchmesser routinemäßig zum Ausschluss eines
zusätzlichen endobronchialen Tumorwachstums oder zur präoperativen
Beurteilung anatomischer Besonderheiten bronchoskopiert werden sollten, ist
unklar (keine ausreichenden Evidenzen).
Vor der Bronchoskopie sollte ein CT des Thorax erfolgen. Im
Falle eines vergrößerten Lymphknotens im CT und/oder eines positiven
FDG-PET-Befundes sollte während der initialen diagnostischen Bronchoskopie
eine transbronchiale Nadelaspiration durchgeführt werden. Hierdurch kann
in bis zu 70 % der Patienten eine zytologische Sicherung erreicht
werden ([235 ], Evidenzgrad 2b). Durch die Hinzunahme
von endoskopischen Ultraschallverfahren (EBUS-NA oder EBUS-TBNA:
endobronchialer Ultraschall mit Nadelaspiration oder transbronchialer
Nadelaspiration, EUS-NA: endoskopischer ösophagealer Ultraschall mit
Nadelaspiration) kann die Trefferquote auf bis zu 90 % angehoben
werden, insbesondere bei nicht subkarinalen Lymphknotenstationen ([236 ] Evidenzgrad 1a). Weitere Referenzen:
[237 ] Evidenzgrad 1b, [238 ]
Evidenzgrad 2a, ([230 ]
[239 ]
[240 ]
[241 ]
[242 ]
[243 ] Evidenzgrad 2b), ([244 ]
[245 ]
[246 ]
[247 ]
[248 ]
[249 ]
[250 ]
[251 ] Evidenzgrad 3a).
5.3.2.2 Zytologische Diagnosestellung und zytologische
Differenzierung
Bei Patienten mit einem Lungenkarzinom hat die Differenzierung
zwischen kleinzelligem und nicht-kleinzelligem Karzinom nach wie vor die
größte Bedeutung, da sich deren Therapie grundsätzlich
unterscheidet.
Die Abgrenzung von kleinzelligem und nicht-kleinzelligem
Lungenkarzinom durch die Sputumzytologie, zytologische Beurteilung
transthorakaler Feinnadelaspirate sowie bronchoskopisch gewonnener Materialien
wie Spülung, Bürstung bzw. BAL ist zuverlässig.
Schreiber und McCrory [252 ]
(Evidenzgrad 1a) bewerteten in einer systematischen Review 21 Studien, in denen
die diagnostische Genauigkeit der Zytologie hinsichtlich der Unterscheidung
von
nicht-kleinzelligen und kleinzelligen Karzinomen anhand unterschiedlicher
Materialien (transthorakale Feinnadelpunktionen in 14 Studien, Sputum in 5
Studien, bronchoskopisch gewonnene Bürstenbiopsien in 2 Studien und
transbronchiale Feinnadelaspirationsbiopsien in 4 Studien) im Vergleich zur
Histologie als „Goldstandard” geprüft wurde. Hierbei zeigte
sich eine mittlere Treffsicherheit von 98 % bei einer
Variabilität von 94 bis 100 %. Die Wahrscheinlichkeit, dass
präoperativ ein nicht-kleinzelliges Karzinom diagnostiziert wurde, aber
ein kleinzelliges Karzinom vorlag, betrug 2 % (Rate
falsch-positiver Befunde zwischen 1 und 7 %). Die
Wahrscheinlichkeit, dass ein kleinzelliges Karzinom zytologisch diagnostiziert
wurde, obwohl es sich um ein nicht-kleinzelliges Lungenkarzinom handelte,
betrug durchschnittlich 9 % mit Schwankungen zwischen den
einzelnen Studien von 0 bis 33 %.
Wegen der höheren Rate falsch-positiver zytologischer
Diagnosen eines kleinzelligen Karzinoms empfahlen Rivera et al.
[253 ] (Evidenzgrad 1b) für Patienten, bei denen
zytologisch die Diagnose eines kleinzelligen Karzinoms gestellt wurde,
radiologische und klinische Befunde aber gegen dessen Vorliegen sprächen,
eine Biopsie zur histologischen Diagnostik anzustreben.
5.3.2.3 Sputumzytologie
Die zytologische Untersuchung von Sputum ist die am wenigsten
invasive Methode zum Nachweis eines Lungenkarzinoms. Ihre diagnostische
Genauigkeit ist abhängig von der Zahl gewonnener Proben, deren
Aufarbeitung sowie Tumorlage und -größe.
Sie ist besonders bei zentralen Tumoren und dem Auftreten von
Hämoptysen geeignet [254 ] (Evidenzgrad 2b).
Die systematische Review von Schreiber und McCrory
[252 ] (Evidenzgrad 1a) umfasste 17 Studien zur
diagnostischen Aussage der zytologischen Sputumuntersuchung mit mehr als
28 000 Patienten. Die Sensitivität der Sputumzytologie schwankte
zwischen 42 und 97 %, die Spezifität zwischen 68 und
100 %. Die gepoolte Sensitivität betrug 66 %,
die Spezifität 99 %, der mittlere positive prädiktive
Wert 0,91, der negative prädiktive Wert 0,94. Die meisten der Studien
belegten eine höhere Sensitivität von 71 % im Median
für zentrale gegenüber 49 % für periphere Tumoren
([255 ] Evidenzgrad 2b, [256 ]
Evidenzgrad 2b).
Die Indikation für die Sputumzytologie war in den Studien
verschieden. Eine der Studien, die bei Patienten mit Verdacht auf ein
Lungenkarzinom durchgeführt worden war, erbrachte eine Sensitivität
von 87 % und eine Spezifität von 90 % ([257 ] Evidenzgrad 2b).
Auch Agusti et al. ([255 ] Evidenzgrad
2b) untersuchten ausschließlich Patienten (n = 60),
bei denen der Verdacht auf ein Lungenkarzinom vorlag. Hierbei ergab sich eine
Sensitivität von nur 43 %, eine Spezifität von
94 %, ein positiver prädiktiver Wert von 0,95 und eine
negativer prädiktiver Wert von 0,44. Ohne Provokation mit
ultraschallvernebelter Kochsalzlösung war die Sensitivität mit
31 % deutlich geringer.
Somit erscheint die Methode, die ausschließlich eine
Artdiagnose zulässt, nur bei Patienten mit einem hohen
Komorbiditätsindex sinnvoll. Zu berücksichtigen ist, dass die
Sensitivität der zytologischen Sputumuntersuchung mit der Zahl der
untersuchten Proben steigt (Evidenzgrad 2b).
5.3.2.4 Perkutane Nadelaspiration
Im Falle des Vorliegens eines Pleuraergusses sowie
pleuraständiger oder peripher gelegener Lungenläsionen kann zur
morphologischen Sicherung auch eine perkutane Nadelaspiration durchgeführt
werden. Pleuraständige Prozesse können mithilfe der
Ultraschalltechnik punktiert werden ([258 ] Evidenzgrad
2b, [259 ] Evidenzgrad 2b), nicht-pleuraständige
Läsionen sollten hingegen unter CT-Kontrolle punktiert werden ([260 ] Evidenzgrad 2b, [261 ]
Evidenzgrad 2b, [262 ] Evidenzgrad 2b,
[263 ] Evidenzgrad 2b, [264 ]
Evidenzgrad 2b).
Die Sensitivität der perkutanen Punktion zur
zytologischen Sicherung eines malignen Pleuraergusses liegt bei ungefähr
50 %. Die Sensitivität der Pleuraergusszytologie variiert
nicht nur in Abhängigkeit vom Tumortyp. Sie steigt mit dem Volumen bzw.
der Anzahl untersuchter Punktate ([265 ] Evidenzgrad
2b). Die mittlere Sensitivität beträgt 58 %, die
Spezifität dagegen 97 % [265 ]. Durch
immunzytochemische Untersuchungen können die Treffsicherheit und die
Genauigkeit hinsichtlich der Zuordnung zu einem Tumortyp erhöht werden
([266 ] Evidenzgrad 2b).
Zur Abklärung von Raumforderungen werden diagnostische
Sensitivitäten um 90 % beschrieben ([260 ] Evidenzgrad 2b, [261 ]
Evidenzgrad 2b, [262 ] Evidenzgrad 2b,
[263 ] Evidenzgrad 2b, [264 ]
Evidenzgrad 2b). Insbesondere bei pulmonalen Läsionen von weniger als
3 cm Durchmesser bestehen höhere Sensitivitäten als bei der
Bronchoskopie ([260 ] Evidenzgrad 2b,
[261 ] Evidenzgrad 2b, [262 ]
Evidenzgrad 2b, [263 ] Evidenzgrad 2b,
[264 ] Evidenzgrad 2b).
Die hauptsächliche Komplikation der perkutanen
Punktionsverfahren ist ein Pneumothorax, mit dem bei der Punktion von
pulmonalen Prozessen in 10 bis 30 % der Fälle gerechnet
werden muss ([267 ] Evidenzgrad 2a).
5.3.2.5 Thorakoskopie (THSK)
Bei Patienten mit unklarem Pleuraerguss und vor
Durchführung einer kurativen Lokaltherapie (Operation, Bestrahlung) sollte
bei unauffälliger Zytologie im Pleurapunktat eine Thorakoskopie entweder
in Allgemeinnarkose oder in Lokalanästhesie zum Beweis bzw. zum Ausschluss
einer pleuralen Tumoraussaat durchgeführt werden ([268 ], Evidenzgrad 2a, [269 ]
Evidenzgrad 2a). Für die Thorakoskopie in Lokalanästhesie als dem
weniger ressourcenaufwändigen Verfahren im Vergleich zur Operation
bestehen hohe Sensitivitäten bis zu 95 % ([268 ] Evidenzgrad 2a, [269 ]
Evidenzgrad 2a). Die Komplikationsrate liegt unter 1 %,
Hauptkomplikation ist die Blutung.
Im Falle eines kleinen peripheren Rundherds sollte hingegen
primär eine videoassistierte Thorakoskopie in Allgemeinnarkose
durchgeführt werden.
5.3.2.6 Mediastinoskopie (MESK)
Bei Patienten mit vergrößerten Lymphknoten bietet
die Methode die Möglichkeit einer invasiven morphologischen Sicherung mit
einer Sensitivität von 80 – 90 % ([270 ] Evidenzgrad 1b, [271 ]
Evidenzgrad 2a, [272 ] Evidenzgrad 2a). Die
Mortalität liegt unter 1 %, die Morbidität beträgt
5 – 10 % ([273 ]
Evidenzgrad 2a, [274 ] Evidenzgrad 2a).
Die Mediastinoskopie erfasst routinemäßig im
Wesentlichen die mediastinalen Lymphknoten in Position 2R, 2L, 4R, 4L und 7
und
sollte gemäß etablierten Standards durchgeführt werden, da
sonst eine deutlich niedrigere Sensitivität vorliegt ([275 ] Evidenzgrad 2a, [271 ]
Evidenzgrad 2a, [276 ] Evidenzgrad 2a).
5.3.2.7 Thoraxsonografie
Mit dem transthorakalen Ultraschall (TTUS) steht ein einfach
und überall einsetzbares Verfahren zur Verfügung. Der TTUS ist der
Röntgenübersicht im Erkennen eines Pleuraergusses überlegen ([277 ]
[278 ]) (Evidenzgrad 2a) und
sollte vor einer Ergusspunktion zum Einsatz kommen ([279 ] Evidenzgrad 2a, [280 ]
Evidenzgrad 2a).
Im Falle einer fraglichen Brustwandinfiltration sollte ein
TTUS durchgeführt werden, alternativ kann durch ein MRT diese Frage
geklärt werden ([281 ] Evidenzgrad 1b).
Bei brustwandständigen Tumoren kann eine TTUS-gesteuerte
Punktion durchgeführt werden, die diagnostische Aussage und die
Komplikationsrate entsprechen der CT-gesteuerten Punktion ([282 ] Evidenzgrad 1b, [283 ]
Evidenzgrad 2b).
5.3.3 Nuklearmedizinische Diagnostik
5.3.3.1 Positronenemissionstomografie (PET) mit
Fluor-18-Fluorodesoxyglukose (FDG)
Die PET ist ein nicht-invasives, nuklearmedizinisches
Schnittbild-Verfahren zur Darstellung und quantitativen Messung physiologischer
Funktionen und biochemischer Prozesse mittels entsprechender Radiopharmaka.
In
der Onkologie nutzt die PET den erhöhten Tumorstoffwechsel und andere
spezifische pathophysiologische Prinzipien zur Ganzkörperdiagnostik. Die
geringe Menge der für die Untersuchung verwendeten Radioisotope bedingt
eine relativ geringe Strahlenexposition, die im Allgemeinen der
Größenordnung einer Röntgen-Untersuchung entspricht. Aufgrund
des stark vermehrten Glukosemetabolismus (gemessen als „Standardized
Uptake Value”, SUV) der meisten soliden Tumore sowie von Lymphomen wird
in der klinischen Praxis fast ausschließlich das Glukoseanalogon
2-F-18-Fluoro-2-Desoxy-D-Glukose (F-18-FDG) eingesetzt. Ein mäßig
bis deutlich gesteigerter Glukosemetabolismus kann jedoch auch bei akut
inflammatorischen Prozessen (z. B. floride Tuberkulose oder Sarkoidose)
nachgewiesen werden. Eine sorgfältige technische Durchführung der
FDG-PET ist unabdingbar [284 ].
PET-Vollringscanner stellen heute den Standard mit
bestmöglicher Bildqualität dar. Eine technische Weiterentwicklung ist
die integrierte PET/CT, womit die Vorteile der PET (hohe Sensitivität) und
der CT (sehr gute morphologische Auflösung und anatomische
Detaildarstellung) verknüpft werden. Vergleiche bei Patienten mit
Lungenkarzinomen zeigten, dass integrierte FDG-PET/CT-Bilder separat
akquirierte FDG-PET-Bilder oder CT-Bilder bei der Beurteilung des
Tumor-Stadiums und des mediastinalen Lymphknotenstatus übertreffen ([285 ]
[286 ]
[287 ] Evidenzgrad 2b), insbesondere wegen der besseren
räumlichen Zuordnung und der Möglichkeit, Atelektase und Tumor zu
unterscheiden. In Deutschland ist die PET-Diagnostik Teil der ambulanten und
stationären Versorgung [288 ]
[289 ].
5.3.3.2. FDG-PET zur Dignitätsbeurteilung von
Lungenherden
Systematische Metaanalysen, teilweise mit quantitativer
Informationssynthese [290 ]
[291 ]
[292 ]
[293 ]
[211 ], belegen die hohe
Sensitivität der FDG-PET von etwa 90 %, bei einer
Spezifität ca. 78 %. Die Malignität von Herden mit
über 10 mm Durchmesser wird mit einer Sensitivität von
96 % erfasst [290 ] (Evidenzgrad 1a) (s.
[Tab. 6 ]).
Tab. 6 Diagnostische
Testparameter aus Metaanalysen zur Beurteilung von Lungenherden unklarer
Dignität mittels FDG-PET.
Autor und Jahr
Sensitivität
Spezifität
Fischer 2001
[290 ]
96 % ± 1 %
78 % ± 3 %
Gould 2001
[291 ]
91 %
(89 – 93 %)
78 %
(Median)
Hellwig 2001
[292 ]
96 %
(94 – 97 %)
80 %
(76 – 85 %)
Wahidi 2007
[211 ]
87 %
83 %
Ung 2007
[293 ]
79 – 100 %
40 – 90 %
Werte in Klammern bezeichnen
95 %-Konfidenzintervalle.
Limitationen der Dignitätsbeurteilung von Lungenherden
mittels FDG-PET bestehen aufgrund der vermehrten Anreicherung von FDG in
entzündlichen Veränderungen, wodurch die Spezifität der Methode
reduziert wird. Hauptsächlich sind falsch-negative Befunde der FDG-PET bei
kleinen Herden mit einem Durchmesser in der Größenordnung der
PET-Auflösung (etwa 6 – 7 mm) zu beobachten.
Gelegentlich kann eine nur gering gesteigerte FDG-Anreicherung in gut
differenzierten Malignomen, wie Bronchiolo-Alveolarzell-Karzinomen oder
Karzinoiden, zu Fehlbefunden führen. Ein weiterer Störfaktor, der zu
einer reduzierten Sensitivität führt, ist eine diabetische
Stoffwechsellage zum Zeitpunkt der FDG-PET-Untersuchung.
Wesentlicher Beitrag der beiden neueren Metaanalysen
[293 ]
[211 ] ist die Bewertung
der FDG-PET bei kleinen Lungenherden. Die Sensitivität für maligne
Lungenherde sinkt bei Durchmessern unter 10 mm deutlich ab
[294 ] (Evidenzgrad 1b). Aus messtechnischen
Gründen ist die Untergrenze abhängig von der räumlichen
Auflösung des PET-Gerätes und je nach eingesetztem Gerät bei
8 – 10 mm zu setzen. Daher ist die FDG-PET bei
kleinen, solitären Lungenherden mit Durchmessern unter
8 – 10 mm nicht indiziert.
Die Metaanalyse von Ung et al. stellt dar, dass die
Genauigkeit der Charakterisierung von Lungenherden mittels FDG-PET vom
Ausmaß der tumoralen FDG-Aufnahme abhängt [293 ] (Evidenzgrad 2a). Es wird daher empfohlen, dass der
nuklearmedizinische Befundbericht zur FDG-PET Angaben zur tumoralen
FDG-Anreicherung enthalten soll, vorzugsweise gemessen als „Standardized
Uptake Value” (SUV) (Evidenztabelle 5.3.3.2).
5.3.3.3 Ausbreitungsdiagnostik des nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms
Die FDG-PET-Untersuchung leistet wesentliche Beiträge zum
Lymphknoten-Staging und bei der Erkennung unerwarteter Fernmetastasen, die der
herkömmlichen Diagnostik entgehen können. Eine prospektive
randomisierte Studie hat gezeigt, dass in der präoperativen Abklärung
von Patienten mit Lungenkarzinom mittels FDG-PET die Rate an nutzlosen
(„futilen”) Operationen um die Hälfte gesenkt werden kann,
hauptsächlich wegen des genaueren mediastinalen Lymphknoten-Stagings und
des Nachweises unerwarteter Fernmetastasen [295 ]
(Evidenzgrad 1a). Eine weitere prospektive, randomisierte Studie konnte zeigen,
dass durch den Einsatz der FDG-PET die Anzahl invasiver Tests, insbesondere
der
Mediastinoskopien, signifikant reduziert wird [296 ]
(Evidenzgrad 1a).
5.3.3.4 Lymphknoten-Staging des nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms
5.3.3.4.1 Diagnostische
Testparameter
Die F-18-FDG-PET bzw. PET/CT hat eine signifikant bessere
diagnostische Genauigkeit bei der Detektion von tumorbefallenen Lymphknoten
und
von Fernmetastasen als eine alleinige CT-Untersuchung. Die vorliegenden
Metaanalysen ([Tab. 7 ]) fanden eine
Sensitivität und Spezifität von
74 – 85 % bzw.
85 – 92 % für die Unterscheidung eines
N0/1- gegenüber einem N2/3-Status [225 ]
[297 ]
[298 ]
[299 ]
[1385 ] (Evidenzgrad 1a).
Tab. 7 Diagnostische
Testparameter aus Metaanalysen über FDG-PET zum mediastinalen Staging des
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms.
Autor und Jahr
Sensitivität
Spezifität
Gould 2003
[1385 ]
85 %
[67 – 91 %]
90 %
[82 – 96 %]
Toloza 2003
[225 ]
84 %
(78 – 89 %)
89 %
(83 – 93 %)
Birim 2005
[297 ]
83 %
(77 – 87 %)
92 %
(89 – 95 %)
Hellwig 2009
[299 ]
83 %
[65 – 89 %]
89 %
[81 – 95 %]
Silvestri 2007
[298 ]
74 %
(69 – 79 %)
85 %
(84 – 88 %)
Werte in runden Klammern bezeichnen
95 %-Konfidenzintervalle, in eckigen Klammern
Interquartilsbereiche (IQRs).
Die Studien zu EUS-NA, EBUS-NA und TBNA wiesen deutlich
höhere Raten an falsch-negativen Befunden auf als die Mediastinoskopie
(19 %, 20 % und 28 % gegenüber
11 %) [300 ]. Daher konzentrieren sich die
nachfolgenden Betrachtungen auf die Mediastinoskopie. Für die
Mediastinoskopie liegt, gemittelt über 19 Studien mit kumulativ 6505
Patienten, die Sensitivität bei 78 % [300 ] (Evidenzgrad 1a). Bei computertomografisch
unauffälligen mediastinalen Lymphknoten beträgt die Sensitivität
der FDG-PET-Untersuchung 70 % (Spezifität
94 %). Die Sensitivität der FDG-PET ist bei
vergrößerten Lymphknoten noch höher (91 %), da
größenbedingte Auflösungseffekte entfallen ([Tab. 8 ]) (Evidenztabelle 5.3.3.4).
Tab. 8 Diagnostische
Testparameter der verschiedenen Untersuchungsverfahren.
Untersuchungsverfahren
Klinische Situation
Sensitivität
Spezifität
CT
alle putativen
Stadien
56 %
81 %
FDG-PET
alle putativen
Stadien
83 %
89 %
FDG-PET
vergrößerte Lymphknoten im CT
91 %
70 %
FDG-PET
unauffällige
Lymphknoten im CT
70 %
94 %
Mediastinoskopie
(MSK)
alle putativen
Stadien
78 %
100 %
MSK
vergrößerte Lymphknoten im CT
82 %
100 %
MSK
unauffällige
Lymphknoten im CT
42 %
100 %
EUS-NA
alle putativen
Stadien
84 %
99,5 %
EUS-NA
vergrößerte Lymphknoten im CT
87 %
98 %
EUS-NA
unauffällige
Lymphknoten im CT
66 %
100 %
EBUS-NA
alle putativen
Stadien
90 %
100 %
TBNA
vergrößerte Lymphknoten im CT
78 %
99 %
Alle Angaben beziehen sich auf die
Unterscheidung N0/1 versus N2/3. Daten zu CT und FDG-PET aus
[299 ], Daten zur Mediastinoskopie aus
[300 ]. EUS-NA: Endoskopische
Ultraschall-Nadelaspiration. EBUS-NA: Endobronchiale
Ultraschall-Nadelaspiration. TBNA: Transbronchiale Nadelaspiration.
5.3.3.4.2 Nachtest-Wahrscheinlichkeiten
für mediastinale Lymphknoten-Metastasen
[Tab. 8 ] zeigt die
Nachtest-Wahrscheinlichkeiten für mediastinale Lymphknoten-Metastasen bei
verschiedenen Befundkonstellationen der CT- und FDG-PET-Untersuchung in
Abhängigkeit von der Prävalenz (Vortest-Wahrscheinlichkeit) eines
Mediastinalbefalls. Die Prävalenz (hier jetzt Nachtest-Wahrscheinlichkeit)
einer mediastinalen Lymphknoten-Metastasierung liegt im Falle von
computertomografisch vergrößerten Lymphknoten bei
54 %. Bei einer Mediastinoskopie von Patienten mit
vergrößerten mediastinalen Lymphknoten (Sensitivität
82 %) besteht ein Restrisiko von 17 %, dass trotz
unauffälliger Mediastinoskopie ein Mediastinalbefall vorliegt. Ein
unauffälliges Mediastinum in der FDG-PET-Untersuchung bei
computertomografisch vergrößerten mediastinalen Lymphknoten
lässt bei 13 % der Patienten einen mediastinalen
Lymphknotenbefall erwarten (Nachtest-Wahrscheinlichkeit 13 %).
Bei dieser Subgruppe von Patienten impliziert eine ergänzend
durchgeführte Mediastinoskopie mit unauffälligem Befund infolge ihrer
Sensitivität von 82 % [300 ] ein
Restrisiko für mediastinale Lymphknoten-Metastasen von 3 %
([Tab. 9 ]).
Tab. 9 Prävalenz
von mediastinalen Lymphknotenmetastasen (Nachtest-Wahrscheinlichkeiten) bei
verschiedenen Befundkonstellationen (ermittelt aus beobachteten
Häufigkeiten in Metaanalysen).
Befundkonstellation
Prävalenz
mediastinaler Lymphknoten-Metastasen
CT positiv
54 %
CT positiv, MSK
negativ
17 %
CT positiv, FDG-PET
positiv
78 %
CT positiv, FDG-PET
negativ
13 %
CT positiv, FDG-PET
negativ, MSK negativ
3 %
CT negativ
17 %
CT negativ, MSK
negativ
11 %
CT negativ, FDG-PET
positiv
70 %
CT negativ, FDG-PET
negativ
6 %
CT negativ, FDG-PET
negativ, MSK negativ
3,8 %
MSK: Mediastinoskopie.
5.3.3.4.3 Klinische Anwendbarkeit der
metaanalytischen Abschätzungen
Die in den Metaanalysen zusammengetragenen Werte variieren
für alle invasiven und nicht-invasiven Verfahren von Institution zu
Institution, teilweise mit erheblicher Streubreite. Gewisse Faktoren
beeinflussen die Treffsicherheit der FDG-PET-Untersuchung. Die Einhaltung
standardisierter Untersuchungsprotokolle minimiert das Risiko für
Fehlbefunde [287 ]
[299 ]
[301 ]
[302 ].
Tab. 10 Situationen
geringerer Sensitivität der Lymphknoten-Evaluation mittels FDG-PET.
geringe FDG-Aufnahme
des Primärtumors (z. B. gemessen als „SUV”)
diabetische
Stoffwechsellage
direkt peritumoral
gelegene Lymphknoten, insbesondere bei zentralen Tumoren
zu kurze
Verteilungszeit des Radiopharmakons vor Start der PET-Akquisition (unter
60
Minuten)
Anwendung zu hoher
SUV-Schwellen für die Beurteilung mediastinaler Lymphknoten
5.3.3.5 Detektion von Fernmetastasen
Da die FDG-PET als Ganzkörperdiagnostik durchgeführt
wird, können neben dem Primärtumor und Lymphknotenmetastasen auch
Fernmetastasen im Rahmen einer einzigen Untersuchung nachgewiesen werden, was
dem Patienten ansonsten notwendige weitere Untersuchungen (z. B.
Knochenszintigrafie, Sonografie, Röntgen) ersparen kann.
In einer systematischen Metaanalyse wurde eine mittlere
Sensitivität von 93 % und Spezifität von
96 % für den Nachweis von Fernmetastasen von
Lungenkarzinomen mittels FDG-PET ermittelt [303 ]
(Evidenzgrad 2a). In der Auswertung ergab sich weiterhin, dass mit einer
Häufigkeit von im Mittel 15 % unerwartete Fernmetastasen bei
der FDG-PET-Untersuchung festgestellt werden. Die aktualisierte Metaanalyse
von
Ung et al. bestätigt diese Daten. Am häufigsten treten derartige
Befunde aufgrund von Skelett- und Nebennieren-Metastasen auf
[293 ].
Die Metaanalyse von Weber et al. zeigt
(n = 1073 Patienten), dass sich bei 20 % der
Patienten eine Veränderung des Tumorstadiums im Vergleich zur CT-basierten
Fernmetastasen-Diagnostik ergibt, wobei in 18 % eine korrekte
Veränderung (95 %-KI
16 % – 21 %) und nur in
2 % (95 %-KI
1 % – 3 %) eine falsche
Einschätzung durch die FDG-PET vorlag [304 ]. Der
Einsatz integrierter PET/CT-Geräte führt zu höherer
Spezifität und zur Detektion von Fernmetastasen in unerwarteten,
selteneren Lokalisationen [286 ] (Evidenzgrad 2b).
Besonders wichtig ist die Zunahme der Rate unerwarteter
Fernmetastasen mit dem putativen Stadium nach der herkömmlichen
Diagnostik. Diese Erkenntnis beruht auf dem Ergebnis einer großen
prospektiven Studie aus Australien (n = 167), in die
Patienten im putativen Stadium I – III eingeschlossen
wurden. Die Rate unerwarteter Fernmetastasen stieg von 7,5 % im
putativen Stadium I über 18 % im Stadium II bis auf
24 % im Stadium III. Dies belegt die klinische Bedeutung der
FDG-PET-Untersuchung bei lokal fortgeschrittenen Stadien [305 ] (Evidenzgrad 1b).
Die FDG-PET-Diagnostik ist der Knochenszintigrafie
überlegen. Die konventionelle Knochenszintigrafie hat nach einer aktuellen
Metaanalyse eine Sensitivität von 82 % (95 %
KI: 57 – 94 %) bei einer Spezifität von
62 % (32 – 85 %) beim Nachweis
von Skelettmetastasen des Lungenkarzinoms [298 ].
Demgegenüber weist die FDG-PET-Untersuchung Werte für
Sensitivität, Spezifität, diagnostische Genauigkeit sowie negativen
und positiven prädiktiven Wert von jeweils über 90 %
auf [298 ] (Evidenzgrad 2a).
Der Nachweis von Hirnmetastasen mittels der
FDG-PET-Untersuchung gelingt nicht mit ausreichender Genauigkeit. Die
Sensitivität liegt lediglich bei etwa 60 %
[306 ], wobei falsch-negative Befunde sogar bei
größeren Hirnmetastasen auftraten [307 ].
Falsch-positive Befunde sind dokumentiert bei zerebrovaskulären
Begleiterkrankungen, die in der Patientenpopulation mit Lungenkarzinom mit
relevanter Prävalenz vorkommen [308 ].
In einer prospektiven, multizentrischen, randomisierten Studie
(Evidenzgrad 1a) wurde gezeigt, dass aufgrund des Einsatzes der FDG-PET die
Rate von unnötigen Thorakotomien (und der damit verbundenen
Operationsmorbidität) signifikant gesenkt werden konnte
[309 ] (Evidenztab. 5.3.3.5).
5.3.3.6 Ausbreitungsdiagnostik des kleinzelligen
Lungenkarzinoms
Klinische Studien zum SCLC belegen den Einfluss der FDG-PET
auf das wesentliche Staging („limited disease” (LD)
gegenüber „extensive disease” (ED)) und das davon
abhängige therapeutische Management. Bei der Unterscheidung LD
gegenüber ED liegen die Sensitivität bei
89 – 100 % und die Spezifität bei
78 – 95 %, wie die systematische Metaanalyse
von Ung et al. zeigte [293 ] (Evidenzgrad 2a). Die
neuesten Studien bestätigen diese Daten [310 ]
[311 ]
[312 ] (Evidenzgrad 1b). Die
prospektive dänische Studie zum kleinzelligen Lungenkarzinom von Fischer
und Mitarbeitern zeigt den Vorteil der FDG-PET-Untersuchung sowie die
höhere diagnostische Genauigkeit und insbesondere Spezifität beim
Einsatz von integrierten PET/CT-Geräten [310 ]. Die
Sensitivität der konventionellen Untersuchungen, der FDG-PET und der
FDG-PET/CT lagen bei 79 %, 93 % respektive
93 %. Die entsprechenden Werte für die Spezifität
betrugen 100 %, 83 % bzw. 100 %. Die
Studie von Kut et al. zeigte, dass bei 25 % der Patienten die
FDG-PET-Untersuchung zusätzliche Knochenmetastasen finden konnte. Das
zunächst geplante Therapiekonzept musste bei
8 – 17 % der Patienten aufgrund der
FDG-PET-Befunde geändert werden [310 ]
[311 ]
[312 ]. Bei Durchführung
einer Ganzkörper-FDG-PET kann auf eine routinemäßige
Knochenszintigrafie und Knochenmarkbiopsie verzichtet werden (höhere
Sensitivität der FDG-PET). In der Diagnostik von Hirnmetastasen ist die
FDG-PET der CT bzw. MRT unterlegen.
Die Genauigkeit der FDG-PET-Untersuchung im
Lymphknoten-Staging des kleinzelligen Lungenkarzinoms ist wahrscheinlich mit
der beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom vergleichbar. Aktuell können
bezüglich des mittels FDG-PET untersuchten Lymphknoten-Status für das
kleinzellige Lungenkarzinom keine spezifischen Empfehlungen gegeben werden.
Durch den additiven Einsatz der FDG-PET-Untersuchung beim
kleinzelligen Lungenkarzinom können zusätzliche Patienten
identifiziert werden, deren Tumorstadium richtig von „limited
disease” auf „extensive disease” hochgestuft wird
[313 ]
[310 ] (Evidenzgrad 1b)
(Evidenztab. 5.3.3.6).
5.3.3.7 Rezidivdiagnostik
Der Nachweis des lokalen Rezidives mittels FDG-PET nach
vorheriger kurativer Resektion gelingt mit einer Sensitivität von
99 % und einer Spezifität von 89 %
[292 ] (Evidenzgrad 2a). Neuere Studien bestätigten
diese Ergebnisse [314 ]
[315 ]
[316 ] (Evidenzgrad 1b). Klinisch bedeutsam ist neben dem
Nachweis des Lokalrezidivs auch das zeitgleiche Erkennen von Fernmetastasen
bei
der Ganzkörperuntersuchung.
5.3.3.8 Lungenperfusionsszintigrafie
Die quantitative Lungenperfusionsszintigrafie liefert den
regionalen Anteil der Perfusion des zu resezierenden oder zu bestrahlenden
Anteils an der Gesamtperfusion. Diese Daten sind Grundlage für die
Kalkulation der erwarteten postoperativen Lungenfunktion (s. Kapitel 5.7).
5.3.3.9 Knochenszintigrafie
In der systematischen Metaanalyse von Silvestri wurden die
diagnostischen Testparameter der Skelettszintigrafie zusammengetragen
[298 ]. Aus den Daten von insgesamt acht Studien an 723
Patienten wurden bei einer Knochenmetastasen-Prävalenz von
durchschnittlich 20 % die kumulative Sensitivität zu
82 % (95 % KI:
57 – 94 %) und Spezifität zu
62 % (95 % KI:
32 – 85 %) ermittelt. Der negative
prädiktive Wert lag bei 90 %, der positive prädiktive
Wert bei 32 % (Evidenzgrad 2a). Daher ist die Skelettszintigrafie
geeignet, mit einem unauffälligen Befund bei vertretbarem Restrisiko
Knochenmetastasen auszuschließen. Demgegenüber bedarf eine positive
Knochenszintigrafie weiterer Abklärung.
Falsch-positive Befunde der Knochenszintigrafie sind ein
bedeutendes praktisches Problem, bedingt durch die Häufigkeit
degenerativer und traumatischer Veränderungen sowie der Schwierigkeit,
eine definitive Klärung mittels Biopsie oder Bildgebung im Verlauf zu
erreichen. Ebenso treten falsch-positive Befunde in der Kernspintomografie auf,
die keine bessere Genauigkeit als die Knochenszintigrafie aufweist
[317 ] (Evidenzgrad 2b).
5.3.3.10 Somatostatin-Rezeptor-Szintigrafie und -PET bei
neuroendokrinen Tumoren
Neuroendokrine Tumoren mit guter Differenzierung, insbesondere
Karzinoide, exprimieren Somatostatin-Rezeptoren. Diese Eigenschaft eignet sich,
um mit radioaktiven Somatostatin-Rezeptor-Liganden den Primärtumor und
dessen Absiedlungen szintigrafisch oder mittels PET darzustellen. Mehrere
Studien haben die Ergebnisse bei neuroendokrin differenzierten Tumoren der
Lunge dokumentiert [318 ]
[319 ]
[320 ]
[321 ]. Große prospektive Studien sind wegen der
geringen Inzidenz von Bronchuskarzinoiden nicht zu erwarten.
Die Primärtumoren stellten sich in
71 – 100 % der Fälle szintigrafisch dar.
In einer Serie von 89 Patienten zeigten Yellin et al., dass die
Somatostatin-Rezeptor-Szintigrafie mit einer Sensitivität von
90 % und Spezifität von 89 %
Tumormanifestationen einschließlich mediastinaler Lymphknotenmetastasen
und extrathorakaler Metastasen darstellen kann [321 ]
(Evidenzgrad 2b). Die Untersuchungsmethode eignet sich zur Rezidivdiagnostik
und zeigte in einer Studie an 31 Patienten mit Rezidivverdacht in
26 % der Fälle bislang unbekannte Tumorherde
[320 ] (Evidenzgrad 3b).
Neuerdings stehen mit Positronenstrahlern markierte
Somatostatin-Rezeptor-Liganden wie Ga-68-DOTATOC auch außerhalb von
Studien für die PET-Diagnostik zur Verfügung, die eine geringere
Strahlenexposition aufweisen und aufgrund der messtechnischen Vorteile der
PET-Technologie eine Verbesserung der Diagnostik erwarten lassen
[322 ]
[323 ] (Evidenzgrad 5)
(Evidenztab. 5.3.3.10).
Empfehlungen: Bildgebung und Diagnosesicherung
Diagnosesicherung
• Die Röntgenuntersuchung der Thoraxorgane
(Strahlengang p. a. und seitlich) soll als initiales radiologisches
Verfahren eingesetzt werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit Verdacht auf ein Lungenkarzinom und
bei absehbarer Therapieoption soll eine CT-Untersuchung der Thoraxorgane
durchgeführt werden, da der potenzielle Nutzen das relativ geringe Risiko
eines strahleninduzierten Schadens überwiegt (Empfehlungsgrad A).
• Die Bronchoskopie (BRSK) stellt die wichtigste
Methode zur Diagnosesicherung dar. Vor der BRSK sollte eine CT-Untersuchung
der
Thoraxorgane erfolgen, da durch Kenntnis der anatomischen Veränderungen
die Erfolgsaussichten der Untersuchung gesteigert werden (Empfehlungsgrad A).
Die Erfolgsaussichten der BRSK sind von der Größe des Tumors und
seiner Lokalisation abhängig.
• Bei einem zentralen Tumor soll die BRSK (inkl.
verschiedener Methoden der Probenentnahme) als primäre Methode der
Diagnosesicherung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei einem peripheren Lungentumor
≥ 2 cm Durchmesser sollten die transthorakale Nadelaspiration
(TTNA = transthoracic needle aspiration) oder die BRSK
(inkl. verschiedener Methoden der Probenentnahme) unter radiologischer
Kontrolle, wie z. B. Röntgendurchleuchtung, durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei einem peripheren Lungentumor
< 2 cm sollten die TTNA oder die BRSK mit modernen
Navigationsverfahren (Ultraschall, elektromagnetische Verfahren) eingesetzt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Die zytologische Diagnose eines nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms (via Bronchoskopie, Nadelpunktionsverfahren oder Sputum) kann
mit hoher Zuverlässigkeit für das therapeutische Management
akzeptiert werden (Empfehlungsgrad A). Falls bei der zytologischen Diagnose
eines kleinzelligen Lungenkarzinoms das klinische Erscheinungsbild oder der
klinische Verlauf eher gegen ein kleinzelliges Lungenkarzinom sprechen, sollte
ein bioptisches Verfahren zur histologischen/immunhistochemischen
Diagnosesicherung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B).
• Nur wenn bei einem zentralen Tumor definierte
Verfahren zur Diagnosesicherung, wie z. B. die BRSK oder TTNA, nicht
durchgeführt werden können, z. B. wegen Komorbidität,
soll die Sputum-Zytologie zur Diagnosesicherung eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad A).
• Bei einem pleuraständigen Tumor sollte die
transthorakale Nadelaspiration (TTNA) Ultraschall- oder CT-gesteuert erfolgen
(Empfehlungsgrad B). Bei einem nicht pleuraständigen Tumor soll im Falle
eines negativen Bronchoskopie-Ergebnisses die CT-gesteuerte TTNA erfolgen
(Empfehlungsgrad A).
• Aufgrund der unzureichenden Datenlage kann keine
Empfehlung abgegeben werden, ob bei einem peripheren Lungentumor
< 2 cm Durchmesser eine BRSK, z. B. zum Ausschluss
eines endobronchialen Tumorwachstums oder vor einer geplanten chirurgischen
Resektion zur Beurteilung des endobronchialen Befundes, durchgeführt
werden soll (Empfehlungsgrad D).
• Bei Verdacht auf ein Lungenkarzinom sollte eine
chirurgische Biopsie nur dann durchgeführt werden, falls weniger invasive
Methoden der Probenentnahme keine definitive Klärung ergeben haben oder
nicht durchgeführt werden konnten (Empfehlungsgrad B).
• Zur Beurteilung eines Pleuraergusses soll eine
transthorakale Ultraschalluntersuchung (TTUS, transthoracic ultra sound) wegen
der im Vergleich zur Röntgen-Thoraxuntersuchung höheren
Sensitivität durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A). Bei Vorliegen
eines Pleuraergusses soll eine Thorakozentese (Pleurapunktion) zur
ätiologischen Abklärung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad
A).
• Im Falle einer höchstens zweimaligen negativen
zytologischen Untersuchung des Pleurapunktats sollte eine Thorakoskopie
durchgeführt werden, sofern die ätiologische Abklärung von
klinischer Bedeutung ist (Empfehlungsgrad B).
Staging-Untersuchungen
Primärtumor (T-Status)
• Bei Patienten mit vermutetem oder nachgewiesenem
Primärtumor, bei denen eine Behandlungsoption besteht, soll eine
kontrastmittelverstärkte CT-Untersuchung von Thorax und Oberbauch (inkl.
Leber und Nebennieren) als wichtigste Untersuchung zur Beurteilung der
Ausdehnung des Primärtumors durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A).
Damit ist auch die Differenzierung zwischen einer T1- und T2-Ausdehnung
möglich.
• Da zur Beurteilung der Infiltration des Mediastinums
bzw. mediastinaler Organe wie auch der Brustwand die CT-Untersuchung ggf.
allein nicht aussagekräftig ist, sollten andere Methoden wie die
Thorax-Sonografie oder die MRT eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B). Eine
chirurgische Exploration wie z. B. mittels VATS kann ebenfalls
eingesetzt werden, sofern keine Kontraindikation für eine Resektion
besteht (Empfehlungsgrad C).
• Bei einer in der CT nachweisbaren extensiven
Infiltration des Mediastinums (= T4-Tumor) sollte auf eine
zusätzliche invasive Bestätigung verzichtet werden (Empfehlungsgrad
B).
• Im Falle eines Tumors der oberen Thoraxapertur
(Sulcus-superior-Tumor) oder der Lungenspitze soll die MRT zur Beurteilung der
Tumorausbreitung, z. B. einer Plexusinfiltration, eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad A).
Lymphknoten (N-Status)
• Im Falle einer mediastinalen
Lymphknotenvergrößerung (> 1 cm im Querdurchmesser)
in der CT und bei fehlendem Hinweis auf eine Metastasierung soll der
mediastinale Lymphknotenstatus vor der Behandlung des Primärtumors
evaluiert werden (Empfehlungsgrad A).
• Im klinischen Stadium IA mit kurativer
Behandlungsindikation kann die FDG-PET-/CT-Untersuchung für das
mediastinale und extrathorakale Staging eingesetzt werden (Empfehlungsgrad
C).
• Im klinischen Stadium IB – IIIB
mit kurativer Behandlungsintention soll die FDG-PET/CT-Untersuchung eingesetzt
werden (Empfehlungsgrad A).
• Im Falle einer im bildgebenden Verfahren (CT, PET
oder PET/CT) nachgewiesenen mediastinalen Lymphknoten-Veränderung bzw.
-Vergrößerung und bei fehlendem Hinweis auf eine Fernmetastasierung
(M0-Status) soll eine definitive Evaluation des Lymphknotenstatus vor der
kurativ intendierten Therapie erfolgen (Empfehlungsgrad A).
• In Abhängigkeit von der Erfahrung des
Untersuchers sind der endobronchiale Ultraschall mit Nadelbiopsie/-aspiration
(EBUS-TBNA), der ösophageale Ultraschall mit Nadelbiopsie/-aspiration
(EUS-FNA), die bronchoskopische Nadelbiopsie/-aspiration (TBNA), die
transthorakale Nadelbiopsie/-aspiration (TTNA) und chirurgische Verfahren wie
z. B. die Mediastinoskopie oder die VATS geeignete
Untersuchungsmethoden. Die transbronchialen/-thorakalen und endosonografischen
Nadelbiopsieverfahren sollten zur Bestätigung, aber nicht zum Ausschluss
einer mediastinalen Lymphknotenmetastasierung eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad B).
• Im Falle einer im bildgebenden Verfahren (CT, PET
oder PET/CT) nachgewiesenen mediastinalen Lymphknoten-Veränderung bzw.
-Vergrößerung und eines negativen pathologischen Befundes des
Nadelaspirationsverfahrens (EBUS, EUS, TBNA, TTNA) soll eine Mediastinoskopie,
eine VATS oder ein geeignetes chirurgisches Verfahren durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad A).
Fernmetastasierung (M-Staging)
• Im Falle eines auffälligen klinischen
Untersuchungsbefundes soll eine Untersuchung auf extrathorakale Metastasen
erfolgen (Empfehlungsgrad A).
• Im klinischen Stadium IB – IIIB
und bei kurativer Behandlungsintention soll auch bei negativem klinischem
Untersuchungsbefund eine Untersuchung auf extrathorakale Metastasen mittels
MRT
Schädel und Ganzkörper-FDG-PET/CT erfolgen (Empfehlungsgrad A). Falls
aus medizinischen Gründen (z. B. diabetischer Stoffwechsellage)
eine FDG-PET-Untersuchung nicht durchgeführt werden kann, ist eine
Untersuchung auf extrathorakale Metastasen entweder mittels Knochenszintigrafie
plus CT Abdomen oder Knochenszintigrafie plus Sonografie Abdomen oder
Ganzkörper-MRT indiziert.
• Zum Ausschluss einer zerebralen Metastasierung soll
eine MRT-Untersuchung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A). Eine
kranielle CT-Untersuchung ist nur dann akzeptabel, falls Kontraindikationen
für eine MRT-Untersuchung (z. B. Herzschrittmacher) oder eine
Klaustrophobie bestehen (Empfehlungsgrad A).
• Im Falle eines metastasenverdächtigen Befundes
in einem bildgebenden Verfahren soll ein Patient nur im Falle der
pathologischen Bestätigung der Metastasierung oder im Ausnahmefall einer
eindeutigen klinischen oder radiologischen Evidenz der Metastasierung von einer
potenziell kurativen Behandlung ausgeschlossen werden (Empfehlungsgrad A).
Kleinzelliges Lungenkarzinom
• Eine FDG-PET-Diagnostik sollte zur Bestimmung des
Tumorstadiums einschließlich der Detektion von Fernmetastasen eingesetzt
werden, falls nicht bereits zuvor ein M1-Stadium („extensive
disease”) gesichert wurde (Empfehlungsgrad B).
Neuroendokrines Lungenkarzinom
• Bei gut differenzierten, neuroendokrinen Tumoren kann
ein Ausschluss Somatostatin-Rezeptor-positiver Tumormanifestationen mittels
Somatostatin-Rezeptor-Diagnostik erfolgen (Empfehlungsgrad C).
Abb. 5 Diagnostischer
Algorithmus für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom. Im
klinischen Stadium IB – IIIB und bei kurativer
Behandlungsintention soll auch bei negativem klinischen Untersuchungsbefund
eine Untersuchung auf Hirnmetastasen mittels MRT Schädel
erfolgen. * IIIA1 – 4 entsprechend
Robinson-Klassifikation.
5.4 Isolierter Lungenrundherd
Definition: Beim isolierten Lungenrundherd
handelt es sich um einen einzelnen, umschriebenen Prozess in der Lunge, der im
Durchmesser 3 cm nicht überschreitet und komplett von Lungengewebe
umgeben ist. Des Weiteren darf keine Atelektase verursacht sein oder ein
verplumpter Hilus oder ein Pleuraerguss vorliegen [324 ]. In älteren Studien war bei 1 von 500
Röntgenübersichtsaufnahmen ein solitärer Lungenrundherd gesehen
worden, auch in einem neueren Studienansatz wurden bei 1000 gesunden Probanden
in 7 % Rundherde gesehen, wobei die Mehrzahl der Rundherde
(76 %) einen Durchmesser unter 1 cm aufwiesen ([325 ] Evidenzgrad 1b).
Risikofaktoren für maligne Rundherde sind Alter,
Raucherstatus, Anamnese eines extrapulmonalen Tumors, Rundherdgröße,
Aussehen und Lokalisation. Anhand dieser unabhängigen Risikofaktoren kann
eine Vortest-Wahrscheinlichkeit für die Malignität in
Abhängigkeit dieser Parameter errechnet werden ([324 ] Evidenzgrad 2b, [326 ]
Evidenzgrad 2b, [327 ] Evidenzgrad 1a).
Anamnestisch wichtigste Parameter sind ältere
Röntgenbilder. Basierend auf einer Tumorverdoppelungszeit zwischen 20 bis
maximal 500 Tagen kann anhand vorliegender Voraufnahmen folgende Empfehlung
gegeben werden [328 ] (Evidenzgrad 2a),
[329 ] (Evidenzgrad 2), [330 ]
(Evidenzgrad 2): Weist der Patient einen an Größe zunehmenden
Rundherd auf, sollte eine Gewebeuntersuchung erfolgen (Empfehlungsgrad A).
In Abhängigkeit der Rundherdgröße werden
unterschiedliche Vorgehensweisen beschrieben. Bei Rundherden unter 8 mm
werden in der Regel radiologische Kontrollen empfohlen [329 ]
[162 ] (Evidenzgrad 2a). Im
Falle von Herden > 8 mm sollte die klinische
Malignomwahrscheinlichkeit abgeschätzt werden ([331 ] Evidenzgrad 2a, [332 ]
Evidenzgrad 1b). Besteht ein Malignomverdacht, sollte eine chirurgische
Abklärung angestrebt werden ([333 ] Evidenzgrad
2b). Bei funktioneller Operabilität sollte auf transthorakale Punktionen
verzichtet werden ([333 ] Evidenzgrad 2b). Besteht
eingeschränkte funktionelle Operabilität oder lehnt der Patient eine
diagnostische Operation ab, sollte als nächster diagnostischer Schritt
eine PET-Untersuchung empfohlen werden ([327 ]
Evidenzgrad 2a, [170 ] Evidenzgrad 1b).
Bei Patienten mit Rundherden zwischen 8 und 10 mm, die
Kandidaten für eine kurative Therapie wären, sollte eine CT-Kontrolle
durchgeführt werden, wenn bei den Patienten eine geringe
Malignomwahrscheinlichkeit besteht [162 ]
[163 ]
[166 ] (Evidenzgrad 2a).
Trifft man die Entscheidung zur Verlaufskontrolle, sollte diese im
Abstand von 3, 6, 12 und 24 Monaten stattfinden [163 ]
[170 ].
Kommt es im Beobachtungsintervall zum Größenwachstum,
sollte eine histologische Abklärung herbeigeführt werden ([333 ] Evidenzgrad 1b, [162 ]
[166 ], Evidenzgrad 2a, [163 ]
Evidenzgrad 2a).
Empfehlungen: Isolierter Lungenrundherd
• Bei jedem Patienten mit einem neu aufgetretenen,
isolierten Lungenrundherd (≤ 3 cm Durchmesser) soll in
Abhängigkeit vom Alter, vom Durchmesser, von der Morphologie (z. B.
Spiculae), von der Lokalisation, vom Raucherstatus und von einer
extrathorakalen Malignomerkrankung die Wahrscheinlichkeit für
Malignität abgeschätzt werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei jedem Patienten mit einem neu aufgetretenen,
isolierten Lungenrundherd soll ein Vergleich mit früher
durchgeführten Röntgen- und CT-Untersuchungen durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad A).
• Im Falle einer Größenkonstanz des
Lungenrundherdes in der CT über einen Zeitraum von mindestens 2 Jahren
sollte keine weiterführende Abklärung durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad B).
• Bei einem malignomverdächtigen, isolierten Lungenrundherd
> 8 – 10 mm Durchmesser soll in der Regel
eine chirurgische Abklärung durchgeführt werden (Empfehlungsgrad
A).
• Bei einem malignomverdächtigen, isolierten Lungenrundherd
> 8 – 10 mm Durchmesser und der
prinzipiellen Möglichkeit der chirurgischen Resektion sollten eine
transthorakale Nadelaspiration (TTNA, transthoracic needle aspiration) oder
eine Bronchoskopie zur pathologischen Diagnosesicherung in der Regel nicht
durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei einem malignomverdächtigen isolierten Lungenrundherd von
> 8 – 10 mm soll eine
FDG-PET/CT-Untersuchung bei Patienten mit erhöhtem Operationsrisiko
durchgeführt werden, wenn eine Diagnosestellung mittels einer invasiven
Diagnostik nicht möglich ist (Empfehlungsgrad A).
• Bei einem isolierten Lungenrundherd
> 8 – 10 mm Durchmesser und einer geringen
Wahrscheinlichkeit für Malignität oder bei
einem isolierten Lungenrundherd
< 8 – 10 mm Durchmesser sollen
radiologische Verlaufskontrollen durchgeführt werden (Empfehlungsgrad A).
CT- oder Low-dose-CT-Untersuchungen sollten nach 3, 6, 12 und 24 Monaten
durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B).
• Im Falle einer radiologisch dokumentierten
Größenprogredienz eines isolierten Lungenrundherdes soll eine
definitive pathologische Klärung angestrebt werden (Empfehlungsgrad
A).
Abb. 6 Algorithmus zur
Diagnostik des isolierten Lungenrundherdes.
5.5 Stadieneinteilung (Staging)
Die Stadieneinteilung des Lungenkarzinoms erfolgte bis 2009 nach
dem TNM-System und der UICC-Stadieneinteilung in der 6. Auflage
[334 ] in der unverändert übernommenen 5.
Fassung von 1997 ([Tab. 11 13 ]). Ab 2010
gilt die 7. Auflage der TNM-Klassifikation und Stadieneinteilung der UICC
[335 ]
[336 ] ([Tab. 15 ]
[Tab. 16 ]).
Eine Stadieneinteilung soll zur prognostischen Abschätzung,
zur Therapieplanung und aus Gründen der Qualitätssicherung bei allen
Patienten erfolgen. Lediglich bei den Patienten, bei denen wegen eines
z. B. schlechten Allgemeinzustandes keine tumorspezifische Therapie
durchgeführt werden kann und die somit nur supportiv-palliativ behandelt
werden können, kann wegen fehlender therapeutischer Konsequenzen auf
systematische Staginguntersuchungen verzichtet werden. Hier erfolgt die
Diagnostik ausschließlich symptomorientiert zur Durchführung
palliativer Maßnahmen.
Tab. 11 Klinische
TNM-Klassifikation (UICC 5. und 6. Auflage).
T Primärtumor
Tx
Primärtumor kann
nicht beurteilt werden oder Nachweis von malignen Zellen im Sputum oder bei
Bronchialspülungen, jedoch Tumor weder radiologisch noch bronchoskopisch
sichtbar
T0
kein Anhalt für
Primärtumor
Tis
Carcinoma in situ
T1
Tumor 3 cm oder
weniger in größter Ausdehnung, umgeben von Lungengewebe oder
viszeraler Pleura, kein bronchoskopischer Nachweis einer Infiltration proximal
eines Lappenbronchus (Hauptbronchus frei)*
T2
Tumor mit einem der
folgenden Kennzeichen hinsichtlich Größe oder
Ausdehnung: Tumor mehr als 3 cm in größter
Ausdehnung Tumor mit Befall des Hauptbronchus, 2 cm oder
weiter distal der Carina Tumor infiltriert viszerale
Pleura assoziierte Atelektase oder obstruktive Entzündung bis
zum Hilus, aber nicht der ganzen Lunge
T3
Tumor jeder
Größe mit direkter Infiltration einer der folgenden Strukturen:
Brustwand (einschließlich Tumoren des Sulcus superior), Zwerchfell,
mediastinale Pleura, parietales Perikard oder Tumor im Hauptbronchus weniger
als 2 cm distal der Carina, aber Carina selbst nicht befallen, oder
Tumor mit Atelektase oder obstruktiver Entzündung der ganzen Lunge
T4
Tumor jeder
Größe mit Infiltration einer der folgenden
Strukturen: Mediastinum, Herz, große Gefäße,
Trachea, Ösophagus, Wirbelkörper oder getrennte Herde im
gleichen Lungenlappen oder Tumor mit malignem Pleuraerguss#
N Regionäre Lymphknoten
Nx
regionäre
Lymphknoten können nicht beurteilt werden
N0
keine regionären
Lymphknotenmetastasen
N1
Metastasen in
ipsilateralen peribronchialen Lymphknoten und/oder in ipsilateralen
Hilus-Lymphknoten (einschließlich einer direkten Ausbreitung des
Primärtumors)
N2
Metastasen in
ipsilateralen, mediastinalen und/oder subkarinalen Lymphknoten
N3
Metastasen in
kontralateralen mediastinalen, kontralateralen Hilus-, ipsi- oder
kontralateralen Skalenus- oder supraklavikulären Lymphknoten
M Metastasen
Mx
Das Vorliegen von
Fernmetastasen kann nicht beurteilt werden.
M0
keine Fernmetastasen
M1
Fernmetastasen
* Seltener, sich oberflächlich
ausbreitender Tumor jeder Größe mit einer nur auf die Bronchialwand
begrenzten Infiltration wird auch dann, wenn er sich weiter proximal ausdehnt,
als T1 klassifiziert. # Die meisten Pleuraergüsse bei einem
Lungenkarzinom sind durch den Tumor verursacht. Soweit die maligne Genese
durch
mehrfache zytologische Untersuchungen oder (zuverlässiger) thorakoskopisch
ausgeschlossen wurde, kann der Tumor als T1, T2 oder T3 eingestuft werden.
Tab. 12 Spezifizierung der
Kategorie M1 (UICC 5. und 6. Auflage).
Lunge
PUL
Knochenmark
MAR
Knochen
OSS
Pleura
PLE
Leber
HEP
Peritoneum
PER
Hirn
BRA
Nebenniere
ADR
Lymphknoten
LYM
Haut
SKI
andere Organe
OTH
Tab. 13 Stadieneinteilung
des Lungenkarzinoms unter Berücksichtigung von T, N, M (UICC 5. und 6.
Auflage).
okkultes Karzinom
Tx
N0
M0
Stadium 0
Tis
N0
M0
Stadium IA Stadium IB
T1 T2
N0 N0
M0 M0
Stadium IIA Stadium IIB
T1 T2 T3
N1 N1 N0
M0 M0 M0
Stadium IIIA
Stadium
IIIB
T3 T1 T2 T3 jedes
T T4
N1 N2 N2 N2 N3 jedes
N
M0 M0 M0 M0 M0 M0
Stadium IV
jedes T
jedes N
M1
Nach Robinson et al. (2003, 2007) [337 ]
[338 ] ist eine weitere Unterteilung des Stadiums IIIA(N2)
in Untergruppen entsprechend [Tab. 14 ] für
das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom therapeutisch relevant.
Tab. 14 Klassifikation von
Untergruppen des Stadiums IIIA(N2) (nach Robinson et al. [337 ]
[338 ]).
Untergruppe
Beschreibung
III A1
inzidenteller Nachweis
von mediastinalen Lymphknotenmetastasen in einer Lymphknotenstation bei der
postoperativen histologischen Untersuchung des Resektats
III A2
intraoperativer Nachweis
von Lymphknotenmetastasen in einer Lymphknotenstation
III A3
präoperativer
Nachweis von Lymphknotenmetastasen in einer oder mehreren Lymphknotenstationen
durch Staging mittels Mediastinoskopie, Feinnadelbiospie oder PET
III A4
„bulky”
(ausgedehnte) oder fixierte N2-Metastasen oder Metastasen in mehreren
Lymphknotenstationen (mediastinale Lymphknoten
> 2 – 3 cm mit extrakapsulärer
Infiltration; Befall mehrerer N2-Lymphknotenpositionen; Gruppen multipler
befallener kleinerer (1 – 2 cm) Lymphknoten
Die 7. Auflage der TNM-Klassifikation maligner Tumoren ist im
Jahre 2009 publiziert worden [335 ]. Sie basiert auf der
von der International Association for the Study of Lung Cancer (IASLC)
vorgenommenen Auswertung von mehr als 67 000 Patienten mit
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen, die zu Modifikationen der
TNM-Deskriptoren geführt hat [217 ]
[218 ]
[219 ]. Diese Modifikationen
sind von UICC und American Joint Committee on Cancer (AJCC) anerkannt worden
und gelten ab dem 1. 1. 2010.
Mit der 7. Auflage der TNM-Klassifikation ergeben sich folgende
Änderungen der T- und M-Deskriptoren:
T1a Tumor ≤ 2 cm in größter
Ausdehnung
T1b Tumor > 2 cm, aber ≤ 3 cm in
größter Ausdehnung
T2 Tumor > 3 cm, aber ≤ 7 cm
oder Tumor (falls ≤ 5 cm = T2a) mit
Invasion des Hauptbronchus, >2 cm distal der Hauptcarina, Invasion
der viszeralen Pleura, oder Atelektase/obstruktive Pneumonitis von weniger als
einer ganzen Lunge
T2a Tumor > 3 cm, aber ≤ 5 cm in
größter Ausdehnung
T2b Tumor > 5 cm, aber ≤ 7 cm in
größter Ausdehnung
T3 Tumor > 7 cm oder direkte Invasion von
Brustwand (incl. Sulcus superior-Tumor), Diaphragma, N. phrenicus,
mediastinaler Pleura, parietalem Perikard, oder Tumor im Hauptbronchus
< 2 cm von der Hauptcarina entfernt (ohne Befall der
Hauptcarina) oder Atelektase/obstruktive Pneumonitis einer ganzen Lunge oder
separate/r Tumorknoten im gleichen Lungenlappen
T4 Tumor jeder Größe mit Invasion von Mediastinum,
Herz, großen Gefäßen, Trachea, N. laryngeus linksseitig,
Ösophagus, Wirbelkörper, Hauptcarina oder separate/r Tumorknoten in
einem ipsilateralen separaten Lungenlappen
M Fernmetastasen
M1a separate/r Tumorknoten in einem kontralateralen Lungenlappen;
Tumor mit Pleuraknoten oder maligner Pleura- oder Perikarderguss
M1b Fernmetastasen
Tab. 15 Vergleich der
TNM-Klassifikation 5. und 6. Auflage mit der von der IASLC vorgeschlagenen
Klassifikation (UICC 7. Auflage).
UICC TNM
5.+ 6. Auflage
IASLC, UICC
TNM 7. Auflage
T1
Tumor bis
3 cm, umgeben von Lungengewebe oder viszeraler Pleura, Hauptbronchus
bronchoskopisch frei
T1
Tumor bis 3 cm,
umgeben von Lungengewebe oder viszeraler Pleura, Hauptbronchus
bronchoskopisch frei
T1a
Läsion bis
2 cm
T1b
Läsion
größer 2 cm bis 3 cm.
T2
Tumor
> 3 cm oder Befall von Hauptbronchus
≥ 2 cm entfernt von Carina oder viszerale Pleura
infiltriert oder Atelektase oder obstruktive Entzündung bis zum
Hilus, aber nicht der ganzen Lunge
T2
Tumor
> 3 cm ≤ 7 cm mit Befall
von – Hauptbronchus ≥ 2 cm entfernt von Carina
oder – viszerale Pleura infiltriert oder –
Atelektase oder obstruktuktive Entzündung bis zum Hilus, aber nicht der
ganzen Lunge
T2a
Läsion bis
5 cm
T2b
Läsion bis
7 cm
T3
Tumor jeder
Größe mit Infiltration von – Brustwand
oder – Zwerchfell oder – mediastinaler Pleura
oder – parietalem Perikard Hauptbronchus
≤ 2 cm entfernt von Carina, Carina selbst
frei Atelektase oder obstruktive Entzündung der ganzen Lunge
T3
T2-Tumor
größer als 7 cm Tumor jeder Größe mit
Infiltration von – Brustwand oder – Zwerchfell
oder – mediastinaler Pleura oder – parietalem
Perikard Hauptbronchus ≤ 2 cm entfernt von Carina,
Carina selbst frei Atelektase oder obstruktive Entzündung der
ganzen Lunge getrennte Herde im gleichen Lungenlappen (ehem. T4)
T4
Tumor jeder
Größe mit Infiltration von – Mediastinum
oder – Herz oder – großen
Gefäßen – Trachea oder –
Ösophagus oder – Wirbelkörper oder –
Carina getrennte Herde im gleichen Lungenlappen (neu →
T3) Tumor mit malignem Pleuraerguss (neu → M1a)
T4
Tumor jeder
Größe mit Infiltration von – Mediastinum
oder – Herz oder – großen
Gefäßen – Trachea oder –
Ösophagus oder – Wirbelkörper oder –
Carina Tumorherde in anderen Lungenlappen ipsilateral (ehem. M1)
M1
Tumorherde
in einem anderen Lungenlappen ipsilateral (neu → T4) Tumorherde
in einem anderen Lungenlappen kontralateral Fernmetastasen
M1a
Tumor mit malignem
Pleura- oder Perikarderguss Tumorherde in der kontralateralen Lunge
M1b
Fernmetastasen
[Tab. 16 ] zeigt die neue
Stadieneinteilung nach UICC (7. Auflage).
Tab. 16 Neue
Stadieneinteilung nach Vorschlag der IASLC (UICC 7. Auflage).
okkultes Karzinom
Tx
N0
M0
Stadium 0
Tis
N0
M0
Stadium IA
T1a T1b
N0 N0
M0 M0
Stadium IB
T2a
N0
M0
Stadium IIA
T1a T1b T2a T2b
N1 N1 N1 N0
M0 M0 M0 M0
Stadium IIB
T2b T3 T3 gleicher Lappen
N1 N0 N0
M0 M0 M0
Stadium IIIA
T1 T2 T3 T3 T3 gleicher
Lappen* T3 gleicher Lappen* T4
Ausdehnung T4 Ausdehnung T4 Herd
ipsilateral# T4 Herd ipsilateral#
N2 N2 N1 N2 N1 N2 N0 N1 N0 N1
M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0 M0
Stadium IIIB
T4
Ausdehnung T4 Herd ipsilateral# jedes T
N2 N2 N3
M0 M0 M0
Stadium IV
jedes
T
jedes T
jedes
N
jedes N
M1a (Mal. Pleura- oder
Perikarderguss oder kontralat. Metastase) M1b (Fernmetastase)
*Herd/e im gleichen Lappen, #Tumorherd/e
im anderen Lungenlappen ipsilateral.
5.6 Pathologie
5.6.1 Pathologisch-anatomische Diagnostik
Pathologisch-anatomische Befunde bilden bei Lungentumoren die
entscheidenden Grundlagen für Primärdiagnosen, gruppenweise Zuordnung
nach den führenden histomorphologischen Befunden und Festlegung des
postoperativen pTNM-Stadiums an Operationspräparaten. Die Basis für
die histopathologische Diagnostik bildet die WHO-Klassifikation 1999,
ergänzt von der IARC Lyon 2004 [339 ]. Die
Kriterien für die Aufarbeitung pathologisch-anatomischer Präparate
sind in den Empfehlungen zur pathologisch-anatomischen Diagnostik von
Lungentumoren des Berufsverbandes Deutscher Pathologen und der Deutschen
Gesellschaft für Pathologie im April 2005 dargestellt.
Die pathologisch-anatomische Beurteilung wird durchgeführt
zur
Klassifikation des Lungentumors (Typing),
Bestimmung der Tumorausdehnung am Resektat
(pathologisch-anatomisches Staging),
Beurteilung der Resektionsränder,
Bestimmung des Differenzierungsgrades (Grading),
Bestimmung des Regressionsgrading,
Bestimmung von Prognose-assoziierten Markern,
Bestimmung von Therapiemarkern.
5.6.2 Histopathologische Tumor-Typisierung
Die Typisierung wird nach den Kriterien der WHO/IARC
[339 ] vorgenommen. Es werden folgende
histopathologischen Tumortypen voneinander unterschieden:
Plattenepithelkarzinom
Adenokarzinom
Adenokarzinom mit gemischten Subtypen
azinär
papillär
bronchioloalveolär –
nicht-muzinös – muzinös – gemischt
muzinös und nicht-muzinös oder unbestimmt
solides Adenokarzinom mit Schleimbildung –
Varianten: fetales Adenokarzinom, muzinöses Karzinom, muzinöses
Zystadenokarzinom, Siegelringzellkarzinom, klarzelliges Karzinom
Großzelliges Karzinom
Varianten: großzelliges neuroendokrines Karzinom,
kombiniertes großzelliges neuroendokrines Karzinom, basaloides Karzinom,
lymphoepitheliom-ähnliches Karzinom, klarzelliges Karzinom,
großzelliges Karzinom mit rhabdoidem Phänotyp
Kleinzelliges Karzinom
Adenosquamöses Karzinom
Sarkomatoides Karzinom
Varianten: pleomorph, spindelzellig, riesenzellig,
Karzinosarkom, pulmonales Blastom
Karzinoidtumor
Speicheldrüsentumoren
Aus Sicht der Pathologie ist es nicht zufriedenstellend, dass
trotz der histomorphologisch bestimmbaren, erheblichen Unterschiede in den
phänotypischen Wachstumsmustern weiterhin nach klinischen Gesichtspunkten
„nur” zwischen kleinzelligen (SCLC, small cell lung cancer) und
nicht-kleinzelligen (NSCLC, non-small cell lung cancer) Tumoren unterschieden
wird. Eine Revision der Subtypisierung des Adenokarzinoms befindet sich unter
Mitarbeit der IASLC und ERS in Vorbereitung. Die Publikation wird 2010
erwartet.
5.6.3 Immunphänotyp
Nicht selten ergibt sich die Notwendigkeit, primäre
Lungenkarzinome von Metastasen zu unterscheiden oder neuroendokrine Tumoren
mittels immunhistochemischer Zusatzuntersuchungen abzugrenzen. Dies gelingt
in
der Regel mit folgenden Markern [339 ]
[340 ]:
Typisierung neuroendokriner Tumoren: Chromogranin+, Synaptophysin+
Typisierung kleinzelliger Karzinome: Keratin+, EMA+, TTF-1+, Ki67 > 50 %,
ggf. Chromogranin+, NCAM+
Typisierung der Plattenepithelkarzinome: Verhornung+ und/oder Interzellularbrücken+, falls beides nicht
sicher nachweisbar ist: CK5/6+ und/oder p63+ und/oder hochmolekulare
Zytokeratine+, TTF-1-
Adenokarzinom der Lunge vs. malignes
Mesotheliom
Adenokarzinom der Lunge positiv für: TTF-1, CEA, B72.3,
Ber-EP4, MOC-31
Malignes Mesotheliom positiv für: Calretinin, WT-1, CK5/6,
D2-40, BMA 120
Adenokarzinom der Lunge vs.
Adenokarzinom-Metastase:
Adenokarzinom der Lunge: TTF-1+, CK7+, CK20-, CDX2-,
Thyreoglobulin- Adenokarzinom-Metastase: z. B. TTF-1-, CK7-,
CK20+, Thyreoglobulin+, CDX2+
5.6.4 Tumorausdehnung am Resektat (pathologisch-anatomisches
Staging)
Das pathologisch-anatomische Staging sowie die
Stadiengruppierung werden nach den Definitionen des TNM-Sytems, 6. Aufl, 2002,
[339 ], bzw. ab 2010 7. Aufl. (s. Kap. 5.5),
vorgenommen.
In der pN-Kategorie soll jeweils die Zahl der untersuchten
Lymphknoten und die Zahl der Lymphknotenmetastasen angegeben werden.
Eine Lymphgefäß- und Veneninvasion kann durch die L-
und V-Zusatzklassifikation angegeben werden, deren therapeutische Bedeutung
allerdings für das Lungenkarzinom bisher nicht geklärt ist:
Lymphgefäßinvasion:
L0 = keine
Lymphgefäßinvasion
L1 = Lymphgefäßinvasion
LX = nicht beurteilbar
Veneninvasion:
V0 = keine Veneninvasion
V1 = mikroskopische Veneninvasion
V2 = makroskopische Veneninvasion
VX = nicht beurteilbar
5.6.5 Resektionsränder
Gemäß den „Empfehlungen zur
pathologisch-anatomischen Diagnostik von Lungentumoren” sind die
Abstände und Entfernungen des invasiven Tumors von den
Resektionsrändern, insbesondere des Bronchialsystems und ggf. auch zu
anderen chirurgischen Resektionslinien (z. B. Brustwand, Weichgewebe,
hiläre Abtragungsränder, hiläre Gefäße) anzugeben.
Mikroskopisch werden die Bronchus- und Gefäßabsetzungsränder,
ggf. auch weitere Resektionslinien untersucht.
5.6.6 Differenzierungsgrad (Grading)
Der histologische Differenzierungsgrad wird für
Plattenepithelkarzinome, Adenokarzinome und adenosquamöse Karzinome in
einem dreistufigen System, wie in der WHO-Klassifikation definiert, angegeben
[339 ].
Entsprechend den „Empfehlungen zur
pathologisch-anatomischen Diagnostik von Lungentumoren” werden
kleinzellige Karzinome und großzellige Karzinome als G4, undifferenziert,
eingestuft.
Für die übrigen Tumoren/Varianten wird folgender
Differenzierungsgrad angegeben:
G1: gut differenziertes fetales Adenokarzinom, typisches
Karzinoid, adenoid-zystisches Karzinom
G2: atypisches Karzinoid
G3: kleinzelliges Plattenepithelkarzinom, solides
Adenokarzinom mit Schleim, Siegelringzellkarzinom, riesenzelliges Karzinom,
spindelzelliges Karzinom, Karzinosarkom, pulmonales Blastom
5.6.7 Regressionsgrading
Nach vorausgegangener Radio- und/oder Chemotherapie wird das
Ausmaß der Tumorregression anhand der mikroskopischen Untersuchung des
Tumors ermittelt. Hierbei werden die Ausdehnung des vitalen Tumorgewebes, der
Tumornekrosen sowie reaktive Veränderungen wie Fibrose, Vernarbung,
Schaumzellreaktion etc. in Relation gesetzt [341 ].
Folgende Regressionsgrade werden unterschieden:
Grad I: keine oder nur spontane Tumorregression im
Primärtumor und mediastinalen Lymphknoten
Grad II a: mindestens 10 % vitaler
Resttumor im Bereich des Primärtumors und/oder mehr als kleinherdiger
Befall mediastinaler Lymphknoten
Grad II b: weniger als 10 % vitaler
Resttumor im Bereich des Primärtumors und/oder kleinherdiger Befall
mediastinaler Lymphknoten
Grad III: vollständige, therapieinduzierte Tumorregression
ohne Nachweis vitalen Tumorgewebes im Bereich des Primärtumors und
mediastinaler Lymphknoten
5.6.8 Prognose-assoziierte Marker und Therapie-Marker
Bislang wurden zahlreiche Untersuchungen einzelner molekularer
Prognose-Marker der Lungenkarzinome zum Nachweis wiederkehrender genetischer
Defekte – sog. Kandidatengene – basierend auf der Auswertung des
pathologisch-anatomischen Untersuchungsgutes in Korrelation zu den
führenden phänotypisch-histomorphologisch bestimmbaren
Wachstumsmustern vorgenommen. Dabei lässt sich ein einheitliches für
bestimmte Tumorentitäten charakteristisches „Defektmuster”
noch nicht ableiten. Einzelne Metaanalysen konnten zunächst vermutete
„spezifische” Defektmuster für
„Tumorentitäten” nach dem groben Parameter der
histopathologischen Klassifikation nicht bestätigen. Die sehr komplexen
Befunde haben derzeit für die Leitlinienempfehlungen keine Bedeutung
[201 ]
[342 ].
Als therapierelevante Marker sind beim nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinom, speziell beim bronchioloalveolären Lungenkarzinom,
Mutationen, Amplifikationen und Überexpressionen des EGFR bekannt geworden
(s. Kap. 7.5.2.9 und 7.5.3.3). Welche der EGFR-Untersuchungen (DNA, FISH, mRNA
oder Protein mittels IHC) hinsichtlich des Therapieerfolges am
aussagekräftigsten sind, ist noch offen. Der KRAS-Mutationsstatus hat bei
NSCLC eine prädiktive Bedeutung. Patienten mit NSCLC können bei
fehlendem immunhistologischen Nachweis des ERCC1 einen Benefit von einer
adjuvanten cisplatinbasierten Chemotherapie haben.
Neuroendokrine Tumoren können Somatostatin-Rezeptoren
aufweisen und auf Octreotide-Therapie ansprechen.
Empfehlung: Pathologie
Eine pathologisch-anatomische Beurteilung soll
durchgeführt werden zur Klassifikation des Lungentumors (Typing), zur
Bestimmung der Tumorausdehnung am Resektat (p-Staging), zur Beurteilung der
Resektionsränder, zur Bestimmung des Differenzierungsgrades (Grading), zur
Bestimmung des Regressionsgrading, zur Bestimmung von Prognose-assoziierten
Markern und zur Bestimmung von Therapiemarkern (Empfehlungsgrad A).
5.7 Abschätzung der klinischen und funktionellen
Operabilität
In dieser Leitlinie werden Menschen mit 70 oder mehr Jahren als
älter definiert und sehr alte Menschen als 80 Jahre oder älter.
5.7.1 Alter über 70 Jahre
Die perioperative Morbidität erhöht sich mit
zunehmendem Alter. Bei älteren Patienten, die einer Lungenresektion
unterzogen werden, besteht eine höhere Wahrscheinlichkeit, dass sie eine
intensive perioperative Betreuung benötigen [343 ]
[344 ]
[345 ]
[346 ] (Evidenzgrad 3b).
Präoperativ muss eine sorgfältige Bewertung von Komorbiditäten
durchgeführt werden, da die Assoziation von zunehmendem Alter und
operativer Letalität auf das breitere Spektrum von Komorbiditäten und
nicht auf das Alter alleine zurückzuführen ist [346 ]
[347 ]
[348 ]
[349 ]. Wie bei jüngeren
Patienten zeigt sich auch bei den Älteren, dass die Letalität bei
Pneumonektomie gegenüber einer Lobektomie erhöht ist; insbesondere
gilt dies bei rechtsseitiger Pneumonektomie [344 ]
[345 ] (Evidenzgrad 3b). Die perioperative Letalität
steigt bei sehr hohem Alter (> 80 Jahre) in Abhängigkeit vom
biologischen Gesamtzustand, dem Tumorstadium, dem Schweregrad, der Anzahl der
Komorbiditäten und der Ausdehnung der Lungenresektion an. Besonders hoch
ist das Letalitätsrisiko nach Pneumonektomie. Bei Verdacht auf das
Vorliegen eines Alterssyndroms (Intelligenzabbau, Immobilität,
Instabilität, Inkontinenz und Impairment) ist ein geriatrisches
Basis-Assessment indiziert [343 ]
[350 ] (Evidenzgrad 2b).
5.7.2 Lungenfunktion
5.7.2.1 Prinzipien
Bei einer Lungenresektion bei Patienten mit
eingeschränkter Lungenfunktion muss mit erhöhter perioperativer
Morbidität und Letalität sowie auch langfristig mit einer
Einschränkung der Lebensqualität infolge der reduzierten
Lungenkapazität oder einer respiratorischen Insuffizienz gerechnet werden.
Diese Risiken sind hauptsächlich von der kardiopulmonalen Funktion
präoperativ und dem Ausmaß der geplanten Lungenresektion
abhängig. Handelt es sich um ein heterogenes Lungenemphysem und ist der zu
entfernende Tumor in einem emphysematös umgebauten Lungenlappen
lokalisiert, der im Rahmen einer Lungenvolumenreduktion entfernt werden kann,
fällt die postoperative Funktionseinschränkung geringer aus als
rechnerisch prognostiziert [351 ]. Die Entscheidung zu
diesem operativen Kombinationseingriff sollte in einer interdisziplinären
Konferenz getroffen werden.
Die präoperative Lungenfunktionsdiagnostik sollte erst
durchgeführt werden, wenn sich der Patient unter maximaler, optimierter
Therapie einschließlich Raucherberatung in einem klinisch stabilen
Zustand befindet [352 ]
[353 ].
Einen evidenzbasierten Algorithmus für die
Abschätzung der klinischen und funktionellen Operabilität vor
Lungenkarzinomresektion stellt [Abb. 7 ] dar.
5.7.2.2 Spirometrie
Lungenfunktionsdaten von mehr als 2000 Patienten mit
Lungenkarzinom in drei großen Serien haben gezeigt, dass eine
Letalitätsrate unter 5 % erwartet werden sollte, wenn das
präoperative FEV1 > 1,5 l für eine
Lobektomie und > 2,0 l für eine Pneumonektomie
beträgt [354 ] (Evidenzgrad 2b). Von diesen Daten
kann jedoch nicht auf die prädiktive Bedeutung der präoperativen
Werte in %-Soll geschlossen werden. Daher werden die Werte des
FEV1 als Absolutwerte angegeben. Doch ist das perioperative Risiko
eines thoraxchirurgischen Eingriffs bei COPD-Patienten schon bei einem
FEV1 < 60 % des Sollwertes relevant
erhöht, wobei die Komplikationsrate vom Ausmaß der Resektion und der
Resektionstechnik abhängt [355 ]
[356 ]
[357 ] (Evidenzgrad 2b).
Wegen der häufigen Koinzidenz von Lungenkarzinom mit
Lungenemphysem und interstitiellen Lungenerkrankungen soll eine
präoperative Lungenfunktionsprüfung primär die Bestimmung der
TLCO beinhalten, zumal die Spirometrie bei diesen Patienten noch
normal sein kann, die TLCO also ein unabhängiger prognostischer
Faktor ist [357 ]
[358 ]
[359 ]
[360 ]
[361 ]
[362 ]
[363 ]
[364 ]
[365 ]. Eine
TLCO < 60 % Soll identifiziert
Patienten mit hohem Risiko für eine Pneumonektomie [358 ] (Evidenzgrad 2b).
Für eine Lobektomie sind keine weiteren
Lungenfunktionstests erforderlich, wenn die postbronchodilatatorisch gemessenen
FEV1 –Werte über 1,5 l und die TLCO
über 60 % des Soll betragen. Für eine Pneumonektomie
werden keine weiteren Lungenfunktionstests benötigt, wenn die
entsprechenden FEV1 -Werte > 2,0 l bzw.
> 80 % vom Soll und die TLCO über
60 % liegen [344 ]
[366 ] (Evidenzgrad 2b).
Bei allen Patienten mit einem erhöhten funktionellen
Risiko sollten folgende Untersuchungen durchgeführt werden:
eine komplette Lungenfunktionsprüfung mit Spirometrie
– besser noch Ganzkörperplethysmografie – und
CO-Transfer-Faktor [354 ]
[366 ]
(Evidenzgrad 2b)
die Bestimmung der arteriellen Blutgase in Ruhe
[367 ]
[368 ]
[369 ] (Evidenzgrad 3b)
eine Lungenperfusionsszintigrafie mit Quantifizierung der
regionalen Radionuklidbelegung [364 ]
[370 ]
[371 ]
[372 ]
[373 ]
[374 ] (Evidenzgrad 2b) und eine
Spiroergometrie [360 ]
[366 ]
[368 ]
[375 ]
[376 ]
[377 ]
[378 ]
[379 ]
[380 ]
[381 ]
[382 ] (Evidenzgrad 1b)
Die quantitativen Daten der regionalen
Lungenperfusionsverteilung werden verwendet, um ein voraussichtliches
postoperatives FEV1 und eine voraussichtliche postoperative
TLCO (in %Soll) zu berechnen [364 ]
[370 ]
[371 ]
[372 ]
[373 ]. Auch bei geplanter
Lobektomie sollte die Berechnung der voraussichtlichen postoperativen
Funktionsdaten mithilfe der quantitativen Lungenperfusionsszintigrafie
erfolgen. Dabei ist zu berücksichtigen, ob die potenziell zu entfernenden
Segmente ventiliert oder atelektatisch sind [344 ]
[374 ].
5.7.2.3 Berechnung der postoperativen Lungenfunktion
Die Berechnung der postoperativ zu erwartenden
Kenngrößen der Lungenfunktion (FEV1 , CO-Transferfaktor)
zur Abschätzung des Risikos für eine Pneumonektomie und Lobektomie
ist in [Tab. 17 ] dargestellt.
Die perioperativen Resektionsrisiken stehen in Relation zum
absoluten prädiktiven postoperativen FEV1 [364 ]
[371 ]
[373 ]
[383 ]
[384 ]
[385 ]
[386 ]. Dies gilt analog für die entsprechenden Werte
des CO-Transferfaktors [358 ]
[359 ]
[384 ]
[387 ].
Ein prädiktives postoperatives FEV1
(ppoFEV1 ) von 800 ml scheint für eine
Resektionsbehandlung ausreichend zu sein [371 ]. Bei
Pneumonektomie findet sich eine gute Korrelation des postoperativ gemessenen
FEV1 (%Soll) mit den präoperativ mittels Lungenfunktion
und Perfusionszintigramm (Split-Lungenfunktion) berechneten Werten
[354 ]
[372 ]
[373 ]
[388 ]. Nach Lobektomie findet
sich zwar eine schlechtere, für klinische Zwecke aber ausreichend gute
Korrelation dieser Werte [372 ]
[389 ]. Eine alternative Methode beruht auf der
Berücksichtigung der Zahl der zu resezierenden Segmente
[343 ]
[374 ]
[390 ]
[391 ]. Diese mathematische
Methode bedarf weiterer Evaluation, insbesondere hinsichtlich des Einflusses
belüfteter und dystelektatischer Segmente im zu resezierenden
Lungenabschnitt und der prognostischen Relevanz der auf diese Weise
errechneten, postoperativen Funktionsdaten. Aktuelle klinische Studien lassen
vermuten, dass die Berechnung der postoperativen Lungenfunktion mithilfe der
quantitativen Analyse von zu resezierendem und verbleibendem Lungenvolumen aus
standardisierten Datensätzen der CT und MRT des Thorax anstelle der
quantifizierten Perfusionsszintigrafie mit ebenso guten Resultaten möglich
ist [374 ]
[391 ]
[392 ].
Tab. 17 Berechnung der
postoperativen Lungenfunktion.
Postoperatives
FEV1
Messungen:
präoperatives
postbronchodilatatorisches FEV1 (1) (sog. präop.
FEV1 ) quantitative Lungenperfusionsszintigrafie
Berechnung des postoperativen FEV1 (ppo
FEV1 ):
postop.
FEV1 = präop.
FEV1 × (100 – prozentualer Anteil der
Lungenperfusion des zu resezierenden Bereichs an der
Gesamtperfusion) Das kalkulierte postoperative FEV1 wird
in Litern angegeben.
Transferfaktor:
Der postoperative Transferfaktor
(ppoTLCO ) wird analog der Berechnung des postoperativen
FEV1 kalkuliert.
PBD = postbronchodilatatorische Messung des
FEV1 nach Inhalation von Bronchodilatatoren (400 µg
Salbutamol ± 80 µg Ipratropiumbromid)
5.7.2.4 Schwellenwerte für postoperative
prädiktive Werte
Für das postoperative FEV1 wird ein Wert von
größer 800 ml bzw. über 30 % Soll als
untere Grenze empfohlen [343 ]
[360 ]
[371 ]
[382 ]
[393 ]
[394 ].
Für die TLCO wird gleichfalls ein Grenzwert
von über 30 % Soll empfohlen [358 ]
[364 ]
[394 ].
Die aktuelle Literatur belegt, dass FEV1 und
TLCO unabhängige Prognosefaktoren der perioperativen
Morbidität und Letalität sind [344 ]
[361 ]
[362 ]
[364 ].
5.7.3 Blutgase und Sauerstoffsättigung in Ruhe
Der Stellenwert des Sauerstoffpartialdruckes (PaO2 )
als Risikoindikator der funktionellen Operabilität ist unklar
[367 ]. Werte zwischen 45 und 60 mmHg wurden mit
erhöhtem Risiko in Verbindung gebracht [343,368 ].
Eine Hypoxämie identifiziert zwar Risikopatienten, darf aber nicht als
Ausschlusskriterium gewertet werden, da eine Verteilungsstörung oder ein
pulmonaler Shunt vorliegen könnten, sodass die Resektion den Gasaustausch
verbessern könnte. Aktuelle Studien zeigen, dass eine Hyperkapnie nicht
unbedingt prädikativ für Komplikationen nach Resektion ist
[369 ]. Dies trifft in besonderem Maße für
Patienten mit erhaltener Atemmuskelfunktion und Belastungskapazität zu
[343 ].
Ein höheres Risiko für postoperative Komplikationen
liegt bei Patienten vor, die bereits eine Sauerstoffsättigung
(SaO2 ) unter 90 % in Ruhe (entspricht einem
PaO2 von zirka 60 mmHg) aufweisen oder unter Belastung um
mehr als 4 % entsättigten [395 ]
[396 ]. Allein der Abfall der Sauerstoffsättigung unter
Belastung rechtfertigt nicht den Ausschluss von einer Thorakotomie
[397 ].
5.7.4 Risikoabschätzung mittels Spiroergometrie
Präoperative Werte des FEV1 von > 2
Liter und 80 % Soll und der TLCO von
> 60 % entsprechen einem normalen Risiko bis
Pneumektomie. Postoperative FEV1 -Werte ≥ 800 ml
bzw. ≥ 30 % Soll in Kombination mit TLCO
Werte ≥ 30 % Soll entsprechen bis zum kalkulierten
Ausmaß der Resektion einem mittleren Risiko [343 ]
[371 ] (Evidenzgrad 2b).
Postoperative FEV1 -Werte < 800 ml
bzw. < 30 % Soll und postoperative
TLCO < 30 %Soll entsprechen einem sehr hohen
Risiko [344 ]
[358 ]
[360 ]
[361 ]
[362 ]
[364 ]
[382 ]
[393 ] (Evidenzgrad 2b).
Bei allen Patienten mit mittlerem oder noch höherem Risiko
ist eine Spiroergometrie zur Risikoabschätzung durchzuführen
[360 ]
[366 ]
[368 ]
[375 ]
[376 ]
[377 ]
[381 ]
[382 ] (Evidenzgrad 1b).
Im deutschsprachigen Raum werden präoperative
Belastungsuntersuchungen vorwiegend als Spiroergometrie durchgeführt
[205 ]
[398 ]. International sind
wegen mangelnder Verfügbarkeit dieses Goldstandards alternativ sowohl der
6-Minuten-Gehtest wie auch Treppensteigen in standardisierter Form
gebräuchlich [382 ]
[390 ]
[399 ].
Zahlreiche Studien haben den Stellenwert der Spiroergometrie zur
Risikostratifizierung vor Lungenresektion analysiert [360 ]
[368 ]
[375 ]
[376 ]
[377 ]
[382 ]. Als Risikoindikator
dient die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2 max). Zwei Studien ergaben
ein erhöhtes perioperatives Morbiditäts- und Letalitätsrisiko
für VO2 max-Werte < 15 ml/kg/min
[378 ]
[379 ]
[381 ]. Andere Untersucher berichteten übereinstimmend
von einem geringen perioperativen Risiko selbst für eine Pneumonektomie
bei VO2 max-Werten > 20 ml/kg/min oder
> 75 % Soll und ≥ 35 %
postoperativ vorhergesagt [366 ]
[378 ]
[380 ]
[381 ]. Ein hohes perioperatives Risiko selbst für eine
Lobektomie findet sich bei VO2 max-Werten
< 10 ml/kg/min [344 ]
[360 ]
[366 ]
[382 ]
[400 ].
Spiroergometrische Untersuchungen zeigen, dass eine
präoperative maximale Sauerstoffaufnahme (VO2 max)
> 20 ml/kg/min mit einem niedrigen perioperativen Risiko
für alle Ausmaße von Lungenresektionen verbunden ist
[360 ]
[366 ]
[378 ]
[380 ]
[381 ]
[382 ] (Evidenzgrad 2b).
Eine VO2 max > 15 ml/kg/min geht mit
einem mittleren Risiko für die perioperative Letalität und für
Komplikationen einher.
Eine VO2 max unter 15 ml/kg/min weist auf ein
hohes operatives/perioperatives Risiko hin [378 ]
[379 ]
[381 ] (Evidenzgrad 3b).
Bei einer Sauerstoffaufnahme von < 10 ml/kg/min
besteht aufgrund der hohen Letalitätsrate grundsätzlich auch für
eine Lobektomie Inoperabilität [366 ]
[380 ]
[382 ] (Evidenzgrad 2b).
Das Management von Patienten mit mittlerem und hohem Risiko
sollte in der interdisziplinären Konferenz zwischen Pneumologen,
Thoraxchirurgen, Onkologen und Strahlentherapeuten besprochen werden
(Evidenzgrad 5).
5.7.5 Zerebro- und kardiovaskuläres Risiko
Koronare Herzkrankheit, zerebrovaskuläre Erkrankungen sowie
periphere Durchblutungsstörungen stellen ein erhöhtes perioperatives
Risiko dar [401 ]
[402 ].
5.7.5.1 Vorausgegangener Myokardinfarkt
Es gibt keine klinischen Untersuchungen zur Dauer des
mindestens einzuhaltenden Intervalls zwischen einem akuten Myokardinfarkt und
der geplanten Lungenresektion. Nach Expertenmeinung reicht eine Zeitspanne von
mindestens 6 Wochen aus [343 ]
[347 ]. Bei Lungenresektion in den ersten 6 Monaten nach
Myokardinfarkt wird präoperativ grundsätzlich eine kardiologische
Untersuchung (Basisprogramm: EKG, Echokardiografie) mit Risikoeinschätzung
angeraten [205 ]
[343 ].
5.7.5.2 Vorausgegangene aortokoronare
Bypassoperation
Bei Lungenresektionen weisen Patienten mit Zustand nach
erfolgreicher aortokoronarer Bypassoperation über mindestens
5 Jahre kein erhöhtes perioperatives Risiko auf, sofern nicht
wieder Symptome einer koronaren Herzerkrankung oder Herzinsuffizienz auftreten
[343 ].
5.7.5.3 Präoperative Bewertung der
kardiovaskulären Risiken
Das American College of Cardiology und die American Heart
Association haben umfassende Empfehlungen für die klinische Vorhersage von
perioperativen Risiken veröffentlicht [403 ]. Diese
basieren auf klinischen Prädiktoren (s. [Tab. 18 ]), der Belastungstoleranz des Patienten und
dem geplanten operativen Eingriff. Kürzlich veröffentlichte Studien
haben die Bedeutung von multiplen Risikofaktoren hervorgehoben (s.
[Tab. 19 ]) [404 ]
[405 ].
5.7.5.4 Präoperative Bewertung zerebrovaskulärer
Erkrankungen
Bei Patienten mit Schlaganfall oder TIA in der Anamnese
existieren keine Daten über eine Häufung zerebrovaskulärer
Komplikationen im Zusammenhang mit einer Lungenresektion, die wegen Lungenkrebs
durchgeführt wurde. Das perioperative Risiko der Patienten könnte
aber bei höhergradiger Karotis-Stenose erhöht sein
[343 ]. Vor geplanter Lungenresektion sollte deshalb bei
allen Patienten mit Schlaganfall oder TIA in der Anamnese oder mit
Strömungsgeräuschen über den Karotiden ein Karotis-Doppler- und
eine Duplex-Sonografie durchgeführt werden. Bei symptomatischer oder
hochgradiger, aber asymptomatischer Stenose (> 70 %)
der extrakraniellen hirnzuführenden Arterien sollte vor Lungenresektion
eine interventionelle oder operative Behandlung der Stenose diskutiert werden
([401 ]
[406 ]) (Evidenzgrad 1b)
(Empfehlungsgrad B).
Tab. 18 Klinische
Prädiktoren eines erhöhten, perioperativen, kardiovaskulären
Risikos. Modifiziert nach Eagle et al. [403 ].
Risiko hoch
instabile oder
schwere Angina pectoris: – kürzlicher Myokardinfarkt mit
Hinweis auf ein bedeutendes ischämisches Risiko, basierend auf klinischen
Symptomen – instabile oder schwere
Angina dekompensierte Herzinsuffizienz signifikante
Arrhythmien: – AV-Block II und III Grades –
symptomatische ventrikuläre Arrhythmien bei Vorliegen einer
Herzinsuffizienz – supraventikuläre Arrhythmien mit nicht
kontrollierter Herzfrequenz schwerer Herzklappenfehler
mittleres Risiko
leichte Angina
pectoris vorhergehender Myokardinfarkt, basierend auf pathologischen
Q-Zacken kompensierte Herzinsuffizienz Diabetes mellitus
mit Gefäßkomplikationen
geringes Risiko
fortgeschrittenes
Alter (> 70 Jahre) abnormes EKG (linksventrikuläre
Hypertrophie, Linksschenkelblock,
Kammerendteilveränderungen) fehlender Sinusrhythmus bei
normfrequenter Kammeraktion (z. B. Vorhofflimmern) geringe
Belastbarkeit Schlaganfall mit Residuen schlecht
eingestellte arterielle Hypertonie
Tab. 19 Bedeutung von
multiplen Risikofaktoren (modifiziert nach [343 ]).
Risikofaktoren
hohes
Operationsrisiko (einschließlich
intrathorakal) ischämische
Herzerkrankung Herzinsuffizienz Diabetes mellitus mit
vorhandenen Komplikationen (Arteriosklerose mit Neuro- und
Mikroangiopathie) Kreatinin > 1,7 mg%
Anzahl der
Risikofaktoren 1 2 ≥ 3
kardiale
Hauptkomplikationen* 1,1 % 4,6 % 9,7 %
* Myokardinfarkt, Lungenödem,
Vorhofflimmern, erstmalige kardiale Synkope, totaler AV-Block oder AV-Block
III.
Die Lungenoperation stellt alleine bereits einen Risikofaktor
dar. Das Hinzutreten weiterer oben angeführter Erkrankungen erhöht
die Letalität in Abhängigkeit von der Anzahl der Risikofaktoren.
5.7.6 Ernährungs- und Leistungsstatus
5.7.6.1 Prognostische Bedeutung
Gewichtsverlust, schlechter Ernährungszustand und geringe
körperliche Leistungsfähigkeit (WHO-Skala des Allgemeinbefindens oder
ECOG-Skala, s. [Tab. 4 ]) sind unabhängig mit
einem Lungenkarzinom im fortgeschrittenen Stadium und schlechter Prognose
assoziiert [343 ]
[363 ]
[407 ]
[408 ]
[409 ]. Solche Patienten sind oftmals aufgrund von
Metastasen oder einer lokal weit fortgeschrittenen Erkrankung inoperabel.
5.7.6.2 Gewichtsverlust
Ein Gewichtsverlust von mehr als 10 % innerhalb
von 6 bis 8 Wochen wird oftmals als klinisch und prognostisch relevant
angegeben. Es liegen keine Studien vor, die den Gewichtsverlust als
eigenständigen prädiktiven perioperativen Risikoindikator evaluiert
haben.
5.7.6.3 Leistungsstatus
Es ist bekannt, dass die körperliche
Leistungsfähigkeit (gemessen nach WHO, Karnofsky oder ECOG-Skala, s.
[Tab. 4 ]) mit der Prognose von Patienten mit
Lungenkarzinom korreliert [343 ]. In einer
Operationsserie von 331 Patienten war der Karnofsky-Index kein
unabhängiger Prädiktor postoperativer Komplikationen, wobei in dieser
Studie allerdings nur wenige Patienten mit geringer körperlicher
Leistungsfähigkeit einer Operation unterzogen wurden [384 ].
5.7.7 Präoperative Bewertung sonstiger Risiken
Fortgesetztes Rauchen erhöht das perioperative Risiko von
Lungenkarzinompatienten, bei denen im Rahmen der Lungenkarzinombehandlung eine
Thorakotomie notwendig wird [352 ]
[353 ]. Raucherberatung und Tabakentwöhnung sind
präoperativ anzuraten.
Bei Hinweisen auf das Vorliegen eines Alterssyndroms
(Intelligenzabbau, Immobilität, Instabilität, Inkontinenz und
Impairment) besteht die Indikation für ein geriatrisches Screening- und
Basis-Assessment [350 ] (Evidenztab. 5.7).
Abb. 7 Algorithmus zur
Beurteilung der Operabilität für lungenresezierende Eingriffe.
Empfehlungen: Abschätzung der klinischen und
funktionellen Operabilität
• Bei Patienten im höheren Lebensalter
(> 70 Jahre) sollte eine besonders sorgfältige Diagnostik und
klinische Bewertung von Komorbiditäten erfolgen (Empfehlungsgrad B).
• Bei der Bewertung der Lungenfunktion sollte in
Grenzfällen und bei komplexem klinischem Bild eine enge
interdisziplinäre Absprache zwischen Pneumologen, Thoraxchirurgen und
Strahlentherapeuten erfolgen (Empfehlungsgrad B).
• Bei einer geplanten Lobektomie sollte bei einem
postbronchodilatatorischen FEV1 > 1,5 l und
einer Diffusionskapazität (TLCO ) > 60 %
des Sollwertes und bei einer geplanten Pneumonektomie bei einem
postbronchodilatatorischen FEV1 > 2,0 l und einer
TLCO > 60 % des Sollwertes keine
weitere Lungenfunktionstestung erfolgen (Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten, die basierend auf FEV1 - und
TLCO -Werten nicht eindeutig operabel sind, sollten eine
Ganzkörperplethysmografie, eine Blutgasanalyse in Ruhe, eine quantitative
Lungenperfusionsszintigrafie und eine Spiroergometrie durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad B).
• Zur Beurteilung des Operationsrisikos im Zusammenhang
mit einer Lungenresektion sollte die Spiroergometrie als standardisierter
Belastungstest eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
• Vor einer geplanten Lungenresektion soll ein EKG
aufgezeichnet werden (Empfehlungsgrad A). Bei einem auffälligen kardialen
Auskultationsbefund oder bei klinischen Zeichen der Herzinsuffzienz sollte eine
Echokardiografie durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B).
• In den ersten 6 Wochen nach einem Myokardinfarkt sollte
keine Lungenresektion durchgeführt werden (Empfehlungsgrad B). Bei
Patienten mit Myokardinfarkt in den zurückliegenden 6 Monaten vor einer
geplanten Lungenresektion sollte eine kardiologische Untersuchung erfolgen
(Empfehlungsgrad B).
• Vor geplanter Lungenresektion sollte bei Patienten mit
Schlaganfall oder TIA in der Anamnese oder Strömungsgeräuschen
über den Karotiden eine Karotis-Doppler- und eine Duplex-Sonografie
durchgeführt werden. Bei symptomatischer oder hochgradiger, aber
asymptomatischer Stenose (> 70 %) der extrakraniellen
hirnzuführenden Arterien sollte vor Lungenresektion eine interventionelle
oder operative Behandlung der Stenose erwogen werden (Empfehlungsgrad B).
6 Patientenaufklärung
6 Patientenaufklärung
Die Patientenaufklärung ist eine der zentralen Aufgaben des
Arztes und ein entscheidender Bestandteil der Arzt-Patient-Kommunikation. Sie
dient dem Aufbau eines Vertrauensverhältnisses und der aktiven
Zusammenarbeit zwischen Arzt und Patient [410 ]. Der
Wunsch nach Aufklärung ist bei Patienten erfahrungsgemäß
groß [411 ]. In der Regel ist die Aufklärung
nicht ein einziges Gespräch, sondern ein behandlungsbegleitender Prozess.
Eine gelungene Aufklärung wirkt sich positiv z. B. auf die
Compliance, die Toleranz von Nebenwirkungen und die Behandlungszufriedenheit
aus [412 ]
[413 ].
Spezifische Untersuchungen zu den Informationsbedürfnissen von
Lungenkarzinom-Patienten konnten im Rahmen der Literatur-Suche nicht gefunden
werden. Trotzdem sollen im Folgenden auf der Basis guter klinischer Praxis
(GCP) Empfehlungen zur Patientenaufklärung gemacht werden. Es existiert
eine Reihe von ausführlichen Leitfäden zu diesem Thema, die bei
Bedarf zu Rate gezogen werden können (z. B. Wiesing et al.
[414 ]
[415 ]).
Es gibt keine gesetzlichen Vorschriften über Form und Inhalt
der Patientenaufklärung, sie ist aber nach deutschem Recht zwingend
vorgeschrieben, sofern der Patient einsichtsfähig ist. Als Vorbedingung
für das informierte Einverständnis des Patienten (informed consent)
ermöglicht die Aufklärung erst ärztliches Handeln
[416 ]. Sie dient der Selbstbestimmung des Patienten,
der rechtlich ein höheres Gewicht beigemessen wird als der ärztlichen
Hilfeleistungspflicht [417 ]
[418 ]. Idealerweise mündet sie in einen gemeinsamen
partizipativen Entscheidungsprozess (shared decision making;
[419 ]).
Der Patient ist über seine Diagnose, die Prognose, den Verlauf
der ärztlichen Maßnahmen in Bezug auf Zweck, Art, Umfang und
Durchführung des Eingriffs sowie über den Nutzen wie auch das mit den
ärztliche Maßnahmen verbundene Risiko aufzuklären. Dies ist in
der Krankenakte zu dokumentieren. Die Aufklärung sollte umfassend,
verständlich und wahrheitsgemäß sein. Hierbei ist insbesondere
auf das Informationsbedürfnis und die Belastbarkeit des Patienten
Rücksicht zu nehmen. In jedem Fall sollte der Arzt klären, ob die
Informationen beim Patienten wie intendiert angekommen sind. Im Rahmen der
Aufklärung sollte auch auf weiterführende Hilfen hingewiesen werden,
vor allem auf Unterstützung durch Psychoonkologen, Seelsorge oder
Selbsthilfegruppen.
Die Aufklärung von Angehörigen eines einsichtsfähigen
Patienten ist in der Regel unzulässig, es sei denn, der Patient hat dem
ausdrücklich zugestimmt. Der Patient darf auf die Aufklärung
verzichten und sich ganz dem behandelnden Arzt anvertrauen. Davon machen
insbesondere Patienten aus anderen Kulturkreisen Gebrauch. Der Patient muss
aber die Erforderlichkeit der Therapiemaßnahmen kennen.
Es wurde eine Reihe von Trainingsprogrammen entwickelt, um
Ärzten die Möglichkeit zu geben, patientenzentrierte
Gesprächsführung und den Umgang mit schwierigen
Kommunikationssituationen einzuüben [413 ]
[420 ]
[421 ].
6.1 Spezielle Aufklärungssituationen
6.1.1 Diagnosemitteilung
Sobald die Diagnose eines Lungenkarzinoms gesichert ist, soll
der Patient durch den behandelnden Arzt aufgeklärt werden. Dabei liegt es
im Ermessen des Patienten, ob der Partner, Angehörige oder Dritte
einbezogen werden sollen. Ein angemessener Rahmen (störungsfreie und
angenehme Umgebung, ausreichend Zeit) sollte gewährleistet sein. Das
Gespräch sollte verständlich (möglichst unter Verzicht auf
medizinische Fachbegriffe) und dem Informationsstand des Patienten angepasst
sein. Förderlich für die Gesprächsführung sind aktives
Zuhören und das Ausdrücken von Empathie sowie die Ermutigung des
Patienten, Gefühle auszudrücken und Fragen zu stellen. Der Arzt soll
den Patienten wahrheitsgemäß informieren, ohne Inhalte zu
verharmlosen; trotzdem soll der Hoffnung auf Heilung oder Linderung genug Raum
gegeben werden. Hierzu ist das Aufzeigen einer therapeutischen Perspektive
hilfreich.
6.1.2 Aufklärung über
Behandlungsmaßnahmen
Der aufklärende Arzt sollte die Empfehlungen für eine
spezielle Behandlungsform erläutern, insbesondere wenn eine fallbezogene
und konsensusbasierte Behandlungsempfehlung vorliegt. Er sollte die
Grundsätze der Behandlung, Nutzen und Risiken darstellen. Alternativen in
der Behandlung, z. B. im Rahmen einer Teilnahme an klinischen Studien,
sind zu erklären. Auch die Nebenwirkungen oder Spätfolgen einer
Behandlung mit ihren Auswirkungen auf die Lebensführung und
Lebensqualität des Patienten sind zur erörtern. Auf das Recht, eine
zweite Meinung einzuholen, soll hingewiesen werden. Die Möglichkeiten
einer onkologischen Nachsorge und der Rehabilitation nach abgeschlossener
Behandlung sollen ebenfalls angesprochen werden, wie auch vorhandene Angebote
psychoonkologischer und sozialrechtlicher Unterstützung sowie Leistungen
durch Selbsthilfegruppen. Bei Bedarf sind entsprechende Kontakte zu
vermitteln.
6.1.3 Aufklärung über das Fortschreiten der
Krankheit und palliativmedizinische Behandlungsoptionen
Auch hier ist wichtig, dass die notwendige
wahrheitsgemäße Aufklärung im Einklang mit der Vermittlung von
Hoffnung stehen soll: Selbst wenn keine Heilung mehr möglich ist, kann das
Aufzeigen einer bestmöglichen Linderung von Beschwerden (z. B.
Schmerzen oder Atemnot) Hoffnung vermitteln [422 ].
Fragen Patienten nach ihrer verbleibenden Lebenszeit, sollte auf fixe Angaben
(z. B. sechs Monate) zugunsten eines realistischen Zeitraums
(z. B. „manche Patienten leben ein bis zwei Jahre, andere weniger
lang”) verzichtet werden. Der Hinweis auf das möglicherweise
bevorstehende Sterben kann dem Patienten die Chance geben, seine
Angelegenheiten zu regeln und Abschied zu nehmen. Der Patient sollte über
Möglichkeiten der Unterstützung informiert werden, wie ambulante
Hilfsangebote durch (gegebenenfalls palliativmedizinisch spezialisierte)
Pflege- und/oder Hospizdienste, wie auch über die Möglichkeit, die
letzten Lebenswochen/-monate in einem stationären Hospiz verbringen zu
können, wenn die häusliche Betreuung nicht möglich ist bzw.
gewünscht wird.
7 Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms
7 Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms
7.1 Bedeutung von Alter und Komorbidität als
Selektionskriterium für Therapiemaßnahmen
In verschiedenen retrospektiven Kohortenanalysen wurde, bezogen
auf Registerdaten bzw. auf Daten einer Institution, beim NSCLC analysiert,
welchen Einfluss Komorbidität, Aktivität im täglichen Leben und
Lebensalter auf
Zur Erfassung von Komorbidität/Aktivität im
täglichen Leben wurden unterschiedliche Scores eingesetzt (Cumulative
Illness Rating Score – Geriatric; Charlson Comorbidity Index; Simplified
Comorbidity Score). Die Analysen zeigen, dass
im Hinblick auf die chirurgische Tumorresektion ein
Komorbiditätsscore ein besserer Prädiktor für postoperative
Komplikationen ist als einzelne Komorbiditäten [423 ] und ältere Patienten (> 75 Jahre) ohne
relevante Komorbidität gleichermaßen von einer Resektion profitieren
wie jüngere [424 ];
im Hinblick auf die Radiotherapie bzw. Radiochemotherapie ein
ungünstiger Komorbiditätsscore prädiktiv ist für ein
ungünstigeres Outcome (nicht aber ein höheres Alter), allerdings die
Indikationsstellung für eine Radiochemotherapie nicht nur vom
Komorbiditätsscore, sondern auch vom Alter beeinflusst wird
[425 ];
ältere Patienten – unabhängig vom
Komorbiditätsprofil – seltener eine Chemotherapie erhalten als
jüngere [426 ];
unter definierter Therapie ein Komorbiditätsscore
prädiktiven Charakter für das Outcome hat, nicht aber das Alter
[427 ].
Diese Daten zeigen, dass höheres Lebensalter kein alleiniger
Ausschlussgrund zur Behandlung mit einer Therapiemodalität (Chemotherapie,
Radiotherapie, Operation) bzw. Durchführung einer intensiven Therapie sein
sollte (Evidenzgrad 4). Von größerer Relevanz ist das Spektrum der
Komorbidität. Angesichts der Bedeutung von Komorbidität bzw. dem
Aktivitätsprofil im täglichen Leben sollten entsprechende Scores in
Studien prospektiv geprüft werden (Evidenztab. 7.1).
7.1.1 Empfehlungen
Empfehlungen
Ein höheres Lebensalter sollte kein alleiniger
Ausschlussgrund zur Behandlung mit einer Therapiemodalität (Chemotherapie,
Radiotherapie, Operation) sein. Von größerer Relevanz ist das
Spektrum der Komorbidität (Empfehlungsgrad C).
7.1.2 Empfehlungen für die künftige Entwicklung von
Therapiealgorithmen
Geeignete Komorbiditätsscores sollten prospektiv in Studien
geprüft werden.
7.2 Stadium I/II und T3N1M0 (IIIA)
7.2.1 Resektion im Stadium I/II und T3N1M0 (IIIA)
7.2.1.1 Indikation/Patientenselektion
Die Operation in kurativer Absicht ist das Verfahren der Wahl.
Voraussetzung ist eine adäquate kardio-pulmonale Reserve.
7.2.1.2 Standardverfahren
Die Lobektomie einschließlich systematischer Dissektion
ipsilateraler Lymphknoten ist die empfohlene chirurgische Maßnahme. In
seltenen Fällen ist eine Pneumonektomie erforderlich. Bei bestimmter
Tumorlokalisation ist eine Manschettenresektion zulässig, sofern ein
ausreichender Sicherheitsabstand gewährleistet werden kann.
7.2.1.2.1 Effektivität
Die 5-Jahres-Überlebensrate beträgt heutzutage
für das postoperativ gesicherte Stadium IA 69 % bis
89 % [428 ], für das Stadium IB
52 % bis 75 % [429 ]. Das
Stadium IIA, IIB (N1-Status) beschreibt den Befall intrapulmonaler und/oder
hilärer Lymphknoten in Gegenwart eines T1- oder T2-Tumors. Die Operation
in Form der Lobektomie, ergänzt durch ipsilaterale Lymphknotendissektion,
ist Bestandteil der Behandlung im Stadium IIA und IIB (N1). Das
5-Jahresüberleben beträgt 45 % [428 ] bis 52 % [429 ]
für das Stadium IIA, 33 % für das Stadium IIB (N1)
[428 ] und 24 % [428 ] bis 44 % [429 ]
für das Stadium IIIA (Evidenzgrad 3a).
7.2.1.2.2 Perioperative Letalität und
Morbidität
Die Standarddefinition der Operationsletalität bezieht sich auf Todesfälle
innerhalb von 30 Tagen postoperativ. Sie wird auch als perioperative
Letalität bezeichnet. Die Operationsmorbidität definiert unerwünschte
Folgen der Operation innerhalb von 30 Tagen postoperativ. Sie kann unterteilt
werden in geringfügige und schwerwiegende Folgen.
Eine systematische Übersichtsarbeit [430 ], die 15 Studien [431 ]
[432 ]
[433 ]
[434 ]
[435 ]
[436 ]
[437 ]
[438 ]
[439 ]
[440 ]
[441 ]
[442 ]
[443 ]
[444 ]
[445 ] zusammenfasst, und
weitere 4 Artikel [446 ]
[447 ]
[448 ]
[449 ] zeigen für offene
Operationen bei Lungenkarzinomen eine durchschnittliche Letalität von
3,5 % (Minimum 1 %, Maximum 7,6 %)
(Evidenzgrad 2b). Mit zunehmendem Alter nimmt auch die perioperative
Letalität zu. Dies ergab eine weitere Review von 37 Studien
[450 ] (Evidenzgrad 2b) (Evidenztab. 7.2.1.2.2).
Die o. g. systematische Übersichtsarbeit
[430 ] und weitere 3 Artikel [446 ]
[451 ]
[452 ] zeigen für offene Operationen bei
Lungenkarzinomen eine durchschnittliche Morbidität von 30 %
(Evidenzgrad 3b). Die höchste Morbidität findet sich bei ausgedehnten
Resektionen wie Pneumonektomien (Evidenzgrad 3b) (Evidenztab. 7.2.1.2.3)
[453 ].
Die durchschnittliche 30-Tage-Letalität für offene
Resektionen bei Lungenkarzinomen beträgt 3,5 % und die
durchschnittliche 30-Tage-Morbidität 30 %.
7.2.1.3 Limitierte Resektion
Limitierte Resektionen schließen sowohl Keilresektionen
als auch anatomische Segmentresektionen ein. Sie werden angewendet zur
Entfernung kleinerer Tumoren in der Lungenperipherie und erfordern die
intralobäre Durchtrennung von Lungenparenchym in gegebenenfalls zu
geringem Abstand zum Tumor mit der Gefahr der inkompletten Resektion (R1/R2)
und des Lokalrezidivs.
7.2.1.3.1 Effektivität
Die einzige kontrolliert-randomisierte Studie zum Vergleich
von Lobektomie und limitierter Resektion im Stadium I beschreibt eine dreifach
höhere Rezidivrate nach 5 Jahren [454 ]
(Evidenzgrad 1b). Andere Studien unterstreichen den funktionellen Vorteil
gegenüber der Lobektomie [455 ]
[456 ] oder zeigen die Gleichwertigkeit zur Lobektomie in
Bezug auf die Langzeitprognose im Falle von Tumoren mit einem Durchmesser von
unter 2 cm, [457 ]
[458 ]
(Evidenzgrad 3b). Patienten, die aufgrund ihrer Komorbidität keine
Lobektomie tolerieren, sollten einer limitierten Resektion zugeführt
werden (Evidenztab. 7.2.1.3.1).
7.2.1.3.2 Morbidität
Die Hospitalletalität nach limitierter Resektion wird in
einem Bereich von 0 bis 6 Prozent berichtet. Die 30-Tage-Hospitalletalität
nach Lobektomie wird mit 3 Prozent in einem Bereich von 0 bis 9 Prozent
berichtet [444 ]
[459 ]
(Evidenzgrad 3b) (Evidenztab. 7.2.1.3.1).
7.2.1.4 Manschettenresektion versus Pneumonektomie
Bei Tumoren, die aufgrund des zentralen Sitzes eine
Pneumonektomie erfordern, stellt die Manschettenresektion eine Alternative zur
Pneumonektomie dar. Bronchus-Manschettenresektionen wurden erstmals
eingeführt, um bei Patienten mit eingeschränkter Lungenfunktion
möglichst viel gesundes Lungenparenchym zu erhalten. Heutzutage stellt
sich die Frage, ob Manschettenresektionen auch für Patienten mit normaler
Lungenfunktion, bei denen auch eine Pneumonektomie möglich wäre,
empfohlen werden sollten [387 ].
Die Manschettenresektion erlaubt ein parenchymsparendes
Vorgehen und bietet sich als Alternative zur Pneumonektomie an, sofern unter
Schnellschnittbedingungen ein tumorfreier Rand der Absetzungsebenen erzielt
werden kann. Es existieren keine randomisiert-kontrollierten Studien, die die
Pneumonektomie mit der Manschettenresektion vergleichen.
Es wurden systematische Reviews in diese Empfehlung
eingeschlossen, die Manschettenresektionen mit der Alternative einer
Pneumonektomie bei kurativer Resektion von nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen
vergleichen.
7.2.1.4.1 Effektivität
Es wurden 2 Übersichtsarbeiten gefunden, die
Manschettenresektionen mit der Alternative einer Pneumonektomie bei kurativer
Resektion von nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen vergleichen
[387 ]
[430 ]. Die eine
Übersichtsarbeit stellt Arbeiten zusammen, die eine Manschettenresektion
auch bei eingeschränkter Lungenfunktion einschließen, die andere
Übersichtsarbeit schließt nur Studien ein, bei denen Patienten mit
Manschettenresektionen lungenfunktionell auch eine Pneumonektomie toleriert
hätten.
Die erste Übersichtsarbeit fasst 10 retrospektive Studien
zusammen (Evidenzgrad 3a) (n = 1083), wobei nicht immer
der pT- oder pN-Status angegeben wurde und somit die Studien hinsichtlich der
therapierten Tumorstadien schlecht beurteilt werden können. Die
durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensrate nach Manschettenresektion im
Stadium II betrug 41 % (Evidenzgrad 3a). Die Lokalrezidivrate
nach Manschettenresektion betrug durchschnittlich 15 %
(Evidenzgrad 3a) [430 ].
Bei der zweiten Übersichtsarbeit handelt es sich um eine
Metaanalyse, die 860 Manschettenresektionen mit 746 Pneumonektomien aus 12
Studien vergleicht [387 ]. In dieser Arbeit zeigt sich
ein signifikanter Unterschied der therapierten Tumorstadien zwischen den beiden
Gruppen (p = 0,001). Die durchschnittlichen
5-Jahres-Überlebensraten waren in den beiden Gruppen vergleichbar
(51,4 % bei Manschettenresektionen vs. 49,1 % bei
Pneumonek-tomien). Die durchschnittliche mediane Überlebenszeit war jedoch
bei Patienten mit Pneumonektomien signifikant geringer als bei Patienten mit
Manschettenresektionen (70 mo. vs. 50 mo.;
p = 0,02) (Evidenzgrad 3a) (Evidenztab. 7.2.1.4.1).
7.2.1.4.2 Letalität
In der zweiten Übersichtsarbeit wird auch die
Letalität genauer betrachtet, jedoch nicht auf die Morbidität
eingegangen. Die durchschnittliche Letalität betrug 4,1 %
nach Manschettenresektion und 6 % nach Pneumonektomie
(p = 0,3) [387 ]. Die
Letalität nach Manschettenlobektomie ist damit mit der nach
Standard-Lobektomie vergleichbar (siehe Risiko der Operation).
7.2.1.4.3 Schlussfolgerung
Der Vorteil von Manschettenresektionen ist der Erhalt von
gesundem Lungengewebe, der sich auf die mediane Überlebenszeit auswirkt,
aber keinen Einfluss auf die 5-Jahres-Überlebensrate hat. Die
Letalität nach Manschettenlobektomie ist mit der nach Standard-Lobektomie
vergleichbar und tendenziell geringer als nach Pneumonektomie.
Die Manschettenresektion ist trotz etwas höherer
Lokalrezidivrate eine Alternative zur Pneumonektomie, nicht nur bei funktionell
eingeschränkten Patienten, da sie durch Parenchymerhalt die spezifischen
Komplikationen und Spätfolgen der Pneumonektomie verhindert und mit einer
signifikant verlängerten medianen Überlebenszeit assoziiert ist.
7.2.1.5 Lymphknotendissektion
Die wichtigsten Faktoren bei der Bewertung, welche Form der
Lymphadenektomie zu favorisieren ist, sind Überleben, Rezidivrate und
Morbidität. Die systematische Lymphadenektomie, wie sie erstmals von
Naruke 1976 beschrieben wurde, steht dem Lymphknotensampling von
tumorverdächtigen Lymphknoten gegenüber.
Es wurden ausschließlich prospektiv randomisierte
Studien eingeschlossen, die eine systematische Lymphadenektomie mit einem
Lymphknotensampling bei kurativer Resektion von nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinomen vergleichen.
7.2.1.5.1 Effektivität
Es wurden 3 prospektive Studien gefunden. Eine prospektiv
randomisierte Studie verglich die systematische Lymphadenektomie mit einem
Lymphknotensampling bei 471 Patienten mit nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen
im Stadium I – IIIA [460 ]. Im a
posteriori bestimmten postoperativen Stadium I (n = 58 vs.
98) war die 5-Jahres-Überlebensrate mit 82 % vs.
58 % signifikant durch die systematische Lymphadenektomie
[461 ]
[462 ]
[463 ] erhöht worden (p = 0,01).
Eine Intent-to-treat-Analyse wurde nicht vorgelegt (Evidenzgrad 2b). Die
anderen 2 prospektiven Studien zeigten keinen signifikanten
Überlebenseinfluss der systematischen Lymphadenektomie. Eine Metaanalyse
der o. g. Studien zeigte, dass keine signifikante Heterogenität
zwischen den Studien besteht und daher eine gepoolte Analyse durchgeführt
werden konnte. Diese ergab, dass das Überleben insgesamt nach
systematischer Lymphadenektomie signifikant besser war als nach
Lymphknotensampling [464 ] (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab.
7.2.1.5.1). Zur Genauigkeit des Lymphknotenstagings existiert eine prospektive,
nicht randomisierte [465 ] (Evidenzgrad 2b) und eine
prospektive, randomisierte Studie [466 ] (Evidenzgrad
1b). In beiden Arbeiten wurde eine Multilevel-N2-Situation signifikant
häufiger nach systemischer Lymphadenektomie als nach Lymphknotensampling
aufgedeckt [465 ]
[466 ]
(Evidenztab. 7.2.1.5.1).
7.2.1.5.2 Morbidität und
Letalität
Der Vergleich der Komplikationen nach systematischer
Lymphadenektomie und Lymphknotensampling zeigt keine signifikanten Unterschiede
(38 % vs. 47 %) (Evidenzgrad 1b)
[462 ]. Wenn die spezifischen Komplikationen, die durch
eine systematische Lymphadenektomie verursacht werden können (Nachblutung,
Chylothorax, Rekurrensparese) im Detail betrachtet werden, so finden sich
tendenziell, aber nicht signifikant mehr Komplikationen nach der systematischen
Lymphadenektomie [462 ]. Eine weitere prospektive,
randomisierte Studie zeigte jedoch signifikant mehr Komplikationen nach
systematischer Lymphadenektomie (27 % vs. 3 %)
[461 ]. In keiner der drei Studien fanden sich
Unterschiede in der Letalität zwischen Lymphadenektomie und
Lymphknotensampling [460 ]
[462 ]
[463 ]
[467 ] (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 7.2.1.5.1).
7.2.1.5.3 Schlussfolgerung
Da die tendenziell gehäuften Komplikationen nach
systematischer Lymphadenektomie gut beherrschbar sind, und durch die
systematische Lymphadenektomie im Stadium I evtl. eine Prognoseverbesserung
und
auf jeden Fall ein akkurateres Staging erreicht werden kann, wird sie als
Standardverfahren empfohlen. Die systematische ipsilaterale
Lymphknotendissektion ist unveräußerlicher Anteil einer Operation in
kurativer Absicht, sei es durch limitierte oder nicht-limitierte Resektion.
Unabhängig von T-Faktor und Tumorlokalisation sollte die Dissektion stets
vollständig und nicht selektiv vorgenommen werden. Unterschiedliche
Bezeichnungen, Begrifflichkeiten, Inhalte der Lymphkotendissektion sowie
unterschiedliche Zuordnung derselben Lymphknotenkompartimente erschweren jedoch
die Beurteilung der Literatur zur Lymphknotenevaluation.
7.2.1.6 Resektion bei Brustwandinfiltration (T3)
Lungenkarzinome mit Brustwandinfiltration zählen zu den
T3-Tumoren. Eine besondere Untergruppe stellen die Pancoast-Tumoren dar, welche
eine andere multimodale Therapie erfordern als die sonstigen Lungenkarzinome
mit Brustwandinfiltration. Daher werden in diesem Kapitel die Pancoast-Tumoren
nicht mit eingeschlossen und in Kapitel 7.3 separat aufgeführt. Die hier
vorliegende systematische Übersicht der Literatur fasst
ausschließlich Brustwandinfiltrationen durch Lungenkarzinome
zusammen.
Etwa 10 % der resektablen, nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinome weisen eine Brustwandinfiltration auf [430 ]. Ca. 60 % dieser Patienten weisen einen
pN0-Lymphknotenstatus und ca. 40 % einen pN1-Lymphknotenstatus
auf [430 ].
7.2.1.6.1 Effektivität
Es liegt eine systematische Übersichtsarbeit vor, welche
12 Studien beinhaltet, die das 5-Jahres-Überleben nach Resektion von
Lungenkarzinomen mit Brustwandinfiltration beschreiben. Die durchschnittliche
5-Jahres-Überlebensrate war 40 % für alle pT3 Tumore
mit Brustwandinfiltrationen, 44 % für pN0-Patienten und
26 % für pN1-Patienten (Evidenzgrad 3a) [430 ]. In dieser Übersichtsarbeit zeigte sich ein
Trend zu einer besseren Überlebensrate in den Studien, die nur Patienten
mit R0-Resektionen analysierten im Vergleich zu anderen Studien, die auch
Patienten mit R1-Resektionen einschlossen. In einer kürzlich erschienenen
weiteren systematischen Review von 4 Studien betrug die
5-Jahres-Überlebensrate nach inkompletter Resektion 7 %, im
Vergleich zu 27 % bei R0-Resektion (Evidenzgrad 3b)
[468 ]. Das Langzeitüberleben scheint daher von der
Radikalität abzuhängen. Zwei retrospektive Studien
[469 ]
[470 ] haben gezeigt, dass
bei Patienten mit kompletter Resektion (R0) die Tiefe der
Brustwandinfiltrationen ein prognostischer Parameter ist (Evidenzgrad 3b).
Zusätzlich scheint auch die Technik der Brustwandresektion eine Rolle zu
spielen. Mehrere kleine Fallstudien zeigten, dass ein aggressiveres Vorgehen,
im Sinne einer En-bloc-Resektion mit einem besseren Überleben assoziiert
war als weniger aggressive Methoden (Evidenzgrad 3b) [471 ]
[472 ]. Eine spätere
Studie zeigte jedoch keine Überlebensunterschiede zwischen Patienten mit
einer En-bloc-Vollwand-Brustwandresektion oder einem weniger aggressiven
Vorgehen, falls eine komplette Resektion erreicht wird [473 ] (Evidenzgrad 3b) (Evidenztab. 7.2.1.6.1).
7.2.1.6.2 Letalität
Hinsichtlich der Aggressivität des operativen Vorgehens
zeigen alle Studien keine signifikanten Unterschied in der Letalität
(Evidenzgrad 3b) (Evidenztab. 7.2.1.6.1).
7.2.1.6.3 Schlussfolgerung
Die Radikalität der Brustwandresektion ist ein
signifikanter prognostischer Faktor (Evidenzgrad 3). Die Tiefe der
Brustwandinfiltration könnte die Prognose beeinflussen, wobei hier eine
größere Rolle die chirurgische Technik spielt, die lediglich bei
einer Pleurainvasion ohne Rippeninfiltration auch eine extrapleurale Lyse
erlaubt und bei tieferer Infiltration eine Vollwandresektion erfordert
(Evidenzgrad 3b).
7.2.1.7 VATS-Resektion versus Thorakotomie
Die Entwicklung der minimal-invasiven videoassistierten
thorakoskopischen Operationstechnik (VATS) hat die Diagnostik und Behandlung
von Patienten mit unklaren Lungenherden stark beeinflusst. So wird die VATS
heutzutage als Standardverfahren zur Rundherdabklärung eingesetzt.
Zusätzlich jedoch wird die VATS immer häufiger auch für
Lungenkarzinomresektionen eingesetzt. Hier wurden insbesondere Artikel
berücksichtigt, welche die Rolle der VATS-Lungenresektion hinsichtlich der
technischen Durchführbarkeit und Sicherheit untersuchen. Wenige Artikel
gingen auf die Kosteneffizienz der VATS-Resektion im Vergleich zur
konventionellen offenen Lungenresektion ein. Des Weiteren ist aufgefallen, dass
die verschiedenen VATS-Techniken einer klaren Definition bedürfen. So
wurden auch videoassistierte Lungenresektionen über eine Minithorakotomie
in dieser Übersichtsarbeit als VATS-Resektionen mit eingeschlossen. Nur
wenige Publikationen gehen auf die Qualität der geforderten
Lymphknotendissektion ein. Mithin sind die Publikationen kaum vergleichbar.
Eingeschlossen wurden komplett videoassistierte VATS-Eingriffe
sowie videoassistierte Lungenresektionen über eine Minithorakotomie und
als VATS-Resektionen zusammengefasst.
7.2.1.7.1 Effektivität
Zur Effektivität der VATS-Lobektomie wurden 6
retrospektive Studien berücksichtigt [474 ]
[475 ]
[476 ]
[477 ]
[478 ]
[479 ]. Leider gibt es keine publizierte randomisierte
Studie zu diesem Thema. Alle Studien haben Patienten im Stadium I untersucht
und die VATS-Resektion mit offenen Lungenresektionen hinsichtlich
Überlebensrate analysiert. Die 5-Jahres-Überlebensrate nach
VATS-Resektion bei nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen im Stadium IA betrug
zwischen 63 %und 93 %. Da jedoch die meisten
Studien besondere Selektionskriterien zur VATS-Resektion beinhalten sowie
z. B. eine Tumorgröße von < 5 cm, ist davon
auszugehen, dass hier ein hochselektioniertes Kollektiv mittels VATS therapiert
wurde. Es existiert eine prospektive, randomisierte Studie für das Stadium
IA, die die 5-Jahres-Überlebensrate in Abhängigkeit von den beiden
Verfahren untersucht [480 ]. Sie zeigt keinen
signifikanten Überlebensunterschied (85 % vs.
90 % nach VATS-Lobektomie, p = 0,46)
(Evidenzgrad 1b). Ein Kritikpunkt ist, dass nicht in alle Studien systematische
Lymphadenektomien, sondern lediglich Lymphknotenbiopsien zur Anwendung kamen
(Evidenztab. 7.2.1.7.1).
7.2.1.7.2 Morbidität
Der intra- und postoperative Verlauf, einschließlich
Komplikationen allein durch die VATS-Technik, wurde in allen der o. g.
Studien untersucht. Zusätzlich gibt es eine prospektive, randomisierte
Studie, welche die VATS-Lobektomie mit der muskelsparenden Thorakotomie mit
Lobektomie vergleicht. Hierbei fanden sich keine Unterschiede bezüglich
Operationszeit, intraoperativer Komplikationen oder Blutverlust zwischen den
beiden Techniken (Evidenzgrad 1b) [481 ]. Eine weitere
randomisierte Studie zeigte ebenfalls keine signifikanten Unterschiede
bezüglich Komplikationen und postoperativer Lungenfunktion zwischen
VATS-Lobektomie und Thorakotomie mit Lobektomie, jedoch fanden sich
signifikante Unterschiede im postoperativen Schmerz innerhalb der ersten 8
Tage, gemessen an einer visuellen Analogskala [482 ]
(Evidenztab. 7.2.1.7.1.).
7.2.1.7.3 Schlussfolgerung
Die VATS-Lobektomie scheint im Vergleich zur konventionellen
offenen Lobektomie eine genauso sichere Operationstechnik mit gleicher
Morbidität und Letalität zu sein. Hinsichtlich der erwarteten
Vorteile der VATS-Lobektomie gibt es wenig Beweise. So liegt z. B. keine
bessere Lungenfunktion nach VATS vor, und der Krankenhausaufenthalt ist auch
nicht kürzer [482 ]
[483 ].
Ein Vorteil ist der frühe postoperative Schmerz, welcher nach
VATS-Resektion signifikant geringer ist als nach Thorakotomie. Hierbei ist
jedoch zu bedenken, dass bei dieser Evidenzgrad-1-Studie [482 ] bei den Thorakotomien keine
Peridualkatheteranästhesie verwendet wurde. Es ist wichtig, dass auch bei
VATS-Techniken die systematische Lymphadenektomie durchgeführt wird, und
zwar genauso sorgfältig wie bei offenen Operationen (vergleiche 2.1.5.
Lymphknotendissektion). Die Überlebensanalysen basieren lediglich auf
retrospektiven Studien, zeigen aber eine Überlebensrate vergleichbar mit
der von offenen Lungenresektionen (Evidenzgrad 3b), wobei die Patienten mit
VATS-Resektion hier sicherlich eine hochselektionierte Gruppe darstellen. Zur
weiteren Evaluation sind hier prospektive, randomisierte Studien
erforderlich.
7.2.1.8 Inkomplette (R1-/R2-) Resektion
Im Fall einer inkompletten Resektion (R1/R2-Situation) sollte
– wenn möglich – eine Nachresektion mit dem Ziel der
R0-Resektion erfolgen. Ist diese nicht möglich, wird trotz fehlender
vergleichender Daten eine Strahlentherapie in konventioneller Fraktionierung
(60 Gy in 6 Wochen) empfohlen. Aufgrund der generellen Wirksamkeit der
Bestrahlung für die Reduktion lokaler Rezidive kann diese bei
Brustwandinfiltration, trotz histologisch dokumentierter R0-Resektion, im
Einzelfall infrage kommen (Tumorlokalisation bzw. Nähe zum Resektionsrand
[484 ].
7.2.1.9 Zusammenfassung
Die Vollständigkeit der Resektion scheint für
Stadium IA bis IIB der wichtigste Prognosefaktor zu sein. Die vollständige
ipsilaterale Lymphknotendissektion (systematische Lymphadenektomie) ist im
Rahmen aller Eingriffe mit kurativer Zielsetzung fester Bestandteil der
Operation, da für das Staging unverzichtbar. Limitierte Resektionen
sollten Patienten mit eingeschränkter kardio-pulmonaler Reserve
vorbehalten bleiben. Die videoassistierte thorakoskopische Lungenresektion ist
in technischer Hinsicht als sicher einzustufen, der Patientenkomfort ist
höher als nach offenen Eingriffen. Eine Überlegenheit in Bezug auf
die Überlebensraten ist bisher nicht bekannt. Die Manschettenresektion
sollte nicht nur bei funktionell eingeschränkten Patienten falls
möglich der Pneumonektomie vorgezogen werden, da sie durch Parenchymerhalt
die spezifischen Komplikationen und Spätfolgen der Pneumonektomie
verhindert. Bei einer Brustwandinfiltration stellt die Radikalität der
Brustwandresektion einen signifikanten prognostischen Faktor dar. Bei einer
Pleurainvasion ohne Rippeninfiltration ist eine extrapleurale Lyse erlaubt und
bei tieferer Infiltration eine Vollwandresektion erforderlich.
Empfehlungen
• Bei adäquater Lungenfunktion und fehlenden
Kontraindikationen wird im Stadium I/II eine radikale Resektion empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Im Stadium I/II ist bei ausreichender
kardiopulmonaler Funktion die Lappenresektion der empfohlene Resektionstyp
(Empfehlungsgrad A).
• Sollte eine Lappenresektion aufgrund von
Komorbiditäten oder Lungenfunktionseinschränkung nicht möglich
sein, wird eine parenchymsparende Resektion oder eine definitive
Strahlentherapie empfohlen. Die Festlegung der Therapie bedarf der
interdisziplinären Entscheidung unter Beteiligung von
Entscheidungsträgern mit hinreichender Erfahrung (Empfehlungsgrad D).
• Primäres Therapieziel sollte die radikale
Resektion mit einem ausreichend freien Resektionsrand sein (Empfehlungsgrad
A).
• Bei allen operierten Patienten ist eine systematische
Lymphknotendissektion erforderlich, um ein genaues Staging zu ermöglichen
und um möglicherweise die Prognose zu verbessern (Empfehlungsgrad C).
• Manschettenresektionen werden für Patienten
empfohlen, bei denen angesichts der Tumorausdehnung eine parenchymsparende
Resektion möglich ist (Empfehlungsgrad D).
• Bei Lungenkarzinomen mit Brustwandinfiltration ist
eine R0-Situation entscheidend. Bei einer Pleurainvasion ohne
Rippeninfiltration ist eine extrapleurale Lyse erlaubt und bei tieferer
Infiltration eine Vollwandresektion obligat (Empfehlungsgrad D).
• Bei Brustwandinfiltration kann trotz histologisch
dokumentierter R0-Resektion, aufgrund der Tumorlokalisation bzw. Nähe zum
Resektionsrand, eine postoperative Bestrahlung im Einzelfall erwogen werden
(Empfehlungsgrad D).
• Bei R1-Resektion sollte, wenn möglich, die
Nachresektion erfolgen. Ist eine Nachresektion nicht möglich wird die
volldosierte Nachbestrahlung des OP-Bettes (etwa 60 Gy in 6 Wochen)
empfohlen: Die Entscheidung zum bestmöglichen Vorgehen sollte
interdisziplinär unter Beteiligung von Entscheidungsträgern mit
hinreichender Erfahrung erfolgen (Empfehlungsgrad D).
• Im Stadium I zeigt die VATS-Lobektomie im Vergleich
zur konventionellen offenen Lobektomie im Hinblick auf Morbidität und
Letalität keinen Unterschied. Da weitere Vorteile der VATS-Lobektomie
bisher nicht gesichert sind, wird derzeit nicht empfohlen, diese der
konventionellen Lobektomie vorzuziehen (Empfehlungsgrad B).
7.2.2 Präoperative Chemotherapie
Die neoadjuvante Chemotherapie zur präoperativen
Tumorreduktion als Bestandteil der „multimodalen” Therapie ist
bislang überwiegend im Stadium III untersucht worden. In einer
randomisierten Studie zeigte sich in der Multivarianzanalyse ein signifikanter
Überlebensvorteil zugunsten einer neoadjuvanten Chemotherapie für
Patienten im Stadium N0 oder N1 (p = 0,027, RR: 0,68)
jedoch nicht für Patienten im Stadium N2 (p = 0,85,
RR: 1,04) [485 ]. In zwei weiteren randomisierten
Phase-III-Studien wurde die Effektivität einer neoadjuvanten Chemotherapie
bei Patienten mit einem NSCLC im Stadium I – IIIA
geprüft, wobei die meisten Patienten sich im Stadium I und II befanden.
Während in der einen Studie weder für die progressionsfreie
Überlebenszeit (HR 0,98; 95 % CI 0,77, 1,23) noch für
die Gesamtüberlebenszeit (HR 1,04, 75 % CI 0,81, 1,35) ein
Vorteil zugunsten einer präoperativen Chemotherapie gezeigt werden konnte
[486 ], wurde in der anderen Studie ein Trend zu einer
Verlängerung der progressionsfreien Überlebenszeit im
Chemotherapiearm beobachtet (Med. PFS: 33 M versus 21 M,
präop. Chemotherapie + Operation versus Operation, HR 0,79,
75 % CI 0,60, 1,04), wobei die Gesamtüberlebenszeit
vergleichbar war (HR 0,83; 75 % CI 0,61, 1.14)
[487 ] (Evidenztab. 7.2.2).
Empfehlungen
• Im Stadium I führte eine präoperative
Chemotherapie in randomisierten Studien bislang weder zu einer
Verlängerung der rezidivfreien noch der Gesamtüberlebenszeit und wird
deshalb außerhalb von Studien nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Gleichermaßen war in randomisierten Studien
für das Stadium II – allerdings bei nicht ausreichender
Patientenzahl in diesem Stadium, um einen signifkanten Effekt nachzuweisen
– weder eine Verlängerung der rezidivfreien noch der
Gesamtüberlebenszeit für eine präoperative Chemotherapie
nachzuweisen. Daher wird außerhalb von Studien keine Empfehlung
ausgesprochen (Empfehlungsgrad B).
7.2.2.1 Empfehlungen für die künftige
Therapieentwicklung
Im Rahmen der Untersuchung von neuen, zielgerichteten
Medikamenten erscheint die präoperative Untersuchung vielversprechend, da
hier anhand von prä- und posttherapeutischen Gewebeentnahmen Gewebeprofile
und möglicherweise spezifische Gewebemarker detektiert werden
könnten.
7.2.3 Postoperative Chemotherapie
7.2.3.1 Indikation/Patientenselektion
Die Ergänzung der Operation durch eine postoperative
zytotoxische Chemotherapie oder durch orales Tegafur-Uracil (UFT) ist ein breit
untersuchter Ansatz zur systemischen Behandlung von Mikrometastasen und zur
Senkung der Rezidivrate. Ein älteres Verfahren ist die Stimulation des
Immunsystems durch Instillation von modifizierten BCG-Keimen, wobei die
Toxizität dieser Behandlung beträchtlich war und keine signifikante
Verlängerung des Überlebens erzielt werden konnte
[488 ]
[489 ].
Die Wirksamkeit einer adjuvanten Chemotherapie wurde in einer
Reihe von randomisierten Studien untersucht. Darüber hinaus liegt eine
zusammenfassende Auswertung der Daten in Form von 2 Metaanalysen vor, von denen
eine bisher jedoch nur als Abstract publiziert wurde [490 ]
[491 ].
In 2 Studien wurde eine kombinierte adjuvante
Chemoradiotherapie gegen eine alleinige adjuvante Strahlentherapie untersucht
[465 ]
[492 ].
In mehreren Studien wurden die Ergebnisse möglicherweise
durch die Verwendung von alten Chemotherapiekombinationen beeinflusst
[492 ]
[493 ]
[494 ]
[495 ]
[496 ]
[497 ].
7.2.3.2 Effektivität
In drei randomisierten Phase-III-Studien wurde eine
signifikante Verlängerung des Überlebens durch eine adjuvante
Chemotherapie beobachtet mit einem Anstieg der 5-Jahres-Überlebensrate von
4,1 % bis 15 % (HR
0,69 – 0,86). Weiterhin zeigte sich in diesen Studien eine
signifikante Verlängerung der tumorfreien Überlebenszeit mit einem
Anstieg der 5-Jahres-Rate an tumorfreiem Überleben von 5,1 %
bis 12 % (HR 0,6 – 0,8) [498 ]
[499 ]
[500 ]. In 2 Metaanalysen wurde eine signifikante Steigerung
der 5-Jahres Überlebensrate um
4 % – 4,2 % (HR
0,87 – 0,89) durch eine cisplatinhaltige Chemotherapie
bestätigt [490 ]
[501 ]
(Evidenzgrad 1a).
Mehrere Studien, in denen keine Verlängerung der
Überlebenszeit durch eine adjuvante Chemotherapie beobachtet worden war,
zeigten dennoch eine signifikante Verlängerung der tumorfreien
Überlebenszeit zugunsten der adjuvanten Chemotherapie [492 ]
[493 ]
[502 ] (Evidenztab. 7.2.3.2).
7.2.3.3 Effektivität und Stadium
Der positive Effekt der adjuvanten Chemotherapie wurde
beobachtet bei Kollektiven mit Patienten im Stadium IB, II und IIIA inzidentell
(d. h. operativ diagnostizierter mediastinaler Lymphknotenbefall bei
unauffälliger zytologisch/histologisch oder bildgebender
präoperativer mediastinaler Diagnostik). Nicht geklärt ist die
Wirksamkeit der adjuvanten Chemotherapie im Stadium IB [499 ]
[500 ]. Subgruppenanalysen aus
Phase-III-Studien zeigten keine signifikante Verlängerung der
Überlebenszeit im Stadium IB. Darüber hinaus konnte in einer
Langzeitanalyse einer randomisierten Studie, die ausschließlich bei
Patienten im Stadium IB durchgeführt worden war, kein signifikanter
Einfluss der Chemotherapie auf die Überlebenszeit bestätigt werden,
im Gegensatz zu den früher publizierten 4-Jahres-Überlebensraten
[503 ]. Allerdings zeigte sich weiterhin eine
signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens von 78
auf 89 Monate (p = 0,03). Bestätigt wurden diese
Daten durch die Metaanalyse von Pignon mit einer signifikanten
Verlängerung der Überlebenszeit im Stadium II (HR 0,83) und komplett
reseziertem IIIA (HR 0,83), nicht jedoch im Stadium IA (HR 1,41) oder IB (HR
0,92) [501 ]. Demgegenüber stehen die Ergebnisse
einer randomisierten Phase-II-Studie mit signifikanter Verlängerung sowohl
von tumorfreier (p = 0,02) und Gesamtüberlebenszeit
(5-Jahres-Überlebensrate: 45 % versus 63 %,
p = 0,04) [504 ] und einer
monozentrischen randomisierten Phase-III-Studie ebenfalls mit signifikanter
Verlängerung der tumorfreien (p = 0,0001) und
Gesamtüberlebenszeit (5-Jahres-Überlebensrate: 42 %
versus 62 %, p = 0,02) [497 ].
Zusammenfassend sollte die Indikation zur adjuvanten
Chemotherapie im Stadium IB individuell unter Berücksichtigung von Alter,
Komorbidität und Komplikationen der vorangegangenen Operation erfolgen
(Evidenztab. 7.2.3.2).
7.2.3.4 Auswahl der Medikamente und
Komorbidität
In den drei positiven Studien zur adjuvanten Chemotherapie
wurden cisplatinhaltige Chemotherapien durchgeführt. 65 %
der Patienten haben Vinorelbin als Kombinationspartner erhalten. Aufgrund von
unterschiedlichen Toxizitäten lag die mediane Dosisintensität
für Cisplatin bei 80 % der geplanten
100 mg/m2 und bei
50 % – 60 % der geplanten
25 – 30 mg/m2 für Vinorelbin
[498 ]
[499 ]
[500 ].
Unverträglichkeiten, die zu einer signifikanten
Dosisreduktion der Chemotherapie in der NCIC-JBR.10-Studie führten, wurden
bei älteren Patienten, Patienten mit Z. n. Pneumektomie und Frauen
verzeichnet [505 ].
In einer weiteren Studie wurde die Kombination von Carboplatin
(AUC 5) und Paclitaxel (200 mg/m2 ) im Stadium IB verwendet.
Allerdings zeigte diese Studie keinen signifikanten Überlebensvorteil
zugunsten einer adjuvanten Chemotherapie [503 ].
Aufgrund der aktuellen Datenlage ist eine cisplatinbasierte
Chemotherapie zu empfehlen, wobei die größte Evidenz für die
Kombination mit Vinorelbin vorliegt. Die Startdosis für Cisplatin sollte
bei 75 – 80 mg/m2 liegen. Die mit der
Chemotherapie assoziierte Letalität liegt in der Größenordnung
von 1 – 1,5 %.
Der Therapiebeginn sollte nach abgeschlossener Wundheilung und
entsprechender postoperativer Erholung des Patienten (ECOG
0 – 1 vor Therapiebeginn, s. [Tab. 4 ]) in den ersten 60 Tagen nach der Operation
erfolgen.
Eine sorgfältige Risikoabwägung ist bei Patienten
mit Z. n. Pneumektomie durchzuführen, da bei diesen Patienten das
Komplikationsrisiko besonders hoch war [499 ]
[505 ]. Unter Berücksichtigung der kardialen Belastung
durch die obligaten Prä- und Posthydrationen sind ggf. modifizierte
Schemata der Cisplatingabe – wie die in der JBR.10-Studie gewählte
gesplittete Cisplatinapplikation an Tag 1 und 8
(40 – 50 mg/m2 ) – zu favorisieren
[506 ] (Evidenztab. 7.2.3.2).
7.2.3.5 UFT
Der orale Antimetabolit Tegafur/Uracil (UFT) wurde in Japan
aufgrund seiner guten Verträglichkeit in der adjuvanten Therapie von
Patienten mit frühen Tumorstadien breit untersucht. Mehrere randomisierte
Phase-III-Studien zeigten unterschiedliche und teilweise widersprüchliche
Ergebnisse bezüglich der Effektivität von UFT [507 ]
[508 ]
[509 ]
[510 ]
[511 ]. Eine Metaanalyse von 2082 Patienten erbrachte einen
signifikanten Überlebensvorteil zugunsten einer adjuvanten Therapie mit
UFT mit einem Anstieg der 5-Jahres Überlebensrate von 72.2 %
auf 81.8 % (HR 0,74, p = 0,001). Dieser
Überlebensvorteil zeigte sich durchgängig in allen untersuchten
Subgruppen unabhängig vom Stadium (T1 und T2), Alter, Geschlecht und
Histologie [512 ] (Evidenzgrad 1a).
Weitere randomisierte Studien mit eingeschränkter
Aussagekraft aufgrund begrenzter Patientenzahlen untersuchten die Wirksamkeit
einer Kombination von platinbasierter Chemotherapie und UFT versus UFT oder
alleiniger Beobachtung. In einer Studie wurde eine signifikante
Verlängerung von Überlebenszeit (p = 0,045) und
tumorfreier Überlebenszeit (p = 0,042) zugunsten
einer Kombination von UFT mit Chemotherapie versus Beobachtung verzeichnet
[508 ]. In allen anderen Studien zeigten sich keine
signifikanten Unterschiede [507 ]
[513 ] (Evidenztab. 7.2.3.2.).
Da UFT für die Behandlung des NSCLC in Europa nicht
zugelassen ist und keine Effektivitätsdaten für europäische
Kollektive vorliegen, kommt ein Einsatz von UFT außerhalb von Studien
nicht in Betracht.
7.2.3.6 Zusammenfassung
Eine adjuvante Chemotherapie mit einem cisplatinhaltigen
Regime führte in 3 randomisierten Studien bei Patienten im Stadium IB-IIIA
(inzidentell) zu einer signifikanten Verlängerung der Überlebenszeit
mit einem Anstieg der 5-Jahres-Überlebensrate von
4,1 % – 15 %. Dieser Effekt
wurde bestätigt durch zwei Metaanalysen, wobei die Datenlage im Stadium IB
nicht konsistent ist.
Bei älteren Patienten, Patienten mit Z. n.
Pneumonektomie und Patienten im reduzierten Allgemeinzustand war die
Verträglichkeit schlechter und die Dosis der applizierten Chemotherapie
erniedrigt, sodass auf diese Faktoren genauso wie auf ein postoperatives
Zeitintervall von maximal 60 Tagen zu achten ist.
Empfehlungen
• Nach R0-Resektion und systematischer
Lymphknotendissektion sollten Patienten im Stadium II bzw.
IIIA1 /IIIA2 (vgl. 7.4.1) in gutem Allgemeinzustand (ECOG
0/1) eine adjuvante Chemotherapie erhalten (Empfehlungsgrad A).
• Im Stadium IB wird eine individuelle
Therapieentscheidung unter Berücksichtigung der Komorbidität, des
Alters und der kardiopulmonalen Funktion empfohlen (Empfehlungsgrad D).
• Die adjuvante Chemotherapie sollte nach Abschluss der
Wundheilung innerhalb von 60 Tagen nach der Resektion beginnen (Empfehlungsgrad
D).
• In der adjuvanten Chemotherapie wird die Gabe einer
cisplatinhaltigen Kombination über 4 Zyklen empfohlen (Empfehlungsgrad A).
In der Mehrzahl der positiven Studien wurde eine Kombination mit Vinorelbin
verwendet.
• Bei Patienten mit bedeutsamer Komorbidität
aufgrund der vorangegangenen Resektion oder vorbestehender Erkrankungen wird
empfohlen, die adjuvante Chemotherapie in einer interdisziplinären
Behandlungsgruppe mit entsprechender Erfahrung in der Durchführung von
multimodalen Therapien durchführen zu lassen (Empfehlungsgrad D).
7.2.3.7 Empfehlungen für die künftige
Therapieentwicklung
Für die zukünftige Therapieentwicklung sollte die
Effektivität der adjuvanten Chemotherapie bei potenziellen Risikogruppen
(ältere Patienten, Patienten im reduzierten Allgemeinzustand, Patienten
mit Zustand nach Pneumonektomie) unter Berücksichtigung von
Komorbidität und kardiopulmonaler Funktionalität prospektiv evaluiert
werden wie auch die Effektivität von neuen, zielgerichteten
Therapieansätzen.
7.2.4 Postoperative Radiotherapie und
Radio-/Chemotherapie
7.2.4.1 Indikation/Patientenselektion
Die postoperative Strahlentherapie ist eine der ältesten
supplementären Therapien nach Resektion des NSCLC. In einer
Cochrane-Analyse wurde die Effektivität und Toxizität der adjuvanten
Radiotherapie anhand der Daten von 2232 Patienten aus 10 randomisierten Studien
bzw. anhand der publizierten Studien untersucht [514 ].
Der Stellenwert einer simultanen postoperativen Chemoradiotherapie wurde in
einer randomisierten und in einer nicht randomisierten Studie sowie in einer
retrospektiven Analyse untersucht [515 ]
[516 ]
[517 ] (Evidenztab.
7.2.4.1).
7.2.4.2 Effektivität
Die randomisierten Studien zur Radiotherapie, die in der
initialen PORT-Metaanalyse aus dem Jahre 1998 zusammengefasst wurden und den
Hauptteil der verfügbaren Evidenz ausmachen, rekrutierten Patienten
zwischen 1965 und 1995 mit dem Hauptteil der Patienten in den 70er- und
80er-Jahren und verwendeten eine heute veraltete Strahlentherapietechnik. In
der adjuvanten Situation wurden Strahlendosen von
30 – 60 Gy in 10 – 30 Fraktionen
verwendet. Ein Überlebensvorteil wurde in diesen Studien für die
postoperative Strahlentherapie nicht gefunden. Wohl durch die
therapieassoziierte Morbidität wurden die Überlebensraten durch die
postoperative Strahlentherapie in der Gesamtanalyse der Patienten im Stadium
I – III tendenziell und in der letzten Analyse von 2006
nicht signifikant vermindert (HR 1,1 (1,00 – 1,22,
p = 0,058)). In einer Subgruppenanalyse war dieser Effekt
am deutlichsten im Stadium I (HR 1,42 (1,16 – 1,75)) und im
Stadium II (HR 1.26 (1,04 – 1,52)), nicht aber im Stadium
III (HR 0,97 (0,57 – 1,47)) ausgeprägt. Es gab
signifikante Inkonsistenzen zwischen den Resultaten der verschiedenen Studien
im Stadium I und II. Die letzte in der initialen PORT-Metaanalyse von 1998 noch
nicht eingeschlossene italienische Studie [518 ] zeigte
mit moderner Strahlentherapietechnik einen signifikanten Vorteil bezüglich
des rezidivfreien Überlebens bei Patienten im Stadium I (Evidenzgrad
2b).
Im Stadium III und bei Nachweis von N2-Lymphknotenmetastasen
wurde das Überleben nicht negativ beeinflusst (Stadium III: HR 0,97, N2:
HR: 0,96) (Evidenzgrad 1a). In der initialen PORT-Metaanalyse wurde gefunden,
dass das lokale Rezidivrisiko durch die postoperative Strahlentherapie gesenkt
werden kann. Während keine signifikante Verlängerung der
Überlebenszeit oder der progressionsfreien Überlebenszeit durch eine
simultane Chemoradiotherapie im Vergleich mit einer alleinigen Strahlentherapie
im Gesamtkollektiv gezeigt werden konnte, gab es Hinweise, dass
möglicherweise Patienten im Stadium III von diesem multimodalen
Therapiekonzept profitierten [516 ]. Dies folgt auch aus
einer Subgruppenanalyse der IALT Studie [498 ]. Eine
Auswertung der Eastern Cooperative Oncology Group Study E3590 und der
italienischen Studie von Trodella et al. zeigte, dass die postoperative
Strahlentherapie mit modernerer Technik und eng begrenzten Zielvolumina nicht
zu einem erhöhten Risiko von späten, nicht tumorbedingten
Todesfällen führt. Nach Daten von retrospektiven und prospektiven,
randomisierten Studien über die lokoregionale Effektivität der
postoperativen Strahlentherapie wird diese im Stadium IIIA, einem individuell
als hoch eingestuften Lokalrezidivrisiko oder nach R1/R2-Resektion im
Einzelfall – bei Verwendung strahlentherapeutischer Methoden mit
möglichst geringer Lungenbelastung – empfohlen [519 ]
[520 ] (Evidenztab.
7.2.4.1).
7.2.4.3 Zusammenfassung
Weder eine postoperative Radiotherapie noch eine postoperative
Chemoradiotherapie führen nach der vorliegenden Evidenz im Stadium I oder
II zu einer Verlängerung der Überlebens- bzw. der rezidivfreien
Überlebenszeit.
Empfehlungen
• Im Stadium I, II wird nach R0-Resektion eine
adjuvante Strahlentherapie nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Im Stadium I, II wird nach R0-Resektion eine
simultane adjuvante Chemoradiotherapie nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
7.2.5 Definitive Radiotherapie im Stadium I/II und T3N1M0
(IIIA)
7.2.5.1 Standardverfahren
7.2.5.1.1
Indikation/Patientenselektion
Chirurgie und Strahlentherapie sind bisher im Stadium I/II nur
durch nicht aussagekräftige Phase-II-Studien verglichen worden
[464 ]. Die Strahlentherapie ist die effektivste
Therapie des NSCLC im Stadium I/II bei „funktionell” inoperablen
Patienten. Die Bezeichnung „funktionell” inoperable Patienten
umfasst sowohl Patienten, die aufgrund ihrer Lungenfunktionseinschränkung
wie auch aufgrund von bestehender Komorbidität oder Alter einem radikalen
thoraxchirurgischen Eingriff nicht zugänglich sind.
In einer systematischen Review und einer Cochrane-Analyse
wurde der Einfluss einer definitiven Strahlentherapie auf Tumoransprechen,
rezidivfreie Überlebenszeit und Gesamtüberlebenszeit evaluiert.
Darüber hinaus wurde in verschiedenen nicht randomisierten
Phase-II-Studien die Durchführbarkeit und Effektivität einer
konformalen stereotaktisch oder bildgeführten hypofraktionierten
Strahlentherapie bei inoperablen Patienten im Stadium I geprüft
[521 ] (Evidenztab. 7.2.5.1.1).
7.2.5.1.2 Effektivität
Eine strukturierte Literaturrecherche ermittelte 21
Publikationen mit insgesamt über 1800 Patienten, die bei medizinischer
Inoperabilität im Stadium I/(II) primär bestrahlt wurden. Das mediane
Überleben betrug > 30 Monate und das 5-Jahres-Überleben bis
30 %. Dosen über 65 Gy zeigten eine bessere lokale
Effektivität, wobei Lokalrezidive weiterhin im Vordergrund standen
[522 ]. Mit der konventionell fraktionierten
Strahlentherapie bis 60 – 70 Gy werden lokale
Tumorkontrollraten um 50 % im Stadium I erzielt (Evidenzgrad 3a).
Hingegen werden mit der stereotaktischen oder bildgeführten,
hypofraktionierten Strahlentherapie im Stadium I bei deutlich höherer
biologisch effektiver Dosis lokale Tumorkontrollraten von
70 – 100 % erzielt. Mit diesen letzteren
Verfahren der Präzisionsstrahlentherapie werden sehr hohe biologisch
wirksame Dosen auf den Tumor und einen kleinen, den Tumor umgebenden
Sicherheitssaum appliziert. Die Einzeldosen betragen typischerweise
> 10 Gy bei fraktionierter Bestrahlung oder mindestens
25 Gy bei Einzeitbestrahlung. Damit sind die erzielbaren lokalen
Tumorkontrollraten sehr gut.
Auch das Ergebnis der CHART-Studie zeigt, dass mit einer
Intensivierung der Strahlentherapie im Stadium I/II, dort mit einer
hyperfraktionierten akzelerierten Bestrahlung bis 54 Gy in 36 Fraktionen
über 12 Tage, im Vergleich zu einer konventionellen Bestrahlung mit
60 Gy in 30 Fraktionen über 42 Tage beobachtet eine Verbesserung
der Überlebenszeit erzielt werden kann [521 ]
(Evidenztab. 7.2.5.1.1).
7.2.5.1.3 Morbidität
Komorbidität als prognosebestimmender Faktor wurde in den
durchgeführten Studien bislang kaum erfasst. Allerdings zeigte sich eine
deutliche Korrelation zwischen Allgemeinzustand und Überlebenszeit mit
einer medianen Überlebenszeit von 23 – 24 Monaten bei
Patienten mit ECOG 0,1 oder Karnofsky über 90 % (s.
[Tab. 4 ]) versus 6 – 13
Monaten bei Patienten mit ECOG ≥ 2 oder Karnofsky
≤ 80 % [521 ] (Evidenztab.
7.2.5.1.1).
7.2.5.1.4 Dosis und Fraktionierung
Obwohl sowohl Dosis wie auch Fraktionierung einen Einfluss auf
die Prognose zu haben scheinen, liegen wenig randomisierte Daten zur
Prüfung der Dosis vor. Nachdem die hyperfraktionierte, akzelerierte
Strahlentherapie sich einer konventionell fraktionierten Strahlentherapie in
Bezug auf Verlängerung der Überlebenszeit als überlegen gezeigt
hat, ist diese Form der Strahlentherapie zu präferieren. Ansonsten wurden
die besten Ergebnisse bei konventioneller Dosierung mit Dosen von 60 Gy
oder mehr beobachtet [521 ] (Evidenzgrad 3a).
7.2.5.1.5 Strahlentherapie des
Mediastinums
Im Stadium I und II gibt es keine Evidenz, dass durch eine
elektive Mediastinalbestrahlung die Prognose verbessert werden kann
[521 ]. Wird auf die Mediastinalbestrahlung, wie auch in
der CHART-Studie durchgeführt, verzichtet, sollte ein Mediastinalbefall
mit sehr sensitiven Methoden (FDG-PET oder Mediastinoskopie oder EBUS; vgl.
Kapitel 5. Diagnostik) ausgeschlossen werden.
7.2.5.2 Stereotaktische Radiotherapie
In mehreren kleineren, prospektiven, nicht randomisierten
Studien wurde eine hochkonformale Strahlentherapie unter Verwendung multipler
Einstrahlrichtungen bei Patienten im Stadium I untersucht. Dabei wurde die
Präzision durch eine stereotaktische oder bildbasierte
Patientennavigation, teilweise mit Atemtriggerung sichergestellt. Aufgrund des
auf den Primärtumor beschränkten Zielvolumens ist ein bildgebender
(PET) und ggf. mediastinoskopischer Ausschluss eines Lymphknotenbefalls zu
erwägen.
Untersuchte Fraktionierungsschemata sind:
3 × 20 Gy verschrieben auf die das Zielvolumen
umschließende 80 % Isodosenfläche [523 ], 3 × 12,5 Gy auf die das
Zielvolumen umschließende 60 – 65 %
Isodose [524 ]
[525 ] oder
1 × 26 Gy dosiert auf das Isozentrum
[526 ]. Die Toxizitätsrate dieses Verfahrens war
gering [526 ]
[527 ]
[528 ]
[529 ]. Die erreichten
Tumorkontrollraten liegen zuverlässig oberhalb von 80 %. Die
Überlebensraten werden im Wesentlichen durch die Komorbidität
bestimmt. In der bisher größten Serie mit ausreichender
Nachbeobachtung (retrospektive Review von 257 multizentrisch behandelten
Patienten im Stadium I) betrug die Rate an lokaler Progression
8,4 %, wenn eine biologisch effektive Dosis größer
100 Gy gegeben wurde. Das 5-Jahres-Überleben medizinisch operabler
Patienten lag bei 70 % [530 ] (Evidenztab.
7.2.5.1.1) (Evidenzgrad 3b).
7.2.5.3 Zusammenfassung
Die perkutane Strahlentherapie des NSCLC ist die Therapie der
Wahl bei Patienten im Stadium I und II, die aufgrund von pulmonaler
Funktionseinschränkung oder anderen Begleiterkrankungen nicht für
eine Operation in Betracht kommen. Dabei sollte die biologisch effektive Dosis
höher als 60 Gy in konventioneller Fraktionierung sein. Die
konventionelle Fraktionierung, die hyperfraktionierte Akzelerierung (CHART)
und
die Hypofraktionierung bei der stereotaktischen Strahlentherapie sind
etablierte Fraktionierungsschemata. Die publizierten Daten zeigen eine hohe
lokale Kontrolle (> 80 %) speziell nach
stereotaktischer Bestrahlung.
Empfehlungen
• Für Patienten im Stadium I/II, die aufgrund
ihrer eingeschränkten Lungenfunktion oder Komorbidität nicht operabel
sind, wird eine definitive, lungenparenchymsparende Strahlentherapie empfohlen
(Empfehlungsgrad C).
• Inoperable Patienten im Stadium I/II sollten mit
konventioneller Fraktionierung eine Gesamtdosis von > 60 Gy
erhalten oder nach dem CHART Regime (hyperfraktionierte, akzelerierte
Radiotherapie) behandelt werden (Empfehlungsgrad B).
• Eine zusätzliche Bestrahlung des Mediastinums im
klinischen Stadium I/II ist nicht notwendig (Empfehlungsgrad D).
• Bei inoperablen Patienten im Stadium
T1 – 3N0 sollte die Indikation für eine adäquat
dosierte stereotaktische Strahlentherapie geprüft werden (Empfehlungsgrad
C).
7.2.6 Zusammenfassende Empfehlungen zur Therapie im Stadium
I/II und T3N1M0 (IIIA)
Empfehlungen
• Bei adäquater Lungenfunktion und fehlenden
Kontraindikationen wird im Stadium I/II eine radikale Resektion empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Im Stadium I/II ist bei ausreichender kardiopulmonaler
Funktion die Lappenresektion der empfohlene Resektionstyp (Empfehlungsgrad
A).
• Sollte eine Lappenresektion aufgrund von
Komorbiditäten oder Lungenfunktionseinschränkung nicht möglich
sein, wird eine parenchymsparende Resektion oder eine definitive
Strahlentherapie empfohlen. Die Festlegung der Therapie bedarf der
interdisziplinären Entscheidung unter Beteilgung von
Entscheidungsträgern mit hinreichender Erfahrung (Empfehlungsgrad D).
• Primäres Therapieziel sollte die radikale
Resektion mit einem ausreichend tumorfreien Resektionsrand sein
(Empfehlungsgrad A).
• Bei allen operierten Patienten ist eine systematische
Lymphknotendissektion erforderlich, um ein genaues Staging zu ermöglichen
und um möglicherweise die Prognose zu verbessern (Empfehlungsgrad C).
• Manschettenresektionen werden für Patienten
empfohlen, bei denen angesichts der Tumorausdehnung eine parenchymsparende
Resektion möglich ist (Empfehlungsgrad D)
• Bei Lungenkarzinomen mit Brustwandinfiltration ist eine
R0-Situation entscheidend. Bei einer Pleurainvasion ohne Rippeninfiltration
ist
eine extrapleurale Lyse erlaubt und bei tieferer Infiltration eine
Vollwandresektion obligat (Empfehlungsgrad D).
• Bei Brustwandinfiltration kann trotz histologisch
dokumentierter R0-Resektion aufgrund der Tumorlokalisation bzw. Nähe zum
Resektionsrand eine postoperative Bestrahlung im Einzelfall erwogen werden
(Empfehlungsgrad D).
• Bei R1-Resektion sollte, wenn möglich, die
Nachresektion erfolgen. Ist eine Nachresektion nicht möglich, wird die
volldosierte Nachbestrahlung des OP-Bettes (etwa 60 Gy in 6 Wochen)
empfohlen: Die Entscheidung zum bestmöglichen Vorgehen sollte
interdisziplinär unter Beteiligung von Entscheidungsträgern mit
hinreichender Erfahrung erfolgen (Empfehlungsgrad D).
• Im Stadium I zeigt die VATS-Lobektomie im Vergleich zur
konventionellen offenen Lobektomie im Hinblick auf Morbidität und
Letalität keinen Unterschied. Da weitere Vorteile der VATS-Lobektomie
bisher nicht gesichert sind, wird derzeit nicht empfohlen, diese der
konventionellen Lobektomie vorzuziehen (Empfehlungsgrad B).
• Im Stadium I führte eine präoperative
Chemotherapie in randomisierten Studien bislang weder zu einer
Verlängerung der rezidivfreien noch der Gesamtüberlebenszeit und wird
deshalb außerhalb von Studien nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Gleichermaßen war in randomisierten Studien
für das Stadium II – allerdings bei nicht ausreichender
Patientenzahl in diesem Stadium, um einen signifkanten Effekt nachzuweisen
– weder eine Verlängerung der rezidivfreien noch der
Gesamtüberlebenszeit für eine präoperative Chemotherapie
nachzuweisen. Daher wird außerhalb von Studien keine Empfehlung
ausgesprochen (Empfehlungsgrad B).
• Nach R0-Resektion und systematischer
Lymphknotendissektion sollten Patienten im Stadium II bzw.
IIIA1 /IIIA2 (vgl. 7.4.1) in gutem Allgemeinzustand (ECOG
0/1) eine adjuvante Chemotherapie erhalten (Empfehlungsgrad A).
• Im Stadium IB wird eine individuelle
Therapieentscheidung unter Berücksichtigung der Komorbidität, des
Alters und der kardiopulmonalen Funktion empfohlen (Empfehlungsgrad D).
• Die adjuvante Chemotherapie sollte nach Abschluss der
Wundheilung innerhalb von 60 Tagen nach der Resektion beginnen (Empfehlungsgrad
D).
• In der adjuvanten Chemotherapie wird die Gabe einer
cisplatinhaltigen Kombination über 4 Zyklen empfohlen (Empfehlungsgrad A).
In der Mehrzahl der positiven Studien wurde eine Kombination mit Vinorelbin
verwendet.
• Bei Patienten mit bedeutsamer Komorbidität
aufgrund der vorangegangenen Resektion oder vorbestehender Erkrankungen wird
empfohlen, die adjuvante Chemotherapie in einer interdisziplinären
Behandlungsgruppe mit entsprechender Erfahrung in der Durchführung von
multimodalen Therapien durchführen zu lassen (Empfehlungsgrad D).
• Im Stadium I/II wird nach R0-Resektion eine adjuvante
Strahlentherapie nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Im Stadium I/II wird nach R0-Resektion eine simultane
adjuvante Chemoradiotherapie nicht empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Für Patienten im Stadium I/II, die aufgrund ihrer
eingeschränkten Lungenfunktion oder Komorbidität nicht operabel sind,
wird eine definitive, lungenparenchymsparende Strahlentherapie empfohlen
(Empfehlungsgrad C).
• Inoperable Patienten im Stadium I/II sollten mit
konventioneller Fraktionierung eine Gesamtdosis von > 60 Gy
erhalten oder nach dem CHART-Regime (hyperfraktionierte akzelerierte
Radiotherapie) behandelt werden (Empfehlungsgrad B).
• Eine zusätzliche Bestrahlung des Mediastinums im
klinischen Stadium I/II ist nicht notwendig (Empfehlungsgrad D).
• Bei inoperablen Patienten im Stadium
T1 – 3N0 sollte die Indikation für eine adäquat
dosierte stereotaktische Strahlentherapie geprüft werden (Empfehlungsgrad
C).
7.2.7 Algorithmus Stadium I/II und T3N1M0
Abb. 8 Algorithmus zur
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium I/II und
T3N1M0.
7.3. Pancoast-Tumor
7.3.1 Therapiekonzept
7.3.1.1 Einleitung
Als Pancoast-Tumoren werden apikale Lungenkarzinome (T3 bzw.
T4) mit Pancoast-Syndrom (z. B. Infiltration von Plexus brachialis,
Ganglion stellatum, Rippen, Wirbelkörper) bezeichnet, die im Lungenapex
entstehen. Sie infiltrieren häufig die obere Thoraxwand mit Rippen und
Wirbelkörpern. Ein Wachstum in den Plexus brachialis, das Ganglion
stellatum und die subklavikulären Gefäße ist ebenfalls
häufig. Je nach den infiltrierten Strukturen können Armschmerzen,
Armparese, Hornersyndrom (23 % der Patienten) oder
Armvenenthrombosen das klinische Leitbild sein. Pancoast-Tumoren stellen eine
prognostisch eigenständige klinische Entität dar, die aber dennoch in
sich eine große klinische Heterogenität aufweist. Die entscheidenden
Faktoren dafür sind hierbei die unterschiedlichen Tumorstadien (IIB, IIIA,
IIIB), wobei dem mediastinalen Lymphknotenbefall eine dominante prognostische
Bedeutung zukommt. Aufgrund der Seltenheit dieses Krankheitsbildes gibt es
bislang keine prospektiv-randomisierten, klinischen Untersuchungen. Vor diesem
Hintergrund kommt den einerseits monozentrischen Daten aus großen
interdisziplinären Arbeitsgruppen bzw. den ersten multizentrischen
Phase-II-Untersuchungen aus Nordamerika (Southwest Oncology Group Trial 9416)
[531 ] die entscheidende therapeutische Relevanz zu
(Evidenzgrad 2b).
Trotz der ungünstigen Krankheitslokalisation im Sulcus
superior (Infiltration von: Plexus cervicalis und/oder brachialis, Brustwand,
Wirbelkörper, Rückenmark) ist die komplette Resektion des Tumors (R0:
mikroskopisch freie Resektatränder) von entscheidender Bedeutung für
die langfristige Prognose bei fehlendem Lymphknotenbefall. Eine
präoperative Radiotherapie kann als Induktionsbehandlung die lokale
Kontrolle durch Optimierung der kompletten Resektabilität weiter
verbessern. Aktuell hat die simultane Radiochemotherapie als
Induktionsbehandlung nach den Daten der multizentrischen Nordamerikanischen
Intergroup-Phase-II-Studie 9416 [531 ] (Evidenzgrad 2b)
zu einer deutlichen Verbesserung der lokalen Kontrollrate und des
Langzeitüberlebens geführt. Die R0/R1-Resektionsrate betrug
92 % mit 28 % pCR. Das mediane Überleben war
nach 2 Jahren nicht erreicht mit Ausbildung eines stabilen Plateaus. Diese
günstigen Daten sind mittlerweile in kleineren Kollektiven in Europa
[532 ] und Japan [533 ]
bestätigt worden (Evidenzgrad 3a). Das histopathologische Ansprechen
(pathologische CR) nach bimodaler Behandlung ist bei dieser Entität
typischerweise deutlich günstiger als bildgebend im CT vermutet.
Typischerweise werden präoperative
Strahlentherapiedosierungen zwischen 30 und 50 Gy eingesetzt. Die bisher
publizierten Daten umfassen einerseits konventionelle Fraktionierungsschemata
mit 1,8 bzw. 2 Gy pro die bis präferenziell 40 bis 50 Gy.
Andererseits sind dosisdichte Radiotherapieschemata mit hyperfraktioniert
akzelerierter Therapie (zweimal-tägliche Dosierung von 1,5 Gy) mit
durchaus günstiger Toxizität/Effektivität berichtet worden
[532 ].
Die eingesetzten Chemotherapieprotokolle umfassen die typische
Chemotherapiekombination aus Cisplatin und Etoposid. Mitomycinhaltige
Protokolle sind aufgrund berichteter perioperativer Toxizitätsdaten nicht
präferentiell einzusetzen [534 ]. Erste Daten zu
neuen Chemotherapiekombinationen (z. B. Cisplatin und
Taxol-Induktion/Cisplatin und Vinorelbin simultan) sind publiziert. Ein
optimales Behandlungsschema kann aus diesen Daten nicht definiert werden.
Präferenziell sollte aber Cisplatin der Kombinationspartner durch die
günstigeren simultanen Daten mit der Strahlentherapie sein.
Carboplatinbasierte Daten sind darüber hinaus für Pancoast-Tumoren
bisher nicht publiziert worden.
Nach den Daten des Southwest Oncology Group Trials 9416 stellt
die simultane Radiochemotherapie präoperativ den neuen Goldstandard in der
multimodalen Behandlung der Pancoast-Tumoren dar [531 ].
Dies gilt gleichermaßen für bid- (zwei Fraktionen pro Tag im Abstand
von >6 Stunden) wie qd- (eine Fraktion pro Tag) Schemata. Gewisser Vorteil
einer bid gegebenen Radiotherapie in diesem Zusammenhang sind die rasche
Durchführbarkeit der Behandlung innerhalb von ca. drei Wochen und damit
kurze Zeitintervalle bis zur definitiven Operation [532 ]. In einigen Studien wurden auch sequenzielle
Ansätze (Chemotherapie gefolgt von simultaner Radio-/Chemotherapie)
verfolgt.
7.3.1.2 Effektivität
In diese Empfehlungen wurden zwei retrospektive sowie die
o. g. prospektive Studie eingeschlossen. Eine Übersichtsarbeit
stellt die neoadjuvante Radiochemotherapie plus anschließender Resektion
der dem früheren Standard entsprechenden neoadjuvanten Radiatio plus
anschließender Resektion gegenüber [531 ].
Eine andere Übersichtsarbeit beleuchtet lediglich den früheren
Standard, die neoadjuvante Radiatio mit anschließender Resektion
[535 ]. Die erste Übersichtsarbeit fasst 8
retrospektive Studien zusammen (n = 778)
[536 ]. Die durchschnittliche
5-Jahres-Überlebensrate nach neoadjuvanter Radiochemotherapie plus
anschließender Resektion betrug 33 % im Vergleich zu
27 % nach neoadjuvanter Radiotherapie plus anschließender
Resektion ohne Chemotherapie (Evidenzgrad 3b). In diese Übersichtsarbeit
gehen lediglich zwei Arbeiten mit neoadjuvanter Radiochemotherapie plus
anschließender Resektion ein (Evidenztab. 7.3.1). Die eingeschlossenen
Studien sind aufgrund unterschiedlicher Anteile an R1- und R2-Resektionen nicht
gut miteinander vergleichbar.
Die zweite Übersichtsarbeit schließt 17
retrospektive Studien zur Therapie des Pancoast-Tumors ein (Evidenzgrad 3b)
(n = 712) [535 ]. Sie vergleicht
die Verläufe nach neoadjuvanter Strahlentherapie plus anschließender
Resektion mit den Verläufen nach Strahlentherapie alleine ohne Resektion.
Die durchschnittliche 5-Jahres-Überlebensrate ist nach neoadjuvanter
Strahlentherapie plus Resektion wesentlich höher als nach Strahlentherapie
alleine (30 % vs. 5 %) (Evidenzgrad 3b).
Die dritte Arbeit ist eine prospektive Studie der Southwest
Oncology Group [531 ]. In ihr wurden 88 Patienten mit
neoadjuvanter Radiochemotherapie plus Resektion und postoperativer
Chemotherapie behandelt. Die 5-Jahres-Überlebensrate betrug insgesamt
44 % und bei R0-Resektionen sogar 54 %. Dies sind
im Vergleich zu den Ergebnissen der anderen o. g. Arbeiten die besten
Überlebensdaten (Evidenzgrad 2b). Der häufigste Metastasierungsort
war zerebral, sodass in dieser Arbeit diskutiert wird, zusätzlich nach
Resektion eine Ganzhirnbestrahlung vorzunehmen. Fernmetastasen waren mit
52 % die häufigste Ursache für einen
Krankheitsrückfall.
7.3.1.3 Morbidität/Letalität
In den beiden oben genannten Übersichtsarbeiten wird
nicht auf die Morbidität und die perioperative Letalität eingegangen.
In der prospektiven Studie der Southwest Oncology Group [531 ] bestand eine perioperative Morbidität von
52,9 % nach der neoadjuvanten Radiochemotherapie und
anschließender Tumorresektion. Diese erhöhte Morbidität wird
auf die aggressive Vorbehandlung und auch auf die baldige postoperative
Chemotherapie zurückgeführt [531 ]. Die
perioperative Letalität betrug 2,3 % und ist damit mit der
Letalität nach Standard-Lungenresektion vergleichbar (siehe Kap.
7.2.1.2.2) (Evidenzgrad 2b).
7.3.1.4 Zusammenfassung
Der Vergleich von neoadjuvanter Radiochemotherapie plus
Resektion mit der früheren Standardtherapie der neoadjuvanten
Strahlentherapie plus Resektion ohne Chemotherapie zeigt eindeutig bessere
Überlebensverläufe bei zusätzlicher Chemotherapie. Eine
Weiterführung dieses Therapieschemas wurde in der Studie der Southwest
Oncology Group vorgenommen und zusätzlich eine postoperative Chemotherapie
verabreicht. Damit wurden die bisher besten 5-Jahres-Überlebensraten in
der Geschichte der Pancoast-Tumor-Therapie erzielt. In dieser letzteren Studie
wurden gehäuft zerebrale Metastasen im Verlauf beobachtet, sodass
diskutiert wird, eine adjuvante Ganzhirnbestrahlung nach Resektion des
Lungentumors vorzunehmen. Hierzu existieren jedoch keine prospektiven Studien.
Auch zu der postoperativen Chemotherapie, welche in der Studie der Southwest
Oncology Group vorgenommen wurde, gibt es noch keine randomisierten Studien,
die auch angesichts der Seltenheit des Krankheitsbildes nur schwierig zu
realisieren wären (Evidenztab. 7.3.1).
Empfehlungen
• Bei Pancoast-Tumoren im Stadium
II – IIIB wird eine neoadjuvante Radiochemotherapie mit
anschließender Resektion empfohlen. Bei Kontraindikationen zur
Chemotherapie sollte eine neoadjuvante Strahlentherapie mit
anschließender Resektion erfolgen. Bei einer R0-Resektion ist nach
aktueller Datenlage keine postoperative Chemotherapie oder Ganzhirnbestrahlung
erforderlich, kann aber im individuellen Fall zur Anwendung kommen. Die
Entscheidung zum bestmöglichen Vorgehen sollte interdisziplinär unter
Beteiligung von Entscheidungsträgern mit hinreichender Erfahrung erfolgen
(Empfehlungsgrad C).
• Patienten mit technischer oder funktioneller
Inoperabilität sollten eine definitive Radio-/Chemotherapie erhalten. Die
Entscheidung zum bestmöglichen Vorgehen sollte interdisziplinär unter
Beteiligung von Entscheidungsträgern (Thoraxchirurgie, Radioonkologie,
Pneumologie) mit hinreichender Erfahrung erfolgen (Empfehlungsgrad D).
7.3.1.5 Empfehlungen für die künftige
Therapieentwicklung
Bisher ist noch nicht evident, ob bei einer R0-Resektion eine
zusätzliche postoperative Chemotherapie oder Ganzhirnbestrahlung empfohlen
werden soll. Daher sollte die Effektivität dieser beiden Therapieelemente
in künftigen Studien untersucht werden.
7.3.2 Algorithmus Pancoast-Tumor
[Abb. 9 ]
Abb. 9 Algorithmus zur
Therapie des Pancoast-Tumors.
7.4 Stadium III
(T1 – 3N2/T1 – 3N3/T4N0 – 3)
7.4.1 Heterogenität der Subgruppen im Stadium III
– Implikationen für die Patientenselektion
Die ursprünglich von Mountain beschriebene und von der UICC
übernommene Stadienunterteilung in IIIA und IIIB unterscheidet technisch
resektable – jedoch prognostisch ungünstige –
Tumorausbreitungen im Stadium IIIA von in der Regel technisch inoperablen
Erkrankungsausdehnungen (Stadium IIIB). Die Weiterentwicklungen in Staging,
Operationstechnik und multimodalen Ansätzen haben diese Unterscheidung
bezüglich der Therapiewahl zunehmend unscharf werden lassen.
Andre hat anhand eines großen, multizentrischen,
französischen Behandlungskollektivs vier prognostische Untergruppen im
Stadium IIIA (N2) nach kompletter Operation mit mediastinaler Lymphadenektomie
identifiziert [537 ]: mikroskopischer Befall eines
einzigen Lymphknotenlevels (mL1), mikroskopischer Befall mehrerer
Lymphknotenstationen (mL2), der präoperativ bereits nachgewiesene Befall
einer einzigen Lympknotenstation (cL1) und der bereits präoperativ
bekannte Befall von mehreren Lymphknotenstationen (cL2). Die Prognose
verschlechtert sich in der Reihenfolge der angegebenen Subgruppen sukzessive
mit 5-Jahres-Überlebenszeit von 34 % (mL1) bis zu nur
3 % (cL2) (Evidenzgrad 2b). Innerhalb großer chirurgischer
Serien befinden sich initial nur etwa zwischen 20 und 30 % aller
Patienten mit N2-Befall in der prognostisch günstigsten Subgruppe mL1.
Dies macht bereits deutlich, welch erheblichen Einfluss die Patientenselektion
auf die Ergebnisse von Studien hat, selbst wenn nur Patienten mit einem
N2-Status eingeschlossen werden. Die ungünstigen Langzeitergebnisse der
resektablen Patienten mit manifestem mediastinalem Lymphknotenbefall nach
alleiniger Operation haben zu einem verstärkten Einsatz multimodaler
Therapieansätze für diese Patientensubgruppen geführt. Eine
klinisch orientierende Klassifikation zur besseren Deskription der
Heterogenität des N2-Status im Stadium IIIA ist von Robinson vorgeschlagen
worden [337 ]
[338 ]. Hier wird
unterschieden zwischen IIIA1 (mediastinale Lymphknotenmetastasen bei
der postoperativen histologischen Aufarbeitung in einem Lymphknotenlevel),
IIIA2 (intraoperative Feststellung des Befalles eines
Lymphknotenlevels), IIIA3 (Befall einer oder mehrere Positionen,
präoperativ festgestellt durch Mediastinoskopie, Feinnadelbiopsie oder
PET) und IIIA4 („bulky” oder fixierte Lymphknoten).
Robinson und Koautoren verstehen unter „bulky disease”
(IIIA4 ): mediastinale Lymphknoten
> 2 – 3 cm mit extrakapsulärer
Infiltration; Befall mehrerer N2-Lymphknotenpositonen; Gruppen multipler,
positiver kleinerer (1 bis 2 cm) Lymphknoten [337 ]
[338 ] (Evidenzgrad 2a).
Während im Stadium IIIA1 /IIIA2 – wenn
technisch durchführbar – die primäre Resektion und nachgehend
adjuvante Behandlung erfolgen kann, ist das Stadium IIIA3 Gegenstand
der klinischen Forschung (adjuvante versus neoadjuvante Systemtherapie unter
Einbindung der Operation; Radiotherapie versus Operation zur lokalen Kontrolle;
Trimodalitätenbehandlung). Patienten im Stadium IIIA4 werden in
der Regel einem radioonkologischen Therapiekonzept zugeführt. Im Stadium
IIIB kommt der Subgruppe T4N0/1 eine gesonderte Bedeutung zu
[538 ]
[539 ]
[540 ]. Für diese Patientengruppe existieren
günstige Langzeitdaten bei Einschluss operativer Therapieverfahren
(Evidenztab. 7.4.1).
Daten zu weiteren prognostischen Faktoren sind bisher nur wenig
berichtet worden. Es gibt Hinweise, dass im Stadium III sowohl der
prätherapeutische Allgemeinzustand (0,1 vs 2), ein prätherapeutischer
Gewichtsverlust, ein erhöhter präoperativer Lactatdehydrogenasewert,
sowie die Größe des Primärtumors (> 5 cm)
ungünstige Prognosefaktoren für eine multimodale Behandlung (mit oder
ohne Einschluss von Operation) darstellen [539 ]
[540 ]. Zu wenig berücksichtigt worden sind in den
bisher publizierten Therapiestudien die in diesen Patientenkollektiven
vorhandenen multiplen Komorbiditäten. Eine prospektive Aufarbeitung
solcher Faktoren ist angesichts der zum Teil relativ toxischen
Behandlungsprotokolle (z. B. mit Integration des Charlson-Scores) daher
wünschenswert [541 ].
Empfehlungen
• Die TNM-Stadienzusammenfassung in IIIA und IIIB
unterschied technisch resektable – jedoch prognostisch ungünstige
– Tumorausbreitungen im Stadium IIIA von in der Regel technisch
inoperablen Erkrankungsausdenungen (Stadium IIIB). Weiterentwicklungen in
Staging, Operationstechnik und multimodalen Ansätzen haben die Grenzen
dieser Einteilung für therapeutische Entscheidungen gezeigt. Eine optimale
Behandlungswahl für den einzelnen Patienten erfordert vor Therapiebeginn
die interdisziplinäre Diskussion und Festlegung (zumindest Beteiligung von
Pneumologie, Onkologie, Thoraxchirurgie, Radioonkologie und diagnostischer
Radiologie) (Empfehlungsgrad D).
• Die Unterscheidung von Subgruppen speziell im Stadium
IIIA(N2) ist für Therapiewahl und Prognose von großer Bedeutung
(Empfehlungsgrad B).
7.4.2 Multimodale Therapie unter Einschluss der Operation im
Stadium IIIA [N2] und selektionierten Patienten im Stadium IIIB
(T4N0/1)
Für den Einsatz der Operation im Stadium IIIA(N2) und bei
selektionierten Patienten im Stadium IIIB ist die klare Abgrenzung von
prognostischen Subgruppen gemäß des initial vorliegenden
mediastinalen Lymphknotenbefalls von Bedeutung (vgl. 7.4.1).
7.4.2.1 Primäre Operation und adjuvante Therapie im
Stadium IIIA1 /IIIA2 und bei selektionierten Patienten im
Stadium IIIB (T4N0/1)
Bei fehlenden Hinweisen auf einen mediastinalen
Lymphknotenbefall (negatives CT, negative Mediastinoskopie, negatives PET)
erfolgt primär die Operation. Wird dann intraoperativ makroskopisch oder
mikroskopisch ein Befall mediastinaler Lymphknoten nachgewiesen
(IIIA2 oder IIIA1 nach Robinson) erfolgt eine adjuvante
Chemotherapie [498 ] (Evidenzgrad 1b).
Darüber hinaus sollte die Indikation für eine
adjuvante mediastinale Radiotherapie im Nachgang zur Chemotherapie geprüft
werden. In der retrospektiven Analyse einer Phase-III-Studie, in der die
adjuvante Chemotherapie geprüft wurde, hatten Patienten im Stadium IIIA
(N2), die zusätzlich eine mediastinale Radiotherapie erhalten hatten, eine
höhere 5-Jahres-Überlebensrate (Evidenzgrad 3b). Aus den bisher
publizierten Daten geht nicht hervor, wie eindeutig die Indikation für
eine adjuvante mediastinale Radiotherapie beim minimalen mediastinalen
Lymphknotenbefall (z. B. IIIA1 /IIIA2 mit Befall
eines Lymphknotens) – unter der Voraussetzung einer umfassenden und
systematischen mediastinalen Lymphknotendissektion – belegt ist.
Im Stadium IIIB (T4N0/1) ist die primäre Operation bzw.
die Integration operativer Therapieverfahren bei medizinischer und
funktioneller Operabilität in folgenden Fällen möglich:
Karinabefall, minimaler Trachealbefall, minimaler Befall des rechten Atrium,
Infiltration der V. cava oder der Pulmonalarterie, ipsilobäre Metastase im
tumortragenden Lungenlappen [542 ]
[543 ]
[544 ]
[545 ]
[546 ]
[547 ]. Eine adjuvante Chemotherapie ist aufgrund des
individuell hohen systemischen Rezidivrisikos möglich; aufgrund der
fehlenden Daten ist hierfür kein Evidenz- bzw. Empfehlungsgrad anzugeben.
Es sei auch darauf hingewiesen, dass bei dieser Subgruppe von Patienten
häufig komplexe Eingriffe notwendig werden (eg. Pneumonektomien oder
erweiterte Pneumonektomien), sodass postoperative Chemotherapien prinzipiell
nicht unproblematisch sind. In Zukunft wird die Testung von
Induktionsprotokollen gerade auch bei diesen Patientensubgruppen bedeutsam
sein.
7.4.2.1.1 Adjuvante Chemotherapie
Nach den Daten der aktuell vorliegenden Studien und nach der
Metaanalyse, die auf individuellen Patientendaten beruht, wird nach kompletter
Resektion im Stadium IIIA(N2) eine Kombinationschemotherapie auf der Basis von
Cisplatin mit präferenziell vier Chemotherapiezyklen – und einer
kumulativen Gesamtdosis von mindestens 250 mg/m2 Cisplatin
– empfohlen [498 ] (Evidenzgrad 1b). Die am besten
gesicherte Datenlage in der adjuvanten Behandlung ist für die Kombination
mit Vinorelbin gegeben, da in den adjuvanten Therapiestudien Vinorelbin neben
Etoposid als Kombinationspartner von Cisplatin am häufigsten eingesetzt
wurde. Es gibt bisher keine randomisierten Studien bzw. Evidenz für den
Einsatz von carboplatinbasierten Chemotherapieprotokollen. Bei fehlender
Möglichkeit der Gabe von Cisplatin aufgrund von signifikanten
Komorbitäten oder Toxizitäten war allerdings in allen Studien der
primäre Einsatz bzw. Wechsel auf carboplatinbasierte Protokolle in diesen
Situationen durchaus erlaubt [498 ]. Voraussetzung
für den Einsatz einer adjuvanten Chemotherapie sind neben der
ausreichenden Patientencompliance ein guter Allgemeinzustand, fehlende
internistische Kontraindikationen und fehlende relevante Komorbiditäten
[498 ] (Evidenztab. 7.2.3.2). Für Patienten, bei
denen ein Stadium IIIB (T4N0/1) komplett reseziert worden ist, gibt es keine
klare Evidenzlage zur Indikation einer adjuvanten Chemotherapie. Aufgrund des
hohen systemischen Rezidivrisikos erscheint aber die (perioperative) Gabe einer
systemisch wirksamen Therapie im onkologischen Gesamtbehandlungskonzept
durchaus als eine mögliche, sinnvolle Therapieoption.
7.4.2.1.2 Adjuvante Radiotherapie
7.4.2.1.2.1 Indikation/Patientenselektion
Eine postoperative Bestrahlung im Stadium IIIA(N2) führt
zu einer signifikanten Reduktion lokoregionärer Rezidive.
7.4.2.1.2.2 Effektivität und Morbidität
Eine Metaanalyse – allerdings unter Einschluss von
Studien mit aus heutiger Sicht inadäquater Technik und Dosierung der
Radiotherapie – hatte in der Gesamtheit der Stadien
I – III einen Überlebensnachteil aufgrund nicht
tumorbedingter, speziell kardialer Mortalität gezeigt [548 ]. Dieser Nachteil war in der Untergruppe IIIA nicht
vorhanden. Eine aktuelle Analyse der SEER-Initiative, also eine sogenannte
„Outcome Research” mit 7465 zwischen
1988 – 2002 behandelten Patienten, ergab einen
signifikanten Vorteil für die postoperative Bestrahlung im Stadium N2 bei
nicht erhöhter Begleitmortalität [549 ]
(Evidenzgrad 2a). Eine deskriptive Analyse der randomisierten ANITA-Studie,
in
der eine zentrumsbezogene Entscheidung für oder gegen eine postoperative
Bestrahlung bei N2-Befall bestand, ergibt ebenfalls einen
Überlebensvorteil für die postoperativ bestrahlten Patienten
(Evidenzgrad 3b). Eine nordamerikanische randomisierte Studie im operierten
Stadium IIIA(N2), die eine alleinige postoperative Bestrahlung mit einer
simultanen, platinbasierten Radiochemotherapie verglich, ergab keinen
Unterschied zwischen den Studienarmen, jedoch ein 5-Jahres-Überleben von
35 %. In dieser Studie wurde postoperativ die Radiotherapie
simultan zur Chemotherapie eingesetzt [465 ]. Dieses
Vorgehen wird nicht empfohlen (Evidenztab. 7.4.2.1.2.2).
7.4.2.1.3 Zusammenfassung
Eine adjuvante Chemotherapie wird im Stadium IIIA mit
inzidentellem N2-Status (IIIA1 bzw. IIIA2 ) empfohlen.
Für Patienten mit mediastinalem Lymphknotenbefall im Stadium
IIIA1 bzw. IIIA2 sollte zusätzlich zur adjuvanten
Chemotherapie die Indikation für eine postoperative Mediastinalbestrahlung
geprüft werden. Die Bestrahlung sollte etwa 4 Wochen nach Abschluss der
adjuvanten Chemotherapie beginnen und eine Dosis von
50 – 60 Gy nach CT-gestützter 3-dimensionaler
Bestrahlungsplanung umfassen. Komorbiditäten müssen bei diesem
Vorschlag ausreichend berücksichtigt werden.
Im Stadium IIIB (T4N0/1) ist die primäre Operation bei
medizinischer und funktioneller Operabilität in folgenden Fällen
möglich: Karinabefall, minimaler Trachealbefall, minimaler Befall des
rechten Atrium, Infiltration der V. cava oder der Pulmonalarterie,
ipsilobäre Metastase im tumortragenden Lungenlappen.
7.4.2.2 Multimodale Therapie unter Integration der
Operation im Stadium IIIA3
Bei Patienten mit prätherapeutisch
(histologisch/zytologisch) nachgewiesenem N2-Status wurde in mehreren
randomisierten Studien der Stellenwert der Lokaltherapie in Form der Operation
gegenüber der Radiotherapie – entweder als alleinige Therapieform
oder nach induktiver Chemotherapie bzw. Radio-/Chemotherapie – verglichen
[464 ]
[550 ]. In 3 der 7
randomisierten Studien wurden Strahlentherapie bzw. Operation nach einer
neoadjuvanten Chemotherapie eingesetzt [519 ]
[551 ]
[552 ], in zwei Studien wurde
die alleinige Strahlentherapie mit der Operation nach neoadjuvanter
Chemotherapie verglichen [553 ]
[554 ], in einer Studie wurde eine definitive
Radiochemotherapie mit einer neoadjuvanten Radiochemotherapie und Operation
[554 ], und in zwei Studien wurde die Strahlentherapie
mit der Operation alleine oder der Operation + Strahlentherapie verglichen
[555 ]
[556 ]. Eine
abschließende Bewertung im Hinblick auf die Überlegenheit eines
lokaltherapeutischen Verfahrens im Stadium IIIA3 kann derzeit nicht
getroffen werden. Die Limitation der Ergebnisse wird an zwei randomisierten
Studien deutlich.
In der Intergroup-Studie (INT 0139) wurden Patienten mit
prätherapeutisch nachgewiesenem N2-Status (T1 – 3 N2
M0) randomisiert auf eine Behandlung mit einer definitiven simultanen
Chemo-/Radiotherapie (def. CT/RT) versus simultane Chemo-/Radiotherapie gefolgt
von Operation (RT/CT-OP). Die bisherige Analyse der Studie zeigt keinen
Unterschied im Gesamtüberleben, jedoch eine signifikante Verbesserung des
progressionsfreien Überlebens für den Arm mit Operation. Zudem wird
deutlich, dass in dieser Studie nach einer Pneumonektomie (26 %
der operierten Patienten) die Letalität bei 22 % lag, im
Vergleich zu 1 % nach einer Lobektomie. Eine komplette Resektion
wurde bei 71 % der Operierten erreicht [554 ]
[557 ].
In der EORTC-Studie 08941 wurden Patienten mit
prätherapeutisch nachgewiesenem N2-Status (T1 – 3 N2
M0) sowie primär inoperabler Tumorausdehnung und fehlender
Erkrankungsprogression nach stattgehabter Chemotherapie randomisiert auf eine
nachgehende Operation oder Radiotherapie. Einschlusskriterium in die Studie
war
eine primär nicht resektable N2-Erkrankung. Inoperabilität als
Kriterium zum Studieneinschluss sollte von einem erfahrenen Thoraxchirurgen
konstatiert werden. Erst gegen Ende der Studie, im Jahre 2000, wurden im
Protokoll zusätzliche Kriterien der Inoperabilität implementiert
(N2-Befall bei Nicht-Plattenepithelkarzinom; im Falle eines
Plattenepithelkarzinoms N2-Befall oberhalb Level 4 rechts bzw. oberhalb Level
5/6 links). Insgesamt wurden 582 Patienten in 41 Zentren im Zeitraum von 1994
bis 2002 in die Studie aufgenommen und 332 (57 %) dann
randomisiert. Im operativen Therapiearm erfolgte bei 72 / 154
(47 %) eine Pneumonektomie, und die Rate der explorativen
Thorakotomie lag bei 14 %; eine komplette Resektion war bei
50 % der Operierten möglich. Die perioperative
Letalität lag bei 4 % (nach Pneumonektomie
7 %). Weder für das progressionsfreie Überleben noch
das Gesamtüberleben zeigte sich ein Unterschied zwischen den Therapiearmen
[519 ].
Die EORTC-Studie lässt offen, wie das Einschlusskriterium
„primäre Inoperabilität” definiert wurde. Angesichts
von 41 beteiligten Zentren zur Rekrutierung von 582 Patienten in einem Zeitraum
von 8 Jahren ist nicht erkennbar, wie ein einheitlicher Standard
(„Entscheidung durch erfahrenen Thoraxchirurgen”) gegeben war.
Nur 50 % der Operierten erhielten eine komplette Resektion und
47 % wurden pneumonektomiert; knapp ein Sechstel der Patienten
wurde explorativ thorakotomiert. Allein diese Tatsache gibt Anlass zum Zweifel
an dem Maß der in der Studie vorhandenen thoraxchirurgischen Expertise.
Möglicherweise war aber auch eine große Zahl von Patienten mit
ausgedehnter N2-Erkrankung (IIIA4 ) eingeschlossen. Demgegenüber
wurde in der Intergroup-Studie eine komplette Resektion bei 71 %
der Operierten erreicht, und eine Pneumonektomie war lediglich bei
26 % erforderlich. Diese Zahlen lassen vermuten, dass über
die Selektionskriterien der Intergroup-Studie ein „anderes
Patientenkollektiv” rekrutiert wurde als in der EORTC-Studie; zumindest
wurde mit einer deutlich niedrigeren Rate an Pneumonektomien eine deutlich
höhere Rate an kompletten Resektionen erreicht. Auch zeigte sich in der
Intergroup-Studie für den Arm mit Operation ein signifikanter Vorteil im
progressionsfreien Überleben; möglicherweise wäre dieser
deutlicher, wenn die hohe Letalität nach Pneumonektomie hätte
vermieden werden können. Diese (nach rechtsseitiger komplexer
Pneumonektomie sogar 50 %) macht wiederum deutlich, dass die
Indikationsstellung und Durchführung solcher Therapieansätze an
Zentren mit Expertise und hinreichendem Behandlungsvolumen gebunden sein
sollten, die zugleich auch die Patienten postoperativ kontrollieren. Die Daten
beider Studien legen nahe, dass Patienten im Stadium IIIA4
(N2-multiple Stationen; bulky disease) nicht von einem multimodalen
Therapieansatz unter Integration der Operation profitieren. Für Patienten
im Stadium IIIA3 ist der Stellenwert der Operation im multimodalen
Therapiekontext offen.
7.4.2.2.1 Präoperative
Chemotherapie
Drei prospektiv randomisierte Studien und eine Vielzahl von
prospektiven Phase-II-Studien haben die Effektivität einer Platin-haltigen
Kombinationschemotherapie (zwischen zwei und vier Therapiezyklen) als
Induktionsbehandlung vor einer definitiven Operation geprüft
[558 ]
[559 ]
[560 ]. Die initial günstigen Befunde aus zwei kleinen,
allerdings frühzeitig abgebrochenen prospektiv randomisierten klinischen
Studien haben zu einem häufigen bzw. durchaus typischen Einsatz dieses
Therapievorgehens bei Patienten auch außerhalb von klinischen Studien
geführt [558 ]
[559 ]. Beide
Studien sind vorzeitig abgebrochen worden und können aufgrund der
strittigen Ergebnisse der alleinigen OP-Arme alleine noch nicht ein allgemein
gültiges Standardvorgehen begründen. Die bisher größte
klinische Studie unter Einschluss von Patienten im Stadium I bis IIIA(N2) ergab
keinen Vorteil für die Subgruppe im Stadium IIIA(N2) (etwa
50 % aller Patienten) [485 ] (Evidenzgrad
1b). Auch für das Gesamtkollektiv ergab sich keine statistisch
signifikante Verbesserung der Überlebenszeit durch eine präoperative
– allerdings Mitomycin-basierte – Kombinationschemotherapie
(Evidenztab. 7.4.2.2.1).
7.4.2.2.1.1 Indikation/Patientenselektion
Berücksichtigt werden sollten bei einer möglichen
Indikation zur präoperativen Chemotherapie die vorgeschlagenen
Einteilungen unter 7.4.1. Demgemäß können Patienten im Stadium
IIIA3 – und nur im begründeten Ausnahmefall im Stadium
IIIA4 – behandelt werden. Die Patientenselektion sollte die
individuell vorliegenden Komorbiditäten der Patienten mit einbeziehen
(siehe individuelle Einschlusskriterien der publizierten Phase-II- bzw.
Phase-III-Studien).
7.4.2.2.1.2 Effektivität
Eine präoperative Chemotherapie im Stadium IIIA(N2)
führt zu objektiven klinischen Remissionsraten zwischen 30 %
und 65 % je nach Patientenselektion und eingesetztem
Chemotherapieprotokoll. Ein mediastinales Downstaging findet sich nach
alleiniger Chemotherapie nur zwischen 30 und 60 %, wobei hier die
initiale Patientenselektion und das Ausmaß des vor Therapiebeginn
vorliegenden Lymphknotenbefalls ausschlaggebend sind. Die histopathologischen
Komplettremissionen (pCR) liegen zwischen 4 und 13 %
[534 ]
[561 ]
[562 ].
Sowohl Patienten nach klinischem Ansprechen, speziell aber
auch solche nach histopathologischem Ansprechen, haben eine signifikant
verbesserte Langzeitprognose mit 5-Jahres-Überlebensraten im Bereich von
35 bis 50 %. R0-Resektabilitätsraten zwischen
40 % und 70 % sind je nach behandeltem
Patientenkollektiv zu erwarten.
Langzeitdaten einer einarmigen Phase-II-Studie zeigten eine
unerwartet hohe Rate an loko-regionären Spätrezidiven
(> 60 %) in einem Patientenkollektiv mit
makroskopischem N2-Befall und nicht konsequenter Durchführung der im
Protokoll initial vorgesehenen Nachbestrahlung [563 ].
In der großen EORTC-Studie zeigt bei primär nicht operablen
Patienten mit pN2-Status ein Algorithmus aus Induktionschemotherapie mit
nachgehender Randomisierung der nicht progredienten Patienten auf Operation
versus Radiotherapie keinen Vorteil für den Operationsarm
[519 ] (Evidenzgrad 1b). Die Limitationen dieser Studie
wurden unter 7.4.2.2 aufgezeigt.
Bisher sind nur wenige Daten mit alleiniger präoperativer
Chemotherapie in selektionierten Stadien IIIB (T4 N0/1, TXN3) berichtet worden.
Die Datenlage hierzu lässt momentan keine abschließende Beurteilung
dieses therapeutischen Vorgehens zu. Ein Vergleich zum Standardvorgehen mit
definitiver Chemostrahlentherapie kann deshalb nicht durchgeführt
werden.
7.4.2.2.1.3 Morbidität
Die behandlungsbedingte Mortalität liegt in den
publizierten Serien in der Größenordnung von 5 %
(schwankt in Abhängigkeit von der Wahl des gewählten operativen
Resektionsverfahrens: Lobektomie 2 – 4 %,
Pneumonektomie 5 bis 8 %).
7.4.2.2.1.4 Zusammenfassung
Eine alleinige präoperative Chemotherapie ist
durchführbar und ergibt günstige klinische und histopathologische
Ansprechraten. Ein signifikanter Überlebensvorteil ist momentan aufgrund
der widersprüchlichen Daten der bisherigen randomisierten klinischen
Studien für primär resektable/operable Patienten jedoch nicht
abschließend gesichert.
Die Untergruppe der Patienten mit N2-Befall in einer
solitären Lymphknotenposition stellt eine Sondergruppe dar, bei der auch
die primäre Operation begründet ist [531 ].
Patienten im Stadium IIIA3 sollten vorzugsweise im
Rahmen von Studien zur weiteren Definition des Therapiealgorithmus behandelt
werden. Außerhalb von Studien können Patienten im Stadium
IIIA3 mit technisch resektabler Tumorausdehnung mit einer
Induktionschemotherapie behandelt werden. Nach stattgehabter R0-Resektion
sollte dann eine mediastinale Radiotherapie erfolgen. Solche
Behandlungsansätze bedürfen von vornherein der
interdisziplinären Diskussion und Festlegung (Beteiligung von Pneumologie,
Thoraxonkologie, Thoraxchirurgie und Radioonkologie). Letztlich sollte die
Durchführung an Zentren mit entsprechender Erfahrung und hinreichendem
Behandlungsvolumen gebunden sein.
7.4.2.2.2 Präoperative
Chemo-/Radiotherapie
Hierunter versteht man die Kombination von Chemotherapie und
Radiotherapie präoperativ (im Sinne einer
Induktionschemo-Strahlentherapie). Prinzipiell möglich sind hier sowohl
frühe, initial simultane Applikationsformen als auch sequenzielle bzw.
sequentielle gefolgt von simultaner Verabreichung. Vorwiegend wurden
platinhaltige Chemotherapieprotokolle eingesetzt. Die Strahlentherapie wurde
sowohl einmal täglich (qd), aber auch zweimal täglich (bid)
durchgeführt, um das Intervall zur Operation möglichst kurz zu halten
(Evidenztab. 7.4.2.2.2).
7.4.2.2.2.1 Indikation/Patientenselektion
Eine Vielzahl von Phase-II-Studien, eine randomisierte
Phase-II-Studie und mittlerweile zwei randomisierte Phase-III-Studien haben
dieses intensivere Konzept in unterschiedlichen Patientenkollektiven (Stadium
IIIA/IIIB) getestet [554 ]
[564 ]
[565 ]
[566 ]
[567 ]
[568 ]
[569 ].
7.4.2.2.2.2 Effektivität
Eine präoperative Chemoradiotherapie im Stadium IIIA(N2)
führt zu objektiven Remissionsraten zwischen 45 % und
70 % je nach Patientenselektion und eingesetztem
Chemoradiotherapieprotokoll. Ein mediastinales Downstaging findet sich nach
kombinierter Chemostrahlentherapie in 40 bis 80 %, wobei die
initiale Patientenselektion und das Ausmaß des Lympknotenbefalls
entscheidend sind. Die histopathologischen Komplettremissionen (pCR) liegen
zwischen 10 und 26 %. Resektabilitätsraten zwischen
50 % und 90 % erscheinen je nach Kollektiv
möglich. Eine kleine, deutsche, prospektiv-randomisierte Studie konnte mit
diesem Vorgehen ein günstiges Downstaging und tendenziell geringere
Pneumonektomieraten im Vergleich zur alleinigen Operation beobachten
[569 ]. Zwei prospektiv randomisierte Studien haben die
Durchführbarkeit dieses Vorgehens auch im größeren,
multizentrischen Setting unter Beweis gestellt. In der German Lung Cancer
Cooperative Group (GLCCG) befand sich etwa ein Drittel der Patienten im Stadium
IIIA(N2). In diesem Subkollektiv bestand kein signifikanter Unterschied in
Resektabilität, Downstaging und Langzeitüberleben
(3-Jahres-Überlebensrate IIIA: CRTX 32 % vs CTX
25 %) zwischen Induktionchemostrahlentherapie und alleiniger
Induktionschemotherapie. Allerdings war die Chemoradiotherapie in dieser Studie
mit der Applikation von Carboplatin und Vindesin nicht ein typisches
Chemoradiotherapieprotokoll (fehlendes Cisplatin). Die Überlebensdaten
sind schwierig zu beurteilen, da im Arm mit alleiniger Induktionschemotherapie
postoperativ konsequent eine Radiotherapie durchgeführt wurde
[564 ]. Die große nordamerikanische
Intergroup-Studie 0139 hat eine simultane Chemostrahlentherapie, gefolgt von
Operation, mit einer definitiven simultanen Chemoradiotherapie im primär
operablen Stadium III(N2) verglichen. Während für das
progressionsfreie Überleben ein signifikanter Vorteil für den
operativen Arm herausgearbeitet werden konnte, war dies für das
Gesamtüberleben statistisch nicht signifikant von Vorteil
[554 ]. Dem gewählten Resektionsverfahren kommt
eine wichtige Bedeutung zu. So war nach Pneumonektomie die Mortalität im
Vergleich zur alleinigen Lobektomie deutlich erhöht. Eine nicht geplante
Subgruppenanalyse deutet einen gewissen Vorteil für die Patienten an, bei
denen nur eine Lobektomie als OP-Verfahren durchgeführt wurde. Es bleibt
unklar, welche Bedeutung diese Befunde aktuell für das Standardvorgehen
von Patienten im Stadium IIIA(N2) haben.
Einzelne Studien haben auch eine präoperative
Chemoradiotherapie bei selektionierten Subgruppen im Stadium IIIB getestet
[538 ]
[539 ]
[570 ]
[571 ]. Dieses Vorgehen
erscheint insgesamt machbar, die Langzeitdaten innerhalb der allerdings
selektionierten Phase-II-Kollektive sind im Vergleich mit historischen
Kontrollen vielversprechend. Vorsicht erscheint grundsätzlich geboten,
wenn nach intensiven Induktionsprotokollen eine rechtsseitige Pneumonektomie
notwendig wird [554 ]
[572 ]
[573 ]. Hier sind vermehrt pulmonale bzw. postoperative
Komplikationen und zum Teil inakzeptable Mortalität berichtet worden.
7.4.2.2.2.3 Morbidität
In den meisten publizierten Phase-II-Studien zeigte die
präoperative Chemoradiotherapie im nicht randomisierten Vergleich zur
alleinigen Operation bzw. zu einer Induktionschemotherapie, gefolgt von
Operation, höhere Morbiditätsraten und ebenfalls tendenziell
höhere therapiebedingte Mortalität (TRD). Allerdings sind die
TRD-Raten in der GLCCG-Studie im direkten Vergleich der beiden
Randomisationsarme nicht unterschiedlich (jeweils ca. 5 %).
Rechtsseitige Pneumonektomien sollten wenn irgend möglich vermieden
werden. Eine prophylaktische Stumpfdeckung mit intrathorakalem Muskel oder
mediastinalem Fettgewebe erscheint besonders in Risikosituationen für
Fistelbildungen und Empyeme angezeigt [574 ].
7.4.2.2.2.4 Therapiewahl
7.4.2.2.2.4.1 Chemotherapie
Die weitaus meisten Daten sind bisher für
cisplatinbasierte Chemotherapieschemata publiziert worden.
Routinemäßiger Einsatz carboplatinbasierter Protokolle ist
hinsichtlich Effektivität, insbesondere in der simultanen Therapiephase
mit der Strahlentherapie, in diesem Zusammenhang noch nicht ausreichend
abgesichert. Präliminäre Daten sind für neuere
Chemotherapiekombinationen (Cisplatin/Paclitaxel, Cisplatin/Vinorelbin)
mitgeteilt worden. Abschließend dürfte die größte
Datenbasis für eine Kombination aus Cisplatin und Etoposid vorhanden sein
[540 ]
[575 ].
7.4.2.2.2.4.2 Radiotherapie
Die präoperativ eingesetzte Strahlentherapie verwendet
typische Dosen zwischen 40 und 50 Gy. Konventionelle Fraktionierungen
(1,8 bzw. 2,0 Gy pro die, qd) sind beschrieben worden, ebenfalls aber
auch hyperfraktioniert akzelerierte Radiotherapieverfahren (45 Gy,
2 × 1,5 Gy, bid) [575 ]
[576 ]. Ein Standard-Behandlungsprotokoll kann derzeit nicht
abgeleitet werden.
7.4.2.2.2.4.3 Chemoradiotherapie
Die weitaus meisten klinischen Daten liegen bisher für
die Kombination aus zwei Zyklen Cisplatin und Etoposid mit Strahlentherapie
bis
45 Gy vor [565 ]
[566 ]
[569 ].
7.4.2.2.2.5 Zusammenfassung
Eine präoperative Chemoradiotherapie ist im Stadium
IIIA3 durchführbar und führt im Vergleich zur alleinigen
präoperativen Chemotherapie wohl zu höheren klinischen und
histopathologischen Ansprechraten, ohne dass bisher ein signifikanter
Überlebensvorteil gesichert werden konnte. Eine Überlegenheit
gegenüber einer definitiven simultanen Chemoradiotherapie ist hinsichtlich
des Gesamtüberlebens nicht ableitbar; allerdings zeigte bei primär
resektablen Patienten ein Ansatz aus Radio-/Chemotherapie, gefolgt von
Operation, im Vergleich zur definitiven Radio-/Chemotherapie ohne Operation
eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens
[554 ] (Evidenzgrad 1b). Damit verbunden sind jedoch
auch nennenswerte Morbiditäts- und Letalitätsraten –
insbesondere in Verbindung mit einer Pneumonektomie. Daher bedürfen solche
Behandlungsansätze vor Therapiebeginn der interdisziplinären
Diskussion und Festlegung (Beteiligung von Pneumologie, Thoraxonkologie,
Thoraxchirurgie und Radioonkologie). Letztlich sollte die Durchführung an
Zentren mit entsprechender Erfahrung und hinreichendem Behandlungsvolumen
gebunden sein.
Empfehlungen
• Eine adjuvante Chemotherapie wird im Stadium IIIA mit
inzidentellem N2-Status (IIIA1 bzw. IIIA2 ) nach
kompletter Resektion (R0) und systematischer Lymphknotendissektion empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Ein Beginn der Chemotherapie nach Abschluss der
Wundheilung innerhalb von 60 Tagen nach Resektion wird empfohlen
(Empfehlungsgrad D).
• In der adjuvanten Chemotherapie wird die Gabe einer
cisplatinhaltigen Kombination über 4 Zyklen empfohlen (Empfehlungsgrad A).
In der Mehrzahl der positiven Studien wurde eine Kombination mit Vinorelbin
verwendet.
• Bei Patienten mit bedeutsamer Komorbidität
aufgrund der vorangegangenen Resektion oder vorbestehender Erkrankungen wird
empfohlen, die adjuvante Chemotherapie in einem interdisziplinär
ausgerichteten Behandlungskontext mit entsprechender Erfahrung in der
Durchführung von multimodalen Therapien durchführen zu lassen
(Empfehlungsgrad D).
• Für Patienten mit mediastinalem
Lymphknotenbefall im Stadium IIIA1 bzw. IIIA2 sollte
zusätzlich zur adjuvanten Chemotherapie die Indikation zur postoperativen
Mediastinalbestrahlung geprüft werden (Empfehlungsgrad B).
• Die Bestrahlung sollte bis spätestens 4 Wochen
nach Abschluss der adjuvanten Chemotherapie beginnen und eine Dosis von
50 – 60 Gy nach CT-gestützter 3-dimensionaler
Bestrahlungsplanung umfassen. Komorbiditäten müssen bei diesem
Vorschlag ausreichend berücksichtigt werden (Empfehlungsgrad B).
• Patienten im Stadium IIIA3 sollten
präferenziell im Rahmen von Studien zur weiteren Definition des
Therapiealgorithmus behandelt werden (Empfehlungsgrad D).
• Außerhalb von Studien können Patienten im
Stadium IIIA3 und technisch resektabler Tumorausdehnung individuell
mit einem Induktionsprotokoll (Induktionschemotherapie oder
Induktionschemostrahlentherapie) behandelt und anschließend operiert
werden (Empfehlungsgrad B). Grundsätzlich erfordern solche
Behandlungsansätze zur sicheren Indikationsstellung vor Therapiebeginn
eine interdisziplinäre Diskussion und Festlegung (zumindest Beteiligung
von Pneumologie, Onkologie, Thoraxchirurgie und Radioonkologie und
diagnostischer Radiologie). Präoperativ soll die Indikation zur Resektion
im interdisziplinären Kontext gleichermaßen überprüft
werden. Die Durchführung sollte an Zentren mit entsprechender Erfahrung
und hinreichendem Behandlungsvolumen erfolgen.
• In der Subgruppe T4N0/1 des Stadiums IIIB ist die
primäre Operation bzw. die Integration der Operation in das
Gesamtbehandlungskonzept bei medizinischer und funktioneller Operabilität
in folgenden Fällen möglich: Karinabefall, resektabler
Trachealbefall, resektabler Befall des Atrium, Infiltration der V. cava oder
der Pulmonalarterie, ipsilobäre Metastase im tumortragenden Lungenlappen
(Empfehlungsgrad B).
• Nach Operation und R0-Resektion sollte im Stadium
IIIA3 bei alleiniger Induktionschemotherapie eine mediastinale
Radiotherapie erfolgen. Bei Induktionschemostrahlentherapieprotokollen sollte
nach R0-Resektion keine weitere postoperative Radiotherapie durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Patienten im Stadium IIIA3 –
insbesondere bei multiplem N2-Befall – können gleichermaßen
mit einer Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie (definitive
Chemo-/Radiotherapie) behandelt werden (Empfehlungsgrad A).
7.4.3 Definitive Radiotherapie im Stadium IIIA(N2)/IIIB
(T4/N3)
Nach den randomisierten Studien mit prospektiv festgelegten
Patientencharakteristika werden mit der konventionell fraktionierten
Strahlentherapie im Stadium IIIA äquivalente Überlebensraten wie mit
der Chirurgie erreicht [464 ]
[550 ] (Evidenzgrad 1a). In 3 der 7 randomisierten Studien
wurde die Strahlentherapie und Operation nach einer neoadjuvanten Chemotherapie
appliziert [519 ]
[551 ]
[552 ], in zwei Studien wurde die alleinige Strahlentherapie
mit der Operation nach neoadjuvanter Chemotherapie verglichen
[553 ]
[577 ], in einer Studie
wurde eine definitive Radiochemotherapie mit einer neoadjuvanten
Radiochemotherapie und Operation [554 ] und in zwei
Studien wurde die Strahlentherapie mit der Operation alleine oder der Operation
+ Strahlentherapie verglichen [555 ]
[556 ].
Die definitive Strahlentherapie des Primärtumors und des
befallenen Lymphabflusses ist im Stadium III eine Therapie in lokal kurativer
Intention. Die Überlebensraten der in radikaler Intention behandelten
Patienten liegen mit der alleinigen definitiven Strahlentherapie im Stadium
III
nach 3 – 5 Jahren bei etwa 5 %
[578 ]
[579 ]. Als Prognosefaktor
wurde hierbei insbesondere der Karnofsky Performance Status identifiziert
[580 ]. Die Ergebnisse der alleinigen definitiven
Strahlentherapie sind denen einer gleichen Strahlentherapie, kombiniert mit
einer simultanen oder sequenziellen cisplatinbasierten Chemotherapie,
unterlegen [581 ]
[582 ]
[583 ]
[584 ] (Evidenzgrad 1a). Der
absolute Nutzen einer kombinierten Chemostrahlentherapie gegenüber der
alleinigen Strahlentherapie für den Endpunkt des 2- oder
5-Jahres-Überlebens betrug im Mittel über die randomisierten Studien
3 – 4 % bzw. 2 %, was einem
Hazard-Verhältnis von 0,90 entspricht. Patienten im Stadium III, die
für eine definitive Strahlentherapie qualifizieren und keine
Kontraindikationen für eine cisplatinbasierte Chemotherapie aufweisen,
sollten eine sequenzielle oder bevorzugt simultane Strahlenchemotherapie (vgl.
4.4) erhalten. Für Patienten im Stadium III mit Kontraindikationen gegen
eine Chemotherapie, für die eine definitive Strahlentherapie innerhalb der
Toleranzen der umgebenden Risikoorgane möglich ist, empfiehlt sich eine
hochdosierte Strahlentherapie des Primärtumors und der befallenen
Lymphknotenstationen. Dabei sollte die Gesamtdosis bei konventioneller
Fraktionierung mit 1,8 – 2,0 Gy pro täglicher
Fraktion > 60 Gy bis 70 Gy betragen. Dass eine
Gesamtdosis von 60 Gy effektiver ist als niedrigere Gesamtdosen, folgt
aus den Dosiseskalationsstudien der RTOG [585 ]
[586 ]. Aus der CHART-Studie
ergibt sich, dass eine Steigerung der biologisch effektiven Dosis über
60 Gy hinaus eine Verbesserung der Langzeitergebnisse erbringen kann
[587 ] (Evidenzgrad 2b). Ein Instrument der Steigerung
der biologisch effektiven Dosis über 60 Gy in konventioneller
Fraktionierung ist die Steigerung der Gesamtdosis bei gleicher Fraktionierung;
ein anderes ist die Verwendung einer kontinuierlichen Hyperfraktionierung und
Akzelerierung [587 ] (Evidenzgrad 1b).
Ist die intrathorakale Tumorausdehnung für eine
hochdosierte perkutane Strahlentherapie zu groß, der Allgemeinzustand
für eine definitive Strahlentherapie zu schlecht oder liegen
Fernmetastasen vor, dann ist die Indikation zur definitiven Strahlentherapie
mit dem Ziel der Heilung nicht gegeben. Die thorakale perkutane
Strahlentherapie kann hier in palliativer Intention zur kausalen Behandlung
einer einschränkenden Symptomatik (Hämoptysen, Atelektase, Husten,
Thoraxschmerz, obere Einflussstauung) eingesetzt werden. Die Ansprechraten
betragen ≥ 75 % (Hämoptysen),
60 – 75 % (Dysphagie),
50 – 83 % (Thoraxschmerz),
20 – 65 % (Dyspnoe und Husten) und
80 % (obere Einflussstauung) [588 ]
[589 ]
[590 ]
[591 ]
[592 ]
[593 ]
[594 ]. Partielle
Tumorrückbildungen auf die palliativen Fraktionierungsschemata zeigen sich
in der bildgebenden Diagnostik in 29 – 66 %
[588 ]
[590 ]
[594 ]
[595 ]
[596 ]. Die Dauer der Tumorrückbildung beträgt auf
die unterschiedlichen verwendeten palliativen Fraktionierungsschemata
durchschnittlich 1,5 – 8 Monate [591 ]
[594 ]
[597 ], sodass bei Vorhandensein konkurrierender Risiken
etwa 33 – 52 % einen Progress des
loko-regionalen Tumors nach palliativer Strahlentherapie als Erstrezidiv
erleben [592 ]
[595 ]. Im
randomisierten Vergleich wurden hypofraktionierte bis hin zu konventionell
fraktionierten Schemata geprüft (1 × 10 Gy;
oder 2 × 8,5 Gy;
10 – 15 × 3 Gy;
30 × 2 Gy) [598 ]. Ein
klarer, allgemeiner Konsensus über die beste Fraktionierung der perkutanen
Strahlentherapie für alle Patienten mit Indikation für eine
palliative Strahlentherapie besteht nicht [598 ]
[599 ]
[600 ]. Individuell ist eine
kurze Behandlungsdauer mit den genannten hypofraktionierten Behandlungsschemata
gegen eine höhere biologische Dosis am Tumor mit einem bei stärkerer
Fraktionierung und höherer Gesamtdosis zu erwartenden längeren
palliativen Effekt gegeneinander abzuwägen. So zeigten auch 4 der 13
randomisierten Studien zum Fraktionierungseffekt bei palliativer
Strahlentherapie in der Cochrane-Metaanalyse von Lester 2007 einen besseren
oder länger andauernden palliativen Effekt mit einem stärker
fraktionierten Strahlentherapieschema (5 × 4 Gy,
10 × 3 Gy,
12 – 13 × 3 Gy,
18 × 2,5 Gy) im Vergleich zu den hypofraktionierten
Schemata mit einer oder zwei Fraktionen [593 ]
[597 ]
[601 ]
[602 ]. 4 der 13 Studien zeigten einen
Überlebensvorteil unter den höher fraktionierten Behandlungsschemata
mit höherer Gesamtdosis [592 ]
[596 ]
[597 ]
[602 ]. Insbesondere profitierten Patienten mit
lokalisierter Erkrankung und besserem Allgemeinzustand von der höher
dosierten Strahlentherapie [592 ]. Heute können mit
modernerer Strahlentherapietechnik, insbesondere der 3D-Bestrahlungsplanung
und
der Verwendung von Linearbeschleunigern, die Tumoren konformaler behandelt
werden, sodass die Rückenmarkbelastung gesenkt werden kann und die
Rückenmarktoleranz besser eingehalten wird [598 ]
(Evidenztab. 7.4.3).
Während Patienten mit geringer Symptomatik ohne
Fernmetastasen und besserem Allgemeinzustand von einer höher dosierten,
stärker fraktionierten Strahlentherapie mit Gesamtdosen von 30 Gy
und höher profitieren, bleibt die Frage, ob bei Patienten mit
Fernmetastasen und geringer lokaler Symptomatik ein hypofraktioniertes
Strahlentherapieschema mit 2 × 8,5 Gy oder
1 × 10 Gy sofort oder verzögert eingesetzt
werden soll. In einer MRC Studie wurde kein klarer Vorteil des sofortigen
Einsatzes gefunden [603 ]. 42 % der
Patienten im Beobachtungsarm benötigten jedoch im weiteren Verlauf eine
thorakale Strahlentherapie. Engmaschige klinische Kontrollen sind dann
notwendig.
7.4.3.1 Indikation/Patientenselektion
Definitive alleinige Strahlentherapie in kurativer Intention:
Patienten im Stadium III, die nicht geeignet sind für eine kombinierte
Radiochemotherapie oder ein multimodales Therapiekonzept unter Einschluss der
Chirurgie und bei denen zugleich – in Abhängigkeit von
Tumorausdehung und Allgemeinzustand – eine hochdosierte Strahlentherapie
des Primärtumors und der befallenen Lymphknoten möglich ist.
Palliative thorakale Strahlentherapie: Patienten mit
thorakaler Symptomatik im Stadium IV bzw. im Stadium III, bei denen aufgrund
von Tumorausdehung bzw. Allgemeinzustand eine hochdosierte Strahlentherapie
nicht möglich ist. Indikationsführende thorakale Symptome sind:
Hämoptysen, Dyspnoe, Husten, Dysphagie, Thoraxschmerz oder obere
Einflussstauung. Patienten in besserem Allgemeinzustand ohne Fernmetastasen
profitieren von stärker fraktionierten Strahlentherapieschemata mit
höherer Gesamtdosis.
7.4.3.2 Standardverfahren
Die Bestrahlung erfolgt als 3D-konformale Strahlentherapie.
Zielvolumen ist der makroskopische Tumor und Säume zur Berücksichtung
der internen Bewegung, der Lagerungsungenauigkeit und der mikroskopischen
Tumorausdehnung. Mittels 3D-Planung sind die Dosisvolumenhistogramme der
kritischen umgebenden Risikoorgane abzuschätzen und die Organtoleranzen
einzuhalten. Der Wert der elektiven Mediastinalbestrahlung, d. h. die
Einbeziehung in bildgebenden Verfahren nicht befallener mediastinaler
Lymphknotenstationen in das Zielvolumen, ist bei der thorakalen
Strahlentherapie nicht erwiesen [604 ], allerdings wurde
in den oben genannten, den Standard definierenden Studien zur definitiven
Strahlen- bzw. Strahlenchemotherapie die elektive Mediastinalbestrahlung
verwendet. Insgesamt ist ein therapeutischer Nutzen der elektiven
Mediastinalbestrahlung nur bei Therapieschemata mit hoher lokaler
Tumorkontrolle zu erwarten [605 ].
7.4.3.3 Dosis und Fraktionierung
Kurative Strahlentherapie im Stadium III: konventionelle
Fraktionierung mit 1,8 – 2,0 Gy/Tag
(5 ×/Woche) bis zu einer Gesamtdosis von
> 60 – 70 Gy unter Einhaltung der
Toleranzen der umgebenden Risikoorgane. Als Alternative, insbesondere bei
Plattenepithelkarzinomen, CHART: 3 × 1,5 Gy/Tag mit
≥ 6 h Intervall an 12 konsekutiven Tagen [587 ].
Palliative Strahlentherapie: in Abhängigkeit von
Allgemeinzustand und Symptomenausmaß (vgl. 7.4.3 und 7.4.3.1) werden
hypofraktionierte Schemata bis hin zu konventionell fraktionierten
Behandlungsschemata mit höherer Gesamtdosis eingesetzt. Hypofraktionierung
mit 1 – 2 Fraktionen in einem Intervall von einer Woche:
1 × 10 Gy, 2 × 8 Gy,
2 × 8,5 Gy. Hypofraktionierung mit einer
Behandlungsdauer von 1 – 3 Wochen:
10 × 3 Gy/Tag (5 ×/Woche),
10 × 3,5 Gy,
12 – 15 × 3 Gy,
5 × 4 Gy. Konventionelle Fraktionierung mit
30 × 2 Gy/Tag.
7.4.3.4 Effektivität
Siehe unter 7.4.3
7.4.3.5 Morbidität
Die akuten Nebenwirkungen während oder bis zu 6 Wochen
nach der Strahlentherapie sind bei den palliativen Strahlentherapieschemata
in
der Regel mild (WHO Grad I – II). Bei den palliativen,
hypofraktionierten Strahlentherapieschemata nimmt die akute Ösophagitis
mit der Gesamtdosis und mit stärkerer Fraktionierung zu. Müdigkeit,
Abgeschlagenheit und Übelkeit können als akute Nebenwirkungen
vorkommen [590 ]
[591 ]
[592 ]. Myelopathien sind bei hypofraktionierten
Strahlentherapieschemata, insbesondere 2 × 8,5 Gy,
in einer Häufigkeit von < 1 % beobachtet worden.
Das Risiko kann mittels 3D-Planung und Wahl einer Mehrfeldertechnik zur
Rückenmarkentlastung deutlich reduziert werden. Das Pneumonitisrisiko
steigt mit der Dosis-Volumenbelastung beider Lungen und hängt aber auch
von der Komorbidität des Patienten ab [606 ]
[607 ]
[608 ]. Pneumonitiden vom Grad
≥ 3 wurden in den palliativen Schemata bei weniger als
3 % der Patienten berichtet, bei hochdosierter Strahlentherapie
werden Pneumonitiden vom Grad ≥ 3 in einer Häufigkeit von
4 – 19 % berichtet [519 ]
[579 ]
[587 ].
7.4.3.6 Zusammenfassung
In kurativen Therapiekonzepten ist die simultane bzw.
sequenzielle Strahlenchemotherapie effektiver als die alleinige definitive
Strahlentherapie. Bei Kontraindikationen gegen eine Chemotherapie ist
außerhalb von Subgruppen mit sehr guter Prognose nach primärer
Operation im klinischen Stadium III die definitive Strahlentherapie in
kurativer Intention indiziert. Patienten mit besserem Allgemeinzustand im
Stadium III profitieren von Schemata mit mehreren Einzelfraktionen pro Tag.
Die palliative thorakale Strahlentherapie ist bei bestehender
thorakaler Symptomatik bei Patienten mit Fernmetastasen indiziert und bei
Patienten im Stadium III, die für kurative Therapiekonzepte nicht geeignet
sind. Mit der palliativen thorakalen Strahlentherapie werden hohe
Symptomkontrollraten erreicht.
Empfehlungen
• Bei Kontraindikationen gegen eine Chemotherapie ist
außerhalb von Subgruppen mit sehr guter Prognose nach alleiniger
Chirurgie im klinischen Stadium III die alleinige definitive Strahlentherapie
in kurativer Intention indiziert (Empfehlungsgrad B). Patienten mit gutem
Allgemeinzustand profitieren dann von Fraktionierungsschemata mit mehr als
2 Fraktionen (Empfehlungsgrad A).
• Die Strahlentherapie sollte typischerweise eine Dosis
zwischen 60 und 66 Gy bei einmal täglicher Fraktionierung haben
(Empfehlungsgrad A). Die Zeitdauer hängt von der Einzelfraktionierung ab
und liegt typischerweise bei 6 – 7 Wochen (Empfehlungsgrad
B). Eine Unterbrechung der Strahlentherapie sollte vermieden werden
(Empfehlungsgrad C).
• Die palliative thorakale Strahlentherapie ist bei
Patienten, für die kurative Therapiekonzepte nicht geeignet sind, bei
bestehender thorakaler Symptomatik indiziert (Empfehlungsgrad A).
• Verkürzte Fraktionierungsschemata können in
Abhängigkeit vom Zustand und Wunsch des Patienten eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad A).
7.4.4 Kombination aus Chemo- und Strahlentherapie im Stadium
III
Die alleinige Radiotherapie im Stadium III führt im
Hinblick auf das Überleben zu unbefriedigenden Ergebnissen (Median ca. 10
Monate; 5-Jahres-Rate < 5 %). Deshalb wurden bei
Patienten mit günstigem Komorbiditätsprofil Konzepte der
sequenziellen und simultanen Chemo-/Radiotherapie geprüft.
Sowohl die sequentielle (2 – 4
platinbasierte Chemotherapiezyklen gefolgt von 60 bis 66 Gy
konventionell fraktionierter Radiotherapie) als auch die simultane
Chemo-/Radiotherapie (cisplatinbasierte Chemotherapie und simultane
Radiotherapie zwischen 60 und 66 Gy) verbessern medianes und
Langzeitüberleben von Patienten im Stadium III signifikant
[609 ]
[610 ]
[611 ]
[612 ]
[613 ]
[614 ]
[615 ]
[616 ].
Im direkten Vergleich zwischen sequenzieller und simultaner
Chemoradiotherapie ist ein signifikanter Vorteil für das simultane
Vorgehen in drei randomisierten Studien nachgewiesen [613 ]
[614 ]
[617 ] (Evidenzgrad1b). In einer vierten Studie
[618 ] zeigte sich ein Trend zugunsten des simultanen
Vorgehens. In diesen Studien war in simultanen Therapiearmen insgesamt die
Behandlungscompliance deutlich höher als bei sequenzieller
Durchführung. Die günstigsten Ergebnisse sind nachweisbar unter
konventionell dosierter cisplatinbasierter Kombinationschemotherapie im
3 – 4-wöchigen Zyklusintervall und einer
Zielvolumendosis der Radiotherapie zwischen 60 und 66 Gy
[617 ].
Bisherige Daten zu einer Induktionschemotherapie zusätzlich
zur definitiven simultanen Chemoradiotherapie zeigen bis auf die Daten einer
kleinen randomisierten französischen Studie keinen Benefit
[618 ]
[619 ]
[620 ]. Allerdings sind in den meisten dieser Studien keine
cisplatinhaltigen Induktionsprotokolle verwendet worden; darüber hinaus
waren die simultanen Chemotherapieprotokolle niedrig dosierte wöchentliche
Schemata, die zum Teil auf Carboplatin basierten [618 ]
[619 ]
[620 ]
[621 ]
[622 ]
[623 ] (Evidenztab. 7.4.4,
Evidenzgrad 1b).
Im Erkrankungsverlauf treten bei mehr als 50 % der
Patienten im Stadium III Fernmetastasen auf. Eine simultane Radiochemotherapie
alleine scheint dieses Problem nicht wesentlich zu reduzieren. Angesichts der
Tatsache, dass durch eine „Systemtherapie” sowohl im Stadium II
eine Verbesserung der Überlebenszeiten über eine Verminderung der
Fernmetastasierung erreicht werden kann als auch im Stadium IIIB/IV eine
signifikante Verlängerung der Überlebenszeiten durch die Integration
einer Chemotherapie erreicht wird, steht zu vermuten, dass sie auch im Stadium
III einen Einfluss auf die Behandlungsergebnisse haben dürfte. Vor diesem
Hintergrund ist versucht worden, innerhalb von Studien die Zahl der systemisch
wirksamen voll-dosierten Chemotherapiezyklen in diesem Stadium weiter zu
erhöhen.
Während eine Induktionschemotherapie mit
carboplatinbasierten Protokollen zusätzlich zur simultanen
Chemo-/Radiotherapie die Ergebnisse bisher nicht verbessern konnte, wurde in
einer multizentrischen Phase-II-Studie mit einer Konsolidierungschemotherapie
(3 Zyklen Docetaxel) im Nachgang zur simultanen Radiochemotherapie
(61 Gy, 2 Zyklen Cisplatin Etoposid) ein medianes Überleben von 26
Monaten und ein 3-Jahres-Überleben von 37 % erreicht
[624 ].
Ein randomisierter Phase-III-Vergleich der Hoosier Oncology
Group [625 ] des obigen Konsolidierungsprotokolls gegen
die alleinige simultane Radiochemotherapie wurde nach 203 Patienten vorzeitig
abgebrochen, da gemäß einer Interimsanalyse keine signifikante
Ergebnisverbesserung mehr erreicht werden konnte. Das mediane Überleben
betrug in beiden Armen 21,7 Monate, das 3-Jahres-Überleben
27 %. Im Konsolidierungsarm war die Morbidität erhöht
und die therapieassoziierte Letalität mit 7 % inakzeptabel
(Evidenztab. 7.4.4).
Anzumerken ist jedoch, dass im Rahmen von Studien im Stadium
IIIB (SWOG 9905) und im Stadium IIIA(N2) (INT 0139) nach definitiver simultaner
Chemo-/Radiotherapie eine konsolidierende Chemotherapie auf Basis von
Cisplatin/Etoposid (zwei Zyklen) mit gutem Ergebnis und vertretbarer
Morbidität durchführbar war [539 ]
[554 ]. Die Langzeitüberlebensraten aus diesen Studien
gehören auch in den Stadien IIIB und IIIA(N2) zu den besten, die bisher
mitgeteilt wurden, und beschreiben auch das größte mit diesem
Konzept in kurativer Absicht behandelte Patientenkollektiv.
7.4.4.1 Indikation/Patientenselektion
Es handelt sich durchweg um Patientenkollektive mit lokal
fortgeschrittenen, in der Regel nicht operablen Tumoren. Durchweg wurden
Patienten in gutem Allgemeinzustand (ECOG 0,1) im Alter unter 70 Jahren in den
sequenziellen und simultanen Therapieansätzen behandelt. Angesichts der in
den Studien prätherapeutisch nicht vorgesehenen mediastinalen Exploration
kann zum Muster des N2-Befalls und einer möglichen Heterogenität
zwischen den Studien wie auch zwischen den Therapiearmen keine Aussage
getroffen werden. Vor Indikationsstellung sollte der Patient im Hinblick auf
Allgemeinzustand, Komorbiditätsspektrum und kardiopulmonale Reserve
(Spirometrie, Ergometrie, Ventilation-Perfusionsszintigrafie, ggf.
Ergospirometrie) bewertet werden. Zur sicheren Indikationsstellung
bedürfen solche Behandlungsansätze vor Therapiebeginn der
interdisziplinären Diskussion und Festlegung (Beteiligung von Pneumologie,
Thoraxonkologie, Thoraxchirurgie und Radioonkologie). Letztlich sollte die
Durchführung an Zentren mit entsprechender Erfahrung und hinreichendem
Behandlungsvolumen gebunden sein.
7.4.4.2 Chemotherapie
Die meisten Daten liegen für cisplatinbasierte
Kombinationschemotherapien vor. Geprüfte Kombinationspartner sind
Etoposid, Vinorelbin, Gemcitabin und Taxane (Paclitaxel und Docetaxel).
Positive Phase-III-Studien liegen bisher jedoch nur für die Kombination
Cisplatin und Etoposid sowie Cisplatin und Vincaalkaloid vor
[616 ]. Carboplatinbasierte Behandlungsprotokolle
erscheinen in der Gesamtschau etwas weniger effektiv. Allerdings müssen
Allgemeinzustand sowie Komorbidität der Patienten bei der individuellen
Therapieauswahl Berücksichtigung finden (Evidenztab. 7.4.4.2).
7.4.4.3 Radiotherapie
Typische und effektive Dosierungen der Radiotherapie liegen
zwischen 60 und 66 Gy über 6 – 7 Wochen.
Neuerdings werden auch erste konformale Dosiserhöhungen bis
72 / 76 Gy im Rahmen von Phase-I- und Phase-II-Studien
untersucht [626 ]
[627 ]. Die
getesteten Fraktionierungen umfassen 1,8 bzw. 2,0 Gy pro Tag als
Einzeldosis. Es gibt Hinweise aus einer prospektiv-randomisierten
Phase-II-Studie, dass eine hyperfraktioniert-akzelerierte Radiochemotherapie
(HART) von der Tendenz her Vorteile erbringen kann [619 ]
[628 ]. Das britische
CHART-Protokoll mit einer auf 12 Tage verkürzten Behandlungszeit und
dreimal täglicher Bestrahlung (54 Gy in 12 Tagen versus
60 Gy in 6 Wochen; 30 % der Patienten in Stadium II)
erzielte einen signifikanten Vorteil für progressionsfreies und
Gesamtüberleben [629 ]. Eine deutsche
Phase-III-Studie (CHARTWEL, 54 Gy akzeleriert versus 66 Gy
konventionell) und eine australische Studie (mehrere Arme in Kombination mit
Carboplatin) konnten diesen Benefit bisher nicht bestätigen
[630 ].
7.4.4.4 Effektivität
Typischerweise lassen sich durch simultane
Chemoradiotherapieprotokolle mediane Überlebenszeiten zwischen 12 und 18
Monaten in Patientenkollektiven im Stadium III erzielen. Dies entspricht
mittlerweile bestätigten und abgesicherten Langzeitheilungsraten nach
5-Jahren zwischen 12 und 20 % – je nach initialer
Patientenselektion.
7.4.4.5 Morbidität
Die Toxizität der simultanen definitiven
Chemostrahlentherapie ist gegenüber der alleinigen definitiven
Strahlentherapie signifikant höher (Ösophagitis, hämatologische
Toxizität, pulmonale Toxizität). Während in der Initialphase der
simultanen Chemoradiotherapie die akute Ösophagitis sowie deren
Spätfolgen mit Strikturen und Stenosen im Vordergrund standen, ist heute
eher die pulmonale Komplikationsrate therapielimitierend [631 ]. Dies liegt unter anderem an
3D-basierten/CT-gesteuerten, bzw. konformalen Bestrahlungsplanungsplänen,
die die Morbidität von Risikoorganen wie Ösophagus, Rückenmark
bzw. Lunge besser definieren und eingrenzen können sowie an verbesserten
Supportivmöglichkeiten bezüglich Schleimhauttoxizität. In
größeren Serien sollten heute die symptomatischen Pneumonitisraten
(≥ WHO 3) nach simultaner Chemostrahlentherapie unter
10 % liegen. Therapiebedingte Todesfälle durch Pneumonitis
oder ARDS sollten in größeren Serien unter 2 %
liegen.
7.4.4.6 Zusammenfassung
Patienten im Stadium IIIA4 /IIIB sollten –
wenn Allgemeinzustand und Tumorausdehnung dies zulassen – eine
Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie erhalten.
Die Chemotherapie simultan zur Strahlentherapie verbessert im
Vergleich zur alleinigen Radiotherapie sowohl medianes Überleben als auch
5-Jahres-Überlebensraten signifikant und klinisch relevant. Bei der
Patientenselektion ist auf Komorbiditätsspektrum und Allgemeinzustand zu
achten.
Die Sequenz von Chemotherapie gefolgt von definitiver
Strahlentherapie kann im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie sowohl
medianes Überleben als auch 5-Jahres-Überlebensraten signifikant
verbessern. Im direkten Vergleich ist bei geeigneten Patienten die simultane
Radio-/Chemotherapie der sequenziellen Therapie überlegen.
Präferenziell sollten cisplatinbasierte
Chemotherapieprotokolle für die simultane wie auch sequenzielle
Chemostrahlentherapie gewählt werden (z. B. Cisplatin/Etoposid oder
Cisplatin/Vincaalkaloid). Während der definitiven Chemostrahlentherapie
sollten zwei Zyklen einer voll-dosierten cisplatinhaltigen
Kombinationschemotherapie im Abstand von 3 – 4 Wochen
appliziert werden. Die fortlaufende (wöchentlich bzw. täglich)
niedrig dosierte Chemotherapie simultan zur Bestrahlung wird außerhalb
von Studien nicht bzw. nur dann empfohlen, wenn weder ein simultaner noch ein
sequenzieller Therapieansatz mit einem Zyklusintervall von
3 – 4 Wochen aufgrund von klinisch relevanten
Komorbiditäten möglich ist.
Die Strahlentherapie sollte eine Dosis zwischen 60 und
66 Gy bei einmal täglicher Fraktionierung haben. Die Zeitdauer
hängt von der Einzelfraktionierung ab und liegt bei
6 – 7 Wochen. Eine Unterbrechung der Strahlentherapie
sollte vermieden werden.
Für eine zusätzliche konsolidierende Chemotherapie
nach definitiver Chemostrahlentherapie existieren bislang keine randomisierten
Daten versus Beobachtung, die einen Vorteil bezüglich
Gesamtüberlebens nachweisen. Eine Monotherapie mit Taxan als
Konsolidierungsbehandlung nach definitiver Chemostrahlentherapie verbesserte
nicht die Überlebensergebnisse, sondern erhöhte signifikant und
intolerabel Mortalität/Morbidität.
Empfehlungen
• Patienten im Stadium IIIA3 –
insbesondere bei multiplem N2-Befall – können mit einer Kombination
aus Strahlentherapie und Chemotherapie (definitive Chemo-/Radiotherapie)
behandelt werden (Empfehlungsgrad A).
• Patienten im Stadium IIIA4 /IIIB sollten
– wenn Allgemeinzustand und Tumorausdehnung dies zulassen – eine
Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie erhalten (Empfehlungsgrad
A)
• Für selektionierte Patienten im Stadium
IIIA4 /IIIB kann im begründeten Ausnahmefall ein multimodaler
Behandlungsansatz unter Integration der Operation (möglichst nur in
Studien) erfolgen (Empfehlungsgrad D).
• Im direkten Vergleich ist bei geeigneten Patienten
die simultane Radio-/Chemotherapie der sequenziellen überlegen. Bei der
Patientenselektion ist auf Komorbiditätsspektrum und Allgemeinzustand zu
achten (Empfehlungsgrad A).
• Die Sequenz von Chemotherapie gefolgt von definitiver
Strahlentherapie kann im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie sowohl
medianes Überleben als auch 5-Jahres-Überlebensraten signifikant
verbessern (Empfehlungsgrad B).
• Für die sequenzielle und simultane
Chemostrahlentherapie sollten cisplatinbasierte Chemotherapieprotokolle
gewählt werden (Kombinationspartner bei simultaner Therapie in der Regel
Etoposid oder Vincaalkaloid) (Empfehlungsgrad B).
• Sowohl bei der sequenziellen als auch simultanten
Behandlung werden typischerweise zwei Zyklen einer voll-dosierten
cisplatinhaltigen Kombinationschemotherapie (Zyklusintervall
3 – 4 Wochen) appliziert (Empfehlungsgrad B).
• Angesichts des hohen systemischen Rezidivrisikos nach
definitiver Chemostrahlentherapie kann im Einzelfall eine konsolidierende
platinbasierte Kombinationschemotherapie aufgrund der im historischen Vergleich
vielversprechenden Daten des Vergleichsarmes in einer multizentrischen
randomisierten Phase-III-Studie (INT 0139) durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad D).
• Im Vergleich zur alleinigen simultanen
Chemo-/Radiotherapie ist der Stellenwert einer zusätzlichen
konsolidierenden Chemotherapie in randomisierten Studien gegenüber
Beobachtung bisher nicht belegt. Die zusätzliche Konsolidierung in Form
der Monotherapie mit einem Taxan nach stattgehabter Radio-/Chemotherapie
führt sogar zu deutlicher und inakzeptabler Toxizität und wird nicht
empfohlen (Empfehlungsgrad A).
• Die Strahlentherapie sollte typischerweise eine Dosis
zwischen 60 und 66 Gy bei einmal-täglicher Fraktionierung haben
(Empfehlungsgrad A). Die Zeitdauer hängt von der Einzelfraktionierung ab
und liegt typischerweise bei 6 – 7 Wochen (Empfehlungsgrad
B). Eine Unterbrechung der Strahlentherapie sollte vermieden werden
(Empfehlungsgrad C).
7.4.5 Sonderfälle
7.4.5.1 Ältere Patienten
In den 90er-Jahren wurden viele Studien zur multimodalen
Behandlung in Patientenkollektiven durchgeführt, die in einem Alter unter
70 Jahren waren. Erst die Aufarbeitung der Daten der ECOG, RTOG und CALGB
Studien konnte zeigen, dass auch bei älteren Patienten über 70 Jahren
günstige Ergebnisse mit einer simultanen Chemoradiotherapie erreicht
werden können [632 ]. Auch im Hinblick auf die
Operation wird offensichtlich das postoperative Morbiditäts- und
Letalitätsmuster weniger durch das Alter als durch das
Komorbiditätsprofil determiniert (vgl. 7.1). Neuerdings gehen deshalb
viele klinische Studien dazu über, die Rekrutierung nicht mehr
altersabhängig festzulegen, sondern andere Faktoren wie geriatrische
Komorbiditätsindizes mit zu berücksichtigen (Evidenztab. 7.4.6).
7.4.5.2 Komorbiditäten
Es sind mehrere Indizes bekannt, nach denen
Komorbiditäten gemessen werden können [541 ].
Solche Indizes sind primär an geriatrischen Patienten validiert worden.
Mittlerweile gibt es aber auch relativ gute Daten zur Relevanz bei
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen. Speziell bei lokal fortgeschrittenen
NSCLC im Stadium III liegen allerdings noch keine prospektiv erhobenen Daten
vor.
7.4.5.3 Konkurrierende Risiken im Stadium III –
Hirnmetastasierung
Im Stadium III besteht neben dem relativ hohen
lokoregionären Rezidivrisiko und dem Risiko der Manifestation von
Fernmetastasen auch ein ausgesprochenes Risiko der Entwicklung von zerebralen
Metastasen. Neben der systemischen Metastasierung außerhalb des Gehirns
kann bei Patienten im Stadium III ein kumulatives Risiko von bis zu
50 % für die Hirnmetastasierung nach 5 Jahren festgestellt
werden [633 ]
[634 ]. Dies gilt
sowohl für Patientenkollektive nach alleiniger Chemoradiotherapie als auch
für solche, bei denen operative Therapiemaßnahmen integriert worden
sind (Evidenztab. 7.4.6).
7.4.5.3.1 Prophylaktische
Ganzschädelbestrahlung
Systematisch ist die prophylaktische
Ganzschädelbestrahlung mit modernen Therapieprotokollen bisher nur im
Rahmen von Einzelfallbeobachtungen, sequenziellen Kohorten im Rahmen von
klinischen Studien und erst in einer randomisierten Studie im Stadium III
untersucht worden [635 ]. Eine prospektiv randomisierte
Phase-III-Studie der RTOG wurde aufgrund schwacher Rekrutierung nach 340
randomisierten Patienten beendet. In einer Zwischenauswertung wurde die Rate
an
Hirmetastasen von 18 % in der Kontrollgruppe auf
7,7 % in der mit 30 Gy bestrahlten Gruppe reduziert, ohne
Einfluss auf das Gesamtüberleben zu diesem Zeitpunkt [636 ]. Der Stellenwert für die Integration solcher
Maßnahmen ist weiterhin nicht klar definiert.
7.4.6 Zusammenfassende Empfehlungen zur Therapie im Stadium
III
Empfehlungen
• Die TNM-Stadienzusammenfassung in IIIA und IIIB
unterschied technisch resektable – jedoch prognostisch ungünstige
– Tumorausbreitungen im Stadium IIIA von in der Regel technisch
inoperablen Erkrankungsausdehnungen (Stadium IIIB). Weiterentwicklungen in
Staging, Operationstechnik und multimodalen Ansätzen haben die Grenzen
dieser Einteilung für therapeutische Entscheidungen gezeigt. Eine optimale
Behandlungswahl für den einzelnen Patienten erfordert vor Therapiebeginn
die interdisziplinäre Diskussion und Festlegung (zumindest Beteiligung von
Pneumologie, Onkologie, Thoraxchirurgie, Radioonkologie und diagnostischer
Radiologie) (Empfehlungsgrad D).
• Die Unterscheidung von Subgruppen speziell im Stadium
IIIA(N2) ist für Therapiewahl und Prognose von großer Bedeutung
(Empfehlungsgrad B).
• Eine adjuvante Chemotherapie wird im Stadium IIIA mit
inzidentellem N2-Status (IIIA1 bzw. IIIA2 ) nach
kompletter Resektion (R0) und systematischer Lymphknotendissektion empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Ein Beginn der Chemotherapie nach Abschluss der
Wundheilung innerhalb von 60 Tagen nach Resektion wird empfohlen
(Empfehlungsgrad D).
• In der adjuvanten Chemotherapie wird die Gabe einer
cisplatinhaltigen Kombination über 4 Zyklen empfohlen (Empfehlungsgrad A).
In der Mehrzahl der positiven Studien wurde eine Kombination mit Vinorelbin
verwendet.
• Bei Patienten mit bedeutsamer Komorbidität
aufgrund der vorangegangenen Resektion oder vorbestehender Erkrankungen wird
empfohlen, die adjuvante Chemotherapie in einem interdisziplinär
ausgerichteten Behandlungskontext mit entsprechender Erfahrung in der
Durchführung von multimodalen Therapien durchführen zu lassen
(Empfehlungsgrad D).
• Für Patienten mit mediastinalem Lymphknotenbefall
im Stadium IIIA1 bzw. IIIA2 sollte zusätzlich zur
adjuvanten Chemotherapie die Indikation zur postoperativen
Mediastinalbestrahlung geprüft werden (Empfehlungsgrad B).
• Die Bestrahlung sollte bis spätestens 4 Wochen
nach Abschluss der adjuvanten Chemotherapie beginnen und eine Dosis von
50 – 60 Gy nach CT-gestützter 3-dimensionaler
Bestrahlungsplanung umfassen. Komorbiditäten müssen bei diesem
Vorschlag ausreichend berücksichtigt werden (Empfehlungsgrad B).
• Patienten im Stadium IIIA3 sollten
präferenziell im Rahmen von Studien zur weiteren Definition des
Therapiealgorithmus behandelt werden (Empfehlungsgrad D).
• Außerhalb von Studien können Patienten im
Stadium IIIA3 und technisch resektabler Tumorausdehnung individuell
mit einem Induktionsprotokoll (Induktionschemotherapie oder
Induktionschemostrahlentherapie) behandelt und anschließend operiert
werden (Empfehlungsgrad B). Grundsätzlich erfordern solche
Behandlungsansätze zur sicheren Indikationsstellung vor Therapiebeginn
eine interdisziplinäre Diskussion und Festlegung (zumindest Beteiligung
von Pneumologie, Onkologie, Thoraxchirurgie Radioonkologie und diagnostischer
Radiologie). Präoperativ soll die Indikation zur Resektion im
interdisziplinären Kontext gleichermaßen überprüft werden.
Die Durchführung sollte an Zentren mit entsprechender Erfahrung und
hinreichendem Behandlungsvolumen erfolgen.
• In der Subgruppe T4N0/1 des Stadiums IIIB ist die
primäre Operation bzw. die Integration der Operation in das
Gesamtbehandlungskonzept bei medizinischer und funktioneller Operabilität
in folgenden Fällen möglich: Karinabefall, resektabler
Trachealbefall, resektabler Befall des Atrium, Infiltration der V. cava oder
der Pulmonalarterie, ipsilobäre Metastase im tumortragenden Lungenlappen
(Empfehlungsgrad B).
• Nach Operation und R0-Resektion sollte im Stadium
IIIA3 bei alleiniger Induktionschemotherapie eine mediastinale
Radiotherapie erfolgen. Bei Induktionschemostrahlentherapieprotokollen sollte
nach R0-Resektion keine weitere postoperative Radiotherapie durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Patienten im Stadium IIIA3 –
insbesondere bei multiplem N2-Befall – können gleichermaßen
mit einer Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie (definitive
Chemo-/Radiotherapie) behandelt werden (Empfehlungsgrad A).
• Patienten im Stadium IIIA4 /IIIB sollten
– wenn Allgemeinzustand und Tumorausdehnung dies zulassen – eine
Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie erhalten (Empfehlungsgrad
A).
• Für selektionierte Patienten im Stadium
IIIA4 /IIIB kann im begründeten Ausnahmefall ein multimodaler
Behandlungsansatz unter Integration der Operation (möglichst nur in
Studien) erfolgen (Empfehlungsgrad D).
• Im direkten Vergleich ist bei geeigneten Patienten die
simultane Radio-/Chemotherapie der sequenziellen überlegen. Bei der
Patientenselektion ist auf Komorbiditätsspektrum und Allgemeinzustand zu
achten (Empfehlungsgrad A).
• Die Sequenz von Chemotherapie gefolgt von definitiver
Strahlentherapie kann im Vergleich zur alleinigen Strahlentherapie sowohl
medianes Überleben als auch 5-Jahres-Überlebensraten signifikant
verbessern (Empfehlungsgrad B).
• Für die sequenzielle und simultane
Chemostrahlentherapie sollten cisplatinbasierte Chemotherapieprotokolle
gewählt werden (Kombinationspartner bei simultaner Therapie in der Regel
Etoposid oder Vincaalkaloid) (Empfehlungsgrad B).
• Sowohl bei der sequenziellen als auch simultanen
Behandlung werden typischerweise zwei Zyklen einer voll-dosierten
cisplatinhaltigen Kombinationschemotherapie (Zyklusintervall
3 – 4 Wochen) appliziert (Empfehlungsgrad B).
• Angesichts des hohen systemischen Rezidivrisikos nach
definitiver Chemostrahlentherapie kann im Einzelfall eine konsolidierende
platinbasierte Kombinationschemotherapie aufgrund der im historischen Vergleich
vielversprechenden Daten im Vergleichsarm einer großen randomisierten
Phase-III-Studie (INT 0139) durchgeführt werden (Empfehlungsgrad D).
• Im Vergleich zur alleinigen simultanen
Chemo-/Radiotherapie ist der Stellenwert einer zusätzlichen
konsolidierenden Chemotherapie in randomisierten Studien bisher allerdings
nicht gegenüber Beobachtung belegt. Die zusätzliche Konsolidierung in
Form der Monotherapie mit einem Taxan nach stattgehabter Radio-/Chemotherapie
führt sogar zu deutlicher und inakzeptabler Toxizität und wird nicht
empfohlen (Empfehlungsgrad A).
• Die Strahlentherapie sollte typischerweise eine Dosis
zwischen 60 und 66 Gy bei einmal-täglicher Fraktionierung haben
(Empfehlungsgrad A). Die Zeitdauer hängt von der Einzelfraktionierung ab
und liegt typischerweise bei 6 – 7 Wochen (Empfehlungsgrad
B). Eine Unterbrechung der Strahlentherapie sollte vermieden werden
(Empfehlungsgrad C).
• Bei Kontraindikationen gegen eine Chemotherapie ist
außerhalb von Subgruppen mit sehr guter Prognose nach alleiniger
Chirurgie im klinischen Stadium III die alleinige definitive Strahlentherapie
in kurativer Intention indiziert (Empfehlungsgrad B). Patienten mit gutem
Allgemeinzustand profitieren dann von Fraktionierungsschemata mit mehr als 2
Fraktionen (Empfehlungsgrad A).
• Die palliative thorakale Strahlentherapie ist bei
Patienten, für die kurative Therapiekonzepte nicht geeignet sind, bei
bestehender thorakaler Symptomatik indiziert (Empfehlungsgrad A).
• Verkürzte Fraktionierungsschemata können in
Abhängigkeit vom Zustand und Wunsch des Patienten eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad A).
7.4.7 Algorithmus Stadium IIIA
[Abb. 10 ]
Abb. 10 Algorithmus zur
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium IIIA.
7.4.8 Algorithmus Stadium IIIB
[Abb. 11 ]
Abb. 11 Algorithmus zur
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium IIIB.
7.5 Stadium IV/IIIB (ohne Indikation zur definitiven
Radiatio)
7.5.1 Allgemeine Prinzipien
Im Gesamtkollektiv der Patienten im Stadium IV sowie Stadium
IIIB ohne Indikation zur definitiven Radiatio (Stadium IIIB, welches aufgrund
der Größe bzw. Lage des Tumors oder Vorliegen eines Pleuraergusses
nicht einer kurativen Radiotherapie zugeführt werden kann) liegt die
mediane Überlebenszeit bei 8 – 12 Monaten. Im
Vergleich zum metastasierten Kolon- oder Mammakarzinom (mediane
Überlebenszeit 20 – 24 Monate) ist diese Zeitspanne
deutlich kürzer und der Altersmedian (67 Jahre) sowie die Frequenz von
Komorbiditäten (COPD, KHK, pAVK) höher. In diesem Zeitfenster treten
neben sonstigen Manifestationen häufig schmerzhafte oder
frakturgefährdete Skelettmetastasen sowie Hinrmetastasen (meist mit
zunächst diskreter Symptomatik) auf. Zum Erhalt der Lebensqualität
ist eine rasche Diagnostik und Therapieeinleitung notwendig;
gleichermaßen auch bei einer lokoregionären Progression mit
interventioneller Behandlungsnotwendigkeit (Pleuraerguss; endobronchial
okkludierendes, intramural stenosierendes oder extrabronchial komprimierendes
Tumorwachstum in Lappen- oder Hauptbronchus bzw. Trachea) oder der
Notwendigkeit zur palliativen lokoregionären Kontrolle (Einschmelzung mit
drohender Infektion oder Blutung; Brustwandinfiltration). Hierzu bedarf es des
Zugangs zu einem Betreuungskontext, in dem schnell, kompetent und sicher
entschieden und therapiert wird (Evidenzgrad 5). Voraussetzung dafür ist
ein rascher Zugang zu interdisziplinär mit adäquater Expertise
getroffenen Entscheidungen (Tumorkonferenz). Grundsätzlich sollte ein
onkologisch erfahrener Pneumologe eingebunden sein und regelhaft ein
Thoraxchirurg sowie ein thoraxonkologisch erfahrener Radioonkologe und
Onkologe.
Gleichermaßen wie die kompetente Durchführung der
symptomorientierten, spezifischen Therapiemaßnahmen ist es für eine
gute Lebensqualität notwendig, den Patient und seine Angehörigen so
zu führen, dass beide adäquat informiert sind und sich in der
Behandlung sicher fühlen können und zugleich auch mit der begrenzten
Lebensperspektive des Patienten umzugehen lernen. Eine Besonderheit beim
metastasierten Lungenkarzinom, im Vergleich zu anderen metastasierten
Karzinomen, ist, dass das dafür verfügbare Zeitfenster
vergleichsweise kurz ist. Für den betreuenden Haus- oder Facharzt sollte
die Möglichkeit bestehen, Patient und Angehörige regelhaft, oder
zumindest wenn notwendig, in eine entsprechende Beratungssituation zu bringen.
Dafür sollte der Zugang zu einem entsprechend ausgerichteten Zentrum
(Einbindung von Pneumologie; Radioonkologie; Thoraxchirurgie; Onkologie;
Ernährungsberatung und -therapie; psychologische Beratung und Betreuung;
Sozialdienst; Palliativmedizin; sowie im Bedarfsfall Tumororthopädie und
Neurochirurgie) ermöglicht werden (Evidenzgrad 5). Angesichts der kurzen
Lebenszeit ist es zudem bedeutsam, diesen Betreuungskontext vom
Diagnosezeitpunkt an verbindlich und kontinuierlich herzustellen. Damit wird
ein von gegenseitigem Kennen und Vertrauen geprägtes Umfeld etabliert, das
den Patienten bis hin in die terminale Lebensphase trägt. In einer
prospektiven Kohortenstudie wurde gezeigt, dass in diesem Gesamtprozess
für die Krankheitsverarbeitung u. a. die Fokussierung auf für
den Patienten bedeutsame biographische Elemente hilfreich ist
[637 ] (Evidenzgrad 2b) (Evidenztab. 7.5.1).
Empfehlungen
• Die Lebenszeit von Patienten im Stadium IIIB/IV ist
begrenzt (Median 8 – 12 Monate). Von vornherein sollte in
dieser Situation ein stabiler und zuverlässiger Betreuungskontext
hergestellt werden. Dafür sollte auch der unmittelbare Zugang zu einem
entsprechend ausgerichteten interdisziplinären Betreuungskontext
ermöglicht werden (Empfehlungsgrad D).
• Neben der medizinischen Behandlung sollten im Rahmen
des Aufklärungsgesprächs bzw. im fortlaufenden Gesprächskontakt
die Möglichkeiten zur Rehabilitation, psychoonkologischen
Unterstützung, Sozialberatung bzw. Unterstützung durch
Selbsthilfegruppen angesprochen werden (Empfehlungsgrad D).
• Im Stadium IIIB/IV sollte zunächst geprüft
werden, ob eine Erkrankungsmanifestation einer zeitnahen Intervention bedarf.
Diese sollte dann rasch und vor Einleitung einer systemischen Therapie
erfolgen. Der Zugang zu diesen Techniken und Verfahren muss für alle
Patienten zeitnah gewährleistet sein (Empfehlungsgrad D).
• Bei Vorstellung in einem interdisziplinären
Zentrum (Pneumologie; Radioonkologie; Thoraxchirurgie; Onkologie; diagnostische
Radiologie; Ernährungsberatung und -therapie; psychologische Beratung und
Betreuung; Sozialdienst; Palliativmedizin; im Bedarfsfall Tumororthopädie
und Neurochirurgie) sollte eine zeitnahe Entscheidungsfindung und -umsetzung
(interdisziplinäre Tumorkonferenz; Dokumentation der Therapiefestlegung)
gewährleistet sein (Empfehlungsgrad D).
7.5.2 Systemtherapie (Erstlinie)
7.5.2.1 Indikation/Patientenselektion
Ziele der Behandlung im Stadium IIIB/IV sind
die Reduktion tumorbedingter Symptome und
die Verlängerung der Überlebenszeit.
Der Stellenwert der Chemotherapie gegenüber alleiniger
BSC („Best Supportive Care”) im Hinblick auf diese Punkte wurde
sowohl in einer Metaanalyse als auch in weiteren Studien belegt (Evidenztab.
7.5.2.2.). Die in diese Studien/Analysen eingeschlossenen Patienten hatten in
der Regel einen guten Allgemeinzustand (ECOG 0, 1).
Im Rahmen von retrospektiven gepoolten Analysen von
Chemotherapiestudien wurden Faktoren identifiziert, die prädiktiven
Charakter für den Effekt der Chemotherapie auf das Überleben zeigen.
Positive Faktoren für das Überleben waren Einsatz einer
Kombinationschemotherapie und Einsatz von Cisplatin und/oder Taxan sowie guter
Performance-Status (ECOG 0,1), Metastasierung in nur ein Organ, Hämoglobin
> 11 g/dl, Alter < 70 Jahre, Normalwerte für
LDH, Lactat und Calcium (Evidenztab. 7.5.2.1) (Evidenzgrad 2b).
Auch unter einer laufenden Therapie müssen
regelmäßige Kontrollen erfolgen, um eine akute Symptomatik, die
einer Intervention (bronchologische Intervention; palliative Radiotherapie;
palliative Operation) bedarf, frühzeitig zu erkennen. Für alle
Patienten mit Lungenkarzinomen muss der Zugang zu den oben genannten Techniken
und Verfahren zeitnah gewährleistet sein (Evidenzgrad 5) (vgl. auch
7.5.1).
7.5.2.2 Best Supportive Care (BSC) versus
Kombinationschemotherapie + BSC
In die 1995 publizierte Metaanalyse eingeschlossen waren 11
Studien, darunter 8 mit einer cisplatinbasierten Kombinationschemotherapie (778
Patienten). In den Studien mit cisplatinbasierter Kombination belegt die
Metaanalyse eine signifikante Verbesserung der Überlebenszeit im Vergleich
zu BSC (HR 0,73; p < 0,0001) [638 ]
(Evidenzgrad 1a). Dies zeigt auch eine randomisierte Phase-III-Studie (725
Patienten) im Vergleich von 4 verschiedenen cisplatinbasierten
Chemotherapieregimen gegenüber BSC (HR 0,77;
p = 0,0006) [639 ] (Evidenzgrad
1b). Zudem belegen zwei weitere kleinere Phase-III-Studien einen signifikanten
Überlebensvorteil zugunsten einer cisplatinbasierten
Kombinationschemotherapie [640 ]
[641 ]. In einer dieser Studien wurde die
Lebensqualität bewertet und es zeigt sich eine Verbesserung unter
cisplatinbasierter Kombinationschemotherapie, nicht aber unter BSC
[640 ]. In einer weiteren kleinen Phase-III-Studie (157
Pat.) wird mit einer Paclitaxelmonotherapie ein signifikanter
Überlebensvorteil gegenüber BSC offensichtlich [642 ] (Evidenztab. 7.5.2.2).
Somit sollte bei Patienten im Stadium IIIB/IV eine
Chemotherapie zur Verbesserung der Überlebenszeit, der Krankheitskontrolle
und der Lebensqualität durchgeführt werden (Evidenzgrad 1a). Für
Patienten in gutem Allgemeinzustand (ECOG 0,1) ist im Vergleich zu BSC die
Evidenz für eine cisplatinbasierte Kombinationschemotherapie eindeutig
(Evidenzgrad 1a).
7.5.2.3 Platinfreie versus platinhaltige
Kombinationschemotherapie
Die Frage des Stellenwerts einer platinfreien
Kombinationstherapie gegenüber einer platinhaltigen Kombinationstherapie
wurde in einer Meta-Analyse, die 37 Studien mit 7633 Patienten einschloss
(keine individuellen Patientendaten), untersucht [643 ].
Hinsichtlich der Ansprechrate und des Überlebens konnte ein statistisch
signifikanter Vorteil für die Platin-Kombinationstherapie gegenüber
platinfreien Kombinationen gezeigt werden (Ansprechrate: OR 1,62;
95 % CI 1,46 bis 1,8; p < 0,0001; Überleben: OR 1,21;
95 % CI 1,09 bis 1,35; p < 0,0003). In einer Subgruppe, in der
die platinfreien Kombinationen ausschließlich aus
Drittgenerations-Zytostatika bestanden, ergab sich ein signifikanter Vorteil
hinsichtlich des Ansprechens, nicht aber des Überlebens für die
Platin-Kombinationen (Ansprechen: OR 1,17; 95 % CI
1,01–1,36; p = 0,042,
Überleben: OR, 1,11; 95 % CI,
0,96 – 1,28; p = 0,17). Wenn Platin-Kombinationen
gegen nicht-platinhaltige Monotherapien getestet wurden, ergab sich ein
signifikanter Vorteil für die Platin-Kombinationen für Ansprechen und
Überleben (Ansprechen: OR, 2,62; 95 % CI,
2,22 – 3,09; P < 0,0001, Überleben: OR 1,38;
95 % CI 1,17 – 1,63; P < 0,0001). Die Toxizität von
platinhaltigen Kombinationstherapien war signifikant höher als für
platinfreie Kombinationen. Lebensqualitätsanalysen wurden nicht berichtet.
Die Studien, die in die Meta-Analyse eingeschlossen wurden, waren nicht auf
den
Nachweis von Nicht-Unterlegenheit ausgerichtet (Evidenztab. 7.5.2.3).
Demgemäß ist die Behandlung der Wahl eine platinbasierte
Kombinationstherapie. Bei Kontraindikationen gegen eine platinhaltigen
Chemotherapie kann eine platinfreie Drittgenerations-Kombinationstherapie
empfohlen werden (Evidenzgrad 1a).
7.5.2.4 Cisplatin versus Carboplatin in der
Kombinationschemotherapie
In einer Metaanalyse auf non-IPD (Individual Patient Data)
Basis wurden 8 randomisierte Studien eingeschlossen, die Cisplatin
(75 – 120 mg/m2 ) +
Kombinationspartner mit Carboplatin (in 3 Studien
300 – 500 mg/m2 ; in 5 Studien AUC
5 – 6) + Kombinationspartner verglichen.
Kombinationspartner war in 3 Studien Etoposid, Vindesin, Vinblastin oder
Mitomycin C und in 5 Studien Gemcitabin oder Taxan. Die Analyse aller Studien
zeigt für Cisplatin eine signifikante Verbesserung der Remissionsrate
(Hazard Ratio 1,36; p < 0,001) ohne signifikante Verbesserung
der Überlebenszeit. Die Subgruppenanalyse der Studien, in denen Gemcitabin
oder Taxan als Kombinationspartner eingesetzt wurde, zeigt für Cisplatin
eine signifikante Verbesserung der Remissionsrate (Hazard Ratio 1,38;
p = 0,001) wie auch signifikante Verbesserung der
Überlebenszeit (Hazard Ratio 1,1; p = 0,04)
[644 ].
In einer weiteren Metaanalyse auf IPD (Individual Patient
Data) Basis wurden 9 randomisierte Studien eingeschlossen (Altersmedian der
Patienten 60 Jahre; ECOG 0,1 83 %). Für Cisplatin zeigt sich
eine signifikante Verbesserung der Remissionsrate (30 % vs.
24 %; Odds Ratio 1,37; p < 0,001) ohne
signifikante Verbesserung der Überlebenszeit (Odds Ratio 1,07;
p = 0,1). Die Subgruppenanalyse der Studien, in denen
Gemcitabin, Vinorelbin oder Taxan als Kombinationspartner eingesetzt wurde,
zeigt für Cisplatin eine signifikante Verbesserung der Remissionsrate wie
auch signifikante Verbesserung der Überlebenszeit (Odds Ratio 1,11;
p < 0,05) [645 ].
Die Metaanalysen belegen, dass Cisplatin im Vergleich zu
Carboplatin in der Kombinationstherapie mit einer weiteren Substanz zu einer
signifikant höheren Remissionsrate führt und bei Kombination mit
Gemcitabin, Taxan oder Vinorelbin auch die Überlebenszeit signifikant
länger ist (Evidenztab. 7.5.2.4.). Daher wird in der Erstlinientherapie
bei Patienten ohne ausschließende Komorbidität die Behandlung mit
Cisplatin empfohlen (Evidenzgrad 1a). Bei relevanter Komorbidität
(Herzinsuffizienz; Niereninsuffizienz) sollte Carboplatin bevorzugt werden
(Evidenzgrad 5).
7.5.2.5 Stellenwert von Drittgenerationszytostatika
Als Kombinationspartner stehen die Zytostatika der zweiten
Generation wie Etoposid, Vindesin, Mitomycin und Ifosfamid oder der sog.
dritten Generation wie Gemcitabin, Paclitaxel, Docetaxel, Vinorelbin und
Pemetrexed zur Verfügung. Im Vergleich zu best-supportive-care haben die
Drittgenerationszytostatika in der Monochemotherapie ihren Vorteil für das
Gesamtüberleben gezeigt [642 ]
[646 ] und sind mittlerweile in der Kombination mit
Cisplatin als untereinander äqui-effektiv etabliert [647 ]
[648 ]
[649 ]. Für die Kombination Cisplatin/Pemetrexed wurde
in einer randomisierten Studie Äquieffektivität zu
Cisplatin/Gemcitabin gezeigt; eine explorative Subgruppenanalyse zeigte
für Nicht-Plattenepithelkarzinome eine um 1,4 Monate bessere mediane
Überlebenszeit mit Cisplatin/Pemetrexed [650 ] und
führte zur Zulassung zur Behandlung von
Nicht-Plattenepithelkarzinomen.
Die Frage der Überlegenheit von
Drittgenerations-Cisplatin-Kombinationen gegenüber
Zweitgenerations-Cisplatin-Kombinationen wurde in einer Reihe von
Phase-III-Studien ohne einheitliches Ergebnis überprüft
[623 ]
[651 ]
[652 ]
[653 ]
[654 ]
[655 ].
Drei prospektiv randomisierte Studien zeigen einen
signifikanten Überlebensvorteil von Drittgenerations-Kombinationen
gegenüber Zweitgenerations-Kombinationen (Cisplatin/Vinorelbin versus
Cisplatin/Vindesin [652 ]; Carboplatin/Gemcitabin versus
Mitomycin, Cisplatin, Ifosfamid [655 ];
Cisplatin/Docetaxel versus Cisplatin/Vindesin [656 ]).
In zwei Metaanalysen wurden Effekte von
Drittgenerations-Zytostatika gegenüber Zweitgenerationszytostatika
untersucht. Eine Metaanalyse überprüfte die Effektivität von
Gemcitabin-Kombinationen gegenüber einer Monotherapie sowie einer Zwei-
bzw. Dreifachtherapie von II. und III. Generationssubstanzen. Die getrennte
Analyse der Studien mit Kombinationschemotherapie zeigt einen statistisch
signifikanten Vorteil für die Kombination Gemcitabin und Cisplatin
gegenüber der Kombination von Platinderivat und
Zweitgenerationszytostatikum [657 ]. In einer zweiten
Metaanalyse wurde in der platinbasierten Kombinationstherapie Docetaxel gegen
Vincaalkaloide (Vinorelbin oder Vindesin) verglichen. Docetaxel war statistisch
signifikant überlegen gegenüber Vinkaalkaloiden hinsichtlich
Überleben und Toxizität [658 ]. Diese
Metaanalyse wurde auf Basis individueller Patientendaten aktualisiert und kam
zum identischen Ergebnis hinsichtlich der klinischen Effektivität
[659 ] (Evidenztab. 7.5.2.5). In einer kürzlich
publizierten randomisierten Studie (Tan et al. 2009 [660 ]) wurde Cisplatin/Docetaxel im Vergleich zu
Cisplatin/Vinorelbin (Tag 1, i. v.; Tag 8, oral) geprüft. Die auf
Basis eines Superiority-Designs konzipierte Studie (Endpunkt „time to
treatment failure”) zeigte keine Überlegenheit für einen der
beiden Therapiearme. In der explorativen Betrachtung der beiden Therapiearme
fanden sich vergleichbare Ergebnisse für die analysierten Endpunkte der
Studie (time to treatment failure; Remissionsrate; Gesamtüberleben).
7.5.2.6 Mono- versus Kombinationschemotherapie
7.5.2.6.1
Zweitgenerationszytostatika
Zwei Metaanalysen, überwiegend mit
Zweitgenerationszytostatika durchgeführt, belegen einen signifikanten
Vorteil einer Kombinationstherapie im Vergleich zur Monotherapie
[582 ]
[661 ]. Die
Kombinationstherapie ergibt ein besseres Ansprechen
(20 – 35 %) und ein verbessertes
1-Jahres-Überleben (24,4 % bzw. 21,7 %),
allerdings bei gesteigerter Toxizität und therapieassoziierter
Mortalität (< 1 % vs.
2 – 3 %) (Evidenzgrad 1a) (Evidenztab.
7.5.2.6.1).
7.5.2.6.2
Drittgenerationszytostatika
Auch für die Drittgenerationszytostatika wurde ein
Vorteil der Kombination gegenüber einer Cisplatin-Monotherapie mit
verbessertem Ansprechen und Überleben gezeigt [610 ]
[662 ]
[663 ]
[664 ].
In einer Metaanalyse wurde die Frage einer Monotherapie vs.
Kombinationstherapie untersucht. Die platinhaltige Kombinationstherapie war
gegenüber Drittgenerations-Monotherapien hinsichtlich Ansprechen
(OR = 2,62; 95 % CI
2,22 – 3,09; P < 0,0001) und Überleben
(OR = 1,38; 95 % CI 1,17 bis 1,63;
P = 0,0001) signifikant
überlegen [643 ] (Evidenzgrad 1a) (Evidenztab.
7.5.2.6.2).
7.5.2.7 Therapiedauer
In zwei randomisierten Studien wurde die Zeitdauer der
Chemotherapie geprüft (Evidenztab. 7.5.2.7). Eine Studie sollte einen
Unterschied der 6-monatigen Überlebensrate von
≥ 33 % bzw. der medianen Überlebenszeit (MÜZ)
von 4 auf 6 Monate beim Vergleich von 3 versus 6 Zyklen
Mitomycin/Vinblastin/Cisplatin zeigen. Ein Unterschied wurde nicht festgestellt
(MÜZ 6 versus 7 Monate; p = 0,2); allerdings
erhielten im Vergleichsarm nur 31 % der Patienten 6 Zyklen
Chemotherapie [665 ]. In einer weiteren Studie sollte
ein Unterschied in der 1-Jahres-Überlebensrate von 15 %
gezeigt werden. Geprüft wurde die Gabe von 4 Zyklen Carboplatin/Paclitaxel
versus fortlaufender Gabe von Carboplatin/Paclitaxel bis zur
Erkrankungsprogression. Im Falle der Erkrankungsprogression wurde in beiden
Armen auf wöchentliche Gabe von Paclitaxel umgestellt. Weder für die
Überlebenszeit noch Lebensqualität konnte die Überlegenheit
eines Therapiearmes nachgewiesen werden [666 ]. Obzwar
beide Studien kein Non-Inferiority-Design zur Grundlage hatten, kann gefolgert
werden, dass eine über 4 – 6 Chemotherapiezyklen
hinausgehende Behandlung in der Erstlinientherapie weder hinsichtlich der
Überlebenszeit, noch hinsichtlich der Lebensqualität Vorteile bringt
(Evidenzgrad 1b).
Kürzlich publizierte Studien weisen darauf hin, dass nach
einer Primärbehandlung mit 4 Zyklen einer platinhaltigen
Kombinationschemotherapie eine direkt anschließende
Konsolidierungschemotherapie für ausgewählte Patienten im Vergleich
zu einer Zweitlinientherapie bei Erkrankungsprogression im Hinblick auf die
Verbesserung des progressionsfreien Überlebens wie auch das
Gesamtüberleben sinnvoll sein könnte (Fidias et al. 2008
[667 ], Ciuleanu et al. 2009 [668 ], Soon et al. 2009 [669 ]).
Eine abschließende Bewertung und damit insbesondere auch eine Empfehlung,
welche Patienten von einer sog. frühen Konsolidierungsbehandlung
profitieren, sind derzeit nicht möglich.
7.5.2.8 Stellenwert der Monochemotherapie
Bei älteren Patienten (> 70 Jahre) wurde in
einer randomisierten Studie (ECOG 2, 24 %; ≥ 2
Komorbiditäten, 21 %) der Stellenwert einer
Monochemotherapie (Vinorelbin) im Vergleich zu BSC geprüft. Tumorbedingte
Symptome (Schmerz, Dyspnoe) und mediane Überlebenszeit waren signifikant
gebessert bzw. verlängert, während chemotherapiebedingte
Nebenwirkungen (Neuropathie; Obstipation) signifikant zunahmen. In einer
weiteren randomisierten Studie bei älteren Patienten (> 70
Jahre; ECOG 2, 19 %; ≥ 2 Komorbiditäten,
66 %) wurde eine Kombinationstherapie aus Gemcitabin und
Vinorelbin im Vergleich zur Monotherapie mit Gemcitabin oder Vinorelbin
geprüft. Eine Überlegenheit (Verbesserung der medianen
Überlebenszeit) der Kombination im Vergleich zur Monotherapie konnte nicht
gezeigt werden [646 ]. Die Studien zeigen, dass
Patienten, bei denen aufgrund von Komorbidität oder Allgemeinzustand eine
platinbasierte Kombinationschemotherapie nicht möglich ist, von einer
Monotherapie mit einem Drittgenerationszytostatikum profitieren
(Symptomenkontrolle; mediane Überlebenszeit) (Evidenzgrad 1b).
Höheres Alter (> 70 Jahre) allein sollte kein Ausschlussgrund
von einer platinbasierten Kombinationstherapie sein. Die retrospektive
Kohortenanalyse einer Phase-III-Studie, in der Cisplatin mit verschiedenen
Kombinationspartnern geprüft wurde zeigt, dass bei Patienten
> 70 Jahre ohne relevante Komorbidität die cisplatinbasierte
Kombinationschemotherapie gleiche Effektivität/Nebenwirkungen hatte wie
bei Patienten < 70 Jahre [670 ] (Evidenztab.
7.5.2.8). Die Frage, ob eine orale Therapie mit Vinorelbin einer
intravenösen Vinorelbin-Therapie unterlegen ist, wurde in einer
randomisierten Phase-II-Studie überprüft. In dieser Studie war die
orale Vinorelbin-Applikation statistisch signifikant schlechter für
Überleben und progressionsfreies Überleben als die intravenöse
Vinorelbin-Applikation. Dies traf insbesondere auf die PS 2-Patienten zu
[671 ]. In einer weiteren randomisierten Phase-II-Studie
(Vinorelbin oral vs. Vinorelbin i. v.) zeigten sich im Hinblick auf die
analysierten Endpunkte (Remissionsrate; progressionsfreies Überleben und
Gesamtüberleben) vergleichbare Ergebnisse zwischen beiden Therapiearmen
(Jassem et. al. 2001 [672 ]).
7.5.2.9 Stellenwert rezeptor- bzw. ligandenspezifischer
Therapieansätze
Im Stadium IIIB ergab die Gefitinib-Erhaltungstherapie nach
Chemo-Strahlen- und Konsolidierungschemotherapie im Vergleich gegen Placebo
keinen Vorteil; eine Interimsanalyse zeigte einen ungünstigen Effekt von
Gefitinib mit einer Dosierung von 250 mg/Tag bezüglich des
Überlebens [673 ]. Die Kombination einer
Zweifach-Chemotherapie mit einer Therapie mit den oralen Tyrosinkinasehemmern
Erlotinib oder Gefitinib zeigte keinen Vorteil hinsichtlich Ansprechen,
progressionsfreiem Überleben und Überleben [674 ]
[675 ]
[676 ]
[677 ].
Die Kombination von Zweifach-Chemotherapie (Paclitaxel und
Carboplatin) mit dem Anti-VEGF-Antikörper Bevacizumab in einer Dosierung
von 15 mg/kg KG alle 3 Wochen ergab in einer randomisierten Studie bei
Patienten mit Nicht-Plattenepithelkarzinomen einen statistisch signifikanten
Vorteil (Median) für das Gesamtüberleben (2 Monate) und
progressionsfreie Überleben (1,7 Monate), sowie eine Verbesserung der
CR/PR Raten von 15 % auf 35 % [678 ] zugunsten der Kombination mit Bevacizumab
(Evidenzgrad 1b). Eine zweite Studie, deren primärer Endpunkt das
progressionsfreie Überleben war, prüfte die Kombination von
Bevacizumab 7,5 mg/kg KG und von 15 mg/kg KG alle 3 Wochen mit
Gemcitabin und Cisplatin. Ein statistisch signifikanter Vorteil für den
primären Endpunkt konnte für beide Dosierungen in
Übereinstimmung mit der amerikanischen Studie erreicht werden, mit einer
HR von 0,75 (p = 0,0026) bzw. 0,82
(p = 0,03). Die Ansprechrate war ebenfalls signifikant
besser für die Bevacizumab-Kombinationen mit 34 % für
7,5 mg/kg KG bzw. 30 % für 15 mg/kg KG
gegenüber 20 % im Kontrollarm [679 ].
In beiden Studien wurde Bevacizumab in den experimentellen Armen nach Abschluss
der Chemotherapie bis zum Progress als Erhaltungstherapie appliziert, die
Effektivität der Bevacizumab-Erhaltungstherapie ist allerdings bisher
nicht in einer kontrollierten Studie überprüft. In Subgruppenanalysen
zeigt sich, dass unter Behandlung mit Bevacizumab plus Chemotherapie bei
Patienten > 70 Jahre die therapieassoziierte Letalität mit
6 % beachtlich sein kann [680 ]
(Evidenzgrad 3a). In einer weiteren Subgruppenanalyse wurde offensichtlich,
dass Frauen von einer Behandlung mit Bevacizumab im Hinblick auf das
Gesamtüberleben nicht profitierten [678 ]
(Evidenztab. 7.5.2.9).
Die Kombination einer 2-fach-Chemotherapie (Cisplatin und
Vinorelbine) mit dem EGF-Rezeptor-Antikörper Cetuximab zeigte in einer
randomisierten Studie mit EGF-Rezeptor-Expression (Immunhistochemie) einen
Vorteil der medianen Überlebenszeit für den Therapiearm mit Cetuximab
von 1,2 Monaten (10,1 vs. 11,3 Monate; HR 0,87), der bei einer Patientenzahl
von 1,125 signifikant war (p = 0,044) [681 ] (Evidenztab. 7.5.2.9).
In einer randomisierten Studie wurde bei 1217 asiatischen
Patienten mit Adenokarzinomen und keinem oder begrenztem Nikotinkonsum
(94 % Nieraucher) in der Primärbehandlung der Stellenwert
einer Therapie durch den EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor Gefitinib mit
einer Chemotherapie (Carboplatin/Taxol) verglichen (I-PASS-Studie). Für
den Behandlungsarm mit Gefitinib zeigte sich bei einer medianen
Nachbeobachtungszeit von 5,6 Monaten eine Verbesserung des progressionsfreien
Überlebens (HR = 0,74; p < 0,0001).
Bei Patienten mit Nachweis einer Mutation des EGF-Rezeptor-Gens (analysiert
437/positiver Mutationsstatus 261; 60 %) zeigte sich im Vergleich
zur Chemotherapie für Gefitinib eine signifikante Verbesserung der
Remissionsrate (ORR) (71 % vs. 47 %;
p = 0,0001) wie auch des progressionsfreien
Überlebens (HR = 0,48; p < 0,0001)
[682 ]. Kritisch anzumerken ist, dass in der Studie
keine zentrale Auswertung der Tumorevaluation vorgesehen war. Die Ergebnisse
dieser Studie haben dazu geführt, dass Gefitinib bei Patienten mit
Nachweis einer EGF-Rezeptor-Mutation im Stadium IIIB/IV des NSCLC in allen
Therapielinien zugelassen wurde.
7.5.2.10 Diskussionspunkte
Für die Rezeptor- und ligandenspezifische Therapie ist es
notwendig, in Zukunft prädiktive Parameter zu entwickeln, die vorhersagen,
welche Gruppen von Patienten von der Therapie am ehesten profitieren. Ebenfalls
ist eine Verbesserung der Therapieergebnisse zum jetzigen Zeitpunkt mit den
vorhandenen Substanzen am ehesten von pharmakogenomischen Ansätzen zu
erwarten, die in prospektiven klinischen Studien mit standardisierten und
validierten Nachweisverfahren erhoben werden sollten.
Empfehlungen
• Bei Patienten im Stadium IIIB/IV in gutem
Allgemeinzustand (ECOG 0,1) sollte eine cisplatinbasierte
Kombinationschemotherapie zur Verbesserung der Überlebenszeit, der
Krankheitskontrolle und der Lebensqualität durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad A).
• Bei relevanter Komorbidität (Herzinsuffizienz;
Niereninsuffizienz) kann Carboplatin statt Cisplatin eingesetzt werden.
Alternativ kann dann auch eine platinfreie Kombination mit
Drittgenerationszytostatika eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
• In der Erstlinienchemotherapie sollten 4
(– 6) Zyklen gegeben werden. Es gibt derzeit keine konsistenten
Daten, die im Hinblick auf die Überlebenszeit in der Erstlinienbehandlung
eine Erhaltungschemotherapie unterstützen (Empfehlungsgrad B).
• Patienten in reduziertem Allgemeinzustand (ECOG 2)
bzw. mit Kontraindikationen gegen eine platinbasierte Kombinationschemotherapie
im Stadium IIIB/IV können eine Monotherapie mit einem
Drittgenerationszytostatikum (z. B. Vinorelbin, Gemcitabin) erhalten
(Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten im Stadium IIIB/IV (ECOG 0,1) mit
Nicht-Plattenepithelkarzinom führt die Behandlung mit Bevacizumab
zusätzlich zur platinbasierten Kombinationschemotherapie zu einer
signifikanten Verbesserung der Remissionsrate und der medianen
Überlebenszeit bzw. des medianen progressionsfreien Überlebens. Bei
selektionierten Patienten im Stadium IIIB/IV mit Nicht-Plattenepithelkarzinom
und gutem Allgemeinzustand (ECOG 0,1) kann daher – unter
Berücksichtigung der Kontraindikationen – Bevacizumab in der
Erstlinienbehandlung zusätzlich zur platinbasierten
Kombinationschemotherapie eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
• Die weitere Charakterisierung von
Patientensubgruppen, die am besten profitieren, ist wünschenswert
(Empfehlungsgrad D).
• Bei Patienten > 70 Jahre kann die
therapieassozierte Toxizität und Letalität unter Bevacizumab
bedeutsam sein. Daher sollte bei älteren Patienten die Indikation
besonders streng unter kritischer Würdigung der Komorbidität gestellt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Auch unter einer laufenden Therapie müssen
regelmäßige Kontrollen erfolgen, um eine die Lebensqualität
kompromittierende Symptomatik frühzeitig zu erkennen und zu behandeln
(Empfehlungsgrad B).
• Unter einer laufenden Therapie sollten die
Kontrolluntersuchungen in der Regel in 6-wöchigen Intervallen erfolgen.
Nach abgeschlossener Therapie erfolgen Kontrollen nach klinischer Erfordernis,
die Kontrollintervalle liegen in der Regel bei 6 – 12
Wochen (Empfehlungsgrad D).
• Bei Patienten im Stadium IIIB/IV führt die
Behandlung mit Cetuximab zusätzlich zur platinbasierten
Kombinationschemotherapie zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der
Remissionsrate und der medianen Überlebenszeit. Bei Patienten im Stadium
IIIB/IV kann Cetuximab in der Erstlinienbehandlung zusätzlich zur
platinbasierten Kombinationschemotherapie eingesetzt werden (Empfehlungsgrad
B).
• Die weitere Charakterisierung von
Patientensubgruppen, die am besten profitieren, sollte erfolgen
(Empfehlungsgrad D). Zum Zeitpunkt der Publikation der Leitlinie ist Cetuximab
nicht zur Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms zugelassen.
• Bei Patienten mit aktivierenden Mutationen des
EGF-Rezeptors (insbesondere del. 19; exon 21 L858R) ist Gefitinib im Hinblick
auf Remissionsrate und progressionsfreies Überleben in der
Erstlinienbehandlung einer Chemotherapie signifikant überlegen
(Empfehlungsgrad B). Gefitinib ist daraufhin bei positivem Mutationsstatus des
EGF-Rezeptors in allen Therapielinien als eine mögliche Behandlungsoption
zugelassen worden. In der zulassungsrelevanten Studie erfolgte die Analyse des
Mutationsstatus bei Patienten mit einem Adenokarzinom und minimalem
Nikotinkonsum (94 % Nieraucher).
7.5.2.11 Empfehlungen für die künftige
Therapieentwicklung
Rezeptor- bzw. ligandenspezifische Therapieansätze
(z. B. Inhibition des EGF- bzw. VEGF-Signalweges (Antikörper;
Tyrosinkinaseinhibitoren)) werden derzeit geprüft bzw. finden bereits
Eingang in die Systemtherapie des NSCLC. Angesichts des spezifischen
Wirkmechanismus und der Möglichkeit zur molekularen Charakterisierung von
Tumoren besteht die Möglichkeit über das „molekulare
Tumorprofil” Patientengruppen zu charakterisieren, die besonders gut von
diesen Ansätzen profitieren [683 ]
[684 ] (Evidenzgrad 3a). Künftig wird eine zunehmende
Zahl von Therapieansätzen auf diesem Feld erwartet. Um eine adäquate
Differenzialtherapie zu ermöglichen und kosteneffektiv zu therapieren, ist
es wünschenswert, in klinischen Studien – insbesondere in solchen
mit rezeptor- bzw. ligandenspezifischen Therapieansätzen – die
molekulare Charakterisierung der Tumoren durchzuführen und mit dem Outcome
zu korrelieren. Die klinische Entwicklung von rezeptor- bzw.
ligandenspezifischen Therapieansätzen sollte daher nur in klinischen
Studien mit adäquater Gewebeasservation und molekularer Charakterisierung
der Tumoren sowie deren Korrelation mit dem Outcome erfolgen (Evidenzgrad
5).
7.5.3 Systemtherapie (Zweitlinie und weitere)
7.5.3.1 Indikation/Patientenselektion
Ziel einer Zweitlinientherapie ist die Verbesserung der
Überlebenszeit sowie die Kontrolle von Tumor-assoziierten Symptomen. In
Phase-III-Studien, die den Stellenwert einer Zweitlinientherapie
überprüften, wurden Patienten mit PS 0 – 2
aufgenommen. Den größten klinischen Nutzen wiesen Patienten mit PS 0
und 1 auf, allerdings konnte ein statistisch signifikanter Vorteil hinsichtlich
des Überlebens auch für PS 2-Patienten in Subgruppenanalysen
nachgewiesen werden. Die Dauer des therapiefreien Intervalls hat einen
günstigen Einfluss auf das Überleben mit einer Zweitlinientherapie
[685 ]
[686 ].
7.5.3.2 Konventionelle Chemotherapie
Bei Erkrankungsprogression nach stattgehabter primärer
Chemotherapie kann im Stadium IIIB/IV eine erneute Chemotherapie mit Docetaxel
bzw. Pemetrexed oder eine Behandlung mit dem
EGF-Rezeptor-Tyrosinkinase-Inhibitor Erlotinib eingeleitet werden. Für
Docetaxel (ECOG 2, 24 % der Patienten; platinbasierte
Vortherapie, 100 %) wurde im Vergleich zu BSC eine signifikante
Verbesserung der medianen Überlebenszeit gezeigt. In einer weiteren Studie
mit Non-Inferiority-Design wurde im Vergleich zwischen Docetaxel und Pemetrexed
(ECOG 2, 12 % der Patienten; platinbasierte Vortherapie,
91 %) Äquieffektivität für Ansprechen und
Überleben bei signifikant günstigerem Toxizitätsprofil für
Pemetrexed gezeigt [685 ].
Die Remissionsraten in diesen Studien liegen in der
Größenordnung von 5,8 % bis 9,1 %.
Dennoch findet sich im Vergleich zu BSC eine signifikante Verbesserung der
medianen Überlebenszeit und bestimmter Parameter der Lebensqualität
(Schmerz, Husten, Dyspnoe) (Evidenzgrad 1b) [686 ]
[687 ]
[688 ] (Evidenztab.
7.5.3.2.).
In einer weiteren Phase-III-Studie wurde Docetaxel gegen
Vinorelbin oder Ifosfamid in der Zweitlinie überprüft. Es konnte kein
signifikanter Unterschied im primären Studienziel (mediane
Überlebenszeit) gezeigt werden, jedoch fanden sich signifikante
Unterschiede in den sekundären Studienzielen (1-Jahres-Überleben und
progressionsfreies Überleben) [689 ].
In einer Metaanalyse, die 865 Patienten einschloss, konnte
gezeigt werden, dass Docetaxel 75 mg/m2 alle 3 Wochen
gegenüber einer wöchentlichen Applikation mit
33 – 36 mg/m2 hinsichtlich Überleben
und progressionsfreiem Überleben äquieffektiv ist. Die
wöchentliche Applikation von Docetaxel weist gegenüber der
3-wöchentlichen signifikante Vorteile hinsichtlich der
hämatologischen Toxizitäten (Granulozytopenie und febrile
Granulozytopenie) auf [690 ] (Evidenzgrad 1b).
In zwei weiteren Studien wurden Topotecan und Vinflunin im
Vergleich zu Docetaxel (Non-Inferiority-Design) untersucht. Für Topotecan
2,3 mg/m2 (oral) d1 – 5 alle 3 Wochen
konnte Äquieffektivität gegenüber Docetaxel
75 mg/m2 alle 3 Wochen hinsichtlich des
1-Jahres-Überlebens (25,1vs 28,7 %;
HR = 1,23, CI 1,06 – 1,44) sowie der
Zeit bis zur Tumorprogression (11 vs. 13 Wo, p = 0,02,
HR = 1,2; CI 1,02 – 1,39) gezeigt
werden [691 ]. Gleichermaßen wurde für
Vinflunin (320 mg/m2 ) Äquieffektivität
gegenüber Docetaxel für das primäre Studienziel
(progressionsfreies Überleben 2,3 vs. 2, 3 Monate) und die sekundären
Studienziele gezeigt werden [692 ]. In beiden Studien
liegen keine Subgruppenanalysen für PS 2-Patienten vor. Für
beide Substanzen ist allerdings bisher keine formale Zulassung erteilt
worden.
7.5.3.3 Stellenwert rezeptor- bzw. ligandenspezifischer
Therapieansätze
In einer randomisierten Studie (Non-Inferiority-Design) wurde
für Gefitinib Äquivalenz im Vergleich zu Docetaxel gezeigt (Hazard
Ratio Gesamtüberleben) [693 ]. Im Hinblick auf die
Lebensqualität war die Behandlung mit Gefitinib günstiger. Die
ergänzenden Daten der I-PASS-Studie (vgl. 7.5.2.9) haben zur Zulassung von
Gefitinib bei Patienten mit Nachweis einer aktivierenden EGF-Rezeptor-Mutation
(insbesondere del. 19; exon 21 L858R) in allen Therapielinien geführt.
In einer randomisierten Studie wurde für Erlotinib im
Vergleich zu BSC (ECOG 2, 25 %; ECOG 3, 9 %;
platinbasierte Vortherapie, 92 %; ≥ 2 Vortherapien,
50 %) eine signifikante Verbesserung der medianen
Überlebenszeit gezeigt [686 ].
Prädiktoren für Ansprechen auf Erlotinib, die in
einer multivariaten Analyse definiert wurden, waren Nieraucherstatus,
d. h. < 100 Zigaretten lebenslang
(p < 0,001), Adenokarzinom (p = 0,01) und
EGFR Expression (p = 0,03) [686 ].
Die Expression von EGFR hatte keinen Einfluss hinsichtlich progressionsfreiem
Überleben und Überleben (Evidenztab. 7.5.3.3).
7.5.3.4 Diskussionspunkte
Die optimale Sequenz der Zweit- und Drittlinientherapie ist
nicht durch prospektive Studien untersucht. In einer japanischen Studie, die
in
der Zweitlinie Docetaxel und Gefitinib bei unselektionierten Patienten
verglich, konnte eine Nicht-Unterlegenheit von Gefitinib nicht nachgewiesen
werden [694 ].
Empfehlungen
• Bei Patienten in gutem Allgemeinzustand mit einer
Erkrankungsprogression nach primärer Chemotherapie wird die
Durchführung einer Zweitlinientherapie bis zum Progress oder Auftreten von
Toxizitäten empfohlen (Empfehlungsgrad A). Trotz niedriger Ansprechraten
kann eine Verlängerung des Überlebens und eine Verbesserung
tumorbedingter Symptome erreicht werden. In Phase-III-Studien sind mit
entsprechender Evidenz geprüft: Docetaxel, Pemetrexed, Topotecan,
Vinflunin, Gefitinib und Erlotinib. Zugelassen für die Behandlung sind
allerdings nur: Docetaxel, Pemetrexed (Nicht-Plattenepithelkarzinome) und
Erlotinib.
• Gefitinib ist bei aktivierenden Mutationen des
EGF-Rezeptors (insbesondere del. 19; exon 21 L858R) in allen Therapielinien,
auch in der Zeitlinientherapie, zur Behandlung zugelassen (Empfehlungsgrad B).
In der zulassungsrelevanten Studie erfolgte die Analyse des Mutationsstatus
bei
Patienten mit einem Adenokarzinom und minimalem Nikotinkonsum
(94 % Nieraucher).
• Bei Patienten, die nach einer Zweitlinientherapie
progredient sind, kann eine Drittlinientherapie durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten mit längerfristigem
Krankheitsverlauf kann bei entsprechender klinischer Situation und akzeptablem
Risikoprofil zur Symptomenkontrolle eine weitere Antitumortherapie auch nach
der Drittlinienbehandlung eingesetzt werden (Empfehlungsgrad D).
7.5.3.5 Empfehlungen für die künftige
Therapieentwicklung
Rezeptor- bzw. ligandenspezifische Therapieansätze werden
derzeit geprüft bzw. finden bereits Eingang in die Systemtherapie des
NSCLC. Angesichts des spezifischen Wirkmechanismus und der Möglichkeit zur
molekularen Charakterisierung von Tumoren besteht die Möglichkeit
über das „molekulare Tumorprofil” Patientengruppen zu
charakterisieren, die besonders gut von diesen Ansätzen profitieren.
Künftig wird eine zunehmende Zahl von Therapieansätzen auf diesem
Feld erwartet. Um eine adäquate Differenzialtherapie zu ermöglichen
und kosteneffektiv zu therapieren, sollte in klinischen Studien –
insbesondere in solchen mit rezeptor- bzw. ligandenspezifischen
Therapieansätzen – die molekulare Charakterisierung der Tumoren
durchgeführt und mit dem Outcome korreliert werden (Evidenzgrad 5).
7.5.4 Therapie synchroner solitärer Metastasen (Hirn;
Nebenniere) unter Einbezug der Resektion des Primärtumors
Bei Erstdiagnose von nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen
befinden sich 39 % der Patienten im Stadium IV
[695 ]. Lediglich 12 % der Patienten
weisen bei Erstdiagnose eines nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms solitäre
Metastasen auf, wobei sich diese am häufigsten in Gehirn
(5 %) oder Nebennieren (4 %) finden
[696 ]
[697 ]
[698 ]
[699 ]. Prinzipiell muss
zwischen synchronen und metachronen solitären Metastasen unterschieden
werden. In diesem Kapitel werden lediglich synchrone solitäre Metastasen
abgehandelt, also Metastasen, die bei Erstdiagnose eines Lungenkarzinoms
bereits nachweisbar sind. Die Metastasektomie mit anschließender
Lungenresektion und adjuvanter Therapie steht der palliativen Therapie ohne
Tumorresektion gegenüber.
Zur Therapie von solitären synchronen Metastasen bei
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen existieren keine systematischen
Übersichtsarbeiten. Daher wurden in diesen systematischen Überblick
alle vorhandenen retrospektiven Studien (fünf zu synchronen zerebralen
Metastasen und zwei zu synchronen Nebennierenmetastasen) eingeschlossen.
7.5.4.1 Effektivität
Zu solitären synchronen zerebralen Metastasen wurden
fünf retrospektive Studien gefunden [700 ]
[701 ]
[702 ]
[703 ]
[704 ] (Evidenzgrad 3). Die 5-Jahres-Überlebensrate
nach zerebraler Metastasektomie mit Ganzhirnbestrahlung und
anschließender Lungenresektion mit postoperativer Chemotherapie oder
Strahlentherapie betrug zwischen 11 % und 52 %. Bei
dem Vergleich von Patienten ohne Lymphknotenbefall mit Patienten mit pN1- oder
pN2-Situation zeigt sich ein signifikant günstigeres
5-Jahres-Überleben bei den pN0-Patienten (Evidenztab. 7.5.4.1A).
Zu solitären synchronen Nebennierenmetastasen wurden zwei
retrospektive Studien gefunden [705 ]
[706 ] (Evidenzgrad 3b). Sie sind untereinander schwer zu
vergleichen, da die zugrunde gelegten Therapiekonzepte unterschiedlich sind.
In
der einen Arbeit [705 ] wird zunächst eine
neoadjuvante Chemotherapie und anschließend Adrenalektomie mit
darauffolgender Lungentumorresektion beschrieben, und in der anderen Arbeit
werden Nebennierenmetastasen ohne neoadjuvante Chemotherapie, zum Teil sogar
in
ein und derselben Operation, reseziert und die Chemotherapie postoperativ
verabreicht [706 ]. Die 5-Jahres-Überlebensrate
nach neoadjuvanter Chemotherapie und Adrenalektomie mit anschließender
Lungenresektion wird mit 20 % angegeben und die von Patienten mit
palliativer Chemotherapie alleine in derselben Studie mit 0 %
[705 ].
In der zweiten Arbeit wird eine 5-Jahres-Überlebensrate
von 11 % erzielt [706 ]. Somit ist das
Konzept der neoadjuvanten Chemotherapie und anschließender Adrenalektomie
mit darauffolgender Lungenresektion im Vergleich mit einer besseren
5-Jahres-Überlebensrate assoziiert. Dieser Vergleich ist jedoch kritisch
zu beurteilen, da in der Studie ohne neoadjuvante Chemotherapie nur bei
28 % der Patienten postoperativ eine Chemotherapie vorgenommen
wurde [706 ] (Evidenztab. 7.5.4.1B).
7.5.4.2 Morbidität/Letalität
Die Morbidität bei Lungenresektionen nach zerebraler
Metastasektomie und Ganzhirnbestrahlung wird mit 21 % angegeben,
die Letalität liegt zwischen 0 und 5,3 % und ist somit den
Zahlen nach den Standard-Lungenresektionen vergleichbar. Die Morbidität
nach Lungenresektion bei gleichzeitiger Adrenalektomie liegt bei
20 % [706 ] und ist somit im Vergleich zu
der Morbidität nach alleiniger Lungenresektion nicht erhöht. Die
Letalität bei chirurgischer Therapie solitärer synchroner
Lungenkarzinome mit solitären synchronen Nebennierenmetastasen betrug in
den oben genannten Studien 0 %. (Evidenzgrad 3b).
7.5.4.3 Zusammenfassung
Aufgrund des relativ seltenen Vorkommens von solitären
Metastasen bei resektablen Lungenkarzinomen gibt es bisher nur retrospektive
Studien mit inhomogenen Patientenpopulationen und relativ geringen Fallzahlen.
Diese Studien sind aufgrund unterschiedlicher Therapiekonzepte nur
eingeschränkt miteinander vergleichbar. Die Zusammenschau der oben
genannten Ergebnisse zeigt jedoch, dass ein 5-Jahres-Überleben von mehr
als 11 % in allen Studien erreicht wurde und bei konsequenter
Anwendung einer adjuvanten Chemotherapie weiter verbessert werden kann.
Empfehlungen
Bei diagnostisch gesichertem Vorliegen einer singulären
Metastase in Hirn oder Nebenniere und bei Vorliegen eines komplett resektablen
Lungentumors ohne Anhalt für mediastinale Lymphknotenmetastasen
(cT1 – 4, cN0 – 1, cM1) kann im
Einzelfall empfohlen werden, zunächst eine zerebrale Metastasektomie oder
– falls die histopathologische Diagnose am Primärtumor gesichert
wurde – die Radiochirurgie mit oder ohne anschließender
Ganzhirnbestrahlung bzw. eine Adrenalektomie vorzunehmen und anschließend
den Lungentumor zu resezieren sowie eine postoperative Chemotherapie
vorzunehmen (Empfehlungsgrad C).
7.5.5 Hirnmetastasen
Hirnmetastasen sind beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom
häufig. Schätzungen der Inzidenz von Hirnmetastasen bei Patienten mit
Lungenkarzinomen ergeben, dass bis 64 % der Patienten mit
Lungenkarzinom Hirnmetastasen entwickeln [707 ].
Standardmethode für den Nachweis von Hirnmetastasen ist die
Kernspintomografie mit und ohne Kontrastmittel, die eine höhere
Sensitivität als die Computertomografie aufweist [708 ]
[709 ]
[710 ]
[711 ]. Mit zunehmender
Sensitivität und Spezifität der diagnostischen Verfahren hat in der
Vergangenheit die Detektionsrate und damit auch die Multiplizität von
Hirnmetastasen zugenommen. In einer großen Autopsieserie fand sich bei
etwa 40 % der Patienten mit Hirnmetastasen eine solitäre
Hirnmetastase, bei 27 % 2 – 3 Hirnmetastasen
[712 ]. Typische Symptome von Hirnmetastasen sind
Kopfschmerzen, Hirndruckzeichen, neurologische Herdsymptome oder epileptische
Anfälle. Als neurologische Herdsymptome sind Hemiparese, Aphasie, Ataxie,
Sehstörungen oder Hirnstammsyndrome häufiger. Zur Supportivtherapie
von Hirnmetastasen gehören Kortikosteroide und Antikonvulsiva.
7.5.5.1 Ganzschädelbestrahlung
Die Ganzhirnstrahlentherapie ist eine effektive palliative
Therapie von Hirnmetastasen. Sie führt in etwa 40 % zu einer
partiellen Remission der Hirnmetastasen in den bildgebenden Verfahren
[713 ]
[714 ]
[715 ]. Sie führt bei etwa 45 % der
Patienten zu einer Symptomverbesserung, die in der Mehrheit innerhalb von 3
Wochen auftritt [716 ]
[717 ].
Nach 4 Wochen waren die klinischen Ansprechraten von Patienten in den ersten
RTOG-Studien der 70er-Jahre mit oder ohne begleitender Kortikosteroidtherapie
gleich. Bei Patienten mit ausgeprägtem Hirndruck sollte eine hochdosierte
Kortisontherapie vor Beginn der Strahlentherapie einsetzen, ggf. kann eine
neurochirurgische Intervention indiziert sein. Die Ansprechraten auf die
Ganzhirnstrahlentherapie von Patienten mit initial ausgeprägteren
neurologischen Symptomen waren höher als die von Patienten mit geringeren
Symptomen [716 ]. Die mediane Zeit bis zur erneuten
neurologischen Verschlechterung beträgt etwa 12 – 18
Monate nach Ganzhirnbestrahlung [718 ],
[713 ]. Das Überleben von Patienten mit
nicht-kleinzelligem Lungenkarzinom und Hirnmetastasen hängt nach der
Ganzhirnbestrahlung in erster Linie vom Allgemeinzustand, dem Alter und der
extrazerebralen Krankheitsaktivität ab. Gemäß der
Partitionsanalyse der RTOG-Studien wurden folgende prognostische Gruppen nach
Ganzhirnstrahlentherapie abgegrenzt: Klasse I: Karnofsky-Status
≥ 70 % (s. [Tab. 4 ]),
Alter < 65 J, Primarius kontrolliert und keine extrazerebralen
Metastasen; Klasse III: Karnofsky-Status < 70 %; Klasse
II: nicht Klasse I und nicht Klasse III. Die medianen Überlebenszeiten der
Patienten in Klasse I, II, und III betrugen 7,1 Monate, 4,2 Monate, und 2,1
Monate [719 ]. Die Ganzhirnstrahlentherapie stellt die
Standardtherapie bei Patienten mit mehr als 3 – 4
Hirnmetastasen oder Patienten mit anderen ungünstigen Prognosefaktoren wie
ein Karnofsky-Status < 70 % oder einer höheren
extrazerebralen Krankheitsaktivität dar. Die Standardfraktionierung der
Ganzhirnstrahlentherapie in palliativer Intention beträgt
10 × 3 Gy, 5 Fraktionen pro Woche. Durch eine
Änderung von Fraktionierung und Gesamtdosis der Ganzhirnbestrahlung konnte
keine Verbesserung des Überlebens oder der neurologischen Funktion erzielt
werden [717 ]. Das gleiche gilt bisher auch für
Strahlensensitizer, wobei Motexafin Gadolinium in Subgruppenanalyse
randomisierter Studien beim NSCLC Aktivität zeigte [715 ]
[713 ], die in weiteren
randomisierten Studien untersucht werden müssen. Kombinierte Therapien aus
Ganzhirnbestrahlung und simultaner Chemotherapie sollten im Rahmen von Studien
untersucht werden. Eine simultane Therapie mit Temodal zeigte in einer kleinen
randomisierten Phase-III-Studie ein besseres Ansprechen der Metastasen 4 Wochen
nach Therapieende im Vergleich zur Ganzhirnbestrahlung alleine
[720 ]. Beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom wurden
in prospektiven Studien mit der Kombination Cisplatin/Vinorelbin und
Cisplatin/Temozolomid Ansprechraten von 21 % und
16 % gefunden [721 ]
[722 ]. Mit der letzten Kombination betrug die
Progressionsrate 42 % nach zwei Zyklen, sodass die
Effektivität als unbefriedigend eingestuft werden muss
[722 ].
Die Ganzschädelbestrahlung wird auch in Kombination mit
der stereotaktischen Einzeitstrahlentherapie oder der Chirurgie bei einer
Hirnmetastase oder ausgewählten Patienten mit Oligometastasierung
eingesetzt. Hierbei werden Dosen pro Fraktion < 3 Gy bei der
Ganzhirnbestrahlung empfohlen [714 ]
[723 ] (Evidenztab. 7.5.5).
7.5.5.2 Stereotaktische Schädelbestrahlung
Mit der stereotaktischen Einzeitbestrahlung werden hohe lokale
Tumorkontrollraten der Läsionen von > 70 %
nach 1 Jahr erzielt [724 ]
[725 ]
[726 ]
[727 ] (Evidenzgrad 1b). Nach stereotaktischer
Strahlentherapie und Ganzschädelstrahlentherapie liegen die lokalen
Tumorkontrollraten in den großen prospektiven Studien bei über
80 % [724 ]
[714 ].
Mit diesem nicht-invasiven Verfahren können mehrere, auch tief im
Parenchym oder in eloquenten Regionen gelegene Metastasen in einer
Therapiesitzung behandelt werden. Für die stereotaktische
Einzeitstrahlentherapie gibt es eine obere Metastasengröße, ab der
die Komplikationsraten auch lokalisationsabhängig zunehmen. In den
prospektiven Studien der Radiation Therapy Oncology Group (RTOG) wurden
Metastasen bis zu einem maximalen Durchmesser von 4 cm eingeschlossen
[714 ]
[728 ], in andere Studien
Patienten mit Metastasen bis zu einem maximalen Durchmesser von 3 cm
[724 ]. Ein direkter Vergleich der stereotaktischen
Einzeitbestrahlung mit chirurgischen Verfahren im Rahmen einer randomisierten
Studie wurde bisher nicht publiziert [729 ]. Vorteile
und Nachteile der stereotaktischen Einzeitstrahlentherapie gegenüber der
bildgeführten Mikrochirurgie wurden von Vogelbaum und Suh
gegenübergestellt [730 ].
Ein prognostischer Vorteil durch den Einsatz einer
stereotaktischen Einzeitstrahlentherapie plus Ganzhirnbestrahlung im Vergleich
zur alleinigen Ganzhirnbestrahlung wurde bei Patienten mit
1 – 3 Metastasen mit einem Karnofsky-Status
≥ 70 % in drei randomsierten Studien nachgewiesen
[714 ]
[731 ]
[732 ] (Evidenzgrad 1b). In der randomisierten RTOG-Studie
wurde die stereotaktische Strahlentherapie plus Ganzhirnbestrahlung mit einer
Ganzhirnbestrahlung alleine bei Patienten mit 1 – 3
Hirnmetastasen verglichen [714 ]. 76 % der
Patienten hatten ein nicht-kleinzelliges BC als Grunderkrankung. Alle Patienten
hatten einen Karnofsky-Status ≥ 70 % und bedurften
keiner Chemotherapie im letzten Monat. Patienten mit Hirnstammmetastasen und
mit Metastasen sehr nahe am Chiasma opticum oder den Sehnerven wurden
ausgeschlossen. Während die stereotaktische Einzeitstrahlentherapie
zusätzlich zur Ganzhirnstrahlentherapie in der Gesamtkohorte keinen
signifikanten Einfluss auf das Überleben hatte, wurde ein
Überlebensvorteil bei Patienten mit einer Hirnmetastase und bei Patienten
in der prognostischen Klasse I nach der RTOG-Partitionsanalyse gefunden. Nach
6
Monaten war der Karnofsky-Status im Gesamtkollektiv nach stereotaktischer
Einzeitbestrahlung und Ganzhirnbestrahlung besser, der Bedarf an
Kortikosteroiden geringer als in der Kontrollgruppe nach
Ganzhirnstrahlentherapie. Die lokale Tumorkontrolle war nach stereotaktischer
Einzeitbestrahlung und Ganzhirnbestrahlung besser als nach Ganzhirnbestrahlung
alleine (Evidenzgrad 1b). Die Ergebnisse dieser RTOG-Studie werden durch zwei
kleinere randomisierte Studien unterstützt [731 ]
[732 ]. Nebenwirkungen der
Stereotaxie zusätzlich zur Ganzhirnbestrahlung sind selten. So fanden
Andrews et al. [714 ] akute Grad 3 + Nebenwirkungen
bei 0 % und 3 % der Patienten, die mit
Ganzhirnbestrahlung alleine bzw. Ganzhirnbestrahlung und stereotaktischer
Einzeitbestrahlung behandelt wurden. Späte Nebenwirkungen vom Grad 4
wurden bei 2 % bzw. 1 % der Patienten gefunden.
Diese Unterschiede waren nicht signifikant. Nach diesen Daten wird
Ganzhirnstrahlentherapie plus stereotaktische Einzeitstrahlentherapie bei
Patienten mit 1 – 3 Hirnmetastasen im Karnofsky-Status
≥ 70 % bei fehlendem raschen extrazerebralen Progress
und einer für die Stereotaxie geeigneten Metastasengröße
empfohlen.
Der Stellenwert der Ganzhirnbestrahlung zuzüglich zur
stereotaktischen Einzeitstrahlentherapie ist derzeit kontrovers. In der
randomisierten Studie von Aoyama [724 ] wurde die
stereotaktische Einzeitbestrahlung mit der stereotaktischen
Einzeitstrahlentherapie und Ganzhirnbestrahlung bei Patienten mit
1 – 4 Hirnmetastasen im Karnofsky-Status
≥ 70 % verglichen. Ein Unterschied im Überleben
wurde zwischen den beiden Armen nicht beobachtet. Die lokale Kontrolle der
behandelten Läsionen (88,7 % vs. 72,5 %) sowie
die Freiheit von zerebralen Rezidiven (53,2 % vs.
23,6 %) war nach 12 Monaten nach stereotaktischer
Strahlentherapie und Ganzhirnbestrahlung signifikant besser als nach
stereotaktischer Strahlentherapie alleine (Evidenzgrad 1b). Die neurokognitive
Funktion war in beiden Armen ähnlich. Daher können als Alternative
zur sofortigen Ganzhirnstrahlentherapie, begleitend zur stereotaktischen
Einzeitstrahlentherapie, regelmäßige Kontrolluntersuchungen und eine
Salvagetherapie beim zerebralen Rezidiv angesehen werden.
Die stereotaktische Einzeitstrahlentherapie ist im Einzelfall
bei adäquatem Karnofsky-Status und geeigneter Größe der
Metastasen auch zur Behandlung neuer zerebraler Metastasen nach
strahlentherapeutischer oder chirurgischer und strahlentherapeutischer
Primärbehandlung zerebraler Metastasen oder von lokalen Rezidiven nach
Ganzhirnbestrahlung mit und ohne Chirurgie geeignet [728 ]
[725 ] (Evidenzgrad 2b). Ist
noch keine Ganzhirnstrahlentherapie vorausgegangen, dann kann die
stereotaktische Einzeitbestrahlung im Rezidiv mit einer
Ganzhirnstrahlentherapie kombiniert werden [733 ]
[734 ] (Evidenztab. 7.5.5).
Als Alternative zur stereotaktischen Einzeitbestrahlung kann
im Einzelfall, insbesondere bei größeren Metastasen, die
hypofraktionierte stereotaktisch oder bildgeführte Strahlentherapie
eingesetzt werden.
7.5.5.3 Neurochirurgische Intervention
Mit chirurgischen Verfahren können auch
größere zerebrale Metastasen reseziert werden. Die Raumforderung
wird sofort entfernt und eine histologische Diagnose wird erstellt. Dies ist
bei Hirnmetastasen in der hinteren Schädelgrube mit Hirnstammkompression
oder Entwicklung eines Verschlusshydrozephalus von besonderer Bedeutung.
Tiefgelegene Metastasen können mittels bildgeführter Mikrochirurgie
entfernt werden. Ein randomisierter Vergleich von stereotaktischer
Einzeitbestrahlung und chirurgischer Intervention steht noch aus. In
retrospektiven Vergleichsstudien sind die lokalen Kontrollraten mittels
Chirurgie und stereotaktischer Einzeitbestrahlung vergleichbar
[730 ]. Die Kombination aus Metastasenresektion und
Ganzhirnbestrahlung ist bei Patienten mit einem Karnofsky-Status
≥ 70 % mit singulärer Hirnmetastase effektiver als
die Ganzhirnbestrahlung alleine. In dieser Gruppe von Patienten wurde nicht
nur
die lokale Kontrolle, sondern auch das Gesamtüberleben durch die
Kombinationstherapie verbessert [735 ]. Dieses Ergebnis
wurde in der randomisierten Studie von Noordijk et al.1994 [736 ] bestätigt, während in der Studie von Mintz
et al. 1996 [737 ] kein Vorteil zugunsten der Chirurgie
zusätzlich zur Ganzhirnbestrahlung gefunden wurde. Die Metastasenresektion
plus postoperativer Ganzhirnbestrahlung wurde auch in einer randomisierten
Studie mit der alleinigen Chirurgie bei Patienten mit solitären
Hirnmetastasen verglichen. Die Ganzhirnbestrahlung verlängerte in einer
randomisierten Studie die Zeiten bis zum Lokalrezidiv oder dem zerebralen
Rezidiv insgesamt signifikant, jedoch konnte ein Überlebensvorteil nicht
gezeigt werden [723 ] (Evidenzgrad 2b).
Insgesamt ist bei Patienten mit einer singulären
Hirnmetastase die Chirurgie und postoperative Strahlentherapie eine sehr
wirksame Therapieoption. Wie bei der Einzeitstrahlentherapie kann auch nach
Chirurgie die Ganzhirnbestrahlung bei guter erwarteter Lokalkontrolle durch
die
Chirurgie und engermaschigen Verlaufskontrollen als Salvageoption
zurückgehalten werden.
Empfehlungen
• Bei Patienten mit einer singulären Hirnmetastase
im Karnofsky-Index ≥ 70 und bei geringer oder fehlender
extrazerebraler Krankheitsaktivität ist die stereotaktische
Einzeitstrahlentherapie oder die Chirurgie als lokale Maßnahme mit oder
ohne Ganzhirnstrahlentherapie indiziert (Empfehlungsgrad B).
• Nach stattgehabter stereotaktischer Bestrahlung einer
singulären Hirnmetastase kann die Ganzhirnstrahlentherapie als Komponente
der Salvagetherapie zurückgestellt werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei 2 – 4 Hirnmetastasen,
Karnofsky-Index ≥ 70 und geringer oder fehlender extrazerebraler
Krankheitsaktivität kann die stereotaktische Einzeitstrahlentherapie
gefolgt von einer Ganzhirnstrahlentherapie oder die Operation (ggf. plus
Radiochirurgie von operativ nicht angegangenen Metastasen) gefolgt von einer
Ganzhirnstrahlentherapie empfohlen werden (Empfehlungsgrad B). Im Einzelfall
kann auch hier die Ganzhirnstrahlentherapie für das Auftreten eines
zerebralen Rezidivs zurückgestellt werden.
• Bei Patienten mit mehr als 3 – 4
Hirnmetastasen oder bei Patienten mit einem Karnofsky-Index < 70 oder
hoher extrazerebraler Krankheitsaktivität ist die Ganzhirnstrahlentherapie
als palliative Therapie indiziert (Empfehlungsgrad A).
7.5.6 Skelettmetastasen
7.5.6.1 Einleitung
Bei der Behandlung von Knochenmetastasen steht mit der
Strahlentherapie eine Methode zur Verfügung, die in einem hohen
Prozentsatz der Patienten die gewünschte Wirkung (z. B.
Schmerzlinderung) zeigt, dies mit – in Abhängigkeit von der zu
bestrahlenden Körperregion – vergleichsweise geringen
Nebenwirkungen. Zur weiteren Optimierung der Wirkung sollte weiterhin an die
Kombination mit anderen Therapiemaßnahmen der Palliativmedizin, speziell
die medikamentöse Schmerztherapie bzw. die Therapie mit Bisphosphonaten
gedacht und deren Indikation großzügig gestellt werden. Die
vorliegende Analyse bezieht sich auf die Literatur von Skelettmetastasen
unterschiedlicher solider Tumoren, da eine selektive Analyse von
Skelettmetastasen des Lungenkarzinoms in der Literatur nicht vorliegt und eine
solche Einzelbetrachtung nicht sinnvoll erscheint (Evidenztab. 7.5.6).
7.5.6.2 Indikation/Patientenselektion
Das therapeutische Ziel der Strahlentherapie ist einerseits
die Schmerzbekämpfung, andererseits die Verbesserung der Stabilität
des Knochens durch Rekalzifizierung. Hieraus leiten sich die Indikationen zur
Radiatio von Knochenmetastasen ab:
Daraus folgt, dass nicht schmerzhafte und nicht
frakturgefährdete Knochenmetastasen in der Regel keiner sofortigen
strahlentherapeutischen Versorgung bedürfen.
7.5.6.3 Technik
In der Regel werden einfache Bestrahlungstechniken
(Stehfelder, sehr häufig Gegenfelder [738 ],
seltener Mehrfeldertechniken) angewandt. Nach Umfragen unter
Strahlentherapeuten in Deutschland [739 ], Europa
[738 ] und Kanada [740 ] werden
in 66 – 80 % individuelle Feldbegrenzungen
(Satelliten, Multi-leaf-collimator) verwendet. Bei der Wahl der Zielvolumina
ist darauf zu achten, dass zum einen anatomische Knochengrenzen
berücksichtigt werden, zum anderen die Feldgrenzen so festgelegt und
dokumentiert sind, dass im späteren Krankheitsverlauf auftretende Herde in
angrenzenden Skelettregionen leicht mit Anschlussfeldern ohne
Überschneidung mit dem ehemaligen Zielvolumen bestrahlt werden
können.
7.5.6.4 Dosierung/Fraktionierung vs. Effekt
Dosierung und Fraktionierung werden nach dem Allgemeinzustand
des Patienten, dem Ausbreitungsgrad der Metastasierung und der zugrunde
liegenden therapeutischen Zielrichtung – Schwergewicht auf Analgesie oder
zusätzlich auf Rekalzifikation – gewählt.
Zahlreiche Studien – zwischenzeitlich zusammengefasst in
zwei Cochrane-Reviews [741 ]
[742 ] und vier Metaanalysen [743 ]
[744 ]
[745 ]
[746 ] – testeten
verschiedenste Fraktionierungsschemata. Diese umfassten Schemata von einer bis
20 Fraktionen sowie Gesamtreferenzdosen von 4 bis 40 Gy. Die Ergebnisse
zeigten zusammengefasst, dass mit einer Strahlentherapie eine vollständige
Analgesie in 30 – 50 % und eine
Schmerzlinderung in 66 bis mehr als 80 % zu erreichen ist. Dabei
war in der Mehrzahl der Studien der analgetische Effekt von der Dosierung und
Fraktionierung in weiten Grenzen unabhängig.
Hoskin et al. [747 ] haben im Jahre
1992 die Überlegenheit einer Einzeitdosis von 8 Gy gegenüber
einer Dosis von 4 Gy demonstriert. Bestätigt wurden diese Befunde
von Jeremic et al. [522 ], die Autoren konnten die
Überlegenheit einer Einzeitdosis von 6 Gy oder 8 Gy
gegenüber einer Dosis von 4 Gy zeigen. Der einzige Hinweis darauf,
dass die Fraktionierung für den Erfolg einer analgetischen Radiatio von
Bedeutung sein könnte, findet sich in der Re-Analyse der Daten von Tong et
al. [748 ] durch Blitzer [749 ].
Hier konnte ein signifikanter Einfluss der Zahl der Fraktionen auf die
„Schmerzfreiheit vor Zweitbehandlung”, „Tatsache der
Zweitbehandlung”, „Schmerzlinderung und Gebrauch von
Schmerzmitteln”, jedoch nicht auf die „vollständige
Schmerzfreiheit” gezeigt werden.
Die Angaben zum Zeitpunkt des Wirkungseintritts wie auch zur
Dauer der Wirkung variieren in weiten Grenzen. Der Metaanalyse von Falkmer et
al. [744 ] ist zu entnehmen, dass eine Wirkungsdauer von
mehr als sechs Monaten bei mehr als 50 % der Patienten erwartet
werden kann. In einer deutschen randomisierten Studie [750 ] konnte im Mittel eine Schmerzbesserung für die
Dauer von 84 % der restlichen Überlebenszeit nachgewiesen
werden. Ein Einfluss der Behandlung auf das Überleben selbst konnte bisher
nicht nachgewiesen werden. Die Nebenwirkungen wurden allgemein als gering bis
moderat beurteilt, wobei hier insbesondere bei größeren zu
bestrahlenden Volumina auf gastrointestinale sowie hämatologische
Toxizität geachtet werden sollte.
Hinsichtlich der Rekalzifikation ist die Datenlage weitaus
unsicherer. Angaben zur Häufigkeit in der Literatur schwanken zwischen
„gelegentlich” und 78 % [751 ]. Einige Autoren haben den Einfluss von Dosierung und
Fraktionierung auf die Rekalzifikation näher untersucht
[751 ]
[752 ]
[753 ] und mit Ausnahme des letztgenannten Autors gefunden,
dass eine höher dosierte fraktionierte Strahlentherapie vorteilhafter ist
als eine – notwendigerweise niedriger dosierte –
Einzeitbestrahlung. Es ist zu berücksichtigen, dass die Rekalzifikation
ein Vorgang ist, der mehrere Monate (Maximum nach 3 Monaten
[751 ]) in Anspruch nimmt und möglicherweise von
der Art des Tumors abhängt [754 ].
Kontrovers wird diskutiert, ob es nach einer
Einzeitbestrahlung häufiger zu Frakturen, Zweitbehandlungen und
metastatischen Myelonkompressionen kommt. Hierfür sprechen die Ergebnisse
der Cochrane-Reviews von Sze [741 ], von Hartsell
[755 ] und Wu [746 ],
während Roos et al. [756 ] diese Ergebnisse nicht
bestätigen konnten.
Weltweit gängige und empfehlenswerte Praxis
[738 ]
[739 ]
[740 ] ist die Wahl folgender Dosierungsschemata:
Wenn ausschließlich die Analgesie im Vordergrund
steht:
GRD 8 Gy ERD 8 Gy Dauer: 1 Tag
Je nach Region und Risikoorganen auch:
GRD 20 Gy ERD 4 Gy Dauer: 5 Tage
Wenn Analgesie, aber auch Rekalzifikation beabsichtigt sind,
empfiehlt sich ein höher dosiertes und stärker fraktioniertes Schema,
insbesondere bei Patienten mit guter Prognose:
GRD 30 – 36 Gy ERD
3 Gy Dauer: 2 Wochen
In Ausnahmefällen auch
GRD 36 – 40 Gy ERD
2 Gy Dauer: 3œ – 4 Wochen
Letztgenanntes Fraktionierungsschema wird vor allem bei
großen Volumina (insbesondere langen Strecken der Wirbelsäule) und
z. B. Dünndarm im Zielvolumen empfohlen. Hierbei ist einerseits zu
beachten, dass Gesamtdosen über 40 Gy vermieden werden sollten, um
die Osteoblastenaktivität nicht zu beeinträchtigen
[754 ]. Andererseits sollte berücksichtigt werden,
dass längere stationäre Aufenthalte in Anbetracht der limitierten
Lebenserwartung der Patienten vermieden werden sollten. Darüber hinaus hat
eine Kosten-Nutzen-Analyse gezeigt, dass eine Einzeitbestrahlung auch bei
Berücksichtigung der Lebensqualität nach der Behandlung und der
prospektiven Überlebensdauer ökonomischer sein kann als eine
fraktionierte Strahlentherapie [757 ].
7.5.6.5 Differenzialindikation Operation vs.
Strahlentherapie
Die Indikation zur Palliativtherapie von Knochenmetastasen
wird interdisziplinär gestellt, insbesondere besteht hier die
Notwendigkeit einer engen Abstimmung mit den operativen Disziplinen, namentlich
der Neurochirurgie und der Orthopädie bzw. der Traumatologie.
Zum einen kann es sinnvoll sein, bei unbekanntem oder unklarem
Primärtumor eine Biopsie zu entnehmen; hier sollte der CT-gestützten
Feinnadelbiopsie der Vorzug gegenüber einer offenen Biopsie gegeben werden
[758 ].
Zum anderen ergeben sich in Abhängigkeit von der Art und
Ausbreitung des Primärtumors, dessen Behandlung, des Allgemeinzustandes
und der voraussichtlichen Lebenserwartung des Patienten inzwischen
weitestgehend von den beteiligten Disziplinen akzeptierte Indikationen zur
stabilisierenden Operation und/oder Strahlentherapie ([Tab. 20 ]).
Tab. 20 Indikationen zur
Therapie von Knochenmetastasen.
Befundlage
Indikation zur
Operation
Indikation zur
Strahlentherapie
pathologische
Fraktur einer Extremität bzw. des Beckens
absolut
absolut,
postoperativ
pathologische
Fraktur der Wirbelsäule, insbesondere bei Instabilität bzw. Prolaps
von Knochenfragmenten in den Spinalkanal mit drohender oder manifester
Querschnittslähmung
absolut
absolut,
postoperativ
einzelne
schmerzhafte Metastasen der Extremitäten von
> 2,5 – 3 cm Durchmesser
relativ
absolut, primär
oder postoperativ
Destruktion der
Kortikalis von mehr als 50 % (Mirels-Score > 7)
relativ
absolut, primär
oder postoperativ
Progression von
Metastasen unter Strahlentherapie
relativ
–
persistierender
Schmerz nach Strahlentherapie
relativ
–
pathologische
Fraktur des Trochanter minor
relativ
absolut, primär
praefinale Patienten
keine Indikation
keine Indikation
kurze zu erwartende
Restlebenserwartung
keine Indikation
relativ
schlechter
Allgemeinzustand (Narkosefähigkeit!)
keine Indikation
relativ
Nach einer stabilisierenden Operation sollte
regelmäßig – bei lokal nicht vorbestrahlten Patienten –
eine adjuvante Strahlentherapie mit dem Ziel der Verhinderung einer lokalen
Tumorprogression und somit der Gefahr einer Auslockerung der Implantate
angeschlossen werden (GRD üblicherweise 30 Gy, ERD 3 Gy,
Dauer: 2 Wochen, Beginn nach erfolgter Wundheilung). Eine neoadjuvante
Strahlentherapie vor einer elektiven Operation kann sich zur Reduktion
großer Weichteiltumormassen und somit zur Vermeidung verstümmelnder
Eingriffe als sinnvoll erweisen [744 ]
[754 ]
[758 ]
[759 ]
[760 ]
[761 ].
7.5.6.6 Metastatische Myelonkompression
Unter den Knochenmetastasen stellt die metastatische
Myelonkompression eine Sondersituation dar, da eine oftmals damit verbundene
partielle oder komplette Querschnittslähmung eine gravierende
Einbuße an Lebensqualität bedeutet. Zumeist handelt es sich um
Patienten in einem weit fortgeschrittenen Tumorstadium mit einer sehr
limitierten Lebenserwartung von 2 – 6, selten 10 Monaten
[762 ]. In 90 % der Fälle bestehen
weitere metastatische Herde [763 ]. Neurologische
Ausfälle sind häufig auf eine epidurale Metastase mit direkter
Kompression von Rückenmark und Nervenwurzeln zurückzuführen. Die
Kompression von Rückenmarksgefäßen kann zusätzlich durch
Ischämie bzw. Ödem die Symptomatik weiter verschlechtern. Seltener
finden sich Knochenfragmente, die nach dorsal in den Wirbelkanal disloziert
sind und so das Myelon komprimieren.
Ziel der Therapie ist eine Rückbildung der neurologischen
Symptomatik durch rasche Entlastung des Rückenmarks, daneben auch die
Schmerzlinderung. Wichtig ist der rasche Beginn der Behandlung, da die
Ausfallserscheinungen 24 Stunden nach ihrem Auftreten nicht oder nur
unvollständig reversibel sind. Dabei bezieht sich diese Angabe auf die
Entwicklung schwerer neurologischer Defizite. Nach Rades et al.
[764 ] ist es prognostisch günstiger, wenn sich die
Parese über mehrere Wochen entwickelt hat statt innerhalb weniger
Tage.
7.5.6.6.1 Differenzialindikation Operation
vs. Strahlentherapie
Operative Eingriffe können bei entsprechender Selektion
der Patienten mit umschriebenen Läsionen infolge der raschen
Druckentlastung des Rückenmarks erfolgreich eingesetzt werden. Im
selektionierten Krankengut sind Rückbildungsraten der neurologischen
Ausfälle in bis zu 80 % beschrieben [765 ]. Eine Mortalität von
4 – 9 % nach ausgedehnten Eingriffen an der
Wirbelsäule sowie postoperative Komplikationen in 10 % der
Fälle relativieren allerdings den palliativen Nutzen der Operation bei
weit fortgeschrittenen Tumorerkrankungen [766 ]. Es
finden sich nur wenige Studien hoher Qualität, die die Operation mit der
alleinigen Strahlentherapie vergleichen. Einer prospektiv-randomisierten Studie
von Young [767 ] bzw. einer Review von Findlay
[766 ] ist zu entnehmen, dass die Radiotherapie einer
Laminektomie hinsichtlich der Rückbildung neurologischer Ausfälle
zumindest nicht unterlegen ist und somit die Operation als erste Maßnahme
infrage gestellt werden muss. Regine et al. [768 ]
fanden hingegen eine Überlegenheit der Operation („radical direct
decompressive surgery”) mit anschließender Strahlentherapie
gegenüber der Radiatio allein – ebenso in einer kleineren
Untersuchung Tazi et al. [769 ]. Die unterschiedlichen
Ergebnisse mögen mit variierenden Selektionskriterien oder auch
Operationsmethoden erklärbar sein. Folgendes Indikationsprofil hat sich in
der Praxis zwischen Operateuren und Strahlentherapeuten weitestgehend
einvernehmlich herausgebildet ([Tab. 21 ]):
Tab. 21 Indikationen zur
Therapie der Myelonkompression.
Befundlage
Operation
Strahlentherapie
Myelonkompression
durch Knochenfragmente, neurologische Ausfälle
notfallmäßig
absolut,
postoperativ
Myelonkompression
durch Knochenfragmente, keine neurologischen Ausfälle
absolut elektiv
absolut,
postoperativ
Myelonkompression
durch Tumor, neurologische Ausfälle
notfallmäßig
notfallmäßig
Myelonkompression
durch Tumor, keine neurologischen Ausfälle
relativ
absolut, elektiv
Myelonkompression im
vorbestrahlten Wirbelsäulensegment
absolut
nicht indiziert
rasche Progression
bzw. Verschlechterung der Neurologie unter Strahlentherapie
absolut
–
praefinale Patienten
keine Indikation
keine Indikation
kurze zu erwartende
Restlebenserwartung
keine Indikation
relativ
schlechter
Allgemeinzustand (Narkosefähigkeit!)
keine Indikation
relativ
Auch hier soll auf die Notwendigkeit einer Radiatio nach
operativem stabilisierenden Eingriff (der naturgemäß nicht einer
onkologisch radikalen Resektion entsprechen kann) hingewiesen werden.
7.5.6.6.2 Strahlentherapie
Die Strahlentherapie hat, notfallmäßig innerhalb
von Stunden eingeleitet, bei der Myelonkompression durch Tumor eine gute
Effektivität. In Anbetracht des engen Zeitfensters werden überwiegend
einfache Stehfeld- und Gegenfeldtechniken angewandt. Das Zielvolumen sollte
den
befallenen Wirbelsäulenabschnitt einschließlich eines
Sicherheitssaumes von einem Wirbelkörper nach kranial und kaudal
umfassen.
Die Dosierung richtet sich nach den neurologischen und
bildgebenden Befunden und dem Allgemeinzustand des Patienten.
Üblicherweise wird eine Gesamtdosis von 30 Gy bei täglichen
Einzelfraktionen von 3 Gy (Therapiedauer: 2 Wochen) appliziert
[754 ]. Bei besonders rascher dramatischer Entwicklung
der neurologischen Ausfälle sind höhere Einzeldosen (4 Gy) zu
Beginn der Therapie überlegenswert. Die Myelontoleranz muss hierbei
beachtet werden.
Maranzano et al. [770 ] fanden die
Äquieffektivität dreier Dosierungsschemata
(2 × 8 Gy, 3 × 5 Gy,
5 × 3 Gy). Rades et al. [771 ] befanden fünf verschiedene
Fraktionierungsschemata (1 × 8 Gy,
5 × 4 Gy, 10 × 3 Gy,
15 × 2,5 Gy, 20 × 2 Gy)
äquieffektiv hinsichtlich der Besserung der Motorik (bei
26 – 31 % der Patienten) bzw. der Rate
gehfähiger Patienten nach Strahlentherapie
(63 – 74 %). Die Häufigkeit der
In-field-Rezidive war bei den protrahierteren Schemata geringer. Nach weiteren
Analysen berichten die genannten Autoren [771 ] von
einer günstigeren lokalen Kontrolle nach protrahierteren Schemata und beim
Fehlen einer gleichzeitigen viszeralen Metastasierung. Das Überleben wurde
signifikant beeinflusst von der Histologie des Primärtumors, dem
Vorhandensein anderer Knochen- oder viszeraler Metastasen, der
Gehfähigkeit vor Therapie, dem Zeitintervall zwischen Diagnose des
Primärtumors und dem Auftreten einer metastatischen Myelonkompression
sowie der Geschwindigkeit der Entwicklung einer Parese. Weiterhin erwies sich
der Verlauf bei oligometastatischen Patienten günstiger bei
Lymphomen/Myelom und Mammakarzinomen als bei anderen Tumoren, bei langsamerer
Entwicklung der Parese und bei prolongierten Fraktionierungsschemata
[772 ]. Die Wirksamkeit der Strahlentherapie war bei
älteren Patienten vergleichbar gut wie bei jüngeren
[773 ], eine Dosiseskalation über 30 Gy in
10 Fraktionen erwies sich nicht als vorteilhaft [774 ];
letztlich wurde berichtet, dass das funktionelle Ergebnis durchaus prognostisch
bedeutsam für das Überleben sein kann [775 ].
Die Ergebnisse der Strahlentherapie sind stark vom
neurologischen Ausgangsstatus abhängig. Schnabel et al.
[754 ] stellten anhand einer Literaturzusammenstellung
fest, dass durch Strahlentherapie bei 80 % der vorher
gehfähigen Patienten mit motorischen Ausfällen die Gehfähigkeit
erhalten werden konnte. 39 % der partiell paretischen nicht
gehfähigen Patienten, aber nur 7 % der paraplegischen
Patienten erlangten die Gehfähigkeit wieder. Ähnliche Ergebnisse mit
Ansprechraten zwischen 50 und 90 % finden sich in mehreren
aktuellen Publikationen [744 ]
[738 ]
[776 ]
[773 ]
[774 ]. Empfehlenswert ist
somit eine sofort begonnene Radiatio mit 10 × 3 Gy
bei Patienten mit günstiger Prognose, während bei ungünstiger
Prognose auch auf hypofraktionierte Schemata
(5 × 4 Gy, 1 × 8 Gy)
übergegangen werden kann.
Eine begleitende hochdosierte Kortikoidtherapie, die
frühestmöglich beginnen sollte, wird unbedingt empfohlen
[754 ]
[759 ]. Dabei ist die
optimale Dosierung unklar. Sörensen et al. [777 ]
konnten mit einer Gabe von 96 mg Dexamethason signifikant bessere
Ergebnisse erzielen als mit einer alleinigen Strahlentherapie. Allerdings ist
die Frage noch nicht beantwortet, ob nicht eine geringere Dosierung ausreicht,
um gleiche Effekte zu erzielen. Empfohlen wird derzeit eine Dosierung von
12 – 24 mg Dexamethason/die.
7.5.6.7 Bisphosphonate
Die Therapie mit Bisphosphonaten stellt eine wichtige
Ergänzung für Patienten mit Knochenmetastasen dar; in verschiedenen
Phase-III-Studien sowie einer aktuellen Cochrane-Review zeigt sich die
Effektivität der Bisphosphonat-Therapie, speziell bezogen auf die
reduzierte Inzidenz von pathologischen Frakturen, Spinalkanalkompression und
Hyperkalzämie [778 ] (Evidenzgrad 1b). Die
Häufigkeit von pathologischen Ereignissen, die in Zusammenhang mit der
Skelettmetastasierung stehen, sinkt [779 ]. Speziell in
Kombination mit Strahlentherapie steigt die Effektivität spezieller
Bisphosphonate [780 ].
Empfehlungen
• Patienten mit schmerzhaften Knochenmetastasen sollten
hinsichtlich einer Strahlentherapie geprüft werden (Empfehlungsgrad
A).
• Bei Knochenmetastasen ist eine Einzeitbestrahlung mit
8 Gy hinsichtlich der Schmerzlinderung äquieffektiv zu einer
fraktionierten Strahlentherapie (4 × 5 Gy oder
10 × 3 Gy) (Empfehlungsgrad A).
• Bei Knochenmetastasen ist eine fraktionierte
Strahlentherapie günstiger als eine Einzeitbestrahlung hinsichtlich der
Rate an Zweitbehandlungen, Frakturen und metastatischen Myelonkompressionen
sowie der Dauer der Schmerzlinderung (Empfehlungsgrad A).
• Bei Vorliegen von Knochenmetastasen und zu
erwartendem längerfristigem Krankheitsverlauf wird die Applikation von
Bisphosphonaten zusätzlich zur Strahlentherapie empfohlen (Empfehlungsgrad
B).
• Bei Knochenmetastasen mit höhergradiger
Frakturgefährdung sollte ein prophylaktischer operativer Eingriff
interdisziplinär diskutiert werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit metastatischer Myelonkompression
und drohender Querschnittslähmung ist eine sofort begonnene
Strahlentherapie (zusätzlich Kortison) empfehlenswert (Empfehlungsgrad
A).
• Bei Patienten mit metastatischer Myelonkompression
und neurologischer Symptomatik ist die Indikation einer neurochirurgischen oder
orthopädischen entlastenden Operation mit anschließender
Strahlentherapie umgehend zu prüfen, und therapeutische Maßnahmen
sind rasch einzuleiten (Empfehlungsgrad A). Bei neurologischer Symptomatik und
drohender oder bereits aufgetretener Querschnittssymptomatik soll die Therapie
innerhalb von 24 h beginnen (Empfehlungsgrad A).
7.5.7 Palliative Operation
Das Ziel der palliativen Chirurgie bei Patienten mit
fortgeschrittenem Lungenkarzinom ist in erster Linie die Bewahrung bzw. die
Wiederherstellung einer akzeptablen Lebensqualität, d. h. mithilfe
der palliativen Operation soll eine „Symptomkontrolle” erreicht
werden. Es wird akzeptiert, dass mit den durchgeführten Maßnahmen
keine Kuration bzw. keine wesentliche Lebensverlängerung erreicht werden
kann. Insbesondere bei einer akuten, progredienten bzw. akut lebensbedrohenden
Symptomatik, die nicht mit konservativen Möglichkeiten beherrscht werden
kann, kann dann in Einzelfällen die Indikation zum Palliativeingriff
gestellt werden. Ursachen der akuten Verschlechterung können tumorbedingte
Stenosen mit poststenotischer Entzündung bis hin zu abszedierende
Pneumonien, Sepsis und tumorbedingte Arrosionsblutungen sein. Auch kann eine
Brustwandinfiltration mit Kompression bzw. Infiltration der Intercostalnerven,
des Rippenperiosts und der knöchernen bzw. muskulären Strukturen der
Brustwand vorhanden sein und extreme Schmerzen verursachen. In
Einzelfällen bestehen tumoröse Brustwandulzerationen, die zum Teil
auch ausgedehnte Resektionen mit palliativer Intention zur Verbesserung der
Lebensqualität rechtfertigen. Bei einigen Patienten kommt es im
fortgeschrittenen Krankheitsverlauf zur Tumorinfiltration der Wirbelsäule
mit drohender Querschnittssymptomatik. Die Indikationsstellung zur palliativen
Operation soll interdisziplinär erfolgen.
Indikationen: Zerfallender Tumor mit
Abhusten von Tumornekrosen, Abszesse, Sepsis. Massive Haemoptoe, die durch
konservative (endoskopische) Interventionen nicht zu beherrschen ist.
Schmerzzustände, z. B. bei einem Lungenkarzinom mit
Brustwandinfiltration bzw. Pancoast-Tumor, nach Ausschöpfung aller
konservativen Therapieoptionen (einschl. Radiatio). Tumorulzeration im Bereich
der Brustwand. Rezidivierende maligne Ergussbildungen mit erheblicher Dyspnoe
infolge Pleurakarzinose. Metastatische Myelonkompression mit drohender
Querschnittssymtomatik.
OP-Verfahren: Resektion an der Lunge ggf.
bis hin zur palliativen Lobektomie bzw. Pneumonektomie.
Brustwandresektion ggf. in Kombination mit plastischen
Maßnahmen.
Pleurodese. Orthopädische und neurochirurgische
Operationen.
Empfehlungen
In der Regel handelt es sich bei palliativen Lungenresektionen
und Brustwandeingriffen um Einzelfallentscheidungen, allgemeine Empfehlungen
können hier nicht gegeben werden (Empfehlungsgrad D).
7.5.8 Zusammenfassende Empfehlungen zur Therapie im Stadium
IIIB/IV
Empfehlungen
• Die Lebenszeit von Patienten im Stadium IIIB/IV ist
begrenzt (Median 8 – 12 Monate). Von vornherein sollte in
dieser Situation ein stabiler und zuverlässiger Betreuungskontext
hergestellt werden. Dafür sollte auch der unmittelbare Zugang zu einem
entsprechend ausgerichteten interdisziplinären Betreuungskontext
ermöglicht werden (Empfehlungsgrad D).
• Neben der medizinischen Behandlung sollten im Rahmen
des Aufklärungsgesprächs bzw. im fortlaufenden Gesprächskontakt
die Möglichkeiten zur Rehabilitation, psychoonkologischen
Unterstützung, Sozialberatung bzw. Unterstützung durch
Selbsthilfegruppen angesprochen werden (Empfehlungsgrad D).
• Im Stadium IIIB/IV sollte zunächst geprüft
werden, ob eine Erkrankungsmanifestation einer zeitnahen Intervention bedarf.
Diese sollte dann rasch und vor Einleitung einer systemischen Therapie
erfolgen. Der Zugang zu diesen Techniken und Verfahren muss für alle
Patienten zeitnah gewährleistet sein (Empfehlungsgrad D).
• Bei Vorstellung in einem interdisziplinären
Zentrum (Pneumologie; Radioonkologie; Thoraxchirurgie; Onkologie; diagnostische
Radiologie; Ernährungsberatung und -therapie; psychologischer Beratung und
Betreuung; Sozialdienst; Palliativmedizin; im Bedarfsfall Tumororthopädie
und Neurochirurgie) sollte eine zeitnahe Entscheidungsfindung und -umsetzung
(interdisziplinäre Tumorkonferenz; Dokumentation der Therapiefestlegung)
gewährleistet sein (Empfehlungsgrad D).
• Bei Patienten im Stadium IIIB/IV in gutem
Allgemeinzustand (ECOG 0,1) sollte eine cisplatinbasierte
Kombinationschemotherapie zur Verbesserung der Überlebenszeit, der
Krankheitskontrolle und der Lebensqualität durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad A).
• Bei relevanter Komorbidität (Herzinsuffizienz;
Niereninsuffizienz) kann Carboplatin statt Cisplatin eingesetzt werden.
Alternativ kann dann auch eine platinfreie Kombination mit
Drittgenerationszytostatika eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
• In der Erstlinienchemotherapie sollten 4
(– 6) Zyklen gegeben werden. Es gibt derzeit keine Daten, die im
Hinblick auf die Überlebenszeit in der Erstlinienbehandlung eine
Erhaltungschemotherapie unterstützen (Empfehlungsgrad B).
• Patienten in reduziertem Allgemeinzustand (ECOG 2) bzw.
mit Kontraindikationen gegen eine platinbasierte Kombinationschemotherapie im
Stadium IIIB/IV können eine Monotherapie mit einem
Drittgenerationszytostatikum (z. B. Vinorelbin, Gemcitabin) erhalten
(Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten im Stadium IIIB/IV (ECOG 0,1) mit
Nicht-Plattenepithelkarzinom führt die Behandlung mit Bevacizumab
zusätzlich zur platinbasierten Kombinationschemotherapie zu einer
signifikanten Verbesserung der Remissionsrate und der medianen
Überlebenszeit bzw. des medianen progressionsfreien Überlebens. Bei
selektionierten Patienten im Stadium IIIB/IV mit Nicht-Plattenepithelkarzinom
und gutem Allgemeinzustand (ECOG 0,1) kann daher – unter
Berücksichtigung der Kontraindikationen – Bevacizumab in der
Erstlinienbehandlung zusätzlich zur platinbasierten
Kombinationschemotherapie eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten > 70 Jahre kann die
therapieassozierte Toxizität und Letalität unter Bevacizumab
bedeutsam sein. Daher sollte bei älteren Patienten die Indikation
besonders streng unter kritischer Würdigung der Komorbidität gestellt
werden (Empfehlungsgrad B).
• Auch unter einer laufenden Therapie müssen
regelmäßige Kontrollen erfolgen, um eine die Lebensqualität
kompromittierende Symptomatik frühzeitig zu erkennen und zu behandeln
(Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten in gutem Allgemeinzustand mit einer
Erkrankungsprogression nach primärer Chemotherapie wird die
Durchführung einer Zweitlinientherapie bis zum Progress oder Auftreten von
Toxizitäten empfohlen (Empfehlungsgrad A). Trotz niedriger Ansprechraten
kann eine Verlängerung des Überlebens und eine Verbesserung
tumorbedingter Symptome erreicht werden.
• Bei Patienten, die nach einer Zweitlinientherapie
progredient sind, kann eine Drittlinientherapie durchgeführt werden
(Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten mit längerfristigem
Krankheitsverlauf kann bei entsprechender klinischer Situation zur
Symptomenkontrolle eine weitere Antitumortherapie auch nach der
Drittlinienbehandlung eingesetzt werden (Empfehlungsgrad D)
• Bei diagnostisch gesichertem Vorliegen einer
singulären Metastase in Hirn oder Nebenniere und bei Vorliegen eines
komplett resektablen Lungentumors ohne Anhalt für mediastinale
Lymphknotenmetastasen (cT1 – 4,
cN0 – 1, cM1) kann im Einzelfall empfohlen werden,
zunächst eine zerebrale Metastasektomie mit anschließender
Ganzhirnbestrahlung oder eine Adrenalektomie vorzunehmen und anschließend
den Lungentumor zu resezieren sowie eine prä- bzw. postoperative
Chemotherapie vorzunehmen (Empfehlungsgrad C).
• Bei Patienten mit einer singulären Hirnmetastase
im Karnofsky-Index ≥ 70 % und bei geringer oder
fehlender extrazerebraler Krankheitsaktivität ist die stereotaktische
Einzeitstrahlentherapie oder die Chirurgie als lokale Maßnahme plus einer
Ganzhirnstrahlentherapie indiziert (Empfehlungsgrad A).
• Nach stattgehabter stereotaktischer Bestrahlung einer
singulären Hirnmetastase und relevanter extrazerebraler
Krankheitssymptomatik kann die Ganzhirnstrahlentherapie als Komponente der
Salvagetherapie zurückgestellt werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei 2 – 4 Hirnmetastasen,
Karnofsky-Index ≥ 70 und geringer oder fehlender extrazerebraler
Krankheitsaktivität kann die stereotaktische Einzeitstrahlentherapie
gefolgt von einer Ganzhirnstrahlentherapie oder die Operation (ggf. plus
Radiochirurgie von operativ nicht angegangenen Metastasen) gefolgt von einer
Ganzhirnstrahlentherapie empfohlen werden (Empfehlungsgrad B).
• Bei Patienten mit mehr als 3 – 4
Hirnmetastasen oder bei Patienten mit einem Karnofsky-Index < 70 oder
hoher extrazerebraler Krankheitsaktivität ist die Ganzhirnstrahlentherapie
als palliative Therapie indiziert (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit schmerzhaften Knochenmetastasen
sollte die Indikation für eine Strahlentherapie geprüft werden
(Empfehlungsgrad A).
• Bei Knochenmetastasen ist eine Einzeitbestrahlung mit
8 Gy hinsichtlich der Schmerzlinderung äquieffektiv zu einer
fraktionierten Strahlentherapie (4 × 5 Gy oder
10 × 3 Gy) (Empfehlungsgrad A).
• Bei Knochenmetastasen ist eine fraktionierte
Strahlentherapie günstiger als eine Einzeitbestrahlung hinsichtlich der
Rate an Zweitbehandlungen, Frakturen und metastatischen Myelonkompressionen
sowie der Dauer der Schmerzlinderung (Empfehlungsgrad A).
• Bei Vorliegen von Knochenmetastasen und zu erwartendem
längerfristigen Krankheitsverlauf wird die Applikation von Bisphosphonaten
zusätzlich zur Strahlentherapie empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Bei Knochenmetastasen mit höhergradiger
Frakturgefährdung sollte ein prophylaktischer operativer Eingriff
interdisziplinär diskutiert werden (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit metastatischer Myelonkompression und
drohender Querschnittslähmung ist eine sofort begonnene Strahlentherapie
(zusätzlich Kortison) empfehlenswert (Empfehlungsgrad A).
• Bei Patienten mit metastatischer Myelonkompression und
neurologischer Symptomatik ist die Indikation einer neurochirurgischen oder
orthopädischen entlastenden Operation mit anschließender
Strahlentherapie umgehend zu prüfen, und therapeutische Maßnahmen
sind rasch einzuleiten (Empfehlungsgrad A). Bei neurologischer Symptomatik und
drohender oder bereits aufgetretener Querschnittssymptomatik soll die Therapie
innerhalb von 24 h beginnen (Empfehlungsgrad A)
• In der Regel handelt es sich bei palliativen
Lungenresektionen und Brustwandeingriffen um Einzelfallentscheidungen,
allgemeine Empfehlungen können hier nicht gegeben werden (Empfehlungsgrad
D).
7.5.9 Algorithmus Stadium IV/IIIB (ohne Indikation zur
definitiven Radiatio)
Abb. 12 Algorithmus zur
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium IV/IIIB (ohne
Indikation zur definitiven Radiatio).
Abb. 13 Algorithmus zur
Therapie des nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium IV/IIIB (ohne
Indikation zur definitiven Radiatio) mit Erkrankungsprogression nach
primärer Chemotherapie.
8 Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms
8 Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms
8.1 Einleitung
Kleinzellige Karzinome stellen ca.
12 – 15 % der heute diagnostizierten
Lungenkarzinome dar. Die Inzidenz ist eher leicht fallend. Der Anteil der
kleinzelligen Lungenkarzinome lag 1973 in den USA bei 17 % und im
Jahre 2003 noch bei 13 % [781 ]. Die
mittlere Überlebenszeit der unbehandelten Erkrankungen ist ausgesprochen
ungünstig und liegt unter 3 Monaten. Die Erkrankung besitzt eine hohe
Therapiesensibilität. Durch Einsatz angemessener Behandlungsstrategien
kann die mittlere Überlebenszeit bei Fernmetastasierung auf
8 – 12 Monate und bei begrenzter Erkrankung auf 14 bis 20
Monate erhöht werden. Während bei Vorliegen einer Fernmetastasierung
ein Langzeitüberleben über 5 Jahre nur in extrem seltenen
Einzelfällen (< 1 %) beobachtet wird, liegt die
rezidivfreie 5-Jahres-Überlebensrate bei limitierter Erkrankung zwischen
10 % und 20 % [782 ]
[783 ]
[784 ]. Zumindest bei Fehlen
einer hämatogenen Fernmetastasierung ist die Erkrankung somit potenziell
kurativ behandelbar.
8.2 Prognoseparameter
Wichtigster Prognoseparameter ist die Ausbreitung der
Tumorerkrankung.
Die Tumorausbreitung sollte grundsätzlich nach TNM
klassifiziert und Therapieempfehlungen sollten auf dem Boden des TNM-Systems
erstellt werden. Das TNM-Stagingsystem erlaubt eine einheitliche Definition der
Tumorausbreitung für alle Lungenkarzinome. Zu beachten ist allerdings,
dass dieses System primär für das nicht-kleinzellige Lungenkarzinom
entwickelt und validiert wurde. Für das kleinzellige Karzinom liegen
außer wenigen operativen Behandlungserien keine prospektiven Studien vor,
die auf der Grundlage des TNM-Systems durchgeführt und analysiert wurden.
Nahezu alle bisher publizierten Daten basieren auf der VALG (Veterans
Administration Lung Cancer Study Group)-Unterscheidung in
„limited” und „extensive disease”. Dieses einfache
Stagingsystem orientiert sich primär an der Durchführbarkeit einer
Bestrahlung. Innerhalb der Limited-Gruppe wird jedoch keine weitere
Differenzierung zur Primärtumorausdehnung oder zum Lymphknotenstatus
vorgenommen. Für konservative nicht operative Therapieansätze liegen
somit lediglich Studienergebnisse für die Gesamtgruppe „limited
disease” und nicht für die einzelnen UICC-Stadien vor. Den
nachfolgenden Therapieempfehlungen liegen daher in der Regel die Stadien der
VALG zugrunde.
„Limited disease” (LD)
Auf den initialen Hemithorax begrenzter Tumor mit oder ohne ipsi-
oder kontralaterale mediastinale oder ipsilaterale supraklavikuläre
Lymphknotenmetastasen[* ] und mit oder ohne
ipsilateralen Pleuraerguss unabhängig vom zytologischen Ergebnis[* ].
„Extensive disease” (ED)
Jede Ausbreitung über „limited disease”
hinaus.
Ein sehr begrenztes Stadium mit auf die Lunge begrenztem
Primärtumor und ohne mediastinalen Lymphknotenbefall (sog. Very Limited
Disease, VLD, nach UICC T1 – 2N0 – 1)
wird lediglich bei ca. 5 % der Patienten diagnostiziert. Etwa
15 % – 25 % werden im Stadium
limited (nach UICC T3 – 4N0 – 1 und
T1 – 4N2 – 3M0) und
70 % – 80 % im Stadium
extensive (nach UICC M1) diagnostiziert.
Neben der Tumorausbreitung sind die Patientenmerkmale
Allgemeinzustand nach ECOG Performance Status und Geschlecht prognostisch
relevant [785 ]
[786 ]
[787 ]
[788 ]
[789 ]
[790 ]. Frauen weisen in allen
Untergruppen eine günstigere Prognose auf [791 ]
[792 ]. Alter per se ist zumindest bis zum 75. Lebensjahr
kein negativer Prognoseparameter, bedeutsam für therapeutische
Entscheidungen und damit auch prognostisch relevant ist jedoch das
Vorhandensein von Komorbiditäten, deren Inzidenz und Ausprägung
altersabhängig ist [793 ].
Der wesentliche Laborparameter mit prognostischer Aussagekraft ist
die LDH. Die Prognose verschlechtert sich mit steigendem LDH-Wert. Die
prognostische Bedeutung des Tumormarkerwertes NSE übersteigt nicht die
Aussagekraft des LDH-Wertes. Gleiches trifft auf sonstige Laborparameter wie
GOT, GPT, gGT, AP, Kalium, Harnsäure, Hämoglobin und
Gesamteiweiß zu [794 ] (Evidenzgrad 2c)
(Evidenztab. 8.2).
Empfehlungen
Die Tumorausbreitung sollte nach TNM-Merkmalen und dem aktuellen
Stagingsystem der UICC erfolgen (Empfehlungsgrad C). Von besonderer
prognostischer Bedeutung sind ECOG Performance Status, Geschlecht und LDH
(Evidenzgrad 2c, Empfehlungsgrad A).
Forschungsbedarf: Es sollten prospektive
Studien auf dem Boden der UICC-Klassifikation durchgeführt werden.
8.3 Behandlungsstrategie in der Übersicht
8.3.1 Stellenwert der Therapieoptionen
Zentrale Therapiemaßnahme ist die Durchführung einer
Kombinationschemotherapie. Diese wird stadienabhängig durch lokale
Therapiemaßnahmen ergänzt. Bei fehlender Fernmetastasierung und
bestrahlungsfähiger Tumorausbreitung erhöht die
Primärtumorbestrahlung die Heilungsrate. Operative Eingriffe stellen im
Stadium T1 – 2N0 – 1 eine
Behandlungsoption dar. In allen Stadien senkt darüber hinaus bei
ansprechenden Patienten die prophylaktische Schädelbestrahlung die
intrazerebrale Rezidivrate und verlängert das Überleben.
Alleinige operative oder strahlentherapeutische Maßnahmen
sind zur längerfristigen Kontrolle der Tumorerkrankung nicht geeignet. Die
akzidentielle Diagnose eines kleinzelligen Karzinoms bei atypischer Resektion
eines peripheren Rundherdes mündet in das beschriebene
stadienabhängige Therapievorgehen.
8.3.2 Allgemeine Empfehlungen zur Durchführung der
Chemotherapie
Die Durchführung einer Chemotherapie sollte
unverzüglich nach Diagnosestellung eingeleitet werden, ein Abwarten bis
zum symptomatischen Progress ist zu vermeiden [795 ].
Folgende Substanzen besitzen eine nachgewiesene Aktivität beim
kleinzelligen Lungenkarzinom: Cisplatin, Carboplatin, Etoposid, Teniposid,
Cyclophosphamid, Ifosfamid, Vincristin, Methotrexat, Adriamycin, Epirubicin,
Paclitaxel, Irinotecan, Topotecan, Bendamustin.
Kombinationschemotherapieprotokolle aus 2 oder 3 Substanzen
erzielen höhere Ansprechraten als Monotherapien (Evidenzgrad 1b)
[796 ]. Das Ansprechen auf die Behandlung kann bereits
nach dem ersten Zyklus beurteilt werden. Patienten mit progredienter Erkrankung
sollten unverzüglich auf eine andere Therapie umgestellt werden
[797 ] (Evidenzgrad 1b).
Ein primär alternierendes Vorgehen ist einem sequenziellen
Vorgehen mit Therapiewechsel bei Progress nicht überlegen (Evidenzgrad 1b)
[496 ]
[798 ]
[799 ]
[800 ]
[801 ]
[802 ]
[803 ]
[804 ]
[805 ].
Die Behandlungsdauer sollte 4 bis 6 Zyklen betragen, wobei bei
Patienten mit lokaler Erkrankung und zusätzlicher Strahlentherapie eher 4
Zyklen und bei Patienten mit metastasierter Erkrankung eher 6 Zyklen Anwendung
finden sollten. Längere Therapiedauern verlängern die
progressionsfreie Überlebenszeit, das Gesamtüberleben wird jedoch
nicht oder allenfalls marginal beeinflusst [806 ]
[807 ] (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 8.3.2).
8.4 Behandlung im Stadium
T1 – 2N0 – 1M0
Im Stadium T1 – 2N0 – 1M0
kann die Diagnose eines kleinzelligen Lungenkarzinoms entweder bereits vor
Einleitung einer definitiven Therapie nachgewiesen worden sein oder aber sich
durch Resektion eines Tumorherdes ergeben. Der nachfolgende Text unterscheidet
diese beiden klinischen Situationen und führt das Vorgehen zum einen bei
bereits prätherapeutisch bekanntem kleinzelligen Lungenkarzinom und zum
anderen bei unbekannter Histologie und Resektion eines pulmonalen Herdes
auf.
8.4.1 Operation bei bekannter Histologie
Eine alleinige Operation ist für ein kleinzelliges
Lungenkarzinom eine unzureichende Therapiemaßnahme [808 ] (Evidenzgrad 1c). Operative Therapien müssen
stets mit chemotherapeutischer Behandlung kombiniert werden
[809 ]
[810 ]
[811 ] (Evidenzgrad 2b). In Phase-II-Studien mit
primärer Operation und adjuvanter Chemotherapie [812 ]
[813 ]
[814 ] erreichten Patienten mit pathologisch gesichertem
Stadium I (N0-Situation) 3-Jahres-Überlebensraten von
50 – 70 % (Evidenzgrad 2b), was den
Ergebnissen beim nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom entspricht. Liegt ein
Stadium II mit einer N1-Situation vor, fallen die 3-Jahres-Überlebensraten
auf 30 – 40 % ab. Bei bereits
präoperativ nachgewiesenem mediastinalem Lymphknotenbefall (N2) liegen die
3-Jahres-Überlebensraten lediglich im Bereich von 20 %. Neue
randomisierte kontrollierte Studien zu einer primären Operation und
adjuvanten Chemotherapie bei kleinzelligem Lungenkarzinom liegen nicht vor.
In den beiden verfügbaren randomisierten Studien zur
Operation wurde zunächst eine primäre Chemotherapie eingesetzt und
ansprechende Patienten später auf eine Operation oder keine randomisiert.
In der Untersuchung von Lad et al 1994 [815 ] wurden
Patienten mit sehr guter Remission nach 5 Zyklen CAV-Chemotherapie im Stadium
limited disease randomisiert zwischen Operation mit Nachbestrahlung versus
alleiniger Nachbestrahlung. Von insgesamt 326 eingeschlossenen Patienten wurden
letztlich nur 144 randomisiert. Hier betrugen die medianen
Überlebenszeiten ca. 15 Monate und die 5-Jahres-Überlebensrate
10 % für beide Behandlungsarme ohne nachweisbaren Vorteil
für die operierten Patienten (Evidenzgrad 1b).
Eine zweite randomisierte Studie aus Deutschland
[816 ] wurde aufgrund unzureichender
Patientenrekrutierung nach 108 eingeschlossenen Patienten vorzeitig gestoppt.
Hier wurden alle Patienten mit einer initialen Chemotherapie (Carboplatin,
Etoposid und Paclitaxel) behandelt und Responder auf eine anschließende
Operation mit Nachbestahlung oder eine alleinige Nachbestrahlung randomisiert.
Auch hier zeigt die erste Analyse der Daten keinen Vorteil für ein
operatives Vorgehen (Evidenzgrad 2b) (Evidenztab. 8.4.1).
Empfehlungen
Trotz der eher negativen Phase-III-Erfahrungen sind die in
Phase-II-Studien gesehenen Langzeitüberlebensdaten bei primärer
Operation ausgesprochen günstig. Daher ist die primäre Operation bei
Patienten mit T1 – 2N0 – 1 SCLC ohne
mediastinalen Lymphknotenbefall ein gerechtfertigtes Vorgehen (Evidenzgrad 2b,
Empfehlungsgrad B). Da der Stellenwert der Operation jedoch nicht durch eine
prospektiv randomisierte Studie abgesichert ist, sollte unter
Berücksichtigung von postoperativer Funktion und Lebensqualität auf
eine Pneumonektomie verzichtet werden. Zudem ist ein mediastinaler
Lymphknotenbefall präoperativ durch das Staging unter Einbeziehung von
FDG-PET/CT auszuschließen.
8.4.2 Postoperative Chemotherapie
Postoperativ muss eine adjuvante Chemotherapie angeschlossen
werden. Ältere Studien mit alleiniger Operation konnten in nahezu keinem
Fall ein Langzeitüberleben erreichen [817 ], erst
die Einführung der zusätzlichen Chemotherapie hat die Prognose
entscheidend verbessert [812 ]
[813 ]
[814 ] (Evidenzgrad 2b). Dabei
scheinen platinhaltige Protokolle nicht-platinhaltigen überlegen zu sein.
In einer Untersuchung von Brock et al. 2005 betrug bei 82 Patienten die
5-Jahres-Überlebensrate für Patienten mit platinhaltiger Therapie
68 % im Vergleich zu nur 32 % bei
nichtplatinhaltiger Therapie. Weitere Prognoseparameter für ein besseres
5-Jahres-Überleben waren vollständige Lobektomie vs. limitierte
Resektion (50 vs. 20 %) und Frauen versus Männer (60 vs.
28 %) (Evidenztab. 8.4.2).
Empfehlungen
Postoperativ muss eine adjuvante Chemotherapie angeschlossen
werden. Das Protokoll Cisplatin/Etoposid über 4 Zyklen stellt die Therapie
der ersten Wahl dar. Bei Kontraindikationen gegen Cisplatin ist der Einsatz
alternativer Protokolle in jedem Falle einem Verzicht auf die adjuvante
Chemotherapie vorzuziehen (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad A).
8.4.3. Postoperative Strahlentherapie
Zum Stellenwert der Strahlentherapie nach operativer Resektion
liegen keine randomisierten Studien vor. Die Therapieempfehlungen beruhen auf
den genannten Phase-II-Studien mit primärer Operation [812 ]
[813 ]
[814 ], in denen die Indikationen zur Durchführung
strahlentherapeutischer Maßnahmen in entsprechender Weise gestellt
wurden. Zudem fließt in die Empfehlung die grundsätzliche
Wirksamkeit sowohl der prophylaktischen Schädelbestrahlung wie auch der
Primärtumor- und Mediastinalbestrahlung im Stadium limited disease
ein.
Empfehlungen
• Nach operativer Resektion wird in allen Untergruppen
neben der adjuvanten Chemotherapie eine prophylaktische Radiatio des
Schädels empfohlen. Ein häufig eingesetztes Vorgehen sieht die Gabe
von 30 Gy in 15 Fraktionen vor (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
• Bei N1-Befall sollte eine individuelle Entscheidung zur
Mediastinalbestrahlung in Abhängigkeit von Lymphknotenlokalisation und
chirurgischer Einschätzung der Radikalität getroffen werden
(Empfehlungsgrad D). Bei N2-Befall wird eine Mediastinalbestrahlung empfohlen.
Diese sollte in einer Dosis von 50 – 60 Gy in
konventioneller Fraktionierung durchgeführt werden (Evidenzgrad 2b,
Empfehlungsgrad B).
• Im Falle einer R1/2 Resektion wird ebenfalls eine
zusätzliche Mediastinalbestrahlung empfohlen (Empfehlungsgrad D).
8.4.4 Präoperative Chemotherapie
Erfahrungen aus Einzelinstitutionen [813 ] haben keine Effektivitätsunterschiede zwischen
einer primären Operation mit nachfolgender Chemotherapie oder initialer
Chemotherapie mit nachfolgender Operation gezeigt (Evidenzgrad 4) (Evidenztab.
8.4.4).
Empfehlungen
Bei bereits gesichertem kleinzelligem Lungenkarzinom in sehr
frühem Stadium scheint eine präoperative Chemotherapie einem
postoperativen Vorgehen in der Wirksamkeit vergleichbar. Patienten können
daher sowohl zunächst operiert und anschließend chemotherapiert wie
auch initial chemotherapiert und anschließend operiert werden
(Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
8.4.5 Primäre definitive Chemostrahlentherapie
Eine Therapiealternative zur Operation mit postoperativer Chemo-
und Strahlentherapie ist die primäre Durchführung einer definitiven
Chemo-Strahlentherapie analog zum Vorgehen bei
T1 – 4N2 – 3M0-Befall. Allerdings sind
für dieses Vorgehen keine TNM-bezogenen Langzeitüberlebensraten
verfügbar, sodass selbst über historische Vergleiche keine
Beurteilung der Wirksamkeit in den verschiedenen Tumorausprägungen
möglich ist.
Empfehlungen
Eine primäre definitive Chemo-Strahlentherapie steht als
Therapiealternative zur Verfügung, stadienbezogene Effektivitätsdaten
oder gar Vergleiche zum operativen Vorgehen sind jedoch nicht verfügbar.
Diese Therapiemöglichkeit ist daher weniger gut als ein operatives
Vorgehen belegt (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
8.4.6 Vorgehen bei Rundherd mit präoperativ nicht
gesichertem kleinzelligen Lungenkarzinom
Bei nachweisbarem peripherem Rundherd ohne weitere in den
bildgebenden Verfahren nachweisbare Tumormanifestationen kann eine primäre
Resektion des Rundherdes zunächst zur Histologiegewinnung und dann
Entscheidung über das weitere therapeutische Vorgehen durchgeführt
werden. Zeigt die Schnellschnittuntersuchung in einem solchen Falle ein
kleinzelliges Lungenkarzinom, so sollte anschließend eine anatomisch
gerechte Resektion mit ipsilateraler systematischer Lymphadenektomie
durchgeführt werden. Die weitere Therapie entspricht dann dem Vorgehen
nach primärer Resektion eines bereits präoperativ nachgewiesenen
kleinzelligen Lungenkarzinoms in sehr frühem Stadium. Es erfolgt eine
adjuvante Chemotherapie mit 4 Zyklen Cisplatin und Etoposid sowie
anschließend eine prophylaktische Schädelbestrahlung mit
30 Gy. Im Falle einer nodal positiven Erkrankung oder einer
R1/R2-Situation sollte parallel zur Schädelbestrahlung eine
Mediastinalbestrahlung mit 50 bis 60 Gy durchgeführt werden.
Erfolgt lediglich die Resektion des peripheren Rundherdes ohne
nachfolgende anatomische Resektion mit Lymphadenektomie, so werden diese
Patienten als onkologisch nicht angemessen operiert betrachtet. In diesem Falle
ist eine Weiterbehandlung analog dem klinischen Stadium
T3 – 4 oder N2 – 3 in Form einer
kombinierten Chemo-Strahlentherapie durchzuführen (siehe Kapitel 8.5).
8.4.7 Zusammenfassung und Empfehlungen für
zukünftige Entwicklungen
Zusammenfassende Empfehlungen
• Patienten mit klinischem Stadium
T1 – 2N0 – 1 sollten nach Ausschluss
einer mediastinalen Lymphknotenmetastasierung eine primäre Resektion mit
adjuvanter Chemotherapie oder eine neoadjuvante Chemotherapie mit nachfolgender
Operation erhalten. Alle Patienten sollten nach Möglichkeit als
Chemotherapie 4 Zyklen Cisplatin/Etoposid erhalten. Eine postoperative
Mediastinalbestrahlung ist bei N1-Befall zu diskutieren, sie wird bei N2-Befall
empfohlen. Die prophylaktische Schädelbestrahlung sollte bei allen
Patienten durchgeführt werden.
• Die Resektion eines pulmonalen Herdes mit
anschließendem Nachweis eines kleinzelligen Lungenkarzinoms mündet
in ein identisches therapeutisches Vorgehen.
• Letztlich ist nicht geklärt, ob die sehr guten
Ergebnisse der Operation Ausdruck der hochgradigen Patientenselektion oder
Erfolg des chirurgischen Therapiekonzeptes sind. Eine Therapiealternative
bleibt daher die Durchführung einer Chemostrahlentherapie analog zum
Vorgehen bei Patienten mit weiter fortgeschrittener aber noch lokal begrenzter
Erkrankung. Aufgrund des Fehlens von TNM-bezogenen Langzeitüberlebensdaten
von Patienten unter definitiver Chemo-Strahlentherapie ist der Stellenwert
dieses Therapiekonzeptes jedoch zurzeit nicht sicher zu beurteilen.
Entsprechende vergleichende Untersuchungen sollten angestrebt werden.
Abb. 14 Algorithmus zur
Therapie des präoperativ gesicherten kleinzelligen Lungenkarzinoms im
Stadium cT1 – 2, N0 – 1, M0.
Abb. 15 Algorithmus zur
Therapie des präoperativ nicht gesicherten kleinzelligen Lungenkarzinoms
im Stadium cT1 – 2, N0 – 1, M0.
8.5 Behandlung der Tumorstadien T3 – 4
und/oder N2 – 3, M0 (Limited disease)
Bei bestrahlungsfähiger Tumorausbreitung besteht ein
kurativer Therapieanspruch. Die 5-Jahres-Überlebensraten liegen in Studien
zwischen 10 und 20 %.
8.5.1 Wahl der Chemotherapie
Die Chemotherapiekombination der 1. Wahl stellt
Cisplatin/Etoposid (PE) dar. Metaanalysen randomisierter Studien mit einem
Vergleich von Cisplatin- und/oder etoposidhaltigen Schemata versus Cisplatin-
und/oder etoposidfreien Regimen zeigen signifikante Überlebensvorteile
für den Einschluss von Cisplatin und/oder Etoposid [818 ]
[819 ] (Evidenzgrad 1a). Die
Metaanalysen basieren allerdings nicht auf individuellen Patientendaten. Neben
der vermutlich höheren Wirksamkeit liegt der wesentliche Vorteil der
Kombination PE bei nicht fernmetastasierter Erkrankung in der
uneingeschränkten Anwendbarkeit im Rahmen einer simultanen
Chemo-Strahlentherapie. Anthrazyklinhaltige Protokolle sollten hingen nicht
bei
Applikation einer simultanen Chemo- und Strahlentherapie eingesetzt werden.
Bei
der Gabe von PE sollte darauf geachtet werden, dass die Etoposidapplikation
nach Cisplatin erfolgt und an zumindest 3 Tagen verabreicht wird
[820 ] (Evidenzgrad 1b).
Ein Vorteil von cisplatin- und/oder etoposidhaltigen Schemata im
Vergleich zu anderen Regimen ist in einer Vielzahl von Studien gezeigt worden,
die in der Folge kurz beschrieben werden.
In der skandinavischen Studie von Sundström et al. 2002
[821 ] wurde bei 214 Patienten eine Überlegenheit
gegenüber CEV (Cyclophosphamid/Epirubicin/Vincristin) gesehen. In der
LD-Gruppe waren die medianen Überlebenszeiten (14,5 vs. 9,7 Monate) und
das 3-Jahres-Überleben (25 % vs. 8 %)
hochsignifikant günstiger im PE-Arm. Bei ED gab es keine
Wirksamkeitsunterschiede (Evidenzgrad 1b).
Die Studie von Thatcher et al. 2005 [822 ] hatte das carboplatinhaltige Regime ICE plus
Vincristin gegen eine platinfreie Behandlung getestet und hier auch
signifikante Überlebensvorteile erreichen können. Hier waren
Patienten mit günstigem Risikoscore eingeschlossen worden.
In der Studie von Einhorn et al. 1988 [823 ] führte die zusätzliche Gabe von PE bei
Patienten mit Ansprechen auf 6 Zyklen ACO zu einer Verbesserung der Prognose
(Evidenzgrad 1b). Auch in zwei deutschen Untersuchungen war eine
cisplatinhaltige Therapie einer platinfreien Strategie überlegen (Wolf et
al. 1987 [824 ], Havemann et al. 1987
[802 ]). Eine Wirksamkeitsverstärkung durch Zugabe
von Etoposid wurde auch in einer Studie von Jackson et al. 1984
[825 ] gesehen. In der Studie der North Central Cancer
Treatment Group (NCCTG) [826 ] führte die Addition
von Etoposid zum ACO-Schema bei LD-Patienten zur Verbesserung der Prognose.
Dieses ACO-E-Schema wurde in einer SWOG-Studie [827 ]
gegen das Alternieren von ACO und PE getestet, wobei sich eine geringe
Verlängerung der medianen Überlebenszeit (16,5 vs. 15,1Mo), aber
keine Erhöhung der Langszeitüberlebensrate für ACO/PE nachweisen
ließ.
Direkt verglichen wurden ACO und PE sowie die alternierende Gabe
bei LD-Patienten in einer japanischen Studie [828 ] mit
jeweils ca. 50 LD-Patienten pro Arm. Hier zeigte sich ein Vorteil des
alternierenden Armes gegenüber beiden Einzelprotokollen (mediane ÜZ
16,8 vs. 12,4 vs 11,7 Monate) (Evidenzgrad 1b).
Diese Ergebnisse deuten daraufhin, dass eine zusätzliche
Gabe von Etoposid oder Cisplatin/Etoposid die Prognose der ausschließlich
ACO-behandelten Patienten im Stadium limited disease zu verbessern vermag.
Ob dabei Carboplatin dem Cisplatin gleichwertig ist, ist bisher
nicht sicher belegt. In einer deutschen Studie [804 ]
waren Ansprechraten und Überlebenszeiten für Cisplatin günstiger
als für Carboplatin (Evidenzgrad 2b), eine griechische
[829 ] und eine skandinavische Untersuchung
[830 ] konnten keine Unterschiede feststellen, wobei
hier keine adäquate Differenzierung in LD- und ED-Patienten vorgenommen
wurde (Evidenzgrad 2b). Auch die Studie von Hirsch et al. 2001
[831 ] zeigte eine erhöhte Wirksamkeit bei Zugabe
von Cisplatin zu einer Chemotherapie mit Carboplatin, Teniposid und Vincristin
(Evidenzgrad 1b). Auf die Gabe carboplatinhaltiger Protokolle sollte daher nur
bei zweifelsfreien Kontraindikationen gegenüber Cisplatin
zurückgegriffen werden.
PE sollte zumindest über 4 Zyklen in 3-wöchigen
Intervallen appliziert werden. Ist von einer Fortsetzung der Therapie ein
weiterer Benefit für den Patienten zu erwarten, kann die Therapie auf 6
Zyklen ausgedehnt werden.
Anthrazyklinhaltige Schemata sind gegenüber
cisplatinhaltigen Protokollen bei Verwendung einer simultanen
Chemostrahlentherapie mit signifikant höherer Toxizität belastet. Die
drei Untersuchungen von Gregor et al. 1997 [832 ], Perry
et al. 1987 und 1998 [833 ]
[834 ]
und Lebeau et al. 1999 [835 ] konnten keinen Vorteil
für ein simultanes bzw. alternierendes Vorgehen im Vergleich zur
konsekutiven Chemo-Strahlentherapie beobachten, die
Langzeitüberlebensraten waren in allen Studien niedrig
(< 15 %) und die Toxizität in den simultanen
Therapiearmen signifikant erhöht. Die Gabe anthrazyklinhaltiger Protokolle
sollte daher bei diesem Patientenkollektiv und insbesondere bei Verwendung
einer simultanen Chemo-Strahlentherapie vermieden werden (Evidenzgrad 1a).
Substanzen der dritten Chemotherapiegeneration sind in der
LD-Patientengruppe und im Rahmen simultaner Chemostrahlentherapiekonzepte
bisher nur unzureichend geprüft. Phase-II-Untersuchungen zeigen die
grundsätzliche Machbarkeit der Integration von Substanzen wie Paclitaxel
und Irinotecan in Chemo-Strahlentherapiekonzepte [836 ]
[837 ], die Ergebnisse dieser
Untersuchungen lassen jedoch im Vergleich zum Standard PE-plus-RT-Vorgehen
keinen offensichtlichen Vorteil vermuten. Gleiches gilt für den Ansatz
einer Konsolidierungschemotherapie mit einer Drittgenerationskombination nach
simultaner Chemo-Strahlentherapie mit klassischem Cisplatin/Etoposid
[838 ]. Auch lassen Studien mit Dreifachkombinationen im
Rahmen der simultanen Chemo-Strahlentherapie keinen offensichtlichen Vorteil
im
Vergleich zum Standard PE erkennen [839 ]
[840 ] (Evidenzgrad 2b) (Evidenztab. 8.5.1).
Empfehlungen
Chemotherapiekombination der ersten Wahl ist Cisplatin und
Etoposid (PE). Die Therapie sollte über zumindest 4 Zyklen
durchgeführt werden. Carboplatinhaltige Protokolle sind nur unzureichend
geprüft und sollten nur bei eindeutigen Kontraindikationen gegenüber
cisplatinhaltigen Schemata eingesetzt werden. Auf die Gabe anthrazyklinhaltiger
Regime sollte verzichtet werden (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad A).
8.5.2 Integration der Strahlentherapie
Die zusätzliche Strahlentherapie erhöht bei Patienten
mit bestrahlungsfähiger Tumorausbreitung die Langzeitüberlebensrate
und ist daher fester Bestandteil des Therapiekonzeptes. Die recht große
Zahl an Einzelstudien [841 ]
[842 ]
[843 ]
[844 ]
[845 ]
[846 ] ist in Metaanalysen zusammengefasst worden. Nach den
Ergebnissen der Metaanalysen [847 ]
[848 ] wird die 3-Jahres-Überlebensrate durch
zusätzliche Strahlentherapie im Vergleich zur alleinigen Chemotherapie um
ca. 5 % erhöht (Evidenzgrad 1a) (Evidenztab. 8.5.2). Der
Effekt scheint insbesondere im Alter unter 55 Jahren stärker als bei
älteren Patienten ausgeprägt zu sein. Die Indikationsstellung zur
Durchführung der Strahlentherapie sollte daher das biologische Alter und
Komorbiditäten berücksichtigen.
Empfehlungen
Patienten mit bestrahlungsfähiger
Primärtumorausdehnung und ohne Fernmetastasierung sollten eine Bestrahlung
der Primärtumorregion erhalten (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad A).
8.5.2.1 Simultane vs. konsekutive
Chemo-Strahlentherapie
In einer Phase-II-Studie der SWOG [849 ]
[850 ] konnte bei 154 Patienten
mit simultaner PE- und Strahlentherapieapplikation eine
3-Jahres-Überlebensrate von 34 % erreicht werden. Im
retrospektiven Vergleich waren diese Daten signifikant günstiger im
Vergleich zu allen vorangegangenen SWOG-Studien mit konsekutiver
Chemo-Strahlentherapie und haben dazu geführt, dass für viele
amerikanische Gruppen das simultane Therapievorgehen zum Standard für die
Behandlung der Limited-disease-Patienten wurde (Evidenzgrad 2b).
Randomisiert wurde ein konsekutives gegen ein simultanes
Vorgehen in der Phase-III-Studie aus Japan von Takada et al.
[851 ] geprüft. Bei Gabe einer PE Chemotherapie
wurde bei 231 Patienten eine hyperfraktionierte Strahlentherapie mit Beginn
des
1. Zyklus gegen einen Bestrahlungsbeginn nach Abschluss des 4. Zyklus
geprüft. Durch die simultane Gabe wurde die mediane Überlebenszeit
von 19,7 auf 27,2 Monate verlängert und das 3- bzw.
5-Jahres-Überleben von 20 % auf 30 % bzw.
19 % auf 24 % erhöht (Evidenzgrad 1b). Damit
verbunden war allerdings auch eine erhöhte Toxizität mit
Leukopenieraten WHO-Grad 3 bis 4 von 54 % vs. 88 %
und Thrombozytopenieraten von 26 % vs. 37 %.
Die Gesamtherddosis der Strahlentherapie beträgt bei
konsekutivem Vorgehen in der Regel 50 – 60 Gy und
bei simultanem Vorgehen in der Regel 40 – 50 Gy.
Höhere Gesamtherddosen bis zu 70 Gy sind bei simultaner
Chemo-Strahlentherapie in Phase-II-Studien getestet und bei entsprechender
Auswahl des Strahlenfeldes tolerabel [852 ]
[853 ]
[854 ]
[855 ] (Evidenzgrad 2b).
Von besonderer Bedeutung ist, dass Patienten mit einer
Beendigung des Zigarettenkonsums unter simultaner Chemo-Strahlentherapie eine
bessere Prognose aufweisen als Patienten die weiter rauchen [91 ]. Zur Rauchabstinenz sollte daher auch aus
therapeutischen und prognostischen Gründen aufgefordert werden.
Empfehlungen
• Die Applikation der Strahlentherapie in den
Tumorstadien T3 – 4N0 – 1 und
T1 – 4N2 – 3M0 (Limited disease) sollte
nach Möglichkeit simultan zur Chemotherapie mit Cisplatin und Etoposid
erfolgen (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
• Patienten unter simultaner Chemo-Strahlentherapie
sollten das Rauchen einstellen (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
8.5.2.2 Frühe vs. späte Bestrahlung
Randomisierte Studien mit dem Vergleich frühe vs.
späte simultane Chemostrahlentherapie haben unterschiedliche Ergebnisse
erbracht. Die Studien von Murray et al. 1993 [856 ] und
Spiro et al. 2006 [857 ] verwendeten ein identisches
Design mit einer alternierenden Chemotherapie bestehend aus CAV und PE
über 6 Zyklen und randomisierten die Patienten auf eine frühe
simultane Strahlentherapie parallel zum 2. Zyklus oder eine späte
simultane Bestrahlung parallel zum 6. Zyklus. Während Murray et al. eine
Überlegenheit der frühen Bestrahlung mit medianen
Überlebenszeiten von 21 vs. 16 Monaten und 3-Jahres-Überleben von
27 % vs. 21 % nachweisen konnten, waren in der
Studie von Spiro et al. keine Unterschiede im medianen Überleben (13,7
versus 15,1 Monate) und 3-Jahres-Überleben (16 versus 22 %)
nachweisbar. In der Studie von Spiro et al. traten unter früher
Bestrahlung deutlich mehr Therapieabbrüche auf, was zu einer verminderten
Durchführung der vorgesehenen Chemotherapie in diesem Arm führte.
Die Studie von Jeremic et al. 1997 [858 ] hatte einen Vorteil für eine frühe
hyperfraktionierte akzelerierte Bestrahlung im Vergleich zu einer späten
beobachtet. Ebenfalls zeigte die randomisierte Phase-II-Studie von Skarlos et
al. 2001 [859 ] einen Vorteil für einen frühen
Bestrahlungsbeginn. Die Studie von Work et al. 1997 [860 ] konnte diesen Vorteil nicht zeigen, hier erhielten
die Patienten allerdings eine alleinige Radiotherapie und keine simultane
Chemo-Strahlenbehandlung.
Metaanalysen zum Zeitpunkt der Bestrahlung deuten darauf hin,
dass eine frühzeitige Bestrahlung günstigere Ergebnisse als eine
spätere Bestrahlung erzielt [861 ]
[862 ]
[863 ]
[864 ]. In diese Metaanalysen sind allerdings Studien mit
sehr heterogenen Behandlungskonzepten eingegangen. Es wurden sowohl Studien
mit
simultaner als auch mit konsekutiver Chemo-Strahlentherapie wie auch Studien
mit cisplatinhaltiger und anthrazyklinhaltiger Therapie berücksichtigt.
Dies begrenzt die Aussagekraft dieser Metaanalysen. Dennoch weisen diese
Metaanalysen einen gewissen Vorteil für eine frühe simultane
Bestrahlung aus bei Verwendung von cisplatinhaltigen Therapieregimen und
Abschluss der Strahlentherapie innerhalb der ersten 30 Behandlungstage
(Evidenzgrad 2a).
Empfehlungen
Patienten mit bestrahlungsfähiger Tumorausbreitung
sollten nach Möglichkeit eine frühe simultane Chemo-Strahlentherapie
erhalten (Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B).
8.5.2.3 Konventionelle Fraktionierung versus
hyperfraktionierte akzelerierte Bestrahlung
Bei simultaner Chemostrahlentherapie mit Start der Bestrahlung
parallel zum ersten Chemotherapiezyklus ist nach den Ergebnissen der Studie
von
Turrisi et al. 1999 [865 ] eine hyperfraktionierte
akzelerierte Bestrahlung einer konventionell fraktionierten Strahlentherapie
mit gleicher Gesamtherddosis von 45 Gy überlegen. Insbesondere die
lokale Tumorkontrolle konnte durch die hyperfraktionierte akzelerierte
Strahlentherapie verbessert werden. Das 5-Jahres-Überleben betrug
26 % vs. 16 % (Evidenzgrad 1b). In der Studie von
Bonner et al. 1999 [866 ] wurde ebenfalls eine
konventionell fraktionierte mit einer hyperfraktionierten akzelerierten
Strahlentherapie verglichen. Hier erfolgte die Strahlentherapie simultan zum
4.
und 5. Zyklus mit einer Bestrahlungspause, es wurden 6 Zyklen Chemotherapie
und
pro Zyklus eine höhere Cisplatin- und Etoposiddosierung eingesetzt. Das
5-Jahres-Überleben war mit 20 vs. 21 % nicht unterschiedlich
[867 ] (Evidenzgrad 1b).
Nicht sicher geklärt ist, ob der Vorteil der
Hyperfraktionierung in der Studie von Turrisi et al. durch eine höhere
Gesamtherddosis bei konventioneller Fraktionierung oder auch durch
Intensivierung der Chemotherapie ausgeglichen werden kann.
Empfehlungen
Patienten mit bestrahlungsfähiger
Primärtumorausdehung sollten entweder eine frühe (oder simultane)
hyperfraktionierte akzelerierte Strahlentherapie mit einer GHD von 45 Gy
oder eine konventionell fraktionierte frühe (oder simultane)
Strahlentherapie mit höherer GHD von 50 – 60 Gy
erhalten (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad B).
8.5.3 Prophylaktische Schädelbestrahlung
Zwei kontrollierte Studien von Arriagada et al. 2002
[868 ] bei insgesamt 505 Patienten mit LD oder ED und
kompletter Remission nach Induktion zeigten eine Reduktion der Entwicklung
einer Hirnmetastasierung als erste Rezidivlokalisation von 37 %
in der Kontrollgruppe auf 20 % in der Gruppe mit prophylaktischer
Schädelbestrahlung (PCI). Auch hinsichtlich des Überlebens zeigte
sich ein geringer Vorteil für die PCI-Gruppe mit einer
5-Jahres-Überlebensrate von 18 % vs. 15 %.
Die vorliegenden Studien zur Frage der prophylaktischen
Schädelbestrahlung sind in Metaanalysen [869 ]
[870 ] eingegangen, die eine signifikante Erhöhung der
5-Jahres-Überlebensrate um 3 % für die
schädelbestrahlten Patienten beschreiben (Evidenzgrad 1a) (Evidenztab.
8.5.3).
Die Studie von Le Péchoux et al. 2009
[871 ] untersuchte 2 unterschiedliche Dosierungen der
prophylaktischen Schädelbestrahlung. Hier wurden 720 Patienten mit limited
disease und kompletter Remission nach Induktionschemotherapie eingeschlossen.
Es erfolgte eine Randomisierung auf eine Dosierung von 25 Gy über
10 Fraktionen oder eine höhere Dosierung von 36 Gy. An der Studie
nahmen insgesamt 157 Kliniken aus 22 Ländern teil. Die Rate der
Hirnmetastasierung wurde durch die höher dosierte Strahlentherapie gering
reduziert mit einer Inzidenz von 30 % bei 25 Gy und
24 % bei 36 Gy nach zwei Jahren. Der Unterschied war
allerdings nicht statistisch signifikant mit einem p-Wert von 0,13. Im
Gesamtüberleben zeigte sich ein Vorteil für die niedrig dosierte
Strahlentherapie mit einer 2-Jahres-Überlebensrate von 42 %
versus 37 % und einem p-Wert von 0,03. Erstaunlicherweise war in
der höheren Dosisgruppe insbesondere die intrathorakale Rezidivrate
erhöht. Dies mag auf eine nicht ausbalancierte Primärtherapie
hinweisen. Letztlich hat die Studie aber keine erhöhte Wirksamkeit der
höheren Dosierung nachweisen können (Evidenzgrad 1b). Zu bedenken
bleibt zudem, dass mit höherer Dosierung das Risiko für neurologische
Schädigungen und Einschränkungen der kognitiven Fähigkeiten
zunehmen kann.
Empfehlungen
Bei allen Patienten mit Remission nach Abschluss der
Chemo-Strahlentherapie sollte eine prophylaktische Schädelbestrahlung
durchgeführt werden. Bevorzugt sollte eine GHD bis 30 Gy in
Einzeldosen von 1,8 bis 2,0 Gy täglich eingesetzt werden
(Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad A).
8.5.4 Neoadjuvante Therapiekonzepte
In einer Untersuchung von Eberhardt et al. 1999
[872 ] wurde bei Patienten mit bereits klinisch
nachweisbarer N2-Situation neoadjuvant eine simultane Chemo-Radiotherapie
eingesetzt. Es wurden 8 Patienten in den Stadien I + II mit
alleiniger neoadjuvanter Chemotherapie (4 × PE) und 38
Patienten in den Stadien IIIA und IIIB mit 4 Zyklen PE und simultaner
hyperfraktionierter Radiotherapie mit 45 Gy behandelt und
anschließend operiert. Die R0-Resektion betrug 100 % in den
Stadien I + II, 73 % (16 / 22)
im Stadium IIIA und 13 % (2 / 16) im Stadium IIIB.
Die 4-Jahres-Überlebensrate betrug für das Gesamtkollektiv
46 % (Evidenzgrad 4) (Evidenztab. 8.5.4).
Empfehlungen
Eine neoadjuvante Therapie ist im Stadium III keine
Standardbehandlung. Wird mit neoadjuvanter Therapie eine Komplettremission des
mediastinalen Lymphknotenbefalls erreicht, kann eine anatomiegerechte Resektion
diskutiert werden. Die Lymphknotennegativität sollte histologisch
gesichert werden, eine Pneumektomie ist zu vermeiden (Evidenzgrad 4,
Empfehlungsgrad C).
8.5.5 Intensivierte Therapie
Eine Therapieintensivierung ist über eine
Zyklusintervallverkürzung und/oder über eine Dosissteigerung zu
erreichen. Zyklusintervallverkürzung ist über eine Chemotherapie in
ein- oder zweiwöchentlichen Abständen in reduzierter Einzeldosis oder
über eine konventionell dosierte Behandlung unter Verwendung von
hämatopoetischen Wachstumsfaktoren (CSF) möglich [873 ]. Eine Dosissteigerung ist bis zu einem Faktor von
1,5 – 2 ohne Transfusion von hämatopoetischen
Stammzellen möglich. Dosissteigerungen darüber hinaus sind im Rahmen
der autologen Knochenmark- oder Stammzelltransplantation durchführbar.
8.5.5.1 Wöchentliche Chemotherapie
Das Verfahren der wöchentlichen Therapie ist bei
Patienten ohne hämatogene Fernmetastasierung in einer randomisierten
Studie des MRC in Großbritanien geprüft worden [874 ] (Evidenzgrad 1b). Dabei ließ sich kein
Überlebensvorteil gegenüber einer konventionellen 3-wöchigen
Therapie nachweisen.
8.5.5.2 Hämatopoetische Wachstumsfaktoren
In frühen Studien wurden hämatopoetische
Wachstumsfaktoren bei Therapien mit fixen Dosierungen und Therapieintervallen
eingesetzt. In den Untersuchungen von Crawford et al. 1991 [875 ] und Trillet-Lenoir et al. 1993 [876 ] war durch G-CSF-Gabe eine Senkung der
Infektionshäufigkeit, jedoch keine Verbesserung der Überlebenszeit,
nachweisbar (Evidenzgrad 1b). In der Studie von Bunn et al. 1995
[877 ] führte die parallele GM-CSF-Gabe zu einer
simultanen Chemo-Strahlentherapie mit Platin/Etoposid zu einer erhöhten
Rate von Infektionen und Thrombozytopenien ohne Überlebensvorteile
(Evidenzgrad 1b).
Spätere Studien haben Wachstumsfaktoren mit dem Ziel
eingesetzt, die Therapieintervalle zu verkürzen und hierüber eine
Intensivierung der Therapie zu erreichen. In der Studien von Steward et al.
1998 [878 ] und Thatcher et al. 2000
[879 ] wurden Patienten randomisiert auf längere
oder kürzere Therapieintervalle sowie auf die Gabe von CSF oder Placebo.
Die Gabe des Wachstumsfaktors hatte keinen Einfluss auf die Prognose,
allerdings erreichten kürzere Intervalle gering bessere Ergebnisse als
längere (Evidenzgrad 1b). In der multizentrischen deutschen Studie von
Wolf et al. 1993 [880 ] wurden keine festen
Zyklusintervalle vorgegeben. Die Weiterbehandlung erfolgte in Abhängigkeit
von den Blutbildparametern. Durch die Gabe des Wachstumsfaktors ließ sich
das Therapieintervall verkürzen. Diese Therapieintensivierung führte
jedoch nicht zu einer Verbesserung der Prognose (Evidenzgrad 1b).
Die EORTC-Studie von Ardizzoni et al. 2002
[881 ] verglich ein Standard-CDE-Protokoll in
3-wöchentlichen Intervallen mit einem intensivierten CDE-Protokoll mit
25 %iger Dosiserhöhung und G-CSF-Gabe in 14-tägigen
Intervallen. In einem 2 × 2-faktoriellen Design erfolgte
darüber hinaus eine Randomisation auf eine prophylaktische
Antibiotikatherapie mit Ciprofloxacin plus Roxitromycin jeweils von Tag
4 – 13 nach jedem Zyklus vs. Placebo. Die
Therapieintensivierung war ohne Effekt, die prophylaktische Antibiotikagabe
führte zu einer signifikanten Erniedrigung der Episoden febriler
Neutropenie [882 ]
[883 ]
(Evidenzgrad 1b).
8.5.5.3 Vollbluttransfusionen
Das Konzept der Therapieintensivierung mit Vollbluttransfusion
[884 ] ist in der großen randomisierten Studie von
Lorigan et al. 2005 [885 ] überprüft worden.
In die Gesamtstudie wurden 318 Patienten aufgenommen, die entweder alle vier
Wochen mit einem Standard-ICE-Regime oder aber mit einem dosisintensiviertem
ICE-Regime alle zwei Wochen mit Vollbluttransfusion nach vorhergehender
Stammzellmobilisierung behandelt wurden. Die Studie konnte zwar eine doppelte
Dosisintensität für die stammzellunterstützte Behandlung
nachweisen, die Behandlungsergebnisse waren jedoch absolut identisch mit
medianen Überlebenszeiten von 13,9 vs. 14,4 Monaten und
2-Jahres-Überlebensraten von 22 vs. 19 % (Evidenzgrad
1b).
8.5.5.4 Steigerung der Medikamentendosierung im
konventionellen Bereich
Die randomisierte Studie von Arriagada et al. 1993
[886 ] konnte bei 105 LD-Patienten mit einer um
20 % erhöhten Cyclophosphamid-
(1000 mg/m2 ) und Cisplatin- (100 mg/m2 )
Dosierung im 1. Zyklus eine höhere CR-Rate (67 % vs.
54 %) und eine verbesserte 2-Jahres-Überlebensrate
(43 % vs. 26 %) im Vergleich zum Standard zeigen
(Evidenzgrad 1b).
Die Nachfolgestudie von Le Chevalier et al. 2002
[887 ] konnte mit einer weiteren Dosissteigerung von
Cyclophosphamid bei 295 Patienten keine weitere Prognoseverbesserung erreichen.
Hier waren komplette Remissionsraten (55 % vs.
53 %) sowie 2-Jahres-rezidivfreie Überlebensraten
(21 % vs 18 %) nahezu identisch (Evidenzgrad
1b).
8.5.5.4.1 Hochdosistherapie mit autologer
Knochenmarkstransplantation oder Blutstammzelltransplantation
Die Studie von Humblet et al. 1987 [888 ] randomisierte 45 Responder nach einer
Induktionstherapie auf eine Hochdosistherapie oder einen konventionell
dosierten Zyklus mit denselben Medikamenten (Cyclophosphamid, Etoposid, BCNU).
In der Limited-Disease-Gruppe führte die Hochdosistherapie zu einer
Verlängerung der medianen Überlebenszeit von 60 auf 84 Monate und zu
einer Erhöhung der 2-Jahres-krankheitsfreien Überlebensrate von 0 auf
20 %. Aufgrund der kleinen Fallzahl waren diese Ergebnisse jedoch
nicht statistisch signifikant unterschiedlich (Evidenzgrad 2b) (Evidenztab.
8.5.5).
In der Phase-II-Untersuchung von Elias et al. 1999
[889 ] wurden 36 Patienten mit kompletter oder sehr
guter partieller Remission nach Induktion hochdosistherapiert. Hier wurde eine
5-Jahres-Überlebensrate von 41 % erreicht (Evidenzgrad 2b).
Auch in der Untersuchung von Fetscher et al. 1997 [890 ]
und Seifart et al. 2000 [891 ] wurden
3-Jahres-Überlebenraten von 45 % bzw. 38 %
beobachtet. Noch günstiger waren die Daten von Kiura et al. 2003
[892 ] mit einem krankheitsfreien Überleben nach
drei Jahren bei 56 % der Patienten.
Eine Phase-II-Studie mit repetitiver Hochdosistherapie wurde
von Leyvraz et al. 1999 [893 ] publiziert. Sie bildete
die Grundlage für die einzige neuere Phase-III-Studie (Leyvraz et al. 2008
[894 ]), in der insgesamt 145 Patienten auf ein
Standard-ICE-Regime oder auf zwei Mobilisierungszyklen mit Epirubicin und
Paclitaxel, gefolgt von drei Hochdosiszyklen mit ICE und peripherer
Stammzellunterstützung, randomisiert wurden. Progressionsfreie
Überlebenszeit (12,5 versus 8,8 Monate) und mediane Überlebenszeit
(19,1 versus 15,0 Monate) waren im Hochdosisarm numerisch günstiger, die
3-Jahres-Überlebensraten waren mit 19 % jedoch in beiden
Armen identisch (Evidenzgrad 1b).
Zusammenfassende Empfehlungen
• Patienten mit einer bestrahlungsfähigen
Tumorausbreitung eines kleinzelligen Lungenkarzinoms sollten eine kombinierte
Chemostrahlentherapie erhalten.
• Das eingesetzte Chemotherapieprotokoll sollte
Cisplatin/Etoposid über 4 – (6) Zyklen in
3-wöchigen Intervallen sein. Die Dosis pro Zyklus sollte für
Cisplatin 80 mg/m2 und für Etoposid
300 mg/m2 i. v, aufgeteilt in 3 Tageseinzeldosen,
nicht unterschreiten.
• Die günstigsten 5-Jahres-Überlebensraten
sind mit einer gleichzeitig mit dem ersten Chemotherapiezyklus beginnenden
simultanen, hyperfraktionierten, akzelerierten Strahlentherapie mit einer GDH
von 45 Gy, appliziert in 2 × täglichen Einzeldosen von
1,5 Gy über 15 Tage, beobachtet worden.
• Eine alternative Therapiestrategie ist die simultane
konventionell fraktionierte Radiotherapie parallel zu zwei PE Zyklen
möglichst frühzeitig im Behandlungsverlauf. Hier ist eine höhere
GHD von 50 – 60 Gy mit täglichen Einzeldosen
von 1,8 bis 2,0 Gy anzustreben. Der Beginn der Bestrahlung sollte
spätestens mit dem 2. Chemotherapiezyklus erfolgen. Die Gleichwertigkeit
der simultanen, konventionell fraktionierten Bestrahlung mit höherer
Gesamtherddosis im Vergleich zur hyperfraktionierten akzelerierten Bestrahlung
ist bisher allerdings nicht in einer prospektiven Studie belegt.
• Die konsekutive Durchführung von Chemotherapie
und nachfolgender Bestrahlung ist bei Patienten in höherem Alter oder bei
eingeschränktem Allgemeinzustand bzw. dem Vorliegen von
Komorbiditäten angebracht (siehe Kapitel 8.7).
• Bei allen Patienten mit Remission nach
Induktionstherapie muss eine Schädelbestrahlung (GHD 30 Gy in
Einzeldosen von 1,8 bis 2,0 Gy) durchgeführt werden.
8.5.6 Zusammenfassung und Wertung der Empfehlungen
Empfehlungen
Der Nachweis einer Prognoseverbesserung durch intensivierte
Therapie konnte bisher nicht erbracht werden. Weder Dosissteigerung bis hin
zur
Hochdosisbehandlung noch Therapieintervallverkürzungen mit oder ohne
Einsatz von Wachstumsfaktoren haben einen wesentlichen Einfluss auf die
Prognose genommen. Eine Dosisintensivierung sollte daher nicht außerhalb
von Studien zur Anwendung kommen (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
Abb. 16 Algorithmus zur
Therapie kleinzelliges Lungenkarzinom Stadium T3 – 4
und/oder N2 – 3, MO. PS: ECOG/WHO-Performance-Status.
8.6 Behandlung des Stadiums M1 (extensive disease)
Bei nicht-bestrahlungsfähiger bzw. metastasierter
Tumorausbreitung besteht in aller Regel keine kurative
Behandlungsmöglichkeit mehr. Das primäre Therapieziel besteht in
einer effektiven Palliation. Standardtherapie ist zunächst die
Durchführung einer systemischen Chemotherapie [895 ] (Evidenztab. 8.6). Lokale Maßnahmen können
in Abhängigkeit von der klinischen Situation zusätzlich sinnvoll
sein.
8.6.1 Wahl der Chemotherapiemedikamente
In randomisierten Phase-III-Studien ist die Wirksamkeit der
etablierten Behandlungsprotokolle bei Patienten mit Fernmetastasierung
gleichwertig, sodass kein explizit überlegenes Regime nachgewiesen werden
konnte. Die Wahl der Chemotherapiekombination sollte sich daher am
Allgemeinzustand und den vorhandenen Komorbiditäten der Patienten
orientieren.
Das Standardtherapieprotokoll im metastasierten Tumorstadium
stellt die Kombination aus einem Platinderivat (Cisplatin oder Carboplatin)
plus Etoposid dar. Cisplatin und Carboplatin können bei Fernmetastasierung
als gleich wirksam angesehen werden. Die deutsche Studie von Wolf et al. 1991
[804 ] zeigte bei Patienten mit fernmetastasierter
Erkrankung gleiche Ansprechraten und Überlebenszeiten für Cisplatin
und Carboplatin jeweils in Kombination mit Etoposid (Evidenzgrad 1b), eine
griechische (Skarlos et al. 1994 [829 ]) und eine
skandinavische Untersuchung (Lassen et al. 1996 [830 ]
konnten ebenfalls keine Unterschiede feststellen (Evidenzgrad 1b). Die
Carboplatingabe ist mit der niedrigeren Nebenwirkungsrate und der einfacheren
Applikationsweise verbunden (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
Cis- oder carboplatinhaltige Protokolle sind
anthrazyklinhaltigen Regimen wie ACO (CAV) oder ACE (CDE) im metastasierten
Stadium nicht signifikant überlegen [828 ]
[896 ]
[897 ]
[898 ]
[899 ] (Evidenzgrad 1b). Der Einsatz anthrazyklinhaltiger
Protokolle bleibt daher auch in der first line gerechtfertigt. Bei Einsatz
anthrazyklinhaltiger Protokolle sind insbesondere kardiale und hepatische
Risikofaktoren zu beachten. Ebenso sollte in jedem Falle eine simultane
mediastinale oder eine großvolumige symptomatische Bestrahlung von
Fernmetastasen vermieden werden.
Kombinationen mit Einschluss neuerer Zytostatika der dritten
Generation sind in einigen randomisierten Phase-III-Studien gegen
Standardregime verglichen worden. Die Zugabe von Paclitaxel zum
Standard-PE-Regime verbesserte die Überlebenszeit der Patienten nicht. In
einer Studie der CALBG [900 ] wurden insgesamt 587
Patienten mit extensive disease auf eine Therapie entweder nach dem PE-Schema
oder aber auf PE plus Paclitaxel randomisiert. Die Ergebnisse waren ohne jeden
Unterschied zwischen den beiden Therapiegruppen (Evidenzgrad 1b).
Bei Verwendung der Dreifachkombination
Carboplatin/Etoposid/Vincristin (CEV) war der Austausch von Vincristin gegen
Paclitaxel mit einer Verbesserung der Ergebnisse verbunden. In diese Studie
von
Reck et al. 2003 [901 ] wurden 303 Patienten mit Limited
disease und 303 Patienten mit Extensive disease aufgenommen. Die mediane
Überlebenszeit betrug für das Gesamtkollektiv 12,7 Monate für
TEC und 11,7 Monate für CEV und die 3-Jahresüberlebensraten
9 % für CEV und 17 % für TEC (Evidenzgrad
1b).
Die Kombination Carboplatin/Paclitaxel wurde in der Studie von
Baka et al. 2006 [902 ] gegen ein CAV-Regimen
verglichen. Hier wurden insgesamt 219 Patienten mit extensive disease oder
limited disease mit schlechtem Prognosescore aufgenommen. Die medianen
Überlebenszeiten betrugen für CAV 3 Monate und für
Carbo/Paclitaxel 5 Monate, das 1-Jahres-Überleben 6 % vs.
13 %. Der Unterschied im Überleben zwischen den beiden Armen
war statistisch signifikant. Allerdings sind die Therapieergebnisse für
den CAV-Arm vergleichsweise ungewöhnlich ungünstig (Evidenzgrad
1b).
Irinotecan in Kombination mit Cisplatin war in der Studie von
Noda et al. 2002 [903 ] dem Standard-PE-Schema bei
insgesamt 154 Patienten überlegen mit medianen Überlebenszeiten von
12,8 Monaten vs. 9,4 Monaten und 1-Jahres-Überlebenraten von
58 % vs. 38 %. Aufgrund dieses hochsignifikanten
Therapieergebnisses in der Zwischenanalyse erfolgte ein vorzeitiger
Studienabbruch. Ein Vorteil für eine irinotecanhaltige Chemotherapie
gegenüber einem Standardregime wurde ebenfalls in der Studie von Hermes et
al. 2007 [904 ] beschrieben. Hier wurde Carboplatin plus
Irinotecan gegen Carboplatin plus Etoposid mit vorwiegend oraler Applikation
getestet. Zudem war die Dosierung in einem niedrigen Bereich angesiedelt.
In der Bestätigungsstudie von Hanna et al. 2006
[905 ] wurden bei 336 Patienten keine Unterschiede in
den medianen Überlebenszeiten (9,3 vs. 10,2 Monaten) und
1-Jahres-Überlebensraten (35,4 % vs. 36,7 %)
gesehen (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 8.6.1). Auch die Studie der SWOG
[906 ] konnte keinerlei Vorteil für die
irinotecanhaltige Therapie nachweisen. Insgesamt wurden 671 Patienten in die
Studie aufgenommen und nach Allgemeinzustand, Anzahl der
Metastasenlokalisationen, LDH und Gewichtsverlust stratifiziert. Das
Therapieregime entsprach exakt den in der Studie von Noda et al. eingesetzten
Dosierungen. Die Remissionsraten betrugen 60 % für IP und
57 % für EP. Das mittlere progressionsfreie Überleben
lag bei 5,7 Monaten vs. 5,2 Monaten, das mediane Gesamtüberleben bei 9,9
Monaten vs. 9,1 Monaten. Alle diese Unterschiede waren nicht statistisch
signifikant. Das 1-Jahres-Überleben betrug 41 % vs.
34 % (Evidenzgrad 1b).
Die Kombinationen orales Topotecan/Cisplatin ist von Eckardt et
al. 2006 [907 ] in einer großen Studie mit
Cisplatin/Etoposid verglichen worden. Bei insgesamt 859 Patienten betrugen die
medianen Überlebenszeiten 39 vs. 40 Wochen und das 1-Jahres-Überleben
31 % in beiden Armen (Evidenzgrad 1b). Auch die Studie von
Heigener et al. 2008 [908 ] konnte für den
Vergleich Cisplatin/i. v. Topotecan vs. Cisplatin/Etoposid keinen
signifikanten Überlebensvorteil nachweisen. Hier betrugen die Dosierungen
für Cisplatin in beiden Armen 75 mg/m2 an Tag 1,
Etoposid wurde in einer Dosis von 100 mg Tag 1 – 3
im Arm A und Topotecan in einer Dosis von 1,0 mg/m2 Tag 1 bis
5 im Arm B appliziert. Bei auswertbaren 680 Patienten betrug die mediane
Überlebenszeit 10,3 Monate im Topotecan-Arm vs. 9,4 Monate im
Etoposid-Arm, der Unterschied war nicht statistisch signifkant. Das
1-Jahres-Überleben betrug 36 % vs. 40 % mit
ebenfalls keinem signifikanten Vorteil. Die mediane Zeit bis zur Progression
betrug 6 versus 7 Monate und war statistisch signifikant verbessert im
Topotecan-Arm. Bezüglich des Tumoransprechens zeigte sich eine
10 %ige Erhöhung durch das Topotecan mit 46 %
vs. 56 % (Evidenzgrad 1b). Die topotecanhaltige Therapie war mit
einer deutlich höheren Rate an Neutropenie und Thrombozytopenie
vergesellschaftet.
Die Kombination Carboplatin/Gemcitabin besitzt ebenfalls eine
vergleichbare Wirksamkeit gegenüber dem PE-Protokoll [909 ]
[910 ]. Eine randomisierte
Studie im Vergleich zum Standard Cisplatin/Etoposid wurde James et al. 2002
[911 ] vorgestellt. Bei 241 eingeschlossenen Patienten
wurden vergleichbare Remissionsraten (58 % vs 62 %)
und mediane Überlebenszeiten (8,1 vs. 8,2 Monate) beobachtet (Evidenzgrad
1b).
Die Substanz Pemetrexed kann Etoposid in der Therapie nicht
ersetzten. In der GALES-Studie von Socinski et al. 2008 wurde Carboplatin AUC5
Tag 1 und Pemetrexed 500 mg/m2 Tag 1 alle drei Wochen gegen
Carboplatin AUC5 Tag 1 und Etoposid 100 mg/m2 Tag 1 bis 3
alle drei Wochen verglichen. Die Studie wurde nach einem Non-Inferior-Design
ausgelegt und war ursprünglich auf eine Gesamtzahl von 1820 Patienten
projektiert. Eine Zwischenanalyse war nach 733 auswertbaren Patienten
vorgesehen. Diese zeigte eine deutlich unterlegene progressionsfreie
Überlebenszeit für Pemetrexed/Carboplatin mit einem mittleren Wert
von 3,7 Monaten im Vergleich zu 5,3 Monaten für Carboplatin/Etoposid mit
einer Hazard Ratio von 1,79 und einem p-Wert von < 0,0001. Auch das
Gesamtüberleben war in der vorläufigen Auswertung signifikant
ungünstiger mit 7,3 vs. 9,6 Monaten (Evidenzgrad 1b).
Insgesamt zeigen diese Ergebnisse, dass Paclitaxel, Irinotecan,
Topotecan und auch Gemcitabin, jeweils in Kombination mit einem Platinderivat,
Substanzen mit nachgewiesener Wirksamkeit bei kleinzelligem Karzinom sind und
als alternative Behandlungsprotokolle für die Erstlinientherapie in
Betracht kommen. Ein überzeugender Vorteil einer dieser neuen
Kombinationen im Vergleich zum Standard-PE-Schema konnte jedoch bisher nicht
beobachtet werden.
Empfehlung
Patienten mit fernmetastasiertem kleinzelligen Lungenkarzinom
sollen primär eine Chemotherapie erhalten (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad
A). Die am häufigsten eingesetzte Kombination besteht aus den Medikamenten
Platin und Etoposid. Carboplatin wird gegenüber Cisplatin aufgrund der
besseren Verträglichkeit präferiert (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad
B).
8.6.2 Multidrug-Protokolle
Mehrere Phase-III-Studien konnten einen begrenzten
Überlebensvorteil durch Addition einer dritten bzw. vierten Substanz zu
einem Standardprotokoll nachweisen. Bereits die ältere Studie von Hirsch
et al. 1987 [912 ] konnte einen Vorteil für die
Addition von Etoposid als viertes Medikament zu einer Dreifachkombination
zeigen (Evidenzgrad 1b). Die ebenfalls ältere Studie von Hong et al. 1989
[913 ] hatte einen Vorteil für die
Dreifachkombination Cyclophosphamid plus Etoposid plus Vincristin gegen eine
Zweifachkombination, bestehend aus Cyclophosphamid und Vincristin, gesehen
(Evidenzgrad 1b). Auch die Hinzunahme von Etoposid zu dem üblichen
ACO-Schema [914 ] (Evidenzgrad 1b), sowie die Addition
von Ifosfamid zum PE-Schema [915 ] (Evidenzgrad 1b)
führten zu einer Verbesserung der Ergebnisse. In einer neueren
französischen Studie [916 ] wurde durch die
Addition von Cyclophosphamid und Adriamycin zum PE-Protokoll (Evidenzgrad 1b)
eine deutliche Verbesserung des Überlebens beobachtet. Diese Studie zeigte
eine Verlängerung der medianen Überlebenszeit von 9,3 auf 10,5 Monate
im 4-fach-Kombinationsarm. Dieser Überlebensvorteil wurde jedoch mit einer
erheblichen Toxizität erkauft. Die Leukopenierate Grad
III – IV lag bei 99 % und die
Thrombopenierate Grad III – IV bei 78 %,
weiterhin benötigten 68 % aller Patienten eine
intravenöse Antibiotikatherapie. Im intensivierten Therapiearm lag die
therapiebedingte Todesrate bei 9 %. Die
2-Jahres-Überlebensraten betrugen 2 % vs. 8 %
zugunsten des Multidrug-Regimes. Es wurde aber wie üblich bei
metastasierten kleinzelligen Lungenkarzinomen nahezu kein
Langzeitüberleben beobachtet (Evidenztab. 6.6.2).
Mutlidrug-Regime erhöhen die Remissionsrate und
verlängern die mittlere Überlebenszeit um den Preis einer deutlich
gesteigerten Toxizität. Ein kurativer Therapieanspruch ist hiermit jedoch
auch nicht gegeben.
Empfehlung
Multidrug-Protokolle scheinen in erster Linie für
ausgewählte Patienten in gutem Allgemeinzustand eine Alternative zum
Standard Platin/Etoposid-Protokoll darzustellen (Evidenzgrad 1b,
Empfehlungsgrad B).
8.6.3 Dosissteigerungen
Für die beiden Standardchemotherapieprotokolle ACO und PE
liegen randomisierte Studien [917 ]
[918 ] vor, in denen eine niedrigere Dosierung gegen eine um
50 – 70 % gesteigerte Dosierung verglichen
wurde. In beiden Studien waren keine Überlebenszeitunterschiede
nachweisbar (Evidenzgrad 1b). Auch in einer französischen Untersuchung von
Pujol et al. 1997 [919 ] war bei dem Vergleich einer
niedrig dosierten gegen eine höher dosierte 4-fach
Kombinations-Chemotherapie aus Cyclophosphamid/Adriamycin/Cisplatin/Etoposid
kein Überlebensvorteil für das dosisgesteigerte Regime nachweisbar
(Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 8.6.3). Somit haben Dosissteigerungen in dieser
Größenordnung zu keiner Verbesserung der Prognose geführt.
8.6.3.1 Hochdosistherapien
Die Erfahrungen mit einer Hochdosistherapie sind
enttäuschend. In der Studie der EBMT von Leyvraz et al. 1999
[893 ] wurden 45 Patienten im Stadium extensive disease
mit einer dreifachen sequenziellen Hochdosistherapie mit
Stammzellunterstützung behandelt. Hier betrugen die medianen
Überlebenszeiten 8 Monate und die 2-Jahres-Überlebensrate lag unter
5 % (Evidenzgrad 2b). Auch in der Studie von Fetscher et al. 1999
[920 ] waren bei 30 behandelten Patienten im Stadium
extensive disease mediane Überlebenszeiten von weniger als 10 Monaten und
nahezu kein Langzeitüberleben erreicht worden (Evidenzgrad 2b). Diese
Ergebnisse entsprechen den Resultaten, die mit Standardprotokollen zu erzielen
sind.
Empfehlung
Dosisgesteigerte Therapien sind bei fernmetastasierter
Erkrankung ohne Vorteil und sollten nicht eingesetzt werden (Evidenzgrad 1b,
Empfehlungsgrad B).
8.6.4 Therapieintervallverkürzung
8.6.4.1 Wöchentliche Chemotherapie
Die Gabe einer wöchentlichen Chemotherapie erlaubt eine
Erhöhung der pro Zeit applizierbaren Zytostatikadosierungen. Das Konzept
ist in mehreren randomisierten Studien geprüft worden. In einer
Untersuchung von Sculier et al. 1993 [921 ] konnte kein
Vorteil für eine wöchentliche Chemotherapie gegenüber einem
Standardprotokoll beobachtet werden (Evidenzgrad 1b). Das NCI-Kanada
[922 ] hatte initial mit einem wöchentlichen
Chemotherapieprotokoll (CODE) über einen Zeitraum von 9 Wochen in einer
Phase-II-Studie mediane Überlebenszeiten von 15 Monaten und eine
2-Jahres-Überlebensrate von 30 % beschrieben. Das
CODE-Schema beinhaltet die Dosisintensität von 6 Zyklen ACO alternierend
mit PE, wird jedoch innerhalb von 9 anstatt der sonst üblichen 18 Wochen
appliziert. Das CODE-Protokoll ist gegen die alternierende Behandlung aus ACO
und PE in 2 randomisierten Studien geprüft worden. Sowohl in der
kooperativen Studie NCI-Kanada und SWOG [923 ]
(Evidenzgrad 1b) wie auch in der Untersuchung von Furuse et al. aus Japan 1998
[924 ] (Evidenzgrad 1b) ließen sich keine
Überlebenszeitunterschiede und damit kein Vorteil der wöchentlichen
Chemotherapie nachweisen (Evidenztab. 8.6.4).
8.6.4.2 Dosisintensivierung mittels hämatopoetischer
Wachstumsfaktoren
Die Studien von Steward et al. 1998 [878 ] und Thatcher et al. 2000 [879 ], die ein kürzeres Therapieintervall gegen ein
längeres testeten, beinhalteten zu etwa 25 % auch Patienten
im Stadium extensive disease. Beide Studien beschreiben auch für Patienten
im Stadium extensive disease eine günstigere mediane Überlebenszeit
bei kürzerem Therapieintervall (Evidenzgrad 1b). In der Studie von
Ardizzoni et al. 2002 [881 ] waren zu 43 %
ED Patienten eingeschlossen. Hier war kein Überlebensvorteil für das
kürzere Intervall zu erkennen (Evidenzgrad 1b). Ein gleiches Ergebnis hat
die Studie von Sculier et al. 2001 [925 ] beobachtet
(Evidenztab. 8.6.4).
Empfehlungen
Ein überzeugender Vorteil durch eine dosisintensivierte
Therapie konnte somit bisher nicht nachgewiesen werden. Das Therapieintervall
sollte nach Möglichkeit nicht über 3 Wochen hinaus verlängert
werden (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad B).
8.6.5 Reduzierte Chemotherapieintensität
Etoposid kann neben der intravenösen Applikation auch oral
über einen längeren Behandlungszeitraum von
10 – 14 Tagen eingesetzt werden. Die orale Applikation
über 21 Tage ist im randomisierten Vergleich der intravenösen Gabe
über 3 Tage jeweils in Kombination mit Cisplatin nicht überlegen
[926 ] (Evidenzgrad 1b). Eine alleinige orale
Etoposidtherapie weist gegenüber einer Standard-Chemotherapie Nachteile
auf. Eine randomisierte Therapiestudie des MRC [927 ]
hat die orale Etoposidgabe mit 2 × 50 mg/Tag
für 10 Tage gegen eine Chemotherapie bestehend aus Etoposid und Vincristin
oder ACO bei 339 Patienten in reduziertem Allgemeinzustand verglichen. Dabei
ließ sich ein signifikanter Überlebensvorteil für die
Kombinationschemotherapie nachweisen (Evidenzgrad 1b). In einer zweiten
Untersuchung von Souhami et al. 1997 [928 ] wurde bei
155 Patienten die orale Etoposidgabe über 5 Tage gegen das alternierende
Protokoll von ACO und PE verglichen. Es zeigten sich für die
intravenöse Chemotherapie signifikant bessere Ergebnisse hinsichtlich des
Überlebens, der progressionsfreien Überlebenszeit, der
Symptomkontrolle und der Lebensqualität (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab.
8.6.5).
Eine Monotherapie mit Carboplatin ist von White et al. 2001
[929 ] gegen die Standardtherapie CAV untersucht worden.
Bei 190 Patienten konnte eine Symptombesserung in 48 % unter CAV
und 41 % unter Carboplatin erreicht werden, Dyspnoe besserte sich
in 66 % vs. 41 % und Husten in 21 %
vs. 7 % zugunsten des CAV-Schemas. Auch war die CAV-Therapie mit
einer höheren Remissionsrate von 38 % vs. 25 %
verbunden. Die medianen Überlebenszeiten wiesen jedoch mit 17 Wochen vs.
16 Wochen keinen signifikanten Unterschied auf, ebenfalls nicht die
1-Jahres-Überlebensraten mit 12 vs. 6 % (Evidenzgrad
1b).
Nebenwirkungsarme Kombinationstherapien, z. B. bestehend
aus Etoposid/Vincristin [930 ]
[931 ]
[932 ] (Evidenzgrad 1b) bzw.
Etoposid/Vindesin [933 ] (Evidenzgrad 1b), sind
gegenüber einem Standardprotokoll mit geringeren Ansprechraten, aber nicht
in allen Studien mit statistisch signifikanten Überlebensnachteilen
verbunden. Dabei bleibt zu beachten, dass nicht-ansprechende Patienten unter
nebenwirkungsarmer Therapie im Regelfalle auf die Standardbehandlung umgesetzt
wurden und mögliche initiale Nachteile dadurch ausgeglichen werden
konnten. Die begleitenden Untersuchungen zur Lebensqualität erbrachten als
ein sehr wesentliches Ergebnis, dass die Applikation einer
Standardchemotherapie mit einer deutlichen Verbesserung wichtiger Parameter
wie
Schmerzen und allgemeines körperliches Befinden einherging, während
dies für die nebenwirkungsarme Therapie weit weniger der Fall war. Die
Verbesserung der Lebensqualität korrelierte dabei streng mit dem
Ansprechen auf die Therapie.
Empfehlungen
Die Gabe einer primären Monotherapie mit Carboplatin oder
oralem Etoposid sowie die Applikation einer wenig intensiven
Kombinationsbehandlung mit Etoposid und Vincaalkaloid führt zu einer
Reduktion der Remissionsrate und einer signifikanten oder tendenziellen
Verkürzung der Überlebenszeiten. Mit der Verschlechterung der
Remissionsraten ist eine Verschlechterung der Symptomkontrolle und damit
wesentlicher Lebensqualitätsparameter verbunden. Auf die Gabe von
Monotherapien oder intensitätsreduzierten Kombinationen sollte daher in
der Regel verzichtet werden (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
8.6.6 Strahlentherapeutische Indikationen bei
fernmetastasierten Patienten
8.6.6.1 Konsolidierende Primärtumorbestrahlung
Bei Patienten mit sehr guter Teil- oder Vollremission der
Fernmetastasierung deuten die Ergebnisse von Jeremic et al. 1999
[934 ] darauf hin, dass die konsolidierende
Primärtumorbestrahlung die Überlebenszeit verlängern könnte
(Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B) (Evidenztab. 8.6.6).
8.6.6.2 Symptomorientierte palliative Bestrahlung
Bei unzureichender lokaler Tumorkontrolle durch die alleinige
Chemotherapie, chemotherapieresistenter oberer Einflussstauung, drohender oder
vorhandener Komplettatelektase oder nicht beherrschbarer Tumorinfiltration in
lungenangrenzende Organe ist die Indikation zur palliativen Strahlentherapie
zu
prüfen. Entsprechend ist bei schmerzhaften oder komplikationsdrohenden
Knochen- oder Organmetastasen zu verfahren. Die Strahlentherapie hat hier ein
ausschließlich palliatives, schmerzlinderndes und
komplikationsverhinderndes Ziel und wird nicht primär zum Zwecke der
Überlebenszeitverlängerung eingesetzt (Empfehlungsgrad A).
8.6.6.2.1 Bestrahlung bei nachweisbarer
zerebraler Metastasierung
Bei Patienten mit primär vorhandener Hirnmetastasierung
werden durch alleinige Chemotherapie extrazerebral deutlich höhere
Remissionsraten als intrazerebral erreicht [935 ]
(Evidenzgrad 2b). Auch primär asymptomatische Patienten mit zerebraler
Metastasierung werden zum Großteil unter alleiniger Chemotherapie im
Behandlungsverlauf symptomatisch [936 ] (Evidenzgrad
2b).
In der EORTC-Studie von Postmus et al. 2000
[937 ] wurde bei Patienten mit einer zerebralen
Metastasierung eine alleinige Chemotherapie gegen eine Bestrahlung mit
gleichzeitiger Chemotherapie verglichen. Bei 120 Patienten wurde als
Chemotherapie in beiden Armen Teniposid 120 mg/m2 Tag 1, 3
und 5 eingesetzt. Im Bestrahlungsarm erfolgte eine Schädelbestrahlung mit
30 Gy. Das Ansprechen betrug nach alleiniger Chemotherapie
21 % mit 8 % kompletten Remissionen und nach
kombinierter Strahlentherapie 57 % mit 30 %
kompletten Remissionen. Auf die mediane Überlebenszeit der Patienten hatte
die Bestrahlung nur einen geringen Einfluss (3,2 vs. 3,5 Monate). Es zeigte
sich jedoch eine deutliche Erhöhung der Rate der Patienten, die 6 bzw. 12
Monate überlebten. Die Studie hat somit einen Vorteil für eine
zusätzliche Strahlentherapie erbracht (Evidenzgrad 1b).
Empfehlungen
Patienten mit Hirnmetastasierung sollten frühzeitig im
Therapieverlauf bestrahlt werden. Bei symptomatischer Hirnmetastasierung sollte
die Ganzhirnbestrahlung unmittelbar nach Diagnosestellung erfolgen, bei
asymptomatischer Hirnmetastasierung ist ein frühzeitiger
Bestrahlungsbeginn anzustreben (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A). Bei
Verwendung eines Standard-Platin/Etoposid-Protokolls kann die Bestrahlung
parallel zur Gabe einer Chemotherapie erfolgen.
8.6.7 Prophylaktische Schädelbestrahlung
Bei Patienten mit Teil- oder Vollremission nach erfolgter
Chemotherapie verlängert die zusätzliche Schädelbestrahlung die
Überlebenszeit und erhöht die 1-Jahres-Überlebensrate auch in
der Patientengruppe mit primärer Fernmetastasierung. Belegt wurde dies
durch die EORTC-Studie von Slotman et al. [938 ]
[939 ], die insgesamt 283 auswertbare Patienten aufgenommen
hatte. Diese hatten unter einer initialen Chemotherapie über
4 – 6 Zyklen mit einer partiellen oder kompletten Remission
angesprochen. Anschließend erfolgte eine Randomisation auf eine
prophylaktische Schädelbestrahlung oder keine. Die Rate der
symptomatischen Hirnmetastasierung betrug nach einem Jahr in der bestrahlten
Gruppe knapp 15 % im Vergleich zu 40 % bei nicht
durchgeführter RT, die 1-Jahres-Überlebensraten betrugen
27 % vs. 13 % für bestrahlte versus nicht
bestrahlte Patienten (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 8.6.7). Der deutliche
Überlebensvorteil könnte auch dadurch erklärt werden, dass die
prophylaktische Schädelbestrahlung die Rate der Hirnmetastasierung
erheblich reduziert und Patienten mit extrazerebraler Progression von einer
effektiven Zweitlinientherapie stärker profitieren könnten.
Empfehlungen
Patienten mit Ansprechen auf die Erstlinienchemotherapie
sollen eine prophylaktische Schädelbestrahlung erhalten (Evidenzgrad 1b,
Empfehlungsgrad A).
8.6.8 Zusammenfassung und Wertung der Empfehlungen
Zusammenfassende Empfehlungen
• Patienten mit nicht bestrahlungsfähiger
Tumorausbreitung sollten primär eine systemische Chemotherapie über
in der Regel 6 Zyklen in 3-wöchigen Intervallen erhalten. Eine
kürzere Behandlungsdauer erscheint dann gerechtfertigt, wenn der Patient
offensichtlich von einer weiteren Fortsetzung der Therapie nicht mehr
profitiert. Standardtherapieprotokolle sind Cisplatin/Etoposid und
Carboplatin/Etoposid. Die Dosierungen pro Zyklus sollten für Cisplatin
80 mg/m2 und für Carboplatin AUC 5 nicht unterschreiten.
Etoposid sollte an 3 aufeinanderfolgenden Tagen in einer kumulativen
Gesamtdosis von zumindest 300 mg/m2 eingesetzt werden
(Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
• Eine Therapiealternative stellen anthrazyklinhaltige
Regime wie ACO oder ACE dar. Ebenso vergleichbar wirksam sind Kombinationen
aus
Cis- oder Carboplatin plus Topoisomerase-I-Inhibitoren (Topotecan bzw.
Irinotecan), Paclitaxel oder Gemcitabin (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad
B).
• Patienten mit Remission sollen im Anschluss an die
Chemotherapie eine zusätzliche Schädelbestrahlung erhalten
(Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A). Bei sehr guter Remission der
Fernmetastasierung ist ebenfalls eine Primärtumorbestrahlung indiziert
(Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
• Patienten mit Hirnmetastasierung sollten
frühzeitig im Behandlungsverlauf eine Schädelbestrahlung erhalten
(Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A). Die weiteren strahlentherapeutischen
Indikationen ergeben sich symptomorientiert.
Abb. 17 Algorithmus der
Behandlung des kleinzelligen Lungenkarzinoms im Stadium der Fernmetastasierung
M1 (Extensive disease). PS:
ECOG/WHO-Performance-Status ICE: Ifosfamid, Carboplatin,
Etoposid PECE: Cisplatin, Etoposid, Cyclophosphamid, Epirubicin
8.7 Therapie der älteren Patienten
8.7.1 Aspekte der Chemotherapie
Alter per se ist kein negativer Prognosefaktor, und
grundsätzlich unterscheidet sich die Wirksamkeit der Chemotherapie bei
älteren Patienten nicht im Vergleich zu einem jüngeren
Patientenkollektiv.
Bisher liegen nur wenige Studien zur Chemotherapiewirksamkeit
explizit bei älteren Patienten vor [940 ]
[941 ]. Diese belegen, dass insbesondere die Kombination
Carboplatin/Etoposid auch bei älteren Patienten ein hohe Effektivität
mit tolerablen Nebenwirkungen besitzt (Evidenzgrad 2b). Auch in der
Phase-II-Studie von Quoix et al. 2001 [1382 ] mit
Einsatz der Kombination Etoposid und Carboplatin wurden bei 38 Patienten mit
einem medianen Alter von 76 (70 – 88) Jahren eine
Remissionrate von 76 %, eine mediane Überlebenszeit von 237
Tage und ein 1-Jahres-Überleben von 26 % erreicht.
Die japanische Untersuchung von Okamoto et al. 2005
[942 ] hat Carboplatin/Etoposid gegen ein auf drei Tage
gesplittetes Cisplatin in Kombination mit Etoposid geprüft. Eingeschlossen
wurden insgesamt 220 überwiegend ältere Patienten mit extensive
disease. Carboplatin wurde in einer Dosis von AUC5 in Kombination mit Etoposid
80 mg/m2 Tag 1 – 3 gegeben. Cisplatingabe
erfolgte mit 25 mg/m2 Tag 1 – 3 in
Kombination mit Etoposid 80 mg/m2 an den gleichen Tagen. Die
Auswertung der Studie zeigte keinerlei Unterschied zwischen den beiden
Therapiearmen. Die Remissionsrate lag bei 73 %, das mittlere
Überleben bei 10,6 versus 9,8 Monaten und das 1-Jahres-Überleben bei
41 vs. 35 %. Cisplatin/Etoposid und Carboplatin/Etoposid scheinen
somit auch bei älteren Patienten eine vergleichbare Wirksamkeit zu
besitzen. Bei Cisplatin/Etoposid ist die Nebenwirkungsrate offenbar durch
Aufteilen der Cisplatindosis zu senken (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab.
8.7.1).
Empfehlungen
Bei Patienten im Alter über 70 Jahren muss sich die
Auswahl der Chemotherapieprotokolle an den vorhandenen Komorbiditäten der
Patienten orientieren. Insbesondere die Gabe der Substanz Cisplatin sollte nur
bei ausgewählten Patienten mit gutem Allgemeinzustand erfolgen. Ebenso
sind bei der Gabe von anthrazyklinhaltigen Schemata die besonderen kardialen
und hepatischen Risikofaktoren zu beachten. Bei grundsätzlich vorhandener
Behandlungsfähigkeit stellt die Kombination Carboplatin/Etoposid für
ältere Patienten das am besten geprüfte Regime und damit die Therapie
der ersten Wahl dar (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
8.7.2 Aspekte der Bestrahlung
In der Patientengruppe limited disease konnte in der Metaanalyse
zur Strahlentherapie [847 ] kein Überlebensgewinn
durch eine Primärtumorbestrahlung im Alter von über 70 Jahren
nachgewiesen werden (Evidenzgrad 1a). Die Indikation zur Strahlentherapie muss
daher beim älteren Patienten besonders kritisch überprüft
werden.
Bei geeigneter Patientenauswahl ist jedoch auch bei älteren
Patienten grundsätzlich die Durchführung einer simultanen
Chemo-Strahlentherapie analog zum Behandlungsprotokoll der jüngeren
Patienten mit limited disease möglich. Die Untersuchung von Schild et al.
2005 [943 ] hat eine Subgruppenanalyse für die
ältere Patientengruppe in der NCCTG-Studie hinsichtlich
hyperfraktionierter versus konventionell fraktionierter simultaner
Chemo-Strahlentherapie durchgeführt. In diese Studie wurden insgesamt 209
jüngere und 54 ältere Patienten > 70 Jahre aufgenommen. Der
Vergleich der 2- und der 5-Jahres-Überlebensraten zeigten keinen
signifikanten Unterschied zwischen den verschiedenen Altersgruppen mit
2-Jahres-Überlebensraten von 48 % vs. 33 % und
5-Jahres-Überlebensraten von 22 % vs. 17 %
(Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 8.7.2).
Empfehlungen
• Entscheidendes Auswahlkriterium für den Einsatz
der Strahlentherapie bei älteren Patienten scheint eher der
Allgemeinzustand der Patienten als das kalendarische Alter zu sein.
• In einem Alter zwischen 70 und 75 Jahren ist auch die
Durchführung einer simultanen Chemostrahlentherapie bei sehr gutem
Allgemeinzustand möglich mit Ergebnissen, die denen der jüngeren
Patienten vergleichbar sind. In diesem Alter sollte daher ein simultanes
Vorgehen erwogen werden (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad B).
• Im Alter über 75 Jahren liegen zur simultanen
Chemo-Strahlentherapie keine Daten vor. Aufgrund der erhöhten
Toxizität sollte bei diesen Patienten auf ein simultanes Vorgehen
verzichtet werden. Hier kann eine konsolidierende Primärtumorbestrahlung
bei gutem Allgemeinzustand und fehlenden Komorbiditäten erwogen werden
(Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
• Die Indikationen zur prophylaktischen
Schädelbestrahlung entsprechen denen des jüngeren Patientenkollektivs
(Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C). Zerebro-vaskuläre Begleitrisiken der
Patienten sollten hierbei adäquate Beachtung finden.
8.7.3 Operation bei älteren Patienten
Auch bei älteren Patienten ist bei Vorliegen einer sehr
begrenzten Erkrankung (T1 – 2N0 – 1M0)
grundsätzlich eine anatomiegerechte Operation möglich. Dabei ist
allerdings zu beachten, dass das grundsätzliche operative Risiko mit dem
Alter steigt und insbesondere Pneumektomien und Lobektomien bei älteren
Patienten mit höherem Risiko als bei jüngeren Patienten verbunden
sind. Sind die Kriterien für ein operatives Vorgehen (s. Kapitel 4)
gegeben, so ist grundsätzlich auch bei älteren Patienten die
Möglichkeit der operativen Resektion zu prüfen (Empfehlungsgrad D).
Diese Empfehlung basiert auf der Annahme, dass das operative Risiko beim
kleinzelligen Lungenkarzinom ähnlich dem des nicht-kleinzelligen
Lungenkarzinoms ist. Studien zur Operation bei kleinzelligen Karzinomen im
höheren Alter stehen nicht zur Verfügung.
8.8 Erhaltungstherapie
8.8.1 Chemotherapie
Erhaltungschemotherapien mit Fortsetzung der
Erstlinienchemotherapie über den 5. – 6. Zyklus hinaus
bis zur Gabe von 12 Behandlungszyklen sind in mehreren Untersuchungen
prospektiv randomisiert geprüft worden. Diese Studien konnten in der Summe
eine signifikante Verlängerung des progressionsfreien Überlebens,
jedoch keine Verlängerung des Gesamtüberlebens nachweisen
[843 ]
[944 ]
[945 ]
[946 ]
[947 ]
[948 ] (Evidenzgrad 1b).
Weitere Studien haben von der Erstlinienchemotherapie differente
Substanzen in der Erhaltungsbehandlung eingesetzt. In einer Studie konnte ein
Überlebensvorteil durch eine Etoposid-Erhaltungstherapie nach
platinhaltiger Vortherapie beobachtet werden [840 ]
(Evidenzgrad 1b). Andere Studien hingegen haben keine signifikanten Vorteile
gesehen, so auch eine Untersuchung zur Topotecanerhaltung nach PE-Chemotherapie
[949 ] (Evidenzgrad 1b).
Eine Metaanalyse von Bozcuk et al. 2005 [950 ] hat 14 randomisierte Studien mit insgesamt 2550
Patienten eingeschlossen. Methodisch beruhte die Analyse nicht auf
individuellen Patientendaten. Die Metaanalyse zeigte für den
Erhaltungstherapieansatz eine Verbesserung der Behandlungsergebnisse. Es wurde
eine Erhöhung der 1- und 2-Jahres-Überlebensrate von
9 % bzw. 4 % beschrieben. Eine Erhöhung der
Langzeitüberlebensraten ist jedoch durch die Erhaltungschemotherapie nicht
zu erreichen (Evidenztab. 8.8.1).
Empfehlung
Insgesamt kann der Stellenwert einer Erhaltungschemotherapie
trotz einer positiven Metaanalyse als nicht gesichert betrachtet und damit ihr
routinemäßiger Einsatz nicht empfohlen werden (Evidenzgrad 1b,
Empfehlungsgrad A).
8.8.2 Biologische Substanzen
Biologische Substanzen in der Erhaltungstherapie konnten bisher
die Prognose der Patienten ebenfalls nicht verbessern.
Interferonerhaltungstherapien sind in mehreren Studien
geprüft, ohne dass ein zweifelsfreier Überlebensvorteil nachweisbar
war [951 ]
[952 ]
[953 ] (Evidenzgrad 1b).
Die Zugabe von Antikoagulantien ist in mehreren Studien
untersucht worden. Weder für Cumarinderivate [954 ]
[955 ]
[956 ] noch für die Zugabe von Acetylsalicylsäure
[957 ] ließ sich dabei eine Prognoseverbesserung
belegen (Evidenzgrad 1b).
Einige Untersuchungen haben eine Immunisierungsstrategie mit
Gabe von BCG (Bacillus Calmette Guerin) als Erhaltungstherapie eingesetzt
[958 ]
[959 ]
[960 ]. Auch hierüber konnte keine Verbesserung der
Überlebensraten erzielt werden (Evidenzgrad 1b).
Der Stellenwert einer Erhaltungstherapie mit dem MMP-Inhibitor
Marimastat wurde in der placebokontrollierten Studie von Shepherd et al. 2002
[961 ] untersucht. In diese Studie wurden insgesamt 555
Patienten mit kompletter oder partieller Remission nach Erstlinientherapie
aufgenommen und auf Placebo oder Marimastat 10 mg p. o. zweimal
täglich über 2 Jahre randomisiert. Die medianen Überlebenszeiten
waren mit 9.5 Monaten in beiden Armen ebenso identisch wie die
2-Jahres-Überlebensraten mit 20 % (Evidenzgrad 1b).
Die adjuvante Vakzinierungsstudie mit Bec2 [962 ] zeigte für die Gesamtgruppe der Patienten keinen
Überlebensvorteil durch die Immunisierungsbehandlung. Bec2 ist ein
anti-idiotypischer monoklonaler Mausantikörper, der das
GD3-Oberflächengangliosid imitiert. GD3 wird auf Tumorzellen
neuroektodermaler Herkunft überexprimiert. Bei ca. 60 % der
kleinzelligen Lungenkarzinome lässt sich diese Überexpression
nachweisen. Eine Vakzinierung mit Bec2 in Kombination mit Bacille
Calmette-Guerin führte bei
20 % – 33 % der Patienten zu
einer messbaren Anti-GD3-Antikörperbildung. Insgesamt 515 Patienten mit
limitiertem kleinzelligen Lungenkarzinom erhielten als Induktionstherapie eine
Chemotherapie mit entweder simultaner oder konsekutiver Strahlenbehandlung.
Bei
Erreichen einer kompletten oder partiellen Remission erfolgte
anschließend eine Randomisation auf einen Beobachtungsarm oder eine
Vakzinierungstherapie mit BEC-2 und BCG. Die Analyse der Überlebenszeiten
zeigte mediane Werte von 14,3 Monaten im BEC-2-Arm und 16,3 Monaten im
Beobachtungsarm. Die 2-Jahres-Überlebensrate lag mit 35,7 vs.
37,4 % ebenfalls eng beieinander (Evidenzgrad 1b).
Trotz des negativen Gesamtergebnisses war interessant, dass bei
Patienten, die eine humorale Immunantwort nach der Vakzinierung entwickelten,
ein Trend für ein besseres Überleben zu beobachten war. Insgesamt
wurde bei 71 Patienten eine humorale Response mit Nachweis von
Bec2-Antikörpern gefunden, in 142 Fällen war die humorale Response
negativ. Im Vergleich dieser beiden Gruppen zeigte sich eine Verlängerung
der medianen Überlebenszeit von 13,9 auf 19,2 Monate. Möglicherweise
deuten diese Daten an, dass eine Immunisierungsstrategie doch erfolgreich sein
könnte, wenn es gelänge, den Anteil der auch tatsächlich
erfolgreich immunisierten Patienten zu erhöhen.
Neue Phase-III-Untersuchungen zeigen ebenfalls keinen Vorteil
für eine antiangiogenetische Erhaltungstherapiestrategie mit Thalidomid
[963 ] bei randomisierten 92 Patienten mit extensive
disease und Ansprechen auf eine Vierfachchemotherapie entweder auf
Nachbeobachtung oder eine Thalidomiderhaltung mit 400 mg täglich.
Die Thalidomiderhaltung sollte über 2 Jahre durchgeführt werden. Etwa
ein Drittel der Thalidomidpatienten musste die Therapie aufgrund von
Nebenwirkungen vorzeitig beenden. Die Therapieergebnisse wiesen eine
Verlängerung der medianen Überlebenszeit von 8,7 auf 11,7 Monate
durch die Thalidomiderhaltung aus, die 18-Monate- und
2-Jahres-Überlebensraten waren allerdings wieder gleich. Der Vergleich der
Überlebenskurven war statistisch nicht signifikant unterschiedlich
(Evidenztab. 8.8.2). Auch die Studie von Lee et al. 2007 [964 ] zeigte keinen Vorteil für eine
Thalidomidtherapie. In diese Studie wurden insgesamt 714 Patienten mit limited
oder extensive disease aufgenommen und auf eine Therapie mit Carboplatin und
Etoposid mit entweder Placebo oder Thalidomid randomisiert. Nach 6 Zyklen
Chemotherapie wurde die Thalidomid/Placebo-Einnahme als Erhaltungstherapie
fortgesetzt. Progressionsfreies Überleben (Median 7,5 Monate in beiden
Armen) und Gesamtüberleben waren nicht unterschiedlich (Evidenzgrad
1b).
Empfehlung
Eine Erhaltungstherapie mit biologischen oder
molekular-gezielten Substanzen kann zum jetzigen Zeitpunkt nicht empfohlen
werden (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
8.9 Rezidivtherapie
8.9.1 Definitionen
Ein refraktäres Rezidiv (refraktäre
Erkrankung) liegt vor, wenn kein Ansprechen auf eine Erstlinientherapie
erreicht wird und die Erkrankung unter den ersten beiden Therapiezyklen
primär progredient ist.
Ein resistentes Rezidiv (resistente
Erkrankung) liegt vor, wenn zwar unter der Erstlinienchemotherapie eine
Remission oder ein no change erreicht wurde, die Erkrankung jedoch innerhalb
von 90 Tagen nach Gabe der letzten Chemotherapie wieder progredient wurde.
Ein sensibles Rezidiv liegt vor, wenn
unter der Erstlinientherapie eine Remission oder ein no change erreicht wurde
und die Erkrankung später als 90 Tage und früher als 6 Monate nach
der letzten Chemotherapie wieder progredient wurde.
Ein Spätrezidiv liegt vor, wenn
unter der Erstlinientherapie eine Remission oder ein no change erreicht wurde
und die Erkrankung später als nach 6 Monaten nach Gabe der letzten
Chemotherapie wieder progredient wurde.
8.9.2 Refraktäre Erkrankung
Für Patienten mit primär refraktärer Erkrankung
lässt sich aus den zur Verfügung stehenden Studiendaten keine
Standardtherapie ableiten. Einzelstudien mit begrenzter Patientenzahl zeigen
eine Remissionsrate von
15 % – 40 % für
Platin/Etoposid nach ACO [800 ]
[896 ] (Evidenzgrad 2b). Bei primär
platinrefraktärer Erkrankung liegt die Remissionsrate für ACO unter
10 % [896 ] (Evidenzgrad 2b). Auch
Topotecan erreicht bei refraktärer Erkrankung keine Remissionsrate
über 10 % [965 ] (Evidenzgrad 2b). In
kleineren Phase-II-Studien geprüfte Optionen sind auch die Gabe von
paclitaxel- [966 ] und irinotecanhaltigen
[967 ] Kombinationsprotokollen (Evidenzgrad 2b).
Empfehlung
• Bei gutem Allgemeinzustand bietet sich das Umsetzen auf
eine zweite Kombinationschemotherapie an. (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad
B).
• Bei Patienten in reduziertem Allgemeinzustand ist auch
die Beschränkung auf symptomorientierte Maßnahmen zu rechtfertigen,
da der Nachweis der Wirksamkeit einer zweiten Kombinationschemotherapie bei
refraktärer Erkrankung bisher nicht überzeugend gelungen ist.
• Geprüft werden sollte bei lokal refraktärer
Erkrankung stets die Möglichkeit der palliativen
Primärtumorbestrahlung.
8.9.3 Resistente Erkrankung
Die Second-line-Studie von O’Brien et al. 2006
[968 ] hat ein Best-supportive-care-Vorgehen gegen eine
Monotherapie mit Topotecan verglichen. In die Studie wurden insgesamt 141
Patienten eingeschlossen, deren Rezidiv nach Ende der Erstlinienbehandlung
aufgetreten war. Diese wurden entweder mit Topotecan oral
(2,3 mg/m2 über 5 Tage) plus Best supportive care (BSC)
oder mit BSC alleine therapiert. Die Fallzahlkalkulation basierte auf der
Annahme, dass Topotecan die Überlebenszeit des BSC-Armes von zwölf
Wochen auf zwanzig Wochen verlängern kann. Die Studie zeigte einen
signifikanten Überlebensvorteil für die mit Topotecan behandelten
Patienten mit einem medianen Überleben von 25,9 Wochen vs. 13,9 Wochen.
Auch die Überlebensrate nach 6 Monaten verdoppelte sich nahezu von
26 % für BSC auf 49 %.
Patienten mit einem reduzierten Allgemeinzustand (mediane
Überlebenszeit 20,9 vs. 7,7 Wochen) profitierten ebenso wie Patienten mit
einem therapiefreien Intervall von weniger als 60 Tagen (mediane
Überlebenszeiten von 23,3 vs. 13,2 Wochen). Die
Lebensqualitätsanalyse konnte einen zweifelsfreien Vorteil für die
Topotecan-behandelten Patienten nachweisen.
Neben der kontrollierten Studie von O’Brien wurden einige
Phase-II-Studien mit Testung alternativer Therapieregime durchgeführt.
Paclitaxelhaltige [969 ]
[966 ]
[970 ] und irinotecanhaltige [967 ]
[971 ] Protokolle haben hierin
Remissionsraten von bis zu 40 % erreicht und stellen somit
ebenfalls eine Therapieoption dar.
Empfehlung
• Für Patienten mit einer resistenten Erkrankung ist
die Gabe der Topotecan-Monotherapie durch die Studienergebnisse am besten
belegt (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
• Mögliche Behandlungsansätze stellen auch die
Gabe eines platinhaltigen Regimes nach Anthrazyklin-Vorbehandlung und vice
versa sowie der Einsatz paclitaxel- oder irinotecanhaltiger Protokolle dar
(Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
8.9.4 Sensitives Rezidiv
Die Studie von O’Brien et al. 2006 [968 ] hat die Überlegenheit von oralem Topotecan
gegenüber best supportive care auch in dieser Untergruppe belegt
(Evidenzgrad 1b).
Die Aktivität ist ferner durch die Phase-II-Studie von
Ardizzoni et al. 1997 [965 ] mit einer Remissionsrate
von 40 % gut belegt. Somit stellt diese Therapie die erste
Behandlungsoption dar. Eine Alternative ist die Gabe einer
Kombinationschemotherapie mit dem ACO-Protokoll, die in einer randomisierten
Studie der Topotecan-Monotherapie gleichwertig war [972 ] (Evidenzgrad 1b). In dieser Studie waren etwa
60 % der Patienten platinvorbehandelt, die übrigen hatten
bereits in der Erstlinie ein anthrazyklinhaltiges Protokoll erhalten. Das
Nebenwirkungsprofil sowie die Lebensqualitätsparameteranalyse
präferierten in dieser Studie eher die Topotecan-Monotherapie.
Die Wirksamkeit von intravenösem oder oralem Topotecan in
der Rezidivsituation ist vergleichbar [973 ]. In der
randomisierten Studie von Eckardt et al. 2007 [974 ]
wurden 309 Patienten auf Topotecan oral 2,3 mg/m2
Körperoberfläche Tag 1 bis 5 oder Topotecan i. v.
1.5 mg/m2 Körperoberfläche Tag 1 bis 5 alle drei
Wochen randomisiert. Hinsichtlich des Überlebens zeigte sich kein
Unterschied mit medianen Überlebenszeiten von 33 und 35 Wochen. Die
1-Jahres-Überlebensrate betrug 33 % für oral und
29 % für i. v. Das orale Topotecan war mit weniger
Neutropenien und Anämien, jedoch einer etwas höheren
Thrombozytopenierate vergesellschaftet. Die Rate von Infektionen war in beiden
Therapiearmen gleich. Die Studie hat die Gleichwertigkeit von oralem und
intravenösem Topotecan in der Second-line-Therapie bestätigt, sodass
beide Applikationsformen eingesetzt werden können (Evidenzgrad 1b).
Wie bei resistenter Erkrankung kommt nach anthrazyklinhaltiger
Vortherapie eine platinhaltige Rezidivtherapie mit einer zu erwartenden
Remisionsrate von über 30 % in Betracht [975 ]
[896 ]
[976 ] (Evidenzgrad 2b). Paclitaxelhaltige
[970 ] und irinotecanhaltige [967 ]
[977 ] Protokolle sind
lediglich in Phase-II-Studien getestet. Hier werden Remissionsraten von bis
zu
70 % beschrieben, eine kontrollierte Überprüfung ist
jedoch nicht verfügbar (Evidenzgrad 2b).
Eine neuere Alternative stellt Amrubicin dar. Amrubicin ist ein
neues Anthracyclinderivat. In die Studie von Inoue et al. 2008
[978 ] wurden 60 Patienten entweder auf Amrubicin oder
auf Topotecan randomisiert, 36 von ihnen hatten ein sensitives und 23 ein
refraktäres Rezidiv. Die Remissionsrate betrug 38 % für
den Amrubicinarm und 13 % für den Topotecanarm. Die mediane
progressionsfreie Überlebenszeit war ebenfalls mit 3,5 Monaten für
Amrubicin besser als mit 2,2 Monaten für Topotecan. In der
Gesamtüberlebensanalyse ergab sich im Median kein Unterschied. Hier war
die 1-Jahres-Überlebensrate für den Topotecanarm eher sogar etwas
günstiger.
Empfehlung
• Bei sensitivem Rezidiv ist in jedem Falle die
Durchführung einer erneuten Chemotherapie indiziert. Durch eine
Phase-III-Studie abgesichert ist die Gabe einer Topotecan-Monotherapie. Eine
gleiche Wirksamkeit ist für eine Kombinationschemotherapie mit ACO belegt
(Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A).
• Bei nicht-platinhaltiger Vortherapie ist die Gabe einer
platinhaltigen Therapie sinnvoll. Als weitere Alternativen sollten insbesondere
paclitaxelhaltige und irinotecanhaltige Regime in Erwägung gezogen werden.
Diese stehen bei Patienten mit sensitivem Rezidiv ggf. auch noch für die
Drittlinientherapie zur Verfügung (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
8.9.5 Spätrezidiv
Für die Situation des Spätrezidivs liegen nur wenige
klinische Studien vor. Kleine Phase-II-Studien zeigen für eine
Reinduktionstherapie mit dem Erstlinienchemotherapieprotokoll Remissionsraten
von über 50 % [979 ] (Evidenzgrad
2b).
Empfehlung
Die erneute Gabe des primär eingesetzten
Behandlungsprotokolls stellt zunächst die Behandlung der ersten Wahl dar.
Diese Therapie sollte insbesondere bei einem therapiefreien Intervall von mehr
als 6 Monaten eingesetzt werden (Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
8.9.6 Zusammenfassung und Wertung der Empfehlungen
Zusammenfassende Empfehlungen
• Bei refraktärer Erkrankung ist die Wirksamkeit
einer Zweitlinienchemotherapie nicht gesichert oder durch Studien belegt. In
der klinischen Praxis erscheint ein Versuch bei gutem Allgemeinzustand und
Wunsch des Patienten gerechtfertigt.
• Bei resistentem Rezidiv ist die Überlegenheit von
oralem Topotecan gegenüber best supportive care gesichert. Die Gabe von
Topotecan stellt somit in dieser Gruppe die erste Therapieoption dar.
• Bei sensitivem Rezidiv ist ebenfalls die
Überlegenheit von Topotecan gegenüber best suppotive care gesichert.
Hier ist die Kombinationstherapie mit ACO gleich wirksam. Bei
anthrazyklinhaltiger Vortherapie sollte eine platinbasierte Zweitlinie
Anwendung finden.
• Bei Spätrezidiv ist eine Reinduktionstherapie die
Behandlung der ersten Wahl.
• Paclitaxel- und irinotecanhaltige Protokolle sind in
der Rezidivsituation wirksam, ihr Einsatz kann bei primär refraktärer
Erkrankung oder in der dritten Behandlungslinie erwogen werden.
Abb. 18 Algorithmus zur
Rezidivtherapie des kleinzelligen Lungenkarzinoms.
8.10 Neue Substanzen
8.10.1 Kontrollierte Studien
Die Zugabe von Resistenz-modulierenden Substanzen und
Hormontherapien ist in kontrollierten Studien untersucht worden. Die
Untersuchung von McClay et al. 2005 [980 ] hat den
Effekt von Tamoxifen additiv zur Chemotherapie untersucht und keine
Verbesserung der Prognose beschrieben (Evidenzgrad 1b). Auch die Zugabe von
Megestrolacetat [981 ]
[982 ] war
ohne Effekt auf die Überlebenswahrscheinlichkeiten (Evidenzgrad 1b).
Verapamil als resistenzmodulierende Substanz ist in der Studie von Milroy et
al. 1993 [983 ] ebenfalls mit negativem Ergebnis
untersucht worden (Evidenzgrad 1b).
8.10.2 Bisher nicht in Phase III geprüfte Zytostatika
und Biologicals
Eine autokrine bzw. parakrine Wachstumsstimulation durch
Sekretion des Liganden-Stammzellfaktors und die dadurch korrespondierende
Aktivierung des c-kit-Tyrosinkinaserezeptors ist ein bekannter
Wachstumsmechanismus bei kleinzelligem Lungenkarzinom. Die Untersuchung von
Rohr et al. 2004 [984 ] hat eine c-kit-Expression bei
88 % von 203 Patienten nachweisen können. Bei vorhandener
c-kit-Expression war die Prognose der Patienten günstiger mit einem
medianen Überleben von 151 vs. 358 Tagen. Auch die Höhe der
c-kit-Expression hatte prognostischen Einfluss. Bei mehr als 75 %
positiven Zellen betrug die mediane Überlebenszeit 424 Tage verglichen zu
295 Tage bei einer Positivität von 25 bis 75 Zellen.
Da c-kit somit in hoher Inzidenz bei SCLC nachweisbar ist, wurde
in mehreren Studien der Einsatz von Imatinib geprüft [985 ]. In der Studie von Krug et al. 2005
[986 ] wurden 12 Patienten mit 800 mg
Imatinib/Tag behandelt. Kein Patient sprach auf die Behandlung an (Evidenzgrad
2b). Ähnliche Erfahrungen wurden von Dy et al. 2005 [987 ] berichtet. Hier wurden 29 Patienten mit erhöhter
c-kit-Expression therapiert. Die mittlere Zeit bis zur Progression betrug einen
Monat und das mediane Überleben etwa vier Monate. Es wurde keine
objektivierbare Remission und keine Krankheitsstabilisierung über sechs
Wochen beobachtet, sodass eine weitere Rekrutierung in die Studie nicht
vorgenommen wurde (Evidenzgrad 2b). Eine Untersuchung von Tompson et al. 2005
[988 ] kombinierte die Imatinib-Therapie mit
Carboplatin/Irinotecan bei nicht vorbehandelten Patienten mit extensive disease
SCLC. 68 Patienten wurden in die Studie eingeschlossen. Es fand sich eine
Remissionsrate von 67 %. Das mittlere Überleben lag bei 5,7
Monaten. Somit sind die Daten im historischen Vergleich nicht günstiger
als üblicherweise zu erwarten (Evidenzgradl 2b).
Vandetanib (ZD6474) ist ein Multi-Tyrosinkinase-Inhibitor, der
hohe Affinität zum VEGF-Rezeptor 2 und eine etwas geringere Affinität
zum EGF-Rezeptor besitzt. Die Studie von Arnold et al. 2007
[989 ] testete Vandetanib versus Placebo als
Erhaltungstherapie bei Patienten mit kleinzelligem Lungenkarzinom. Es wurden
107 Patienten mit Ansprechen auf die Primärtherapie aufgenommen, von ihnen
wiesen 46 ein limitiertes und 61 ein fortgeschrittenes Stadium auf. Die
Patienten wurden randomisiert auf Vandetanib-Erhaltung oder Placebogabe. Die
mediane progressionsfreie Überlebenszeit war identisch mit 2,7 und 2,8
Monaten. Das Gesamtüberleben lag für den Vandetanibarm bei 10,6
Monaten und für den Placeboarm bei 11,9 Monaten. Der Unterschied im
Überleben war nicht statistisch signifikant, jedoch tendenziell im
Placeboarm eher günstiger (Evidenzgrad 2b).
Eine antiangiogenetische Therapie durch den VEGF-Antikörper
Bevacizumab ist in kleineren Studien als Erhaltungstherapie eingesetzt worden.
Die Studie von Sandler et al. 2007 [990 ] schloss 64
Patienten ein, die zunächst mit Cisplatin/Etoposid vorbehandelt waren und
anschließend eine Erhaltungstherapie mit Bevacizumab bis zur Progression
erhielten. Es wurden keine Grad-III- oder -IV-Hämorrhagien beobachtet. Die
Remissionsrate betrug 69 % und die progressionsfreie Rate nach 6
Monaten 33 % (Evidenzgrad 2b).
Die Studie von Ready et al. 2007 [991 ]
setzte die primäre Kombination Cisplatin/Irinotecan in Kombination mit
Bevacizumab in der Erstlinientherapie ein. Hier wurden 72 Patienten
eingeschlossen. Bevacizumab wurde primär zur Chemotherapie vom 1. Zyklus
an hinzugegeben. Es wurden einige Grad-III- oder IV-Toxizitäten
beobachtet, wie Diarrhoen in 17 Fällen, Darmperforation in 2 Fällen,
Infektionen in 14 Fällen, Schlaganfälle in 4 Fällen und
Thrombosen in 3 Fällen. Drei Patienten verstarben unter der Therapie. Die
Remissionsrate der Behandlung betrug 62 %, die mediane
progressionsfreie Überlebenszeit 7,0 Monate und das gesamte mediane
Überleben 10,6 Monate (Evidenzgrad 2b).
BCL-2 ist in der Mehrzahl der Fälle (bis zu
90 %) mit kleinzelligem Lungenkarzinom exprimiert und könnte
mit einer Chemotherapieresistenz verknüpft sein. BCL-2 inhibiert die
Apoptose. G-3139 (Oblimersen) ist ein BCL-2-Antisense-Oligonukleotid. Durch
Ausschaltung der BCL-2-Funktion konnte experimentell eine Erhöhung der
Antitumoraktivität einer zytostatischen Chemotherapie nachgewiesen werden
[992 ]. In der Studie von Rudin et al. 2008
[993 ] erhielten alle Patienten eine Chemotherapie
bestehend aus Carboplatin und Etoposid und wurden im Verhältnis
3 : 1 auf Oblimersen oder keine zusätzliche Therapie
randomisiert. Insgesamt wurden 56 Patienten aufgenommen. Die Remissionsrate
betrug für die Patienten mit Oblimersen 61 % und ohne
60 %. Die 1-Jahres-Überlebensrate lag für Patienten mit
Oblimersen bei 24 % im Vergleich zu 47 % ohne
Oblimersen. Die Hazard Ratio für das Gesamtüberleben betrug 2,13 bei
einem p-Wert von 0,02 und ließ einen eher ungünstigen Ausgang
für die Patienten mit dem Oblimersen vermuten (Evidenzgrad 2b).
Eine Therapie mit dem Farnesyl-Transferase-Inhibitor R115777
konnte bei Patienten mit sensitivem Rezidiv keine wesentliche Wirksamkeit
erreichen und kann daher als nicht effektiv angesehen werden
[994 ] (Evidenzgrad 2b).
Temsirolimus ist ein Hemmstoff von m-Tor, das eine zentrale
Funktion in der Proteintranslation ausübt. In die Studie von Pandya et al.
2007 [1383 ]wurden 87 Patienten eingeschlossen, die
zunächst eine Chemotherapie mit Platin plus Irinotecan erhielten.
Anschließend erfolgte eine Randomisierung auf zwei verschiedene
Dosierungen von Tensirolimus. Die Ergebnisse für die Gesamtgruppe zeigten
ein medianes Überleben vom Zeitpunkt der Randomisierung von 7,8 Monaten
und ein progressionsfreies Überleben von 2,2 Monaten. Patienten mit hoher
Temsirolimusdosierung wiesen ein besseres Überleben mit einer medianen
progressionsfreien Überlebenszeit von 2,5 vs. 1,8 Monaten und einer
medianen Überlebenszeit von 9,0 vs. 6,5 Monaten auf (Evidenzgrad 2b).
Empfehlung
Da der Nachweis einer Prognoseverbesserung aussteht, ist ein
Einsatz neuerer Medikamente nur im Rahmen klinischer Studien gerechtfertigt
(Evidenzgrad 2b, Empfehlungsgrad B).
9 Behandlung des Lungenkarzinoms mit interventionellen
Verfahren
9 Behandlung des Lungenkarzinoms mit interventionellen
Verfahren
9.1 Maligner Pleuraerguss
Der maligne Pleuraerguss[1 ] ist eine
häufige Komplikation eines Lungenkarzinoms. Wenn die systemische
Behandlung versagt, sollte eine möglichst effektive und wenig eingreifende
Therapie verwendet werden. Die thorakoskopische Talkumpleurodese ist die
wirksamste Methode, wenn sichergestellt ist, dass die Lunge
ausdehnungsfähig ist [268 ]
[995 ]
[996 ]
[997 ]
[998 ]
[999 ] (Evidenzgrad 1b) (Evidenztab. 9.1). Die
respiratorische Komplikationsrate nach Poudrage (13,5 %) ist
höher als nach Gabe des Talkums über eine Thoraxdrainage
(5,6 %) [996 ] (Evidenzgrad 1b). Die Rate
an respiratorischen Komplikationen ist bei der Verwendung von Talkum mit einer
Partikelgröße über 10 µm geringer
[1000 ]
[1001 ] (Evidenzgrad
2a). Die Poudrage kann in Allgemeinnarkose oder Lokalanästhesie
durchgeführt werden [1002 ]
[1003 ]
[1004 ]
[1005 ]
[1006 ] (Evidenzgrad 1a).
Die Applikation der Pleurodese über eine Thoraxdrainage ist weniger
effektiv als eine Poudrage, aber effektiver als eine Drainage alleine
[1007 ]
[996 ] (Evidenzgrad 1b).
Die Substanzen Tetrazyklin, Bleomycin oder andere Chemikalien sind weniger
effektiv als Talkum [997 ]
[1008 ]
[1009 ] (Evidenzgrad 3a).
Die rotierende Lagerung des Patienten nach Injektion von Talkum über eine
Thoraxdrainage ist nicht sinnvoll [1010 ] (Evidenzgrad
2b). Dauerdrainagen oder pleuroperitoneale Shunts sind bei gefangener Lunge
einsetzbar, die Komplikationsrate ist jedoch, bedingt durch Verlegung der
Drainage oder Infektionen (15 – 21 %), hoch
[1011 ]
[1012 ]
[1013 ] (Evidenzgrad 4).
Die Publikationen haben nicht das Symptom Luftnot, sondern
isoliert den Effekt der Maßnahmen auf den Pleuraerguss untersucht. In
Abhängigkeit von der Ausdehnung des Primärtumors oder einer
Lungenmetastasierung ist es möglich, dass die Symptome des Patienten durch
die Evakuation des Pleuraergusses nicht beeinflusst werden. Man kann davon
ausgehen, dass die Behandlung des rezidivierenden und symptomatischen
Pleuraergusses durch eine einzelne effektive Maßnahme im Gegensatz zu
wiederholten Interventionen von dem Patienten als günstiger erlebt wird.
Die Mortalität ist als Folge der fortgeschrittenen Grunderkrankung hoch.
Die 30-Tage-Letalität wird mit bis zu 10 %, die mediane
Lebenserwartung mit 3 – 6 Monaten angegeben.
Empfehlungen
• Durch entsprechende Untersuchungen
(Bronchoskopie/CT-Thorax) sollte sichergestellt sein, dass die
Ausdehnungsfähigkeit der Lungen nicht durch eine bronchiale Obstruktion
verhindert wird (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C). Durch Pleurapunktion oder
eine dünnlumige Drainage sollte geprüft werden, ob sich die Lunge
entfalten kann (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
• Das optimale Verfahren bei Patienten mit Lungenkarzinom
und rezidivierendem, symptomatischem, malignen Pleuraerguss stellt die
thorakoskopische Poudrage mit Talkum (5 – 10 g) dar
(Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad A). Das Verfahren kann in Narkose oder
Lokalanästhesie erfolgen (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad B).
• Das verwendete Talkum sollte auf eine
Partikelgröße > 10 µm eingestellt sein
(Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B).
• Eine komplikationsärmere, aber weniger effektive
Alternative ist die Behandlung über eine Thoraxdrainage mit
Talkumsuspension oder einem Tetrazyklinderivat (Doxycyclin 500 mg). Eine
Pleurodese mit lokalen Zytostatika wird nicht empfohlen (Evidenzgrad 1a,
Empfehlungsgrad B).
• Im Falle einer gefangenen Lunge kann eine
Thoraxdauerdrainage oder ein pleuroperitonealer Shunt verwendet werden
(Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
9.2 Hämoptysen
Hämoptysen sind eine häufige Komplikation des
Lungenkarzinoms (20 %), besonders bei zentralen Lungenkarzinomen.
Etwa 3 % der Patienten versterben am Blutsturz. Die potenzielle
Lebensbedrohlichkeit resultiert aus der Verlegung der zentralen Atemwege durch
Blut und/oder Koagula, nicht aus der hämodynamischen Konsequenz der
Blutung [1014 ]
[1015 ]
[1016 ] (Evidenzgrad
2b).
Blutungsquelle sind zumeist Bronchial- oder Interkostalarterien.
Blutungsursache sind fragile Gefäße der Neovaskularisation des
Tumors, welche durch Nekrose, Traumatisierung durch Husten oder nach iatrogener
Irritation beschädigt wurden.
Eine massive Hämoptoe mit Expektoration von mindestens
200 ml Blut in 24 Stunden ist mit einer hohen Letalität von ca.
40 % behaftet [1016 ]
[1017 ] (Evidenzgrad 2c). Leichte Hämoptysen erfordern
häufig keine Interventionen, Patienten mit stärkeren Hämoptysen
sollten jedoch einer blutstillenden Therapie mit palliativer oder kurativer
Zielsetzung zugeführt werden.
9.2.1 Notfallmaßnahmen und Diagnostik
Die kurative Therapie mittels Resektion des blutenden
Lungenareals ist wegen der Inoperabilität des Tumors zumeist nicht
möglich. Folglich stehen im Falle einer Hämoptoe zunächst die
Offenhaltung der zentralen Atemwege und die Oxygenierung im Vordergrund. Die
Intubation und Blockung eines kontralateralen Hauptbronchus ist effektiv, um
die nicht blutende Lunge zu schützen. Dabei erleichtern großlumige
Tuben die Bronchialtoilette und die bronchoskopische Intervention.
Die wichtigste diagnostische Maßnahme ist die
Bronchoskopie. Zur Blutungslokalisation oder zum Staging kann darüber
hinaus ein CT des Thorax notwendig werden [1018 ]
(Evidenzgrad 1c).
9.2.2 Therapie
Die Bronchoskopie dient diagnostisch der Identifikation der
Blutungsquelle und therapeutisch der Entfernung von Blut und/oder Koagula. Bei
der bronchoskopischen Blutstillung kommen mit der Intention der
Vasokonstriktion Eiswasser und/oder vasoaktive Substanzen (z. B.
1 ml Adrenalin 1 : 10 000 auf 10 ml
isotonische NaCl-Lösung) zum Einsatz. Bei Hämoptoe kann
bronchoskopisch der entsprechende Lappenbronchus mittels Ballonkatheter
tamponiert werden, der nachfolgend für 24 – 48 Stunden
belassen wird [1019 ] (Evidenzgrad 3b).
Bei Fortbestand der Hämoptoe nach lokalen Maßnahmen
ist die Bronchialarteriografie und nachfolgende Bronchialarterienembolisation
(BAE) klinische Praxis. Die Studienlage ist allerdings limitiert. Es liegen
12
Studien vor: Im Ergebnis dessen wird, ungeachtet des Embolisationsmaterials,
eine primäre Blutstillungsrate in
77 – 100 % der Fälle mit der BAE
erreicht [1020 ]
[1021 ]
[1022 ]
[1023 ]
[1024 ] (Evidenzgrad 2b). Als Embolisate dienten
vornehmlich Platin-Coils, Gelantine- und Polyvenylalkohol-Partikel, bzw.
Kombinationen [1021 ]
[1024 ].
Ernsthafte Komplikationen, z. B. Aortendissektion, Perforation oder
neurologische Defizite treten selten
(2 – 4 %) ein [1022 ]
[1020 ] (Evidenzgrad
2b).
Rezidive treten bei 9 % innerhalb des ersten
Monats [1023 ] (Evidenzgrad 4) und bis zu
53 % innerhalb des ersten Jahres auf [1020 ]
[1024 ] (Evidenzgrad 3a).
Bei Rezidiven kann die BAE mit unveränderter Erfolgswahrscheinlichkeit
wiederholt werden [1022 ]
[1024 ]
[1025 ] (Evidenzgrad 2b).
Die Patienten profitieren hinsichtlich Palliation und Lebensdauer. Nach BAE
wurde im Vergleich zu einer konservativ behandelten historischen Kontrollgruppe
eine signifikante Verbesserung der medianen Überlebenszeit (138 Tage vs.
69 Tage) nachgewiesen. Letale Blutungen wurden vor allem bei Blutungsrezidiven
ohne BAE beobachtet [1024 ] (Evidenzgrad 2b).
Blutungen zentral gelegener Tumorläsionen sind vorzugsweise
einer Laserkoagulation (Nd-YAG-Laser), Elektrokoagulation oder
Argon-Plasma-Coagulation (APC) zugänglich. Damit wird in ca.
60 % der Fälle eine Blutstillung erreicht
[1026 ] (Evidenzgrad 3b). APC erzielte im Verlauf von
drei Monaten eine rezidivfreie Blutstillung [1027 ]
(Evidenzgrad 3b).
Empfehlungen
• Bei Hämoptysen ist eine Bronchoskopie zur
Identifikation der Blutungsquelle und Blutstillung mittels lokaler
Maßnahmen indiziert (Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B).
• Die Bronchialarterienembolisation ist eine effektive
und sichere Methode zur Therapie massiver oder mäßiger,
rezidivierender Hämoptysen. Bei Rezidivblutung sollte sie wiederholt
werden (Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B).
9.3 Vena-cava-superior-Syndrom
Bis zu 40 % der Vena-cava-superior-Syndrome (VCSS)
werden durch ein SCLC verursacht [1028 ]. Die Diagnose
gründet sich auf die Symptomatik mit Zunahme des Hals- und/oder
Armumfanges, Kopfschmerzen, Dyspnoe, Heiserkeit, Schluckstörungen und das
Computertomogramm.
Die klinische Dramatik mit Asphyxiegefahr bei Glottisödem
erfordert eine rasche, effektive Behandlung [1029 ]
[1028 ]. Zur Wirksamkeit und Sicherheit unterschiedlicher
Therapieoptionen liegen 5 Studien mit 103 Patienten vor, davon 93
Lungenkarzinome und zwei systematische Reviews, eine historische und eine
Cochrane-Review von 2005.
Die effektivste Akutmethode ist die perkutane, endovasale
Implantation eines selbstexpandierenden Wallstents in die Vena cava superior,
zumeist nach Ballonangioplastie der V. cava bzw. brachiocephalica. Das
Verfahren ist seit den 90er-Jahren Therapiestandard und führt in
86 – 100 % der Fälle innerhalb von
24 – 48 Stunden zu deutlicher Regredienz der Symptome
[1030 ]
[1032 ]. Die
überwiegende Zahl der Patienten
(83 – 93 %) bleibt während des weiteren
Krankheitsverlaufs rezidivfrei [1030 ]
[1033 ]. Die Methode ist sicher und gut tolerabel
[1030 ]. Komplikationen sind sehr selten, im Schrifttum
finden sich Einzelfallbeschreibungen einer Stentmigration, einer
retroperitonealen Blutung und einer Thrombose der V. cava bei nicht
antikoaguliertem Patienten [1031 ]. Die
Stentimplantation in die V. cava kann zu jedem Zeitpunkt im Rahmen eines
multimodalen Therapiekonzeptes erfolgreich eingesetzt werden
[1032 ]. Eine Antikoagulation ist nicht erforderlich.
Bei Nachweis von Thromben wurde unter Therapie mit niedermolekularen Heparinen
keine Stentthrombosierung beobachtet.
Nach Chemotherapie oder Radiatio bzw. der Kombination beider wird
eine Symptomregredienz bei 60 – 77 % der
Behandelten erreicht [1034 ]. Für das kleinzellige
Karzinom wurde eine effektive Palliation des Vena-cava-superior-Syndroms in
76,9 % der Fälle, bei kombinierter Radiochemotherapie in
83 % der Fälle erreicht. Die Besserung tritt im Unterschied
zur Stentimplantation erst nach durchschnittlich 7 bis 14 Tagen ein. Beim
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom liegen die Erfolgsraten beträchtlich
niedriger, eine Symptomlinderung wurde mittels Chemotherapie bei
59 % der Patienten, mittels Bestrahlung bei 63 %
erzielt [1034 ].
Der Effekt der medikamentösen Therapie mit Diuretika und
Kortison ist nicht belegt [1029 ]
[1035 ]. Die Antikoagulation kann symptomlindernd wirken
[1036 ]
[1029 ].
Empfehlung
Die Methode der Wahl zur Palliation des Vena-
cava-superior-Syndroms ist die perkutane intravasale Stentimplantation, die
eine rasche und sichere Palliation ermöglicht. Beim therapienaiven
kleinzelligen Lungenkarzinom ist primär eine Chemo- und/oder Radiotherapie
angezeigt, die Stentimplantation ist Patienten mit therapierefraktärem
oder rezidivierendem Vena-cava-superior-Syndrom vorbehalten. (Evidenzgrad 2a,
Empfehlungsgrad B).
9.4 Tracheobronchiale Tumorobstruktion
Bei symptomatischen Stenosen der zentralen Atemwege können
endoskopische Maßnahmen zur sofortigen Linderung der Beschwerden
(Luftnot, Husten, Sekretverhalt) und zur Auflösung einer poststenotischen
Pneumonie führen [1037 ] (Evidenzgrad 2c).
Primärziel ist die Verbesserung der Lebensqualität, eine
Lebenszeitverlängerung kann durch eine Verbesserung der klinischen
Gesamtsituation und die Symptomkontrolle erzielt werden (Evidenzgrad 4).
Messbare Funktionsverbesserungen können nur erzielt werden,
falls funktionsfähiges, perfundiertes Parenchym durch die
Tumordesobliteration rekrutiert werden kann.
Kleine, frühe Tumore konnten bei funktionell inoperablen
Patienten eradiziert werden, in Einzelfällen konnte technische
Operabilität erzielt werden.
Empfehlung
Die palliativen, endoskopischen Methoden zur Behandlung der
tracheobronchialen Tumorobstruktion sollten jedem Tumorpatienten
zugänglich sein, auch wenn die primär behandlungsführende
Abteilung diese nicht im eigenen Haus vorhält (Evidenzgrad 5,
Empfehlungsgrad D). Es stehen verschiedene Verfahren der Desobliteration und
der lokalen Tumorbehandlung zur Verfügung.
9.4.1 Mechanische Verfahren, Abtragung
Exophytische Tumoranteile können mit der Kante des starren
Bronchoskops, mit Zangen oder Ballons abgetragen werden. Da hierbei primär
keine Blutstillung erfolgt, ist das Risiko höher als bei anderen
Verfahren. Lebensqualitätsverbesserungen sind kasuistisch beschrieben
[1038 ]
[1039 ]. Arbeiten mit
dem flexiblen Bronchoskop und Ballons ist möglich, Unterstützung der
Atmung durch Jet-Ventilation erleichtert die Prozedur [1040 ] (Evidenzgrad 3b).
Empfehlung
Die mechanischen Verfahren der Abtragung exophytischer
Tumoranteile mit der Kante des starren Bronchoskops, mit Zangen oder Ballons
haben Sofortwirkung, können aber nur noch für Notfallsituation
empfohlen werden, falls keine anderen Verfahren zur Verfügung stehen
(Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C). Ballondilatation mit dem flexiblen
Bronchoskop ist möglich (Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
9.4.2 Lasertherapie
Das etablierteste, nicht-mechanische Verfahren zur Abtragung von
intraluminalem Fremdgewebe ist die Laserkoagulation. [1041 ]
[1042 ] Infrarotes Licht aus
Dioden oder Nd-YAG-Lasern wird über Fasern durch den Arbeitskanal auf das
Tumorgewebe geleitet. Abhängig von der Energie wird koaguliert oder
vaporisiert. Die Eindringtiefe liegt bei ca.
5 – 8 mm. Bei Trachealbefall kann eine
Symptomverbesserung (Lebensqualität) in über 80 % der
Fälle erzielt werden [1042 ]
[1043 ] (Evidenzgrad 3b). Der Effekt tritt sofort ein. Bei
Befall von Lappenbronchien liegt der klinische Erfolg bei ca.
40 %. Ohne lokale Differenzierung bessert sich die Lungenfunktion
bei 70 – 80 % der Patienten, der Peakflow
steigt um 25 %, Perfusion und Sauerstoffsättigung bessern
sich in 30 % der Fälle [1044 ]
[1045 ]( Evidenzgrad 4).
Das Verfahren ist sicher, die Komplikationsraten (Blutung,
Perforation, Asphyxie, Brand, Pneumothorax) liegen unter 2 %
[1037 ]
[1046 ]
[1047 ] (Evidenzgrad 4). Der Laserschmauch kann zu
relevanten Atemwegsreizungen führen [1048 ].
Arbeiten mit dem flexiblen Bronchoskop ist möglich [1049 ]
[1050 ], die starre
Bronchoskopie wird bevorzugt und als sicherer angesehen, ohne dass dies durch
Studien belegt ist [1041 ]
[1051 ]
[1052 ]
[1053 ]
[1037 ] (Evidenzgrad 4).
In Einzelfällen konnten bei inoperablen Patienten kleine
Frühtumore eradiziert werden (Fallberichte, z. B.
[1052 ]) (Evidenzgrad 4).
Lebenszeitverlängerungen bis zu 4 Monaten sind bei
palliativer Anwendung zu erwarten, falls eine komplette Rekanalisation der
zuvor verschlossenen Bronchien gelingt. Diese ist größer als bei
alleiniger Notfallstrahlentherapie [1050 ]
[1054 ]
[1043 ] (Evidenzgrad
3b).
Der Laser kann sinnvoll mit anderen Verfahren wie Stenteinlage,
Brachytherapie und perkutaner Strahlentherapie kombiniert werden
[1037 ]
[1052 ]
[1043 ] (Evidenzgrad 3b).
Empfehlungen
• Bei zentralem Tumorbefall, besonders bei Befall der
Trachea und der Hauptbronchien mit exophytischem Fremdgewebe führt die
Anwendung des Lasers zur sofortigen Symptomlinderung (Evidenzgrad 3b,
Empfehlungsgrad C).
• Arbeiten mit dem starren Bronchoskop wird empfohlen,
besonders bei großen Tumoren in der Trachea (Evidenzgrad 4,
Empfehlungsgrad C).
• Kombination mit Stenteinlage und/oder Brachytherapie
stabilisiert den positiven Effekt (Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad B).
• In Einzelfällen können kleine
Schleimhauttumore eradiziert werden, sofern sie auf die intraluminale
Oberfläche beschränkt sind. Dies sollte nur bei inoperablen Patienten
erwogen werden (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
9.4.3 Elektroverfahren
Es stehen Kontaktverfahren [1055 ]
[1056 ] und der kontaktlose Argon-Plasma-Koagulator
[1057 ]
[1037 ] zur
Verfügung. Mit allen Hochfrequenzstrom-Geräten ist ebenso wie bei der
Laseranwendung eine sofortige Desobliteration bei zentralem Tumorbefall zu
erzielen. Die Eindringtiefe des APC ist mit ca.
2 – 3 mm geringer als die des Lasers. Die zunehmende
Verbreitung spricht dafür, dass die Verfahren nicht nur preiswerter
sondern auch bezüglich der klinischen Anwendbarkeit dem Laser
ebenbürtig sind [1058 ]
[1056 ] (Evidenzgrad 4). Es gibt noch keine verwertbare
Vergleichsstudie.
Neben der Schneidwirkung nutzt man besonders die
Koagulationsfähigkeiten des APC. Zur Blutstillung aus zentralem
Tumorgewebe ist der Argon-Plasma-Koagulator allen anderen Verfahren
überlegen [1027 ] (Evidenzgrad 3b).
Zur Abtragung kombiniert man die Elektroverfahren sinnvoll mit
einer mechanischen Abtragung. Besonders effizient ist dies in starrer Technik
mit größeren Zangen. Verbesserungen von Funktion und
Lebensqualität hängen wie bei der Anwendung des Lasers davon ab, wie
viel rekanalisiert werden kann. Bei Trachealbefall profitieren
80 % der Patienten [1057 ] (Evidenzgrad
4).
In Einzelfällen können Frühtumore eradiziert
werden [1058 ]
[1059 ]
(Evidenzgrad 3b).
Der Argon-Plasma-Koagulator ist für den Nichtkontakt-Modus
konzipiert. Hinweisen muss man auf die Möglichkeit, dass sich
Argon-Gasembolien mit kardialen und zerebralen Folgen bilden können, falls
die APC-Sonde versehentlich mit hohem Gasfluss im Inneren von Tumoren aktiviert
wird [1060 ].
Empfehlungen
• Endobronchiale Elektroverfahren, besonders der
Argon-Plasma-Koagulator, sind eine kostengünstige Alternative zum
ND-YAG-Laser zur Desobliteration bei Befall der zentralen Atemwege. Die
Lebensqualität wird verbessert (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad C).
• Zur Blutstillung ist der APC allen anderen lokalen
Verfahren überlegen (Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
• In Einzelfällen können kleine Tumore der
Schleimhaut eradiziert werden. Dies sollte nur bei inoperablen Patienten
erwogen werden (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad D).
9.4.4 Kryotherapie
Ebenso wie Hochfrequenzablationssonden können flexible
Kältesonden durch den Arbeitskanal starrer oder flexibler Bronchoskope an
Tumore herangeführt werden [1061 ]
[1062 ]. Bei Anwendung der Kryotherapie tritt der Effekt
mit zeitlicher Verzögerung von bis zu sechs Tagen ein. Da Knorpelgewebe
eine hohe Kältetoleranz besitzt, wird das Verfahren bei vergleichbarer
Effizienz als etwas sicherer angesehen als die Elektro- und Lasertherapie
[1061 ] (Evidenzgrad 4). Symptomverbesserungen treten
in 70 – 80 % der Fälle ein
[1063 ]
[1064 ] (Evidenzgrad
3b). Eine Kombination mit Radiofrequenzablation ist möglich und kann
sowohl vor als auch nach Strahlentherapie durchgeführt werden
[1065 ] (Evidenzgrad 3b). Wie bei dem Laser verbessert
eine vorherige, vollständige Tumorabtragung mit der Kryosonde das Outcome
der Strahlentherapie [1066 ] (Evidenzgrad 4). Eine
mögliche Strahlensensibilisierung und eine Sensibilisierung gegen
Chemotherapeutika wird nach experimentellen Studien postuliert
[1066 ]
[1067 ], klinische
Daten, die dies bestätigen würden, gibt es nicht.
Bei Frühtumoren unter 2 cm Längsausdehnung, die
auf die Schleimhaut beschränkt sind, wurden Kurationsraten von
80 % beschrieben. Innerhalb von 4 Jahren gab es aber
28 % Lokalrezidive [1068 ] (Evidenzgrad
3b).
Empfehlung
• Die endobronchiale Kryotherapie mit starrer oder
flexibler Sonde ist schonend, sicher und dabei vergleichbar wirksam wie Laser
und APC. Der Effekt tritt aber später ein. Zur Tumorabtragung bei nicht
akut bedrohten Patienten kann sie empfohlen werden (Evidenzgrad 3b,
Empfehlungsgrad C).
• Zur Kuration kleiner Schleimhauttumore kann die
Kryotherapie versucht werden (Empfehlungsgrad B). Wegen der hohen Rezidivrate
sollte dies nur bei inoperablen Patienten erwogen werden (Evidenzgrad 3b,
Empfehlungsgrad C).
9.4.5 Photodynamische Therapie
Bei der photodynamischen Therapie (PDT) wird ein Sensitizer
Stunden bis Tage vor dem endoskopischen Eingriff (meistens intravenös)
appliziert. Die Selektivität von Tumorgewebe beruht auf fehlender
kompetitiver Hemmung eines Endproduktes, einer aktiven Stoffwechselleistung
oder einer herabgesetzten Clearance des Sensitizers aus den Krebszellen. Bei
Bestrahlung mit rotem Licht aus einer Laserquelle entstehen zytotoxische
Produkte, die zum direkten Tumorzerfall oder zum Tumorinfarkt durch Verschluss
seiner Gefäße führen. Es gibt sehr viele Publikationen mit
kleinen Fallzahlen, besonders aus Japan. Das Design der Studien ist zumeist
von
begrenzter Qualität. Viele Reviews und Metaanalysen mit Daten von mehr als
1200 Patienten betonen die Bedeutung der Methode [1069 ]
[1062 ] (Evidenzgrad 2c)
(Evidenztab. 9.4.5).
Es gibt noch immer technische Probleme, die Tumorregion
vollständig und gleichmäßig auszuleuchten. Überschreitet
ein invasiverer Tumor die Wand, ist wegen der Lichtabschwächung eine
Tumorvernichtung nicht zu erreichen. Durch Computertomografie sollte eine
tiefere Invasion ausgeschlossen werden [1070 ]
[1071 ]
[1072 ] (Evidenzgrad 4). Der endobronchiale Ultraschall ist
dem hochauflösenden CT überlegen und kann die notwendigen
Informationen über den Invasionsgrad liefern [1073 ] (Evidenzgrad 3b).
Bezüglich Symptomkontrolle und Lebenszeitverlängerung
gibt es Hinweise auf eine Überlegenheit der PDT gegenüber dem
YAG-Laser, aber die Studien weisen methodische Probleme auf
[1074 ]
[1071 ] (Evidenzgrad
3b).
Hauptnebenwirkung der jetzt zur Verfügung stehenden
Sensitizer ist die allgemeine Lichtempfindlichkeit (Sonnenbrand bei normalem
Tageslicht). In der palliativen Situation ist die Methode deshalb weitgehend
verlassen worden. Klinisch überzeugende Beweise, dass die noch nicht
zugelassenen Sensitizer überlegen sind, gibt es derzeit nicht (Evidenzgrad
5).
Zur Eradikation kleiner, auf die Schleimhaut begrenzter Tumore
liegen gute Daten vor. Bei Tumoren < 1 cm Durchmesser
wurden Kurationsraten von 92 % erzielt. Bei
Tumordurchmessern > 2 cm sinkt die Kurationsrate unter
50 % [1072 ]
[1075 ]
[1076 ] (Evidenzgrad 3b).
Kombiniert man PDT und Brachytherapie, steigt die Erfolgsrate wieder über
80 % [1077 ] (Evidenzgrad 3b).
Eine PDT kann wiederholt werden, mit anderen Methoden kombiniert
und bei voroperierten Patienten angewendet werden. In Einzelfällen kann
durch eine vorausgehende PDT lokale Operabilität erzielt werden
[1078 ]
[1079 ]
[1080 ] (Evidenzgrad 4).
Empfehlungen
• Die photodynamische Therapie ist zur Symptomkontrolle
in der Palliation dem konventionellen Laser nur gering überlegen. Die
Lebensqualität wird wegen der Hautsensibilisierung
unverhältnismäßig beeinträchtigt. Mit den derzeit zur
Verfügung stehenden Sensitizern kann eine PDT zur Palliation kaum
empfohlen werden, dies kann sich ändern, falls neue Sensitizer zugelassen
werden (Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
• Zur Eradikation von Frühtumoren unter 1 cm
Durchmesser, die auf die Schleimhaut beschränkt sind, ist die PDT das
wirksamste Verfahren. Eine vorherige Untersuchung mit dem endobronchialen
Ultraschall sollte erfolgen, um eine tiefere Invasion auszuschließen
(Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
• Bei Tumorlängen zwischen 1 cm und
2 cm ohne tiefere Invasion sollte eine Kombination mit Brachytherapie
erfolgen (Evidenzgrad 3b, Empfehlungsgrad C).
• Die Verfahren können derzeit nur in Studien
empfohlen werden, die Chirurgie, auch mit bronchoplastischen Eingriffen, bleibt
zunächst Standard. Eine PDT kann bei inoperablen Patienten gerechtfertigt
werden (Empfehlungsgrad D).
• In Einzelfällen kann lokale Operabilität
durch die PDT erzielt werden (Empfehlungsgrad D).
9.4.6 Bronchiale und tracheale Stents
Stents werden bei endobronchialen und endotrachealen Stenosen
zur lokalen palliativen Behandlung von Dyspnoe und Retentionssymptomen
eingesetzt. Zur Verfügung stehen Silikon- und selbstexpandierende
Metallstents, welche in die Trachea und in zentrale Bronchien eingebracht
werden. Indikationen sind im Allgemeinen symptomatisches endoluminales
Tumorwachstum und/oder eine extrinsische Kompression.
Es wurden 33 Studien selektiert, die sich aus Fallberichten bzw.
retrospektiven/prospektiven Fallserien mit 1 – 162
Patienten zusammensetzen. Alle Studien entsprachen Evidenzgrad 4
[348 ]
[1081 ]
[1082 ]
[1083 ]
[1084 ]
[1085 ]
[1086 ]
[1087 ]
[1088 ]
[1089 ]
[1090 ]
[1091 ]
[1092 ]
[1093 ]
[1094 ]
[1095 ]
[1096 ]
[1097 ]
[1098 ]
[1099 ]
[1100 ]
[1101 ]
[1102 ]
[1103 ]
[1104 ]
[1105 ]
[1106 ]
[1107 ]
[1108 ]
[1109 ]
[1110 ]
[1111 ]
[1112 ]. Randomisierte Untersuchungen existieren nicht. Die
Indikation bestand immer in einer symptomatischen tumorbedingten, hochgradigen
zentralen Atemwegsstenose. Die Nachbeobachtungszeit betrug zwischen einem und
2571 Tagen (Evidenztab. 9.4.6).
Durch die Stentimplantation kommt es zu einer unmittelbaren und
deutlichen Verbesserung des Stenosegrades und der Dyspnoe sowie von
Lungenfunktionsparametern. Vereinzelt handelte es sich um Notfall-Eingriffe
mit
lebensrettendem Charakter. Der größte Effekt wird bei Interventionen
im Bereich der Trachea erzielt. Die Erfolgsrate lag insgesamt bei über
80 %. Die lokale Kontrolle konnte in vielen Fällen über
eine lange Zeit, teils bis zum Lebensende aufrecht erhalten werden. Eine
Lebensverlängerung ist zu folgern, ist aber in Ermangelung randomisierter
Vergleiche nicht nachweisbar. Typische Komplikationen sind das Einwachsen von
Tumorgewebe in den Stent, die Stentmigration und die Sekretverlegung mit einer
Häufigkeit von jeweils 10 – 30 %.
Empfehlung
Die Implantation bronchialer, trachealer und
tracheobronchialer Stents ist zur palliativen Behandlung symptomatischer
zentraler Atemwegsstenosen geeignet. Der Therapieeffekt tritt sofort ein. Sie
kann und sollte mit anderen Methoden (z. B. Lasertherapie,
Brachytherapie) kombiniert und nicht prinzipiell als letzte verfügbare
Methode eingesetzt werden. Bei Tumorregredienz können Stents
grundsätzlich wieder entfernt werden. Die Stentimplantation sollte bei
gegebener Indikation im Rahmen der interventionellen Versorgung jedem Patienten
angeboten werden bzw. zugänglich sein (Evidenzgrad 4, Empfehlungsgrad
C).
9.4.7 Endobronchiale Brachytherapie
Bei der endoluminalen Brachytherapie wird ein radioaktiver
Strahler über einen Ausfahrkatheter, der bronchoskopisch gelegt und
kontrolliert werden kann, temporär endobronchial in den Lungentumor
eingebracht. Dabei wird der tumorbefallene Bereich des Bronchus zuzüglich
eines kleinen Sicherheitssaumes behandelt. Die Aufenthaltszeiten an den
verschiedenen Haltpunkten des Strahlers, der heute ferngesteuert ohne Belastung
des Personals aus- und eingefahren wird, werden vor der Therapie entsprechend
der verordneten Dosis berechnet.
Randomisierte Studien zum Einsatz der Brachytherapie in der
palliativen Therapie des stenosierend wachsenden Lungenkarzinoms haben deren
Effektivität nachgewiesen. Nach Laserdebulking zentral stenosierender
Lungentumore wird durch die endoluminale Brachytherapie die rezidivfreie Zeit
im Vergleich zur alleinigen Laserintervention verlängert
[1113 ] (Evidenzgrad 2b). Jedoch war die Brachytherapie
nach der Studie von Stout et al. [1114 ] der perkutanen
Strahlentherapie bei Patienten mit endoluminal wachsendem Lungenkarzinom ohne
strahlentherapeutische Vorbehandlung unterlegen, für die bei weit
fortgeschrittener Erkrankung eine lokal kurative Therapie nicht infrage kam.
Die perkutane Strahlentherapie führte zu einer höheren Rate an
Symptomverbesserungen 8 Wochen nach Therapie und die so behandelten Patienten
bedurften seltener einer erneuten lokalen Behandlung (Evidenzgrad 2b). Die
endoluminale Brachytherapie kann als Boost im Anschluss an eine perkutane
Strahlentherapie zu einer verbesserten Wiederbelüftungsrate und einer
längeren Dauer der Symptomreduktion bei stenosierenden, zentralen
Lungentumoren führen [1115 ]
[1116 ], jedoch kann auch durch eine höherdosierte
perkutane Strahlentherapie eine ähnliche Steigerung des palliativen
Effekts erzielt werden (Evidenzgrad 2b).
Ung et al. fanden in einer systematischen Review über die
randomisierten und nicht-randomisierten, prospektiven Studien zur Palliation
von Symptomen mit der Brachytherapie Ansprechraten bezüglich Dyspnoe von
24 – 88 %, Hämoptoe von
69 – 100 % und Schmerzen von
43 – 88 % [1117 ]
(Evidenzgrad 2a).
Auch nach strahlentherapeutischer Vorbehandlung können mit
der endobronchialen Brachytherapie länger andauernde
Tumorrückbildungen erzielt werden [1118 ]
(Evidenzgrad 3b). Risiken der Brachytherapie sind die Ausbildung von Fisteln
und Blutungen.
Dosierung der endobronchialen Brachytherapie: Der makroskopisch
sichtbare Tumoranteil sollte in Bronchuslängsrichtung sicher erfasst
werden. Der Afterloadingkatheter sollte in Bronchusmitte zentriert werden.
Übliche Dosen pro Fraktion reichen von
5 – 10 Gy, appliziert mit hoher Dosisleistung (HDR).
Die Dosierung erfolgt in der Regel berechnet auf 10 mm Achsabstand.
Zusätzlich zu einer perkutanen Strahlentherapie wird die Brachytherapie in
einer Dosierung von 2 × 4,8 bis
2 × 7,5 Gy mit einem Zeitabstand von mindestens
einer Woche eingesetzt [1115 ]. Als alleinige
Maßnahme wurden von der American Endocurietherapy Society eine Dosierung
von 4 × 5 Gy empfohlen, aber es wurden auch
Einmalbestrahlungen von 1 × 10 Gy eingesetzt
[1119 ].
Im Einzelfall kann die Brachytherapie bei bronchoskopisch
nachgewiesenen, frühen, invasiven oder In-situ-Karzinomen in kurativer
Intention zum Einsatz kommen, wenn eine chirurgische Resektion hier nicht
bevorzugt wird [1062 ] (Evidenzgrad 5).
Als Alternative zur endoluminalen Brachytherapie für kleine
Tumorvolumina stehen heute auch perkutane
Präzisionsstrahlentherapiemethoden zur Verfügung.
Empfehlungen
Bei Patienten ohne strahlentherapeutische Vorbelastung ist der
Einsatz der Brachytherapie in palliativer Intention im Einzelfall bei zentral
stenosierendem Tumor geeignet. Wenn keine strahlentherapeutische Vorbelastung
vorliegt, sollte die Brachytherapie mit einer perkutanen Strahlentherapie
kombiniert werden (Empfehlungsgrad B). Bei einem Tumor mit Stenose der
zentralen Luftwege und strahlentherapeutischer Vorbelastung kann die
endoluminale Brachytherapie im Einzelfall geeignet sein (Empfehlungsgrad C).
Die Brachytherapie als Boost zur perkutanen Strahlentherapie in
Therapiekonzepten in kurativer Situation ist umstritten und sollte nur
innerhalb von Studien durchgeführt werden (Empfehlungsgrad D).
10 Psychoonkologische Versorgung von Patienten mit
Lungenkarzinomen
10 Psychoonkologische Versorgung von Patienten mit
Lungenkarzinomen
Eine psychoonkologische Versorgung ist integraler Bestandteil der
Behandlung von Lungenkarzinompatienten. Dazu sind psychoonkologische
Fachkräfte in das jeweilige Behandlungsteam zu integrieren.
10.1 Grundprinzipien psychoonkologischer Versorgung
Die Psychoonkologie ist heute eine eigene Fachdisziplin, deren
Aufgabe es ist, die verschiedenen psychosozialen Aspekte in Entstehung,
Behandlung und Verlauf einer Krebserkrankung wissenschaftlich zu erforschen und
die entsprechenden Erkenntnisse in der Versorgung und Behandlung der Patienten
umzusetzen [1120 ]
[1121 ]
[1122 ]
[1123 ]. Die
psychoonkologische Mitbehandlung von Tumorpatienten ist über alle
Behandlungssektoren hinweg, also in der Diagnostik, Behandlung und Nachsorge,
ein zentraler und unverzichtbarer Bestandteil. Über entsprechende
Fachgesellschaften werden in Deutschland Fort- und Weiterbildungscurricula
angeboten, um die fachliche Qualifikation psychoonkologischer Tätigkeit
sicherzustellen. Adressaten dieser Fortbildungen sind Ärzte, Psychologen
und Sozialpädagogen (im Folgenden: psychoonkologische Fachkräfte).
Eine psychoonkologische Zusatzqualifikation ist Voraussetzung für die
Anerkennung als psychoonkologische Fachkraft. Die psychoonkologische Versorgung
wird interdisziplinär zwischen allen an der Behandlung beteiligten
Berufsgruppen realisiert. Dies impliziert, dass eine psychoonkologische
Fachkraft im jeweiligen Versorgungssetting (stationäre und ambulante
Behandlung, stationäre Rehabilitation, ambulante Nachsorge) in das
Behandlungsteam integriert ist und in regelmäßigem Austausch mit den
medizinisch Behandelnden steht. Dieser Austausch sollte in Form von
Fallbesprechungen oder Stationskonferenzen geregelt und strukturiert werden
[1124 ]
[1125 ]
[1126 ].
10.2 Psychosoziale Belastungen und Diagnostik bei
Lungenkarzinompatienten
Neben unspezifischen psychosozialen Belastungen (Konfrontation mit
einer lebensbedrohliche Diagnose; häufig radikale, langwierige und
nebenwirkungsreiche Behandlung mit ungewissem Ausgang und gravierenden
körperlichen wie seelischen Folgen; ggf. Krankheitsprogredienz)
müssen Lungenkarzinompatienten eine Reihe von krankheitsspezifischen
Belastungen (ungünstige Prognose, Krankheitsprogress häufig nach
kurzem Therapie-Intervall etc.) bewältigen. Dazu kommen schwerwiegende
Symptome, z. B. Leistungseinschränkungen, Bluthusten, Atemnot,
Fatigue, Schmerzen [1127 ]
[1128 ]
[1129 ], durch die sich eine
höhere Belastung im Vergleich zu anderen Tumorarten ergibt
[1130 ]
[1131 ]
[1132 ]. Gelingt den Patienten die Bewältigung dieser
häufig massiven Belastungen nicht, dann kommt es unter Umständen zu
gravierenden psychischen Störungen (z. B. Depressionen und/oder
Angst- und Panikstörungen).
Das hohe Ausmaß psychischer Komorbidität bei
Lungenkarzinompatienten ist in der Literatur gut dokumentiert: Zwischen
22 – 43 % der untersuchten Patienten leiden
unter klinischer Depression und/oder Angst [1133 ]
[1134 ]
[1135 ]
[1136 ]
[1137 ]. In einer Studie
weisen 62 % der Stichprobe eine klinisch relevante psychosoziale
Belastung auf [1138 ]. Die große Variation der
Prävalenzangaben ergibt sich aus methodischen Unterschieden der Studien
(verschiedene Messzeitpunkte, verschiedene Messinstrumente etc.). Eine hohe
Symptombelastung erweist sich als aussagekräftiger Prädiktor für
Depression [1133 ]
[1139 ].
Jüngere Patienten sind psychisch stärker belastet als ältere
[1140 ]. Es finden sich auch Hinweise, dass eine
größere psychische Belastung bei Patienten mit SCLC im Vergleich zu
Patienten mit NSCLC auftritt. Diese Belastung persistierte zu
50 % nach Beendigung der Therapie [1133 ]. Ein Review [1141 ] kommt
auf der Basis von 14 Studien zu dem Ergebnis, dass jeder vierte
Lungenkarzinompatient unter klinisch relevanten psychischen Symptomen leidet,
die auch nach Beendigung der Therapie anhielten. Diese psychosozialen Probleme,
die die Lebensqualität erheblich beeinträchtigen und daher unbedingt
behandlungsbedürftig sind, können pharmakotherapeutisch und durch
psychoonkologische Interventionen effektiv behandelt werden. Als wirksam
erwiesen haben sich hier auch Interventionen durch speziell ausgebildete
Pflegemitarbeiter [1142 ]
[1143 ]
[1144 ]. Carlsen empfiehlt
den Einsatz von geeigneten Screening-Instrumenten (gebräuchlich ist
z. B. die „Hospital Anxiety and Depression Scale”, HADS,
Zigmond AS et al., 1983 [1145 ]; Herrmann C et al.,
1995 [1146 ]).
Eine hohe Rate an organisch bedingten mentalen Störungen
(Delir, Stupor, Panik-Attacken etc.) aufgrund ZNS-Metastasierung oder
paraneoplastischer Syndrome erfordert zusätzlich zur psychischen auch
stets eine somatische Diagnostik [1147 ].
10.3 Psychoonkologische Behandlung
Um Patienten bei der Verarbeitung der genannten belastenden
Situationen und der sich daraus ergebenden psychosozialen Probleme zu
unterstützen, wurden eine Reihe von psychoonkologischen Interventionen
entwickelt, die sich diagnoseübergreifend als wirksam erwiesen haben. Dies
wird durch Internationale Leitlinien belegt (Canada: CAPO, 1999; Australien:
NHMRC, 2003; USA: NCCN; 2007). Bei Lungenkrebspatienten kommen
psychoonkologische Interventionen zum Einsatz, die an Patienten mit anderen
Tumorentitäten (meist gemischte Stichproben) entwickelt und erprobt
wurden. Die Literaturrecherche erbrachte nur wenige Studien zu
psychoonkologischen Interventionen, die ausschließlich mit
Lungenkarzinompatienten durchgeführt worden sind [1148 ]
[1149 ]
[1150 ]. Es besteht aber in der Fachwelt Konsens
darüber, dass die Ergebnisse aus Interventionsstudien mit anderen
Tumorstichproben im Analogie-Schluss auf die Versorgung von
Lungenkarzinompatienten zu übertragen sind. Für die folgenden
Empfehlungen werden daher die in den genannten Leitlinien aufgeführten
Ergebnisse zugrunde gelegt.
Psychoonkologische Versorgung beinhaltet patientengerechte
Information und Beratung [1151 ]
[1152 ]
[1153 ]
[1154 ]
[1155 ]
[1156 ]
[1157 ], qualifizierte
psychologische Diagnostik und Bedarfsfeststellung [1158 ]
[1159 ]
[1160 ] sowie gezielte psychoonkologische Behandlung zur
Unterstützung bei der Bewältigung der Erkrankungs- und
Behandlungsfolgen [1161 ]
[1162 ], insbesondere auch symptomorientierte
Interventionen [1151 ]
[1163 ].
Da die soziale Unterstützung im Rahmen der Krankheitsverarbeitung einen
hohen Stellenwert besitzt, sollten die Angehörigen frühzeitig in die
Betreuung einbezogen werden [1164 ]
[1165 ].
Zielbereiche psychoonkologischer Interventionen
sind:
Depression, Angst, Belastungserleben [1166 ]
[1161 ]
[1167 ]
Krankheitsverarbeitung [1161 ]
[1167 ]
Behandlungscompliance und -adherence [1168 ]
gesundheitsbezogene Lebensqualität [1169 ]
Therapienebenwirkungen, z. B. Übelkeit und Erbrechen
[1161 ]
Schmerzen [1170 ]
[1171 ]
[1172 ]
Fatigue [1173 ]
[1174 ]
[1175 ]
soziale Beziehungen, Kommunikation [1172 ]
[1176 ]
Selbstkonzept und Körperbild [1177 ]
[1178 ]
[1179 ]
Sexualität [1152 ]
[1177 ]
[1178 ]
[1179 ]
neuropsychologische Beeinträchtigungen (Aufmerksamkeit,
Gedächtnis, Konzentrationsfähigkeit) [1180 ]
Speziell bei Lungenkarzinompatienten:
Psychoonkologische Interventionen umfassen
mit unterschiedlicher Schwerpunktsetzung im Akutkrankenhaus und der akuten
ambulanten Versorgung, in der Rehabilitationsklinik und im weiteren Verlauf der
Nachsorge bzw. palliativen Versorgung folgende Maßnahmen:
supportives Einzelgespräch [1161 ]
[1183 ]
[1157 ]
[1184 ]
Krisenintervention [1152 ]
Patientenschulung, psychoedukative Gruppenintervention
[1161 ]
[1183 ]
[1185 ]
[1186 ]
[1187 ]
[1188 ]
Entspannungsverfahren und gelenkte Imagination
[1189 ]
[1190 ]
neuropsychologisches Training [1180 ]
künstlerische Therapieverfahren (Kunst-, Musik- und
Tanztherapie) [1191 ]
Paar- und Familiengespräch [1177 ]
[1161 ]
[1157 ]
Anbahnung und Vermittlung der Nachsorge (NHMRC 2003)
sozialrechtliche Beratung (NHMRC 2003)
Sterbebegleitung [1148 ]
[1192 ]
Sofern krankheitsbedingt psychische Störungen auftreten
(z. B. akute Belastungsreaktionen, Anpassungsstörungen, Depression,
Angst- und Panikstörungen, posttraumatische Belastungsreaktionen), sollten
psychoonkologisch-psychotherapeutische Interventionen von Ärzten oder
Psychologen durchgeführt werden, die über eine psychoonkologische
Zusatzausbildung und darüber hinaus über eine psychotherapeutische
Weiterbildung verfügen.
Empfehlungen
• Psychoonkologische Behandlungsmaßnahmen sind in das
Gesamtkonzept der onkologischen Therapie zu integrieren, um physische sowie
psychosoziale Krankheits- und Behandlungsfolgen zu reduzieren, die
Krankheitsverarbeitung zu erleichtern, die Lebensqualität sowie die
Behandlungscompliance zu verbessern. Angehörige sollten einbezogen werden
(Empfehlungsgrad D).
• Alle Patienten und deren Angehörige sollten von
ärztlicher Seite frühzeitig über Möglichkeiten
psychoonkologischer Hilfestellungen informiert werden (Empfehlungsgrad D).
10.4 Bedarfsfeststellung
Vor dem Hintergrund der unter Punkt 10.2 genannten Daten kann von
einem hohen Bedarf an psychoonkologischer Unterstützung bei
Lungenkarzinompatienten ausgegangen werden. Die Mannigfaltigkeit und
Komplexität der individuellen Reaktionen auf die Tumorerkrankung in
unterschiedlichen Krankheits- und Behandlungsphasen erfordert, dass der
psychosoziale Behandlungsbedarf von Fall zu Fall festgestellt wird und eine
psychoonkologische Fachkraft bei Bedarf hinzugezogen wird. Nur so kann auf die
unterschiedlichen Problemlagen und Belastungen adäquat eingegangen werden.
Grundsätzlich sollten alle Lungenkarzinompatienten auf eigenen Wunsch,
nach dem klinischen Urteil des medizinischen Behandlungsteams oder der
psychoonkologischen Fachkraft Zugang zu psychoonkologischen Leistungen haben.
Routinemäßig eingesetzte Screening-Instrumente, z. B.
Psychoonkologische Basisdokumentation (Po-BADO: [1193 ]), die Hospital Anxiety and Depression Scale (HADS:
[1145 ]
[1146 ]), der Fragebogen
zur Belastung von Krebskranken (FBK-R23 : [1194 ]), der Hornheider Fragebogen [1195 ] oder das Distress-Thermometer [1196 ] liefern Anhaltspunkte für einen
Betreuungsbedarf (Übersicht bei: [1197 ]). Bei
Patienten mit erhöhten Schwellenwerten ist eine diagnostische
Abklärung durch eine psychoonkologische Fachkraft erforderlich.
Empfehlungen
Psychoonkologische Interventionen sind am individuellen Bedarf
der Patienten auszurichten und sollten frühestmöglich angeboten
werden. Zur Bedarfsfeststellung sollten neben dem klinischen Urteil validierte
Screening-Instrumente eingesetzt werden. Bei überschwelligen
Belastungswerten sollte eine weitere diagnostische Abklärung und
gegebenenfalls Behandlung durch eine psychoonkologische Fachkraft erfolgen
(Empfehlungsgad D).
10.5 Kontinuierliche psychoonkologische Versorgung
Eine wirkungsvolle psychoonkologische Versorgung beschränkt
sich nicht auf die Situation der Akutbehandlung. Erfahrungsgemäß
benötigen Lungenkarzinompatienten auch in der stationären
Rehabilitation und in der ambulanten Nachsorge Unterstützung bei der
Bewältigung der Erkrankung und der damit einhergehenden psychosozialen
Belastungen. Entsprechende Angebote in Rehabilitationseinrichtungen und im
ambulanten Bereich müssen daher vorhanden sein. Besonders
Selbsthilfeangebote können ergänzend zu professionellen Hilfen zu
einer psychischen Stabilisierung beitragen.
Empfehlung
Um eine kontinuierliche psychoonkologische Betreuung nach der
stationären Behandlung zu gewährleisten, sind die Patienten über
weiterführende ambulante und nachsorgende Angebote (wie Psychosoziale
Krebsberatungsstellen, Selbsthilfegruppen, niedergelassene Psychotherapeuten,
Sozialdienste etc.) zu informieren. Eine enge Verzahnung der stationären
und ambulanten psychoonkologischen Leistungsanbieter ist anzustreben
(Empfehlungsgrad D).
10.6 Regelmäßige Erfassung der Lebensqualität
im Krankheitsverlauf
Es hat sich als hilfreich erwiesen, neben den klassischen
Parametern für die Beurteilung und Planung der Diagnostik und
Therapiemaßnahmen auch Informationen zur gesundheitsbezogenen
Lebensqualität („health-related quality of life”)
einzubeziehen. So können Probleme frühzeitig identifiziert sowie
Symptomveränderungen und Therapiereaktionen rechtzeitig erkannt werden.
Außerdem wird durch die regelmäßige Erfassung der
Lebensqualität die Kommunikation und das Vertrauensverhältnis
zwischen Arzt, Patient und Angehörigen gefördert
[1198 ]. Die Selbstbeurteilung durch den Patienten ist
der Fremdbeurteilung durch den Arzt vorzuziehen, es gibt Hinweise, dass
Ärzte dazu neigen, die Schwere der Symptome zu unterschätzen.
Für die Messung der Lebensqualität sollten strukturierte, aber auch
praktikable und in der Routine einsetzbare Selbstbeurteilungsinstrumente
verwendet werden. Übliche Messinstrumente erheben Daten zu Dimensionen wie
körperliche Verfassung, psychisches Befinden, kognitive
Leistungsfähigkeit, soziale Beziehungen und Funktionsfähigkeit im
Alltag sowie zu einer Reihe von Symptomen wie Fatigue, Schmerzen etc.
In deutscher Übersetzung liegen eine Reihe von Fragebogen vor
(Auswahl):
EORTC QLQ-C30 – Kernfragebogen zur Erfassung
gesundheitsbezogener Lebensqualität von der European Organisation for
Research and Treatment of Cancer (30 Fragen)
FACT – Skalen – Functional Assessment of Cancer
Therapy (32 Fragen)
FLIC – Functional Living Index Cancer (22 Fragen)
SF-36 Health Survey (36 Fragen)
Neben diesen allgemeineren Instrumenten zur Erfassung von
Lebensqualität stehen auch Fragebogen zur speziellen Situation beim
Bronchialkarzinom zur Verfügung, die zusätzlich eingesetzt werden
können (z. B. Lung Modul in Ergänzung zum EORTC QLQ C30; Lung
Cancer Symptom Scale LCSS).
Die Verfahren sind in aufwendigen Studien hinsichtlich ihrer
Messgüte (Reliabilität, Validität und Sensitivität)
überprüft worden [1199 ]
[1200 ]. Kontrollierte Studien zum Einsatz in der Routine
der praktischen Patientenversorgung liegen vor [1198 ]
[1201 ]
[1202 ]. Es sollte von Fall zu Fall entschieden werden,
welches Instrument für ein bestimmtes Setting geeignet ist und einem
Patienten zugemutet werden kann.
Empfehlung
Die gesundheitsbezogene Lebensqualität der Patienten sollte
regelmäßig im Krankheitsverlauf durch den behandelnden Arzt
beurteilt werden. Hierbei können, soweit die Krankheitssituation der
Patienten es zulässt, geeignete standardisierte Fragebogen eingesetzt
werden, welche die Lebensqualität im Selbsturteil des Patienten abbilden
(Empfehlungsgrad D).
11 Supportive Behandlung beim Lungenkarzinom
11 Supportive Behandlung beim Lungenkarzinom
11.1 Definition supportive Behandlung
Die supportive Behandlung beinhaltet, unabhängig vom
Krankheitsstadium, nicht-Tumor-gerichtete unterstützende und begleitende
therapeutische Maßnahmen, deren Ziel es ist, Therapie-bedingte
Nebenwirkungen und tumorbedingte Symptome zu verhindern oder zu bessern. Dies
schließt auch die Behandlung von psychosozialen und spirituellen
Problemen ein, die durch die Tumorerkrankung selbst oder die Therapie
hervorgerufen werden.
11.2 Antiemetische Prophylaxe und Therapie
Die wirksamste antiemetische Maßnahme ist eine antiemetische
Prophylaxe bei Patienten mit potenziell emetogener Therapie. Für den
Einsatz von Antiemetika bzw. zur Verhütung von Chemotherapie- und
Radiotherapie-induziertem Erbrechen gibt es zwei aktuelle Leitlinien
[1203 ]
[1204 ], deren
Empfehlungen für durch Chemotherapie hervorgerufene Übelkeit und
Erbrechen überwiegend eine hohe Evidenz aufweisen (Evidenztab. 11.2.1).
Dagegen ist die Datenlage hinsichtlich durch Strahlentherapie induzierten
Erbrechens deutlich schlechter. Übereinstimmend orientiert sich die
antiemetische Prophylaxe in beiden Leitlinien hauptsächlich am emetogenen
Potenzial der Tumortherapie.
11.2.1 Chemotherapie
Ziel der antiemetischen Prophylaxe ist es, sowohl akute als auch
verzögerte Chemotherapie-induzierte Übelkeit und Erbrechen zu
verhüten. Das wichtigste Kriterium für die Auswahl der antiemetischen
Prophylaxe ist das emetogene Potenzial der Chemotherapie ([Tab. 22 ]). Daneben gibt es patientenbezogene
Risikofaktoren für Übelkeit und Erbrechen, wie z. B.
weibliches Geschlecht und frühere Erfahrungen mit Übelkeit/Erbrechen,
die ebenfalls berücksichtigt werden sollten.
Empfehlungen
Es wird empfohlen, bei niedrig, moderat und hoch emetogener
Chemotherapie eine medikamentöse antiemetische Prophylaxe zu verwenden,
die sich am emetogenen Potenzial der eingesetzten Chemotherapie orientiert und
das Risikoprofil des Patienten berücksichtigt (Empfehlungsgrad A).
Lediglich bei Zytostatika mit minimalem emetogenen Risiko,
d. h. unter 10 %, wird keine routinemäßige
antiemetische Prophylaxe empfohlen (Empfehlungsgrad D).
Tab. 22 Emetogenes Risiko
intravenöser Zytostatika, die beim Lungenkarzinom verwendet werden
[1203 ].
hohes
Risiko (Erbrechen ohne antiemetische Prophylaxe
> 90 %)
– Cisplatin
moderates
Risiko (Erbrechen ohne antiemetische Prophylaxe
30 – 90 %)
–
Carboplatin – Cyclophosphamid –
Doxorubicin – Epirubicin – Ifosfamid
– Irinotecan – Paclitaxel
geringes
Risiko (Erbrechen ohne antiemetische Prophylaxe
10 – 30 %)
–
Docetaxel – Etoposid – Gemcitabin
– Pemetrexed – Topotecan
minimales
Risiko (Erbrechen ohne antiemetische Prophylaxe
< 10 %)
– Bevacizumab
– Vincristin – Vinorelbin
Tab. 23 Prophylaktische
antiemetische Therapie bei Chemotherapie nach ASCO und MASCC Leitlinien
entsprechend dem emetogenen Risiko ohne Antiemetikagabe [1203 ]
[1204 ].
emetogenes
Risiko der Chemotherapie
antiemetische
prophylaktische Therapie
hoch
(> 90 %)
5-HT3-Rezeptorantagonist an Tag 1* Dexamethason an
Tag 1 – 3§
Aprepitant an Tag
1 – 3
moderat
(30 – 90 %)
5-HT3-Rezeptorantagonist an Tag 1* Dexamethason an
Tag 1 (plus Aprepitant an Tag 1 – 3 bei Kombination von
Anthrazyklin/Cyclophosphamid und Risikofaktoren)
niedrig
(10 – 30 %)
Dexamethason an Tag 1
minimal
(< 10 %)
keine
routinemäßige antiemetische Prophylaxe
*5-HT3-Rezeptorantagonisten sind bei
äquipotenten Dosierungen gleich effektiv und sicher.
§ 5-HT3-Rezeptorantagonisten (in Kombination mit
Dexamethason) bringen keinen zusätzlichen Nutzen gegen verzögerte
Übelkeit/Erbrechen [1205 ].
Eine Indikation für Metoclopramid besteht nur noch bei
Patienten, die trotz adäquater Prophylaxe Chemotherapie-assoziierte
Übelkeit oder Erbrechen haben.
11.2.2 Strahlentherapie
Die Datenlage für Empfehlungen hinsichtlich der
antiemetischen Therapie/Prophylaxe während einer Strahlentherapie ist
spärlich [770 ] (Evidenztab. 11.2.2). In der Regel
kann die alleinige lokale Strahlentherapie für das Lungenkarzinom als
minimal emetogen eingeschätzt werden und erfordert keine prophylaktische
Antiemese. Die Ganzhirnbestrahlung ist ebenfalls mit einem minimalen
Emesisrisiko verbunden. Die kraniospinale Bestrahlung ist, ebenso wie eine
Bestrahlung im unteren Thoraxbereich, nach den aktuellen Leitlinien der MASCC
und der ASCO mit einem niedrigen Risiko für Erbrechen verbunden
[1203 ]
[1204 ]. Nach den
ASCO-Leitlinien wird prophylaktisch vor jeder Bestrahlung mit niedrigem Risiko
die Gabe eines 5-Hydroxytryptamin-3-(5-HT3)-Rezeptorantagonisten empfohlen,
nach den MASCC-Leitlinien ist sowohl die prophylaktische Gabe als auch die Gabe
erst bei Auftreten von Übelkeit/Erbrechen, im Sinne einer
„Rescue-Therapie”, möglich.
Empfehlungen
• Bei alleiniger lokaler Strahlentherapie eines
Lungenkarzinoms wird keine routinemäßige antiemetische Prophylaxe
empfohlen (Empfehlungsgrad C).
• Bei Strahlentherapie mit niedrigem Emesisrisiko
(kraniospinale Achse, Einbeziehung des unteren Thorax) kann eine Prophylaxe
während der gesamten Behandlung oder eine Medikation mit einem
5-HT3-Rezeptorantagonisten erst bei Auftreten von Erbrechen gegeben werden
(Empfehlungsgrad B).
• Im Rahmen einer Radiochemotherapie sollte sich die
antiemetische Prophylaxe nach dem emetogenen Potenzial der eingesetzten
Zytostatika richten (Empfehlungsgrad D).
11.3 Anämiebehandlung
Bei Tumor- oder Chemotherapie-induzierter Anämie reduzieren
nach einer Metaanalyse rekombinante humane Erythropoetine (Epoetin,
Darbepoetin) das Risiko für Erythrozytentransfusionen signifikant
(RR = 0,64, 95 %
CI = 0,60 – 0,68)
[1206 ] (Evidenzgrad 1a). Die Behandlung mit Epoetin
oder Darbepoetin erhöht jedoch das Risiko für thromboembolische
Ereignisse signifikant (RR = 1,67, 95 %
CI = 1,35 – 3,84). Es besteht eine
zunehmende Unsicherheit, wie Erythropoetine das Überleben beeinflussen
(HR = 1,08, 95 %
CI = 0,99 – 1,18)
[1206 ]
[1207 ].
Bei Patienten mit Lungenkarzinom ergab sich in älteren
Studien, in denen Erythropoetin während der zytostatischen Behandlung
eingesetzt wurde, kein Einfluss auf die Überlebenszeit
[1208 ]
[1209 ]. Dagegen wurde
in einer kürzlich publizierten und vorzeitig abgebrochenen Studie mit
Epoetin alpha bei Patienten mit fortgeschrittenem nicht-kleinzelligem
Lungenkarzinom mit nicht-Chemotherapie-assoziierter Tumoranämie ein
signifikant kürzeres medianes Überleben in der Epoetingruppe im
Vergleich zu Placebo gefunden (HR 1,84, 95 % CI
1,01 – 3,35; p = 0,04), wobei der
Ziel-Hämoglobinwert in dieser Studie zwischen 12 und 14 g/dl lag
[1207 ].
Auch hinsichtlich eines Einflusses der Erythropoetingabe auf die
Lebensqualität bei Patienten mit Lungenkarzinom sind die Daten nicht
homogen. Es gibt Studien, welche eine Verbesserung einiger
Lebensqualitätsparameter zeigten, und eine Studie, in der kein Unterschied
zwischen Placebo und Epoetin gefunden wurde [1209 ]
[1210 ]
[1206 ] (Evidenzgrad
1b).
Die aktuellen EORTC-Leitlinien empfehlen beim Einsatz von
Erythropoetin bei anämischen Tumorpatienten, dass nur bis zu einem
Ziel-Hämoglobinwert von 12 (bis maximal 13 g/dl) behandelt wird
[1211 ].
Bei älteren Patienten mit Lungenkarzinom unter Chemotherapie
besteht eine Korrelation zwischen dem Grad der Anämie und kognitiven bzw.
funktionellen Fähigkeiten. Erythropoetin hat in dieser Patientengruppe
möglicherweise einen günstigen Einfluss während einer
Chemotherapie durch eine Erhöhung der Hämoglobinwerte
[1212 ] (Evidenzgrad 4) (Evidenztab. 11.3).
Empfehlungen
• Erythropoetin kann bei anämischen Patienten mit
Lungenkarzinomen zur Minderung der Notwendigkeit für Transfusionen
während der Chemotherapie gegeben werden (Empfehlungsgrad B).
• Ein Ziel-Hb von 12 g/dl sollte nicht
überschritten werden (Empfehlungsgrad A).
• Besondere Vorsicht ist geboten bei Patienten mit hohem
thromboembolischem Risiko.
• Beim Einsatz von Erythropoetinen zur
Anämiebehandlung unter Chemotherapie bei Patienten mit nicht-kleinzelligem
Lungenkarzinom sollte darauf hingewiesen werden, dass ein negativer Einfluss
auf die Überlebenszeit nicht ausgeschlossen werden kann (Empfehlungsgrad
B).
• Zurzeit wird, außerhalb von Studien, von
Erythropoetin zur Behandlung von Tumoranämie bei Patienten mit
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen, welche keine Chemotherapie erhalten,
abgeraten (Empfehlungsgrad B).
11.4 Behandlung mit Wachstumsfaktoren der Granulopoese
Mit einer prophylaktischen Gabe von G-CSF (Filgrastim, Lenograstim
oder Pegfilgrastim) lässt sich beim kleinzelligen Lungenkarzinom die Rate
an febrilen Neutropenien und Infektionen unter Chemotherapie reduzieren
(Evidenzgrad 1a) [1213 ]
[1214 ]. Auch die infektionsassoziierte Mortalität
kann mit granulopoetischen Wachstumsfaktoren gesenkt werden, doch wurde bisher
kein signifikanter Einfluss auf das Gesamtüberleben gefunden
[1213 ]. Neben der Chemotherapie sind bei der
Einschätzung des Risikos für eine febrile Neutropenie
patientenbezogene Faktoren wie z. B. das Alter, der Allgemeinzustand,
Komorbiditäten u. a. bedeutsam [1214 ].
Falls nicht spezielle Risiken vorliegen (beispielsweise
zytostatische Vortherapien), ist bei den meisten Standardchemotherapien, welche
bei Patienten mit nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen eingesetzt werden, das
Risiko für eine febrile Neutropenie unter 20 %
[1213 ]. Zu den Chemotherapieregimen mit einem
über 20 %igen Risiko gehören z. B. ACE, ICE und
Topotecan [1213 ]
[1214 ].
Eine sekundäre Prophylaxe wird bei Patienten empfohlen, die
im vorhergehenden Zyklus ohne Wachstumsfaktorgabe eine neutropenische
Komplikation erlitten haben und bei denen eine Dosisreduktion der Chemotherapie
den Therapieeffekt mindern würde [941 ]
(Evidenztab. 11.4).
Empfehlungen
• Die Primärprophylaxe mit einem granulopoetischen
Wachstumsfaktor während der Chemotherapie wird bei Patienten mit einem
über 20 %igen Risiko für eine febrile Neutropenie
empfohlen, bzw. bei Patienten mit einem niedrigeren Risiko von 10 bis
20 % unter Berücksichtigung von patientenbezogenen
Risikofaktoren (Empfehlungsgrad A).
• Granulopoetische Wachstumsfaktoren sollten nicht
routinemäßig bei Patienten mit afebriler Neutropenie oder
therapeutisch zusätzlich zur Antibiose bei Patienten mit febriler
Neutropenie gegeben werden. Sie sind jedoch zu erwägen bei Patienten mit
Fieber und Neutropenie, wenn ein hohes Risiko für infektionsassoziierte
Komplikationen besteht, wie z. B. Alter über 65 Jahre, Pneumonie
oder Sepsis (Empfehlungsgrad C).
• Während einer Radiochemotherapie wird keine
prophylaktische Gabe von G-CSF empfohlen (Empfehlungsgrad D).
11.5 Antibiotikaprophylaxe unter Chemotherapie
Eine antibiotische Prophylaxe kann das Risiko febriler
Neutropenien im 1. Behandlungszyklus bei Patienten mit Lungenkarzinomen
signifikant vermindern (Evidenzgrad 1b) [1215 ]
[882 ]. In einer prospektiven, placebokontrollierten Studie
mit einem Anteil von 25 % Patienten mit Lungenkarzinom wurde mit
Levofloxacin im 1. Chemotherapiezyklus die Rate febriler Neutropenien
signifikant gesenkt (3,5 vs. 7,9 %, p < 0,001)
[1215 ]. In einer multivariaten Analyse hatten in
dieser Studie, nach Patienten mit Hodenkarzinomen, Patienten mit kleinzelligem
Lungenkarzinom im 1. Chemotherapiezyklus mit 9,1 % das
höchste Risiko für eine febrile Neutropenie [1215 ]. Sie profitierten sowohl im 1. als auch den
folgenden Therapiezyklen am meisten von der Antibiotikaprophylaxe.
Der Effekt einer Antibiotikaprophylaxe ist umso geringer
ausgeprägt, je weniger intensiv die Chemotherapie ist. Bei einem breiten
prophylaktischen Antibiotikaeinsatz ist das Risiko für
Resistenzentwicklungen zu berücksichtigen und gegen den klinischen Nutzen
abzuwägen.
Bei intensiveren Chemotherapien verringert die Kombination aus
G-CSF und prophylaktischer Antibiose die Rate febriler Neutropenien im 1.
Chemotherapiezyklus stärker als die Antibiose alleine
[1216 ]. Ob diese Kombination gegenüber einer
primären Prophylaxe mit G-CSF einen zusätzlichen Nutzen bringt, ist
unklar (Evidenztab. 11.5).
Empfehlungen
• Im 1. Zyklus der Chemotherapie kann zur Reduktion des
Risikos für eine febrile Neutropenie eine antibiotische Prophylaxe gegeben
werden (Empfehlungsgrad B).
• Vor- und Nachteile einer prophylaktischen Antibiotikagabe
sollten sorgfältig gegeneinander abgewogen werden.
11.6 Mukositisprophylaxe und -therapie
Daten zur Mukositisprophylaxe und -therapie unter Strahlentherapie
sind beim Lungenkarzinom spärlich. Es existieren Leitlinien der MASCC aus
2006, welche Patienten mit Lungenkarzinom einschließen. Eine sicher
wirksame, evidenzbasierte Prophylaxe der Mukositis beim Lungenkarzinom ist
derzeit nicht bekannt. Die Daten zu Amifostin sind widersprüchlich.
Bei Auftreten einer Mukositis ist eine adäquate
symptomatische Therapie, insbesondere die analgetische Therapie und die
Sicherstellung der Ernährung vorrangig. Bei Superinfektion ist eine
entsprechende antiinfektive Therapie erforderlich.
Empfehlung
Derzeit kann keine Empfehlung zur medikamentösen
Mukositisprophylaxe bei Patienten mit Lungenkarzinom gegeben werden
(Empfehlungsgrad D).
11.7 Prophylaxe und Behandlung von Nebenwirkungen der
Strahlentherapie an Haut und Lunge
11.7.1 Haut
Die Intensität der Hautreaktion wird bestimmt durch die
Dosisbelastung an der Haut. Diese kann in vielen Fällen durch
hochenergetische Photonen und eine Mehrfeldertechnik auf unter
10 – 30 % der Tumordosis minimiert werden.
Das Erythemrisiko ist abhängig von verschiedenen Parametern:
Lokalisation: Erythemgefährdete Bereiche sind
insbesondere der vordere HNO-Bereich, die Ellenbeugen und Kniekehlen, Leisten
und Axillen. Bauch, Thoraxwand und Mammae gelten als mäßig
erythemgefährdet. Hände sind nicht sensibel.
Dosierung und Fraktionierung (Einzel-, Gesamtdosis,
Fraktionierungsintervall)
simultane Chemotherapie: verstärkte Reaktionen nach
Taxol, Adriamycin, Gemcitabin u. a.
erhöhte Hautdosis durch Nutzung von Keilfiltern,
Maskenmaterial, Bolusmaterial
exogene Reize (z. B. Druck, Reibung, Wärme, Eis,
Sonneneinstrahlung)
Patientenbesonderheiten (Adipositas, Hautfalten usw.)
sensibilisierende Substanzen (Johanniskraut u. a.
)
genetische Prädisposition
Eine effektive Prophylaxe der akuten Hautreaktion ist nicht
bekannt. Während der Strahlentherapie sollten zusätzliche Reize
(Spray, Wärme/Kälte, Reibung usw.) vermieden werden. Das früher
empfohlene Waschverbot gilt heute als überholt. Pudern der Haut hat keine
prophylaktische Wirkung und zeigt keinen Vorteil gegenüber einer Pflege
mit Creme oder Lotionen, unabhängig von der Substanz. Eine Vielzahl von
Substanzen, Cremes, Lotionen usw. wurde mit dem Ziel der Minimierung der akuten
Hautreaktion getestet. Es konnte in keiner Studie ein Vorteil für eine
bestimmte Pflege oder Substanz nachgewiesen werden.
Die Therapie von Grad-3-Toxizitäten beinhaltet die
symptomatische Therapie sowie die Prophylaxe und Therapie einer Superinfektion.
Auch hier konnte kein Vorteil für eine bestimmte Substanz nachgewiesen
werden. Bei Epitheliolysen haben sich Alginatverbände bewährt, bei
superinfizierten Epitheliolysen können Silber-Kohle-Verbände
verwendet werden.
Empfehlung
Während der Strahlentherapie sollten zusätzliche
intensive physikalische Reizungen der Haut vermieden werden (Empfehlungsgrad
D).
11.7.2 Lunge
Eine Pneumonitis ist dosislimitierend. Eine Prophylaxe der
Pneumonitis erfolgt derzeit durch eine subtile Bestrahlungsplanung mit
Einhaltung der Toleranzdosen der Lungen. Eine effektive medikamentöse
Prophylaxe ist derzeit nicht bekannt. Die Therapie der Pneumonitis beinhaltet
die Gabe von initial 50 mg Prednisolon pro Tag. Die Dosisredukion sollte
vorsichtig erfolgen. Die Therapie sollte über 4 – 8
Wochen weitergeführt werden, um einen Rebound-Effekt zu vermeiden. Eine
prophylaktische Antibiotikabehandlung wird nicht empfohlen, sie kann in
Einzelfällen bei Risikofaktoren hilfreich sein.
11.8 Störungen des Elektrolythaushalts
11.8.1 Hyponatriämie
Das paraneoplastische Syndrom der inadäquaten Sekretion von
antidiuretischem Hormon (SIADH) ist definiert durch folgende Symptome: a)
Hyponatriämie, b) Hypoosmolalität des Plasma, c) keine
Diuretikaeinnahme, d) kein extrazelluläres Volumendefizit, e)
Urinosmolalität größer als Plasmaosmolalität, f) normale
Nierenfunktion, g) normale Nebennierenfunktion, h) Euthyreose
[1381 ]. Es tritt gehäuft beim kleinzelligen
(klinisch manifest in ca. 4 %, biochemisch in ca.
10 – 15 %) und selten beim
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinom (0,7 % biochemisch manifest)
auf, kann aber auch bei anderen malignen und nicht-malignen Erkrankungen
(z. B. Niereninsuffizienz, nephrotisches Syndrom, Herzinsuffizienz,
Leberzirrhose, Hyperthyreose, Hyperglykämie etc.) vorkommen oder
medikamentös bedingt sein (z. B. durch Zytostatika, Diuretika,
Antidepressiva, Benzodiazepine und Neuroleptika). Das führende Symptom,
die Hyponatriämie, kann gelegentlich akut lebensbedrohlich sein. In
solchen Notfallsituationen kann das Infundieren hypertoner Kochsalzlösung
sinnvoll sein. Für eine langfristige Kontrolle entscheidend ist aber eine
wirksame antineoplastische Therapie (Chemotherapie oder/und Bestrahlung bzw.
Operation), evtl. verbunden mit einer restriktiven Flüssigkeitszufuhr,
denn nur sie führt zum Sistieren des SIADH und somit auch der
Hyponatriämie (Evidenzgrad 2b).
Diesbezüglich gibt es aber bisher keine prospektiv
randomisiert erhobenen Daten beim Lungenkarzinom.
Empfehlungen
• Zur ursächlichen Behandlung eines SIADH im Rahmen
eines Lungenkarzinoms wird die rasche Durchführung der entsprechenden
antineoplastischen Therapie (Chemotherapie, Strahlentherapie bzw. Operation)
empfohlen (Empfehlungsgrad B).
• Zur initialen symptomatischen Therapie wird eine
restriktive Flüssigkeitszufuhr und eine vorsichtige Kochsalzsubstitution
empfohlen (Empfehlungsgrad D).
11.8.2 Hyperkalzämie
Die Hyperkalzämie gehört zu den häufigsten
lebensbedrohlichen, metabolischen Komplikationen von Tumorerkrankungen
einschließlich der Lungenkarzinome. Patienten mit und ohne
Knochenmetastasen können eine Hyperkalzämie entwickeln.
Aminobisphosphonate sind die wirksamsten Medikamente gegen die
Tumorhyperkalzämie. Daneben beinhaltet die Behandlung, abhängig vom
Ausmaß der Hyperkalzämie, vor allem die Gabe von Flüssigkeit
(physiologische Natriumchloridlösung), Kortikosteroiden und gegebenenfalls
Schleifendiuretika.
In einer prospektiv randomisierten Studie bei 773 Patienten, von
denen annähernd 50 % ein nicht-kleinzelliges und
8 % ein kleinzelliges Lungenkarzinom hatten, reduzierte
Zoledronat die Rate an Skelettkomplikationen, einschließlich
Hyperkalzämie signifikant, verglichen mit Placebo (Evidenzgrad 1b)
[780 ]. Mit Zoledronat wurde in einer weiteren Studie
ein signifikant höherer Anteil von Patienten mit Tumorhyperkalzämie
nach 10 Tagen normokalzämisch als mit Pamidronat, 88,4 % mit
4 mg Zoledronat vs. 69,7 % mit 90 mg Pamidronat
(p = 0,002) (Evidenzgrad 1b) [1217 ] (Evidenztab. 11.8.2).
Zum prophylaktischen Einsatz von Bisphosphonaten bei
Skelettmetastasen siehe Kapitel 7.5.6.7.
Empfehlung
Bei Patienten mit Lungenkarzinom und einer Hyperkalzämie
sind, neben einer ausreichenden Flüssigkeitszufuhr, Aminobisphosphonate
die Behandlungsform der ersten Wahl (Empfehlungsgrad A).
11.9 Komplementärmedizin
Umfragen unter Patienten in Deutschland legen nahe, dass bis zu
80 % aller Krebskranken zu irgendeinem Zeitpunkt ihres
Krankheitsverlaufs sogenannte „komplementärmedizinische”
Verfahren anwenden. Die Vielfalt dieser Verfahren ist groß und reicht von
pflanzlichen Präparaten über biotechnologische Methoden bis zu
spirituellen Praktiken [1218 ].
Nach einer Definition von Cassileth et al. ist eine
„komplementärmedizinische” Behandlung dadurch
gekennzeichnet, dass die Verfahren zeitgleich zur konventionellen Therapie
angewendet werden mit dem Ziel, Symptome besser zu kontrollieren, Beschwerden
zu mindern und Lebensqualität zu verbessern [1219 ]. Viele dieser Behandlungen sind allerdings dadurch
gekennzeichnet, dass ihre behauptete klinische Wirksamkeit nicht oder noch
nicht ausreichend belegt und die Sicherheit vielfach nicht geprüft ist
[1220 ].
11.9.1 Krankheitsauseinandersetzung
Die Beschäftigung mit
„Komplementärmedizin” ist für Betroffene immer auch
Teil ihrer Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Es geht hierbei um
Perspektiven, die Hoffnung geben bei Gefühlen der Unsicherheit, Angst und
Verzweiflung, und den Wunsch, „nichts zu versäumen” oder
aktiv zur Behandlung beizutragen [1221 ].
Allerdings entspricht nicht jeder Wunsch nach
„Komplementärmedizin” einem wirklich inneren Bedürfnis
des Patienten. Manche Betroffene werden von außen, etwa durch
wohlgemeinte Ratschläge von Freunden und Verwandten, dazu gedrängt
oder durch eine reißerische Berichterstattung der Medien oder naive und
unseriöse Versprechungen medizinischer Außenseiter fehlgeleitet.
11.9.2 Ärztliche Beratung
Die Beratung zu „komplementärmedizinischen”
Behandlungen sollte durch onkologisch erfahrene Fachleute durchgeführt
werden und hat als wichtige Ziele:
das therapeutische Bündnis zwischen Betroffenen und
Behandlern zu stärken
Betroffene vor Schäden zu schützen, die aus nicht
qualifizierter Anwendung „komplementärmedizinischer”
Behandlungen resultieren können
Unterstützung bei der Krankheitsverarbeitung zu
leisten
Initiativen der Betroffenen bezüglich einer
gesundheitsbezogenen, aktiven und individuellen Rolle im Behandlungskonzept
zu
födern [1222 ]
Die fachkundige Beratung vermittelt zwischen Bedürfnissen
und Interessen der Betroffenen, wissenschaftlichen Daten, Aspekten des
Verbraucherschutzes und einem verantwortungsvollen Umgang mit begrenzten
Ressourcen im Gesundheitswesen. Kompetenz im kommunikativen Umgang mit dem
Thema bedeutet, das Anliegen und Erleben der Patienten zu verstehen sowie
Authentizität und Integrität des ärztlichen Handelns
verständlich zu machen [1223 ]
[1224 ]. Eine schroff ablehnende Haltung gegenüber der
Anwendung „komplementärmedizinischer” Verfahren kann
Vertrauen in die Patienten-Arzt-Beziehung mindern, die Compliance
verschlechtern und bis zum Therapieabbruch führen [1225 ]
[1226 ]
[1227 ].
11.9.3 Medikamentöse Verfahren
Neben Änderungen der Ernährung und der Einnahme
verschiedenster Nahrungsergänzungsmittel zählen pflanzliche
Präparate (z. B. Mistelextrakte) und solche aus Tierorganen
(z. B. Thymusextrakte) oder Mischpräparate (z. B.
Enzympräparate) zu den am weitesten verbreiteten
„komplementärmedizinischen” Verfahren in Deutschland. Zu
keinem dieser Verfahren reichen die Ergebnisse klinischer Studien aus, um
eindeutige Empfehlungen für die onkologische Praxis zu geben
[1220 ]
[1223 ]
[1228 ].
Bei einigen pflanzlichen Präparaten (z. B.
Johanniskrautextrakte) können durch Induktion oder Inhibition
gastrointestinaler und/oder hepatischer Enzyme Wechselwirkungen mit
konventionellen Medikamenten auftreten [1229 ].
Aufgrund der teils widersprüchlichen, teils unklaren
Datenlage sollten Stoffe mit antioxidativen Wirkungen, wie z. B. Selen,
Vitamin C, β-Karotin oder Vitamin E, nicht in höheren Dosierungen
zeitgleich zur Radio- und/oder Chemotherapie gegeben werden
[1230 ]
[1231 ]
[1232 ]
[1233 ].
11.9.4 Ernährung
Durch eine wissenschaftlich fundierte Ernährungsberatung,
die sich individuell an den Beschwerden und Bedürfnissen der Betroffenen
orientiert, krankheits- oder therapiebedingte Defizite an Nährstoffen
berücksichtigt und gegebenenfalls ernährungstherapeutisch tätig
wird, kann die Hoffnung der Betroffenen, mit diätetischen Maßnahmen
positiv auf den Krankheitsverlauf einzuwirken, auf gesicherte Empfehlungen und
Maßnahmen gerichtet und so die Anwendung unausgewogener Krebsdiäten
und Einnahme nicht erforderlicher Nahrungsergänzungsmittel vermieden
werden [1234 ]
[1235 ]
[1236 ].
11.9.5 Entspannungs- und Achtsamkeitsverfahren
Der fachkundige Einsatz von Entspannungs- und
Achtsamkeitsverfahren wie auch von körperbezogenen Verfahren
einschließlich Akupuktur und Akupressur kann erkrankungs- oder
therapiebedingte Beschwerden und Belastungen mindern und helfen, dass der
Umgang mit der Erkrankung erleichtert wird [1237 ].
Übersichtsarbeiten [1238 ]
[1239 ]
[1240 ]
[1241 ] und klinische
Studien [1242 ]
[1243 ]
[1244 ]
[1245 ]
[1246 ]
[1247 ]
[1248 ]
[1249 ]
[1250 ] bei Menschen mit
unterschiedlichen Krebserkrankungen legen nahe, dass Verfahren wie Imagination,
Meditation, progressive Muskelrelaxation und Hypnose zur Minderung von Angst,
Niedergeschlagenheit Erschöpfung und Schmerzen beitragen.
Auch die Ergebnisse klinischer Studien zur Anwendung von
Akupunktur- und Akupressurverfahren bei Menschen mit unterschiedlichen
Krebserkrankungen weisen daraufhin, dass durch diese Verfahren die
konventionelle Behandlung therapiebedingter Übelkeit und Erbrechen und die
Schmerztherapie hilfreich ergänzt werden kann [1251 ]
[1252 ]
[1253 ]
[1254 ]
[1255 ].
Empfehlungen
• Betroffene, die an Lungenkrebs erkrankt sind oder
waren, sollten aktiv nach der Inanspruchnahme
„komplementärmedizinischer” Medikamente und Verfahren
gefragt werden. Sie sollten die Möglichkeit bekommen, in einem offenen und
an ihren Bedürfnissen orientierten Gespräch verlässliche
Informationen und fachkundig Rat zu diesem Thema zu erhalten (Empfehlungsgrad
B).
• Der Einsatz von Substanzen, bei denen eine behauptete
Wirksamkeit auf das Überleben, das Tumoransprechen oder die
Lebensqualität und damit verbundene Faktoren nicht durch
aussagekräftige Studien nachgewiesen ist, wird außerhalb klinischer
Studien nicht empfohlen (Empfehlungsgrad D)
• Bei der Einnahme pflanzlicher Präparate sollte
geklärt werden, ob pharmakodynamische oder pharmakokinetische
Interaktionen mit gleichzeitig eingesetzten konventionellen Medikamenten oder
Diagnostika möglich sind (Empfehlungsgrad A).
• Während Chemo- oder Strahlentherapie sollten
antioxidativ wirkende Nahrungsergänzungsmittel nicht in Dosierungen
gegeben werden, welche die von Fachgesellschaften in Deutschland,
Österreich und der Schweiz angegebenen Referenzwerte für den
täglichen Bedarf übersteigen (Empfehlungsgrad B).
• Betroffenen, die an Lungenkrebs erkrankt sind oder
waren, sollte eine fachkundige, der Krankheitssituation, der aktuellen Therapie
und den Bedürfnissen angepasste Ernährungsberatung angeboten werden
(Empfehlungsgrad B).
• Wenn immer möglich, sollte auch der Einsatz
nicht-medikamentöser Verfahren zur Minderung erkrankungs- oder
therapiebedingter Beschwerden und Belastungen erwogen werden (Empfehlungsgrad
B).
12 Palliativmedizinische Behandlung beim Lungenkarzinom
12 Palliativmedizinische Behandlung beim Lungenkarzinom
12.1 Definition palliative Behandlung
Palliativmedizin ist ein Ansatz zur Verbesserung der
Lebensqualität von Patienten und ihren Familien, die mit den Problemen
konfrontiert sind, die mit lebensbedrohlichen Erkrankungen einhergehen, und
zwar durch Vorbeugen und Lindern von Leiden, durch frühzeitiges Erkennen,
und sorgfältige Einschätzung und Behandlung von Schmerzen sowie
anderen belastenden Beschwerden körperlicher, psychosozialer und
spiritueller Art (Definition Palliative Care WHO 2002).
12.2 Dyspnoe
Dyspnoe ist ein komplexes, multidimensionales und subjektives
Symptom [1256 ]
[1258 ].
Physikalische, psychologische, emotionale und funktionelle Faktoren
beeinflussen die Einschränkungen der Atmung. Diese Faktoren sowie die
subjektive Wahrnehmung des Patienten, bestimmen den Schweregrad der Dyspnoe und
die Beeinträchtigung der Lebensqualität [1182 ]. Dyspnoe belastet 50 bis fast 80 %
aller Patienten in palliativer Behandlungssituation am Lebensende
[1259 ]
[1260 ]. Bei
Lungenkrebspatienten ist es das häufigste Symptom.
Das akute Atemversagen tritt bei Krebspatienten relativ
häufig auf, nicht notwendigerweise in Zusammenhang mit einer Progression
der Tumorerkrankung [1261 ].
Die tumorbedingten Ursachen für Dyspnoe bei Patienten mit
Lungenkarzinom sind vielfältig (s. [Tab. 24 ]).
Tab. 24 Ursachen und
Therapie der Dyspnoe bei Lungenkarzinom.
Symptom/Krankheitsmanifestation
Therapieoptionen
Leitlinienkapitel
tracheobronchiale
Tumorobstruktion
s. Kap. 9.4
Kap. 9 (Behandlung des
Lungenkarzinoms mit interventionellen Verfahren)
Pleuraerguss
s. Kap. 9.1
Vena-Cava-Superior-Syndrom
s. Kap. 9.3
Perikarderguss,
Perikardtamponade
Perikarddrainage,
Perikardiodese
Pneumothorax
Thoraxdrainage
pulmonale
Tumormanifestation
Chemotherapie
Kap. 7 (Therapie des
NSCLC) und 8 (Therapie des SCLC)
Lymphangiosis
carcinomatosa
Chemotherapie
Aszites
Entlastungspunktion
Obstipation
medikamentös-physikalische Interventionen
In Abhängigkeit vom klinischen Zustand des Patienten, dem
Schweregrad des Symptoms, dem Krankheitsstadium, seiner Belastbarkeit, den
Begleiterkrankungen und der Verfügbarkeit sollten die Möglichkeiten
einer kausalen Therapie geprüft werden. Eine Reihe pharmakologischer
(insbesondere Bronchodilatatoren, Kortikosteroide, Analgetika, Anxiolytika,
Antidepressiva und Opioide) und nicht-pharmakologischer Maßnahmen zur
symptomatischen und palliativen Behandlung werden ergänzend oder in
therapierefraktären Fällen alternativ empfohlen [1259 ]
[1262 ]
[1258 ]
[1149 ]
[1263 ].
Zur Schweregraderfassung der Dyspnoe hat sich eine
(5 – 10-teilige) Analogskala bewährt
[1182 ]
[1264 ]
[1256 ]
[1263 ].
12.2.1 Medikamentöse Therapie
12.2.1.1 Opiate
Durch die Senkung des Atemantriebs, Anxiolyse und leichte
Sedierung sind oral und parenteral applizierte Opiate für die Behandlung
akuter Atemnotattacken und progredienter Atemnot geeignet [1259 ]
[1258 ]
[1263 ]. Es ist unklar, ob alle Opioide diesbezüglich
gleich effektiv sind. Üblicherweise beträgt die Anfangsdosis bei
opioidnaiven Patienten 3 – 5 mg rasch wirksames
Morphin (z. B. 2 % Morphin-Lösung) alle 4 Stunden.
Entsprechend der Wirksamkeit wird die Dosis angepasst. Bei vorbestehender
Opioidtherapie zur Analgesie wird eine um
25 – 50 % höhere Opioiddosis eingesetzt.
Bei regelhafter Dosierung besteht keine Gefahr einer Atemdepression. Die
Literaturergebnisse zeigen keine negativen Effekte der Opioide auf arterielle
Blutgaskonzentrationen bzw. die Sauerstoffsättigung [1263 ]
[1258 ]. Gegen mögliche
opioidbedingte Nebenwirkungen (insbesondere Übelkeit und Obstipation)
sollte eine Prophylaxe erfolgen [1258 ].
Für den Einsatz inhalierbarer Opiate gibt es keinen
ausreichenden Wirksamkeitsnachweis. Einzelne Studien zeigten eine Besserung
der
Dyspnoe, die jedoch im Vergleich mit einer Salzlösung nicht signifikant
besser war (Evidenzgrad 1a) [1263 ]
[1258 ].
12.2.1.2 Sedativa
Obwohl Benzodiazepine zur Behandlung der tumorassoziierten
Dyspnoe häufig eingesetzt werden, gibt es keine kontrollierten klinischen
Studien bei dieser Patientengruppe. Für die Behandlung von
Dyspnoe-assoziierter Angst und Panikattacken können Benzodiazepine
hilfreich sein [1263 ].
12.2.2 Nichtpharmakologische Maßnahmen
12.2.2.1 Sauerstoff
Von einer Sauerstoffgabe bei Dyspnoe profitiert der Patient
nur, wenn es zu einem nachweisbaren Anstieg der Sauerstoffsättigung bzw.
des kapillären Sauerstoffpartialdruckes kommt [1263 ].
Der routinemäßige Gebrauch von Sauerstoff
während Belastung kann nicht empfohlen werden [1264 ]. Andere Autoren beschreiben einen geringen Vorteil
der Inhalation von Sauerstoff gegenüber Luft, im Sinne einer rascheren
Symptomlinderung und verlängerten Gehstrecke [1260 ].
Die Sauerstofftherapie kann ein Teil der palliativen Therapie
sein, ist aber nicht allein ausreichend. Im Krankheitsverlauf kann der
Sauerstoffbedarf rasch wechseln, eine regelmäßige Kontrolle von
Bedarf und Effekt sind notwendig [1260 ].
12.2.2.2 Pflegedienst
Spezielle Kenntnisse des Pflegedienstes im Umgang mit dem
Patienten und seinen Angehörigen bei Atemnot haben einen positiven
Einfluss auf Symptomkontrolle, Coping-Strategien und Lebensqualität
[1182 ]
[1262 ]
[1265 ]
[1266 ].
12.2.2.3 Physiotherapeutische Maßnahmen
Gezielte physiotherapeutische Maßnahmen haben sich
begleitend in allen Phasen der Lungenkrebserkrankung als günstig für
die Symptomkontrolle und Stärkung der individuellen Coping-Strategien
gezeigt [1263 ]. Sie umfassen Massagen, Inhalationen,
Atem- und Aromatherapie.
12.2.2.4 Psychologische Methoden
Die Anwendung psychologischer Methoden sollte der
Erkrankungsphase und der Kooperationsfähigkeit des Patienten angepasst
werden. Als erfolgreich haben sich Entspannungstechniken,
Gesprächstherapie und psychoonkologische Begleitung gezeigt.
Für die Symptomkontrolle bei Dyspnoe, die
Leistungsfähigkeit und den emotionalen Status zeigten
Interventionsprogramme (detailierte Befragung und Beratung zu Dsypnoe und
auslösenden Faktoren, Schulung von Atem- und Relaxationstechniken im
Umgang mit dem Symptom, regelmäßige Überwachung der
Effektivität pharmakologischer und medizinischer Therapien) durch speziell
geschulte Pflegekräfte eine Verbesserung in der Interventionsgruppe
gegenüber alleiniger best supportive care [1182 ].
Der Begleitung der Angehörigen durch Aufklärung und Schulung wird
für die bestmögliche Symptomkontrolle der Dyspnoe bei Patienten in
der palliativen Krankheitssituation von mehreren Autoren eine besondere
Bedeutung zugeschrieben [1182 ]
[1263 ]
[1266 ].
12.2.2.5 Nicht-invasive Beatmung
Es gibt erste, teilweise positive Erfahrungen über den
Einsatz der nicht-invasiven Beatmung zur Behandlung des akuten respiratorischen
Versagens bei Patienten mit fortgeschrittenem Lungenkarzinom, wenn das akute
Organversagen nicht Tumorfolge ist [1261 ].
12.2.2.6 Perikarderguss/Perikardtamponade
Ein Perikarderguss tritt nicht selten als Komplikation eines
fortgeschrittenen Lungenkarzinoms auf. In Abhängigkeit von Volumen und
zeitlichem Verlauf können eine erhebliche Beeinträchtigung der
Lebensqualität bis hin zu einer lebensbedrohlichen Einschränkung der
Herzfunktion durch Perikardtamponade die Folge sein. Durch perkutane
Perikardpunktion ist eine kurzfristige Entlastung möglich. In
40 % der Fälle tritt jedoch ein Rezidiv auf
[1267 ]. Die Perikardpunktion, gegebenenfalls mit
intraperikardialer Sklerotherapie, die intraperikardiale Ballonperikardiotomie
und die operative Perikardfensterung werden als drei alternative lokale
Behandlungsmöglichkeiten eines Perikardergusses bzw. einer
Perikardtamponade genannt. Nach Meinung einiger Autoren ist eine
Perikardpunktion in Kombination mit einer intraperikardialen Sklerotherapie
mit
geeigneten Zytostatika (z. B. Mitoxantron) den chirurgischen Verfahren
vorzuziehen, da Rezidiv- und Komplikationsrate gering sind
[1267 ]
[1268 ]
[1269 ]. Es fehlen randomisierte, kontrollierte Studien mit
ausreichend großen Fallzahlen.
Empfehlungen
• Für die palliative, symptomatische Therapie der
Dyspnoe wird die orale bzw. parenterale Gabe von Opiaten empfohlen
(Empfehlungsgrad A).
• Eine inhalative Applikation von Opiaten kann derzeit
nicht empfohlen werden (Empfehlungsgrad C).
• Bei Nachweis einer Hypoxämie führt die
nasale Gabe von Sauerstoff zu einer Verbesserung der Atemnot (Empfehlungsgrad
B).
• Sedativa können bei Dyspnoe-begleitenden
Panikattacken und Angst gegeben werden (Empfehlungsgrad D).
• Nicht-pharmakologische Maßnahmen wie
Atemtechnik, Lagerung, Ernährungsmanagement, Physiotherapie und
Psychotherapie sind in der Behandlung des Symptoms Dyspnoe bei Patienten mit
Lungenkrebs ein wichtiger Bestandteil (Empfehlungsgrad B).
• Wegen fehlender Studien kann derzeit keine bevorzugte
Empfehlung für eine der alternativen Therapieoptionen für maligne
Perikardergüsse gegeben werden.
• Bei einer Perikardtamponade wird eine rasche lokale
Drainagebehandlung empfohlen (Empfehlungsgrad D).
12.3 Schmerzen
12.3.1 Definition
Schmerz ist ein körperliches Symptom, dessen Charakter und
Ausmaß nur der Patient selbst beurteilen kann. Das Schmerzempfinden ist
wesentlich durch die psychische Wahrnehmung und Verarbeitung geprägt.
Bei Tumorpatienten sind Schmerzen überwiegend tumorbedingt
(60 – 90 %), seltener therapiebedingt
(10 – 25 %), tumorassoziiert
(5 – 20 %) oder tumorunabhängig
(3 – 10 %).
Zu unterscheiden sind Nozizeptorschmerzen, die durch die direkte
Reizung von Schmerzrezeptoren ausgelöst werden, und neuropathische
Schmerzen, welche durch Irritation und Kompression peripherer Nerven
entstehen.
12.3.2 Schmerzerfassung
Aufgrund der Subjektivität der Wahrnehmung ist die
Erfassung von Schmerzart und -intensität von zentraler Bedeutung für
die Therapie. Verwiesen wird in diesem Zusammenhang auf die verbale (VRS) und
numerische (NRS) Rating-Skala bzw. die visuelle Analog-Skala (VAS), wie sie
in
den Leitlinien der Deutschen Krebsgesellschaft und der AWMF zur Schmerztherapie
etabliert sind.
12.3.3 Medikamentöse Schmerztherapie
Für die medikamentöse Schmerztherapie bei Patienten
mit Lungenkarzinom liegen keine gesonderten Studien vor. Sie erfolgt daher
gemäß o. g. Leitlinien für den Einsatz von
Nicht-Opioid-Analgetika der WHO-Stufe I (Paracetamol, Ibuprofen, Naproxen,
Diclofenac, Metamizol, Coxibe) sowie bei nicht ausreichender Effizienz für
die Kombination mit Opioid-Analgetika der WHO-Stufen II (Tramadol, Tilidin)
oder III (Morphin, Hydromorphon, Oxycodon, Fentanyl, Buprenorphin, L-Methadon).
Die Schmerztherapie orientiert sich an Schmerzart und -intensität. Mit dem
Abschluss der Einstellphase sollte für die ambulante und
längerfristige Applikation von Opioiden auf oral verfügbare
Retardpräparate oder transdermale Systeme zurückgegriffen werden. Die
Wirkstoff-spezifischen Anwendungsbeschränkungen und Kontraindikationen
sind besonders bei der Wahl der geeigneten Nicht-Opioide zu
berücksichtigen. Bei Opioidtherapie ist eine kontinuierliche
Obstipationsprophylaxe zu beachten.
Ko-Analgetika (Kortikosteroide, Amitriptylin, Gabapentin,
Pregabalin, Carbamazepin, Bisphosphonate) haben in Ergänzung zur
Schmerzbehandlung einen therapeutischen Stellenwert in Abhängigkeit von
der jeweiligen Schmerzursache und Schmerzart.
12.3.4 Interventionelle Schmerztherapie bei
Knochenmetastasen
Schmerzen durch lokalisierte Knochenmetastasen können durch
eine palliative Strahlentherapie sehr effektiv behandelt werden. Der
schmerzlindernde Effekt kann durch eine zusätzliche Bisphosphonatgabe
verbessert werden.
Eine Schmerzlinderung ist bei 60 bis über
90 % der Patienten erreichbar, eine komplette Schmerzfreiheit bei
20 – 40 %. Der schmerzlindernde Effekt ist
dabei weitestgehend unabhängig von Dosierung und Fraktionierung der
Strahlentherapie. Das individuelle Fraktionierungsschema sollte in
Abhängigkeit von Art und Ausbreitung des Tumorleidens sowie vom
Allgemeinzustand des Patienten gewählt werden, insbesondere ist hier von
Interesse, ob lediglich die Schmerzlinderung oder auch eine Rekalzifikation
des
Knochens intendiert sind:
bei gutem Allgemeinzustand und günstiger
Tumorsituation, Rekalzifikation beabsichtigt: fraktionierte Bestrahlung,
z. B. 10 × 3 Gy/2 Wochen
bei schlechtem Allgemeinzustand, ungünstiger
Tumorsituation, Schmerzlinderung im Vordergrund stehend: Einzeitbestrahlung
mit
8 Gy (Evidenzgrad 1a)
Im Übrigen wird auf das Kapitel „Therapie des
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinoms” dieser Leitlinie
(„Skelettmetastasen”, Kap. 7.5.6) verwiesen.
In Fällen multipler schmerzhafter Knochenmetastasen,
die durch eine umschriebene perkutane Strahlentherapie nicht sinnvoll angehbar
und medikamentös schlecht behandelbar sind, kann eine Radionuklidtherapie
(z. B. Samarium-153 oder Strontium-89) in Betracht gezogen werden. Dabei
ist die Knochenmarksreserve nach möglicherweise intensiver multimodaler
Vorbehandlung zu berücksichtigen (Evidenzgrad 2b).
Empfehlungen
• Die medikamentöse Schmerztherapie erfolgt nach dem
WHO-Stufenschema (Empfehlungsgrad A).
• Zur Behandlung umschriebener Schmerzen bei
Knochenmetastasen eignet sich insbesondere die Strahlentherapie
(Empfehlungsgrad A), alternativ kann bei multiplen schmerzhaften
Knochenmetastasen die Radionuklidtherapie eingesetzt werden (Empfehlungsgrad
B).
12.4 Anorexie/Kachexie/Dysphagie
Zum Zeitpunkt der Diagnosestellung weisen mehr als
60 % aller Patienten mit einem Lungenkarzinom einen
Gewichtsverlust auf. 15 % haben mehr als 10 % ihres
ursprünglichen Gewichts verloren [1270 ]. Kommt es
innerhalb eines Zeitraums von 6 Monaten zu einem Gewichtsverlust von
5 %, spricht man definitionsgemäß von einem
Kachexiesyndrom [1271 ], das häufig mit einer
Anorexie vergesellschaftet ist („Kachexie/Anorexie-Syndrom”). Das
Kachexie/Anorexie-Syndrom ist als unabhängiger negativer Prognosefaktor
beim Lungenkarzinom anerkannt [1272 ]. Es mindert die
Lebensqualität, erhöht die Mortalitäts- und perioperative
Morbiditätsrate erheblich und kann zu einer erhöhten
chemotherapiebedingten Toxizität führen [1273 ]. Der multifaktorielle Entstehungsprozess ist
bislang im Detail noch nicht verstanden, sodass eindeutig wirksame
Therapieansätze bisher fehlen. Das Zusammenspiel unterschiedlicher
humoraler Faktoren des Immunsystems und der Tumorzellen scheint beim
Pathomechanismus des primären Anorexie/Kachexie-Syndroms von
entscheidender Bedeutung zu sein.
Prospektiv randomisiert erhobene, konsistente und valide Daten zu
unterschiedlichen therapeutischen Ansätzen fehlen nicht nur beim
Lungenkarzinom, sondern generell bei der Behandlung des
Anorexie/Kachexie-Syndroms. Wichtig erscheint ein frühzeitiges
multidimensionales Assessment von Patienten mit Ernährungsproblemen, um
behandelbare Ursachen zu erkennen („sekundäre
Anorexie/Kachexie”) und frühzeitig zu intervenieren, da in
späteren Stadien mit fortgeschrittenem Gewichtsverlust
(„wasting”) therapeutische Maßnahmen in der Regel erfolglos
sind [1274 ]
[1275 ]. Die
Behandlung des primären Kachexie/Anorexie-Syndroms durch
Nahrungssupplemente, enterale oder parenterale Ernährung bewirkt keine
Gewichtszunahme, da die Ursachen hier nicht in einer mangelnden Kalorienzufuhr
liegen [1271 ]. Für eine medikamentöse
Therapie beispielsweise mit Kortikosteroiden, nichtsteroidalen Antiphlogistika,
Progestinen, Omega-3-Fettsäuren, Thalidomid, Cannabinoiden gibt es keine
eindeutige Evidenz.
Unter Dysphagie versteht man die Störung des Schluckaktes mit
Druckgefühl oder Schmerz hinter dem Sternum oder im Oberbauch.
Hauptgründe sind Fehlfunktionen des Ösophagus. Ursachen beim
Lungenkarzinom sind insbesondere entzündliche Schleimhautprozesse
(Toxizität von Chemo- und/oder Strahlentherapie) und stenosierende
Prozesse durch Tumorkompression von außen. Ob erstere durch primär
schleimhautprotektive Maßnahmen (z. B. Amifostin, einem organischen
Thiophosphat) reduziert werden können, ist umstritten (siehe auch Kap.
11.6). Stenosierende Prozesse durch Tumorkompression von außen sind, wenn
möglich, durch lokale Therapieverfahren (Operation, Radiatio, Endoskopie
mit Stentversorgung) zu beheben. Ziel muss es aus Sicht der Lebensqualität
sein, den Schluckakt so rasch wie möglich wieder herzustellen.
Sekundär muss die enterale Nahrungsaufnahme mittels einer PEG gesichert
werden oder, falls technisch nicht möglich, die parenterale Ernährung
eingeleitet werden.
Empfehlungen
• Ein frühzeitiges multidimensionales Assessment von
Patienten mit Ernährungsproblemen ist indiziert, um behandelbare Ursachen
zu erkennen („sekundäre Anorexie/Kachexie”) und
frühzeitig zu intervenieren (Empfehlungsgrad D).
• Die Behandlung des primären
Kachexie/Anorexie-Syndroms durch Nahrungssupplemente, enterale oder parenterale
Ernährung bewirkt keine Gewichtszunahme.
• Für eine medikamentöse Therapie können
derzeit keine evidenzbasierten Empfehlungen ausgesprochen werden.
• Stenosierende Prozesse durch Tumorkompression von
außen sind, wenn möglich, durch lokale Therapieverfahren (Operation,
Radiatio, interventionelle Endoskopie) zu beheben.
• Ist dies nicht möglich, sollte die enterale
Nahrungsaufnahme mittels einer PEG gesichert werden oder, falls technisch nicht
möglich, die parenterale Ernährung eingeleitet werden.
12.5 Husten
Studien zur antitussiven Behandlung beim Lungenkarzinom liegen
kaum vor. Eine prospektive, randomisierte, doppelblinde Untersuchung aus dem
Jahr 1998 [1276 ] zeigte an 140 Patienten eine
vergleichbare Wirkung von Levodropropizin und Dihydrocodein gegen
nichtproduktiven Husten bei Lungenkrebspatienten bei etwas weniger Sedierung
unter Levodropropizin (Evidenzgrad 1b). Eine Metaanalyse mit 2166 Patienten
[1277 ] konnte keinen wesentlichen Nutzen von
„over-the-counter cough medicines” (Antitussiva und
Expectorantien) bei Erwachsenen im Allgemeinen und unabhängig von
Lungenkrebspatienten ausmachen (Evidenzgrad 1a). Ansonsten zeigte eine kleinere
Kohortenstudie positive Effekte von inhaliertem Cromogylcin bei
Lungenkrebspatienten gegenüber Placebo auf [1278 ]
(Evidenzgrad 2b). Andere Zusammenfassungen oder Stellungnahmen zeigen keine
Gruppenvergleiche, haben keine konsistenten Therapieendpunkte oder sind
retrospektiver Natur bzw. Einzelfallbeschreibungen.
Empfehlungen
Levodropropizin oder Dihydrocodein können bei
nichtproduktivem Husten eingesetzt werden (Empfehlungsgrad B).
12.6 Heiserkeit
Heiserkeit beruht beim Lungenkarzinom zumeist auf einer Irritation
oder Kompression des N. recurrens durch Tumorkompression/-infiltration, in
deren Folge es zu einer Minderbeweglichkeit bis hin zur Parese der betroffenen
Stimmbandseite kommt. Therapeutisch stehen gegen die Tumorerkrankung gerichtete
Maßnahmen, d. h. Operation, Strahlen- und Chemotherapie im
Vordergrund. Nach Ausschöpfung dieser Tumor-spezifischen Therapien besteht
die Option einer palliativen Medialverlagerung des betroffenen Stimmbandes, um
somit einen ausreichenden Stimmlippenschluss erreichen zu können. In der
Literatur sind die Implantation eines Silikonelastomers sowie die lokale
Injektion von Gelfoam oder Polytetrafluoroethylen (Teflon) in die Stimmlippe
beschrieben. Erfahrungen mit Erfolgsraten bis 90 % liegen hierzu
allerdings nur retrospektiv aus einzelnen Behandlungsserien vor (Evidenzgrad
4).
12.7 Terminale Hämoptoe
12.7.1 Definition und Interventionsmöglichkeiten
Hämoptysen treten bei Lungenkrebs bei bis zu einem Drittel
der Fälle, mit einer relativen Häufung bei Patienten mit einem
Plattenepithelkarzinom, auf.
Eine massive Hämoptoe (massives Bluthusten von mehr als
200 ml/24 h) ist ein lebensbedrohlicher Notfall (siehe Kap. 9.2
Endoskopische/interventionelle Therapie – Hämoptysen). Es existieren
keine prospektiv randomisierten Therapiestudien und kaum Vergleiche gezielter
Interventionen.
Eine Beschreibung der Effizienz von
Bronchialarterienembolisationen an 138 Patienten wurde 1998 publiziert
[1279 ]. Eine Literaturübersicht über
Ursachen und Möglichkeiten der Therapie wurde 1994 erstellt
[1280 ].
12.7.2 Palliative Maßnahmen bei fulminanter terminaler
Hämoptoe
Eine fulminante terminale Hämoptoe ist eine oft in
kürzester Zeit eskalierende Krankheitskomplikation. Im Umgang mit dem
Patienten, den Angehörigen und dem betreuenden medizinischen Personal
haben sich folgende Vorgehensweisen bewährt:
Den Patienten und seine Angehörigen nicht allein lassen,
für eine ruhige Umgebung sorgen, stabile Seitenlagerung mit, wenn
möglich und bekannt, erkrankter Seite nach unten, dunkle Tücher
bereithalten, vorsichtiges Absaugen des Blutes aus Mund und Nasenrachenraum,
Gabe eines schnellwirksamen Opioids – Titration bis zum ausreichenden
antidyspnoeischen und antitussiven Effekts
(ca.10 – 20 mg bzw. 25 % der
Tagesdosis i. v.), Sedierung und Anxiolyse – Benzodiazepine oder
Neuroleptika z. B. Diazepam 10 mg oder Dormicum
2,5 – 10 mg i. v. oder Triflupromazin
10 mg i. v.
Wenn möglich sollte versucht werden, Patienten und
Angehörige auf die Gefahr eines massiven Bluthustens vorzubereiten, das
Notfallmanagement einschließlich Medikation zu besprechen und
bereitzustellen.
Empfehlungen
• Zur Palliation wird bei einer fulminanten, terminalen
Hämoptoe die Gabe eines Opioids empfohlen (Empfehlungsgrad D).
• Eine arterielle Embolisation bzw. der Einsatz von
Anti-Fibrinolytika wird bei fulminanter terminaler Hämoptoe nicht
empfohlen (Empfehlungsgrad D).
12.8 Übelkeit und Erbrechen
Die Evidenz für die Wirksamkeit von Antiemetika zur
Behandlung von Übelkeit/Erbrechen bei Patienten mit weit fortgeschrittenen
Tumorerkrankungen (abgesehen von Chemo- und Strahlentherapie) ist
spärlich. Zu dieser Aussage kommt eine systematische Review im Jahr 2004
[1281 ]. Neben Dexamethason bei maligner
Darmobstruktion gibt es lediglich für Metoclopramid Hinweise für eine
Wirksamkeit gegen Übelkeit/Erbrechen bei Patienten mit fortgeschrittenen
Tumorerkrankungen (Evidenzgrad 2a).
Empfehlungen
• Die Behandlung von Übelkeit/Erbrechen bei
fortgeschrittenem Lungenkarzinom ist in Abhängigkeit von den Ursachen
durchzuführen (Empfehlungsgrad B).
• Zur symptomatischen Behandlung kann Metoclopramid
und/oder Dexamethason eingesetzt werden (Empfehlungsgrad C).
12.9 Neurologische Symptome (siehe auch Kapitel 7.5.4 –
7.5.6)
Lungenkarzinome verursachen neurologische Symptome durch
Metastasierung ins Gehirn, durch Rückenmarkskompression, durch Befall der
Meningen oder Druck auf bzw. Infiltration in periphere Nerven. Daneben
können neurologische Symptome als Folge paraneoplastischer neurologischer
Erkrankungen auftreten.
12.9.1 Hirnmetastasen
Hirnmetastasen sind sowohl bei kleinzelligen als auch bei
nicht-kleinzelligen Lungenkarzinomen häufig. Eine zerebrale Metastasierung
bedeutet in der Regel eine schlechte Prognose. Ohne Therapie beträgt das
mediane Überleben unter 2 Monaten. Mit einer alleinigen
Kortikoidbehandlung wird das mediane Überleben mit 2 Monaten angegeben.
Mit einer alleinigen Ganzhirnbestrahlung überleben die Patienten median
3 – 6 Monate. Bei geeigneten Patienten kann durch Operation
oder stereotaktische Bestrahlung kombiniert mit einer Ganzhirnbestrahlung das
mediane Überleben auf 8 – 11 Monate verlängert
werden.
Ziele der Behandlung bei Lungenkarzinompatienten mit zerebraler
Metastasierung sind die Besserung der neurologischen Symptomatik, der
Lebensqualität und eine Verlängerung der Überlebenszeit.
In der Regel werden Patienten mit symptomatischen Hirnmetastasen
mit Dexamethason behandelt. Die optimale Dosierung ist unklar. Nach Ergebnissen
einer randomisierten Studie waren nach einwöchiger Einnahmedauer 4, 8 bzw.
16 mg/Tag hinsichtlich einer Verbesserung des Karnofsky-Status
gleichwertig (Evidenzgrad 1b) [1282 ]. Bei
längerer Behandlungsdauer traten erwartungsgemäß unter
16 mg signifikant mehr unerwünschte Arzneimittelwirkungen auf. Der
Effekt von Dexamethason tritt innerhalb von 6 – 24 Stunden
ein und ist nach 3 – 7 Tagen maximal. Die Besserung ist
jedoch nur temporär. Nach Abschluss der Lokaltherapie sollte Dexamethason
über 4 Wochen ausgeschlichen werden. Eine zu rasche Dosisreduktion kann zu
einer Zunahme der Hirndrucksymptomatik führen [1282 ].
Patienten ohne Krampfanfälle werden nicht prophylaktisch
antikonvulsiv behandelt, da dies keinen Vorteil bringt (Evidenzgrad 1a)
[1283 ]. Treten Krampfanfälle auf, ist
hinsichtlich möglicher Interaktionen unter Chemotherapie
Valproinsäure erste Wahl.
Die Ganzhirnbestrahlung ist Standard bei Nachweis einer
Hirnmetastasierung (s. auch Kap. 7.5.5). Als Fraktionierungsschema hat sich
in
Deutschland ein Schema von 10 × 3 Gy durchgesetzt.
Höhere Gesamtdosen zeigten keine besseren Ergebnisse. Bei sehr schlechtem
Allgemeinzustand und fehlendem Ansprechen auf Kortikoide ist eine alleinige
Symptombehandlung zu erwägen.
Eine Therapieintensivierung ist bei Patienten mit solitären
Hirnmetastasen zu empfehlen. Eine solitäre Hirnmetastase wird definiert
als einzelne Hirnmetastase ohne weitere extrakraniell nachweisbare
Tumormanifestationen. Patienten in einem guten Allgemeinzustand
(Karnofsky-Index [KI] mindestens 70 %) können
hinsichtlich ihrer Überlebenszeit von einer lokalen Behandlung
(stereotaktische Bestrahlung oder Operation), gefolgt von einer
Ganzhirnbestrahlung profitieren. Derzeit gibt es keine Studie, die eine
Überlegenheit einer der beiden Therapieoptionen belegen würde. Diese
Therapien sollten nach individuellen Gegebenheiten eingesetzt werden.
Beispielsweise ist bei akuter vitaler Bedrohung die Operation die Therapie der
Wahl. Bei Patienten mit einer singulären Hirnmetastase, d. h. bei
Nachweis extrakranieller Tumoraktivität, kann eine Therapieintensivierung
mittels stereotaktischer Strahlentherapie oder Operation bei einem KI über
70 % erwogen werden.
Die Frage, ob nach primärer OP oder stereotaktischer
Radiatio immer die Ganzhirnbestrahlung folgen soll, ist nicht eindeutig zu
beantworten. Das hirnrezidivfreie Überleben wird durch die
Ganzhirnbestrahlung deutlich gebessert, die Daten zum Gesamtüberleben sind
dagegen widersprüchlich [724 ]
[1284 ]
[714 ].
Inwieweit auch bei 2 – 3 Hirnmetastasen und
günstigen Prognosefaktoren eine Therapieintensivierung mittels Operation
oder Strahlentherapie die Prognose verbessert, ist derzeit nicht zu
beantworten. Beim kleinzelligen Lungenkarzinom ist bei fehlender akuter vitaler
Bedrohung durch die zerebrale Metastasierung eine primäre Chemotherapie
gerechtfertigt (siehe Kapitel 8.6.6). Forschungsbedarf besteht hinsichtlich
der
optimalen Dexamethasondosis.
Empfehlungen
• Patienten mit Lungenkarzinomen mit symptomatischen
Hirnmetastasen sollten vorübergehend Dexamethason erhalten
(Empfehlungsgrad A).
• Für Patienten ohne Krampfanfälle wird keine
antikonvulsive Prophylaxe empfohlen (Empfehlungsgrad A).
• Bei der Auswahl der lokalen Behandlung sind
verschiedene Faktoren wie beispielsweise Zahl der Metastasen, Allgemeinzustand
des Patienten und Aktivität der extrakraniellen Erkrankung zu
berücksichtigen (Empfehlungsgrad A).
• Bei sehr schlechtem Allgemeinzustand und fehlendem
Ansprechen auf Kortikoide ist eine alleinige Symptombehandlung zu erwägen
(Empfehlungsgrad C).
• Eine Therapieintensivierung (stereotaktische
Bestrahlung oder Operation, gefolgt von einer Ganzhirnbestrahlung) kann bei
Patienten mit solitären Hirnmetastasen und gutem Allgemeinzustand (KI
mindestens 70 %) empfohlen werden (Empfehlungsgrad B).
12.9.2 Rückenmarkskompression
Bei Verdacht auf eine Rückenmarkskompression durch
Metastasen in der Wirbelsäule sollte vorzugsweise eine MRT zur
Diagnosesicherung durchgeführt werden (Evidenzgrad 2b)
[1285 ]. Zur Beurteilung der Stabilität bzw.
Frakturgefährdung bei Wirbelkörpermetastasen ist die zusätzliche
CT-Untersuchung hilfreich.
Symptomatische Patienten sollten sofort einen Dexamethasonbolus
erhalten, gefolgt von einer Erhaltungstherapie. Die meisten Autoren bevorzugen
initial 100 mg, obwohl in einer randomisierten Studie im Vergleich zu
10 mg keine signifikant bessere Wirksamkeit gezeigt werden konnte
(Evidenzgrad 1b), doch war die Fallzahl gering [1285 ]
[1286 ]
[1287 ]. Die höhere Initialdosis gefolgt von einer
Erhaltungstherapie mit 16 mg/Tag war tendenziell wirksamer als die
niedrigere Dosis bei mehr Nebenwirkungen [1285 ].
Der Grad der Funktionseinschränkung prätherapeutisch
und somit das Intervall zwischen Beginn der neurologischen Symptomatik und
Beginn der Therapie ist funktionell von prognostischer Bedeutung. Die
Rückenmarkskompression erfordert eine notfallmäßige
Therapie.
Eine chirurgische Dekompression ist bei Instabilität und
bei neurologischer Symptomatik die Therapie der Wahl. Eine chirurgische
Dekompression gefolgt von einer Strahlentherapie zeigte in einer prospektiv
randomisierten Studie signifikant bessere neurologische Resultate als eine
alleinige Strahlentherapie, insbesondere hinsichtlich des Gehvermögens
[1287 ]. Für Patienten ohne neurologische Symptome
ist die Strahlentherapie weiterhin eine Behandlungsalternative, wobei die
Fraktionierung (Kurzzeittherapie mit 1 × 8 Gy oder
5 × 4 Gy vs. 10 × 3 Gy
oder 20 × 2 Gy) von der Gesamtprognose des Patienten
abhängig gemacht werden sollte [771 ]. Siehe
Kapitel 7.5.6.
Forschungsbedarf besteht auch hier hinsichtlich der optimalen
Dexamethasondosierung.
Empfehlungen
• Patienten mit drohender oder manifester symptomatischer
Rückenmarkskompression sollten zur Diagnosesicherung eine MRT erhalten
(Empfehlungsgrad A).
• Als Sofortbehandlung wird ein Dexamethasonbolus gefolgt
von einer Dexamethasonerhaltungstherapie empfohlen (Empfehlungsgrad A).
• Vor- und Nachteile einer primären Operation
gegenüber einer primären Strahlentherapie sollten individuell
abgewogen werden. Nach einem operativen Eingriff ist eine anschließende
Strahlentherapie indiziert (Empfehlungsgrad A).
12.9.3 Paraneoplastische neurologische Erkrankungen
Paraneoplastische neurologische Erkrankungen treten vor allem
beim kleinzelligen Lungenkarzinom auf. Die häufigste neurologische
paraneoplastische Erkrankung beim kleinzelligen Lungenkarzinom ist das
Lambert-Eaton-Myasthenie-Syndrom (LEMS).
Grundlage der Therapie paraneoplastischer neurologischer
Erkrankungen sind die onkologische Therapie, eine symptomatische Therapie und
eine Immunsuppression. Die Evidenz für die Behandlung bei den
verschiedenen neurologischen Syndromen ist zumeist gering. Lediglich für
das LEMS gibt es einzelne randomisierte Studien mit kleinen Fallzahlen
[1384 ]. Zwei prospektiv randomisierte Studien zeigten
u. a. eine Verbesserung der Muskelkraft mit 3,4-Diaminopyridin
(Evidenzgrad 1a). Eine kleine placebokontrollierte Cross-over Studie zeigte
ebenfalls eine Verbesserung der Muskelkraft (Evidenzgrad 2b).
Empfehlungen
Neben der antitumoralen Therapie kann 3,4-Diaminopyridin die
Muskelkraft beim LEMS verbessern (Empfehlungsgrad A). In der Akutphase
können auch Immunglobuline Symptome verbessern (Empfehlungsgrad B).
12.10 Betreuung im Terminalstadium
Zur Betreuung von Patienten mit Lungenkarzinom im Terminalstadium
liegen keine gesonderten Studien vor. Die im Folgenden formulierten
Empfehlungen stützen sich auf die Erfahrungen palliativmedizinischer
Einrichtungen in der Behandlung von Patienten im Terminalstadium
[1288 ]
[1289 ].
12.10.1 Allgemeine Maßnahmen
Alle medizinischen Maßnahmen sind kritisch daraufhin zu
überprüfen, ob sie in der gegenwärtigen Situation für den
Patienten noch einen Nutzen bringen. In der Regel können alle Medikamente,
die nicht unmittelbar der Symptomkontrolle dienen, abgesetzt werden
(beispielsweise Antihypertensiva). Ebenso kann eine etwaige parenterale
Ernährung beendet werden. Besonders kritisch ist das
Nutzen-Schaden-Verhältnis einer parenteralen Flüssigkeitsgabe zu
prüfen, da diese im Terminalstadium häufig zu belastenden
Flüssigkeitseinlagerungen (Extremitäten, Bauchhöhle, Lunge)
führt, ohne ein bestehendes Durstgefühl zu mindern. In der Regel ist
eine intensive Mundpflege sinnvoller und auch ausreichend. Muss für
Medikamente eine parenterale Applikation gewählt werden, wenn die
Patienten zur Symptomkontrolle erforderliche Medikamente nicht mehr schlucken
können, bietet sich zur parenteralen Gabe in erster Linie eine subkutane
Applikation im Bereich nicht zentralisierter Körperregionen an.
12.10.2 Rasselatmung
Infolge fehlender Kraft zum Abhusten von Bronchialsekreten tritt
im Terminalstadium häufig eine rasselnde Atmung auf. Wenngleich diese den
Patienten in der Regel wenig belastet, können mit Rücksicht auf die
meist sehr beunruhigten Angehörigen neben einer geeigneten Lagerung auch
medikamentöse Maßnahmen indiziert sein (Scopolamin-Pflaster,
Glycopyrronium oder Butylscopolamin s. c.). Absaugen ist nur bei
exzessiver Sekretbildung indiziert.
12.10.3 Palliative Sedierung
Zur Symptomkontrolle kann im Terminalstadium eine
medikamentös induzierte Bewußtseinsminderung („Palliative
Sedierung”) indiziert sein [1290 ]. Neben dem
agitierten Delir stellt die therapierefraktäre Dyspnoe die häufigste
Indikation dar. Zum Einsatz kommen in erster Linie Midazolam, Levomepromazin
und Phenobarbital. Die Dosis wird so bemessen, dass eine ausreichende
Symptomkontrolle erreicht wird. Solange die Intention der Handlung die
Symptomlinderung und nicht das gezielte Herbeiführen eines früheren
Todeseintritts ist, handelt es sich nicht um unzulässige Euthanasie,
sondern erlaubte und sogar gebotene Hilfe im Sterben. Der Angst vieler
Patienten mit Lungenkarzinom vor einem qualvollen Erstickungstod kann damit
im
Gespräch bereits im Vorfeld wirksam begegnet werden.
12.10.4 Gesprächsführung im terminalen
Krankheitsstadium
Die Wünsche des Patienten bzw. der von ihm bestimmten
Vertreter seines Willens sind Hauptziel bzw. das wesentliche Kriterium für
alle therapeutischen Interventionen der Symptomkontrolle am Lebensende. Eine
darauf eingehende Kommunikation und Begleitung sind wichtige Aufgaben; die
dafür benötigte Zeit sollte i. S. einer unverzichtbaren
therapeutischen Intervention Anerkennung finden.
Empfehlungen
• Im Terminalstadium sind alle Maßnahmen, die nicht
unmittelbar der Symptomkontrolle dienen, abzusetzen, dies gilt auch für
die parenterale Flüssigkeitszufuhr (Empfehlungsgrad D).
• Gegen die häufig auftretende Rasselatmung sind
Anticholinergika wirksam (Empfehlungsgrad D).
• Zur palliativen Sedierung werden Midazolam,
Levomepromazin oder Phenobarbital empfohlen (Empfehlungsgrad D).
• Die Kommunikation mit Patient und Angehörigen ist
von zentraler therapeutischer Bedeutung (Empfehlungsgrad D).
13 Rehabilitation
13 Rehabilitation
Rehabilitation dient der Wiederbefähigung zur Teilhabe bei
Therapiefolgestörungen und umfasst ambulante und stationäre
Maßnahmen, die von entsprechend ausgestatteten Einrichtungen (Kliniken,
Rehazentren, Praxen) erbracht werden. Die ambulant durchgeführte
pneumologische Rehabilitation ist ebenso wie die stationäre Form an einem
ganzheitlichen Rehabilitationskonzept zur Wiederherstellung verloren gegangener
Funktionen einschließlich der sozialmedizinischen Beurteilung orientiert
und muss ein umfassendes, rehabilitationsspezifisches, interdisziplinäres
Therapieangebot beinhalten, das entsprechend der individuellen Situation des
Rehabilitanden auf die physischen, psychischen und sozialen Komponenten abzielt
einschließlich eines edukatorischen Anteils (Rahmenempfehlung der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation BAR), um dem Gesetzesanspruch
„Reha vor Rente” und „Reha vor Pflege” Geltung zu
verschaffen. Die wesentlichen Behandlungselemente der
pneumologisch-onkologischen Rehabilitation sind ärztliche Beratung und
Betreuung, sozialmedizinische Beurteilung, medikamentöse Therapie,
Gesundheitsbildung/Gesundheitstraining, strukturierte Raucherentwöhnung,
medizinische Trainingstherapie (Ausdauer, Kraft, Koordination, Beweglichkeit),
Physiotherapie/Atemtherapie, Atemmuskeltraining, Ernährungsberatung,
psychologische Betreuung (Einzel-/Gruppenbetreuung, Psychotherapie),
Entspannungstherapie/-techniken, Sozialberatung, Initiierung von
Nachsorgemaßnahmen (u. a. ambulante Lungensportgruppen,
Fortführung der Raucherentwöhnung), Ergotherapie, Gesundheits- und
Krankenpflege und Beratung hinsichtlich weiterführender Maßnahmen
(u. a. Anregung von berufsfördernden Leistungen,
Wohnraumgestaltung).
Studien zur Effektivität der Rehabilitation bei
Lungenkrebspatienten sind schwierig, weil Gruppenvergleiche mit Patienten ohne
Rehabilitation sowohl aus ethischer Sicht als auch aus rechtlichen Gründen
problematisch sind. Es gibt daher keine Daten zur Frage, ob eine Rehabilitation
gegenüber dem Spontanverlauf nach Primärbehandlung eines
Lungenkarzinoms in Bezug auf die Besserung von Folgestörungen
überlegen ist. Es liegen sehr wenige Untersuchungen zur Frage vor, ob eine
ambulante oder stationäre Rehabilitation bei Lungenkrebspatienten sinnvoll
ist, allenfalls ist ein Trend durch Untersuchungen mit kleinen Fallzahlen und
Prä-Postanalysen innerhalb definierter Gruppen erkennbar.
Zu Prinzipien und Standards der onkologischen Rehabilitation
existieren wenige Veröffentlichungen [1291 ]
[1292 ] und BAR-Richtlinien mit Rahmenempfehlungen zur
onkologischen Rehabilitation [1293 ]. Sie beziehen sich
auf Expertenmeinungen und unsystematische Zusammenfassungen (Evidenzgrad 5).
Abgesehen von einer Literaturzusammenfassung mit persönlichen Anmerkungen,
die sich mit der kardiopulmonalen Rehabilitation nach Behandlung einer
Lungenkrebserkrankung beschäftigt [1294 ]
(Evidenzgrad 5) und einer Pilotstudie, in der ein Rehabilitationsprogramm an 10
Patienten getestet wurde [1295 ] (Evidenzgrad 4),
wurden wenig Beiträge zur Frage der Effektivität einer onkologischen
Anschlussrehabilitation veröffentlicht. Systematische Reviews zu diesem
Thema [1150 ]
[1296 ] weisen
nach, dass einzelne Maßnahmen (nicht-medikamentöse
Therapiemaßnahmen, Interventionen durch Krankenschwestern/pflege)
positive Effekte in Bezug auf Lebensqualität oder Luftnot bei
Lungenkrebspatienten haben (Evidenzgrad 1a). Die begutachteten 814
Literaturstellen und 66 Volltexte stellten dar, dass in 4 guten und 2
mäßig guten Untersuchungen „Interventionen durch
Krankenschwestern/pflege” Luftnot bessern können. Hierbei geht es
vor allem um verhaltenstherapeutische Ansätze, die den Patienten durch
Beratung und Unterstützung während oder nach einer onkologischen
Therapie zur Selbständigkeit anleiten [1182 ]
[1297 ]
[1298 ]. Derartige
Interventionen sind jedoch aufgrund des im Vergleich zu Deutschland anders
gestalteten Gesundheitssystems in den USA kaum übertragbar. Komplexe
interdisziplinäre Rehabilitationsprogramme, wie sie im deutschsprachigen
Raum angeboten werden, wurden nicht untersucht.
Während einer onkologischen Therapie (auch bei
Hochdosischemotherapie) können mit guter Effizienz (z. B. in Bezug
auf Knochenmarkregeneration) aerobe Ausdauersportaktivitäten
durchgeführt werden [1299 ]
[1300 ]. Es ist nicht belegt, ob dies auch für
multimorbide Patienten mit Lungenkarzinom gilt. Diese Arbeitsgruppe konnte
jedoch an operierten Patienten zeigen (n = 27
lungenoperierte Patienten), dass sich ein aerobes Ausdauer- und
Entspannungstraining positiv auf Erschöpfung und körperliche
Leistungsfähigkeit bei Krebspatienten auswirkt [1301 ] (Evidenzgrad 4).
Schultz et al. [1302 ] haben 2006 an 207
Patienten physiologische und Lebensqualitäts-Parameter identifiziert und
im Verlauf einer Rehabilitation bewertet. Hierbei sind in einer Subgruppe 24
Patienten mit Bronchialkarzinom untersucht worden. Ein Signifikanzniveau im
Sinne von Prä-Postvergleichen für diese Gruppe alleine konnte wegen
fehlender A-priori-Fallzahlschätzungen nicht bestimmt werden. Insgesamt
konnte ein klinisch relevanter Effekt der stationären, spezialisierten,
pneumologischen AHB durch diese multizentrische, prospektive Beobachtungsstudie
nachgewiesen werden (Evidenzgrad 4).
Eine Untersuchung von Riesenberg und Lübbe
[1303 ] zeigte im Prä-Postvergleich an 51
Patienten mit klar determinierten Folge- und Funktionsstörungen und a
priori durchgeführter Fallzahlberechnung, dass eine stationär
durchgeführte onkologische Rehabilitation effektiv sein kann (Evidenzgrad
4).
Die sogenannten BAR-Richtlinien (Richtlinien der
Bundesarbeitsgemeinschaft für Rehabilitation) mit Rahmenempfehlungen zur
onkologischen Rehabilitation geben Hinweise für angestrebte Struktur-,
Prozess- und Ergebnisqualitäten ambulanter und stationärer
onkologischer Rehabilitation unter Einbeziehung von Lungenkrebspatienten. Die
beteiligten Rehabilitationseinrichtungen sollten über eine ausreichende
Erfahrung in der Rehabilitation von Lungenkrebspatienten verfügen, die
durch eine Mindestzahl rehabilitierter Lungenkrebspatienten (z. B. 100
rehabilitierte Lungenkrebspatienten pro Jahr) definiert werden kann
(Evidenzgrad 5).
Empfehlungen
• Einzelne Rehabilitationsmaßnahmen
(nicht-medikamentöse und pflegerische) weisen positive Effekte in Bezug
auf Lebensqualität (unter Einbeziehung der psychischen Befindlichkeit)
oder Luftnot bei Lungenkrebspatienten auf und sind daher im Rahmen von
Rehabilitationsverfahren (ambulant oder stationär) zu empfehlen
(Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad B).
• Während einer onkologischen Therapie (auch bei
Hochdosischemotherapie) können mit guter Effizienz (z. B. in Bezug
auf Knochenmarkregeneration) aerobe Ausdauertrainingsprogramme (z. B.
Intervalltraining mit Laktatbestimmung, Herzfrequenzanalyse) zur schnelleren
Wiedererlangung der Leistungsfähigkeit durchgeführt werden und somit
empfohlen werden (Evidenzgrad 1b). Es ist wahrscheinlich, dass vergleichbare
Programme auch bei Lungenkarzinompatienten effektiv sind (Empfehlungsgrad
B).
• Stationär durchgeführte onkologische
Rehabilitationsverfahren sind zur Verbesserung von Lebensqualität und
aerober Ausdauer nach Primärtherapie zu empfehlen, wenn bestimmte
Qualitätsanforderungen erfüllt sind. Dazu gehören die im Rahmen
von BAR-Richtlinien vorgegebenen Struktur-, Prozess- und Ergebnismerkmale und
eine ausreichende und den Kostenträgern und Zuweisern zu dokumentierende
Erfahrung in der Rehabilitation von Lungenkrebspatienten. Die
Rehabilitationsdauer sollte flexibel und auf den Einzelfall bezogen sein und
sich an den mit dem Patienten gemeinsam besprochenen Therapiezielen
(Reintegration in den Alltag, „Reha vor Rente”, „Reha vor
Pflege”) orientieren (Empfehlungsgrad C).
• Ambulante Rehabilitationsverfahren sind dann mit dem
Patienten zu diskutieren, wenn diese Einrichtungen vergleichbare hohe
Anforderungen erfüllen, wie sie stationäre Einrichtungen
erfüllen müssen. Onkologische Rehabilitationseinrichtungen, die sich
an ambulanten oder stationären Rehabilitationsmaßnahmen bei
Lungenkrebspatienten beteiligen, sollten auch pneumologische Fachkompetenz
besitzen und spezielle Programme für Patienten mit Lungenkrebs anbieten.
Primärbehandelnde Ärzte sollten bei der Auswahl der geeigneten Klinik
beteiligt sein (Empfehlungsgrad D).
• Operierte Patienten und jene nach eingreifenden anderen
Therapien (kombinierte Radiochemotherapie) und mit ausgeprägten
Folgestörungen sollten in Bezug auf die Kontextfaktoren (berufliche
Situation, häusliche Versorgung, Freizeitgestaltung) einer Rehabilitation
zugeführt werden (Empfehlungsgrad D).
14 Nachsorge
14 Nachsorge
14.1 Allgemeines
Die Nachsorge des Lungenkarzinoms befasst sich mit der
Überwachung von Patienten nach erfolgtem Abschluss der
Primärtherapie. Bei kurativ behandelten Patienten zielt die Nachsorge auf
die möglichst frühzeitige Diagnose von Rezidiv- oder Zweittumoren, um
so durch die Option eines weiteren kurativen chirurgischen Eingriffs die
Heilungschance zu erhalten [1304 ] (Evidenzgrad
2b).
Bei Patienten mit Fernmetastasen oder nicht kurativer Behandlung
stehen Symptomfreiheit und der Erhalt einer bestmöglichen
Lebensqualität im Vordergrund.
Beim NSCLC ist die Häufigkeit von Rezidiven (LR) oder
Fernmetastasen (FM) innerhalb von 5 Jahren abhängig vom Stadium der
Erstdiagnose [1305 ] (Evidenzgrad1a):
Stadium IA LR 10 %; FM 15 %
Stadium IB LR 10 %; FM 30 %
Stadium II LR 12 %; FM 40 %
Stadium III LR 15 %; FM 60 %
Während die Wahrscheinlichkeit eines Rezidivtumors in den
ersten beiden Jahren nach Resektion am höchsten ist, nimmt der Anteil an
Zweitkarzinomen mit dem Abstand zur Operation zu [1306 ] (Evidenzgrad 2b).
Die Nachsorgemaßnahmen orientieren sich am Tumorstadium, der
durchgeführten Therapie und der Symptomatik des Patienten.
Empfehlungen
Nach Abschluss einer Therapie sollte für jeden Patienten
ein strukturierter, individueller Nachsorgeplan erstellt werden. In diesen
Nachsorgeplan sollten alle im stationären und ambulanten Sektor
Verantwortlichen eingebunden sein. Im Zentrum sollte dabei die Symptomatik der
Patienten stehen. In den strukturierten Nachsorgeplan sollten die
Psychoonkologie und die Sozialberatung einbezogen werden (Empfehlungsgrad
D).
14.2 Aufgabe des Tabakrauchens
In einer retrospektiven Kohortenstudie zum Effekt des inhalativen
Tabakrauchens auf das Outcome unter Therapie konnte gezeigt werden, dass aktive
Raucher vier Wochen nach Operation 2,7-mal so häufig pulmonale Ereignisse
aufwiesen. Die präoperative Aufgabe des Rauchens verringert die Inzidenz
postoperativer Komplikationen ([82 ] (Evidenzgrad 2b).
Eine weitere Kohortenstudie bestätigte diese Beobachtung
[352 ] (Evidenzgrad 2b).
Retrospektive Untersuchungen von Tsao und Mitarbeitern konnten
sowohl für die Chemotherapie als auch für die Chemo-Radiotherapie
zeigen, dass aktive Raucher ein kürzeres medianes Überleben haben
[74 ] (Evidenzgrad 2b). Bei Patienten mit kleinzelligem
Lungenkarzinom konnte nachgewiesen werden, dass das Risiko von Zweittumoren bei
denjenigen Patienten, die nach erfolgreicher Therapie weitergeraucht haben,
signifikant erhöht war [96 ]
[94 ] (Evidenzgrad 2b). Darüber hinaus hat das
fortgesetzte Tabakrauchen einen negativen Effekt auf die pulmonale
Funktion.
Empfehlung
Patienten mit Lungenkarzinom sollten nachhaltig motiviert
werden, mit dem Tabakrauchen aufzuhören. Zur Unterstützung sollten
die Patienten wirksame Hilfen zur Raucherentwöhnung erhalten
(Empfehlungsgrad B).
14.3 Nachsorge im Anschluss an eine kurative Therapie
Die Frage der optimalen Nachsorge nach kurativer Therapie ist
Gegenstand von wenigen Studien. Bis auf eine einzige prospektive Untersuchung
sind alle anderen retrospektive Kohorten-Studien. Zusätzlich existiert
eine Reihe individueller Nachsorgepläne, die jedoch in der Regel nicht
prospektiv validiert wurden. Die Nachsorge beinhaltet mehrere Parameter. Dazu
gehören die Erfassung posttherapeutischer Komplikationen, das
Nachsorgeintervall, die Kosten-Nutzen-Analyse und die Intensität der
Untersuchungsmethoden beim Nachsorgetermin.
14.3.1 Erfassung posttherapeutischer Komplikationen
Zunächst sind posttherapeutische Komplikationen zu
erfassen. Nach chirurgischer Resektion stehen Schmerzzustände, Infektionen
oder aber der Verlust an Lungenfunktion im Vordergrund, nach Strahlentherapie
die Ösophagitis und die Pneumonitis, aber auch Affektionen der Haut, des
Herzens oder des Rückenmarks (Evidenzgrad 1b) [1307 ]
[1308 ]
[1309 ]
[784 ].
14.3.2 Symptomorientierte Nachsorge versus Nachsorge nach
festem Zeitplan
Es ist nach wie vor strittig, ob Patienten eine
symptomorientiertete Nachsorge oder reguläre Nachsorge-Termine in einem
festen Zeitablauf erhalten sollten. Zahlreiche Studien mit unterschiedlichen
und zum Teil kontroversen Ergebnissen sind zu dieser Frage publiziert worden.
In einer Reihe von retrospektiven Studien ergab die Nachsorge nach einem festen
Zeitschema keinen Vorteil im Vergleich zur symptomorientierten Nachsorge.
Pairolero et al. fanden bei 446 Patienten, die im Stadium I operiert worden
waren, 135 Rezidive. Trotz der festen Zeitpläne in der Nachsorge
(4-monatlich über die ersten 2 Jahre nach Operation) waren die meisten
Patienten (53 %) mit Rezidiven symptomatisch
[1310 ] (Evidenzgrad 2b). In einer kleinen Serie von
Chiu et al. hatten 14 von 38 Patienten nach kurativer Tumorresektion ein
Rezidiv. Von diesen 14 Patienten waren 7 symptomatisch (50 %)
[1311 ] (Evidenzgrad 2b).
Andere Studien zeigen dagegen Vorteile für eine Nachsorge
mit festem Zeitplan. Lamont et al. beschreibt in einer retrospektiven
Untersuchung, dass die Detektion von metachronen Zweittumoren durch ein solches
Nachsorgeprogramm gefördert werden kann. In dieser Untersuchung erfolgte
in 4- bis 6-monatigen Intervallen eine klinische Vorstellung, ein
Röntgen-Thorax sowie ein jährliches Thorax-CT. 19 metachrone Tumoren
wurden gesichert, 16 von diesen 19 Patienten hatten ein Stadium IA und 14
konnten kurativ operiert werden [1312 ] (Evidenzgrad
2b).
14.3.3 Kosten-Nutzen-Analysen
In zahlreichen Studien ist neben verschiedenen Methoden
gleichzeitig die Kosteneffektivität von verschiedenen Nachsorgeprotokollen
nach operativer Therapie untersucht worden. Für andere Modalitäten
wie die Chemotherapie, Radiotherapie oder die Kombination stehen derartige
Untersuchungen nicht zur Verfügung. Walsh und Mitarbeiter evaluierten
retrospektiv 358 Patienten mit NSCLC nach kurativer Resektion.
76 % der Patienten mit Rezidiv waren symptomatisch bei
Diagnosestellung. Asymptomatische Patienten mit Rezidiv hatten ein
längeres Überleben. Die Autoren gehen jedoch davon aus, dass es sich
um einen Effekt im Sinne des oben dargestellten lead time bias handelt
[1313 ] (Evidenzgrad 2b).
Egermann et al. analysierten 563 Patienten mit NSCLC über
einen Zeitraum von 10 Jahren [1304 ]. Alle Patienten
waren unter kurativer Zielsetzung operiert worden. Die Patienten erhielten ein
Follow-up mit Anamnese, körperlicher Untersuchung und Röntgen-Thorax
alle 3 Monate für die ersten 2 Jahre und dann 6-monatlich bis zum 5. Jahr
gefolgt von jährlichen Nachsorgeintervallen. Nur 3,8 % von
361 Patienten hatten einen resektablen Tumor im Follow-up. 21 Patienten mit
einem metachronen Zweittumor wurden detektiert und unter kurativer Zielsetzung
operiert. Dabei wurde ein Überlebensvorteil von 9 Monaten angenommen. Die
Autoren kamen zu dem Ergebnis, dass die Nachsorge mit kurzen Zeitintervallen
im
Vergleich zur rein symptomorientierten Nachsorge keinen Überlebensvorteil
erbrachte und nicht kosteneffektiv war.
Untersuchungen zu Kosten-Nutzen-Analysen, die auf das deutsche
oder österreichische Gesundheitssystem zugeschnitten sind, liegen zum
jetzigen Zeitpunkt nicht vor.
14.3.4 Nachsorge mit weniger intensiven Untersuchungsmethoden
versus Nachsorgen mit intensiven Untersuchungsmethoden
Virgo et al. untersuchten retrospektiv unterschiedliche
Nachsorgestrategien. In der einen Gruppe wurde eine intensive
routinemäßige Nachsorge mit jährlichen Terminen
durchgeführt, bei denen Laborwerte erhoben und ein Röntgen-Thorax
durchgeführt wurde. Darüber hinaus erhielten die Patienten
jährlich eine Bronchoskopie mit Sputum-Zytologie sowie eine Thorax-CT. In
der Kontroll-Gruppe wurden jährlich lediglich 2 klinische Visiten mit
Labor und Röntgen-Thorax durchgeführt. Die intensiven
Nachsorgestrategien waren teurer, erbrachten aber keinen Überlebensvorteil
für die Patienten [1314 ] (Evidenzgrad 2b). Eine
weitere retrospektive Analyse ergab ebenfalls keinen Überlebensvorteil und
keine Kosteneffektivität [1315 ] (Evidenzgrad
2b).
Diese Ergebnisse stehen in Widerspruch zu den Ergebnissen von
Westeel et al, die eine prospektive Studie in Frankreich durchgeführt
haben [1316 ]. In dieser Studie ging es um die
Durchführbarkeit einer intensiven Nachsorge (1. Vorstellung einen Monat
nach Abschluss der Therapie, danach 3-monatliche Visite mit körperlicher
Untersuchung und Röntgen-Thorax sowie 6-monatlich Bronchoskopie und
Thorax-CT für die ersten drei Jahre). Von den 192 auswertbaren Patienten
entwickelten 136 ein Rezidiv. 36 dieser Patienten mit Rezidiv waren
asymptomatisch. 35 dieser asymptomatischen Patienten wurden durch das
Nachsorgeverfahren detektiert. Bei 15 dieser Patienten konnten die pulmonalen
Rezidive kurativ operiert werden, das Überleben dieser Patienten war
deutlich verlängert.
In dieser prospektiven Analyse zeigte sich nicht nur eine
deutliche Verlängerung des Überlebens sondern auch eine
Kosten-Effektivität der sowohl in Bezug auf die Intervalle als auch
hinsichtlich der Untersuchungsmethoden intensiven Nachsorge
[1316 ] (Evidenzgrad 2b). Es ist jedoch offen, ob es
sich bei dieser Überlebensverlängerung in Analogie zu den
Screening-Studien um einen Lead-time-bias-Effekt handelt.
Es existiert eine große Heterogenität in den
verschiedenen Strategien zur Nachsorge nach kurativer Behandlung eines NSCLC.
In den verfügbaren Leitlinien variieren die Nachsorgeintervalle von 3 bis
6 Monaten für die ersten 2 – 3 Jahre. In der
Bildgebung wird einheitlich ein Röntgen-Thorax gefordert, zum Teil
zusätzlich ein halbjährliches/jährliches CT und eine
Bronchoskopie. Alle gemeinsam verlängern die Nachsorgeintervalle nach 2
Jahren auf mindestens 6 Monate. Ob eine weitere Nachsorge nach 5 Jahren
sinnvoll ist, ist strittig.
Die Bedeutung von Serummarkern beim Lungenkarzinom wird
kontrovers diskutiert [1317 ] (Evidenzgrad 1a). Der
Nutzen von Tumormarkern in der Nachsorge des Lungenkarzinoms ist durch Studien
nicht belegt. Daher wird die routinemäßige Bestimmung von
Serummarkern in der Nachsorge des Lungenkarzinoms nicht empfohlen.
Auch für das Screening von Hirnmetastasen in der Nachsorge
und die Bedeutung hinsichtlich des Outcome liegen zurzeit keine klinischen
Daten vor, sodass ein Screening auf Hirnmetastasen bei klinisch
unauffälligen Patienten nicht empfohlen werden kann.
Die optimale Nachsorgestrategie ist noch nicht identifiziert
worden. Für die Zukunft sind randomisierte, kontrollierte Studien
wünschenswert, die nicht nur die klinische Effektivität und die
Kosteneffektivität der verschiedenen Nachsorgeprotokolle erfassen sollten,
sondern auch die Lebensqualität der Patienten.
Empfehlungen
• Bei Patienten nach kurativer Therapie sollten die
posttherapeutischen Komplikationen, die nach Operation oder Strahlentherapie
auftreten können, erfasst und behandelt werden. Die erste klinische
Vorstellung wird 4 – 6 Wochen nach Abschluss der Therapie
unter Einschluss einer Lungenfunktionsprüfung und der
CO-Diffusionskapazität (DLCO) empfohlen (Empfehlungsgrad C).
• Nach kurativer Therapie sollten die Patienten in den
ersten 2 Jahren vierteljährlich, ab dem 3. Jahr halbjährlich
und nach 5 Jahren einmal jährlich untersucht werden. Diese Intervalle
beginnen mit der Erstvorstellung 4 – 6 Wochen nach
Abschluss der Therapie. Bei diesen Nachsorgeterminen sind eine dezidierte
Anamnese, eine körperliche Untersuchung und geeignete bildgebende
Verfahren durchzuführen (Empfehlungsgrad C).
• Ein generelles Screening auf Hirnmetastasen kann nicht
empfohlen werden, bei Hochrisikopatienten nach Maßgabe des Therapeuten
jedoch sinnvoll sein (Empfehlungsgrad D).
14.4 Nachsorge im Anschluss an eine palliative Strahlen- oder
Chemotherapie
In der Literatur finden sich keine Untersuchungen zur Nachsorge
nach palliativer Strahlen- oder Chemotherapie. Dabei haben sich in der
klinischen Routine Nachsorgeintervalle von 3 Monaten etabliert. Kürzlich
publizierte Studien weisen jedoch darauf hin, dass eine frühzeitigere
Second-Line-Therapie im Vergleich zur Therapie im Rezidiv sinnvoll sein
könnte (Fidias et al. 2008) [667 ]. Um den
Zeitpunkt der Einleitung einer frühzeitigen Second-Line-Therapie zu
erfassen, wurden die Nachsorgeintervalle auf 6 – 8 Wochen
verkürzt.
Daher sollte das Nachsorgeintervall maximal 3 Monate betragen, bei
Patienten mit der Option auf weitere Therapien ist eine Verkürzung der
Nachsorgeintervalle auf 6 bis 8 Wochen sinnvoll. Hier sollten dann geeignete
Untersuchungsverfahren zur rechtzeitigen Erfassung eines Progresses der
Erkrankung durchgeführt werden
Empfehlung
Nach einer palliativen Therapie sollten Ansprechen,
Nebenwirkungen und Beschwerdebild einen Monat nach Abschluss der Behandlung
durch das den Patienten betreuende Team evaluiert werden. Als Basis sind dabei
Anamnese, körperliche Untersuchung, eine konventionelle
Röntgenaufnahme des Thorax und je nach Beschwerdebild geeignete
bildgebende Verfahren durchzuführen. Danach sollten festgelegte
Wiedervorstellungen mindestens alle 3 Monate erfolgen. Bei Patienten mit der
Option auf weitere Therapien ist eine Verkürzung der Nachsorgeintervalle
auf 6 bis 8 Wochen sinnvoll. Hier sollten dann geeignete Untersuchungsverfahren
zur rechtzeitigen Erfassung eines Progresses der Erkrankung durchgeführt
werden (Empfehlungsgrad D).
[Tab. 25 ] zeigt die Indikationen zu
diagnostischen Maßnahmen in der Nachsorge des Lungenkarzinoms.
Tab. 25 Indikationen zu
diagnostischen Maßnahmen in der Nachsorge des Lungenkarzinoms.
Diagnostische Methoden
Indikation
Bronchoskopie
hohes Lokalrezidivrisiko
(z. B. Manschettenresektion)
PET-CT
Ausschluss von
Metatastasen vor erneutem thoraxchirurgischem Eingriff
MRT
Hirn- und
Knochenmetastasen
Röntgen Thorax
Tumorkinetik
Thorax CT
Tumorkinetik und lokale
Ausdehnung
Abdomensonografie
Leber und
Nebennierenmetastasen, paraaortale Lymphome
Abdomen CT
abdominelle Metastasen
Lungenfunktionsprüfung, CO-Diffusionskapazität
Lungenfunktionseinschränkung, Pneumonitis
Laborparameter
nach Maßgabe des
Behandlers
14.5 Krankenschwester-assoziiertes Follow-up
Die einzige randomisierte, kontrollierte Studie zur Nachsorge
vergleicht in England ein durch Krankenschwestern betreutes Follow-up mit der
einer konventionellen, medizinischen Nachsorge [1144 ].
Dabei zeigte sich kein Unterschied im Überleben oder den
Lebensqualitätsparametern. Jedoch hatten die durch die Krankenschwestern
betreuten Patienten nach 3 Monaten einen geringeren Schweregrad der Luftnot,
bessere Parameter für emotionale Funktionen und eine geringere Rate an
peripheren Polyneuropathien. In der oben genannten Untersuchung von Moore und
Mitarbeitern waren die Überlebensparameter (Overall Survival, medianes
Überleben) und die Kosten in beiden Gruppen gleich. In der von
Krankenschwestern durchgeführten Nachsorge fanden sich jedoch eine
deutlich bessere Patientenzufriedenheit, signifikant weniger ärztliche
Vorstellungen und signifikant weniger bildgebende Untersuchungen.
Ein von speziell ausgebildeten Krankenschwestern
durchgeführtes Nachsorgeprogramm stellt somit eine alternative
Möglichkeit dar, die Nachsorge zu organisieren. Die Patienten sollten
dabei eine Lebenserwartung von mehr als drei Monaten aufweisen.
14.6 Forschungsbedarf
Forschungsbedarf besteht insbesondere hinsichtlich folgender
Fragestellungen:
Nachsorgeintensität (Methoden)
Nachsorgeintervalle
Kosteneffektivität verschiedener Nachsorgestrategien
Lebensqualität bei verschiedenen Nachsorgestrategien
15 Qualitätsindikatoren
15 Qualitätsindikatoren
15.1 Einführung
Qualitätsindikatoren wurden durch Sens et al. wie folgt
definiert: „Ein Indikator ist ein quantitatives Maß, welches zum
Monitoring und zur Bewertung der Qualität wichtiger Leitungs-,
Management-, klinischer und unterstützender Funktionen genutzt werden
kann, die sich auf das Behandlungsergebnis beim Patienten auswirken. Ein
Indikator ist kein direktes Maß der Qualität. Es ist mehr ein
Werkzeug, das zur Leistungsbewertung benutzt werden kann, das Aufmerksamkeit
auf potenzielle Problembereiche lenken kann, die einer intensiven
Überprüfung innerhalb einer Organisation bedürfen
könnten” [1318 ]
[1319 ].
Ein Konsensuspapier der Bundesärztekammer, der
Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der Arbeitsgemeinschaft der
Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften von 2001 behandelt
umfassend die Thematik der klinischen Messgrößen,
Qualitätskriterien und -indikatoren in der Gesundheitsversorgung und
definiert darüber hinaus Wege zu deren Erstellung und Beurteilung
[1320 ]. Als Qualitätsanforderungen an klinische
Messgrößen werden Verständlichkeit, Validität,
Reproduzierbarkeit, Reliabilität, Diskriminationsfähigkeit und
Adjustierbarkeit genannt.
15.2 Bereits bestehende Qualitätsindikatoren im Bereich
Lungenkarzinom
Qualitätsindikatoren für den Bereich der Behandlung des
Lungenkarzinoms wurden in den USA [1321 ]
[1322 ]
[1323 ]
[1324 ], in Dänemark [1325 ]
[1326 ], in den Niederlanden
[1327 ] und in Großbritannien
[1328 ]
[1329 ] entwickelt.
In Deutschland selbst existieren bislang keine prospektiv
evaluierten Qualitätsindikatoren zur Versorgungsqualität des
Lungenkarzinoms. Dennoch sind auch hierzulande Initiativen zur Verbesserung der
Behandlungsqualität von Lungenkrebs-Patienten zu verzeichnen. Die Deutsche
Gesellschaft für Thoraxchirurgie veröffentlichte bereits 1997 eine
Leitlinie zur Qualitätssicherung beim Lungenkarzinom, die detailliert
wesentliche Elemente eines Qualitätssicherungssystems inklusive der
Implementierung von Qualitätsindikatoren formulierte [1330 ]. 2008 wurden in Deutschland durch medizinische
Fachgesellschaften zwei Zertifizierungssysteme im Bereich der
Lungenkrebsversorgung ins Leben gerufen, welche an die behandelnden
Einrichtungen klare Forderungen bzgl. der Struktur, Prozess- und
Ergebnisqualität stellen: (i) die Lungenkrebszentren unter der
Federführung der Deutschen Krebsgesellschaft, der Deutschen Gesellschaft
für Pneumologie und Beatmungsmedizin und der Deutschen Gesellschaft
für Thoraxchirurgie sowie (ii) die Thoraxzentren der Deutschen
Gesellschaft für Thoraxchirurgie. Beide Zertifizierungsverfahren
beinhalten überwiegend ergebnisorientierte, operative
Qualitätsindikatoren, die durch Expertengremien der jeweils beteiligten
Fachgesellschaften ausgewählt wurden [1331 ]
[1332 ].
15.3 Methodik der Entwicklung der Qualitätsindikatoren und
kritische Bewertung
Die nachfolgend aufgeführten Qualitätsindikatoren ([QI 1 QI 9 ]) basieren auf konsentierten
Leitlinien-Empfehlungen mit einem besonders hohen Evidenzlevel und
Empfehlungsgrad. Die Bewertung erfolgte mittels des QUALIFY-Instruments der
Bundesgeschäftsstelle Qualitätssicherung [1333 ]. Eine detaillierte Beschreibung der Vorgehensweise
findet sich im Methodenreport.
Die hier empfohlenen Qualitätsindikatoren stellen einen
ersten, essenziellen Schritt auf dem Weg zu einer evidenzbasierten, rationellen
und koordinierten Qualitätssicherung der Behandlung von Patienten mit
Lungenkrebs in Deutschland dar. Die Anzahl der empfohlenen
Qualitätsindikatoren wurde in dieser frühen Phase im Hinblick auf
eine leichtere Umsetzung in die Praxis bewusst niedrig gehalten, ebenso wurde
auf eine Übernahme von bereits evaluierten Qualitätsindikatoren aus
anderen Ländern insbesondere wegen geringer Evidenz bzw. divergenter
Versorgungsstrukturen verzichtet. Aufgrund fehlender Evidenz bzw. prospektiver
Evaluation wurden keine Referenzbereiche angegeben.
Die neun Qualitätsindikatoren lassen sich nahezu
ausschließlich dem Bereich der konservativen Behandlung von
Lungenkrebspatienten zuordnen. Qualitätsindikatoren aus dem operativen
Bereich wurden in dieser ersten Fassung ausgeklammert, da sie bereits Eingang
in die beiden o. g. Zertifizierungssysteme gefunden haben.
Bereits jetzt können sechs der neun Qualitätsindikatoren
mittels einer gut funktionierenden Tumordokumentation ressourcenschonend
erhoben und berechnet werden, sodass keine separate bzw. redundante
Datenerfassung notwendig wird. Für die Berechnung des
Qualitätsindikators 2 (Anteil der Patienten mit FDG-PET, Mediastinoskopie
bzw. transbronchialer Endosonografie zum mediastinalen Lymphknotenstaging an
allen Patienten mit NSCLC und auf der CT Thorax-Untersuchung basierender
kurativer Therapieintention) können neben der Tumordokumentation in der
Regel zusätzlich die in dem jeweiligen Krankenhausinformationssystem
erfassten OPS-Prozeduren herangezogen werden. Lediglich die beiden
Qualitätsindikatoren 1 (Tabakentwöhnung) und 9 (Anteil der Patienten
mit Empfehlung einer Rehabilitationsmaßnahme an allen Patienten mit
Lungenkarzinom nach Abschluss der Primärtherapie) bedürfen derzeit
noch in Teilen einer separaten Erfassung, eine Vereinfachung wäre jedoch
durch eine Erweiterung bestehender Tumordokumentationssysteme zu erwarten.
Keiner der neun Qualitätsindikatoren wurde bislang prospektiv
evaluiert, wodurch die Aussagekraft im Hinblick auf die Güte der
Qualitätsindikatoren derzeit eingeschränkt ist. Im Rahmen der
zukünftigen Entwicklung ist daher eine weitergehende Evaluation mittels
prospektiver Studien zwingend zu fordern. Erst dann ist auch eine
vollständige methodische Güteprüfung mit dem QUALIFY-Instrument
möglich. Die hier empfohlenen Qualitätsindikatoren sollten in ihrem
jetzigen Entwicklungsstadium nur für interne
Qualitätssicherungsmaßnahmen verwendet, jedoch keinesfalls für
eine externe Qualitätssicherung herangezogen werden.
Weitere Schritte sollten in der Zusammenführung dieses
Qualitätsindikatorsystems und der oben angeführten operativen
Qualitätsindikatoren sowie einer stufenweisen Erweiterung mit dem Ziel
einer besseren Abbildung der Behandlungskette des Lungenkarzinoms liegen.
15.4 Qualitätsindikatoren
QI 1: Tabakentwöhnnung.
Evidenz:
Patienten mit Lungenkarzinom, die noch
rauchen, sollten dazu motiviert werden, den Tabakkonsum zu beenden. Ihnen
sollte eine qualifizierte Tabakentwöhnung angeboten werden (Evidenzgrad
1a, Empfehlungsgrad A). → s. Leitlinienkapitel 3.2.3
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
Anzahl
Pat. – mit Angebot einer qualifizierten Unterstützung bei
der Tabakrauchentwöhnung – mit
Lungenkarzinom – zum Zeitpunkt der
Erstdiagnose – mit aktivem Raucherstatus
Anzahl
Pat. – mit Lungenkarzinom – zum Zeitpunkt der
Erstdiagnose – mit aktivem Raucherstatus
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen: – Prävention
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– z. T. Verbesserung von
Überleben und Therapieerfolg – Reduktion von
Nebenwirkungen bzw. Komplikationen der Therapie
Risiken bzw. Nachteile des Qualitätsindikators:
– keine
QI 2: Anteil der Patienten mit FDG-PET,
Mediastinoskopie bzw. transbronchialer Endosonografie zum mediastinalen
Lymphknotenstaging an allen Patienten mit NSCLC und auf der CT
Thorax-Untersuchung basierender kurativer Therapieintention.
Evidenz:
Im klinischen Stadium
IB – IIIB mit kurativer Behandlungsintention soll die
FDG-PET/CT-Untersuchung eingesetzt werden (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad
A). Im Falle einer im bildgebenden Verfahren (CT, PET oder PET/CT)
nachgewiesenen mediastinalen Lymphknoten-Veränderung bzw.
-Vergrößerung und bei fehlendem Hinweis auf eine Fernmetastasierung
(M0-Status) soll eine definitive Evaluation des Lymphknotenstatus vor der
kurativ intendierten Therapie erfolgen (Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad
A). In Abhängigkeit von der Erfahrung des Untersuchers sind der
endobronchiale Ultraschall mit Nadelbiopsie/-aspiration (EBUS-TBNA), der
ösophageale Ultraschall mit Nadelbiopsie/-aspiration (EUS-FNA), die
bronchoskopische Nadelbiopsie/-aspiration (TBNA), die transthorakale
Nadelbiopsie/-aspiration (TTNA) und chirurgische Verfahren wie z. B. die
Mediastinoskopie oder die VATS geeignete Untersuchungsmethoden. Die
transbronchialen/-thorakalen und endosonografischen Nadelbiopsieverfahren
sollten zur Bestätigung, aber nicht zum Ausschluss einer mediastinalen
Lymphknotenmetastasierung eingesetzt werden (Evidenzgrad
1b – 2b, Empfehlungsgrad B). → FGD-PET(-CT):
s. Kap. 5.3.3, Mediastinoskopie: s. Kap. 5.3.2.6, transbronchiale
Endosonografie: s. Kap. 5.3.2.1
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
FDG-PET:
Anzahl der Pat. mit: –
FDG-PET: 3–742 (OPS Version 2009) –
NSCLC – kurativer Therapieintention –
klinischem Stadium IB – IIIB – CT
Thorax-Untersuchung
Mediastinoskopie:
Anzahl der Pat.
mit: – Mediastinoskopie: 1–691.1 (OPS Version
2009) – NSCLC – kurativer
Therapieintention – klinischem Stadium
IB – IIIB – CT
Thorax-Untersuchung
transbronchiale
Endosonografie:
Anzahl der Pat. mit: –
transbronchialer Endosonografie: 3–05f (OPS Version
2009) – NSCLC – kurativer
Therapieintention – klinischem Stadium
IB – IIIB – CT Thorax-Untersuchung
FDG-PET, Mediastinoskopie bzw. transbronchiale Endosonografie
jeweils:
Anzahl der Pat. mit: –
NSCLC – kurativer Therapieintention –
klinischem Stadium IB – IIIBC – CT
Thorax-Untersuchung
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– interdisziplinäre
Zusammenarbeit – Informationen über Vorgehen bei N-Staging
QI 3: Adjuvante Chemotherapie bei Pat. mit
NSCLC nach R0-Resektion und systematischer Lymphknotendissektion in den Stadien
II bis IIIA1 / 2 .
Evidenz:
Nach R0-Resektion und systematischer
Lymphknotendissektion sollten Patienten im Stadium II bzw.
IIIA1 /IIIA2 (vgl. 7.4.1) in gutem Allgemeinzustand (ECOG
0/1) eine adjuvante Chemotherapie erhalten (Evidenzgrad
1a – 2b, Empfehlungsgrad A). Eine adjuvante
Chemotherapie wird im Stadium IIIA mit inzidentellem N2-Status
(IIIA1 bzw. IIIA2 ) nach kompletter Resektion (R0) und
systematischer Lymphknotendissektion empfohlen (Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad
A). → s. Kap. 7.2.3 und 7.4.2.1.1
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – einer adjuvanten Chemotherapie mit cisplatinbasierter
Kombination – NSCLC – pathologischem Stadium II
bzw. IIIA1 / 2
–
R0-Resektion – systematischer
Lymphknotendissektion – ECOG 0 / 1
Anzahl der Pat.
mit: – NSCLC – pathologischem Stadium II bzw.
IIIA1 / 2
–
R0-Resektion – systematischer
Lymphknotendissektion – ECOG 0 / 1
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– nach
Robinson: █ IIIA1 : mediastinale
Lymphknotenmetastasen bei der postoperativen histologischen Aufarbeitung in
einem Lymphknotenlevel █ IIIA2 : intraoperative
Feststellung des Befalls eines Lymphknotenlevels █
IIIA3 : Befall einer oder mehrere Positionen, präoperativ
festgestellt durch Mediastinoskopie, Feinnadelbiopsie oder
PET █ IIIA4 : „bulky” oder fixierte
Lymphknoten (Robinson und Koautoren verstehen unter „bulky
disease”: mediastinale Lymphknoten
> 2 – 3 cm mit extrakapsulärer
Infiltration; Befall mehrerer N2-Lymphknotenpositonen; Gruppen multipler,
positiver kleinerer (1 bis 2 cm) Lymphknoten) – 4 Zyklen
adjuvante Chemotherapie – In der adjuvanten Chemotherapie wird
die Gabe einer cisplatinbasierten Kombination über 4 Zyklen empfohlen
(Empfehlungsgrad A). In der Mehrzahl der positiven Studien wurde eine
Kombination mit Vinorelbin verwendet. – Bei relevanter
Komorbidität/Kontraindikationen (Herzinsuffizienz; Niereninsuffizienz)
kann Carboplatin statt Cisplatin eingesetzt werden. –
Kontraindikationen für Cisplatin: █ bei
Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff Cisplatin oder anderen
Platin enthaltenden Arzneimitteln █ bei Störungen der
Nierenfunktion █ bei Patienten in dehydriertem Zustand
(Prä- und Posthydratation ist zur Vermeidung von schweren
Nierenschädigungen notwendig) █ bei
Knochenmarkssuppression █ bei Beeinträchtigung des
Gehörs █ bei durch Cisplatin bedingter
Neuropathie █ während der Schwangerschaft und
Stillzeit █ in Kombination mit Gelbfiebervaccine und Phenytoin
bei prophylaktischer Gabe
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– adjuvante Chemotherapie bei kurativ
operierten Pat. mit NSCLC in den genannten Stadien –
interdisziplinäre Zusammenarbeit
Nutzen bzw.
Vorteile des Qualitätsindikators:
–
Überlebensvorteil bei adjuvanter Chemotherapie
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– potenzielle Risiken bzw.
Kontraindikationen von Cisplatin
QI 4: Kombinierte Radiochemotherapie im
Stadium IIIA4 /IIIB beim NSCLC.
Evidenz:
Patienten im Stadium
IIIA4 /IIIB sollten – wenn Allgemeinzustand und Tumorausdehnung
dies zulassen – eine Kombination aus Strahlentherapie und Chemotherapie
erhalten (Evidenzgrad 1b, Empfehlungsgrad A). →
s. Kap.7.4.4
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – Radiochemotherapie –
NSCLC – Stadium IIIA4 oder IIIB –
ECOG 0/1 – keinen Kontraindikationen gegen Radiochemotherapie
Anzahl der Pat.
mit: – NSCLC – Stadium IIIA4 oder
IIIB – ECOG 0/1 – keinen Kontraindikationen
gegen Radiochemotherapie
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– Im direkten Vergleich ist bei
geeigneten Patienten die simultane Radio-/Chemotherapie der sequenziellen
Therapie überlegen. – Präferentiell sollten
cisplatinbasierte Chemotherapieprotokolle für die simultane wie auch
sequenzielle Radiochemotherapie gewählt werden (z. B.
Cisplatin/Etoposid oder Cisplatin/Vinca-Alkaloid) –
Während der definitiven Radiochemotherapie sollten zwei Zyklen einer
voll-dosierten cisplatinhaltigen Kombinationschemotherapie im Abstand von
3 – 4 Wochen appliziert werden. – Die
fortlaufende (wöchentlich bzw. täglich) niedrig dosierte
Chemotherapie simultan zur Bestrahlung wird außerhalb von Studien nicht
bzw. nur dann empfohlen, wenn weder ein simultaner noch ein sequenzieller
Therapieansatz mit einem Zyklusintervall von 3 – 4 Wochen
aufgrund von Komorbidität möglich ist. – Die
Strahlentherapie sollte eine Dosis zwischen 60 und 66 Gy bei
einmal-täglicher Fraktionierung haben. Die Zeitdauer hängt von der
Einzelfraktionierung ab und liegt bei 6 – 7 Wochen. Eine
Unterbrechung der Strahlentherapie sollte vermieden werden. –
Allgemeinzustand – ECOG 0/1 – Lungenfunktion für
Radiotherapie adäquat (siehe Kapitel Radiotherapie Stad.
III) – Bei relevanter Komorbidität (Herzinsuffizienz;
Niereninsuffizienz) kann Carboplatin statt Cisplatin eingesetzt werden.
Alternativ kann dann auch eine platinfreie Kombination mit
Drittgenerationszytostatika eingesetzt werden (Empfehlungsgrad
B). – Kontraindikationen für Cisplatin: █
bei Überempfindlichkeit gegenüber dem Wirkstoff Cisplatin oder
anderen Platin enthaltenden Arzneimitteln █ bei Störungen
der Nierenfunktion █ bei Patienten in dehydriertem Zustand
(Prä- und Posthydratation ist zur Vermeidung von schweren
Nierenschädigungen notwendig) █ bei
Knochenmarkssuppression █ bei Beeinträchtigung des
Gehörs █ bei durch Cisplatin bedingter
Neuropathie █ während der Schwangerschaft und
Stillzeit █ in Kombination mit Gelbfiebervaccine und Phenytoin
bei prophylaktischer Gabe
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– Therapie von Pat. mit NSCLC im Stadium
IIIA4
– kurative Intention der multimodalen
Therapie – interdisziplinäre Zusammenarbeit
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– Implikationen für
Overall- und Long-term-Survival – Implikationen für
definitive Heilungsrate
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– Nebenwirkungen einer
kombinierten Radiochemotherapie
QI 5: Cisplatin-basierte
Kombinationschemotherapie bei Pat. mit NSCLC in den Stadien IIIB (Pleuraerguss)
und IV.
Evidenz:
Bei Patienten im Stadium IIIB/IV in gutem
Allgemeinzustand (ECOG 0/1) sollte eine Cisplatin-basierte
Kombinationschemotherapie zur Verbesserung der Überlebenszeit, der
Krankheitskontrolle und der Lebensqualität durchgeführt werden
(Evidenzlevel 1a, Empfehlungsgrad A). → s.
Kap.7.5.2.2
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – cisplatinbasierter
Kombinationschemotherapie – NSCLC – Stadium
IIIB bzw. IV – ECOG 0 / 1 –
Erstlinienchemotherapie
Anzahl der Pat.
mit: – NSCLC – Stadium IIIB bzw.
IV – ECOG 0 / 1 –
Erstlinienchemotherapie
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– Bei relevanter
Komorbidität/Kontraindikationen (Herzinsuffizienz; Niereninsuffizienz)
kann Carboplatin statt Cisplatin eingesetzt werden. Alternativ kann dann auch
eine platinfreie Kombination mit Drittgenerationszytostatika eingesetzt werden
(Empfehlungsgrad B). – Kontraindikationen für
Cisplatin: █ bei Überempfindlichkeit gegenüber dem
Wirkstoff Cisplatin oder anderen Platin enthaltenden
Arzneimitteln █ bei Störungen der
Nierenfunktion █ bei Patienten in dehydriertem Zustand
(Prä- und Posthydratation ist zur Vermeidung von schweren
Nierenschädigungen notwendig) █ bei
Knochenmarkssuppression █ bei Beeinträchtigung des
Gehörs █ bei durch Cisplatin bedingter
Neuropathie █ während der Schwangerschaft und
Stillzeit █ in Kombination mit Gelbfiebervaccine und Phenytoin
bei prophylaktischer Gabe
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– palliative Erstlinienchemotherapie bei
NSCLC
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– Überlebensvorteil einer
cisplatinbasierten Kombinationschemotherapie gegenüber alleiniger Best
supportive care
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– Nebenwirkungen der
Chemotherapie, insbesondere von Cisplatin
QI 6: Zweitlinienchemotherapie bei Pat. mit
NSCLC und Progress nach primärer Chemotherapie.
Evidenz:
Bei Patienten in gutem Allgemeinzustand
mit einer Erkrankungsprogression nach primärer Chemotherapie wird die
Durchführung einer Zweitlinientherapie bis zum Progress oder Auftreten von
Toxizitäten empfohlen (Evidenzgrad 1a – b,
Empfehlungsgrad A). → s. Kap.7.5.3
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – Zweitlinienchemotherapie – NSCLC
IIIB(Pleura)/IV – Erkrankungsprogression nach primärer
Chemotherapie – ECOG 1/2
Anzahl der Pat.
mit: – NSCLC IIIB(Pleura)/IV –
Erkrankungsprogression nach primärer Chemotherapie – ECOG
1 / 2
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– Trotz niedriger Ansprechraten
kann eine Verlängerung des Überlebens und eine Verbesserung
tumorbedingter Symptome erreicht werden. – Zugelassen für
die Behandlung mit lokal fortgeschrittenem oder metastasiertem NSCLC nach
vorangegangener Chemotherapie sind: Docetaxel, Pemetrexed und
Erlotinib. – In Phase-III-Studien sind mit entsprechender
Evidenz geprüft: Docetaxel, Pemetrexed, orales Topotecan, Vinflunin,
Gefitinib und Erlotinib.
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– Zweitlinienchemotherapie bei
NSCLC
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– Verbesserung der
Überlebenszeit
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– Nebenwirkungen der
Chemotherapie
QI 7: Simultane/sequenzielle
Radiochemotherapie bzw. alleinige Chemotherapie bei Pat. mit SCLC in den
bestrahlungsfähigen Stadien IIB[T3] – IIIB (TNM: cT1/2
N2 – 3 M0, cT3/4 N0 – 3 M0).
Evidenz:
Patienten mit einer
bestrahlungsfähigen Tumorausbreitung eines kleinzelligen Lungenkarzinoms
sollten nach Möglichkeit eine frühe kombinierte Chemostrahlentherapie
erhalten (Evidenzgrad 2a, Empfehlungsgrad B). →
s. Kap.8.5.2
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
Simultane Radiochemotherapie:
Anzahl der Pat.
mit: – simultaner Radiochemotherapie –
SCLC – Stadium IIB[T3] bis IIIB –
ECOG 0 / 1 – Alter ≤ 70 Jahre
(Anmerkung: das biologische Alter lässt sich nicht
exakt definieren, daher tatsächliches Alter; alternativ: KEINE
Altersbegrenzung)
– keinen Kontraindikationen gegen
Radiotherapie
Sequenzielle
Radiochemotherapie:
Anzahl der Pat. mit: –
sequenzieller Radiochemotherapie – SCLC –
Stadium IIB[T3] bis IIIB – ECOG 0 / 1
Jeweils für simultane oder sequenzielle Radiochemotherapie
bzw. alleinige Chemotherapie:
Anzahl der Pat.
mit: – SCLC – Stadium IIB[T3] bis
IIIB – ECOG 0 / 1 – Alter
≤ 70 Jahre (Anmerkung: das biologische Alter
lässt sich nicht exakt definieren, daher tatsächliches Alter;
alternativ: KEINE Altersbegrenzung)
– keinen
Kontraindikationen gegen Radiotherapie
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– Chemotherapie:
Cisplatin/Etoposid über 4 (– 6) Zyklen in 3-wöchigen
Intervallen. Die Dosis pro Zyklus sollte für Cisplatin
80 mg/m2 und für Etoposid 300 mg/m2
i.v. aufgeteilt in 3 oder 5 Tageseinzeldosen nicht
unterschreiten. – Bei Kontraindikationen für Cisplatin
(Herz-, Niereninsuffizienz etc.) kann Carboplatin eine Alternative
darstellen. – Kontraindikationen für
Cisplatin: █ bei Überempfindlichkeit gegenüber dem
Wirkstoff Cisplatin oder anderen Platin enthaltenden
Arzneimitteln █ bei Störungen der
Nierenfunktion █ bei Patienten in dehydriertem Zustand
(Prä- und Posthydratation ist zur Vermeidung von schweren
Nierenschädigungen notwendig) █ bei
Knochenmarkssuppression █ bei Beeinträchtigung des
Gehörs █ bei durch Cisplatin bedingter
Neuropathie █ während der Schwangerschaft und
Stillzeit █ in Kombination mit Gelbfiebervaccine und Phenytoin
bei prophylaktischer Gabe – Strahlentherapie: █
Erste Wahl der Bestrahlung ist eine gleichzeitig mit dem ersten
Chemotherapiezyklus beginnende simultane hyperfraktionierte akzelerierte
Strahlentherapie mit einer GDH von 45 Gy appliziert in 2 ×
täglichen ED von 1,5 Gy über 15 Tage. █ Eine
alternative Therapiestrategie der Bestrahlung ist eine simultane konventionell
fraktionierte Radiotherapie parallel zu zwei PE-Zyklen möglichst
frühzeitig im Behandlungsverlauf (ab dem 1. oder 2. Chemotherapie-Zyklus).
Hier ist eine GHD von 55 – 60 Gy mit täglichen
ED von 1,8 bis 2,0 Gy anzustreben. █ Die konsekutive
Durchführung von Chemotherapie und nachfolgender Bestrahlung ist bei
Patienten in höherem Alter oder bei eingeschränktem Allgemeinzustand
bzw. dem Vorliegen von Komorbiditäten angebracht.
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– Therapie von Pat. mit SCLC in den Stadien
IIB[T3] – IIIB (TNM: cT1/2 N2 – 3 M0, cT3/4
N0 – 3 M0) – interdisziplinäre
Zusammenarbeit – frühzeitige Integration von
Strahlentherapie in den Behandlungsablauf
Nutzen
bzw. Vorteile des Qualitätsindikators:
– Verbesserung
der Prognose
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– Nebenwirkungen einer
kombinierten Radiochemotherapie
QI 8: Prophylaktische Radiatio des
Hirnschädels bei Pat. mit SCLC und Remission nach Abschluss der
Primärtherapie.
Evidenz:
Bei allen Patienten mit Remission nach
Abschluss der Chemo-Strahlentherapie sollte eine prophylaktische
Schädelbestrahlung mit einer GHD bis 30 Gy bevorzugt in Einzeldosen
von 1,8 bis 2,0 Gy täglich durchgeführt werden (Evidenzgrad
1a, Empfehlungsgrad A). → s. Kap.8.5.3
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – abgeschlossener Radiatio des
Schädels – SCLC – Remission nach Abschluss
der Primärtherapie
Anzahl der Pat.
mit: – SCLC – Remission nach Abschluss der
Primärtherapie
Weiterführende Definitionen/Beschreibungen des
Qualitätsindikators:
– Remission: mindestens
partielle Remission gemäß WHO- bzw.
RECIST-Kriterien – adjuvante Radiatio des Schädels:
Gesamtdosis von 30 Gy in Einzeldosen von 1,8 – 2,0 Gy
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– Therapie von Pat. mit
SCLC – interdisziplinäre Zusammenarbeit
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– Prophylaxe von zerebralen
Metastasen – Verbesserung der Prognose
Risiken bzw. Nachteile des
Qualitätsindikators:
– Nebenwirkungen der Radiatio
des Hirnschädels
QI 9: Anteil der Patienten mit Empfehlung
einer Rehabilitationsmaßnahme an allen Patienten mit Lungenkarzinom nach
Abschluss der Primärtherapie.
Evidenz:
Einzelne Rehabilitationsmaßnahmen
(nicht-medikamentöse und pflegerische) weisen positive Effekte in Bezug
auf Lebensqualität (unter Einbeziehung der psychischen Befindlichkeit)
oder Luftnot bei Lungenkrebspatienten auf und sind daher im Rahmen von
Rehabilitationsverfahren (ambulant oder stationär) zu empfehlen
(Evidenzgrad 1a, Empfehlungsgrad B). Stationär
durchgeführte onkologische Rehabilitationsverfahren sind zur Verbesserung
von Lebensqualität und aerober Ausdauer nach Primärtherapie zu
empfehlen, wenn bestimmte Qualitätsanforderungen erfüllt sind. Dazu
gehören die im Rahmen von BAR-Richtlinien vorgegebenen Struktur-, Prozess-
und Ergebnismerkmale und eine ausreichende und den Kostenträgern und
Zuweisern zu dokumentierende Erfahrung in der Rehabilitation von
Lungenkrebspatienten. Die Rehabilitationsdauer sollte flexibel und auf den
Einzelfall bezogen sein und sich an den mit dem Patienten gemeinsam
besprochenen Therapiezielen (Reintegration in den Alltag, „Reha vor
Rente”, „Reha vor Pflege”) orientieren (Empfehlungsgrad
C). Ambulante Rehabilitationsverfahren sind dann mit dem Patienten zu
diskutieren, wenn diese Einrichtungen vergleichbare hohe Anforderungen
erfüllen, wie sie stationäre Einrichtungen erfüllen müssen.
Onkologische Rehabilitationseinrichtungen, die sich an ambulanten oder
stationären Rehabilitationsmaßnahmen bei Lungenkrebspatienten
beteiligen, sollten auch pneumologische Fachkompetenz besitzen und spezielle
Programme für Patienten mit Lungenkrebs anbieten. Primärbehandelnde
Ärzte sollten bei der Auswahl der geeigneten Klinik beteiligt sein
(Empfehlungsgrad D). → s. Kap.13
Qualitätsdimension
Zähler
Nenner
–
Strukturqualität – Prozessqualität
Anzahl der Pat.
mit: – Empfehlung einer
Rehabilitationsmaßnahme –
Lungenkarzinom – abgeschlossener Primärtherapie
Anzahl der Pat.
mit: – Lungenkarzinom – abgeschlossener
Primärtherapie
Spezifische Aspekte/Bereiche (bei der Versorgung von Patienten
mit Lungenkarzinomen), welche durch den Qualitätsindikator abgebildet
werden sollen:
– Integration der Rehabilitation in die
Behandlung von Patienten mit Lungenkarzinomen und abgeschlossener
Primärtherapie
Nutzen bzw. Vorteile des
Qualitätsindikators:
– Verbesserung der
Behandlungsqualität von Patienten mit Lungenkarzinomen und abgeschlossener
Primärtherapie
16 Gesundheitsökonomische Erkenntnisse
16 Gesundheitsökonomische Erkenntnisse
16.1 Gesundheitsökonomischer Hintergrund
Neben der klinischen Wirksamkeit (Effektivität) medizinischer
Maßnahmen spielen in Zeiten sich stetig verschärfender
Finanzierungsengpässe auch zunehmend ökonomische Aspekte eine Rolle
bei der Auswahl von Diagnose und Therapieverfahren. Aus diesem Grund sollen
auch in der vorliegenden Leitlinie zur Diagnostik und Therapie des
Lungenkarzinoms gesundheitsökonomische Aspekte berücksichtigt werden.
Der Fokus der gesundheitsökonomischen Betrachtung bezieht sich in diesem
Zusammenhang auf die Kosteneffektivität medizinischer Maßnahmen. Der
Begriff Kosteneffektivität zielt auf die Frage ab, in welchem
Verhältnis sich die Wirksamkeit einer Maßnahme und die damit
verbundenen Kosten begegnen. Eine Maßnahme ist kosteneffektiv, wenn
die Maßnahme andere Vergleichstrategien dominiert.
„Dominiert” bedeutet in diesem Zusammenhang, dass die
Maßnahme kostensparender und gleichsam besser wirksam ist als relevante
Vergleichsmaßnahmen.
die Maßnahme über eine bessere Wirksamkeit
verfügt, welche allerdings mit zusätzlichen Kosten verbunden ist. In
diesem Fall gelten Zusatzkosten von etwa 50 000 Euro pro einem
gegenüber relevanten Vergleichsstrategien gewonnenem QALY
(qualitätsadjustiertes Lebensjahr) als Obergrenze der
Kosteneffektivität. Alternativ werden auch gerettete Lebensjahre
gegenüber der Vergleichsstrategie herangezogen (wenn keine
lebensqualitativen Informationen zur Verfügung stehen und somit keine
QALYs berechenbar sind). Übersteigen die Ausgaben für ein
zusätzliches QALY (alternativ: gerettetes Lebensjahr) diese Grenze, geht
man davon aus, dass die notwendigen Zusatzkosten für andere medizinische
Maßnahmen eine bessere Verwendung fänden. Demnach wäre die
Maßnahme nicht mehr als kosteneffektiv zu bezeichnen. In Deutschland
findet diese Grenze keine rigorose Anwendung. Da sie jedoch gemäß
internationaler üblicher Gebräuchlichkeiten benutzt wird, wird der
Begriff „Kosteneffektivität” in den
gesundheitsökonomischen Ausführungen dieser Leitlinie ebenfalls in
diesem Kontext genutzt. [Der Begriff
„inkrementelle Kosteneffektivität” oder
„inkrementelles Kosteneffektivitätsverhältnis” gibt in
diesem Zusammenhang an, welche Zusatzkosten für eine zusätzliche
Einheit eines Outcomeparameters aufgewendet werden müssen und ist
definiert als Kostendifferenz (Kosten zu untersuchende Methoden – Kosten
der Vergleichsmethode)/Effektivitätsdifferenz (Effektivität zu
untersuchende Methoden – Effektivität der
Vergleichsmethode).]
16.2 Gesundheitsökonomische Methoden
Die gesundheitsökonomische Bewertung von Diagnostik, Staging,
Therapie und Behandlung des Lungenkrebses orientiert sich eng an der im Jahr
2005 publizierten NICE-Leitlinie „Diagnosis and treatment of lung
cancer” des National Collaborating Center for Acute Care
[1334 ].
Literaturrecherche: Aus
Ressourcengründen wurde eine kombinierte Literatursuche vorgenommen. Die
in der Recherche der NICE-Leitlinie „Diagnosis and treatment of lung
cancer” des National Collaborating Center for Acute Care
[1334 ] berücksichtigten Publikationen (basierend
auf einer systematischen Literaturrecherche bis 31. 12. 2003)
wurden durch eine Updaterecherche 1. 1. 2004 ergänzt, die
sämtliche relevante Literatur ab 1. 1. 2004
berücksichtigt.
Die Evidenzeinschätzung orientierte sich an den Evidenzleveln
des Oxford Centre for Evidence-based Medicine (Mai 2001). Die Bewertung
erfolgte dabei mithilfe adaptierter und standardisierter Checklisten zur
Studienqualität.
Ableitung gesundheitsökonomischer
Schlussfolgerungen: Anschließend wurde für jedes medizinische
Leitlinienkapitel der Versuch unternommen, trotz substanzieller methodischer
Einschränkungen hinsichtlich der Übertragbarkeit ökonomischer
Studienergebnisse, gesundheitsökonomische Schlussfolgerungen abzuleiten.
Diese stützen sich auf Ergebnisse aller gefundener Artikel, sowohl die der
Update-Suche als auch auf die der NICE-Leitlinie „Diagnosis and
treatment of lung cancer” des National Collaborating Center for Acute
Care [1334 ]. Dabei wurde deutschen Studien bzw.
Studien, die sich in der Auswertung ökonomischer Parameter auf das
deutsche Gesundheitswesen beziehen, eine besondere Priorität
eingeräumt. Auf die Angabe von Empfehlungsgraden wurde aber aufgrund der
zugrundeliegenden Heterogenität der Studienergebnisse explizit
verzichtet.
16.3 Gesundheitsökonomie Ergebnisse
Probleme der Interpretation: Aus Sicht des
deutschen Gesundheitswesens können auf Basis der aktuellen Studienlage
keine eindeutigen und klaren gesundheitsökonomischen Empfehlungen
abgeleitet werden. Nur wenige der gefundenen Untersuchungen/Analysen wurden in
Deutschland durchgeführt bzw. beziehen sich in den berichteten Ergebnissen
auf das deutsche Gesundheitswesen. Die Tatsache, dass die identifizierten
Publikationen auf verschiedene Gesundheitssysteme fokussiert sind,
schränkt zudem den Vergleich der Ergebnisse untereinander ein. Ein
weiterer Grund für die vorsichtige Interpretation der berichteten
Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen ökonomischen Perspektiven
der Originalstudien, unterschiedlichen Patientenpopulationen, verschiedenen
Studienannahmen etc. Aus diesem Grund sind sämtliche
gesundheitsökonomischen Zusammenfassungen eher als vorsichtige Hinweise zu
interpretieren denn als harte Empfehlungen. Dazu kommt, dass es die bisherige
Datenlage aufgrund erheblicher Unschärfen in der Definition, des
Studiensettings, der Kosten und des Sponsorings nicht zulässt, valide
Aussagen zur Modifikation des medizinisch notwendigen Vorgehens zu
formulieren.
Zukünftiger Forschungsbedarf: Grundsätzlich besteht bezüglich gesundheitsökonomischer Analysen
zur Diagnostik und Therapie des Lungenkarzinoms ein erheblicher und auf das
deutsche Gesundheitssystem ausgerichteter Forschungsbedarf.
16.3.1 Gesundheitsökonomische Aspekte der
Primärprävention des Lungenkarzinoms
Gesundheitsökonomische Studien zur
Primärprävention des Lungenkarzinoms waren nicht Bestandteil der
systematischen Suchstrategie. In der gesundheitsökonomischen Literatur
gibt es dennoch zahlreiche Hinweise auf die hohe Kosteneffektivität von
Maßnahmen, die auf Tabakentwöhnung abzielen, wobei in der Regel
nicht zwischen bereits am Lungenkarzinom Erkrankten und Nicht-Erkrankten
unterschieden wird.
In einer britischen Publikationen von Parrott et al. 2004
[1335 ] wurden Tabakentwöhnungsprogramme
verschiedener Intensitätsstufen untersucht (z. B. [A] 3
Minuten Beratungsgespräch, [B] Beratungsgespräch +
Selbsthilfeinformationen, [C] Beratungsgespräch +
Selbsthilfeinformationen + Nikotinersatzprodukte, [D]
Beratungsgespräch + Selbsthilfeinformationen +
Nikotinersatzprodukte + Empfehlung eines Klinikaufenthaltes zur
Tabakentwöhnung). Dabei schwankten die Kosten pro gerettetes Lebensjahr
zwischen £159 für Intervention [A] und £1002
für Intervention [D]. Somit sind alle Maßnahmen als
hochgradig kosteneffektiv einzuschätzen. Zudem findet in dieser
Publikation auch ein weiteres US-amerikanisches Studienergebnis zu
Tabakentwöhnungsmaßnahmen Erwähnung. Demnach liegen die Kosten
pro gerettetes Lebensjahr bei etwa $ 2600 (bzw.
$ 1900 pro zusätzlichem QALY), sind damit also ebenfalls,
entsprechend der international üblichen Konventionen, kosteneffektiv.
Auch eine weitere aktuelle Publikation kommt zu einem
ähnlichen Ergebnis bei der Beurteilung der Kosteneffektivität
[1336 ]. Demnach liegen die Kosten pro gewonnenem QALY
für verschiedene Interventionen zur Tabakentwöhnung zwischen wenigen
Hundert Euro bis wenigen Tausend Dollar. Nach Einschätzung der Autoren
sind solche Tabakentwöhnungsmaßnahmen im Vergleich zu anderen
Präventionsprogrammen und anderen medizinischen Behandlungen als
hochgradig kosteneffektiv einzuschätzen. Selbst bei einem Vergleich mit
regulär im Regelleistungskatalog enthaltenen Leistungen wie
Hypertoniebehandlung zeigen Tabakentwöhnungsprogramme eine überlegene
Kosteneffektivität.
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zur Primärprävention: Obwohl aus Perspektive des deutschen
Gesundheitswesens nach unserer Kenntnis bislang keine belastbaren Studien
existieren, gibt es in der internationalen Studienlage starke Hinweise auf eine
Kosteneffektivität von Primärpräventionsmaßnahmen,
insbesondere zur Tabakentwöhnung.
16.3.2 Gesundheitsökonomische Aspekte zur
Früherkennung des Lungenkarzinoms
Insgesamt wurden 2 Studien (2 in der Update-Suche, in der
NICE-Leitlinie wurden Methoden der Früherkennung nicht
berücksichtigt) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten der
Früherkennung des Lungenkarzinoms befassten. Keine der identifizierten
Studien wurde in Deutschland durchgeführt oder bezog sich in den
berichteten Ergebnissen auf Deutschland.
Eine Entscheidungsanalyse von Manser et al. 2005
[1337 ] (Evidenzgrad 2b) untersuchte die
Kosteneffektivität einer im 5-Jahresrhythmus durchgeführten
CT-Reihenuntersuchung bei einer hypothetischen Kohorte von 10 000
Personen ab dem 60. Lebensjahr. Die jährliche Inzidenz von
Lungenkrebserkrankungen wurde mit 552 Fällen pro 100 000 Personen
angenommen. Nach Ansicht der Autoren entspricht diese Annahme der
geschätzten Lungentumorinzidenz bei Rauchern (40 Zigaretten täglich
über 40 Jahre, Alter 60 Jahre). Die zugrunde liegenden Annahmen wurden in
zusätzlichen Analysen variiert. Annahmen zu Spezifität und
Sensitivität des CT-Screenings entstammen 6 publizierten Studien. Die
Mortalitätsdaten für die Berechung geretteter Lebensjahre wurden aus
Studien entnommen, in denen die stadiumabhängige Sterblichkeit berichtet
wurde. Es wurden nur direkte medizinische Kosten berücksichtigt, die durch
Screening und anschließende medizinische Eingriffe angefallen sind. Die
Kostenperspektive war die des australischen Medicare-Programmes (staatliches
Gesundheitsversorgungsprogramm). Eine Diskontierung wurde vorgenommen.
Im Ergebnis zeigte sich, dass gemessen an einem Schwellenwert
von $ 50 000 pro gegenüber der Kontrollgruppe
gewonnenem QALY die CT-Reihenuntersuchung in der untersuchten Form nicht
kosteneffektiv ist. Im Basisszenario (männlich,
60 – 64 Jahre) lagen diese Kosten bei
$ 105 090 pro gewonnenem QALY. Zwar zeigte sich eine
Reduktion der Lungenkrebssterblichkeit in Höhe von 27 %,
diese war jedoch in der Untersuchung mit unverhältnismäßig
hohen Zusatzkosten von $ 1649 pro Screening-Teilnehmer verbunden.
Auch in den Sekundäranalysen zeigte sich diesbezüglich keine
grundsätzlich veränderte Einschätzung der
Kosteneffektivität. Dennoch wird von den Autoren der Studie zu Recht auf
die hohe Unsicherheit ihrer Modellannahmen hingewiesen. Die getroffenen
Annahmen der Studie sind aus Sicht der Leitlinienkonsensuskonferenz allerdings
nicht realistisch, weshalb auf eine Berücksichtigung in der
Zusammenfassung explizit verzichtet wird.
Eine weitere Möglichkeit der Früherkennung besteht
durch parallele Anwendung verschiedenartiger Screeningtests. So untersuchte
eine von Bechtel et al. 2005 [1338 ] (Evidenzgrad 3b)
publizierte Studie die Effektivität der Kombination von Thorax-CT,
Thorax-Röntgen und Sputum-Analyse im Labor. Durchgeführt wurde auch
diese Screeningstudie in einer Risikopopulation, die vorab mittels Fragebogen
und spirometrischer Untersuchung in Hausarztpraxen rekrutiert wurde. Danach
wurde ein Teil der Patienten einem Screening unterzogen (88 von 126 Personen)
– einige Patienten waren mit den Screeningmaßnahmen nicht
einverstanden. Es erfolgte keine Randomisierung, ebenso wurde kein direkter
Vergleich der beiden Gruppen vorgenommen, vielmehr beschränkte sich die
Studie auf eine Beschreibung der Beobachtungen.
In der Gruppe der 88 Screening-Patienten wurden letztlich 6
Tumore identifiziert, in der Gruppe ohne Screening wurden bei 38 Patienten 2
Tumore entdeckt und einer Behandlung zugeführt. Da es sich bei dieser
Studie eben nicht um einer Vergleichsstudie handelt, ist die Aussagekraft
entsprechend eingeschränkt. Dennoch kann aus ökonomischer Sicht
festgehalten werden, dass die Identifikation von Tumoren zu relativ
günstigen Kosten erreicht werden konnte (hier
$ 11 925 pro identifiziertem Tumor), wenn
Screeningmethoden in einer Hochrisikopopulation durchgeführt werden (hier
lag die Lungenkrebsprävalenz bei 6,8 %) Zu diesem Zweck
eignen sich insbesondere einfache Methoden der Vorselektion (z. B.
mittels Patientenfragebögen) (Evidenztab.
16.3.2a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zur Früherkennung des Lungenkarzinoms: Im Rahmen des
Konsensusprozesses dieser Leitlinie wurde festgestellt, dass die gefundenen
Studien zur Früherkennung des Lungenkarzinoms wegen unzureichender Daten
keine dezidierten gesundheitsökonomischen Schlussfolgerungen zulassen.
16.3.3 Gesundheitsökonomische Aspekte diagnostischer
Maßnahmen
Insgesamt wurden 20 Studien (18 in der aktuellen NICE-Leitlinie,
2 in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
diagnostischer Maßnahmen befassen. Nachfolgend werden die grundlegenden
Methoden und Erkenntnisse der Studien beschrieben, die im Rahmen der
Update-Suche berücksichtigt wurden. Zudem wird die einzige deutsche Studie
[1339 ], die bereits von der NICE-Leitlinie erfasst
wurde, genauer ausgeführt.
Studienlage Deutschland
Dietlein et al. (2000) [1339 ]
(Evidenzgrad 1c) entwickelten ein entscheidungsanalytisches Modell zur
vergleichenden Bewertung der Kosteneffektivität folgender diagnostischer
Maßnahmen bei Patienten mit isolierten Lungenrundherden (SPN –
Solitary Pulmonary Nodules) < 3 cm (Feststellung nach
initialer CT-Untersuchung): (A) „Wait and watch”-Strategie (mit
regelmäßiger CT-Kontrolle auf SPN-Wachstum), (B) Nadelbiopsie, (C)
diagnostische Chirurgie, (D) FDG-PET. Das Modell bezog sich auf eine
Risikokohorte von 62-jährigen Männern mit zuvor diagnostiziertem
unauffälligem Lymphstatus. Unter anderem wurden die Daten zu
Spezifität und Sensitivität der Diagnostikmethoden, zu
Überlebensraten und Lebenserwartung der medizinischen Literatur entnommen.
Für die Analyse der Kosten wurde die Perspektive der deutschen
Krankenversicherungssysteme eingenommen. Zudem wurden Folgekosten durch die
Testergebnisse (z. B. Resektionen, histologische Befundung etc.)
berücksichtigt.
Die höchste Lebenserwartung wurde durch Einsatz des
FDG-PET (9,4 Jahre), gefolgt von diagnostischer Chirurgie (9,4 Jahre),
Nadelbiopsie (9,2 Jahre) und letztlich der Strategie „Wait and
watch” (9,0 Jahre) erlangt. Die höchsten Kosten waren hingegen mit
der diagnostischen Chirurgie (10 866 Euro), gefolgt von FDG-PET
(10 631 Euro), verbunden. Die Strategie „Wait and watch”
gehörte zu den Maßnahmen mit geringsten Folgekosten (9031 Euro), die
Maßnahme FDG-PET zeigte sich allerdings als die kosteneffektivste
(zumindest solange der Anteil maligner Lungenrundherde nicht unter
20 % lag). Die Kosten pro gewonnenem Lebensjahr gegenüber
der Strategie „Wait and watch” lagen für diese Methode bei
3218 Euro pro Patient. Gegenüber der (in der Effektivität
vergleichbaren) diagnostischen Chirurgie zeigte sich die FDG-PET hochgradig
kosteneffektiv mit Einsparungen in Höhe von 6912 Euro pro
zusätzlichem Lebensjahr. Die Autoren kamen letztlich zu dem Schluss, dass
FDG-PET in Deutschland im Vergleich zu den untersuchten Alternativen eine sehr
kosteneffektive diagnostische Maßnahme für die Untersuchung von
isolierten Lungenrundherden sei, weil es den Betroffenen ein
Höchstmaß an Lebenserwartung bei akzeptablen Kosten
ermöglichte.
Internationale Studienlage
Einen ähnlichen Untersuchungsfokus sowie eine
vergleichbare Methodik zu Dietlein et al. [1339 ] hatte
die von Lejeune et al. (2005) [1340 ] (Evidenzgrad 1c)
durchgeführte Studie. Hier wurde ein Vergleich der Strategie „Wait
and watch” mit einer PET-Untersuchung sowie der kombinierten
CT + PET-Untersuchung (kein PET-CT) vorgenommen. Die
Basisanalyse untersuchte an einer hypothetischen Patientenpopulation (65 Jahre,
Raucher mit etwa 1,5 Packungen am Tag) sowohl die Wirksamkeit als auch die
Kosteneffektivität der Diagnose von malignen isolierten Lungenrundherden
(Anteil maligner isolierten Lungenrundherde im Basisszenario mit
43 % angenommen). Die Entscheidungsbäume wurden auf Basis
von Literaturangaben gebildet und durch ein multidisziplinäres
Expertenboard vervollständigt und validiert. Die Kostenanalyse wurde aus
Sicht des französischen Krankenversicherungssystems vorgenommen. Zudem
wurden Folgekosten durch die Testergebnisse (z. B. Biopsien, Lobektomien)
berücksichtigt. Als Outcome wurde ebenfalls die mittlere
Überlebenszeit in Jahren herangezogen.
Es zeigte sich in der CT + PET-Gruppe eine
den anderen Vergleichsgruppen überlegene Effektivität (mittlere
Überlebenszeit = 13,78 Jahre vs. 13,73 Jahre bei
PET-Strategie und 12,81 Jahre bei der Strategie „Wait and
watch”). Die Gesamtkosten waren dagegen in der PET-Gruppe höher
(Kosten pro Patient = 8770 Euro vs. 6327 Euro in der
„Wait and watch”-Gruppe bzw. 7959 Euro in der Gruppe
CT + PET). Der Vergleich der beiden Strategien PET und
CT + PET mit der Gruppe „Wait and watch”
zeigte eine bessere Kosteneffektivität zugunsten
CT + PET (Kosten pro gegenüber der „Wait and
watch”-Gruppe gewonnenem Lebensjahr = 3022 Euro vs.
4790 Euro bei PET-Gruppe). Auch hier zeigte sich eine Abhängigkeit vom
Risiko der Malignität der isolierten Lungenrundherde. Je geringer der
Anteil maligner Ausprägungen, desto schlechter gestaltete sich die
Kosteneffektivität der untersuchten Methoden gegenüber der Strategie
„Wait and watch”.
Eine japanische Studie von Tsushima et al. (2004)
[1341 ] (Evidenzgrad 2c) untersuchte ebenfalls mittels
Entscheidungsanalyse die Kosteneffektivität von
CT + FDG-PET (kein PET-CT), CT + FDG-PET
(kein PET-CT) + CT-geleitete Nadelbiopsie und
CT + CT-geleitete Nadelbiopsie im Vergleich zur alleinigen
CT-Untersuchung von isolierten Lungenrundherden. Im Gegensatz zu den vorher
beschriebenen Entscheidungsanalysen zur Diagnose wurde in dieser Studie die
Diagnosegenauigkeit als ökonomischer Outcomeparameter herangezogen. Diese
Tatsache schränkte die Vergleichbarkeit mit den anderen Studien ein, die
als Outcome in der Regel die Überlebenszeit verwendeten. Die Daten zu den
Gütekriterien der diagnostischen Tests (Spezifität,
Sensitivität) wurden der Literatur entnommen. Kosteninformationen
entstammten dem japanischen Gesundheitsministerium und bezogen sich in der
Perspektive auf das nationale japanische Gesundheitssystem. Die Prävalenz
maligner Veränderungen isolierter Lungenrundherde wurde im Basisszenario
mit 10 % angenommen.
Die höchste Genauigkeit bei der Diagnosestellung wurde
mit 96 % mittels
CT + FDG-PET + CT-geleitete Nadelbiopsie
erreicht. Die Strategie CT-Untersuchung erreichte nur eine
67 %ige Genauigkeit, durch die hohe Zahl unnötiger
thorakaler chirurgischer Eingriffe war sie allerdings auch mit den
höchsten Gesamtkosten von ¥ 765 203 (entspricht etwa 4700 Euro)
verbunden. Im Ergebnis zeigte sich, dass alle Strategien sowohl bezüglich
verursachter Gesamtkosten als auch bei der Genauigkeit der Diagnosestellung
der
Strategie einer alleinigen CT-Untersuchung überlegen waren (Evidenztab.
16.3.3a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zur Diagnostik: Nur eine der gefundenen Untersuchungen/Analysen wurde in
Deutschland durchgeführt (Dietlein et al. 2000 [1339 ]). Die Tatsache, dass die anderen identifizierten
Publikationen auf verschiedene Gesundheitssysteme fokussiert sind,
schränkt zudem den Vergleich der Ergebnisse untereinander ein. Ein
weiterer Grund für die vorsichtige Interpretation der berichteten
Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen ökonomischen Perspektiven
der Originalstudien, unterschiedlichen Patientenpopulationen, verschiedenen
Studienannahmen etc.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung
der genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Zu zahlreichen Diagnose-Methoden
liegen keine Kosteneffektivitätsanalysen vor, demnach lässt sich
für diese Verfahren auch keine gesundheitsökonomische Beurteilung
ableiten.
FDG-PET scheint auf Basis bisheriger
Erkenntnisse eine kosteneffektiveKV,GS diagnostische Strategie bei
der Untersuchung von isolierten Lungenrundherden zu sein [1339 ]
[1340 ]
[1341 ]
.
Das Ausmaß der
Kosteneffektivität einzelner als auch kombinierter Diagnosemaßnahmen
ist von der Prävalenz maligner Lungenrundherde und damit der untersuchten
Population abhängig [1339 ]
[1340 ]
.
Es gibt Hinweise, dass
Thorax-CT-Untersuchungen vor bronchoskopischen Eingriffen die Zahl invasiver
Eingriffe reduzieren können und so mögliche
KosteneinsparungenGS nach sich ziehen [1342 ]
.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse
KV – Krankenversicherungssystem
GS – Gesundheitssystem
16.3.4 Gesundheitsökonomische Aspekte des
Stagings
PET-Staging
Insgesamt wurden 12 Studien (9 in der aktuellen
NICE-Leitlinie, 3 in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit
ökonomischen Aspekten des PET-Stagings bei Patienten mit Lungentumoren
befassen. Die meisten der berücksichtigten Studien wurden in Form
entscheidungsanalytischer Modelle konzipiert. Nachfolgend werden die
grundlegenden Methoden und Erkenntnisse der Studien beschrieben, die im Rahmen
der Update-Suche berücksichtigt wurden. Zudem werden die einzigen 2
deutschen Studien [1343 ]
[1344 ], die bereits von der NICE-Leitlinie erfasst wurden,
genauer ausgeführt. In der NICE-Leitlinie wurde eine weitere Studie
ebenfalls als in Deutschland durchgeführt identifiziert
[1345 ]. Nach genauerer Prüfung stellte sich
allerdings heraus, dass diese dem US-amerikanischen Gesundheitssystem
zuzuordnen war. Aus diesem Grund werden diese Studien in den folgenden
Ausführungen nicht mehr explizit dargestellt.
Studienlage Deutschland
Die als Entscheidungsanalyse konzipierte deutsche Studie von
Dietlein et al. (2000) [1343 ] (Evidenzgrad 2a)
untersuchte diverse Strategien zum PET-Staging bei einer hypothetischen
Patientenkohorte mit NSCLC im Alter von 62 Jahren aus Perspektive der
gesetzlichen Krankenversicherung. Zu den untersuchten Strategien
gehörten:
CT + Mediastinoskopie
Ganzkörper FDG-PET bei negativem CT-Befund
Ganzkörper FDG-PET bei allen Patienten. Bei positivem
PET-Befund erfolgte die Durchführung einer Mediastinoskopie
Ganzkörper FDG-PET bei allen Patienten. Bei positivem
PET sowie CT-Befund erfolgte keine Durchführung einer Mediastinoskopie
bzw. Resektion
Ganzkörper FDG-PET bei allen Patienten. Bei Patienten
mit positivem PET erfolgte keine Durchführung einer Mediastinoskopie bzw.
Resektion
Die Kostenerhebung erfolgte auf Basis der 1999 gültigen
Gebührenordnungen. Effektivitätsdaten wurden entsprechenden
Literaturquellen entnommen.
Als Ergebnis ihrer Untersuchung kommen die Autoren zu dem
Schluss, dass die Nutzung des FDG-PET als Möglichkeit des
präoperativen Stagings bei Patienten mit unauffälligem mediastinalem
Lymphstatus eine kosteneffektive Vorgehensweise ist. Diese Einschätzung
ergibt sich aus der verbesserten Zuweisung von Patienten zu chirurgischen
Eingriffen, wodurch die Mehrkosten des PET kompensiert werden. Hingegen legen
die Ergebnisse nahe, dass ein positives PET-Ergebnis bei Patienten mit
N2/N3-Status nicht geeignet ist, eine histologische Verifizierung bzw.
Mediastinoskopie zu ersetzen. Die Ergebnisse zur Kosteneffektivität der
PET können auf alle Patienten mit unauffälligem Lymphstatus
übertragen werden. Bei Patienten mit vergrößertem Lymphknoten
wird von den Autoren der Studie allerdings zu Recht darauf verwiesen, dass die
Übertragbarkeit der Kosteneffektivitätsergebnisse davon abhängig
ist, ob die Aussagen der zugrunde liegenden Literaturquellen auch auf die
Routineversorgung übertragbar sind.
Eine weitere deutsche Untersuchung von Hetzel et al. (2003)
[1344 ] (Evidenzgrad 2a) – ebenfalls im Design
einer Entscheidungsanalyse (n = 103) – evaluierte
die Kosteneffektivität der SPECT (Single Photon Emission Computed
Tomography) sowie der F-18 Fluorid-PET-Untersuchung bei Patienten mit neu
diagnostiziertem Lungenkarzinom im Vergleich zur Skelettszintigrafie.
Berücksichtigt wurden sowohl Patienten mit NSCLC
(n = 73) als auch mit SCLC (n = 30)
mit verschiedenen T, N und M Stadien. Das mittlere Alter der Patienten lag bei
62 Jahren. Ziel der berücksichtigten Diagnose- bzw. Staging-Methoden war
die Identifikation von Knochenmetastasen. Das Outcome für die
Kosteneffektivitätsanalyse war die Zahl korrekt identifizierter Patienten
mit Metastasierung. Die Kosteneffektivität der Studie wurde aus Sicht des
Krankenhauses ermittelt. Daraus ergibt sich eine Einschränkung, da zum
einen seit 2004 die Krankenhausvergütung auf DRG-Basis erfolgt und zum
zweiten die meisten Vergleichstudien aus Perspektive des jeweiligen nationalen
Gesundheitssystems bzw. auf gesamtgesellschaftlicher Perspektive
durchgeführt wurden.
Mit Kosten pro Patient in Höhe von 331 Euro und korrekter
Identifikation der Metastasierung bei 96 % der eingeschlossenen
Patienten zeigte die SPECT-Untersuchung das günstigste
Kosteneffektivitätsverhältnis. Die F-18-Fluorid-PET-Untersuchung
erzielte zwar marginal bessere Outcomeergebnisse (98 % der
Patienten korrekt diagnostiziert), mit Kosten pro Patient in Höhe von 526
Euro betrug das inkrementelle Kosteneffektivitätsverhältnis im
Vergleich zu SPECT allerdings 10 016 Euro pro zusätzlich korrekt
diagnostiziertem Patient. Würden die Kosten der F-18-Fluorid-PET-Methode
auf 345 Euro fallen, wäre das Kosteneffektivitätsverhältnis
dieser Methode dem der SPECT-Methode vergleichbar.
Im Rahmen des Konsensusprozesses dieser Leitlinie wurde
festgestellt, dass aus dieser Studie keinerlei relevante Schlussfolgerungen
ableitbar sind, da der untersuchte Vergleich von SPECT und
Fluorid-PET-Untersuchung keine praktische Relevanz hat.
Internationale Studienlage
In einer französischen Studie von Alzhaouri et al. (2005)
[1346 ] (Evidenzgrad 2b) wurden verschiedene thorakale
PET-Staging-Strategien im Vergleich zum alleinigen CT-Staging bezüglich
ihrer Kosteneffektivität untersucht. Berücksicht wurde eine
hypothetische Patientenkohorte im Alter von 65 Jahren mit operablem NSCLC ohne
Metastasierung. Die Autoren nutzten das Design einer Entscheidungsanalyse aus
Perspektive der französischen Krankenversicherung. Neben dem eigentlichen
Staging-Prozess wurden auch nachgelagerte Therapieschritte (z. B.
Mediastinoskopie, Biopsien, chirurgische Eingriffe, Radio- und Chemotherapie)
in die Analyse einbezogen.
Die Ergebnisse der Studie legen nahe, dass PET eine sinnvolle
präoperative Staging-Methode für NSCLC-Patienten darstellt. Alle
untersuchten PET-Strategien erreichen eine der alleinigen CT-Untersuchung
überlegene Effektivität. Die Variante PET bei allen Patienten mit
vorherigem anatomischen CT ist dabei die kosteneffektivste Vorgehensweise mit
einem inkrementellen Kosteneffektivitätsverhältnis von
– 576 Euro pro gerettetem Lebensjahr. Die anderen PET-Varianten
verursachen Zusatzkosten, die allerdings in einem als kosteneffektiv zu
bewertenden Verhältnis zu dem erreichten Effektivitätsniveau stehen.
Allerdings verweisen die Autoren zu Recht auf den hohen Unsicherheitsgrad
insbesondere bei der Ermittlung der Kosteneffektivität. Um dieser
Unsicherheit zu begegnen, wurden die Ergebnisse in Sensitivitätsanalysen
einer zusätzlichen Validierung unterzogen.
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt auch eine von Sloka et al.
(2004) [1347 ] (Evidenzgrad 2b) durchgeführte
Modellrechnung. In dieser Studie wurden aus Kostenperspektive des kanadischen
Gesundheitssystems zwei unterschiedliche Staging-Strategien bezüglich
Effektivität und Kosten evaluiert: (1) alleinige CT-Untersuchung vs. (2)
CT- und PET-Untersuchung (kein PET-CT). Zielklientel der Studie war eine
65-jährige hypothetische Patientenkohorte mit NSCLC. Wie auch bei
Alzahouri et al. (2005) wurden neben den Staging-Kosten auch
weiterführende medizinische Interventionen berücksichtigt. Der Anteil
nicht-operabler Tumore lag im Basisszenario bei 34 %.
Durch falsch-negative Ergebnisse wurden im Rahmen der
alleinigen CT-Untersuchung ausgehend von 1000 Patienten 99 unnötige
chirurgische Eingriffe vorgenommen. In der kombinierten
CT + PET-Strategie konnte diese Zahl auf 9 Eingriffe
reduziert werden. Im Ergebnis ergaben sich Einsparungen in Höhe von
$ 1455 pro Patient. Da zudem eine überlegende
Effektivität (3 Tage erhöhte Lebenserwartung in der
CT + PET-Gruppe) errechnet wurde, verzichteten die Autoren
auf weitere Kosteneffektivitätsberechnungen. Durchgeführte
Sensitivitätsanalysen zeigten die Grenzen auf, innerhalb derer die CT
+ PET-Strategie dem alleinigen CT-Staging bezüglich Kosten als auch
Effektivität überlegen war. So zeigte sich beispielsweise, dass die
Einsparungen der kombinierten Strategie nicht mehr erreicht werden können,
sollten die Kosten des PET von $ 1029 im Basisszenario auf
über $ 2484 steigen. Eine möglicherweise
eingeschränkte Vergleichbarkeit mit anderen Studien ähnlichen
Settings ergibt sich aus dem Verzicht auf eine Diskontierung.
Die Ergebnisse von Sloka et al. (2004) [1347 ] werden zusätzlich durch eine weitere in Kanada
durchgeführte Entscheidungsanalyse von Nguyen et al. (2005)
[1348 ] (Evidenzgrad 2b) untermauert. In dieser Analyse
wurde ebenfalls die Staging-Strategie CT allein gegenüber der kombinierten
Ganzkörper PET + Thorax-CT-Strategie (kein PET-CT)
evaluiert. Auch diese Studie wurde aus Perspektive des kanadischen
Gesundheitssystems durchgeführt. Zusätzlich wurde mit der
Durchführung von MonteCarlo-Simulationen die Validität der
Modellparameter geprüft. Im Gegensatz zu der Untersuchung von Sloka et al.
(2004) wurden mit der PET + CT-Strategie keine Einsparungen
erreicht, dennoch sind die mit der Strategie verbundenen Zusatzkosten als
moderat zu bewerten. Die Überlebensraten der Patienten konnten
geringfügig verbessert werden (im Mittel 0,3 Jahre). In diesem Punkt sind
die Ergebnisse nahezu deckungsgleich mit der Erhebung von Sloka et al.
[1347 ] (Evidenztab. 16.3.4a + b).
Die Zusatzkosten der PET + CT-Strategie pro zusätzlich
gegenüber der CT-Strategie gewonnenem Lebensjahr liegen somit bei etwa
$ 4689. Damit ist die kombinierte Strategie zur Identifizierung
lokaler Metastasen gemäß den international üblichen
Schwellenwerten kosteneffektiv.
Andere Staging-Methoden
Insgesamt wurden weitere 17 Studien (15 in der aktuellen
NICE-Leitlinie, 2 in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit
ökonomischen Aspekten anderer Staging-Methoden bei Patienten mit
Lungentumoren befassen. Die meisten der berücksichtigten Studien wurden
ebenfalls in Form entscheidungsanalytischer Modelle konzipiert (9 von 13).
Nachfolgend werden die grundlegenden Methoden und Erkenntnisse der Studien
beschrieben, die im Rahmen der Update-Suche berücksichtigt wurden. Es
wurden dabei keine deutschen Studien identifiziert.
Eine in den USA durchgeführte Entscheidungsanalyse
(Eloubeidi et al. 2005 [1349 ]) (Evidenzgrad 3a) auf
Basis realer Studiendaten untersuchte die Kosten zweier Strategien zum Staging
bei Patienten mit NSCLC. Die berücksichtigten Methoden waren (A) die
initiale EUS-FNA (endoskopische Ultraschall-Fein-Nadel-Aspiration) bei der
zunächst eine EUS-FNA und bei negativem Ergebnis eine Mediastinoskopie
durchgeführt wurde. Die Vergleichsstrategie war (B) eine initiale
Mediastinoskopie, gefolgt von einer EUS-FNA bei negativem
Mediastinoskopiebefund.
Die Autoren kommen zu dem Ergebnis, dass bei Patienten mit
NSCLC und kombinierten anterioren bzw. posterioren Lympknoten die initiale
EUS-FNA (Strategie A) zu Kostenersparnissen führt, da etwa ein Drittel der
mediastinoskopischen Eingriffe vermeidbar wären. Die Kostenersparnis wird
im Mittel mit $11033 pro Patient angegeben. Diese Methode ist nach
Ansicht der Autoren zudem als eine sichere und im Vergleich zur initialen
Mediastinoskopie weniger invasive Strategie zu bewerten. Da die Studie in den
USA durchgeführt wurde, ist die Übertragbarkeit der Ergebnisse auf
das deutsche Gesundheitssystem jedoch fraglich. Dazu kommt, dass es sich
vornehmlich um eine Kostenanalyse handelt, die zwar qualitativ die
Effektivität der Methoden berücksichtigt, diese aber nicht in Form
nominaler Daten den Ergebnissen der Kostenanalyse gegenüberstellt.
Auch die Studie von Meyers et al. (2006) [1350 ] (Evidenzgrad 3a) hatte die ökonomische
Bewertung der Mediastinoskopie zum Ziel. Die Autoren verglichen die
Kosteneffektivität der Mediastinoskopie nach erfolgter CT und
PET-Untersuchung bei Lungenkarzinompatienten (Stadium I) mit der Strategie
„keine Mediastinoskopie” in Form eines entscheidungsanalytischen
Modells. Die Parameter des Modells beruhten auf retrospektiv ausgewerteten
realen Patientendaten (n = 248). Die Autoren wählten
die ökonomische Perspektive der Krankenversicherung, womit
gesellschaftliche Kosten wie Produktivitätsverlust unberücksichtigt
geblieben sind.
Der Nutzen der Mediastinoskopie zeigte sich in einer
Verlängerung der Lebenserwartung um 0,008 Lebensjahre. Dieser
geringfügig verbesserten Effektivität stehen Zusatzkosten in
Höhe von $ 2040 gegenüber. Die daraus resultierenden
inkrementellen Kosten von $ 250 000 für ein
gegenüber der Strategie „keine Mediastinoskopie” gewonnenes
Lebensjahr scheinen in dieser Studie allerdings den Rahmen der
Kosteneffektivität zu übersteigen (Evidenztab.
16.3.4c + d).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zum Staging: Nur zwei der gefundenen Untersuchungen/Analysen wurden in
Deutschland durchgeführt bzw. beziehen sich in den berichteten Ergebnissen
auf das deutsche Gesundheitswesen [1343 ]
[1344 ]. Die Tatsache, dass die identifizierten
Publikationen zum Großteil auf verschiedene Gesundheitssysteme fokussiert
sind, schränkt zudem den Vergleich der Ergebnisse untereinander ein. Ein
weiterer Grund für die vorsichtige Interpretation der berichteten
Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen ökonomischen Perspektiven
der Originalstudien, unterschiedlichen Patientenpopulationen, verschiedenen
Studienannahmen etc. Dazu kommt, dass zu einer Reihe von Staging-Methoden wie
z. B. MRT oder regionäre Lymphknoten-Sonografie keine
ökonomischen Studien vorliegen. Die verfügbaren Vergleiche erfolgen
meist gegenüber dem CT, Vergleiche zwischen anderen Staging-Methoden
bezüglich der Kosteneffektivität fehlen jedoch häufig.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung
der genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Zu zahlreichen Staging-Methoden liegen
keine Kosteneffektivitätsanalysen vor, demnach lässt sich für
diese Verfahren auch keine gesundheitsökonomische Beurteilung
ableiten.
PET-Staging (FDG-PET) als
Möglichkeit des präoperativen Stagings scheint bei Patienten mit
unauffälligem CT-Lymphstatus [1343 ]
eine kosteneffektiveKV Vorgehensweise zu sein
[1343 ]
[1346 ]
.
PET + CT scheint auf Basis der
berücksichtigten Studien eine kosteneffektiveGS Strategie [1347 ]
[1348 ]
zu sein.
Es deutet sich an, dass die
Mediastinoskopie unter Gesichtspunkten der KosteneffektivitätKV
nicht immer zu empfehlen ist, insbesondere wenn ein mehrstufiges (z. B.
mittels CT + PET) bzw. sehr spezifisches Staging-Verfahren (z. B.
EUS-FNA) bereits vorgelagert war [1349 ]
[1350 ]
.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
KV – Krankenversicherungssystem
GS – Gesundheitssystem
16.3.5 Gesundheitsökonomische Aspekte
chemotherapeutischer Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC
Insgesamt wurden 35 Studien (28 in der aktuellen NICE-Leitlinie,
7 in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
chemotherapeutischer Interventionen bei der Therapie des NSCLC befassen. Dabei
wurden in 23 Studien (18 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 5 in der
Update-Suche) verschiedene chemotherapeutische Optionen miteinander verglichen,
weitere 12 Studien (10 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 2 in der Update-Suche)
untersuchten Chemotherapie gegenüber anderen Behandlungsoptionen.
Nachfolgend werden die grundlegenden Methoden und Erkenntnisse der Studien
beschrieben, die im Rahmen der Update-Suche berücksichtigt wurden. Zudem
werden die einzigen 3 deutschen Studien [1351 ]
[1352 ], die bereits von der NICE-Leitlinie erfasst wurden,
genauer ausgeführt.
Chemotherapie vs. Chemotherapie
Studienlage Deutschland
Eine Kostenminimierungsanalyse von Schiller et al. (2004)
[1351 ] (Evidenzgrad 2a) untersuchte, basierend auf den
Ergebnissen zweier klinischer Phase-III-Studien (Schiller et al. 2002
[1353 ], Comella et al. 2000 [1354 ]) zur Wirksamkeit verschiedener Chemotherapien, die
Kosten für einzelne europäische Länder (Frankreich, Deutschland,
Italien, Spanien, UK). Die Patienten der zugrunde liegenden klinischen Studien
hatten NSCLC im Stadium IIIB bzw. im metastasierten Stadium IV. Die Studie
wurde aus Perspektive der nationalen Gesundheitssysteme durchgeführt. Da
auch in dieser Studie nur geringfügige Unterschiede in der klinischen
Wirksamkeit (Response- und 1-Jahr-Überlebensraten) der
berücksichtigten Therapieregime berichtet wurden, haben die Autoren eine
Kostenminimierungsanalyse durchgeführt. Die Kostenbewertung für
Deutschland wurde für die Chemotherapiekosten auf Basis der Roten Liste,
für alle anderen berücksichtigten Kosten auf Basis des DKG-NT Band I
bzw. der Vergütungshöhen des/der EBM/GOÄ vorgenommen. In dieser
Studie wurde aufgrund der kurzen Beobachtungszeit auf eine Diskontierung
verzichtet.
Als Ergebnis zeigte sich, dass der Einsatz von
Gemcitabin/Cisplatin die kostengünstigste Therapieform darstellt (6999
Euro). Die höchsten Kosten sind verbunden mit den Therapieregimen
Paclitaxel/Carboplatin (12 265 Euro) und Paclitaxel/Cisplatin
(11 052 Euro). Die Einschätzung, nach der Gemcitabin/Cisplatin zu
der effizientesten Therapieform der untersuchten Alternativen zu zählen
ist, bestätigte sich auch in den Hochrechungen für die anderen
untersuchten Länder, deren detaillierte Ergebnisse in diesen
Ausführungen nicht explizit berichtet werden.
Zwei entscheidungsanalytische Modelle (Copley-Merriman et al.
1996 [1355 ], Koch et al. 1995 [1352 ]) (beide Evidenzgrad 2c) befassten sich auch aus
deutscher Perspektive mit den Kosten von Gemcitabin vs. Ifosfamid/Etoposid.
Beide Modelle stützten sich zum Teil auf die Daten aus klinischen Studien
und auch auf Expertenmeinungen.
Die Untersuchungen kommen zu dem Schluss, dass mit der
Applikation von Gemcitabin im Vergleich zu Ifosfamid/Etoposid
Kosteneinsparungen verbunden sind. Methodische Einschränkung beider
Analysen ist u. a. die Tatsache, dass Kosten der Medikamente nicht
berücksichtigt wurden.
Internationale Studienlage
Auf gleicher Methodik wie bei Schiller et al. (2004)
[1351 ] basierte die im Jahr 2006 durch Pimentel et al.
[1356 ] (Evidenzgrad 2a) durchgeführte Analyse, in
der der Versuch unternommen wurde, die Kosten der schon bei Schiller et al.
untersuchten Therapien für Portugal zu bestimmen. Auch Pimentel et al.
(2006) kommt zu ähnlichen Ergebnissen wie Schiller et al. Demnach ist die
Therapie mit Gemcitabin/Cisplatin mit 7083 Euro die kostengünstigste
Therapieform. Chemotherapien mit Paclitaxel verursachten hingegen bei
vergleichbarer Wirkung höhere Therapiekosten
(Paclitaxel/Carboplatin = 10 008 Euro,
Paclitaxel/Cisplatin = 8800 Euro).
Dooms et al. (2006) [1357 ]
(Evidenzgrad 2a) untersuchten in einer in Belgien durchgeführten
prospektiven, randomisiert kontrollierten Phase-III-Studie die
Kosteneffektivität von Gemcitabin (n = 73) vs.
Cisplatin/Vindesin (n = 69) bei 142 Patienten mit
fortgeschrittenem NSCLC. Als ökonomischer Endpunkt wurde die
lebensqualitätsadjustierte Überlebenszeit herangezogen (QALYs). Die
Kosten in beiden Therapiearmen wurden aus gesamtgesellschaftlicher Perspektive
analysiert, allerdings wurden keine indirekten Kosten berücksichtigt.
Aufgrund der kurzen Überlebenszeit (mittlere als auch mediane
Überlebenszeit geringer als 12 Monate) wurde ebenfalls auf eine
Diskontierung verzichtet.
Die Auswertung der Überlebenszeit anhand von
Kaplan-Meier-Kurven ergab keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen
beiden Behandlungsarmen. Die 1-Jahres-Überlebensrate betrug
23 % in der Cisplatin/Vindesin-Gruppe und 25 % in
der Gemcitabin-Gruppe. Der Kostenunterschied zwischen den Gruppen in Höhe
von 1522 Euro pro Patient war auf die höheren Kosten in der
Gemcitabin-Gruppe zurückzuführen (6024 Euro vs. 4502 Euro pro
Patient). Dafür war die Einschätzung der Lebensqualität in
dieser Behandlungsgruppe signifikant besser (mittlerer Nutzwert in der
Cisplatin/Vindesin-Gruppe = 0,34 vs. mittlerer Nutzwert in
der Gemcitabin-Gruppe = 0,42). Im Ergebnis war die
Gemcitabin-Behandlung mit zusätzlichen Kosten in Höhe von
13 836 Euro pro gegenüber der Kontrollgruppe zusätzlich
gewonnenem QALY assoziiert. Eine umfassende Sensitivitätsanalyse
bestätigte die ermittelten Ergebnisse.
Die Kosteneffektivität der Chemotherapie mit
Gemcitabin/Cisplatin, Paclitaxel/Carboplatin und Vinorelbin/Cisplatin wurde
retrospektiv in einer italienischen, randomisiert kontrollierten Studie von
Novello et al. (2005) [1358 ] (Evidenzgrad 2a)
evaluiert. In der Studie wurde in 41 teilnehmenden Zentren der
Ressourcenverbrauch von 607 randomisierten Chemotherapiepatienten mit lokal
fortgeschrittenem (Stadium IIIB) und/oder metastasiertem (Stadium IV) NSCLC
dokumentiert und einer nachträglichen gesundheitsökonomischen
Auswertung zugeführt. Die Patienten waren im Mittel 63 Jahre alt, wobei
der Anteil männlicher Patienten 78 % betrug. Die Studie
wurde aus Perspektive der italienischen Gesundheitsversorgungssysteme
durchgeführt. Da sich bezüglich der Wirksamkeit der Therapien
(gemessen an Response-Rate sowie Überlebenszeit) keine statistisch
signifikanten Unterschiede zeigten, beschränkte sich die ökonomische
Evaluation auf eine reine Kostenminimierungsanalyse.
Es zeigte sich, dass die Therapie mit Gemcitabin/Cisplatin das
klinische Ergebnis mit den niedrigsten Kosten erreichte (8094 Euro), gefolgt
von Vinorelbin/Cisplatin (9320 Euro) und Paclitaxel/Carboplatin (11 203
Euro). Auch in dieser Studie wurden die wesentlichen Erkenntnisse durch
Sensitivitätsanalysen bestätigt. Als Ergebnis der Analyse
schlussfolgerten die Autoren, dass die Chemotherapie mit Gemcitabin/Cisplatin
bei begrenzten materiellen Ressourcen die effizienteste Therapieform
darstellt.
In einer britischen Untersuchung von Le Lay et al. (2007)
[1359 ] (Evidenzgrad 2c) wurden verschiedene
monotherapeutische Behandlungsansätze mit Docetaxel, Paclitaxel,
Gemcitabin, Vinorelbin i. v. und oral verabreichtes Vinorelbin einer
gesundheitsökonomischen Bewertung unterzogen. Die Untersuchung erfolgte in
Form einer Markov-Modellierung aus Perspektive des britischen NHS-Systems. Auf
Basis einer literaturbasierten Analyse der Wirksamkeit der einzelnen
Therapieregime kamen die Autoren der Studie zu dem Schluss, dass in der
modellhaften Untersuchung von einer vergleichbaren Effektivität der
Therapieregime ausgegangen werden kann. Aus diesem Grund wurde
anschließend eine Kostenminimierungsanalyse durchgeführt. Der
Modellierungszeitraum wurde auf 52 Wochen terminiert. Zu den
berücksichtigten Kostenarten gehörten die Medikationskosten, die
Kosten für stationäre und ambulante Aufenthalte und Kontakte sowie
Kosten für häusliche Pflege.
Im Ergebnis zeigte sich über den Modellzeitraum die orale
Applikation von Vinorelbin mit GBP 2888 als die kostengünstigste
Therapievariante, gefolgt von GBP 3746 für intravenös appliziertes
Vinorelbin, GBP 5332 für Gemcitabin, GBP 5977 für Paclitaxel sowie
GBP 6766 für Docetaxel. Die Einsparungen unter der Therapie mit oralem
Vinorelbin werden nach Ansicht der Autoren insbesondere dadurch erzielt, dass
die Verabreichung der Medikation bei den betroffenen Patienten im ambulanten
Setting bzw. im häuslichen Umfeld erfolgen kann und somit
Krankenhausaufenthalte gespart werden können.
Neymark et al. (2005) [1360 ]
(Evidenzgrad 1c) führten eine Analyse durch, in der die Ergebnisse einer
europaweiten multizentrischen Studie einer gesundheitsökonomischen
Bewertung zugeführt wurden. Untersuchungsgegenstand war die
Kosteneffektivität von Gemcitabin/Cisplatin und Paclitaxel/Gemcitabin im
Vergleich zu Paclitaxel/Cisplatin. In der Untersuchung wurden Patienten
zwischen 18 und 76 Jahren mit zytologisch oder histologisch gesichertem NSCSL
Stadium IIIB oder Stadium IV rekrutiert. Dabei wurden 480 Patienten in 28
europäischen Zentren eingeschlossen. Die ökonomische Auswertung wurde
aus Sicht des niederländischen Krankenversicherungssystems
vorgenommen.
Die mittlere Überlebenszeit betrug unter
Paclitaxel/Gemcitabin 0,80 Jahre und unter Gemcitabin/Cisplatin 0,98 Jahre.
Die
mittlere Überlebenszeit bei der Therapie mit Paclitaxel/Cisplatin lag bei
durchschnittlich 0,94 Jahren. Der direkte Vergleich zwischen
Gemcitabin/Cisplatin und Paclitaxel/Cisplatin zeigte eine klare
Überlegenheit zugunsten Gemcitabin/Cisplatin. Die Kosten pro Patient lagen
bei überlegender Wirksamkeit von Gemcitabin/Cisplatin mit 13 944
Euro deutlich unter denen der Vergleichsgruppe (16 662 Euro).
Durchgeführte Bootstrap-Analysen wiesen darauf hin, dass bei diesem
Direktvergleich die Wahrscheinlichkeit einer Einsparung bei 99 %
liegt, die Wahrscheinlichkeit einer Einsparung bei überlegener Wirksamkeit
immer noch bei 72 %. Dagegen erwies sich Paclitaxel/Gemcitabin im
Direktvergleich mit Paclitaxel/Cisplatin als nicht kosteneffektiv, da eine
schlechtere Wirksamkeit mit erhöhten Kosten einherging. Dementsprechend
lag die Wahrscheinlichkeit einer Kosteneinsparung mit Paclitaxel/Gemcitabin
bei
nur 12 %, die Wahrscheinlichkeit gleichzeitiger Einsparungen bei
überlegener Kosteneffektivität bei nur noch 6 %. Die
Autoren schlussfolgerten, dass die cisplatinbasierten Therapieregime
vergleichbare Überlebensraten erreichten, die Therapie mit
Gemcitabin/Cisplatin allerdings zu geringeren Kosten (ca. 2000 Euro Einsparung)
führten. Paclitaxel/Gemcitabin war hingegen den untersuchten
Vergleichmedikationen bezüglich Kosten und Effektivität unterlegen
(Evidenztab. 16.3.5a + b).
Chemotherapie vs. andere Therapieformen
Maslove et al. (2005) [1361 ]
(Evidenzgrad 3b) führten eine retrospektive Kostenanalyse durch, bei der
zusätzlich zur BSC (best supportive care) eine cisplatinbasierte
Chemotherapie mit alleiniger BSC verglichen wurde (siehe auch Kapitel 16.3.11).
Die Analyse war Bestandteil des Big Lung Trial in Großbritannien, bei der
stationär aufgenommene NSCLC-Patienten in 8 Zentren rekrutiert wurden.
Anschließend erfolgte eine Randomisierung in die beiden
Behandlungsgruppen. In der Kostenanalyse wurden letztlich 1949 Patienten
berücksichtigt. Die Analyse wurde aus Sicht des NHS (National Health
Service) durchgeführt.
Im Ergebnis zeigte sich, dass die patientenbezogenen Kosten in
der Chemotherapie + BSC-Gruppe um 1760 britische Pfund höher lagen
als in der Gruppe mit alleiniger BSC (GBP 5355 vs. 3595 britische Pfund).
Obwohl in dieser Studie keine expliziten Ergebnisse zu Effektivitätsdaten
berichtet wurden, wiesen die Autoren auf ein weiteres Ergebnis des Big Lung
Trial hin, in der sich gezeigt hat, dass Patienten mit cisplatinbasierter
zusätzlicher Chemotherapie eine zusätzliche Überlebenszeit von
ca. 10 Wochen bei vergleichbarer Lebensqualität erreichten. Vor diesem
Hintergrund sollte die mögliche Kosteneinsparung einer alleinigen BSC
beurteilt werden, denn eine ausschließliche Fokussierung der Studie auf
die Kostenseite schränkt die Aussagekraft der gefundenen Ergebnisse zum
Teil erheblich ein.
Zu einer ähnlichen Einschätzung kam auch eine
weitere Studie von Holmes et al. (2004) [1362 ]
(Evidenzgrad 3a; siehe auch Kapitel 16.3.11). Die Autoren untersuchten in Form
einer Modellrechnung die Kosteneffektivität einer chemotherapeutischen
Behandlung mit Docetaxel (75 mg/m2 ) im Vergleich zu
alleiniger BSC. Auch in dieser Studie war die Analyseperspektive die des
britischen Gesundheitssystems (NHS).
Ähnlich wie in der Studie von Maslove et al. (2005)
[1361 ] wurden auch hier für die Chemotherapie
erhöhte Kosten kalkuliert (GBP 4435). Allerdings erzielte die
Chemotherapie mit Docetaxel ebenfalls eine erhöhte Effektivität im
Vergleich zur BSC. Der gewichtete Überlebenszeitgewinn wurde in der Studie
mit 0,32 Jahren angegeben. Daraus ergibt sich ein vergleichsweise
günstiges Kosteneffektivitätsverhältnis zugunsten der
Chemotherapie von GBP 13 863 pro gewonnenem Lebensjahr. Auch in dieser
Studie wendeten sich die Autoren gegen eine rein kostenseitige Betrachtung der
Chemotherapie, da die Daten der Studie keine Einschätzung der
Lebensqualität unter den Therapien zulassen (Evidenztab.
16.3.5c + d).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zu chemotherapeutischen Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC: Aus Sicht des deutschen Gesundheitswesens können auf Basis der aktuellen
Studienlage keine eindeutigen und klaren gesundheitsökonomischen
Empfehlungen abgeleitet werden. Nur 3 der gefundenen Untersuchungen/Analysen
wurden in Deutschland durchgeführt bzw. beziehen sich in den Ergebnissen
auf das deutsche Gesundheitswesen. Die Tatsache, dass die identifizierten
Publikationen auf verschiedene Gesundheitssysteme fokussiert sind,
schränkt zudem den Vergleich der Ergebnisse untereinander ein. Ein
weiterer Grund für die vorsichtige Interpretation der berichteten
Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen ökonomischen Perspektiven
der Originalstudien, unterschiedlichen Patientenpopulationen, verschiedenen
Studienannahmen, Unterschieden in den untersuchten Therapieregimen etc. Gerade
im Bereich chemotherapeutischer Behandlungen wird zudem darauf verwiesen, dass
z. B. aktuelle Preisentwicklungen des Generikamarktes in den
untersuchten Studien nur unzureichend abgebildet werden.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung
der oben genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Die Studienlage zur Chemotherapie ist
sehr heterogen und lässt keine dezidierten
Kosteneffektivitätsrankings zu.
Eine additive Chemotherapie
zusätzlich zur BSC scheint gegenüber alleiniger BSC sowohl effektiv
als auch kosteneffektivGS . Allerdings ist die Studienlage
insbesondere für die Beurteilung der Effekte auf die gesundheitsbezogene
Lebensqualität nicht ausreichend [1361 ]
[1362 ]
.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
GS – Gesundheitssystem
16.3.6 Gesundheitsökonomische Aspekte chirurgischer
Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC
Insgesamt wurden 9 Studien (8 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 1
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
chirurgischer Interventionen beschäftigten.
Die einzige in der Update-Suche identifizierte Studie, die auch
ökonomische Aspekte chirurgischer Behandlungen erfasst und analysiert,
wurde von Pasic et al. (2004) [1363 ] durchgeführt
(Evidenzgrad 3b; genauere Beschreibung der Studiencharakteristika siehe auch
Kapitel 16.3.10). In dieser niederländischen Untersuchung wurde ein
Vergleich von chirurgischer vs. bronchoskopischer Frühintervention bei
Patienten mit Lungenkarzinom (Stadium 1A) vorgenommen. Im Rahmen des
Konsensusprozesses dieser Leitlinie wurde allerdings konstatiert, dass die
Studie wegen ihres retrospektiven Designs eine entscheidende Schwäche
bezüglich der Gruppenvergleichbarkeit aufweist. So wurde eine
endobronchiale Therapie (Elektrokaustik, photodynamische Therapie,
Lasertherapie) von endoluminalen Frühkarzinomen mit einem maximalen
Durchmesser von 1 cm mit der operativen Therapie von Patienten im
Stadium IA (Tumorgröße bis zu 3 cm, mittlere Größe
1,9 cm) miteinander verglichen (Evidenztab.
16.3.6a + b). Die getroffenen Annahmen der Studie sind aus
Sicht der Leitlinienkonsensuskonferenz somit nicht realistisch, weshalb auf
eine Berücksichtigung in der Zusammenfassung explizit verzichtet wird.
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung zu
chirurgischen Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC: Aus Sicht
des deutschen Gesundheitswesens können demnach auf Basis der aktuellen
Studienlage keine eindeutigen und klaren gesundheitsökonomischen
Empfehlungen abgeleitet werden. Keine Untersuchung/Analyse wurde in Deutschland
durchgeführt bzw. bezieht sich in den berichteten Ergebnissen auf das
deutsche Gesundheitswesen. Die Autoren der NICE-Leitlinie sind in der
Formulierung möglicher Schlussfolgerungen ebenfalls sehr vorsichtig,
stellen aber fest, dass der Einsatz von Leitlinien bei chirurgischen
Interventionen Kosteneinsparpotenzial haben kann [1364 ]
[1365 ]
[1366 ].
16.3.7 Gesundheitsökonomische Aspekte kombinierter
Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC
Insgesamt wurden 5 Studien (4 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 1
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
kombinierter Interventionen bei der Therapie des NSCLC befassen. Keine der
identifizierten Studien wurde in Deutschland durchgeführt oder bezieht
sich in den berichteten Ergebnissen auf Deutschland.
Vergnenegre et al. (2006) [1367 ]
(Evidenzgrad 2a) evaluierten retrospektiv ökonomische Aspekte einer
Phase-III-Studie aus Sicht des französischen Gesundheitssystems. In der
zugrunde liegenden Studie wurde die Effektivität einer sequenziellen
Radiochemotherapie (Arm (A): Chemotherapie mit Cisplatin/Vinorelbin gefolgt
von
Radiotherapie) im Vergleich zu einer parallelen Radiochemotherapie (Arm (B):
Chemotherapie mit Cisplatin/Etoposid und gleichzeitiger Radiotherapie)
untersucht. Es wurden keine signifikanten Effektivitätsunterschiede
zwischen den beiden Studienarmen identifiziert, jedoch zeigte sich
bezüglich der Überlebenszeit ein leichter Trend zugunsten der
parallelen Therapie (3- bzw. 4-Jahres-Überleben: Arm (A)
19 % bzw. 14 % vs. Arm (B) 25 % bzw.
21 % [p = 0,24]). Vergnenegre et
al. (2006) [1367 ] führten daraufhin eine
Kostenminimierungsanalyse aus Kostenträgerperspektive durch. Die Patienten
(n = 173) hatten ein diagnostisch gesichertes und bislang
unbehandeltes und inoperables NSCLC (Stadium IIIA – B/N2).
Aufgrund der medianen Follow-up Dauer von 4,8 Jahren wurde eine jährliche
Diskontierung von 0 – 5 % (5 %
im Basisszenario) angewendet.
Die Analyse der Kosten ergab eine leichte Kostenreduktion bei
der parallelen Kombination von Chemotherapie und Radiotherapie (15 245
Euro vs. 16 074 Euro bei sequenzieller Kombination). Da sich diese
Einschätzung auch in den Sensitivitätsanalysen bestätigte,
schlussfolgerten die Autoren der Studie, dass unter Kostengesichtspunkten die
parallele kombinierte Radiochemotherapie der sequenziellen Therapie vorzuziehen
ist (Evidenztab. 16.3.7a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung zu
kombinierten Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC: Aus Sicht des
deutschen Gesundheitswesens können auf Basis der aktuellen Studienlage
keine eindeutigen und klaren gesundheitsökonomischen Empfehlungen
abgeleitet werden. Keine Untersuchung/Analyse wurde in Deutschland
durchgeführt bzw. bezieht sich in den berichteten Ergebnissen auf das
deutsche Gesundheitswesen.
Die folgende Zusammenfassung ist auf Basis der bisherigen
Studienlage und unter Berücksichtigung der genannten Einschränkungen
dennoch möglich:
Kombinierte Behandlungsansätze
waren in den bisher publizierten Studien im Vergleich zu nicht-kombinierten
Behandlungen mehrheitlich kosteneffektivGS . [1367 ]
[1368 ]
[1369 ]
.
Es können jedoch aufgrund
mangelnder Evidenz keine eindeutigen Empfehlungen bezüglich der
Kosteneffektivität konkreter Therapiekombinationen abgeleitet
werden.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
GS – Gesundheitssystem
16.3.8 Gesundheitsökonomische Aspekte
radiotherapeutischer Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC
Insgesamt wurden 3 Studien (1 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 2
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
radiotherapeutischer Interventionen bei der Therapie des NSCLC befassen. Keine
der identifizierten Studien wurde in Deutschland durchgeführt oder bezieht
sich in den berichteten Ergebnissen auf Deutschland.
In einem von Barbera et al. (2004) [1370 ] (Evidenzgrad 2c) entwickelten
entscheidungsanalytischen Modell wurde die Kosteneffektivität der
Radiotherapie im Vergleich zur Alternative „keine
Strahlentherapie” untersucht (siehe auch Kapitel 16.3.9). Dabei wurde
die Durchführung der Radiotherapie sowohl bei unterschiedlichen
Therapiezielen (kurativer vs. palliativer Ansatz) als auch bei
unterschiedlichen histologischen Formen (SCLC vs. NSCLC) berücksichtigt.
Daten zur Effektivität der Radiotherapie wurden Literaturquellen
entnommen, Kosten stammten aus publizierten kanadischen Datenquellen. Aufgrund
des kurzen Modellzeitraums von unter einem Jahr wurde von den Autoren auf eine
Diskontierung verzichtet. Unklar ist die Kostenperspektive der Untersuchung,
die keine klare Erwähnung findet (vermutlich Sicht des kanadischen
Gesundheitssystems).
Bei NSCLC-Patienten wurde durch die Radiotherapie eine
zusätzliche mittlere Überlebenszeit von etwa 7,6 Monaten erreicht,
die Dauer zusätzlicher Symptomkontrolle lag bei 2,9 Monaten. Unter
Berücksichtigung der mit der Radiotherapie verbundenen Zusatzkosten ergab
sich ein inkrementelles Kosteneffektivitätsverhältnis von $CAN
8126 pro gewonnenem Lebensjahr bzw. $CAN 14 720 pro
zusätzlichem Jahr Symptomkontrolle. Damit ist die Radiotherapie im Rahmen
dieser Untersuchung eine kosteneffektive Maßnahme im Vergleich zur
Alternative „keine Radiotherapie”.
Lievens et al. [1371 ] (Evidenzgrad 2b)
führten zur Bestimmung der Kosteneffektivität der CHART (Continuous
Hyperfractionated Accelerated RadioTherapy) im Vergleich zur konventionellen
Radiotherapie eine entscheidungsanalytische Modellrechung durch. Zu diesem
Zweck entwickelten die Autoren ein Markov-Modell. Um das schnelle Tumorwachstum
adäquat abzubilden, wählten die Autoren eine Modellzykluslänge
von nur 6 Wochen. Die hypothetischen Patienten (Alter = 65 Jahre)
dieser Modellrechnung litten unter diagnostisch gesichertem und inoperablem
NSCLC. Die Kostenanalyse erfolgte aus gesellschaftlicher Perspektive. Da das
Modell einen Zeitraum von 4 Jahren umfasste, wurde eine Diskontierung in
Höhe von 3 % p. a. vorgenommen. Die zugrunde
liegenden Kosten und Effekte sowie die Übergangswahrscheinlichkeiten der
Modellrechnung sind nachvollziehbar dokumentiert.
Patienten der CHART-Gruppe profitierten von CHART im Sinne einer
verlängerten mittleren Überlebenszeit und einer verbesserten
Lebensqualität. Demnach betrug der Überlebenszeitzuwachs in dieser
Gruppe 0,255 Jahre (0,202 QALYs) verglichen mit der konventionellen
Radiotherapie. Die Zusatzkosten in der CHART-Gruppe betrugen 2300 Euro pro
Patient und waren zum großen Teil der unter CHART erforderlichen
Hospitalisierung zuzuschreiben. Im Ergebnis zeigte sich für CHART ein als
kosteneffektiv einzuschätzendes inkrementelles
Kosteneffektivitätsverhältnis von 9164 Euro pro gewonnenem Lebensjahr
bzw. 11 576 Euro pro gewonnenem QALY. In zusätzlichen
Sensitivitätsanalysen zeigte sich, dass auch bei Variation von
Modellschlüsselparametern keine wesentlich veränderte
Einschätzung dieses Ergebnisses notwendig wurde (Evidenztab.
16.3.8a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung zu
radiotherapeutischen Behandlungsoptionen bei der Therapie des NSCLC: Aus
Sicht des deutschen Gesundheitswesens können auf Basis der aktuellen
Studienlage keine eindeutigen und klaren gesundheitsökonomischen
Empfehlungen abgeleitet werden. Keine der gefundenen Untersuchungen/Analysen
wurde in Deutschland durchgeführt bzw. bezieht sich in den berichteten
Ergebnissen auf das deutsche Gesundheitswesen. Die Tatsache, dass die
identifizierten Publikationen auf verschiedene Gesundheitssysteme fokussiert
sind, schränkt zudem den Vergleich der Ergebnisse untereinander ein.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung der
genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Es gibt Hinweise darauf, dass
Radiotherapie sowohl mit kurativer als auch mit palliativer Zielstellung eine
kosteneffektiveGS Maßnahme gegenüber der Alternative
„watch and wait” ist. Ein Vergleich mit anderen Therapieformen
ist auf Basis der bisherigen Studienlage allerdings nicht möglich [1370 ]
.
Gegenüber konventioneller
Strahlentherapie scheint CHART (Continuous Hyperfractionated Accelerated
RadioTherapy) eine kosteneffektive Therapieoption [1371 ]
[1372 ] zu sein.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
GS – Gesundheitssystem
G – Gesellschaft
16.3.9 Gesundheitsökonomische Aspekte der Therapie des
SCLC
Insgesamt wurden 6 Studien (4 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 2
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten bei
der Therapie des SCLC befassen. Keine der identifizierten Studien wurde in
Deutschland durchgeführt oder bezieht sich in den berichteten Ergebnissen
auf Deutschland.
In einem von Barbera et al. (2004) [1370 ] (Evidenzgrad 2c) entwickelten
entscheidungsanalytischen Modell wurde die Kosteneffektivität der
Radiotherapie im Vergleich zur Alternative „keine
Strahlentherapie” untersucht (siehe auch Kapitel 16.3.8). Dabei wurde
die Durchführung der Radiotherapie sowohl bei unterschiedlichen
Therapiezielen (kurativer vs. palliativer Ansatz) als auch bei
unterschiedlichen histologischen Formen (SCLC vs. NSCLC) berücksichtigt.
Daten zur Effektivität der Radiotherapie wurden Literaturquellen
entnommen, Kosten stammten aus publizierten kanadischen Datenquellen. Aufgrund
des kurzen Modellzeitraumes von unter einem Jahr wurde von den Autoren auf eine
Diskontierung verzichtet. Unklar ist die Kostenperspektive der Untersuchung,
die keine klare Erwähnung findet (vermutlich Sicht des kanadischen
Gesundheitssystems).
Bei SCLC-Patienten wurde durch die Radiotherapie eine
zusätzliche mittlere Überlebenszeit von etwa 4,1 Monaten erreicht,
die Dauer zusätzlicher Symptomkontrolle lag bei 3,9 Monaten. Unter
Berücksichtigung der mit der Radiotherapie verbundenen Zusatzkosten ergab
sich ein inkrementelles Kosteneffektivitätsverhältnis von $CAN
19 826 pro gewonnenem Lebensjahr bzw. $CAN 9506 pro
zusätzlichem Jahr Symptomkontrolle. Damit ist die Radiotherapie im Rahmen
dieser Untersuchung eine kosteneffektive Maßnahme im Vergleich zur
Alternative „keine Radiotherapie”.
Eine weitere Untersuchung (Bojke et al., 2006
[1373 ]) (Evidenzgrad 2a) befasste sich mit der
Kosteneffektivität einer intensivierten Chemotherapie (6 Zyklen
Doxorubicin/Cyclophosphamid/Etoposid (ACE) à 2 Wochen) in Verbindung mit
G-CSF (Granulocyte-Colony Stimulating Factor) im Vergleich zur alleinigen
Chemotherapie (6 Zyklen Doxorubicin/Cyclophosphamid/Etoposid (ACE) à 3
Wochen). Diese britische Untersuchung wertete retrospektiv die Daten der sog.
LU19-Studie aus, bei der zwischen 1993 und 1996 insgesamt 403 Patienten mit
SCLC eingeschlossen und randomisiert wurden. Das mittlere Alter der Patienten
lag bei 61 Jahren. Da es aus den Ergebnissen der LU19-Studie bereits Hinweise
auf eine bessere Effektivität der ACE + G-CSF-Therapie
gab, wurden in der vorliegenden Studie die ökonomischen Aspekte dieser
Therapie einer genaueren Analyse unterzogen. Die Kosten wurden dabei aus
Perspektive des NHS (National Health Service) bestimmt. Als Outcome wurden die
mittlere Überlebenszeit und qualitätsadjustierte Lebensjahre (QALYs)
herangezogen.
Die ACE + G-CSF-Patienten hatten gegenüber den
ACE-Patienten einen Überlebensvorteil von etwa 0,2 Jahren (1,45 Jahre vs.
1,25 Jahre). Bei den QALYs zeigte sich ebenfalls ein Unterschied zugunsten der
ACE + G-CSF-Gruppe (0,72 QALYs vs. 0,63 QALYs). Dieser
Effektivitätsvorsprung ist allerdings mit vergleichsweise höheren
Kosten verbunden. So verursachten die Patienten der
ACE + G-CSF-Gruppe im Mittel Kosten von 10 484
britischen Pfund, die der ACE-Gruppe dagegen nur 5837 britische Pfund. Das
inkrementelle Kosteneffektivitätsverhältnis betrug bezogen auf die
qualitätsadjustierten Lebensjahre 48 735 britische Pfund pro
zusätzlichem, gegenüber der ACE-Gruppe gewonnenem QALY. Damit ist die
Behandlung gemäß den üblichen Konventionen nicht mehr klar
kosteneffektiv. Die Autoren weisen allerdings darauf hin, dass bei der
Berechnung der inkrementellen Kosten pro QALY schon geringe Schwankungen bei
der QALY-Berechnung zu starken Schwankungen des inkrementellen
Kosteneffektivitätsverhältnisses führen kann, sodass keine
abschließende Aussage über die Kosteneffektivität der
intensivierten Chemotherapie getroffen werden kann (Evidenztab.
16.3.9a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zur Therapie des SCLC: Aus Sicht des deutschen Gesundheitswesens
können auf Basis der aktuellen Studienlage keine eindeutigen und klaren
gesundheitsökonomischen Empfehlungen abgeleitet werden. Keine der
gefundenen Untersuchungen/Analysen wurde in Deutschland durchgeführt bzw.
bezieht sich in den berichteten Ergebnissen auf das deutsche Gesundheitswesen.
Die Tatsache, dass die identifizierten Publikationen auf verschiedene
Gesundheitssysteme fokussiert sind, schränkt zudem den Vergleich der
Ergebnisse untereinander ein. Ein weiterer Grund für die vorsichtige
Interpretation der berichteten Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen
ökonomischen Perspektiven der Originalstudien, unterschiedlichen
Patientenpopulationen, verschiedenen Studienannahmen etc.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung der
genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Intensivierte Chemotherapie in
Verbindung mit Neutropenie-Prophylaxe scheint mit Zusatzkosten, aber auch mit
verbesserten Outcomes assoziiert. Das Vorliegen bzw. das Ausmaß einer
möglichen Kosteneffektivität ist allerdings unklar [1373 ]
.
Platin-basierte Chemotherapien
können bei SCLC-Behandlung kosteneffektivLE,KV sein [1374 ]
[1375 ]
[1376 ]
.
Es gibt vage Hinweise auf die
Kosteneffektivität einer prophylaktischen Bestrahlung des
Hirnschädels (PCI – prophylactic cranial
irradiation) in Verbindung mit Chemotherapie [1377 ]
.
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
KV – Krankenversicherung
LE – Leistungserbringer
16.3.10 Gesundheitsökonomie Aspekte endoskopischer
Therapieoptionen
Während in der aktuellen NICE-Leitlinie keine Publikation
gefunden wurde, hat die Update-Suche ab 2004 zumindest eine für die
ökonomische Einschätzung endoskopischer Interventionen relevante
Studie identifiziert. Nachfolgend werden die grundlegenden Methoden und
Erkenntnisse der Studie beschrieben, die im Rahmen der Update-Suche
berücksichtigt wurde. Auch hier ist jedoch festzuhalten, dass diese Studie
nicht in Deutschland durchgeführt wurde bzw. sich in den Ergebnissen nicht
auf Deutschland bezieht.
Die einzige in der Update-Suche identifizierte Studie, die auch
ökonomische Aspekte chirurgischer Behandlungen erfasste und analysierte,
wurde von Pasic et al. (2004) [1378 ] durchgeführt
(Evidenzgrad 3b; siehe auch Kapitel 16.3.6). In dieser niederländischen
Untersuchung wurde ein Vergleich von chirurgischer vs. bronchoskopischer
Therapie bei Patienten mit Lungenkarzinom (Stadium 1A) vorgenommen. Zu diesem
Zweck wurden 32 Patienten mit intraluminalem mikroinvasivem maximal 1 cm
Durchmesser großem Frühkarzinom, die eine bronchoskopische Therapie
(Elektrokaustik, photodynamische Therapie oder Lasertherapie) erhielten, anhand
ihrer klinischen Eigenschaften mit chirurgisch behandelten Patienten des
Stadiums IA gematcht. Als Matching-Parameter wurden die Tumorart, mögliche
Komorbiditäten (COPD, vorangegangene Tumorresektion, kardiovaskulärer
Status) sowie Alter verwendet. Das mittlere Alter der Patienten betrug 68
Jahre. Die mittlere Follow-up-Dauer lag bei 5 (bronchoskopische Intervention)
bzw. 6,7 Jahren (chirurgische Intervention). In der Studie wurde keine
ökonomische Perspektive aufgeführt, ebenso fehlten Informationen zu
einer möglichen Diskontierung. Obwohl von den Autoren anders angegeben,
handelte es sich bei der durchgeführten Analyse um eine
Kostenminimierungsanalyse, denn die Effektivität, gemessen an der medianen
Überlebenszeit, war in beiden Gruppen vergleichbar (2 Jahre) und wurde in
keinen rechnerischen Zusammenhang mit den verursachten Kosten gesetzt.
Die Analyse der Kosten ergab eine Einsparung zugunsten der
bronchoskopischen Therapie. Diese Maßnahme war mit Kosten von 6547 Euro
pro Patient assoziiert, der chirurgische Eingriff kostete dagegen 22 638
Euro. Die Autoren folgerten, dass die bronchoskopische Therapie bei Patienten
mit einem Frühkarzinom der zentralen Atemwege eine gegenüber den
standardmäßig durchgeführten chirurgischen Eingriffen
überlegene Kosteneffektivität zeigt. Diese ergibt sich aus einer
vergleichbaren Effektivität bei niedrigeren Kosten (Evidenztab.
16.3.10a + b). Allerdings sind die getroffenen Annahmen der
Studie aus Sicht der Leitlinienkonsensuskonferenz insbesondere wegen der
mangelnden Gruppenvergleichbarkeit nicht realistisch, weshalb auf eine
Berücksichtigung in der Zusammenfassung explizit verzichtet wird.
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung zu
endoskopischen Interventionen: Aus Sicht des deutschen Gesundheitswesens
können auf Basis der aktuellen Studienlage keine
gesundheitsökonomischen Empfehlungen abgeleitet werden.
16.3.11 Gesundheitsökonomische Aspekte palliativer
Therapieoptionen
Insgesamt wurden 9 Studien (7 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 2
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten
palliativer Interventionen bei der Therapie des Lungenkarzinoms befassten.
Keine der identifizierten Studien wurde in Deutschland durchgeführt oder
bezog sich in den berichteten Ergebnissen auf Deutschland.
In einem von Barbera et al. (2004) [1370 ] (Evidenzgrad 2c) entwickelten
entscheidungsanalytischen Modell wurde die Kosteneffektivität der
Radiotherapie im Vergleich zur Alternative „keine
Strahlentherapie” untersucht (siehe auch Kapitel 16.3.5). Dabei wurde
die Durchführung der Radiotherapie sowohl bei unterschiedlichen
Therapiezielen (kurativer vs. palliativer Ansatz) als auch bei
unterschiedlichen histologischen Formen (SCLC vs. NSCLC) berücksichtigt.
Daten zur Effektivität der Radiotherapie wurden Literaturquellen
entnommen, Kosten stammten aus publizierten kanadischen Datenquellen. Aufgrund
des kurzen Modellzeitraumes von unter einem Jahr wurde von den Autoren auf eine
Diskontierung verzichtet. Unklar ist die Kostenperspektive der Untersuchung,
die keine klare Erwähnung findet (vermutlich Sicht des kanadischen
Gesundheitssystems).
Bei den Patienten wurde durch die palliativ eingesetzte
Radiotherapie eine zusätzliche mittlere Überlebenszeit von etwa 7,1
Monaten erreicht, die Dauer zusätzlicher Symptomkontrolle lag bei 3,1
Monaten. Unter Berücksichtigung der mit der palliativen Radiotherapie
verbundenen Zusatzkosten ergab sich ein inkrementelles
Kosteneffektivitätsverhältnis von $CAN 9881 pro gewonnenem
Lebensjahr bzw. $CAN 13 938 pro zusätzlichem Jahr
Symptomkontrolle. Damit ist die Radiotherapie im Rahmen dieser Untersuchung
sowohl im kurativen als auch im palliativen Einsatz eine kosteneffektive
Maßnahme im Vergleich zur Alternative „keine
Radiotherapie”.
Maslove et al. (2005) [1379 ]
(Evidenzgrad 3b) führten eine retrospektive Kostenanalyse durch, bei der
BSC (best supportive care) mit zusätzlicher cisplatinbasierter
Chemotherapie mit alleiniger BSC verglichen wurde (siehe auch Kapitel 16.3.5).
Die Analyse war Bestandteil der Big Lung Trial-Study in Großbritannien,
bei der stationär aufgenommene NSCLC-Patienten in 8 Zentren rekrutiert
wurden. Anschließend erfolgte eine Randomisierung in die beiden
Behandlungsgruppen. In der Kostenanalyse wurden letztlich 1949 Patienten
berücksichtigt. Die Analyse wurde aus Sicht des NHS (National Health
Service) durchgeführt. Im Ergebnis zeigte sich, dass die
patientenbezogenen Kosten in der Chemotherapie + BSC-Gruppe um GBP 1760
höher lagen als in der Gruppe mit alleiniger BSC (GBP 5355 vs. GBP 3595).
Obwohl in dieser Studie keine expliziten Ergebnisse zu Effektivitätsdaten
berichtet wurden, wiesen die Autoren auf ein weiteres Ergebnis der Big Lung
Trial-Study hin, in der sich gezeigt hat, dass die cisplatinbasierte
zusätzliche Chemotherapie etwa 10 Wochen verlängerte
Überlebenszeit bei vergleichbarer Lebensqualität erreicht. Vor diesem
Hintergrund sollte die mögliche Kosteneinsparung einer alleinigen BSC
gesehen werden. Die Fokussierung der Studie auf die Kostenseite schränkt
die Aussagekraft der gefundenen Ergebnisse somit erheblich ein (Evidenztab.
16.3.11a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung zu
palliativen Therapieoptionen: Aus Sicht des deutschen Gesundheitswesens
können auf Basis der aktuellen Studienlage keine eindeutigen und klaren
gesundheitsökonomischen Empfehlungen abgeleitet werden. Keine der
gefundenen Untersuchungen/Analysen wurde in Deutschland durchgeführt bzw.
bezog sich in den berichteten Ergebnissen auf das deutsche Gesundheitswesen.
Die Tatsache, dass die identifizierten Publikationen auf verschiedene
Gesundheitssysteme fokussiert sind, schränkt zudem den Vergleich der
Ergebnisse untereinander ein. Ein weiterer Grund für die vorsichtige
Interpretation der berichteten Resultate ergibt sich aus den unterschiedlichen
ökonomischen Perspektiven der Originalstudien, unterschiedlichen
Patientenpopulationen, verschiedenen Studienannahmen etc. Gerade im Bereich
der
palliativmedizinischen Versorgung kommt hinzu, dass die palliativen Strukturen
der den Studien zugrunde liegenden Länder sich stark unterscheiden, was
einen Übertrag auf das deutsche Versorgungssystem unmöglich
macht.
Die folgende Zusammenfassung ist unter Berücksichtigung der
oben genannten Einschränkungen dennoch möglich:
Perspektivenlegende der ökonomischen
Analyse:
GS – Gesundheitssystem
16.3.12 Gesundheitsökonomische Aspekte der
Nachsorge
Insgesamt wurden 6 Studien (5 in der aktuellen NICE-Leitlinie, 1
in der Update-Suche) identifiziert, die sich mit ökonomischen Aspekten der
Nachsorge befassen. Keine der identifizierten Studien wurde in Deutschland
durchgeführt oder bezog sich in den berichteten Ergebnissen auf
Deutschland.
Kent el al. (2005) [1380 ] (Evidenzgrad
2a) untersuchte im Rahmen einer Entscheidungsanalyse die
Kosteneffektivität einer Follow-up CT-Untersuchung des Thorax bei
Patienten nach einer chirurgischen Resektion eines Stadium 1A NSCLC Tumors in
den USA. Die Outcomemessung der Studie orientierte sich an der um die
Lebensqualität bereinigten Überlebenszeit (gemessen anhand der
5-Jahres-Überlebensrate) einer hypothetischen Interventionskohorte im
Vergleich zu einer Kontrollgruppe die keine CT-Untersuchung erhielt. Das
zugrunde liegende Modell wurde als Markov-Modell entwickelt. Dabei wurden die
genutzten Übergangswahrscheinlichkeiten aus vorhandenen Publikationen
extrahiert.
Im Ergebnis zeigte sich eine verbesserte
5-Jahres-Überlebensrate in der Interventionsgruppe (29 %) im
Vergleich zur Rate in der Kontrollgruppe (19 %). Auch nach
Berücksichtigung lebensqualitativer Effekte war die Interventionsgruppe
überlegen (QALY-Differenz: 0,16 QALYs). Die überlegene
Wirksamkeit war allerdings mit Zusatzkosten in Höhe von
$ 7716 verbunden. Das inkrementelle
Kosteneffektivitätsverhältnis (incremental cost-effectiveness ratio,
ICER) lag damit bei etwa $ 47676 pro gewonnenem QALY und liegt
damit in einem als kosteneffektiv einzuschätzenden Bereich. In den
Sensitivitätsanalysen zeigten sich jedoch zahlreiche Faktoren als
entscheidend für die Beurteilung der Kosteneffektivität. So zeigte
sich, dass mit steigendem Alter der Kohorte das Maß der
Kosteneffektivität sinkt und ab einem Alter von 70 Jahren keine
Kosteneffektivität mehr vorliegt (ICER: $ 84781 pro
gewonnenem QALY). Auch die mit der CT-Untersuchung verbundenen Kosten
beeinflussen direkt die Kosteneffektivität. Lagen die Kosten der
Intervention im kosteneffektiven Basecase-Szenario noch bei
$ 454, zeigte sich bei zugrunde gelegten Kosten ab
$ 700 keine Kosteneffektivität mehr. Weiterhin zeigten sich
auch der Anteil falsch-positiver CT-Befunde sowie die Inzidenz sekundärer
Lungentumore als die Kosteneffektivität beeinflussende Faktoren. Die
Autoren schlussfolgern, dass ein regelmäßiges Follow-up mittels
jährlicher CT-Untersuchung in ausgewählten Patientenpopulationen
kosteneffektiv sein kann (Evidenztab. 16.3.12a + b).
Gesundheitsökonomische Zusammenfassung
zur Nachsorge: Aus Sicht des deutschen Gesundheitswesens können auf
Basis der aktuellen Studienlage keine gesundheitsökonomischen Empfehlungen
abgeleitet werden. Keine der gefundenen Untersuchungen/Analysen wurde in
Deutschland durchgeführt bzw. bezog sich in den berichteten Ergebnissen
auf das deutsche Gesundheitswesen. Hinzu kommt speziell im Bereich der
Nachsorge, dass die für die Patientennachsorge notwendigen Infrastrukturen
international sehr unterschiedlich ausgestaltet sind.
Erklärung über mögliche
Interessenskonflikte
Erklärung über mögliche
Interessenskonflikte
Das Steering-Komitee hat von jedem Autor ein ausgefülltes
Formular „Erklärung über mögliche
Interessenskonflikte” (Wortlaut der Erklärung im Leitlinienbericht,
der über das Internet abzurufen ist [
www.thieme-connect.de/ejournals/html/10.1055/s-0029-1243837 ]),
erhalten, in dem alle Beziehungen zu Einrichtungen der pharmazeutischen
Industrie und zu Medizinprodukteherstellern anzugeben waren. Die Angaben wurden
durch das Steering-Komitee bewertet, dabei wurden keine Interessenskonflikte
festgestellt, die die fachliche Unabhängigkeit der Autoren im Hinblick auf
die Erstellung der Leitlinie beeinträchtigen könnten.