Dialyse aktuell 2009; 13(9): 514-515
DOI: 10.1055/s-0029-1243348
Forum der Industrie

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Treffen der europäischen Kindernephrologen - Was gab es Neues?

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Publication Date:
24 November 2009 (online)

 
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Die Kindernephrologen aus ganz Europa trafen sich beim Kongress der "European Society for Paediatric Nephrology" (ESPN) in Birmingham zum wissenschaftlichen Austausch. Es war schwierig, bei der Fülle an Vorträgen und Sessions den Überblick zu behalten. Daher trafen sich einige deutsche Kindernephrologen im Anschluss und diskutierten unter der Leitung von PD Lutz Weber, München, die spannendsten Neuigkeiten.

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Zystische Nierenerkrankungen

Ausführlich thematisiert wurden auf der ESPN die zystischen Nierenerkrankungen. Sie werden unterschieden in Erkrankungen, die in der Entwicklung angelegt sind und solche, die degenerativ verlaufen. Aufschlussreich war laut Dr. Anja Lehnhardt, Hamburg, der Beitrag der Erwachsenen-Nephrologen auf der ESPN. Insbesondere deren Ausführungen zu Therapieansätzen in der Behandlung der ADPKD (autosomal-dominante polyzystische Nierenerkrankung) haben erneut die Frage aufgeworfen, ob diese Erkenntnisse auf die in der pädiatrischen Nephrologie relevantere rezessive Form der polyzystischen Nierenerkrankung (ARPKD) übertragen werden können. Der Einsatz von mTOR-Inhibitoren führte in den vorgestellten Untersuchungen nach 6 Monaten bei erwachsenen ADPKD-Patienten im Gegensatz zur Kontrollgruppe zu einem Rückgang der Zystengröße.

Die Diskussionsteilnehmer waren trotzdem der Ansicht, Kindernephrologen sollten bezüglich des Einsatzes von mTOR-Inhibitoren in der ARPKD-Behandlung zurückhaltend sein. Zum einen ist ein ähnlicher Therapieerfolg wie bei ADPKD-Patienten nicht zwingend anzunehmen. Zudem gibt es bisher keine ausreichende Erfahrung mit dieser Substanzgruppe, insbesondere deren Einsatz bei Kleinstkindern. Die auf dem Kongress vorgestellten Daten zur Wachstumsminderung infolge mTOR-Inhibitortherapie stimmen grundsätzlich nachdenklich.

Möglicherweise sind wissenschaftliche Ansätze mit Vasopressin-2-RezeptorA Antagonisten oder Tyrosinkinaseinhibitoren zu erwägen. Erste Studien zum Einsatz der mTOR-Inhibitoren in der Pädiatrie sind laut Dr. Heiko Billing, Heidelberg, aber in Planung.

Billing schätzte vor allem den Vortrag von Prof. Friedhelm Hildebrandt, Ann Arbor (USA), ("Overview of the ciliary hypothesis - What clinicians need to know") als besonders wertvoll ein, der einen sehr schönen Überblick über den Einfluss der Zilien bei der Nierenentwicklung gab. Ziliäre Erkrankungen können schon im Kleinkindalter im Sinne einer terminalen Niereninsuffizienz (z. B. ARPKD), aber auch erst im Laufe der Entwicklung klinisch manifest werden.

Dr. Carsten Bergmann, Aachen, wies in seinem Vortrag "The child with cystic disease" darauf hin, dass die Genotyp-Phänotyp-Korrelation innerhalb einer Familie mit der gleichen Mutation sehr häufig erheblich abweicht. So sind bei Familien mit ADPKD sehr unterschiedliche klinische Verläufe zu beobachten.

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Bild: MEV People Collection Vol.38

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Nephrotisches Syndrom

Dem nephrotischen Syndrom (NS) war der Übersichtsvortrag von Dr. Tobias Huber, Freiburg, "The molecular basis of the glomerular barrier: the split diaphragm" gewidmet, der Weber zufolge sehr anschaulich die Bedeutung der glomerulären Basalmembran für das nephrotische Syndrom (NS) deutlich machte.

Lehnhardt berichtete über interessante Erfahrungsberichte zur Anwendung von Rituximab beim therapierefraktären nephrotischen Syndrom (NS). Es wurde offensichtlich, dass große prospektive Studien notwendig sind, um Therapieregime zu validieren und deren Anwendung bei verschiedenen Formen des NS zu evaluieren.

Es blieb bei den Diskussionsteilnehmern der Eindruck, dass die Therapie des NS trotz Bemühungen um einheitliche Standards noch immer sehr variabel und zentrumsabhängig ist. Genetische Analysen sollten sich an Diagnose und klinischem Verlauf ausrichten. Offen blieb in der Diskussion die Frage, warum in der Nephrologie begleitend zur Steroidtherapie nur selten eine Vitamin-D- und Kalziumgabe erfolgt. Momentan läuft Dr. Eva-Maria Rüth, Erlangen, zufolge eine Studie zur Knochengesundheit bei Patienten mit NS in Erlangen.

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Harntraktfehlbildungen und Harnwegsinfektionen

Zum Thema Harntraktfehlbildungen und Harnwegsinfektionen (HWI) fanden auf dem Kongress der ESPN 3 Vorträge statt, zusätzlich gab es 53 Poster hierzu. Viele unizentrische Untersuchungen bestätigen die bestehenden deutschen Richtlinien zum Management von Harntraktfehlbildungen/Harnwegsinfektionen. Sie unterstreichen beispielsweise wie wichtig die suprapubische Blasenpunktion ist. Daneben war laut Dr. Marcus Benz, München, vor allem die schwedische Refluxstudie [1] aufschlussreich.

Die in die Studie eingeschlossenen 203 Kinder im Alter zwischen 12 und 23 Monaten mit vesikoureteralem Reflux (VUR) Grad III-IV erhielten entweder eine antibakterielle Prophylaxe (meist Trimethoprim) (n = 69), eine endoskopische Unterspritzung (n = 66) oder wurden überwacht ("wait and see") (n = 68). Die Häufigkeit febriler Harnwegsinfektionen betrug in der Gruppe mit der antibakteriellen Prophylaxe 14 %, in der Gruppe mit endoskopischer Unterspritzung 21 % und bei den Kindern ohne Behandlung 37 %.

Die rezidivierenden Harnwegsinfektionen betrafen vor allem Mädchen (33 versus 9 %). Werden die Analysen zur Anzahl der febrilen HWI nach Geschlecht getrennt ausgewertet, so zeigen die Jungen keine signifikanten Unterschiede in den 3 Gruppen, die Mädchen aber weiterhin. Vor allem die Mädchen (im Alter von 12-23 Monaten) profitieren somit von einer Ureterunterspritzung und der antibakteriellen Prophylaxe.

In einer 2. Analyse wurde in derselben Population zu Studienbeginn und nach 2 Jahren eine Miktionszystourethrografie (MCU) und eine DMSA-Szintigrafie (DMSA: Dimerkaptobernsteinsäure) durchgeführt. Die DMSA-Befunde wurden in 3 Schweregrade eingeteilt:

  • Gruppe a: fokaler Defekt mit Funktion über 45 %

  • Gruppe b: Funktion 40-44 % (unabhängig vom Defekt)

  • Gruppe c: Funktion unter 40 % (unabhängig vom Defekt)

Bei 23 Kindern zeigte sich nach 2 Jahren eine Zunahme der vorbeschriebenen Veränderungen in der DMSA. Die Therapiearme unterschieden sich jedoch nicht. Neue Perfusionsstörungen der Nieren oder ein Progress wurden vor allem bei den Patienten mit fieberhaften Harnwegsinfektionen beobachtet (neue Veränderungen wurden vor allem in der Gruppe b und c gesehen, bei Progress gab es keinen Unterschied zwischen den Gruppen). Sie korrelieren also mit der Anzahl der Harnwegsinfektionen. Somit vermindert die antibakterielle Prophylaxe - zumindest bei Mädchen - das Risiko für neu aufgetretene Perfusionsstörungen der Nieren oder ein Fort-schreiten der Erkrankung.

Die niederländische KIMONO-Studie [2] wurde auf einem Poster vorgestellt. Laut Benz untersuchte sie die begleitenden Fehlbildungen bei Kindern mit Einzelnieren (n = 150; n = 72 mit Nierenagenesie und n = 78 mit multizystischer Nierendysplasie). In beiden Gruppen sind begleitende Fehlbildungen der Nieren und ableitenden Harnwege (CAKUT: "congenital anomalies of the kidney and urinary tract") in 29,3 % beobachtet worden (33,3 versus 25,6 %). Einen vesikoureteralen Reflux vom Grad III oder größer zeigen 18 % der Patienten mit Nierenagenesie und 4,5 % der Patienten mit multizystischer Nierendysplasie. Diese Studie zeigt auffällig viele begleitende Fehlbildungsraten. Ungewöhnlich ist insbesondere der große Anteil an VUR III und höher bei Patienten mit Nierenagenesie.

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Wachstumspotenzial unter Wachstumshormontherapie

Rüth berichtete den Kollegen über den Vortrag von Prof. Otto Mehls, Heidelberg [3]. Hierin stellte er den aus den Daten der KIGS-Datenbank erarbeiteten Algorithmus zur Prädiktion des Wachstums von niereninsuffizienten Kindern unter Wachstumshormontherapie vor. Der Algorithmus ist ausschließlich für präpubertäre Patienten geeignet und soll die Wachstumsgeschwindigkeit (cm/Jahr) unter Wachstumshormontherapie voraussagen. Entscheidende Parameter sind

  • das Alter der Patienten,

  • der SD-Score für das Gewicht (SD: "standard deviation"),

  • die Nierenfunktion (GFR in ml/min x 1,73 m2 Körperoberfläche),

  • die Wachstumshormondosis sowie

  • das Nicht-/Vorhandensein einer hereditären renalen Erkrankung.

Der Algorithmus wurde anhand von Daten der "Dutch Growth Research Foundation" validiert. Hier zeigte sich, dass mit dieser Methode alle Non-Responder unter GH-Therapie (GH: "growth hormone") identifiziert werden konnten, allerdings konnte der Algorithmus für das 2. Jahr unter GH-Therapie nur 27 % der Variabilität im Wachstum vorhersagen.

Die Idee eines Algorithmus als Hilfsmittel zur Therapieentscheidung der Eltern ist ausgezeichnet, die multifaktorielle Beeinflussung des Wachstums bei chronischer Niereninsuffizienz beeinflusst aber dessen prädiktiven Wert. Der vorgestellte Algorithmus scheint aber insbesondere geeignet zur Identifikation von Non-Respondern.

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Metabolisches Screening

Sehr interessante Posterbeiträge zeigten die Bedeutung des metabolischen Screenings bereits bei Kindern und Jugendlichen mit chronischer Niereninsuffizienz, berichtete Rüth weiter. Anderson et al. aus Southampton zeigten bei Kindern mit chronischer Niereninsuffizienz eine erniedrigte metabolische Rate, also einen erniedrigten Energieumsatz, der umgekehrt proportional zur GFR der Patienten war [4]. Übereinstimmend hierzu präsentierten Canpolat et al. aus Istanbul Daten, die bei Kindern mit chronischer Niereninsuffizienz bei 51 % eine gestörte Glukosetoleranz aufwiesen und bei 5 % bereits die Kriterien eines Diabetes mellitus erfüllten [5]. Eventuell sollten wir bereits sehr viel früher entsprechende diagnostische Maßnahmen durchführen.

Birgit Kleinlein, Stuttgart

Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Novo Nordisk Pharma GmbH, Mainz.

Die Beitragsinhalte stammen vom "Novo Nordisk Post Congress Meeting" im Rahmen des "43rd Annual Scientific Meeting of the European Society for Paediatric Nephrology" in Birmingham

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Literatur

  • 01 Hansson S . Brandström P . Jodal U . Recurrent febrile urinary tract infections in children randomized to prophylaxis, endoscopic injection or surveillance. Results from the Swedish reflux study. Abstract OC034, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 02 Westland R . Schreuder MF . van der Deure J . et al . Incidence of CAKUT and concomitant anomalies in children with a congenital solitary functioning kidney - The KIMONO-study. Abstract SAT088, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 03 Mehls O . Lindberg A . de Ridder E . et al . Prediction of individual response to growth hormone treatment in short children with CKD. Abstract OC025, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 04 Anderson CE . Gilbert RD . Elia M . The effect of kidney function and body composition on basal metabolic rate. Abstract: FRI-M-040, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 05 Canpolat N . Caliskan S . Güzeltas A . et al . Insulin resistance a cardiovascular risk factor in children with pre-dialyzed chronic renal failure? Abstract FRI-M-059, ESPN 2009, Birmingham. 
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Literatur

  • 01 Hansson S . Brandström P . Jodal U . Recurrent febrile urinary tract infections in children randomized to prophylaxis, endoscopic injection or surveillance. Results from the Swedish reflux study. Abstract OC034, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 02 Westland R . Schreuder MF . van der Deure J . et al . Incidence of CAKUT and concomitant anomalies in children with a congenital solitary functioning kidney - The KIMONO-study. Abstract SAT088, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 03 Mehls O . Lindberg A . de Ridder E . et al . Prediction of individual response to growth hormone treatment in short children with CKD. Abstract OC025, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 04 Anderson CE . Gilbert RD . Elia M . The effect of kidney function and body composition on basal metabolic rate. Abstract: FRI-M-040, ESPN 2009, Birmingham. 
  • 05 Canpolat N . Caliskan S . Güzeltas A . et al . Insulin resistance a cardiovascular risk factor in children with pre-dialyzed chronic renal failure? Abstract FRI-M-059, ESPN 2009, Birmingham. 
 
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Bild: MEV People Collection Vol.38