Deutsche Zeitschrift für Onkologie 2010; 42(1): 35-37
DOI: 10.1055/s-0029-1242583
Praxis
Behandlungsprobleme
© Karl F. Haug Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG

Ernährungstherapeutische Aspekte in der Geriatrischen Onkologie

Andrea Willeke
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Publication Date:
25 March 2010 (online)

Die Abnahme des Körpergewichts und der damit verbundene Verlust von Lebensenergie spiegeln nicht selten den kräftezehrenden und energetisch konsumierenden Charakter einer Tumorerkrankung wider. Insbesondere im Alter, wenn die Ressourcen des Organismus ohnehin schon eingeschränkt sind, ist die Wahrscheinlichkeit für das Auftreten verschiedenster Ernährungsprobleme deutlich erhöht. Eine effiziente, empathische Ernährungstherapie kann hierbei zu jedem Zeitpunkt einen unterstützenden Beitrag leisten und die Chancen auf physische wie psychische Stabilisierung verbessern.

Obwohl die tumorbiologische Forschung in den letzten Jahrzehnten große Fortschritte gemacht hat, ist das komplexe Krankheitsbild maligner Erkrankungen bis heute nicht vollständig verstanden. Besorgniserregend ist hierbei, dass laut Robert Koch Institut eine weiterhin steigende Inzidenz in der deutschen Bevölkerung zu erwarten ist. Wichtige Argumente für diese Annahme sind, neben einer immer älter werdenden Gesellschaft, auch die Intensivierung verbesserter frühdiagnostischer Maßnahmen. Viele der aktuellen Behandlungsstrategien sind zwischenzeitlich in der Lage, die Überlebensaussichten so zu verbessern, dass die Sterblichkeit beispielsweise bei Mammakarzinom oder bei Dickdarmkrebs deutlich gesenkt werden konnte.

Wenn es unter der antitumoralen Therapie jedoch nicht zu einer Heilung kommt, sondern die Erkrankung einen chronischen Krankheitsverlauf nimmt, gewinnen Aspekte wie Lebensqualität und Nutzung körpereigener Ressourcen zunehmend an Bedeutung. Engverbunden mit diesen Aspekten ist der aktuelle Ernährungszustand, der richtungsweisend den weiteren gesundheitlichen Prozess prägt. Insbesondere ältere Menschen sollten in diesem Zusammenhang sehr aufmerksam untersucht werden, da altersbedingte Veränderungen wie vermindertes Geschmacks- oder Durstempfinden, Appetitlosigkeit etc. den Ernährungsstatus ohnehin mehr oder weniger stark beeinflussen können (www.eortc.be, www.rki.de, www.fitimalter-dge.de).

Altersassoziierte Veränderungen (nach Heseker, Stehle et al, Ernährungsbericht 2008)

  • Stoffwechsel

  • Energie- und Nährstoffbedarf

  • Zunehmende Appetitlosigkeit

  • Geschmacks- und Geruchsveränderungen

  • Kau- und Schluckbeschwerden

  • Mundtrockenheit

  • Verminderung der Magenmotilität

  • Erhöhte Aktivität von Sättigungshormonen

  • Zunehmende körperliche, mentale Beeinträchtigungen

  • Auftretende Multimorbidität

Verminderte Nährstoffaufnahme bei tumor- und/oder therapieassoziierten Beschwerdebildern (modifiziert nach Ravasco, 2005; Zürcher, 2007)

  • Geschmacks- und Geruchsstörungen

  • Kau-, Schluckstörungen; Mundtrockenheit

  • Postprandiale Beschwerden; Übelkeit; Erbrechen, Diarrhöe, Obstipation, Ileus

  • Appetitverlust

  • Schmerzen

  • Demenz

  • Einseitige Ernährung

  • Nahrungskarenz

  • Diagnostische Maßnahmen

Erhöhter Nährstoffbedarf bei tumor- und/oder therapieassoziierten Beschwerdebildern (modifiziert nach Ravasco, 2005; Zürcher, 2007)

  • Maldigestion; Malabsorption

  • Verminderte resorptive Kapazität aufgrund von Resektion, Infektion, Entzündung

  • Diarrhöe, Blutungen

  • Fisteln, Drainagen

  • Fieber

  • Medikamente

Im Rahmen antitumoral ausgerichteter Therapien, wie Operation, Chemotherapien, Hormontherapie oder Strahlentherapien, führen therapieassoziierte Nebenwirkungen wie Übelkeit, Erbrechen, Appetitlosigkeit etc. darüber hinaus zu einer zusätzlich verminderten Aufnahme von Nährstoffen. Die therapieassoziierte Reduktion des Ernährungsstatus wiederum begünstigt die Morbidität der Patienten und in letzter Konsequenz die Lebensqualität. Gerade bei älteren Menschen ist deshalb schon bei den regelhaften Vorsorgeuntersuchungen ein Screening zur Erfassung des Ernährungsstatus wünschenswert. Auf jeden Fall sollte jedoch vor Einleitung einer Tumortherapie bzw. ernährungstherapeutischen Interventionen immer eine objektive Einschätzung des aktuellen Ernährungszustandes stehen.

Hierbei ist zu beachten, dass für eine ausreichende Interpretation des Ernährungszustandes verschiedenste Einzelparameter wie z. B. anamnestische und klinische Befunde, biochemische, anthropometrische Messgrößen etc. benötigt werden. Einen ersten schnellen Überblick zum Gewichtsverlauf, zur derzeitigen Nahrungsaufnahme und zu aktuellen Problemen im Verdauungstrakt geben etablierte Fragebögen wie beispielsweise der SGA (Subjective Global Assessment) (www.dgem.de).

Je nach Diagnosestellung, Allgemeinzustand, Krankheitsstadium und den daraus abgeleiteten Therapiemaßnahmen können ganz unterschiedliche diätetische Anforderungen diagnostiziert werden. Tumorkachexie, Tumorerkrankungen im Verdauungstrakt, Bestrahlungsbeschwerden, Einwirkungen der Chemotherapie, Ernährung nach Knochenmark- oder Stammzelltransplantationen, Sekundärprävention stehen aus ernährungsmedizinischer Perspektive auch bei älteren Patienten im Vordergrund. Der aktuelle Gesundheits- und Allgemeinzustand Betroffener ist demnach entscheidend für das nachfolgende Ernährungskonzept. Das diätetische Spektrum umfasst dabei Empfehlungen zu einer präventiven Kost ebenso wie eine auf die Bedürfnisse des Patienten individuell abgestimmte ernährungstherapeutische Intervention, um einer drohenden oder bereits existenten Mangelernährung gezielt entgegenzuwirken.

Vor diesem Hintergrund ist die Ermittlung und Einschätzung des Ernährungsstatus sowie das frühzeitige Erkennen ernährungsrelevanter Beschwerdebilder von vorrangiger Dringlichkeit. Treten eine Vielzahl ernährungsbezogener Nebenwirkungen und/oder eine multimorbide Genese auf, ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit einer erfahrenen Diätassistentin empfehlenswert. Denn im Mittelpunkt von gezielten Lebensmittelempfehlungen muss immer die Verdauungsleistung, die Verträglichkeit und die Stoffwechselaktivität des Patienten stehen. Die empfohlene Lebensmittelauswahl kann demnach von Patient zu Patient stark variieren und führt immer zu einer maßgeschneiderten, individuellen Beratungsempfehlung.

Im Allgemeinen kann eine säurearme, milde, weiche und leichtverträgliche Kost empfohlen werden [Tab. 1], insbesondere dann wenn durch Chemo- und/oder Bestrahlungstherapien Schleimhautentzündungen im Mund und Magen-Darm-Trakt zu erwarten sind. Verschiedenste Gründe können daneben zu einer ausgeprägten Appetitlosigkeit führen. Eine einfühlsame ernährungstherapeutische Begleitung mit dem Angebot kleinerer energiedichter Speisen, wie beispielsweise schmackhafte Cremes aus Avocado oder Nusspürees, kann hier unterstützend wirken.

Tab. 1: Checkliste häufige diätetische Beschwerdebilde – Beispiele möglicher Kostformen. Präventive Kost Empfehlungen der DGE Schleimhautentzündungen säurearme, weiche bis pürierte Kost, ggf. Trinksupplemente,enterale/parenterale Ernährung Appetitlosigkeit kleine energiedichte Mahlzeiten; Snacks; Kräuter/Gewürze verwenden Mundtrockenheit/ Geschmacksveränderungen feuchte, leicht zu schluckende Speisen Übelkeit/Erbrechen leicht verträgliche Kost, ggf. Kostaufbau (Tee-Tage, Zwieback, Brüheusw.) Blähungen/Diarrhöe genaue Diagnostik; ggf. leicht verträgliche Kost, Laktose reduzierte Kost Obstipation genaue Diagnostik; ausreichende Trinkflüssigkeit, milchgesäuerteLebensmittel, leicht verträgliche ballaststoffreiche Kost

Mundtrockenheit, wie sie insbesondere bei älteren Betroffenen auftritt, oder eine leichte Entzündung der Mundschleimhäute können ebenfalls den Genuss und somit die Nährstoffaufnahme mindern. Der Verzehr von „feuchten, leicht zu schluckenden Lebensmitteln” wie Honigmelone, gekochtes Obst oder Joghurt- oder Quarkspeisen wurde hier als hilfreich und angenehm empfunden. Gesäuerte Milchprodukte sind in der Regel gut verträglich und unterstützen aufgrund des hohen Gehalts an Milchsäurebakterien zusätzlich die Regeneration der Darmschleimhaut. Dagegen werden Fleisch und Brot meistens als „feste, trockene Lebensmittel” beschrieben, die nur mit erhöhter Kauleistung und starkem Willen hinunterzuschlucken sind.

Insbesondere bei älteren Menschen entstehen durch schlecht sitzende Zahnprothesen zusätzliche Probleme beim Kauen. Grund hierfür ist oftmals die therapieassoziierte rasante Gewichtsabnahme, sodass Zahnprothesen ihren ehemals optimalen Sitz verlieren.

Die Gewichtsstabilisierung eröffnet somit auch älteren Patienten die Möglichkeit, sich selbst zu stärken, um physisch und psychisch wieder Kraft und Energie für sich zu schöpfen. So werden gerne zur Gewichtsstabilisierung hochkalorische Nährsupplemente (1,5 kcal/ml) angeboten. Je nach Verdauungsleistung und Verträglichkeit sollte jedoch eine allmähliche Intensivierung der Trinknahrung erfolgen. Eine extrem fettreiche Kost kann ansonsten bei im Alter ohnehin häufig vorhandenen Verdauungsstörungen unter anderem Schmerzen, Diarrhöe, Blähungen und Unwohlsein hervorrufen.

Die ernährungstherapeutische Beratung hat sich zwischenzeitlich in der Betreuung des Tumorpatienten zu einem wichtigen integralen Bestandteil ganzheitlicher und umfassender Behandlungsstrategien entwickelt. Eine ausgewogene und stärkende Ernährungssituation ist nicht für die Erhaltung des Ernährungsstatus des alternden Menschen von Bedeutung, sondern wirkt ebenso stabilisierend auf das Wohlbefinden und kann somit einen wichtigen, supportiven Teilbeitrag für den gewünschten Therapieerfolg leisten.

Weiterführende Literatur- und Internetquellen:

www.rki.de

www.eortc.be/home/qol/

www.dgem.de/ernaehrungsteams/download.php?ag_sid=&group=/

Aktuelle E-med., Leitlinie DGEM, 2003, www.dgem.de

National Cancer Institute,
www.cancer.gov

www.fitimalter-dge.de

www.vdd.de

Ernährungsbericht 2008, DGE

Zürcher G. Wann und wie sollen Tumorpatienten ernährt werden? Der Onkologe 2007; S. 1–7
DOI 10.1007/s00761-007-1290-0

Ravasco P, Monteiro-Grillo I, Vidal PM, Camino ME. Dietary Counseling Improves Patient Outcomes: A Prospective, Randomized, Controlled Trial in Colorectal Cancer Patients Undergoing Radiotherapy.
J Clin Oncol 2005; 23(7): 1431–1438

Korrespondenzadresse

Andrea Willeke

Diätassistentin, Gesundheitswissenschaftlerin
Klinik für Tumorbiologie

Breisacher Str. 117

79106 Freiburg

Email: willeke@tumorbio.uni-freiburg.de

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