DO - Deutsche Zeitschrift für Osteopathie 2009; 7(04): 4-5
DOI: 10.1055/s-0029-1242518
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Hippokrates Verlag in MVS Medizinverlage Stuttgart GmbH & Co. KG Stuttgart

Im Gespräch mit...Eva Möckel

Christiane Kuhlmann
,
Peter Wührl
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Publication Date:
22 October 2009 (online)

Eva Möckel hat nach Studium und ersten Lehrjahren in England am Aufbau der Osteopathie in Deutschland entscheidend mitgewirkt. Sie lebt mit ihrer Partnerin Gwendolyn in Hamburg. Neben ihrer Praxistätigkeit unterrichtet und organisiert sie zusammen mit Noori Mitha Kurse in pädiatrischer, kranialer und biodynamischer Osteopathie. Auch das „Handbuch pädiatrischer Osteopathie” [1] haben sie zusammen herausgegeben.

Du kamst Anfang der 90er als Osteopathin nach Hamburg, wie war die Situation damals?

Als ich 1993 wieder nach Deutschland kam, gab es in Hamburg kaum Osteopathen. Ich wusste, es gibt eine Osteopathieschule. Da bin ich hin gegangen, weil ich professionellen Kontakt wollte, und habe gefragt, sucht ihr jemanden? Ich dachte, ich könne da assistieren. Sie haben mir geantwortet: „Nein, Assistenten können wir uns nicht leisten, aber wenn du einen Kurs anbieten willst, den wir noch nicht haben, dann kannst du hier unterrichten.” Daraufhin hab ich mit meiner damaligen Mentorin Susan Turner Rücksprache gehalten, weil ich pädiatrische Osteopathie unterrichten wollte, und sie meinte, das kannst du!

Später hast du das Sutherland Cranial College UK (SCC) nach Deutschland geholt. War das schwierig?

Ja, denn in England gab es einige Vorurteile gegen Leute, die Teilzeitausbildung absolvieren. 1996 fragte ich beim SCC an, ob man in Deutschland ausgebildete Osteopathen auch in England bei Fortbildungen des SCC zulassen könne? Da hieß es, wir kommen nach Deutschland. Das war damals politisch unverfänglicher. Der erste Kurs 1998 in Deutschland war ein Versuchsballon. Die Lehrer des SCC waren sehr beeindruckt vom theoretischen Wissen der Studenten, praktisch sah es nicht ganz so gut aus.

Wie kamst du auf die Idee Osteopathie zu studieren und warum bist du nach England gegangen?

Als ich 18 war, wollte ich entweder biologischen Gemüseanbau betreiben oder Heilpraktikerin werden. Ich habe biologischen Gemüseanbau ausprobiert, bin viel gereist und habe dann eine Heilpraktikerausbildung gemacht. Danach hatte ich das Gefühl, dass ich jetzt einen ungefähren Überblick habe, aber keine Therapie beherrsche. 1987 verbrachte ich einen Urlaub mit einer Freundin, die in Maidstone die Ausbildung gemacht hat: Dion Kulak, die inzwischen an der Uni in Melbourne Osteopathie unterrichtet. Dort sah ich, wie Dion eine Frau behandelte, die eigentlich nie gelächelt hat und danach zum ersten Mal richtig strahlte. Ich habe damals für die ganze Gruppe gekocht, war total aufgedreht und konnte nicht schlafen. Sie hat auch mich behandelt und erklärt, sie habe meine Nebennieren wieder heruntergefahren. Das war tatsächlich so. Ich konnte wieder gut schlafen. Dion war es dann, die mir eine Empfehlung für die European School of Osteopathy (ESO) geschrieben hat.

Dort wurdest du osteopathisch ausgebildet?

Ja, die ESO war eine sehr, sehr gute Schule zu der Zeit. Die kraniale Ausbildung wurde von Susan Turner geleitet und war hervorragend. Es gab viele ausgezeichnete Dozenten, wie z.?B. Harold Klug, der osteopathische Physiologie unterrichtete, und Tom Dummer, der sein Bestes tat, um uns Specific Adjustment beizubringen. Erst als ich nach vier Jahren fertig war, habe ich begonnen zu verstehen, was Osteopathie sein kann. Dabei wusste ich immer, dass unsere Lehrer hervorragend sind. Sie haben uns gut behandelt, sie haben immer den zukünftigen Kollegen in dir gesehen. Und von Zeit zu Zeit kamen weitere interessante Osteopathen vorbei. Im dritten und vierten Jahr hatten wir Kurse bei Barral und Mercier, auch Jim Jealous kam vorbei.

Und jenseits der Ausbildung. Wie war die Zeit in England?

Ich habe während der Ausbildungszeit in London gelebt. Unter der Woche übernachtete ich in Maidstone in einem ganz skurrilen Bed & Breakfast, so einem alten Tudor Mansion, einem heruntergekommenen Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert – Agatha Christie pur. Das war wirklich unglaublich. Ich lag abends in meinem Zimmer und habe die Spinnweben an der Decke betrachtet. Dort haben noch andere Studenten vom College gewohnt. Es gab keine Heizung in den Zimmern, gelernt haben wir in Decken gehüllt. Unten in der Küche haben sich alle getroffen und es gab eine riesige Halle mit einem Feuerplatz, auf dem man einen Ochsen hätte braten können.

Hat dich jemand besonders inspiriert?

Den wichtigsten Einfluss hatte damals Susan Turner auf mich. Sie hat die kraniale Ausbildung geleitet. Zwanzig Jahre lang ist sie einmal pro Woche an die ESO gefahren und hat einen ganzen Praxistag hergegeben. Von Anfang an war sie mein Vorbild. Sie ist die größte Lehrerin für mich, mit einer Engelsgeduld und immer an der Gesundheit orientiert. Niemals hat sie gesagt, das Zwerchfell bewegt sich nicht, sondern die Rippen möchten ein bisschen freier atmen. Sie hat immer alle Phänomene von der Gesundheit her ausgedrückt. Das war ein gutes Training für uns. In ihren Vorträgen ist jeder Satz angewandte Osteopathie, also Physiologie und Anatomie vereint. Sue hat an der ESO ein Kindersprechstunde initiiert, in der wir einmal die Woche Babys und größere Kinder behandelten. Das war mein Einstieg in die pädiatrische Osteopathie.

Nach dem College habe ich einmal die Woche im Osteopathic Center for Children (OCC) in London mitgearbeitet. Das war damals noch ganz bescheiden, samstags in einem Raum des London Homeopathic Hospital, in dem alte gelbe Vorhänge zwischen den Liegen hingen. Die Arbeit dort war sehr bereichernd und für mich eine Inspiration, hier in Hamburg mit anderen die osteopathische Kindersprechstunde OK e.V. zu gründen.

Wie waren deine Anfänge als Osteopathin?

Nach der Ausbildung blieb ich zwei Jahre in London, ich war noch nicht bereit nach Deutschland zurückzugehen. Ich wusste nicht, dass die Osteopathie inzwischen angefangen hatte sich in Deutschland zu verbreiten. Der Austausch mit Kollegen war mir wichtig und gab mir viel Sicherheit, besonders am Anfang. Ich sehe noch genau vor mir, wie ich in London in diesem kleinen Zimmer arbeite. Direkt neben der Tür war ein Spiegel und jeden Morgen habe ich mich davorgestellt und gesagt, „Ich bin eine gute Osteopathin, meine Behandlungen sind ihr Geld wert.” Ich hatte solche Hemmungen, weil ich dachte, oh Gott, die Patienten kommen jetzt, und wenn sie zu Susan Turner gehen würden, dann zahlen sie 10 Pfund mehr und kriegen eine fantastische Behandlung, und jetzt kommen sie zu mir. Wenn du dann Supervision bekommst, merkst du auch, dass es bei anderen vielleicht schneller geht, aber bei dir kommen die Leute auch zum Ziel.

Dann bist du nach Deutschland gekommen. Gab es fachlich Unterschiede?

Als ich anfing, hier zu unterrichten, wurde deutlich, dass kaum über die verschiedenen Rhythmen gesprochen wurde. Wenn man mit der Motion Present, der anwesenden Bewegung arbeitet, also die unwillkürliche Bewegung in der Inhalationsphase beobachtet, wie sie ein Muster ausdrückt, findet man relativ leicht zu einem mittleren Rhythmus von 2–3 Zyklen pro Minute. Diese Arbeit ist für Kinder sehr angenehm. Wenn du sehr analytisch bist in deinem Zugang, bleibst du wahrscheinlich im CRI, dem kranialen rhythmischen Impuls. Mit Susan haben wir von Anfang an eher im mittleren Rhythmus gearbeitet.

Wohin führt dich die osteopathische Reise, wo siehst du neue Aufgaben?

Mir geht es sehr darum verschiedene Arbeitsweisen zu integrieren und zu zeigen, dass sie sehr gut miteinander harmonieren. Man kann eine Behandlung wunderbar mit einer Balanced–Ligamentous–Tension–Annäherung beginnen. Es ist eine umfassende und sanfte Art und Weise Kontakt aufzunehmen. Dann lasse ich mich im Laufe der Behandlung meist mehr in einen biodynamischen, energetischen Bereich führen. Beim Unterrichten ist es mir sehr wichtig diese Arbeitsweisen zu integrieren und offen zu sagen, diese Ansätze passen zusammen, wir wollen sie nicht dividieren. Auch wenn die Ausbildungen getrennt sind, nachher trifft sich alles wieder.

Ich wurde jetzt von Jim Jealous gebeten, bei einer biodynamischen Kinderausbildung eine Einheit zur Frage der Diagnose zu unterrichten. Thema war die osteopathische Diagnose vor und nach der Behandlung. Wenn man länger im kranialen Bereich arbeitet, merkt man ja mehr und mehr, dass die Potency den therapeutischen Prozess leitet. Das ist sehr erleichternd, denn man muss nicht mehr ganz so schlau sein und die Vielfalt der Kompensation im Auge behalten. Es kann einen aber auch ein bisschen faul machen. Man denkt, ich muss ja gar nicht mehr diagnostizieren, und die Leute geben auf, was sie anfangs so mühsam in der Schule gelernt haben: zu observieren und Bewegungstests durchzuführen. Mein Ziel ist zurzeit diese Seite wieder mehr zu integrieren. Nicht mit diesem strengen und bewertenden Blick, der ja so oft auch negativ ist, also sehr an der Dysfunktion orientiert, sondern eher im Sinne des osteopathischen Gedankens, dass wir den Körper unterstützen wollen, sich an sein gesundes Potenzial zu erinnern.

Liebe Eva, danke für das Interview.

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Abb. 2
 
  • 1 Möckel E, Mitha N. Handbuch pädiatrischer Osteopathie. München: Elsevier; 2005