ZWR - Das Deutsche Zahnärzteblatt 2009; 118(10): 518-520
DOI: 10.1055/s-0029-1242478
Colloquium

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Vollkeramik oder Metallkeramik? - Oft die "Preisfrage" - aber nicht mehr in finanzieller Hinsicht

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Korrespondenzadresse

Dr. Thomas Greßmann

Kulmbacher Str. 3

95512 Neudrossenfeld

Email: info@gressmann.de

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Publication Date:
26 October 2009 (online)

 
Table of Contents

CAD/CAM verdrängt die konventionelle Gusstechnik, Vollkeramik die Metallkeramik - oder stimmt das gar nicht? Von der Antwort auf diese Frage hängt viel ab. Im Folgenden wird erläutert, was dies für die medizinische Ausrichtung des einzelnen Zahnarztes bedeutet, wobei auch wirtschaftliche Aspekte beleuchtet werden.

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Die Gewichte haben sich verschoben

Der Bereich Vollkeramik hat in den vergangenen 8 Jahren derartige Fortschritte gemacht, dass sich die Voraussetzungen, unter denen man als Zahnarzt zusammen mit dem Zahntechniker und dem Patienten über den geeigneten Werkstoff für eine prothetische Versorgung entscheidet, in vielerlei Hinsicht wesentlich geändert haben. So ist es eine spannende Frage, ob die Metallkeramik vielleicht zu einem Material für Nischen-Indikationen wird. Um es gleich vorwegzunehmen: Die Antwort lautet "nein", doch ist nach Einschätzung des Autors die Zeit reif für eine Standortbestimmung.

Vielfach verbindet man mit Vollkeramik immer noch eher die Praxis mit Innenstadtlage, einem zahlungskräftigen Klientel, das hochpreisige Prothetik-Segment. Das hat sich aber überholt. Nach den Erfahrungen in der Praxis des Autors liegt der Preisunterschied zwischen der vollkeramischen Restauration und der Alternative eines keramisch verblendeten hochgoldhaltigen Gerüsts bei unter 10 %. Je nach Patientenfall ist die letztere Option zuweilen sogar teurer. Damit ist die Leistungsfähigkeit des Materials nach medizinischen und ästhetischen Gesichtspunkten heute das wesentliche Kriterium, wobei insbesondere das auch im Seitenzahnbereich verwendbare Zirkonoxid in den Mittelpunkt rückt.

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Die Entwicklung bis zum heutigen Stand der Technik

In der Praxis des Autors wurden vor 8 Jahren die ersten Zirkonoxid-Restaurationen eingegliedert, und man muss feststellen: Seither hat sich die Präzision der Gerüste durch veränderte Frässtrategien und Software-Updates noch einmal wesentlich erhöht. Auch der Verbund zwischen Zirkonoxid-Gerüst und keramischer Verblendung hat wesentliche Verbesserungen erfahren. Zurückzuführen ist dies auf Fortschritte bei der Materialgrundlage der Verblendkeramik und jüngst durch eine systematische Optimierung der Empfehlungen für die Abkühlung nach dem Aufbrennen der Verblendung (Cercon base/Cercon ceram Kiss) [1]. Damit ist bei Zirkonoxid-Restaurationen eine Verarbeitungssicherheit erreicht, die derjenigen vergleichbarer metallkeramischer Restaurationen nicht oder kaum nachsteht.

Misserfolge mit diesem Werkstoff sind daher nicht dem Material anzulasten, allenfalls einer mangelnden Beschäftigung damit. Denn von der Präparation bis zur Eingliederung bestehen selbstverständlich teilweise große Unterschiede zwischen einem Metallgerüst und dem "weißen Gold", das als eigene Werkstoffklasse zu betrachten und zu behandeln ist [2, 3].

Unbedingt sollte zum Beispiel abgeklärt werden, ob es sich bei dem entsprechenden Patienten möglicherweise um einen Bruxer handelt. Denn bei diesen Patienten ist durch eine Schienentherapie vor der prothetischen Sanierung die Bisslage genau mit der Wirbelsäule abzustimmen, wobei stets ein Orthopäde und Osteopath hinzuzuziehen sind. Zudem wird in der Praxis bzw. im Labor unter Verwendung eines volljustierbaren Artikulators die Front-Eckzahn-Führung exakt eingestellt. Auf diese Weise ist gewährleistet, dass Triggerzonen vermieden werden und die Patienten nicht mehr "bruxen"! Auf jeden Fall müssen die Mindestwandstärken, die Mindestverbinderstärken und die anatomische Unterstützung der Verblendkeramik durch das Gerüst noch penibler beachtet werden als bei Metallkeramik.

Hält man als Behandler diese Grundregeln ein, wie sie in der einschlägigen Literatur beschrieben [4] sind, bleibt der dauerhafte Erfolg sicherlich nicht aus - vorausgesetzt natürlich, dass auch das zahntechnische Labor korrekt vorgeht. Dazu ein Zahlenwert aus der Praxis des Autors: In 7 Jahren kam es in der Zusammenarbeit mit dem Zahntechnikermeister Werner Gotsch, Marktleuthen, bei einer Gesamtzahl von über 1000 Restaurationen zu lediglich 2 Abplatzungen von Verblendkeramik von einem Zirkonoxidgerüst. In einem Fall hatte sich dabei eine provisorisch eingesetzte Krone gelockert; in dem anderen Fall war die Mindestverblendstärke unterschritten worden.

So kommt Zirkonoxid in der Praxis des Autors seit 7 Jahren regelmäßig und mit steigendem Anteil zum Einsatz. Dazu trägt der Wunsch vieler Patienten nach optimaler Ästhetik bei, darüber hinaus auch der Schwerpunktbereich der ganzheitlichen Zahnmedizin, der im Besonderen Naturheilkunde, Akupunktur und bioenergetische Medizin umfasst. Hier finden sich unter anderem die (allerdings wenigen) Patienten, die grundsätzlich keine Metalle vertragen. Mit Zirkonoxid können auch diese Patienten oft festsitzend versorgt werden.

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Kann Zirkonoxid Metall verdrängen?

Nun stellt sich automatisch die Frage, warum in dieser Situation Zirkonoxid-Restaurationen nicht zur eigentlichen Standardversorgung erklärt und auf Metalle ganz verzichtet werden soll. Einige Beispiele verdeutlichen jedoch, wo die Grenzen liegen:

Zirkonoxid erfordert eine deutliche Hohlkehlpräparation am Übergang von der Gingiva zum Zahnbereich. Die Natur gibt uns aber, je nach Patientenfall, zuweilen gekippte Zahnstellungen vor, bei denen dies kaum möglich ist. Stattdessen muss manchmal annähernd eine Tangentialpräparation vorgenommen werden, und dann ist Zirkonoxid kontraindiziert. Auch jedes seriöse Labor würde in einem solchen Fall den Wunsch des Patienten oder des Zahnarztes nach Keramikgerüsten zurückweisen. In der Praxis des Autors kommt in solchen Fällen folgerichtig eine klassische hochgoldhaltige Legierung zum Einsatz (Degudent U), die fast ausnahmslos keramisch verblendet wird (Duceram Kiss).

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Abb. 1 Die klinische Ausgangssituation mit zahlreichen Bruchkanten und Verfärbungen im oberen Frontzahnbereich.

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Abb. 2 Die Präparation für die Aufnahme von Kronen aus Zirkonoxid.

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Abb. 3 Die zahntechnische Schichtung unter Verwendung von Intensivdentin und Opalschneide (Cercon ceram love, DeguDent, Hanau).

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Abb. 4-6 Die eingegliederte Restauration von 12 bis 22 in Zirkonoxid (Cercon smart ceramics, DeguDent, Hanau).

Auch bei sehr großen Brückenspannen und großer Kurvatur bevorzugt der Autor nach wie vor oft die genannte metallkeramische Lösung. Die Entscheidung hängt auch vom einzelnen Patienten-Typus ab. Eine zierliche weibliche Person mit 2 fehlenden Seitenzähnen lässt sich ohne weiteres mit einer 4- bis 5-gliedrigen Zirkonoxid-Brücke versorgen, während das bei einem kräftigen Mann, insbesondere bei großer Zahnanatomie, nicht funktionieren kann.

Speziell bei mehrgliedrigen Konstruktionen für die Implantatprothetik sind hochgoldhaltige Materialien auch heute die 1. Wahl, denn sie weisen eine gewisse Restelastizität auf. Diese verleiht der Suprastruktur angesichts der starren Verankerung der künstlichen Zahnwurzeln im Kieferknochen unter Kaubelastung im Vergleich zu Vollkeramik eine noch höhere Sicherheitsreserve. Gern wird in der Praxis des Autors auch auf verschraubbare Varianten zurückgegriffen. Sie ermöglichen bei Bedarf eine wesentlich einfachere Kontrolle und eine gründlichere professionelle Hygiene in den Recall-Sitzungen - auch dies eine höhere Sicherheitsreserve.

Einige Beiträge aus der Literatur [5] verweisen ebenso wie die jahrelangen eigenen Erfahrungen auf eine breitere Anwendbarkeit von Zirkonoxid in der Implantologie - auch für Abutments: Individuell fräsen, direkt mit dem Implantat verschrauben, Keramik direkt aufbrennen - das hat sich in der Praxis des Autors als eine zuverlässig erfolgreiche therapeutische Option erwiesen. Dies wird durch Fallberichte zu verschraubten Zirkonoxid-Suprastrukturen in der Literatur bestätigt, sowohl für Einzelzahnersatz [6] als auch für größere Brückenspannen im Falle multipler Materialunverträglichkeit [7].

Oft wird neben der Frage "Vollkeramik oder Metallkeramik" manchmal auch die Frage "Gießen oder sintern oder fräsen?" gestellt. Keine dieser vermeintlichen Grenzziehungen ist wirklich scharf. Der Vorteil - fast möchte man sagen: das Gute und Schöne daran - besteht in Folgendem: Nach einer Phase der Technikbegeisterung (oder -phobie, je nach Temperament) rücken die medizinischen Aspekte wieder in den Mittelpunkt: Was ist für den Patienten die richtige Versorgung? Aus welchem Material wird sie demzufolge gefertigt? Und an 3. Stelle erfolgt dann die Entscheidung für das am besten geeignete Bearbeitungsverfahren.

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Ausrichtung der eigenen Praxis

Finanzielle Erwägungen stehen inzwischen bei der Entscheidung zwischen Vollkeramik und einer hochgoldhaltigen metallkeramischen Versorgung zurück. Geld spielt lediglich dann eine Rolle, wenn es um absolut preisorientierte Alternativen geht. Dafür wird in der Praxis des Autors in wenigen Fällen auf im SLM-Verfahren hergestellte Nichtedelmetallversorgungen zurückgegriffen (StarLoy LS, Compartis, Hanau). Grundsätzlich lässt sich NEM zwar auch im Labor gießen. Dabei lassen sich jedoch Schrumpfungen nicht immer vermeiden. Die reinere Materialqualität, eine höhere Homogenität und damit Schrumpfungs- und Verspannungsfreiheit gewährleistet in diesem Fall eine industrielle Netzwerkfertigung [8]. Die dabei verwendete SLM-Legierung zeichnet sich außerdem durch eine deutlich höhere Korrosionsbeständigkeit als bei üblichen NEM-Legierungen aus.

Ein kompletter Verzicht auf Metall ist lediglich bei der Indikation Inlay/Onlay überhaupt möglich. Ansonsten sind die medizinische bzw. werkstoffkundliche Kompetenz von Zahnarzt und Zahntechniker gefordert. Dabei kommt es überhaupt nicht darauf an, ob eine Praxis zum Beispiel alteingesessen oder neu eröffnet ist oder ob sie von einem erfahrenen älteren Inhaber oder einem jungen Zahnarzt geführt wird. Für alle gilt: Vollkeramik kann nie das alleinige Standbein sein.

Die Wahl des Materials fällt nach den vorstehend erläuterten Kriterien: nach der klinischen Situation, nach den Möglichkeiten bei der Präparation. Wenn mehrere Optionen eine gleichermaßen gute Prognose ermöglichen, wird in der Praxis des Autors heute überwiegend Zirkonoxid eingesetzt. Denn ein großer Vorteil von Vollkeramik ist die Vermeidung von unterschiedlichen Legierungen im Mund, die immer eine Spannungsreihe aufbauen können. Wünscht der Patient sich eine ästhetisch absolut hochwertige Restauration, bietet sich Zirkonoxid in besonderer Weise an. Sowohl mit diesem Werkstoff als auch mit klassischer Metallkeramik lassen sich über lange Jahre vorhersagbar gute Arbeiten in hoher Qualität "Made in Germany" eingliedern.

Zum Schluss noch eine Bemerkung zu den wirtschaftlichen Aspekten: So mancher Kollege überlegt, ob er nicht selbst zur Gewinnoptimierung ein Praxislabor betreiben sollte. Dazu ist aus Sicht des Autors Folgendes zu Bedenken: Wie auch immer die genaue Firmenkonstruktion aussieht - es lässt sich nicht der Konflikt vermeiden, der bei der Frage entsteht, ob eine nicht 100 %ig gute Laborarbeit neu angefertigt oder eingegliedert werden soll. Unter Wirtschaftswissenschaftlern ist eine solche "Zwickmühle" als Moral-hazard-Problematik bekannt. Nun mögen starke Naturen der "moralischen Gefährdung" bis zu einem gewissen Grade widerstehen können. Doch warum sollte man sich diesem inneren Konflikt überhaupt aussetzen - und dazu einer Fülle zusätzlicher ökonomischer Fragestellungen, die Zeitkapazität binden? Gewinnbringender im medizinischen wie im wirtschaftlichen Sinne erscheint es, sich auf die eigenen zahnärztlichen Stärken zu konzentrieren. Es ist dabei erfreulich, zu spüren, wie einem ein gutes Labor den Rücken für ihren Einsatz freihält.

Literatur beim Verfasser

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Abb. 1 Die klinische Ausgangssituation mit zahlreichen Bruchkanten und Verfärbungen im oberen Frontzahnbereich.

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Abb. 2 Die Präparation für die Aufnahme von Kronen aus Zirkonoxid.

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Abb. 3 Die zahntechnische Schichtung unter Verwendung von Intensivdentin und Opalschneide (Cercon ceram love, DeguDent, Hanau).

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Abb. 4-6 Die eingegliederte Restauration von 12 bis 22 in Zirkonoxid (Cercon smart ceramics, DeguDent, Hanau).