Z Orthop Unfall 2009; 147(4): 406-408
DOI: 10.1055/s-0029-1237482
Junges Forum

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York

Einsatzmedizin der Bundeswehr - Persönliche Erfahrungen in Afghanistan

Weitere Informationen
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Peter Schneider

Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern

Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie

Hellmut-Hartert-Str. 1

67655 Kaiserslautern

eMail: mmuhm@westpfalz-klinikum.de

Publikationsverlauf

Publikationsdatum:
19. August 2009 (online)

 
Inhaltsübersicht

Die Ausbildung eines Einsatzchirurgen der Bundeswehr muss auf breiter Basis erfolgen. Die medizinische Versorgung im jeweiligen Einsatzland soll auf so hohem Niveau gewährleistet sein, dass das Endergebnis dem Standard in Deutschland entspricht. So lautet die Maxime des Sanitätsdienstes der Bundeswehr. Es folgt ein Erlebnisbericht von Peter Schneider und Markus Muhm.

Über Funk werden die Ärzte in das Rettungszentrum gerufen. Es ist Mittagszeit bei sengender Hitze mit 40° C. Wider Erwarten handelt es sich nicht um eine weitere Übung, sondern um einen realen Einsatz. Gemeldet wurde ein schwerer Verkehrsunfall bei einer Erkundungsfahrt. Soweit bekannt gibt es zwei Schwer- und einen Leichtverletzten. Mehr Informationen sind von den Soldaten vor Ort nicht zu erhalten. Der Funkkontakt ist abgebrochen, was in diesem weitläufigen und sehr bergigen Land alltäglich ist. Zur Verfügung steht ein Satellitentelefon, aber auch mit diesem ist die Verbindung eingeschränkt. Es stehen je zwei Chirurgen und Anästhesisten für den Einsatz bereit.

Es ist Juni und wir befinden uns im Rettungszentrum Feyzabad, im sog. PRT (Provincial Reconstruction Team) Feyzabad in der Provinz Badakhshan im Nordosten Afghanistans. Unser Team besteht aus Fachärzten und sanitätsdienstlichem Fachpersonal. Dieses Team, unterstützt von militärischen Personal, unterhält ein Rettungszentrum in einem abgelegenen Militärlager in Afghanistan, in welchem ca. 300 Soldaten aus 3 Nationen - Deutsche, Tschechen und Dänen - stationiert sind.

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Medizinische Versorgung auf hohem Niveau

Zu den Aufgaben gehört vor allem die notfallmedizinische Versorgung der eigenen Truppe wie auch der befreundeter Nationen. Vom chirurgischen Team wird die Fähigkeit zur damage control surgery erwartet. Ziel dieser ist es das Überleben des Patienten zu sichern und Transportfähigkeit herzustellen. Trotz ungünstiger äußerer Umstände im Einsatzland sowie limitierter personeller und materieller Ressourcen ist das Ziel der Behandlung eine medizinische Versorgung auf einem so hohen Niveau zu gewährleisten, dass diese im Endergebnis dem Standard im Heimatland entspricht (Maxime des Sanitätsdienstes der Bundeswehr).

Um diese Fähigkeiten abzubilden, muss die Ausbildung eines Einsatzchirurgen auf breiter Basis erfolgen. Im Rahmen der alten wie auch neuen Weiterbildungsordnung erlangt der Einsatzchirurg zunächst die Qualifikation Facharzt für Allgemeine Chirurgie, bevor er eine Spezialisierung z. B. Unfallchirurgie erwerben kann. Die Ausbildung eines Militärchirurgen ist breit diversifiziert. Durch häufige Rotationen in der Ausbildung sollen Fähigkeiten in den Fachgebieten Thorax-, Gefäß-, Viszeral- und Unfallchirurgie erlangt werden. Parallel hierzu erwirbt der chirurgisch tätige Sanitätsoffizier Kompetenzen in Neurotraumatologie sowie damage control surgery in bundeswehreigenen praxisorientierten Kursen, u. a. an der Sanitätsakademie der Bundeswehr in München. Des Weiteren sollte jeder notfallmedizinisch tätige Sanitätsoffizier ATLSTM (Advanced Trauma Life Support) zertifiziert sein. Diese breite Ausbildungsgrundlage dient dem Chirurgen im Einsatz einen Behandlungsstandard zu gewährleisten, der oben genannter Maxime gerecht wird.

Weitere Aufgabe der Sanitätsoffiziere im Einsatz ist die truppenärztliche Versorgung der Soldaten, die einer hausärztlichen Versorgung im Heimatland entspricht. Hinzu kommen Einstellungsuntersuchungen und medizinische Betreuung von Einheimischen unter Beachtung der vorhandenen Ressourcen. Hierzu gibt es in Feyzabad eine Kooperation mit der örtlichen Klinik. Dort werden zweimal wöchentlich Visiten durchgeführt und nach Absprache medizinische Unterstützung geleistet.

Das Rettungszentrum beherbergt eine Station mit acht Betten, zwei OP-Säle und eine Intensivstation für maximal zwei beatmete Patienten (Abb. [1]). Es ist weitgehend splitter- und beschusssicher. An Rettungsmitteln stehen zwei BATs (beweglicher Arzttrupp, militärischer geländegängiger Notarztwagen) zur Verfügung. Diese sind mit entsprechendem Rettungspersonal und Fahrern besetzt.

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Abb. 1 Das Rettungszentrum Feyzabad ist ausgerüstet mit Schockraum (a), Operationssaal mit Röntgen-C-Bogen (b) und Intensivtherapieplätzen (c) (Quelle: Markus Muhm).

Grundsätzlich kann in Einsatzland medizinische Evakuierung (MedEvac) bodengebunden oder luftgestützt erfolgen. Welches Rettungsmittel zum Einsatz kommt, hängt u. a. von der Verfügbarkeit, der Bedrohungssituation, der Geländebeschaffenheit, der Distanz zum Unfallort und den Wetterbedingungen ab.

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Der Airbus A 310 dient als "fliegende Intensivstation" für den Flug nach Hause

Nach initialer Rettung und vitaler Stabilisierung erfolgt die weitere chirurgische Stabilisierung in einem Rettungszentrum oder einem Einsatzlazarett. Ist primär kein Einsatzlazarett in erreichbarer Nähe erfolgt in der Regel eine sekundäre Verlegung. Die chirurgische Versorgung erfolgt im Einsatzland nach den Regeln der bereits genannten damage control surgery. Die endgültige Versorgung erfolgt im Heimatland. Um diese zu gewährleisten, wird auf die Strategische Medizinische Luft-Evakuierung (StratAirMedEvac) zurückgegriffen. In Afghanistan erfolgt der Transport des Patienten aus den Feldlagern nach Termez, in Usbekistan, in der Regel mit dem Großraumtransporthubschrauber CH-53. Eine sog. holding area steht dort für Patienten zur Vorbereitung auf den Heimflug zur Verfügung (CSU - Casualty Staging Unit). Für den Weitertransport nach Deutschland nutzt die Bundeswehr einen Airbus A 310, der als "fliegende Intensivstation" ausgerüstet werden kann (Abb. [2]). Dieser startet vom militärischen Teil des Köln-Bonner Flughafens, in der Regel kehrt er dorthin auch zurück. Die weitere Verteilung der repatriierten Soldaten erfolgt nun ebenfalls bodengebunden oder luftgestützt in die Bundeswehrkrankenhäuser.

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Abb. 2 Airbus A 310 MedEvac (a) mit den Intensivbehandlungsplätzen (b) zum Transport nach Deutschland (Quelle: Markus Muhm).

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Einsatz unter erschwerten Bedingungen

Nachdem um 13.15 Uhr Einsatzbereitschaft hergestellt ist, verlassen zwei BATs mit militärischem Begleitschutz das Feldlager. In einem Gelände, wo durch einen kurzen Starkregen trockene Straßen zu Sümpfen werden, leisten die jungen Fahrer schier Unmögliches (Abb. [3]). Zum Teil sind die Bedingungen so schlecht, dass nur im Schritttempo und mit einem vor den Fahrzeugen hergehenden Scout ein Weiterkommen möglich ist. Eine Stunde später trifft die Einheit endlich vor Ort ein.

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Abb. 3 Überlandweg in Afghanistan (Quelle: Peter Schneider).

Ein Fahrzeug des militärischen Erkundungstrupps war bei schwierigen Straßenverhältnissen einen Abhang hinabgestürzt. Das Fahrzeug hatte sich mehrfach überschlagen und ist auf der Seite liegengeblieben. Die Verletzten wurden von ihren Kameraden aus dem verunglückten Fahrzeug gerettet. Erste-Hilfe-Maßnahmen wurden ergriffen und die so Versorgten an den Rand eines ausgetrockneten Bachbettes verbracht. Bei Eintreffen der BATs werden drei Verletzte vorgefunden, einer davon schwer, einer mittelschwer und einer leicht. Einer der Verunglückten ist desorientiert und weist bei schwerem Thoraxtrauma eine eingeschränkte Atemfunktion auf, derzeitig glücklicherweise noch ohne absolute Intubationsindikation. Ein Zweiter hat ebenfalls eine Thoraxprellung mit begleitenden Schulterschmerzen erlitten. Der leichtverletzte Soldat hat offensichtlich multiple Prellungen. Nach initialer Sichtung erfolgt die Stabilisierung mittels großlumiger Zugänge, Analgesie, Verbandanlage und Lagerung auf Vakuummatratzen. Es erfolgt die Information des Rettungszentrums in einem Arzt-zu-Arzt-Gespräch. Um 14.45 Uhr verlassen die BATs den Unfallort und erreichen das Rettungszentrum gegen 15.30 Uhr, in dem die Übergabe der Patienten erfolgt.

Nach erneuter Sichtung werden zwei Teams gebildet und die Patienten weiterversorgt. Der Zustand des initial desorientierten Soldaten hat sich auf dem Transport pulmonal weiter verschlechtert, sodass er im Schockraum intubiert und maschinell beatmet werden muss. Notfallmäßig wird eine Thoraxdrainage eingelegt. Gemäß ATLSTM erfolgen weitere diagnostische Maßnahmen mit Sonographie des Abdomens, Röntgen Thorax, Becken und HWS sowie die Bestimmung eines Blutbildes. Es finden sich eine Rippenserienfraktur mit Pneumohämatothorax sowie eine Azetabulumfraktur. Die Röntgenkontrolle zeigt den Erfolg der platzierten Thoraxdrainage mit Entlastung des Pneumohämatothorax. Der Patient wird zur weiteren Überwachung und Therapie auf die Intensivstation verlegt. Aufgrund der erlittenen schweren Lungenkontusionen verschlechtert sich der Zustand des Patienten in den nächsten Tagen, sodass die Beatmung fortgeführt wird.

Aufgrund der pulmonalen Insuffizienz und der Notwendigkeit weiterer Diagnostik und Therapie wird ein Rücktransport nach Deutschland geplant. Dieser wird über das sog. PECC (Patient Evacuation and Coordination Center) in Deutschland koordiniert.

Der vom zweiten Team behandelte Soldat hat eine Schulterluxation erlitten, die in Kurznarkose reponiert wird. Weiterhin fanden sich, neben einer frakturierten Rippe, multiple Prellungen. Nach Anlage eines Gilchristverbandes wird der Patient auf die Krankenstation im Rettungszentrum verbracht. Auch dieser Patient ist für die Repatriierung vorgesehen, um im Heimatland weitere diagnostische Maßnahmen bzgl. der Schulterverletzung zu erhalten. Der dritte Verletzte, der initial als leichter verletzt eingestuft wurde, weist auch nach gründlicher Untersuchung keine behandlungsbedürftige Verletzung auf, verbleibt jedoch zunächst auch stationär in der Obhut des Rettungszentrums.

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Am Abend Analyse des Einsatzes

Am selben Abend findet ein debriefing statt mit der Möglichkeit eines jeden Beteiligten sich einzubringen. Grundsätzlich werden alle Aspekte dieses Einsatzes und der nachfolgenden Versorgung beleuchtet. Spezielles Augenmerk wird auf Einsatz- und Versorgungszeiten sowie auf die Art und die Dauer der chirurgischen Therapie gelegt. Konsens ist, dass die Rettung und Versorgung der Patienten glücklicherweise ohne größere Probleme in adäquater Zeit verlief. Alle zuvor durchgeführten Übungen haben sich einmal mehr als wichtig erwiesen und zum guten Ausgang dieses Vorfalls beigetragen. Mehr noch als im Heimatland ist es im Auslandseinsatz notwendig Handlungsabläufe und Kommunikation zu trainieren, da nicht auf ein eingespieltes Team zurückgegriffen werden kann. In der Mehrzahl der Fälle sind Ärzte wie auch ärztliches Hilfspersonal aus unterschiedlichen Einrichtungen und treffen erst im Einsatzland aufeinander.

An diesem Abend sorgt der Einsatz noch lange für Gesprächsstoff. Wegen der militärisch notwendigen Lichtdisziplin findet unser Treffen in einem fast romantischen Ambiente in der Dunkelheit unter freiem Himmel am Hindukusch statt. Beinahe vergessen wir, dass wir uns in einem militärischen Einsatz mit realer Bedrohung befinden.

Am nächsten Tag wird unser Patient mit multiplen Prellungen auf eigenen Wunsch entlassen. Zwei Tage später nimmt er wieder am regulären Dienst teil. Die beiden anderen Patienten werden wie geplant nach Deutschland repatriiert, um dort weiterer Diagnostik und Therapie zugeführt zu werden. Der Patient mit der Azetabulumfraktur wird in einem Bundeswehrkrankenhaus osteosynthetisch am Becken versorgt. Er erholt sich rasch von den Lungenkontusionen und einem leichten SHT, wird aber auf längere Zeit nicht einsatzfähig sein.

Der Patient mit der Schulterluxation hat erstaunlicherweise keine strukturellen Schäden davon getragen. Nach 14 Tagen treffe ich ihn im Feldlager wieder, in dem er weitere vier Monate bleibt. Meine Zeit in Afghanistan ging glücklicherweise ohne weitere schwere Zwischenfälle zu Ende.

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Peter Schneider

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Peter Schneider

Westpfalz-Klinikum Kaiserslautern

Klinik für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie

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eMail: mmuhm@westpfalz-klinikum.de

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Abb. 1 Das Rettungszentrum Feyzabad ist ausgerüstet mit Schockraum (a), Operationssaal mit Röntgen-C-Bogen (b) und Intensivtherapieplätzen (c) (Quelle: Markus Muhm).

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Abb. 2 Airbus A 310 MedEvac (a) mit den Intensivbehandlungsplätzen (b) zum Transport nach Deutschland (Quelle: Markus Muhm).

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Abb. 3 Überlandweg in Afghanistan (Quelle: Peter Schneider).

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Peter Schneider