Aktuelle Rheumatologie 2009; 34(3): 151-152
DOI: 10.1055/s-0029-1225347
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Dokumentation der Krankheitsaktivität in der täglichen Routine

Monitoring Disease Activity in Daily Clinical RoutineB. F. Leeb 1
  • 1Niederösterreichisches Landesklinikum Weinviertel, Stockerau, I. und II. medizinische Abteilung, Niederösterreichisches Kompetenzzentrum für Rheumatologie, Stockerau, Austria
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Publication Date:
07 July 2009 (online)

Dokumentation der Krankheitsaktivität in der täglichen Routine – ein Muss, eine lästige Verpflichtung, etwas auf das man verzichten kann oder sollte man sich dieser Aufgabe aufgeschlossen und positiv annähern? Es steht zu hoffen, dass die geschätzte Leserschaft nach der Lektüre, der in dieser Ausgabe publizierten Manuskripte, dem offenen und aufgeschlossenen Zugang zu diesem Problem mehr Augenmerk schenkt.

Völlig richtig ist, dass es noch keinen ultimativen Beweis dafür gibt, dass systematische Dokumentation der Krankheitsaktivität rheumatischer Erkrankungen tatsächlich die Qualität der Patientinnen und Patienten Betreuung verbessert, das heißt dass es den Patientinnen und Patienten realiter besser geht. Und selbstverständlich ist an der sehr allgemeinen Kritik etwas Wahres dran, dass die Verwendung von Instrumenten zur Dokumentation letztendlich eine teilweise sehr komplizierte Art und Weise darstellt, jemanden zu fragen: „Wie geht es Ihnen?” Allerdings haben wir durchaus seriöse Hinweise, dass auch in der Routine die Anwendung von Instrumenten zu einer Verbesserung des Krankheitsverlaufes für viele Patientinnen und Patienten beitragen kann [1] [2]. Zum anderen werden wir vermehrt gefordert, Therapien – zum Teil teure – durch Zahlenwerte zu rechtfertigen.

„KISS” – keep it simple, stupid. Ein Prinzip, dass vor allem für die Anwendung von Dokumentationsinstrumenten in der täglichen Praxis zu gelten hat [3]. Hier herrscht nämlich immer der Kampf zwischen notwendiger Dokumentation, auch aus forensischen und finanziellen Gründen (siehe oben) und der zur Dokumentation notwendigen Zeit.

In dieser Ausgabe nehmen sich mit Daniel Aletaha und Bernhard Rintelen zwei der profiliertesten österreichischen Experten, was Krankheitsaktivitätsmessung betrifft, kontroversiell der Frage an, ob Joint Counts (wörtlich übersetzt Gelenkzählung) wirklich unbedingt für eine valide Dokumentation der Krankheitsaktivität der rheumatoiden Arthritis (RA) in der Praxis nötig sind [4] [5]. Relativ einfach wird für den Leser erkennbar sein, welcher Ansicht der Schreiber dieser Zeilen in dieser Fragestellung ist. Joint Counts nicht generell zu empfehlen bedeutet nicht, die Gelenkuntersuchung zu negieren, sondern im Gegenteil, diese gezielt und problembezogen einzusetzen. Jedweder Patientenfragebogen oder zusammengesetzte Index stellt ein Werkzeug in der Hand des Arztes dar. Werkzeuge sollten der Erleichterung der täglichen Arbeit dienen, allerdings sollte der Anwender nie zum Werkzeug des Werkzeugs werden. Da die Frage um die Bedeutung der Joint Counts nicht letztschlüssig geklärt erscheint, sind entgegengesetzte fundierte Ansichten sehr wesentlich, um einer Lösung der Debatte näher zu kommen.

Eine die längste Zeit völlig unterschätzte Erkrankung, nämlich die Osteoarthritis der Fingergelenke, zum Thema hat Judith Sautners Artikel [6]. Die eigene Erfahrung lehrt, dass Patientinnen und Patienten mit dieser Erkrankung zu den unzufriedensten rheumatologischen Patientinnen und Patienten in der Praxis zählen. Systematische Erfassung der Aktivität kann sicherlich einen Beitrag zu Optimierung der derzeit noch relativ beschränkten therapeutischen Möglichkeiten beitragen [7] [8] [9].

Im Falle der seronegativen Spondarthritiden besteht – im Gegensatz zur RA – weitgehender Konsens, dass vornehmlich patientenorientierte Instrumente zur Dokumentation der Krankheitsaktivität und damit auch als Hilfe für Therapieentscheidungen herangezogen werden [10]. Josef Hermann und Mitarbeiter fassen sehr deutlich Stärken und Schwächen der Instrumente zusammen und geben auch einen Überblick über die in klinischen Studien häufig zusätzlich verwendeten Indizes. Auffällig ist, dass es für Patientinnen und Patienten mit Psoriasis-Arthritis (PsA) kein allgemein anerkanntes Instrument zur Erfassung der Krankheitsaktivität gibt. Erste Versuche mit einem Patientenfragebogen, dem SASPA (Stockerau Activity Score for Psoriatic Arthritis) verliefen allerdings durchaus viel versprechend [11] Martin Steindl nimmt sich der Fragestellung an, wie die Diagnosestellung und Therapiekontrolle bei Polymyalgia rheumatica (PMR) systematischer zu gestalten wäre. Bei einer Erkrankung, für die kein beweisender diagnostischer Text existiert, haben die Sensitivität und Spezifität der Klassifikationskriterien umso größere Bedeutung [12]. Im Gegensatz zum Problem der Diagnosestellung erscheinen die Therapie und damit die Prognose der PMR eigentlich unbestritten. Dennoch kann es zur Verbesserung der Therapieführung – in praxi praktisch immer zur Festsetzung der nötigen Corticoiddosis – sinnvoll sein, den PMR-AS (Polymyalgia rheumatica Activity Score) einzusetzen [13] [14].

Erkrankungen aus der Gruppe der Kollagenosen und Vasculitiden gehören auch in rheumatologischen Praxis zu den selteneren Erkrankungen. Eine Ausnahme stellt dabei doch der systemische Lupus erythematosus dar, der in großer Bandbreite des Schweregrades, und mit heterogenem Erscheinungsbild doch relativ häufig auftritt [15]. Gerade bei einer im Schweregrad und Symptomatologie sehr variablen Erkrankung erscheint systematisiertes Monitoring der Patientinnen und Patienten von großer Bedeutung und sollte, trotz der gegenwärtigen allgemeinen Fokussierung auf RA und SpA, nicht aus den Augen gelassen werden. Nicolai Leuchten aus der Gruppe von Martin Aringer, Dresden zeigt in seinem Manuskript sehr deskriptiv die existierenden Möglichkeiten zur Dokumentation der Krankheitsaktivität.

Zuletzt, aber nicht mit geringerer Wichtigkeit wird das Thema des Monitorings von Vasculitiden durch Christian Dejaco behandelt. Gerade die Seltenheit der Erkrankungen ist es, die systematisierte Dokumentation des Verlaufes und der Therapie geradezu obligatorisch erscheinen lassen, da die wenigsten von uns in der Praxis auf so etwas wie einen reichhaltigen Erfahrungsschatz zurückgreifen lassen können [16].

Es wird aufgefallen sein, dass eine sehr häufige und wichtige Erkrankungsgruppe in dieser Ausgabe nicht behandelt wird, nämlich die Osteoarthritis der großen Gelenke, vor allem Hüft- und Kniegelenke. Wie für die PsA gibt es eigentlich kein wirklich praxistaugliches Instrument zur Dokumentation des Schweregrades. Der in klinischen Studien zumeist verwendete WOMAC ist aufgrund seiner Länge für die Routine ungeeignet [17] [18]. Urheberrechtliche Gründe verhindern auch seine breite allgemeine Anwendung und eine entsprechende Bearbeitung mit dem Ziel der Entwicklung einer praxistauglichen Kurzfassung.

Selbstverständlich können Instrumente zur Dokumentation der Krankheitsaktivität nicht die Probleme der Betreuung individueller Patientinnen und Patienten lösen, sie können aber im Sinne von grünen, gelben, und roten Flaggen die Aufmerksamkeit des Arztes schärfen und damit zielgerichteteres Handeln ermöglichen. Eines können diese Instrumente nicht, nämlich die klinische Untersuchung ersetzen und natürlich bleiben viele Fragen offen, z. B. eine ganz entscheidende: Wie ist Misserfolg definiert?

Es wäre zu erwarten, dass systematischeres Monitoring zu einer entscheidenden Verbesserung der Patientinnen- und Patienten- Betreuung beiträgt.

Abschließend möchte ich auch noch der Hoffnung Ausdruck geben, dass dieses Themenheft einen positiven Beitrag zur Debatte über Dokumentation in der täglichen Routine liefern kann. Die Autoren und selbstverständlich auch ich würden sich über Kritik, Anregungen, Zustimmung und auch Ergänzungen zu den Beiträgen sehr freuen, denn die konstruktive Debatte bildet eine wesentliche Voraussetzung für Weiterentwicklung.

Zuletzt sein noch allen Autoren für ihre Bereitschaft zur Mitarbeit und für ihre Pünktlichkeit bei der Abgabe der Manuskripte gedankt und den Herausgebern für die Möglichkeit ein derartiges Themenheft der Aktuellen Rheumatologie zu gestalten.

Literatur

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  • 7 Leeb BF, Sautner J, Andel I. et al . SACRAH – A Score for Assessment and Quantification of Chronic Rheumatic Affections of the Hands.  Rheumatology (Oxford). 2003;  42 ((10)) 1173-1178 , Epub 2003 May 30
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  • 9 Sautner J, Andel I, Rintelen B. et al . Comparison Of The M-SACRAH (Modified Score For The Assessment Of Chronic Rheumatoid Affections Of The Hands) And The AUSCAN (Australian/Canadian Osteoarthritis Hand Index) In Patients With Hand Osteoarthritis.  International Journal of Rheumatology. , vol. 2009, Article ID 249096, 7 pages, 2009. doi:10.1155/2009/2490962009
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  • 11 Leeb BF, Rintelen B, Haindl PM. et al . Patient Centered Psoriatic Arthritis (PsA) Activity Assessment by the Stockerau Activity Score for Psoriatic Arthritis (SASPA).  Arthr Rheum. 2008;  ((Suppl 1),) , Abstract
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  • 13 Leeb BF, Bird HA. A disease activity score for Polymyalgia Rheumatica (PMR-AS).  Ann Rheum Dis. 2004;  63 1279-1283
  • 14 Leeb BF, Rintelen B, Sautner J. et al . The Polymyalgia Rheumatica Activity Score (PMR-AS) in daily use. – Proposal for a Definition of Remission.  Arthr Rheum. 2007;  57 ((5)) 810-815 2006; 
  • 15 Demas KL, Costenbader KH. Disparities in lupus care and outcomes.  Curr Opin Rheumatol. 2009;  21 ((2)) 102-109
  • 16 Phillip R, Luqmani R. Mortality in systemic vasculitis: a systematic review.  Clin Exp Rheumatol. 2008;  26 ((5 Suppl 51)) S94-S104
  • 17 Tubach F, Ravaud P, Baron G. et al . Evaluation of clinically relevant states in patient reported outcomes in knee and hip osteoarthritis: the patient acceptable symptom state.  Ann Rheum Dis. 2005;  64 ((1)) 34-37 , Epub 2004 May 6
  • 18 Bellamy N, Buchanan WW, Goldsmith CH. et al . Validation study of WOMAC: a health status instrument for measuring clinically important patient relevant outcomes to antirheumatic drug therapy in patients with osteoarthritis of the hip or knee.  J Rheumatol. 1988;  15 ((12)) 1833-1840

Korrespondenzadresse

Dr. B. F. Leeb

1. und 2. Medizinische Abteilung, NÖ Kompetenzzentrum für Rheumatologie

Landesklinikum Weinviertel

Stockerau (Vorstand: Prim. Dr. Burkhard F. Leeb)

Karl Landsteiner-Institut für Klinische Rheumatologie

A-2000 Stockerau

Landstrasse 18

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Fax: + + 43/2266/609 707

Email: burkhard.leeb@stockerau.lknoe.at

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