Subscribe to RSS
DOI: 10.1055/s-0029-1224849
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Akkumulation - die unterschätzte Gefahr für Dialysepatienten - "Kalzium bleibt drin!"
Publication History
Publication Date:
23 June 2009 (online)


Prof. Jürgen Bommer
Dr. Bettina Albers sprach mit Prof. Jürgen Bommer, Heidelberg, über die Gefahr der Kalziumakkumulation bei Dialysepatienten und seine Einschätzung der voraussichtlich ab Ende Juni verfügbaren kalzium- und metallfreien Phosphatbindertherapie mit Sevelamercarbonat (Genzyme).
? Für gesunde Menschen ist Kalzium gut – wo liegt das Problem bei Dialysepatienten?
Prof. Jürgen Bommer: Grundsätzlich benötigt der Körper Kalzium zum Aufbau des Knochens und in sehr geringer Konzentration für zelluläre Funktionen. Der gesunde Mensch kann im Darm aufgenommenes, aber nicht benötigtes Kalzium im Urin kontrolliert ausscheiden. Diese Möglichkeit besteht bei Dialysepatienten nicht mehr. Bei niedrigem Dialysatkalzium kann zwar an der Dialyse eine geringe Menge Kalzium aus dem Blut entfernt werden, jedoch ist dieses nicht wie bei der gesunden Niere genau steuerbar.
Darüber hinaus besteht bei knapp der Hälfte der Dialysepatienten eine adyname Knochenerkrankung, d. h. der Knochen weist keinen Umbau auf und kann so keine wesentliche Menge Kalzium aufnehmen. Somit wird Kalzium, welches durch Diät, Tabletten oder auch über das Dialysat in den Körper gelangt, nicht im Knochen, sondern in den Weichteilen und insbesondere in den Gefäßen abgelagert und häuft sich dort über Jahre an.
? Ist es durch Studien abgesichert, dass Patienten, die mit Kalzium beladen werden, schneller verkalken als solche, denen weniger zugeführt wird?
Bommer: Ja, die TTG[1]-Studie [1] zeigte erstmals, dass Patienten, die mit dem kalziumfreien Phosphatbinder Sevelamer behandelt wurden, nach einem Jahr wesentlich weniger verkalkt sind als Patienten, die kalziumhaltige Phosphatbinder erhielten. Dies bestätigte sich auch in der verlängerten europäÂischen Studie nach einem 2-jährigen Beobachtungszeitraum [2]. Gleiches konnte zudem in der RIND[2]-Studie [3] gezeigt werden. Hier war die Verkalkung in der Patientengruppe, die mit kalziumhaltigen Phosphatbindern behandelt wurde, sogar 11-fach höher als in der kalziumfreien "Sevelamer-Gruppe".
Selbst eine Kontrolle der Serumkalziumspiegel schließt diese Risiken der Kalziumbeladung nicht aus. Denn akute Beladungen, z. B. nach kalziumhaltigen Mahlzeiten und insbesondere am Ende der Dialyse mit hohem Dialysatkalzium, ziehen nur einen kurzfristigen Anstieg der Serumkalziumspiegel (für Minuten bis wenige Stunden) nach sich. Anschließend normalisieren sich die Serumkalziumspiegel wieder, doch das bedeutet lediglich, dass dann die zusätzlich aufgenommenen Kalziummengen bereits bestenfalls im Knochen, häufig aber auch in den Weichteilen und Gefäßwänden abgelagert wurden.
? Sollten dann nicht konsequenterweise alle Patienten mit kalziumfreien Phosphatbindern behandelt werden?
Bommer: Im Prinzip ja, allerdings muss dabei berücksichtigt werden, dass die Kalziumbeladung nicht allein durch kalziumhaltige Phosphatbinder erfolgt. Auch ein höherer Kalziumgehalt im Dialysat trägt wohl dazu bei. So fand sich in DOPPS[3] [4] eine höhere Mortalität bei Patienten, die mit einem höheren Dialysatkalzium behandelt wurden, im Vergleich zu Patienten, die ein Dialysatkalzium von 1,25 mmol hatten.
Ein weiterer Aspekt ist die Kostenfrage: kalziumhaltige Phosphatbinder sind kostengünstiger. Allerdings bleibt zu bedenken, dass in ökonomischen Betrachtungen kaum jene Kosten gegengerechnet werden können, die durch eine kalziumfreie Phosphatbindertherapie möglicherweise gar nicht erst entstehen: Stark verkalkte Patienten haben eine höhere Morbidität mit kardiovaskulären Komplikationen, Gefäßerkrankungen, Gefäßverschlüssen, Amputationen und erzeugen durch Klinikaufenthalte sowie eine oftmals notwendige intensivmedizinische Betreuung wahrscheinlich mehr Kosten als durch eine Langzeittherapie mit kalziumfreien Phosphatbindern entstehen würden.
? Aber wenn man die derzeitigen ökonomischen Zwänge auch akzeptiert - gibt es bestimmte "Risikopatienten", die unbedingt kalziumfrei behandelt werden sollten?
Bommer: Wie oben erwähnt gehören dazu die Patienten mit adynamem Knochenstoffwechsel, denn sie können kein Kalzium in den Knochen mehr einbauen. London et al. [5] wiesen eine Korrelation zwischen der Menge aufgenommenen Kalziums und der Aortenwandverkalkungen nach, die bei Patienten mit adynamer Knochenerkrankung deutlich ausgeprägter war als bei Patienten mit normalem Knochenumsatz.
Weiterhin fand sich ein besonders hohes Risiko der Gefäßverkalkung unter der Behandlung mit kalziumhaltigen Phosphatbindern bei Patienten, die schon bestehende Gefäßverkalkungen aufwiesen. Sowohl die TTG- als auch die RIND-Studie zeigten, dass die Gefäßverkalkungen erst richtig schnell voranschreiten, wenn schon eine Basiskalzifizierung in den Gefäßwänden nachweisbar ist. Je ausgeprägter diese Basiskalzifikation war, umso schneller schritt der Verkalkungsprozess unter kalziumhaltigen Phosphatbindern voran. Daraus muss geschlossen werden, dass Patienten mit Gefäßverkalkungen ein erheblich höheres Risiko haben zu verkalken und bei ihnen weitere Kalziumbeladungen ausgeschlossen werden sollten.
Darüber hinaus sollten auch die zu erwartenden Jahre der Dialysebehandlung in Betracht gezogen werden. Bei Patienten, die noch viele Jahre einer Nierenersatztherapie vor sich haben, sollte man viel daran setzen, Kalzifizierungen zu vermeiden. So sollte zum Beispiel ein recht junger Dialysepatient mit relativ guten Gefäßen und wenig Komorbiditäten gefäßschützende Maßnahmen erwarten dürfen, d. h. die Dialysatkalziumkonzentration sollte so niedrig wie möglich sein und bei ihm sollten kalziumfreie Phosphatbinder angewandt werden, um die Gefäße und damit die Lebenserwartung nicht unnötig zu gefährden. Junge, nierengesunde Patienten haben in der Regel keine Arteriosklerose - Goodkin [6] zeigte jedoch, dass junge Dialysepatienten hingegen erhebliche Gefäßverkalkungen aufweisen können und die Intensität der Verkalkungen bei diesen jungen Dialysepatienten entscheidend von der Menge der eingenommenen kalziumhaltigen Phosphatbinder abhing.
? Wie sehen Sie die Zukunft der kalziumfreien Phosphatbindertherapie?
Bommer: Nach den "Katastrophen" mit Aluminium ist auch die Resorption von Kalzium aus kalziumhaltigen Phosphatbindern nicht erwünscht. In der Tat empfehlen die internationalen Guidelines zur Langzeittherapie kalziumfreie Phosphatbinder. Beide derzeit verfügbaren Präparate (Sevelamer, Lanthancarbonat) sind in etwa gleich teuer und mit beiden lässt sich der Phosphatspiegel in vergleichbare Konzentrationen senken.
Noch ist Sevelamer allerdings der einzige Phosphatbinder, der nachweislich nicht resorbiert wird und nicht akkumuliert, sodass eine Langzeitanwendung sicherer zu sein scheint als bei allen anderen Präparaten.
Als Nachteil von Sevelamer wurde bislang eine Reduktion des Serumbicarbonats, d. h. eine Zunahme der Azidose, im Vergleich zu anderen Phosphatbindern beobachtet. Das bald auf dem Markt verfügbare Sevelamercarbonat hat diesen Nebeneffekt nicht, d. h. es erhöht den Bicarbonatspiegel, sodass der bisherige Vorteil von Lanthancarbonat oder Kalziumcarbonat damit wett gemacht ist. Die zukünftigen 2 Formulierungen von Sevelamercarbonat (Tabletten und Pulver) können vielleicht einigen Patienten die Einnahme erleichtern, denn ein großes Problem der Phosphatbindertherapie ist unverändert die Compliance - das beste Präparat kann nicht wirken, wenn es nicht eingenommen wird.
! Vielen Dank für das Gespräch, Herr Professor Bommer.
#Literatur
- 01 Chertow GM . et al . . Kidney Int. 2002; 62 245-252
- 02 Asmus HG . et al . . Nephrol Dial Transplant. 2005; 20 1653-1661
- 03 Block GA . et al . . Kidney Int. 2005; 68 1815-1823
- 04 Young EW . et al . . Kidney Int. 2005; 67 1179-1187
- 05 London GM . et al . . J Am Soc Nephrol. 2008; 19 1827-1835
- 06 Goodkin DA . et al . . J Am Soc Nephrol. 2003; 14 3270-3277
02 Renagel in New Dialysis Patients
Literatur
- 01 Chertow GM . et al . . Kidney Int. 2002; 62 245-252
- 02 Asmus HG . et al . . Nephrol Dial Transplant. 2005; 20 1653-1661
- 03 Block GA . et al . . Kidney Int. 2005; 68 1815-1823
- 04 Young EW . et al . . Kidney Int. 2005; 67 1179-1187
- 05 London GM . et al . . J Am Soc Nephrol. 2008; 19 1827-1835
- 06 Goodkin DA . et al . . J Am Soc Nephrol. 2003; 14 3270-3277
02 Renagel in New Dialysis Patients


Prof. Jürgen Bommer