Psychiatr Prax 2009; 36(4): 202
DOI: 10.1055/s-0029-1222550
Mitteilungen der BDK

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Patienten mit Migrationshintergrund in stationär-psychiatrischen Einrichtungen - repräsentative bundesweite Umfrage der Arbeitsgruppe "Psychiatrie und Migration" der Bundesdirektorenkonferenz

Meryam Schouler-Ocak1 , Norbert Hartkamp, Eckhardt Koch, Renate Schepker, H. Joachim Bretz, Iris Hauth, Andreas Heinz
  • 1Psychiatrische Universitätsklinik der Charité im St. Hedwig-Krankenhaus Berlin
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Publication Date:
08 May 2009 (online)

 
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Verantwortlich für diese Rubrik: Manfred Wolfersdorf, Bayreuth; Iris Hauth, Berlin

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Einleitung

In einer Umfrage wurden 350 psychiatrisch-psychotherapeutische Kliniken in der Bundesrepublik Deutschland angeschrieben. Es handelt sich dabei um Kliniken, deren Leiter in der Bundesdirektorenkonferenz oder des Verbandes der Abteilungspsychiatrien organisiert sind. Die Befragung erfolgte mittels zweier Fragebögen. Die Datenerhebung wurde während der (Psych PV) Stichtagserhebung am 19. Juli 2006 durchgeführt.

Die Datenerfassung umfasste neben ICD-10-Aufnahmediagnosen das Geburtsland der Patienten bzw. ihren Migrationsstatus, Verständigungsprobleme.

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Ausgewählte Ergebnisse

Insgesamt beantworteten bei dieser Umfrage 898 Stationen aus 131 Kliniken die Stationsfragebögen, während von diesen nur auf 324 Stationen (36%) an diesem Stichtag (19.Juli 2006) Patienten aufgenommen wurden und somit individuelle Patientenfragebögen bearbeitet und zurückgesendet werden konnten. Am Stichtag wurden insgesamt 601 Patienten aufgenommen. Die Rücklaufquote war mit 131 Kliniken von 350 (37%) mäßig, trotzdem kann von einer Repräsentativität ausgegangen werden.

Patienten, die entweder als Erwachsener ("erwachsene Migranten") oder als Kind selbst migriert waren, als Kind von Migranten in Deutschland geboren wurden oder aus einer binationalen Partnerschaft stammten ("Kinder von Migranten"), wurden als Patienten mit Migrationshintergrund definiert.

Patienten mit einem osteuropäischen Migrationshintergrund (Osteuropäer) waren hierbei Personen, die selber bzw. deren beide Eltern in den europäischen Staaten des ehemaligen Warschauer Paktes (inkl. Sowjetunion) bzw. im ehemaligen oder Albanien geboren wurden. Patienten mit einem türkischen Migrationshintergrund waren Personen, die selber bzw. deren beide Eltern in der Türkei geboren wurden.

Die Daten der Stationsbefragung ergaben, dass 17% von allen sich insgesamt an diesem Stichtag in stationärer Behandlung befindlichen Patienten einen Migrationshintergrund aufwiesen. Da in der vorliegenden Erhebung keine Drittgenerationenangehörigen berücksichtigt wurden, kann von einer adäquaten Repräsentation von Zuwanderern in der Psychiatrie ausgegangen werden.

128 (21,3%) der Patienten mit Migrationshintergrund waren selbst als Erwachsene migriert. 50 (8,3%) der 88 (14,6%) "Kinder von Migranten" waren selbst als Kind nach Deutschland gekommen.

Patienten mit einem Migrationshintergrund waren durchschnittlich 4,4 Jahre jünger als "deutsche" Patienten. Das Verhältnis von weiblichen und männlichen Patienten, der Familienstand und die Schulbildung waren in beiden Gruppen gleich. In den zentralen demografischen Variablen Geschlecht, Familienstand und Schulbildung unterschieden sich Patienten mit und ohne Migrationshintergrund nicht. Dagegen konnten deutliche Unterschiede zwischen den Gruppen "erwachsene Migranten" und "Kinder von Migranten" bezüglich der meisten zentralen soziodemografischen Variablen eruiert werden. "Erwachsene Migranten" waren älter als "Kinder von Migranten". Der Unterschied betrug durchschnittlich 12,5 Jahre ("erwachsene Migranten" 46 Jahre, "Kinder von Migranten" 33,5 Jahre). "Kinder von Migranten" waren häufiger ledig als "erwachsene Migranten". Bei den Schulbildungsabschlüsse zeigte sich ein signifikanter Unterschied. "Erwachsene Migranten" hatten höhere Abschlüsse als "Kinder von Migranten", wiesen aber mehr Sprachprobleme als "Kinder von Migranten" auf.

Bei Patienten mit Migrationshintergrund gaben 18,1% an, russisch, 15,7% türkisch, 6,9% polnisch und 20,8% eine andere Hauptsprache in der Familie zu sprechen. Das heißt, dass 62% der Patienten mit Migrationshintergrund in ihren Familien als Hauptsprache Nicht-deutsch pflegen, sodass viele ihre Muttersprache nach wie vor beibehalten haben. Obwohl Patienten mit einem türkischen Migrationshintergrund zwar im Allgemeinen seltener Deutsch als Hauptsprache als Osteuropäer sprachen, wurden keine Unterschiede zwischen beiden Gruppen bezüglich der Verständigungsprobleme bei der Behandlung mitgeteilt.

Bei Patienten mit Migrationshintergrund wurde häufiger eine Schizophrenie, schizotype oder wahnhafte Störung diagnostiziert. Dabei wurden im Durchschnitt durch die Stationsteams bei Patienten mit einer F2-Diagnose höhere Verständigungsprobleme als bei Patienten ohne eine F2-Diagnose angegeben. Nach diesen Angaben steht die Diagnose der Kategorie F2 in Beziehung zu Verständigungsproblemen von und mit Patienten mit Migrationshintergrund.

Ein signifikanter Unterschied zwischen Migranten osteuropäischer und türkischer Herkunft bestand für die Diagnosegruppe Störungen durch psychotrope Substanzen (F1). Osteuropäer erhielten hier im Vergleich zu Patienten mit türkischem Migrationshintergrund signifikant häufiger die Diagnose einer Störung durch psychotrope Substanzen (F1). Zudem waren osteuropäische Patienten mit 20,8% in stationär psychiatrischer Behandlung über- und Patienten türkischer Herkunft mit nur 6,2% im Vergleich zu ihrem Anteil an der Bevölkerung mit 14,2% unterrepräsentiert.

An dieser Stelle sollte darauf hingewiesen werden, dass durch die Nichtbeachtung der soziokulturellen Aspekte (z.B. nach DSM-IV-TR) falsch positive Diagnosen die Prävalenz künstlich erhöhen können.

Literatur bei der Erstautorin.

Email: meryam.schouler-ocak@charite.de