Zusammenfassung
Ziel der Studie: Mit dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wurde im Jahr 2007 die formale Kosteneffektivitätsbewertung im Zusammenhang mit der Festsetzung von Höchstbeträgen für die Erstattung bestimmter neuer Arzneimittel durch die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) eingeführt. Die Methodik dieser Bewertung ist derzeit in Diskussion. Eine Möglichkeit bestünde darin, aufbauend auf dem methodischen Vorgehen des englischen National Institute of Health and Clinical Excellence (NICE) Modellierungsverfahren zur Errechnung von Kosten pro qualitätsadjustiertem Lebensjahr (QALY) zu verwenden. Diese Studie untersucht, ob die im rechtlichen Kontext Englands entstandenen Methoden den Vorgaben des Fünften Buchs des Sozialgesetzbuches (SGB V) entsprechen.
Methodik: Review der einschlägigen Literatur und juristische Bewertung.
Ergebnisse: Zentral für die Analyse der rechtlichen Rahmenbedingungen ökonomischer Evaluation in Deutschland sind die unterschiedlichen Interpretationen von „Nutzen” in SGB V und dem Arzneimittelgesetz, sowie die Vorgabe, dass die Methoden den international anerkannten Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie entsprechen sollen (§§ 35b, 139a SGB V). In der deutschen Entscheidungspraxis bezüglich neuer Heilverfahren hat sich eine Trias der Bewertung von (1) Nutzen, (2) Notwendigkeit und (3) Wirtschaftlichkeit herausgebildet. Während die Nutzenbewertung auf Stufe (1) nach derzeitiger Praxis insbesondere auf Basis klinischer Studien durchgeführt wird, wäre ein davon unabhängiger Nutzenbegriff auf Stufe (3) in Einklang mit dem SGB V. Verfahren zur Ermittlung von QALYs messen und bewerten die verschiedenen Dimensionen gesundheitlichen Nutzens auf transparente und methodisch reflektierte Weise. Sie erfassen auch die Dimensionen, die in § 35b SGB V besonders hervorgehoben werden, wie etwa Verlängerung der Lebensdauer oder Verbesserung der Lebensqualität. Dies entspricht den Standards der evidenzbasierten Medizin und der Gesundheitsökonomie in höherem Maße als etwa eine ad-hoc Verrechnung verschiedener Nutzenmaße aus klinischen Studien. Entscheidungsanalytische Modellierungen stellen ein Verfahren dar, die für den indikationsspezifischen Versorgungskontext relevante Evidenz zu Kosten und Nutzen einer Behandlungsmethode auf praxiserprobte und theoretisch fundierte Weise zusammenfassen.
Schlussfolgerungen: Sowohl die Erfassung gesundheitlicher Effekte in Form von QALYs als auch entscheidungsanalytische Modellierungen zur Evidenzsynthese entsprechen den Vorgaben des SGB V. Werden andere methodische Ansätze vorgeschlagen, sollte daher zumindest eine (ergebnis-)offene Auseinandersetzung damit erfolgen, ob dies einer an das englische NICE angelehnte Methodik an Transparenz und Konsistenz überlegen oder zumindest ebenbürtig ist. Offene Fragen zur Methodik der Berechnung von Kosten-Nutzen Verhältnissen nach englischem Vorbild beinhalten detaillierte Richtlinien zur Ermittlung von QALYs sowie die Wahl einer Perspektive für die Kostenmessung, die den Vorgaben des SGB V entspricht. Davon unabhängig ist die ebenfalls noch offene Frage, aufgrund welcher Maßstäbe ein Kosten-Nutzen-Verhältnis als angemessen zu beurteilen ist und welche Rolle die Wirtschaftlichkeit im Vergleich zu anderen Prinzipien bei Entscheidungen über die Konkretisierung des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten sollten.
Abstract
Purpose: In 2007, a legal reform introduced formal health economic evaluation for selected reimbursement decisions by the statutory health insurance in Germany. The methods of evaluation are currently under discussion. This study assesses whether an approach based on decision-analytic cost per QALY modelling fits with the legal requirements set by Book Five of the German Social Code (SGB V).
Methods: It is based on a review of legal documents and the relevant literature.
Results: Key specifications for economic evaluation in Germany are the differential interpretations of “benefit” in the relevant legislation as well as the requirement that the methods follow “international standards of evidence-based medicine and health economics” (§§ 35b, 139a SGB V). In German reimbursement decision practice, new interventions have undergone an assessment of (1) benefit, (2) necessity and (3) cost-effectiveness (prior to the legal reform only exclusion of dominated alternatives). While the establishment of benefit in step (1) is preferably based on clinical trials in current practice, also two different interpretations of “benefit” in steps (1) and (3) would be in accord with SGB V. Methods for establishing QALYs measure and evaluate different dimensions of health benefit based on transparent and theoretically justified methods. They also capture the dimensions specifically stated by § 35b SGB V, e. g., extension of life or improvement in quality of life. Compared to ad-hoc synthesis of the different measures of patient benefit from clinical trials, this is more consistent with the standards of evidence-based medicine and health economics. Decision analytical modelling provides a practical and theoretically sound method to integrate the condition-specific evidence for estimating the costs and benefits associated with a medical treatment in health care practice.
Conclusions: Both the establishment of health effects in terms of QALYs and decision-analytical models for evidence synthesis meet the requirements of SGB V. Further methodological issues that need to be addressed include guidelines for QALY measures, and the choice of analytical perspective that fits best with German law. This notwithstanding, it remains an open question how the appropriateness of a cost-benefit ratio should be appraised and what role cost-effectiveness should play in health care decision making, compared with other principles potentially relevant to the decision.
Schlüsselwörter
Entscheidungsanalyse - qualitätsadjustierte Lebensjahre - Sozialrecht
Key words
decision analysis - uality-adjusted life years - social law