Aktuelle Dermatologie 2010; 36(3): 94-98
DOI: 10.1055/s-0029-1215059
Kasuistik

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Insektenstichartige Hautveränderungen bei chronischer lymphatischer Leukämie – eine kutane Paraneoplasie

Insect Bite-Like Reaction in Chronic Lymphocytic Leukemia – A Cutaneous ParaneoplasmG.  Wagner1
  • 1Hautklinik, Klinikum Bremerhaven Reinkenheide (Chefarzt: Dr. G. Wagner)
Further Information

Dr. Gunnar Wagner

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide

Postbrookstr. 103
27574 Bremerhaven

Email: gunnar.wagner@klinikum-bremerhaven.de

Publication History

Publication Date:
17 September 2009 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Bei einem 72-jährigen Patienten mit einer bekannten chronischen lymphatischen Leukämie entwickelten sich insektenstichartige Hautveränderungen am Stamm und an den Extremitäten. Diese Läsionen, die nicht auf tatsächlich stattgefundene Insektenstiche zurückzuführen sind, lassen sich weder klinisch noch histopathologisch von echten Insektenstichreaktionen unterscheiden. Für die Differenzialdiagnose entscheidend sind die Anamnese, die Verteilung der Läsionen, der Verlauf der Dermatose, das Versagen präventiver Maßnahmen gegen vermeintlich vorhandene Insekten und die ebenfalls fehlende Effektivität durchgeführter Therapieverfahren. Da die insektenstichartigen Hautveränderungen, von wenigen Ausnahmen abgesehen, hauptsächlich bei Patienten mit Leukämien, seltener mit Lymphomen beobachtet werden, muss beim Auftreten der Dermatose immer eine weiterführende internistische Diagnostik veranlasst werden. Die insektenstichartigen Hautveränderungen erfüllen im Übrigen die Kriterien einer kutanen Paraneoplasie.

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Abstract

A 72-year old patient with chronic lymphocytic leukemia developed insect bite-like lesions on the trunk and the limbs. These insect bite-like skin lesions, which are not caused by real insect bites, can not be differentiated from real insect bites on the basis of clinical or histopathological findings.

Important for the differential diagnosis are the medical history, the distribution of the lesions, the progression of the lesions, the failure of preventive measures against putative existing insects and the lack of efficacy of previously applied therapies. It is important to carry out further internal diagnostic investigations, even if insect-bite like skin reactions, except for the occasional ones, mostly occur in patients with leukemia rather than in patients with lymphoma. Insect bite-like skin lesions fulfil the criteria for cutaneous paraneoplasms.

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Einleitung

Die verschiedenen Formen der akut oder der chronisch verlaufenden Leukämien werden in ihrer Gesamtheit als maligne Neoplasien hämatopoetischer Zellen des Knochenmarks aufgefasst. Das biologische Ausbreitungsmuster und die damit verbundenen Folgen für den Organismus sind bei allen Leukämieformen vergleichbar. Die Generalisation der leukämischen Zellklone im Knochenmark führt zunächst zu einer Verdrängung, später zu einer funktionellen Insuffizienz der hämatopoetischen Stammzellen. Durch eine Ausschwemmung der malignen Zellen in das periphere Blut können alle extramedullären Organsysteme einschließlich der Haut in den Krankheitsprozess mit einbezogen werden. Beide Mechanismen, die Insuffizienz des Knochenmarks und die Infiltration extramedullärer Organe, sind für sich allein oder auch gemeinsam verantwortlich für die umfangreiche dermatologische Symptomatik der Leukämien. Unabhängig von der jeweiligen Leukämieform werden die assoziierten dermatologischen Befunde in spezifische und unspezifische Hautveränderungen eingeteilt. Als spezifisch werden diejenigen bezeichnet, die sich histopathologisch durch ein leukämisches Infiltrat auszeichnen. Diese spezifischen Läsionen, die unter der Diagnose Leucaemia cutis zusammengefasst werden, zeichnen sich durch eine ausgeprägte klinische Polymorphie aus. Dabei zählen erythematöse Papeln, Knoten und Plaques zu den häufigsten Manifestationen der Leucaemia cutis, während Ekchymosen, infiltrierte Erytheme, Erythrodermien, Blasen oder Ulzera seltener beobachtet werden [1] [2]. Die Facies leontina und das Chlorom gelten als klinische Entitäten der Leucaemia cutis [2] [3]. Im Gegensatz zu den verschiedenen klinischen Manifestationen der Leucaemia cutis entwickeln sich die unspezifischen Hautveränderungen der Leukämien als Folge einer gestörten Hämatopoese oder sind Ausdruck einer neoplastischen Genese. Während sich die Inzidenzraten der Leucaemia cutis bei den einzelnen Leukämieformen deutlich unterscheiden, z. B. mit Werten von 2 – 3 % bei der akuten lymphatischen und der chronischen myeloischen Leukämie oder mit 8 – 27 % bei der chronischen lymphatischen Leukämie, sind die unspezifischen Hautveränderungen insgesamt häufiger und treten unabhängig von den einzelnen Leukämieformen bei 25 – 40 % aller betroffenen Patienten auf [4] [5] [6] [7]. Die auf eine gestörte Hämatopoese zurückzuführenden unspezifischen Hautveränderungen zeigen sich bei Thrombozytopenien als hämorrhagische Läsionen, z. B. in Form einer Purpura, als Ekchymosen oder Sugillationen. Bei Leukozytopenien oder Funktionsstörungen der entsprechenden Zellreihen entwickeln sich hingegen akute oder häufiger chronisch-persistierende Infektionen. Hierzu zählen der nekrotisierende Herpes simplex, der Herpes zoster generalisatus, chronisch verlaufende bakterielle Infektionen und klinisch ungewöhnliche Mykosen [8] [9] [10]. Darüber hinaus werden bei den Leukämien auch kutane Paraneoplasien in die Gruppe der unspezifischen Hautveränderungen eingeordnet. Neben dem generalisierten, therapieresistenten Pruritus und Exanthemen unterschiedlicher Morphologie gelten besonders das Sweet-Syndrom und das Pyoderma gangraenosum als typische Leukämie-bedingte Paraneoplasien [10] [11] [12]. Die insektenstichartigen Hautveränderungen stellen eine weitere, weniger bekannte kutane Paraneoplasie dar, die in der Mehrzahl der Fälle mit einer chronischen lymphatischen Leukämie assoziiert ist und möglicherweise häufiger vorkommt, als dies aufgrund der wenigen Literaturberichte vermutet werden darf. Die vorliegende Kasuistik beschreibt das Krankheitsbild der insektenstichartigen Hautveränderungen in typischer Weise und soll zu dessen Kenntnis beitragen.

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Kasuistik

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Anamnese

Bei dem zum Zeitpunkt der ersten Vorstellung 72-jährigen Patienten war im Mai 2003 die Diagnose einer chronischen lymphatischen Leukämie (B-CLL) gestellt worden. Vom Februar bis zum Oktober 2007 erfolgte eine Behandlung mit Chlorambucil. Im April 2008 wurde eine Bendamustin-Therapie eingeleitet, die jedoch bereits nach dem ersten Zyklus wegen einer ausgeprägten Panzytopenie wieder beendet werden musste. Einen Monat nach Abbruch der Bendamustin-Therapie im Mai 2008 bemerkte der Patient heftig juckende Hautveränderungen am Stamm, später auch an den Extremitäten. Die dermatologische Behandlung wurde in der Folgezeit mit einer Triamcinolon-Rezeptur und mit Permethrin durchgeführt. Zusätzlich erhielt der Patient verschiedene orale Antihistaminika (Cetirizin, Loratadin und Fexofenadin). Einen Einfluss auf den Pruritus hatten diese Behandlungsmaßnahmen nicht, gleichzeitig entwickelten sich kontinuierlich neue Läsionen. Obwohl der Patient keine Insekten oder Insektenstiche beobachtet hatte, wurden im Schlafzimmer wiederholt Insektizide ausgebracht. Eine Auswirkung auf den Verlauf der Dermatose zeigte aber auch diese Maßnahme nicht. Die Ehefrau des Patienten hatte im Übrigen zu keinem Zeitpunkt vergleichbare Hautveränderungen entwickelt. Im Oktober 2008 stellte sich der Patient dann erstmals in der Hautklinik Bremerhaven vor.

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Dermatologischer Befund

Am Rücken einzelne oder gruppiert stehende, hingegen gluteal, an den Unterschenkelstreckseiten und in den Außenknöchelbereichen ausschließlich in Gruppen angeordnete, überwiegend linsengroße, erythematöse Papeln oder gleich große Exkoriationen mit Umgebungserythem ([Abb. 1 3]).

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Abb. 1 Linsengroße, teilweise exkoriierte erythematöse Papeln Schulter links.

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Abb. 2 Detailaufnahme erythematöser Papeln am Rücken.

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Abb. 3 Teilweise neue, teilweise in Abheilung befindliche Exkoriationen Außenknöchelbereich rechts.

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Befunde diagnostischer Untersuchungen

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Histopathologische Befunde

Biopsie einer Papel am Rücken: Superfizielle und in die Tiefe reichende perivaskuläre Dermatitis ohne Veränderungen der Epidermis, insbesondere auch keine Spongiose. Die von den fleckförmigen Infiltrationen umgebenen Gefäße sind geringfügig erweitert. Die Infiltrate bestehen aus Lymphozyten und einigen Eosinophilen ([Abb. 4]).

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Abb. 4 Mäßig dichtes lymphohistiozytäres, perivaskulär akzentuiertes Infiltrat mit eosinophilen Granulozyten. Venolen mit geschwollenen Endothelzellen (HE × 400)

Zelldifferenzierungsbefund: CD 3- und CD 5-stark positiv, CD 20- und CD 23-negativ, CD 43-positiv. Population von T-Lymphozyten ohne Hinweis auf Infiltrat der bekannten chronischen lymphatischen Leukämie.

Diagnose: Bei anamnestisch bekannter chronischer lymphatischer Leukämie entspricht der Befund einer insektenstichartigen Hautveränderung bei Leukämie, die klinisch und histopathologisch eine Arthropodenreaktion simuliert (Dr. C. Diaz, Einsendungslabor für Dermatopathologie, Freiburg).

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Laborbefunde

Blutbild: Leukozyten 6.4 (NW: 4 – 10,5/nl), Erythrozyten 3.95 (NW: 3.5 – 5.8/pl), Hämatoglobin 12.6 (NW: 14.0 – 18.0 g/dl), Hämatokrit 37.2 (NW: 38 – 51 cl/l), MCV 94.4 (NW: 93 – 99 fl), HbE 32.0 (NW: 27 – 34 pg/Ery), RDW 13.8 (NW: 11 – 16 % VC), Thrombozyten 117 (NW: 130 – 450/nl).

Differenzialblutbild: Stabkernige 10 (NW: 0 – 6 %), Segmentkernige 20 (NW: 45 – 85 %), Eosinophile 1 (NW: 0 – 6 %), Monozyten 2 (NW: 1 – 11 %), Lymphozyten 55 (NW: 10 – 50 %), atypische lymphatische Zellen 12 (NW: 0 – 3 %).

Ohne pathologische Befunde: Nierenpflichtige Substanzen, Lebertransaminasen, Bilirubin, BZ, HbA1c, Elektrolyte, Eiweißelektrophorese und Urinstatus.

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Ergänzende Untersuchungen

Rö.-Thorax ohne pathologische Befunde. Oberbauchsonografie Splenomegalie (21 × 8 cm), sonst unauffällige Befunde.

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Therapie und Verlauf

Bei einem Körpergewicht von 79 kg wurde eine orale Behandlung mit 40 mg Prednisolon täglich eingeleitet. Bei einer Wiedervorstellung nach 2 Wochen bestand subjektiv kein Pruritus mehr. Im Bereich der ursprünglich vorhandenen erythematösen Papeln zeigten sich nun postinflammatorisch braun pigmentierte Maculae. Die Prednisolon-Dosis wurde im Verlauf der nächsten zwei Monate auf 5 mg täglich reduziert. Erneut klagte der Patient über Pruritus im Bereich der persistierenden Pigmentierungen. Unter Beibehaltung der Prednisolon-Dosis von 5 mg täglich wurde zusätzlich eine Prednicarbat-haltige Creme verordnet, wodurch sich der Pruritus zurückbildete. Bei der oralen Behandlung ist es in den folgenden drei Monaten zu keiner erneuten Symptomatik gekommen.

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Diskussion

Robert Weed veröffentlichte 1965 einen Artikel über ungewöhnliche Insektenstichreaktionen bei Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie [13]. Er bezeichnete diese Reaktion als „exaggerated response to insect bites”. Innerhalb einer Gruppe von 89 Patienten mit chronischer lymphatischer Leukämie war es bei 8 Patienten zu gesteigerten Insektenstichreaktionen gekommen. Alle Patienten hatten die Insekten bei den Stichen bemerkt oder es zeigten sich im Zentrum der Läsionen Insektenstichmerkmale in Form punktförmiger Hämorrhagien. Diejenigen Patienten, die die Stiche beobachten konnten, gaben übereinstimmend an, dass es sich bei den Insekten um Moskitos gehandelt hatte. Die klinischen Befunde waren bei allen Patienten zwischen Mai und September aufgetreten, der üblichen Flugzeit der Moskitos im Wohngebiet der Patienten in Rochester. Die Dynamik der auftretenden Insektenstichreaktionen wurde von den Betroffenen in vergleichbarer Weise beschrieben. Die einzelnen Läsionen entwickelten sich langsam, erreichten nach 12 – 24 Stunden ihre maximale Ausprägung und bildeten sich anschließend in einem Zeitraum von 2 – 14 Tagen vollständig zurück. Als bevorzugte Lokalisation waren das Gesicht und die Extremitäten betroffen. Die klinische Morphologie beschrieb Weed als mehrere Zentimeter durchmessende, ödematös infiltrierte, erythematöse Plaques, die an ihrer Oberfläche vereinzelt hämorrhagische Blasen oder Erosionen aufwiesen. Subjektiv wurde von den Patienten ein deutlicher Pruritus angegeben. Die so beschriebenen, zweifellos nachvollziehbar als gesteigerte Insektenstichreaktionen bezeichneten Morphen waren bei den von Weed beobachteten Patienten 1 – 4 Jahre nach der jeweiligen Diagnose einer chronischen lymphatischen Leukämie bemerkt worden. Im Vergleich zu Patienten mit einer chronischen myeloischen Leukämie oder allergologischen Grundkrankheiten sowie einer Gruppe des medizinischen Klinikpersonals waren gesteigerte Insektenstichreaktionen bei den Patienten mit einer chronischen lymphatischen Leukämie deutlich häufiger. Aufgrund seiner Untersuchungen postulierte Weed einen kausalen Zusammenhang zwischen der chronischen lymphatischen Leukämie und den gesteigerten Insektenstichreaktionen auf der Basis einer veränderten immunologischen Reaktionsweise der Lymphozyten.

Im Gegensatz zu den von Weed beschriebenen gesteigerten Insektenstichreaktionen berichteten Barzilai et al. 1999 über Patienten mit verschiedenen hämatologischen Neoplasien, bei denen Läsionen aufgetreten waren, die klinisch-morphologisch Insektenstichen entsprachen [14]. Allerdings ergaben sich bei diesen Patienten keine Hinweise für tatsächlich erfolgte Insektenstiche. Zunächst hatten die Patienten selbst keine Insekten bei Stichen beobachtet. Die Befunde waren gleichmäßig verteilt im Bereich bedeckter und unbedeckter Körperpartien entstanden. Eine jahreszeitliche Abhängigkeit des Auftretens konnte nicht festgestellt werden. Die einzelnen Morphen bestanden jeweils für etwa eine Woche bei typischerweise chronisch-rezidivierendem Verlauf der ständig neu entstehenden Läsionen. Bei einzelnen Patienten konnten Krankheitsverläufe von bis zu 5 Jahren ermittelt werden. Der Verzicht auf Aktivitäten im Freien und der Einsatz von Insektiziden oder Insektenschutzmitteln zeigte keinen Einfluss auf den Verlauf der Dermatose. Anders als Weed beobachten Barzilai et al. bei ihren 8 Patienten zwei voneinander deutlich abweichende klinisch-morphologische Varianten. Neben mehrere Zentimeter durchmessenden erythematösen Plaques, identisch mit den Befunden von Weed, konnten Barzilai et al. zusätzlich überwiegend linsengroße, häufig zentral exkoriierte, erythematöse Papeln beschreiben, die, wie eine Fotodokumentation des Artikels der Autoren beispielhaft zeigt, in umschriebenen Lokalisationen gleichmäßig verteilt aufgetreten waren. Diese unterschiedlichen klinischen Läsionen wurden von Barzilai et al. bei ihren Patienten jeweils für sich allein oder vereinzelt auch in Kombination gesehen. Sowohl die Plaqueform als auch die kleinpapulöse Variante sind später wiederholt auch von anderen Autoren beschrieben worden [15] [16] [17] [18] [19]. Das klinische Bild unseres hier vorgestellten Patienten entspricht im Übrigen der kleinpapulösen Form in typischer Weise. In Abgrenzung zu der von Weed beschriebenen gesteigerten Insektenstichreaktion bezeichneten Barzilai et al. die von ihnen beobachtete Dermatose als „insect bite-like reaction” oder unter Berücksichtigung der histopathologischen Befunde auch als „eosinophilic eruption of hematoproliferative disease”. Die gesteigerte Insektenstichreaktion von Weed und die insektenstichartigen Hautveränderungen von Barzilai et al. sind durch identische histopathologische Befunde gekennzeichnet. Bei unauffälliger Epidermis findet sich in der Dermis ein zumeist dichtes perivaskuläres oder auch interstitiell angeordnetes Infiltrat, bestehend aus eosinophilen Granulozyten, Lymphozyten und vereinzelten Histiozyten [13] [14] [20] [21]. Das histopathologische Bild entspricht somit den typischen Befunden einer Iktus-Reaktion und ist von dieser nicht zu trennen. Die Übereinstimmung der klinischen und histopathologischen Befunde der gesteigerten Insektenstichreaktion von Weed und der insektenstichartigen Hautveränderung von Barzilai et al. hat vereinzelt zu der Annahme geführt, dass es sich bei den beiden Dermatosen um ein identisches Krankheitsbild handelt [19]. Aufgrund der anamnestischen Angaben der Patienten, der Verteilung und des unterschiedlichen jahreszeitlichen Auftretens der Morphen sowie der deutlich voneinander abweichenden zeitlichen Verläufe kommt eine Mehrzahl der Autoren jedoch zu der Auffassung, dass es sich bei den von Weed und Barzilai et al. beschriebenen Dermatosen um zwei unterschiedliche Erkrankungen handelt [16] [17] [22] [23]. Die Pathogenese der insektenstichartigen Hautveränderungen ist nicht geklärt. Einer Hypothese von Barzilai et al. zufolge könnte eine Störung der Zytokinexpression mit einer verstärkten Produktion von IL-4 und IL-5 eine gesteigerte Proliferation maligner B-Zellen verursachen, was wiederum eine veränderte Immunantwort bedingen könnte, charakterisiert durch ein eosinophiles Infiltrat [14]. Die Behandlung der insektenstichartigen Hautveränderung ist schwierig. Übereinstimmend wurde in allen Publikationen auf die Therapieresistenz der Dermatose hingewiesen. Dabei zeigten sich Behandlungen mit topischen Glukokortikoiden, antipruriginösen Rezepturen oder Antiscabiosa als ebenso wenig wirksam wie systemische Therapien mit Antibiotika, Antihistaminika oder alpha-Interferon. Auch die UVB-Fototherapie erwies sich als weitgehend wirkungslos [14] [16] [20]. Unter oraler Behandlung mit Prednisolon in Dosierungen von mindestens 40 mg täglich konnten wiederholt Rückbildungen der insektenstichartigen Hautveränderungen beobachtet werden. Bei einigen dieser Patienten kam es nach Dosisreduktion oder Beendigung der Prednisolontherapie zu Rezidiven, sodass in diesen Fällen nur von einem morbostatischen Therapieeffekt ausgegangen werden kann [14] [16] [20]. Neben der systemischen Therapie mit Glukokortikoiden konnte einzelnen Berichten zufolge auch Dapson erfolgreich zur Behandlung der insektenstichartigen Hautveränderungen eingesetzt werden [16] [24]. Für die Einordnung der insektenstichartigen Hautveränderungen in die Gruppe der kutanen Paraneoplasien ist die Frage von besonderem Interesse, welchen Verlauf die Dermatose bei einer Chemotherapie der zugrunde liegenden malignen Neoplasie zeigt. Tatsächlich konnten wiederholt Rückbildungen unter Chemotherapie beobachtet werden [16] [19] [20] [23]. Bei einer Patientin, deren akute lymphatische Leukämie als geheilt eingeordnet wurde, kam es ohne weitere dermatologische Therapie zur vollständigen Rückbildung der insektenstichartigen Hautveränderungen [14]. Bei den klinischen Differenzialdiagnosen müssen bei der kleinpapulösen Form der insektenstichartigen Hautveränderungen eine Skabies, eine Follikulitis simplex und ein follikuläres Ekzem berücksichtigt werden. Die großknotige oder plaqueförmige Variante der Dermatose ist hingegen von gesteigerten Insektenstichreaktionen, einer Leucaemia cutis, einer nodösen Vaskulitis oder einem Erythema exsudativum multiforme abzugrenzen [1] [14] [17] [24].

Die insektenstichartigen Hautveränderungen können zu den kutanen Paraneoplasien gezählt werden. Nur in einem einzigen Fall konnten Barzilai et al. ein spezifisches Infiltrat im Bereich insektenstichartiger Hautveränderungen nachweisen, sodass in Einzelfällen grundsätzlich auch einmal die Möglichkeit bestehen mag, die insektenstichartigen Hautveränderungen als Ausdruck einer Leucaemia cutis zu werten [14]. Unter dem Begriff der kutanen Paraneoplasien werden sehr unterschiedliche Dermatosen zusammengefasst, deren Auftreten nicht direkt auf die Anwesenheit eines gleichzeitig bestehenden malignen Tumors zurückzuführen ist. Folgerichtig werden Hautmetastasen eines viszeralen Malignoms oder einer myeloproliferativen Neoplasie nicht als kutane Paraneoplasie verstanden. Eine Acanthosis nigricans maligna bei einem Magenkarzinom oder eine Akrokeratose Bazex bei einem Karzinom im oberen Gastrointestinaltrakt zählen hingegen zu den kutanen Paraneoplasien, da sie quasi „neben” dem Tumor als begleitendes dermatologisches Phänomen auftreten. Neben der Existenz einer malignen Tumorerkrankung gelten eine ungewöhnliche Therapieresistenz der tumorassoziierten Dermatose sowie ein paralleler Verlauf der onkologischen und der dermatologischen Erkrankung als weitere Eigenschaften kutaner Paraneoplasien [25] [26]. Die insektenstichartigen Hautveränderungen erfüllen diese Kriterien einer kutanen Paraneoplasie. Von einzelnen Ausnahmen abgesehen, zu denen möglicherweise vergleichbare Hautveränderungen bei HIV-Infektionen gezählt werden können, sind die insektenstichartigen Hautveränderungen nur bei Patienten mit malignen myeloproliferativen Neoplasien beschrieben worden [27] [28]. Bei der Mehrzahl der Patienten konnten chronische lymphatische Leukämien und Mantelzelllymphome beobachtet werden, seltener akute lymphatische Leukämien, akute Monozytenleukämien und großzellige Non-Hodgkin-Lymphome [14] [16] [18] [21] [24]. Die Therapieresistenz der kutanen Paraneoplasien ist eine weitere Eigenschaft, die auch für die insektenstichartigen Hautveränderungen typisch ist. Nur eine systemische Prednisolon-Therapie hat sich wiederholt als wirksam erwiesen, jedoch in den meisten Fällen nur vorübergehend in Abhängigkeit von der Dosierung und der Therapiedauer. Die zeitliche Beziehung zwischen dem Auftreten der insektenstichartigen Hautveränderungen und der malignen Grunderkrankungen sowie deren jeweiliger Verlauf lassen sich ebenfalls mit der Definition einer kutanen Paraneoplasie vereinbaren. In der Mehrzahl der Fälle entwickelten sich die insektenstichartigen Hautveränderungen erst Jahre nach der Diagnose der Leukämie oder des Lymphoms, eine zeitliche Beziehung, die in der Regel auch für andere kutane Paraneoplasien typisch ist [14] [18] [26]. Seltener, und auch dies in Analogie zur gesamten Gruppe der kutanen Paraneoplasien, ist eine Umkehr der zeitlichen Abfolge mit primärer Manifestation der Dermatose und erst nachfolgender Diagnose der onkologischen Grunderkrankung beobachtet worden [16] [18]. Als weiterer Beleg für die paraneoplastische Genese der insektenstichartigen Hautveränderungen kann der Einfluss der onkologischen Behandlung auf den Verlauf der Dermatose herangezogen werden. Während der Chemotherapie der malignen Neoplasien mit Verbesserung der klinischen und laborchemischen Parameter konnten Rückbildungen der insektenstichartigen Hautveränderungen dokumentiert werden [16] [19] [20] [23]. Bei der kurativen Behandlung einer akuten lymphatischen Leukämie wurde eine Abheilung der Dermatose beschrieben [14].

Als Resümee der hier vorgestellten Kasuistik lässt sich die Empfehlung formulieren, dass bei vermeintlichen Insektenstichen, die einen chronisch persistierenden Verlauf nehmen, zur „Unzeit” im Herbst oder Winter auftreten und eine ungewöhnliche Therapieresistenz zeigen, auch an die Diagnose der insektenstichartigen Hautveränderungen bei einer malignen myeloproliferativen Neoplasie gedacht werden sollte.

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Dr. Gunnar Wagner

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Dr. Gunnar Wagner

Klinikum Bremerhaven Reinkenheide

Postbrookstr. 103
27574 Bremerhaven

Email: gunnar.wagner@klinikum-bremerhaven.de

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Abb. 1 Linsengroße, teilweise exkoriierte erythematöse Papeln Schulter links.

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Abb. 2 Detailaufnahme erythematöser Papeln am Rücken.

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Abb. 3 Teilweise neue, teilweise in Abheilung befindliche Exkoriationen Außenknöchelbereich rechts.

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Abb. 4 Mäßig dichtes lymphohistiozytäres, perivaskulär akzentuiertes Infiltrat mit eosinophilen Granulozyten. Venolen mit geschwollenen Endothelzellen (HE × 400)