Einleitung
Einleitung
Das deutsche Gesundheitssystem ist derzeit durch Veränderungen
bei der Finanzierung stationärer Versorgungsleistungen und der Festlegung
des Leistungsumfangs der gesetzlichen Krankenversicherung gekennzeichnet
[1]. Gegenwärtig müssen Krankenhäuser die
rückläufigen finanziellen Mittel kompensieren. Dies wird über
eine Erhöhung der Fallzahlen sowie durch eine Neugestaltung der
ärztlichen Arbeitszeiten und Minderung der Personalkosten angestrebt.
Durch die Einführung von Behandlungspfaden soll mittels Ablaufsoptimierung
nicht nur die Behandlungsqualität optimiert, sondern auch die
Wirtschaftlichkeit verbessert werden. Für die Ärzte wird es jedoch
immer schwieriger, die Patienten angemessen zu versorgen [1]: die dargestellten ökonomischen Rahmenbedingungen
haben einen beträchtlichen Einfluss auf die ärztliche Tätigkeit,
denn es wird zunehmend in das Aufgabengebiet des klinisch tätigen Arztes
eingegriffen. Die uneingeschränkte Ausführung der erlernten
ärztlichen Tätigkeit gegenüber dem Patienten stellt unter den
gegenwärtigen Bedingungen eine Ausnahme dar [2].
Wieviel Zeit tatsächlich für nicht ärztliche Tätigkeiten
(z. B. Verwaltungsaufgaben) verwendet wird, ist noch unklar. Aussagen
existieren gegenwärtig nur aus subjektiven Einschätzungen.
Fragebogenstudien stellten die von Ärzten, darunter auch
Pneumologen, wahrgenommenen Arbeitsbedingungen dar [3].
Hierbei wurden insbesondere eine enorme Arbeitsbelastung, die langen
Arbeitszeiten und der hohe Anteil an administrativen Tätigkeiten als
Kritikpunkte aufgezeigt [4]
[5]
[6]
[7].
Da es sich bei diesen Studien allein um subjektive
Einschätzungen handelt und bisher keine objektiven Daten über die
aktuelle Situation der ärztlichen Tätigkeit in der Pneumologie
erhoben worden sind, ist das Ziel dieser Studie eine Tätigkeitsanalyse der
Ärztinnen und Ärzte in der Pneumologie durchzuführen. Es sollen
Aussagen über die derzeitige ärztliche Arbeitssituation in der
stationären Versorgung mit objektiven Zeitdaten getroffen werden.
Diese Daten können die bereits aufgezeigten Angaben der
Ärztinnen und Ärzte verifizieren oder falsifizieren. Zudem soll die
Analyse einen wegweisenden Beitrag leisten, mögliche Verbesserungen in der
Arbeitsgestaltung der Ärzte in der Pneumologie abzuleiten.
Methodik
Methodik
Datenerhebung
Die Datenerhebung fand zwischen Oktober 2008 und Februar 2009 in
der pneumologischen Abteilung eines städtischen Krankenhaus
(> 500 Betten) statt.
Zur Rekrutierung der Ärztinnen und Ärzte auf dieser
Station wurde eine Informationsveranstaltung zur geplanten Studie
durchgeführt. Nach der Einverständniserklärung der
Klinikumsleitung wurden zwölf Assistenzärztinnen und -ärzte
für die Studie rekrutiert.
Jeder der zwölf Ärzte wurde für fünf
Arbeitstage über die gesamte Schicht begleitet. Während der
Untersuchungszeit begleitete ein bereits mit der Methodik vertrauter
Datenerheber den jeweiligen Arzt in einer Distanz von mindestens 2 Metern und
zeichnete jede Tätigkeit des Arztes sekundengenau auf.
Datenerfassungsprogramm
Zunächst wurde ein speziell für diese Studie
entwickeltes Datenprogramm entworfen [8], mit dessen
Hilfe alle Tätigkeiten des Arztes sekundengenau aufgezeichnet werden
konnten. Dieses Programm wurde dann auf einen tragbaren Handcomputer
übertragen (UMPC, Samsung Q1, Samsung Inc., Schwalbach, Germany). Dreizehn
Tätigkeitskategorien mit 50 Unterkategorien, die die Tätigkeiten
eines Arztes in der Pneumologie umfassen, wurden als Vorgabe in das Programm
integriert ([Tab. 1]).
Tab. 1 Tätigkeitskategorien.
Kategorie
|
Tätigkeitsbeschreibung
|
Visite
|
Begutachtung des
Patienten am Krankenbett durch einen oder mehrere Ärzte
|
Aufnahme in das
Krankenhaus
|
Hospitalisierung eines
Erkrankten, Aufnahme der Krankengeschichte, erste Untersuchungen
|
Pause
|
Erholungszeiten,
Mittagspause
|
Arztbrief
|
Schreiben des
Arztbriefes
|
Telefonate
|
Ärztliche
Telefongespräche
|
Besprechungen und
interne Kommunikation
|
Besprechungen mit
Kollegen oder Vorgesetzten, Fort- und Weiterbildung
|
medizinische
Untersuchungen
|
z. B.
Bronchoskopie, Sonography, Thoraxskopie, Blutentnahme, Infusionen
|
Suchen
|
z. B. nach
Dokumenten und Berichten suchen
|
Warten
|
auf Patienten, Kollegen
oder Bereichte warten, Warten wegen Computerproblemen
|
Lesen
|
Fachliteratur,
Röntgenbilder
|
Weg
|
Wege im Krankenhaus
|
Computerarbeit
|
schriftliche
Dokumentation am Computer
|
sonstige Dokumentation
|
sämtliche
schriftliche Dokumentation auf Papier
|
Der Datenerfasser codierte während der Begleitung jede
Handlung des Arztes mit einer vorgegebenen Kategorie. Es wurde außerdem
die zeitliche Dauer der jeweiligen Handlung aufgezeichnet.
Datenanalyse
Alle Tätigkeiten wurden in Echtzeit erhoben und nach
vollständiger Erfassung in Excel (Microsoft Cooperation®)
analysiert und ausgewertet. Zusätzliche deskriptive Auswertungen wurden
mit dem Datenanalyseprogramm SPSS® 15.0 durchgeführt.
Ergebnisse
Ergebnisse
Demographische Angaben der Ärztinnen und Ärzte
Das Alter der untersuchten fünf Ärztinnen und sieben
Ärzte variierte zwischen 26 und 36 Jahren. Das Durchschnittalter lag bei
32,63 Jahren (SD = 3,28 Jahre). Die durchschnittliche
Berufserfahrenheit differierte zwischen 1 und 9 Jahren, durchschnittlich waren
es 6,38 Jahre (SD = 3,12 Jahre).
Arbeitszeitanteile der Pneumologen
Insgesamt wurden 60 Arbeitstage begleitet und alle in dieser Zeit
ausgeführten Tätigkeiten aufgezeichnet.
Im Durchschnitt arbeiteten die Ärztinnen und Ärzte
9 : 15 Stunden (95 % CI
9 : 00 : 37 h bis
9 : 30 : 41 h). Innerhalb dieser Zeit
verbrachten sie im Durchschnitt 49 Minuten für die Pausengestaltung
(95 % CI 0 : 42 : 00 h bis
0 : 55 : 22 h). Die Länge der
Arbeitstage variierte zwischen 8 : 01 Stunden (der kürzeste
Arbeitstag) und 10 : 40 Stunden (der längste
Arbeitstag).
Die größten Zeitanteile pro Beobachtungsperiode wurden
für Besprechungen, Dokumentation und Administration sowie für Visite
genutzt ([Abb. 1]).
Abb. 1 Verteilung der
Tätigkeiten in der Pneumologie.
Besprechungen und interne Kommunikation
Insgesamt wurde der größte Tageszeitraum für
Früh- und Mittagsbesprechungen verbracht
(M = 1 : 40 : 00 h;
95 % CI 1 : 28 : 59 h bis
1 : 51 : 13 h) ([Abb. 2]).
Abb. 2 Verteilung der
Zeitanteile für Besprechungen und interne Kommunikation.
Bis zu vier medizinische Besprechungen mit Kollegen (z. B.
Ärzte, Pflegekräfte) wurden am Tag durchgeführt. Die
durchschnittliche Kommunikationszeit mit Kollegen betrug 47 Minuten
(SD = 0 : 22 : 00 h).
Zeiten für Fort- und Weiterbildung umfassten 14 Minuten pro Tag
(95 % CI 0 : 07 : 36 h bis
0 : 20 : 41 h).
Patienten Management (Dokumentation, Administration,
Telefonate)
Im Durchschnitt wurden 18 % des Tages für
Dokumentations- und Administrationsaufgaben verwendet
(M = 01 : 41 h; 95 % CI
1 : 30 : 59 h bis
1 : 52 : 25 h). Diese Aufgaben beinhalteten:
1. das Schreiben der Arztbriefe
(M = 0 : 35 : 26 Minuten pro
Tag; 95 % CI 0 : 26 : 37 h bis
0 : 44 : 14 h); 2. die gesamte sonstige
Dokumentation (bspw. das Verfassen von Berichten, sonstige klinische Notizen)
(M = 0 : 28 : 52 h;
95 % CI 0 : 25 : 16 h bis
0 : 32 : 27 h) und 3. die Computerarbeit
(z. B. Schreiben von E-Mails)
(M = 0 : 37 : 24 h;
95 % CI 0 : 31 : 13 h bis
0 : 43 : 34 h).
38 Minuten 13 Sekunden (95 % CI
0 : 32 : 12 h bis
0 : 44 : 14 h) wurden für Telefonate
(z. B. Anforderung von Berichten und Untersuchungen) genutzt; das sind
6,8 % der täglichen Arbeitszeit. Die aufgezeichnete Zeit
für das DRG-Codieren umfasste im Durchschnitt 4 Minuten 5 Sekunden pro
Arzt und Arbeitstag (95 % CI
0 : 02 : 22 h bis
0 : 05 : 48 h).
Medizinische Untersuchungen
Untersuchungen am Patienten umfassten einen Zeitanteil von
durchschnittlich 0 : 46 : 40 Minuten
(95 % CI 0 : 39 : 27 h bis
0 : 53 : 52 h) am Tag. Im Durchschnitt
wurden 17 Patienten am Tag behandelt (SD = 1,57).
Die medizinischen Untersuchungen in der Pneumologie bezogen sich
u. a. auf die Sonografie, Bronchoskopie und Thoraxskopie. Die
Blutentnahme beim Patienten wird durchschnittlich
0 : 06 : 49 Minuten (95 % CI
0 : 04 : 52 h bis
0 : 08 : 47 h) am Tag ausgeführt.
Visite, Aufnahme und sonstige
Arzt-Patienten-Kommunikation
Die untersuchten Ärzte verbrachten
1 : 15 : 33 Stunden (95 % CI
1 : 02 : 28 h bis
1 : 28 : 38 h) bei der täglichen
Visite. Die Aufnahme von neuen Patienten ins Krankenhaus dauerte im
Durchschnitt 0 : 22 : 23 Minuten
(95 % CI 0 : 13 : 33 h bis
0 : 31 : 14 h).
Zusätzliche Zeitanteile für diagnostische und
therapeutische Konversationen zwischen Arzt und Patient sowie für
Aufklärungsgespräche betrugen am Tag durchschnittlich
1 : 16 : 17 Stunden (95 % CI
1 : 09 : 05 h bis
1 : 23 : 30 h) ([Abb. 3]).
Abb. 3 Verteilung der
Zeitanteile für Kommunikation mit Patienten und Angehörigen.
Insgesamt verbrachte ein Arzt durchschnittlich
0 : 06 : 44 Minuten der Arbeitszeit mit
Angehörigengesprächen (95 % CI
0 : 04 : 00 h bis
0 : 09 : 09 h). Diese Tätigkeit
umfasste demgemäß 1,2 % des Arbeitstages.
Sonstige Zeitanteile
Die begleiteten Ärzte in der Pneumologie verbrachten
täglich im Durchschnitt 34 Minuten 13 Sekunden für Wege im
Krankenhaus (95 % CI
0 : 30 : 50 h bis
0 : 37 : 35 h).
Arbeitshindernisse wie z. B. Warten auf Berichte,
Patienten, Kollegen, Computerprobleme oder Suchen kosteten den Arzt im
Durchschnitt 23 Minuten 34 Sekunden (95 % CI
0 : 19 : 54 h bis
0 : 27 : 13 h). Die Zeitanteile für
Warten betrugen im Durchschnitt 1,4 %
(M = 0 : 07 : 54 h;
95 % CI 0 : 05 : 01 h bis
0 : 10 : 48 h), für Suchen
2,8 %
(M = 0 : 15 : 39 h;
95 % CI 0 : 13 : 47 h bis
0 : 17 : 31 h).
Diskussion
Diskussion
Die vorliegende Studie ist die erste Echtzeitanalyse, die Aussagen
über die ärztliche Tätigkeit in der Pneumologie trifft.
Die Ergebnisse zeigten, dass die durchschnittliche Arbeitswoche auf
einer pneumologischen Station 46 Stunden umfasste. Unter Einbezug der
Pausenzeiten mindert sich die Arbeitsstundenanzahl. Es zeigt sich, dass die
Ärztinnen und Ärzte nur einen sehr geringen Überstundensatz
leisten mussten.
Bezogen auf den gegenwärtig vorliegenden geringen Anteil an
Überstunden, zeigt sich demnach eine Verbesserung hinsichtlich
früherer Untersuchungen, in denen von bis zu 80 Arbeitsstunden in der
Woche berichtet worden ist [9]
[10]
[11]. Diese Daten reflektieren
sehr wahrscheinlich die Veränderungen im Arbeitszeitgesetz von 2007.
Dementsprechend sei auch auf die relativ hohen Zeitanteile für Pausen
hingewiesen. Ein Ergebnis, das aufgrund vorhergehender Angaben der Ärzte
überrascht [12].
Es muss jedoch klar konstatiert werden, dass die externe
Validität dieser Ergebnisse begrenzt ist, da die ärztliche
Tätigkeit nur in einer Klinik untersucht worden ist. Somit müssen
weitere Studien durchgeführt werden, die zeigen, dass die vorliegenden
Ergebnisse nicht nur aufgrund einer in dieser Klinik spezifischen Situation zu
begründen sind.
Die von Ärzten oft kritisierte Ausführung von
Administrations- und Dokumentationstätigkeiten stellte sich in dieser
Untersuchung als ein dominanter Zeitanteil dar. Dieses Ergebnis lässt sich
durch 1) die zunehmenden Anforderungen an Dokumentations- und
Administrationsvorgaben sowie 2) die steigende Anzahl Patienten pro Arzt
begründen [13]
[14]. Studien
führen diese Situation auch auf die DRG-Einführung zurück
(Diagnosis Related Groups) [15]
[16], wenngleich gegenüberzustellen ist, dass die
Zeitanteile für die DRG-Codierung in der vorliegenden Untersuchung gering
ausfielen.
Eine Lösungsmöglichkeit, um die täglichen
Arbeitsabläufe zu verbessern, könnte in der Reorganisation
ärztlicher Tätigkeiten liegen. In diesem Sinne könnten
Dokumentationsaufgaben und zu erledigende Telefonate teilweise in die
Verantwortung eines Verwaltungsassistenten gegeben werden.
Der Einsatz eines solchen Assistenten würde den Zeitanteil
für die direkte Patientenbehandlung erhöhen [17]. Zudem können diese Zeitanteile durch eine
Verkürzung von Besprechungen, Wegen in der Klinik und sonstigen
Arbeitshindernissen erhöht werden.
Da die vorliegende Studie einigen Einschränkungen unterliegt,
können die gewonnenen Ergebnisse nicht bedingungslos verallgemeinert
werden. Zunächst muss betont werden, dass die gewählte Methodik der
Zeiterhebung das Arbeitsverhalten der Ärztinnen und Ärzte beeinflusst
haben könnte (Hawthorne-Effekt). Es zeigte sich jedoch, dass die
Ärzte aufgrund der langen Untersuchungszeit den Beobachter zeitweise gar
nicht nicht mehr wahrgenommen haben bzw. ein tagelanger vorsätzlicher Bias
des eigenen Zeitaufwandes für Tätigkeiten sehr belastend ist. Somit
kann davon ausgegangen werden, dass es bei einer Wiederholung der Studie
möglicherweise minimale Abweichungen in den Zeitwerten gibt, jedoch
allgemeine Schlussfolgerungen aus den Ergebnissen nicht davon beeinflusst sind.
Weitere Forschungsarbeiten in anderen Kliniken sind zwingend notwendig, um die
vorliegenden Ergebnisse umfassend einordnen zu können.
Zudem sollten zukünftige Studien auf Wochenendarbeiten,
Nachtschichten und saisonale Unterschiede ausgeweitet werden sowie eine
umfangreichere Stichprobengröße einbeziehen.
Schlussfolgerung
Schlussfolgerung
Die vorliegende Studie ist die erste präzise Echtzeitanalyse,
die einen Einblick in die Tätigkeit von Ärztinnen und Ärzten in
der Pneumologie gibt. Die Daten unterstützen teilweise die kritischen
Angaben der Ärzte über ihre wahrgenommenen Arbeitsbedingungen. Eine
Reorganisation der Arbeitsabläufe verbunden mit einer Arbeitsaufteilung
und dem Einsatz eines elektronischen Unterstützungssystems könnte die
wahrgenommene Arbeitsbelastung der Ärzte verbessern, die Effektivität
der Arbeit steigern und somit eine verbesserte Patientenversorgung
gewährleisten.
Interessenkonflikte
Interessenkonflikte
D. A. Groneberg – kein Interessenkonflikt
S. Mache
– kein Interessenkonflikt
N. Jankowiak – kein
Interessenkonflikt
C. Scutaru – kein Interessenkonflikt