Qualitätssicherung in der Medizin war einmal. Jetzt ist Ökonomie angesagt. In den 90er-Jahren gab es
kaum eine medizinische Fachgesellschaft, kaum einen Kongress, kaum ein medizinisches
Journal, das sich nicht mit Qualitätsmanagement und Qualitätssicherung beschäftigt
hat. Hat es etwas gebracht? In einem Editorial dieser Zeitschrift wurde resümiert,
dass die zahlreichen Programme allenfalls der Qualitätsüberprüfung und ‐kontrolle
dienten, aber keine eigentliche Qualitätssicherung darstellten [7]. Ein Nutzen für den Patienten war nicht erkennbar. Die Haltung vieler Ärzte blieb
skeptisch, die sich durch die immensen Dokumentationsanforderungen nicht nur belastet,
sondern auch belästigt fühlten. Warum also Qualitätssicherung? Vielleicht deswegen,
weil sie bereits die Vorstufe zur Ökonomisierung der Medizin war? Qualitätssicherung
sollte auch die Standards garantieren, die in der Aus- und Weiterbildung infolge der
Ärzteschwemme (man erinnere sich: Ärzteschwemme!) verloren gegangen waren.
Zwölf Jahre später ist auf die seinerzeit schon beklagte Dokumentationsflut noch einiges
daraufgesetzt worden. 2001 wurde in der Z. Orthop. nicht etwa über eine wissenschaftliche
Fragestellung des Faches, sondern erstmals über ein Abrechnungssystem berichtet [8], [9]: Rationalisierung war das Thema. Das DRG-System hatte Krankenhausärzte und Verwaltungsdirektoren verunsichert.
Zahlreiche Stimmen hielten das System für unausgegoren und befürchteten Qualitätseinbrüche.
Von einer „Industrialisierung der Patientenversorgung“ [3] und „Ökonomisierung der Mitmenschlichkeit“ [2] war die Rede. Der Kranke werde künftig zum abrechnungsfähigen Fall degradiert, es
zähle lediglich der Vollzug der Behandlung. Danach werde er nach dem Motto „quicker
and sicker“ zwar schneller nach Hause geschickt, am Ende aber kränker sein [1].
Die befürchteten Effekte sind wohl eingetreten. Neben einer möglichen und erforderlichen
Rationalisierung kam es auch zur Rationierung von Leistungen in der gesamten Medizin, auch in der Orthopädie und Unfallchirurgie.
Die Budgetvorgaben im Bereich der niedergelassenen aber auch Krankenhausärzte sind
nichts anderes als eine Leistungsbeschränkung. Die Leitlinienempfehlungen der Fachgesellschaften,
die in gutem Glauben an eine Qualitätssicherung erstellt wurden und werden, haben
mit deren Realisierung in der täglichen Praxis häufig nur wenig zu tun. Kann man die
S3-Leitlinien zur Osteoporose einhalten, wenn es das Medikamentenbudget eines niedergelassenen
Orthopäden nicht erlaubt? Erhält ein behinderter Patient noch die notwendige Hilfsmittelversorgung
und Physiotherapie, wie sie in den Leitlinien aufgelistet ist? Bekommt der Kranke
noch die notwendige Pflege und Fürsorge? – Das Versteckspiel mit der Rationierung
treibt so manche Blüten [6]: „Um eine offene Debatte über Leistungsbeschränkungen drückt sich die deutsche Politik.
Doch sie schafft Fakten, indem sie brisante Rationierungs-Entscheidungen an Gremien
delegiert, die demokratisch äußerst schwach legitimiert sind. Ein unhaltbarer Zustand …“
Die Diskussion über die Inhalte der Medizin, über Qualität und Wirtschaftlichkeit
und sogar über das Kosten-Nutzen-Verhältnis von Behandlungsmaßnahmen wird zunehmend
von Nichtärzten geführt.
Dies wurde kürzlich auch vom Präsidenten der Bundesärztekammer kritisiert. Im Jahr
2009 sind die Möglichkeiten der Rationalisierung wohl ausgeschöpft. Wie Huster [6] fordert er, dass die Kernfrage, was uns der medizinische Fortschritt in der öffentlichen
Gesundheitsversorgung wert ist, offen diskutiert werden muss und hat daher die Priorisierung zum gesellschaftlichen Thema gemacht. Unter Priorisierung versteht man die ausdrückliche
Feststellung einer Vorrangigkeit bestimmter Indikationen, Patientengruppen oder Verfahren
vor anderen. Dabei entsteht eine mehrstufige Rangreihe, in der nicht nur Methoden,
sondern auch Krankheitsfälle, Kranken- und Krankheitsgruppen, Versorgungsziele und
vor allem Indikationen in einer Rangfolge angeordnet werden [5]. Ein Thema, das auch die Orthopädie und Unfallchirurgie in besonderem Maße betrifft.
Wird die Endoprothese für Ältere finanzierbar sein [4]? Wird die Schenkelhalsfraktur des Hochbetagten ausgelegen, wie dies in einigen Mitgliedsstaaten
der Europäischen Union noch häufig der Fall ist? Kann die Gesellschaft die immensen
Lasten noch schultern, die durch den demografischen Wandel und die damit verbundene
Zunahme muskuloskeletaler Erkrankungen und Verletzungen auf uns zukommt?
Orthopädie und Unfallchirurgie müssen mit diesen Herausforderungen leben (Motto des
Kongresses 2009), daher die notwendigen Fragen formulieren und sie der Öffentlichkeit
präsentieren. Um die Leser der Zeitschrift mit dem Instrumentarium der Gesundheitsökonomie
vertraut zu machen, wird dieses Heft von einem Artikel über die ökonomische Evaluation
für Orthopäden und Unfallchirurgen von Vavken und Dorotka eingeleitet [10].
F. U. Niethard, Aachen
K. Weise, Tübingen