Aktuelle Dermatologie 2009; 35(4): 129-132
DOI: 10.1055/s-0028-1119648
Übersicht

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Lange Überlebenszeit von Patienten bei malignem Melanom im Stadium IV[1]

Long-Term Survivors With Malignant Melanoma Stage IVH.  Mohme1 , A.  Tentrup1 , B.  Heindl1 , J.  Böttjer1 , R.  Stadler1
  • 1Hautklinik, Johannes Wesling Klinikum Minden
Further Information

Prof. Dr. Rudolf Stadler

Direktor der Hautklinik
Johannes Wesling Klinikum

Hans-Nolte-Straße 1
32429 Minden

Email: hautklinik@klinikum-minden.de

Publication History

Publication Date:
30 March 2009 (online)

Table of Contents #

Zusammenfassung

Das maligne Melanom ist ein hochmaligner melanozytärer Tumor, der im fern metastasierten Stadium IV einen fast immer letalen Ausgang nach kurzer Überlebenszeit hat. Wir präsentieren hier 11 Patienten, die von uns langfristig betreut wurden, deren Überlebenszeit bei Weitem länger war als diejenige, die von der AJCC 2001 angegeben wird. Unsere Befunde zeigen, dass ein langfristiges Überleben von Melanom-Patienten im Stadium IV möglich ist. Entscheidend für die Prognose dieser Kranken sind die frühzeitige Erkennung der Metastasen und der rechtzeitige Einsatz sowohl operativer als auch pharmakologischer und strahlentherapeutischer Behandlungsmaßnahmen.

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Abstract

The malignant melanoma is a highly malignant melanocytic tumour. Survival is short-timed and its final outcome in Stadium IV is always lethal. We present here 11 patients treated in our department for a longer period of time. Their overall survival was significantly longer, compared to the data given by the AJCC 2001.

Our observations suggest that long-term survival is possible in patients with stage IV malignant melanoma. The prognosis in progressed stages of melanoma depend on early recognition of the metastases, and, subsequently, the timely application of operative, pharmacological and radio-therapeutic measures.

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Einleitung

Das maligne Melanom ist ein hochmaligner melanozytärer Tumor. Für die Prognose sind die Tumordicke sowie das Vorhandensein von Lymphknotenmetastasen bzw. Fernmetastasen entscheidend. Die Metastasierung erfolgt zu 70 % primär lymphogen, zu 30 % primär hämatogen [1]. Häufig kommt es zunächst zur Ausbildung von Satellitenmetastasen, dann zu In-Transit-Metastasen und schließlich zum Befall regionaler Lymphknoten. Fernmetastasen können lymphogen oder/und hämatogen entstehen und betreffen bevorzugt die Haut, die Lunge, Lymphknoten, Leber und Hirn sowie Knochen und Nebennieren [1].

Das Stadium IV des malignen Melanoms ist nach der TNM-Klassifikation folgendermaßen definiert: „Jede Dicke des Primärtumors und jede Form der Lymphknotenmetastasierung in Kombination mit dem Auftreten von Fernmetastasen”.

Die Prognose im Stadium IV des malignen Melanoms ist kritisch, der Tumor führt in der Regel schnell zum Exitus letalis. Wichtigste therapeutische Option ist die radikale Exzision des Primärtumors sowie eventuell vorliegender Metastasen. Inoperable Metastasen oder Resttumoren nach R1/R2-Resektion können stereotaktisch bestrahlt werden, bei Lebermetastasierung ist beispielsweise eine CT-gesteuerte Chemoembolisation eine Therapieoption. Eine adjuvante Immuntherapie mit Interferon kommt häufig zur Anwendung. Als Chemotherapeutika werden bei Fernmetastasierung insbesondere Dacarbazin, Temozolomid (hirngängiges Vorläufer-Medikament des Dacarbazins), die Kombination Carboplatin und Paclitaxel sowie Vindesine eingesetzt [2]. Trotz vielfältiger Therapieoptionen ist die Prognose im Stadium IV schlecht und die Therapie hat vor allem palliativen Charakter, d. h. sie soll die Beschwerden mindern und allenfalls die Überlebenszeit verlängern.

In dieser Studie werden einige Kranke aus der Hautklinik Minden beschrieben, die maligne Melanome mit Fernmetastasen hatten und mit verschiedenen, auf die jeweiligen Patienten zugeschnittenen Therapieschemata behandelt wurden. Es handelte sich um 11 Kranke, die innerhalb der letzten 10 Jahre wegen eines metastasierten Melanoms mit unterschiedlichen Therapieprotokollen von uns langfristig betreut wurden. In einer retrospektiven Aufarbeitung wurden diese elf Krankheitsverläufe mit den Daten der AJCC 2001 bezüglich des mittleren Überlebens von Patienten mit malignem Melanom im Stadium IV ([Abb. 1]) verglichen.

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Abb. 1 Vergleich mittleres Überleben Hautklinik Minden vs. AJCC.

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Ergebnisse

Die wichtigsten Daten der 11 ausgewählten Patienten mit malignem Melanom im Stadium IV sind in [Tab. 1] zusammengefasst. Es handelt sich um 7 männliche und 4 weibliche Patienten, die bei Erstdiagnose 30 bis 65 Jahre alt waren (durchschnittlich 52,8 Jahre) und bei denen 3 primär-noduläre Melanome, ein ulzeriertes NM, 2 amelanotische NM und ein amelanotisches malignes Melanom sowie ein superfiziell spreitendes malignes Melanom, ein Schleimhautmelanom des Gaumens, ein Ballonzell-Melanom und ein nicht spezifizierbares malignes Melanom vorlagen. Die Tumordicke lag zwischen 1,1 und 10 mm und betrug im Durchschnitt 3,0 mm.

Tab. 1 Datenübersicht.
Melanomtyp Lokalisation Dicke ED Alter bei ED Ü. n. ED in Mon. OP Pharmakotherapie Metastasenzeitpunkt Metastasenort Ü. n. Filia in Mon.
1 NMM Capillitium 1,92 9/96 50 120 09/96 Primarius INF, DTIC, Temozolomid, Vindesine, RTX 09/05 lymphogen 14
12/97 Intransitfilia 12/97, 02/05, 06/05 kutan 107
01/01 Lungenfilia 01/01, 12/01 pulmonal 70
01/02 Lungenfilia 01/06 zerebral 10
02/05 subkutane Filia re Flanke
06/05 subkutane Filia li Flanke
09/05 LAD ing re
2 Schleimhaut-Melanom Gaumen 12/95 55 148 12/05 Primarius INF, DTIC 01/00, 01/02 pulmonal 99
01/00 Lungenfilia
01/02 Lungenfilia
04/2008 metast. Ösophaguskarzinom
3 Ballonzell-Melanom Schulter links 99 69 72 99 Primarius INF, DTIC, Temozolomid 10/04 lymphogen 9
12/02 kutane In-loco-Filia 12/02, 02/05 kutan 31
05/02 kutane thorakale Filia 10/04 pulmonal 9
10/04 pulmo.+ lymph. (Axilla re) Filia 05/05, 07/05 zerebral 2
05/05 zerebrale Filia
4 amelanot. Melanom unbek. Primarius 03/04 30 57
lebt noch
03/04 neck-dissection INF, Temozolomid, RTX 03/04 lymphogen 57
08/04 zervikales Rezidiv 08/04 kutan 52
01/05 zerebelläre R1-Resektion 01/05 zerebral 47
5 nicht spezifizierbar OS links 1,1 5/98 30 115 05/98 Primarius INF, Polychemo-Immunth., RTX 12/98 lymphogen 115
12/98 LAD 12/98, 09/03, 09/04 kutan 115
12/98 zerebrale Filia 12/98 zerebral 115
09/03 kutane Filia li OS 03/07 zerebral 16
09/04 kutan Abdomen 11/07 hepatogen 8
6 SSM Knie rechts 3,0 02/01 58 59 02/01 Primarius INF, DTIC, Temozolomid 05/03 lymphogen 31
05/03 LAD 03/05 pulmonal 9
03/05 Lungenfilia 08/05 zerebral 4
7 amelanot. NMM parieto-temporal li 1,6 12/02 65 28 12/02 Primarius, SLND INF, Temozolomid, BHD, RTX 02/05 pulmonal 2
09/04 zerebrale R0-Resektion 09/04, 02/05 zerebral 7
8 amelanot. NMM OA rechts 10,0 11/01 60 85
lebt noch
11/01 Primarius, SLND INF, Temozolomid 02/06, 06/06 pulmonal 34
06/06 Lungenfilia 06/06 kutan 30
06/06 kutane Filia temporal
9 NMM US rechts 1,7 06/98 61 126
lebt noch
06/98 Primarius INF, DTIC, Eldesine 01/06 lymphogen 35
06/00 intransit Filia re US 06/00 kutan 102
01/06 LAD 08/06 pulmonal 28
08/06 Lungenfilia
10 exulc. NMM Scapula rechts 2,7 01/04 65 38
lebt noch
01/04 Primarius INF, Temozolomid 08/05 pulmonal 19
11 NMM Rücken 1,8 07/96 38 149
lebt noch
07/96 Primarius BHD-, Legha-Schema 01/06 pulmonal 35
12/03 zerebrale Filia 02/99 zerebral 60
01/06 pulmonale Filia

Der Primärtumor war in je drei Fällen an den unteren Extremitäten (Oberschenkel links, Knie rechts, Unterschenkel rechts) und am Stamm (Schulter links, Scapula rechts, Rücken) lokalisiert. Das Capillitium war zweimal betroffen, jeweils einmal die obere Extremität (Oberarm rechts) und die Mundschleimhaut (Gaumen). Bei einem Probanden blieb die Lokalisation des Primärtumors unbekannt. Die Metastasierung war bei 6 Patienten lymphogen, bei 6 Probanden fanden sich kutane Metastasen, bei 9 Patienten pulmonale, in sieben Fällen zerebrale und in einem Fall Lebermetastasen.

Alle Patienten wurden radikal operiert, d. h. Exzision des Primärtumors (sofern bekannt) sowie Exzisionen von einzelnen Metastasen (kutane, subkutane, pulmonale, zerebrale und Lymphknoten-Filiae) mit entsprechendem Sicherheitsabstand. Ferner erhielten alle Patienten eine Immuntherapie mit Interferon sowie ein bis drei Chemotherapien (DTIC, Temozolomid, Eldesine, Carboplatin und Paclitaxel u. a.). Primär wurde DTIC oder Temodal als Standard-Chemotherapie eingesetzt. Eine zusätzliche Bestrahlung erfolgte bei 4 Patienten.

Bei der Auswertung der Patientendaten wurde ein Gesamtüberleben von 38 – 149 Monaten (im Mittel 91,27 Monate) nach Erstdiagnose ermittelt.

Das mittlere Überleben unseres Patientenkollektivs mit Lymphknoten-Metastasen betrug 43,5 Monate (9 – 115 Monate), bei kutaner Metastasierung 72,83 Monate (30 – 115 Monate), nach pulmonaler Metastasierung überlebten die Patienten im Mittel 33,44 Monate (2 – 99 Monate), und nach zerebraler Metastasierung zeigte sich ein mittleres Überleben von 35 Monaten (2 – 115 Monate). Die eine Patientin mit Lebermetastasen überlebte nach Diagnosestellung fast 8 Monate.

Überlebenskurven nach Kaplan-Meier bezogen auf die Erstdiagnose und nach Feststellung einer Metastasierung finden sich in den [Abb. 2] und [3].

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Abb. 2 Überleben nach Erstdiagnose im Stadium IV.

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Abb. 3 Überleben nach Metastasierung im Stadium IV.

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Diskussion

Das mittlere Überleben von Patienten mit kutanen und Lymphknoten-Metastasen soll nach der AJCC 2001 7,2 Monate betragen, Patienten mit Lungen-Metastasen überleben im Mittel 11,4 Monate, Patienten mit zerebralen Metastasen 5,0 Monate. Eine vergleichende Darstellung dieser mit unseren Daten wird in [Abb. 1] gezeigt. Wir weisen darauf hin, dass hier Einzelfälle präsentiert werden und unser Patientenkollektiv nicht alle von uns behandelten Patienten einschließt.

Zu diskutieren bleibt, aus welchem Grund gerade die hier beschriebenen Patienten überdurchschnittlich lange überlebten. Eine Interferontherapie wurde in 10 von 11 Fällen eingesetzt (90,9 %), wobei bei allen Patienten ein schrittweises Vorgehen gewählt wurde: Zunächst wurde die Metastasenchirurgie eingesetzt und erst in zweiter Linie eine Chemo- oder Radiotherapie durchgeführt, wenn eine Operation nicht möglich war, oder als Ergänzung zu den chirurgischen Maßnahmen. Auch wenn die Leitlinie für Melanome im Stadium I und II eine bildgebende Diagnostik nicht zwingend empfiehlt, setzen wir zum Staging unserer Patienten frühzeitig derartige diagnostische Verfahren ein wie CT (Hals-Becken) und MRT (Hirnschädel) [4]. In neuester Zeit, wovon jedoch die hier dargestellten Patienten noch nicht profitieren konnten, kommt auch vermehrt die PET-CT bei Hochrisikopatienten oder unklarer CT/MRT zum Einsatz. Der hierdurch bedingte frühe Nachweis von Metastasen mit der Möglichkeit zum kurativen Therapieansatz stellt möglicherweise einen Überlebensvorteil für die Kranken dar, im Vergleich zu den Daten der AJCC.

Ein guter Ansatz, das Überleben von inoperablen Patienten im Stadium IV weiter zu verlängern, könnte die Chemosensitivitätstestung sein [5]. In einer Phase-II-Studie konnte zwischen chemosensiblen und chemoresistenten Patienten ein Unterschied festgestellt werden, wobei bei den chemosensiblen ein deutlich verlängertes Gesamtüberleben vorlag (14,6 vs. 7,4 Monaten). Auch konnte in einigen Fällen gezeigt werden, dass eine Mutationsanalyse und der gezielte Einsatz von Kinase-Inhibitoren zu einer Stabilisierung der Tumorkrankheit im Stadium IV führen kann [6]. Vermutlich wird es in Zukunft eine Kombination aus verschiedenen therapeutischen Möglichkeiten sein, die zwecks langfristiger Stabilisierung des Melanoms im Stadium IV eingesetzt werden. Ein solitärer Weg wird vermutlich nicht ausreichen.

Um das therapeutische chirurgische Vorgehen im Stadium III bei Vorliegen einer Mikro- oder Makrometastasierung prospektiv zu untersuchen und zukünftig die Entscheidung für oder gegen eine komplette Lymphadenektomie objektiv zu treffen, wird derzeit eine von der deutschen Krebshilfe finanzierte Wächterlymphknotenstudie unter der Leitung der Hautkliniken Tübingen und Minden durchgeführt.

Nach dem Einsatz neuer, heute schon zur Verfügung stehender diagnostischer und therapeutischer Möglichkeiten und der Auswertung weiterer Studien, werden in Zukunft die Überlebensdaten von Patienten mit malignem Melanom im Stadium IV neu bewertet werden müssen.

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Literatur

  • 1 Orfanos CE, Garbe C (Hrsg). Therapie der Hautkrankheiten. 2. Aufl. Heidelberg; Springer 2002
  • 2 Garbe C. Management des Melanoms. Heidelberg; Springer 2006
  • 3 Balch C M. et al . A multifactorial analysis of melanoma IV. Prognostic factors in 200 melanoma patients with distant metastases.  J Clin Oncol. 2001;  19 3622-3634
  • 4 AWMF Leitlinie Malignes Melanom Nr. 032/024, Stand 09/2007. 
  • 5 Ugurel S, Schadendorf D, Pföhler C. et al . In vitro drug sensitivity predicts response and survival after individualized sensitivity-directed chemotherapy in metastatic melanoma: a multicenter phase II trial of the Dermatologic Cooperative Oncology Group.  Clin Cancer Res. 2006;  12 5258-5259
  • 6 Lutzky J, Bauer J, Bastian B C. Dose-dependent, complete response to imatinib of a metastatic mucosal melanoma with a K642E KIT mutation.  Pigment Cell Melanoma Res. 2008;  21 492-493. Epub 2008 May 29

1 Die vorliegende Arbeit wurde als bestes klinisches Poster auf der 44. DDG-Tagung in Dresden 2007 ausgezeichnet. Die Arbeit wurde dem 10-jährigen Jubiläum der Berliner Stiftung für Dermatologie (BSD) gewidmet.

Prof. Dr. Rudolf Stadler

Direktor der Hautklinik
Johannes Wesling Klinikum

Hans-Nolte-Straße 1
32429 Minden

Email: hautklinik@klinikum-minden.de

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Literatur

  • 1 Orfanos CE, Garbe C (Hrsg). Therapie der Hautkrankheiten. 2. Aufl. Heidelberg; Springer 2002
  • 2 Garbe C. Management des Melanoms. Heidelberg; Springer 2006
  • 3 Balch C M. et al . A multifactorial analysis of melanoma IV. Prognostic factors in 200 melanoma patients with distant metastases.  J Clin Oncol. 2001;  19 3622-3634
  • 4 AWMF Leitlinie Malignes Melanom Nr. 032/024, Stand 09/2007. 
  • 5 Ugurel S, Schadendorf D, Pföhler C. et al . In vitro drug sensitivity predicts response and survival after individualized sensitivity-directed chemotherapy in metastatic melanoma: a multicenter phase II trial of the Dermatologic Cooperative Oncology Group.  Clin Cancer Res. 2006;  12 5258-5259
  • 6 Lutzky J, Bauer J, Bastian B C. Dose-dependent, complete response to imatinib of a metastatic mucosal melanoma with a K642E KIT mutation.  Pigment Cell Melanoma Res. 2008;  21 492-493. Epub 2008 May 29

1 Die vorliegende Arbeit wurde als bestes klinisches Poster auf der 44. DDG-Tagung in Dresden 2007 ausgezeichnet. Die Arbeit wurde dem 10-jährigen Jubiläum der Berliner Stiftung für Dermatologie (BSD) gewidmet.

Prof. Dr. Rudolf Stadler

Direktor der Hautklinik
Johannes Wesling Klinikum

Hans-Nolte-Straße 1
32429 Minden

Email: hautklinik@klinikum-minden.de

Zoom Image

Abb. 1 Vergleich mittleres Überleben Hautklinik Minden vs. AJCC.

Zoom Image

Abb. 2 Überleben nach Erstdiagnose im Stadium IV.

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Abb. 3 Überleben nach Metastasierung im Stadium IV.