Eine routinemäßige perioperative venöse Thromboembolie (VTE)-Prophylaxe ist fester
Bestandteil der Versorgung von Patienten aller operativen Fachgebiete. Ihre Notwendigkeit
ergibt sich aus den Daten früherer Plazebo-kontrollierter Studien.
Weltweit wurden Anstrengungen zur Etablierung einer leitliniengerechten VTE-Prophylaxe
unternommen (z. B. ACCP in den USA [2008], SIGN in Schottland [2002], SFAR in Frankreich
[2006]). Ziele dieser evidenzbasierten Leitlinien sind eine höhere Sicherheit bei
der Indikationsstellung, größtmögliche Wirksamkeit prophylaktischer Maßnahmen zur
Vermeidung thromboembolischer Ereignisse und die Vermeidung unerwünschter Ereignisse
wie Blutungskomplikationen und therapieinduzierte Thrombozytopenien. Nach aktuellen,
internationalen Untersuchungen werden diese Ziele, auch in Deutschland, noch nicht
umfassend erreicht.
In Deutschland existieren seit 1999 Empfehlungen verschiedener Fachgesellschaften
und seit 2003 eine interdisziplinäre konsensusbasierte S2-Leitlinie zur VTE-Prophylaxe.
27 Fachgesellschaften und Organisationen haben sich nun zusammengefunden, um diese
zu einer „S3-Leitlinie zur Prophylaxe venöser Thromboembolien” weiter zu entwickeln.
Dazu wurden alle Aussagen auf der Basis einer systematischen Literaturrecherche und
- bewertung überprüft und überarbeitet. Ziel war, gemeinsame, evidenzbasierte und
praxistaugliche Empfehlungen zur Prophylaxe venöser Thromboembolien (VTE) zu entwickeln.
Methodisch berücksichtigt die Entwicklung der S3-Leitlinie das Regelwerk der AWMF
sowie die im Deutschen Instrument zur methodischen Leitlinienbewertung (DELBI) formulierten
Anforderungen. Zur Erfassung der Umsetzung der Leitlinienempfehlungen werden Qualitätsindikatoren
vorgeschlagen, die im Rahmen einer Pilotphase evaluiert werden sollen.
Die Problematik einer effektiven VTE-Prophylaxe ergibt sich aus der Tatsache, dass
die klinische Diagnose einer sich anbahnenden venösen Thrombose im Einzelfall nicht
möglich ist und kein verlässlicher Test zur Ermittlung eines individuellen Thromboserisikos
zur Verfügung steht. Die überwiegende Zahl tödlicher Lungenembolien ereignet sich
ohne klinische Ankündigung. Dies begründet die Notwendigkeit einer generellen Prophylaxe
in Risikosituationen wie operative Eingriffe, Verletzungen oder akuten Erkrankungen.
Generell stehen zur VTE-Prophylaxe zur Verfügung: Basismaßnahmen (Frühmobilisation,
Bewegungsübungen, Anleitung zu Eigenübungen), physikalische Maßnahmen (z. B. medizinische
Thromboseprophylaxestrümpfe, apparative Kompressionsmaßnahmen an den unteren Extremitäten)
und medikamentöse Maßnahmen (Antikoagulanzien).
Indikationsstellung und Wahl der Prophylaxeform sollen individuell und risikoadaptiert
erfolgen. Dabei hat sich eine klinisch orientierte Risikoabschätzung bewährt, die
expositionelle und dispositionelle Risikofaktoren erfasst und berücksichtigt. Das
expositionelle Risiko ist durch Art und Umfang des operativen Eingriffs/Traumas charakterisiert,
das dispositionelle Risiko durch patientenspezifische Faktoren. Die Häufigkeit thromboembolischer
Komplikationen erlaubt die Unterscheidung von drei Risikokategorien: niedriges/mittleres/hohes
VTE-Risiko.
Zur Indikationsstellung der VTE-Prophylaxe ergeben sich folgende Empfehlungen:
Alle Patienten sollten Basismaßnahmen erhalten. Zusätzlich können bei allen Patienten
physikalische Maßnahmen eingesetzt werden, sofern keine Kontraindikationen vorliegen.
Patienten mit mittlerem oder hohem VTE-Risiko benötigen zusätzlich eine medikamentöse
Prophylaxe mit Antikoagulanzien. Bei diesen Patienten können physikalische Maßnahmen
die Wirkung der pharmakologischen Prophylaxe ergänzen. Wenn Antikoagulanzien kontraindiziert
sind (z. B. hohes Blutungsrisiko), sind sie notwendig.
Leitlinienkapitel zur medikamentösen VTE-Prophylaxe, zu Nebenwirkungen und Anwendungseinschränkungen
sollen die Auswahl geeigneter Antikoagulanzien erleichtern. Aufgrund ihrer pharmakologischen
Eigenschaften haben sich niedermolekulare Heparine (NMH) weltweit zum Standard etabliert.
Vitamin K Antagonisten vom Kumarintyp haben in Deutschland keinen Stellenwert. Thrombozytenaggregationshemmer
sind nicht ausreichend. Rückenmarknahe Anästhesieverfahren erfordern vor Applikation
von Antikoagulanzien die Einhaltung zeitlicher Intervalle zur Vermeidung spinaler/epiduraler
Hämatome.
Zusätzlich zu allgemeinen Prinzipien und Empfehlungen wird in der Leitlinie mit speziellen
Empfehlungen dezidiert auf die Besonderheiten der VTE-Prophylaxe für spezifische operative
Patientengruppen und Versorgungsbereiche eingegangen.
So kann in einigen Situationen alternativ zu NMH das synthetische Pentasaccharid Fondaparinux
eingesetzt werden. Bei großen orthopädisch-unfallchirurgischen Eingriffen und ausgedehnten
Krebsoperationen im Bauch- und Beckenbereich haben klinische Studien den Nutzen einer
verlängerten Thromboseprophylaxe gezeigt, so dass Empfehlungen auch für die poststationäre
Versorgung gegeben werden.
Die Publikation der S3-Leitlinie erfolgt im Frühjahr 2009 (www.awmf-leitlinien.de, Register Nr. 003/001). Zukünftig dürften neue, oral applizierbare Antikoagulanzien
an Bedeutung gewinnen. Da ihre Zulassung erst kürzlich erfolgte, werden sie in der
aktuellen Leitlinie noch nicht berücksichtigt