Die Prognose der terminalen Niereninsuffizienz ist vor allem wegen des begleitenden
sekundären Hyperparathyreoidismus (sHPT) ungünstig. Dieser Zusammenhang wird in der
Nephrologie intensiv diskutiert, denn einerseits hat sich das Wissen um die Pathogenese
des sHPT enorm erweitert, andererseits sind neue, effiziente Präparate und sogar Wirkprinzipien
verfügbar geworden.
Risikokonstellation und Folgen eines unzureichend eingestellten sHPT
Risikokonstellation und Folgen eines unzureichend eingestellten sHPT
Wie Prof. Michael Fischereder, München, auf dem diesjährigen Nephrologenkongress im
Rahmen eines Symposiums zum Thema sHPT betonte, sei zu Dialysebeginn bei nur wenigen
Patienten der Kalziumphosphathaushalt eingestellt. Ursache ist der viel zu späte Therapiebeginn
- pathophysiologisch setzt der sHPT deutlich eher, schon unterhalb einer glomerulären
Filtrationsrate (GFR) von 45 ml/min/1,73m² [1], eventuell sogar noch früher (GFR < 60 ml/min/1,73m²) ein. In diesen Stadien (CKD
2 und 3) erscheinen die Kreatininwerte wenig dramatisch, trotzdem ist mit einem renalen
Vitamin-D-Mangel und PTH-Anstieg zu rechnen. Der initiale Auslöser ist eine Hypokalzämie
[2], die gemeinsam mit dem 25-OH-Vitamin-D-Mangel eine erhöhte mRNA-Stabilität für PTH
und infolge dessen eine vermehrte PTH-Sekretion verursachen.
In den Nebenschilddrüsen kommt es dann zur diffusen oder nodulären Hyperplasie (Abb.
[1]) [4]. Als frühe Konsequenz dieser Hyperplasie ist ein Verlust der Vitamin-D- und Calcium-Sensing-Rezeptor-Expression
(Calcium-Sensing-Rezeptor: CaSR) mit konsekutiv abnehmender Rezeptordichte im parathyreoidalen
Gewebe zu beobachten, was die Folgen der Hypokalzämie und des 25-OH-Vitamin-D-Mangels
wiederum weiter verstärkt. Wenn der beschriebene Circulus vitiosus nicht durchbrochen
wird, kann der sHPT bis zur Adenombildung in den Nebenschilddrüsen führen.
Abb. 1 Entwicklung der nodulären Nebenschilddrüsenhyperplasie. CaSR = Calcium-Sensing-Rezeptor,
VDR = Vitamin-D-Rezeptor nach
[3]
Die klinischen Konsequenzen: Erhöhte Mortalität und Morbidität
Die klinischen Konsequenzen: Erhöhte Mortalität und Morbidität
Bei Dialysepatienten steigt durch die hormonelle Überaktivität beim sHPT und deren
metabolische Konsequenzen die Mortalität [5] dramatisch. Selbst der Anstieg einzelner Parameter der Überaktivität beim sHPT (Parathormon,
Serumkalzium, Serumphosphat und Kalzium-Phosphat-Produkt) korreliert mit einer erhöhten
Mortalität, wie Block zeigte (Abb. [2]). Auch die Morbidität - insbesondere die koronare Herzerkrankung, die Herzinsuffizienz,
die Arrhythmie, die periphere arterielle Verschlusserkrankung und der Apoplex - nimmt
signifikant zu. Schon bei nierengesunden Menschen mit nur einer Niere (z. B. Lebendspendern)
ist der PTH-Spiegel der stärkste Risikofaktor einer Koronarsklerose [6].
Abb. 2 Mortalität beim sekundären Hyperparathyreoidismus in Abhängigkeit der Laborparameter.
nach
[5]
Auch der Verlauf nach einer Transplantation wird von der Entwicklung eines unkontrollierten
sHPT ungünstig beeinflusst, wie Fischereder anhand der Daten von Roodnat illustrierte.
Je höher das initiale PTH des Empfängers ist, desto ungünstiger entwickelt sich die
Transplantatfunktion. Kalziumphosphatpräzipitationen lassen sich dann direkt im Nierengewebe
finden [7]. Ein Problem ist, dass nur 20 % der transplantierten Patienten bezüglich des sHPT
im KDOQI-Zielbereich liegen [8].
Von den neuesten Erkenntnissen der Kalzifizierung hinsichtlich Molekularbiologie,
Klinik und Therapieansätzen sprach Prof. Tilman B. Drüeke, Paris. Sowohl ein adynamer
als auch ein hyperaktiver Knochen sind nicht mehr in der Lage, zur Kalzium-Phosphat-Homöostase
beizutragen. Häufige Folgen sind Hyperphosphatämie bzw. Hyperkalzämie, da das Knochengewebe
nicht wie sonst als Puffer fungieren kann [9]. Über verschiedene Faktoren, wie die verminderte renale Exkretionsfähigkeit, das
Parathormon, eine Dysregulation des Knochenstoffwechsels, die Imbalance von Kalzifizierungspromotoren
und -inhibitoren sowie diversen Wachstumsfaktoren, kommt es dann zur Kalzifizierung
an Gefäßen und Weichteilen.
Zelluläre und molekulare Faktoren der Verkalkung
Zelluläre und molekulare Faktoren der Verkalkung
Anhand exzellenter bildlicher Darstellungen erläuterte Drüeke zelluläre und molekulare
Faktoren, die bei der vaskulären Kalzifizierung eine Rolle [10] spielen. Etliche körpereigene Faktoren, die einer Verkalkung entgegenwirken, sind
inzwischen bekannt: Neben Fetuin A und Pyrophosphaten (endogene Bisphosphonate) ist
das Matrix-Gla-Protein (MGP) ein hochpotenter lokaler Verkalkungshemmer in der Gefäßwand.
Je niedriger der Matrix-Gla-Spiegel, desto höher die Verkalkungsneigung [11].
Neueste Untersuchungen an 400 Hämodialysepatienten weisen darauf hin, dass auch hohe
FGF-23-Spiegel ("Fibroblast Growth Factor 23") eine unabhängige Assoziation mit dem
Mortalitätsrisiko haben [12]. Zudem trägt auch Klotho (eine Glykosidase, die den Alterungsprozess bremst, übrigens
benannt nach der Schicksalsgöttin in der griechischen Mythologie, die den Lebensfaden
spinnt) zum Verständnis der Kalzifizierung bei und könnte ein interessanter therapeutischer
Angriffspunkt sein.
"Klassische" Risikofaktoren
"Klassische" Risikofaktoren
Einen großen Einfluss auf die Progression der Verkalkung haben jedoch nach wie vor
die Ausgangsverkalkung [13] und die Kalziumzufuhr. London et al. [14] konnten jüngst bei Dialysepatienten eine Korrelation zwischen der täglichen Zufuhr
von Kalziumkarbonat (elementares Kalzium in g/d) und der Aortenrigidität/-kalzifizierung
(gemessen mittels der Pulswellengeschwindigkeit) nachweisen. Diese Korrelation ist
abhängig vom Knochenstatus: So steigt bei adynamen Knochen mit der Kalziumzufuhr die
aortale Kalzifikation dramatisch an, nicht jedoch bei hyperaktiven Knochen.
Ein weiterer "Risikofaktor" kann auch das Vitamin D sein: "Zu hohe und zu niedrige
Vitamin-D-Spiegel erhöhen die Verkalkungsneigung, es besteht also eine u-förmige Beziehung
[15], ähnlich wie beim PTH", so Drüeke.
War früher oft die Parathyreoidektomie der einzige Weg, den sHPT zu therapieren und
sogar Weichteilverkalkungen zur Regredienz zu bringen, so lässt sich heute mit Cinacalcet
bei den meisten Patienten beispielsweise das PTH effektiv, aber weniger radikal als
mit einer Operation, senken [16]. Dabei normalisiert sich nicht nur das PTH, sondern auch das Kalzium-Phosphat-Produkt,
welches unter einer Vitamin-D-Therapie oftmals ansteigt und die Verkalkung fördern
kann (Abb. [3]). Drüeke berichtete zudem von eigenen Untersuchungen mit dem Kalzimimetikum R568,
unter dem es bei urämischen Mäusen zu einer signifikant geringeren Media- und Atheromverkalkung
kam.
Abb. 3 Signifi kante Reduktion des Kalzium-Phosphat-Produkts unter Cinacalcet. nach
[16]
Effektivität der Cinacalcet-Therapie
Effektivität der Cinacalcet-Therapie
Von den neuen Erkenntnissen zum kombinierten Einsatz von Vitamin D und Cinacalcet
berichtete PD Dr. Vedat Schwenger, Heidelberg. Er erinnerte daran, dass bereits 20-jährige
Dialysepatienten schwerste Gefäß- und Weichteilverkalkungen aufweisen können und damit
eine besonders schlechte Prognose haben [17]. Chertow et al. [18] konnten demonstrieren, dass das Nichterreichen der NKF-KDOQI-Kriterien ("National
Kidney Foundation Kidney Disease Outcomes Quality Initiative") mit einem höheren Verkalkungsrisiko
assoziiert ist: So haben Patienten mit einem Kalzium-Phosphat-Produkt über 55 mg²/dl²
(= 4,4 mmol²/I²) nach einem Jahr eine signifikante Zunahme des Agatston-Score (aortale
und koronare Verkalkung in der Elektronenstrahltomografie) (Abb. [4]). Doch die Mortalität steigt nicht nur mit dem Kalzium-Phosphat-Produkt, sondern
jeweils auch mit dem PTH- und den Serumspiegeln von Kalzium und Phosphat an [5].
Abb. 4 Das Nichterreichen der NKF-KDOQI-Kriterien ist mit einem höheren Verkalkungsrisiko
assoziiert. nach [19]
Laut Moe et al. [21] erreichen signifikant mehr Patienten alle Serumparameter (NFK-KDOQI-Ziele), wenn
Cinacalcet zur bisherigen Therapie verabreicht wird. Der Anteil der Patienten, die
für alle drei Parameter (PTH, Kalzium, Phosphat) im Zielkorridor liegen, konnte mit
Cinacalcet von lediglich 6-10 % auf beachtliche 41 % gesteigert werden. Zudem ist
die Therapie mit Cinacalcet im Vergleich zu Calcitriol-Therapie nicht verkalkungsfördernd,
wie Schwenger mit Verweis auf Lopez et al. [22] ausführte (Abb. [5]).
Abb. 5 Aortenkalzifi zierung ist nicht durch Cinacalcet induziert. nach [20]
Erfolgreich in Kombination: Cinacalcet und Vitamin D
Erfolgreich in Kombination: Cinacalcet und Vitamin D
Die inzwischen abgeschlossene TARGET[1]-Studie [23] untersuchte Hämodialysepatienten (mindestens 3 Monate an der Dialyse), die unter
konventioneller Therapie die Zielkriterien nicht erreichten (PTH > 300 pg/ml). Sie
bekamen eine physiologische Dosierung von aktivem Vitamin D (3-mal 0,5 µg pro Woche)
in Kombination mit Cinacalcet. Damit gelang die PTH-Senkung bei gleichzeitiger sehr
guter Kalzium-Phosphat-Kontrolle.
Zudem stellte Schwenger die OPTIMA[2]-Studie [24] vor. Auch sie verglich die Cinacalcet basierte Kombinationstherapie mit der konventionellen
Vitamin-D-plus-Phosphatbinder-Therapie, um die KDOQI-Kriterien zu erreichen. Auch
hier wurden Dialysepatienten (mindestens 1 Monat an der Dialyse) mit einem PTH zwischen
300 und 800 pg/ml und einer Kalziumkonzentration über 8,3 mg/dl untersucht. Über 500
Patienten wurden 2:1 in eine Cinacalcet- und eine BCT-Gruppe (BCT: "best conventional
therapy") randomisiert.
Je nach PTH, Kalzium und Phosphat wurde nach dem OPTIMA-Therapie-Algorithmus Vitamin
D und Cinacalcet verabreicht (Abb. [6]). Im Ergebnis zeigte sich Cinacalcet effektiv bei der PTH-Senkung (primärer Endpunkt).
71 % der Patienten erreichten das Therapieziel - unter Standardtherapie waren es jedoch
nur 22 %. Die mittlere verabreichte Cinacalcetdosis betrug 56 mg/d (Median 30 mg/d).
Auch das Kalzium-Phosphat-Produkt als sekundärer Endpunkt sank in der Cinacalcetgruppe
signifikant ab.
Abb. 6 Therapie-Algorithmus der OPTIMA-Studie. nach [24]
Alle Zielparameter gleichzeitig (PTH, Kalzium, Phosphat, Kalzium-Phosphat-Profukt)
erreichten 59 % der Probanden (versus 16 %).
Wird Cinacalcet schon früh eingesetzt, sind die Chancen, die Zielwerte zu erreichen
umso größer, und umso niedrigere durchschnittliche Dosen sind notwendig. Dennoch wurde
bei Patienten mit einem PTH zwischen 500 und 800 pg/ml in 54 % der Fälle sowohl der
PTH- als auch Kalzium-Phosphat-Zielbereich unter der Therapie mit Cinacalcet erreicht.
Zudem zeigte sich, dass Cinacalcet auch in Kombination mit anderen Maßnahmen (Vitamin-D-Substitution)
erfolgreich sein kann.
Ausblick
Ausblick
Generell wecken die vorliegenden Daten hohe Erwartungen an Cinacalcet. So gibt es
erste Hinweise im Sinne eines Trends, es könnte unter Cinacalcet zu einem Mortalitätsrückgang
kommen (19 %) (Post-hoc-Analyse von prospektiven, randomisierten, placebokontrollierten
Phase-III-Studien, Trend: nicht signifikant) [25]. In ADVANCE[3] und EVOLVE[4], 2 großen prospektiven Studien mit fast 4 000 Patienten, wird der Einfluss von Cinacalcet
auf die Progression von Verkalkung und auf die Mortalität untersucht. Die Ergebnisse
werden in 2-3 Jahren erwartet - bis dahin gilt, bei jedem Patienten alle derzeit bekannten,
kontrollierbaren Risikofaktoren zu optimieren.
Dr. Christoph C. Haufe, Erfurt
Dieser Beitrag entstand mit freundlicher Unterstützung der Amgen GmbH, München
Die Beitragsinhalte stammen vom Symposium "sHPT - Notwendigkeit eines umfassenden
Therapieansatzes" im Rahmen des Kongresses für Nephrologie in Tübingen, veranstaltet
von der Amgen GmbH, München
|