Einleitung
Einleitung
Als eine wesentliche Voraussetzung für körperliches und seelisches Wohlbefinden wird
die aktive Gestaltung und Kontrolle der eigenen sozialen Lebenswelt angesehen. Empowerment
hat zum Ziel, die Fähigkeiten von Menschen diesbezüglich zu entwickeln und zu optimieren
sowie die Bedingungen zu schaffen, die ein eigenverantwortliches und selbstbestimmtes
Leben ermöglichen [1]
[2]. Nach dem ursprünglich in der Sozialarbeit verankerten Konzept sollen u. a. diskriminierende
Lebensbedingungen, wie z. B. negative Bewertungen und Stigmatisierungen infolge von
Hilfebedürftigkeit, oder Behinderung durch gegenseitige Unterstützung und soziale
Aktionen überwunden werden [3]. Empowerment kann aber auch darauf abzielen, den Betroffenen das Gefühl der Einflussnahme
zurückzugeben und bestehende Hilflosigkeit zu überwinden [4]. Zur differenzierten und realistischen Wahrnehmung der Älteren sowie der Stärkung
ihrer gesellschaftlichen und eigenen Achtung ist es – gerade in einer stark leistungs-
und arbeitsbezogenen Gesellschaft – zudem wichtig, die ältere Bevölkerungsgruppe nicht
nur als Belastung zu sehen, sondern auch ihre Potenziale zu erkennen und ihren Beitrag
für ein förderliches intergeneratives Zusammenleben in der Öffentlichkeit sichtbarer
hervorzuheben als es derzeit der Fall ist. Zu nennen sind an dieser Stelle insbesondere
die Pflege von Angehörigen, die Betreuung von Kindern sowie ehrenamtliche Tätigkeiten
in der Kommune.
Zugleich ist es vor allem in der vierten Lebensphase notwendig, den in den vorhergehenden
Lebensphasen präventiv noch zu begegnenden biologischen, aber auch krankheitsbedingten
Veränderungen Rechnung zu tragen [5]. So plädiert Morell [6], die sich mit dem Konzept des Empowerment bei Hochaltrigen auseinandersetzt, für
ein alters-sensibleres Modell, das eine Co-Existenz zunehmender Vulnerabilität und
„power” erlaubt und damit sowohl gesundheitlichen Einschränkungen als auch Sterben
und Tod die Stigmata nimmt.
Ausgehend von einer Übersicht zu individuellen sowie strukturellen Strategien zur
Förderung von Empowerment bei Älteren werden im Folgenden einige Aspekte und Ansätze
vertieft dargestellt.
Ebenen des Empowerment bei Älteren
Ebenen des Empowerment bei Älteren
Strategien des Empowerment bei Älteren setzen auf verschiedenen Ebenen des Gesundheits-,
Versorgungs- und Sozialsystems an, wobei sowohl organisationsbezogene als auch individuelle
Methoden und Strategien unterschieden werden können [7]
[8]
[9]:
-
Empowerment von Bürgern bzw. Patienten (patient empowerment) hat in den vergangenen Jahrzehnten unter der Prämisse, gesundheitsbezogene Outcomes
zu verbessern, eine wesentliche Stärkung erfahren. Es kann bei den Betroffenen selber
ansetzen, wie auch bei den Familien (family empowerment) und den Kommunen (community empowerment). Ziele sind die Förderung partnerschaftlicher Beziehungen zwischen Patienten und
Leistungserbringern, die Förderung von sog. Self-Care-Strategien sowie die Verbesserung
der Lebensqualität bei chronisch Kranken. Strategien sind in diesem Zusammenhang u. a.
die Gesundheitsbildung, die Förderung individueller Fähigkeiten sowie die Entwicklung
von Netzwerken.
Elemente des individuellen Empowerment sind ferner die Förderung der Teilnahme am
Leben und die Gestaltung in der Gemeinde, die Verminderung von Hilflosigkeit, bis
hin zur Förderung politischen Bewusstseins und der politischen Einflussnahme sowie
die generelle Stärkung der Bürger/Patienten i. S. einer Verbesserung der Selbstwirksamkeit
und des Selbstbewusstseins [3].
Ziele in der Kommune sind u. a. die Verringerung von sozialer Isolation und Entfremdung,
die Ausschöpfung des gesundheitsbezogenen Potenzials der Älteren durch eine förderliche
Gestaltung der strukturellen Rahmenbedingungen und die Förderung von Rechten und Mitsprache
Älterer. Zur Umsetzung dieser Ziele ist seitens der Kommune nicht nur ein spezifisches
Verständnis alter(ns)bezogener Bedarfe und Bedürfnisse erforderlich, sondern auch
Kompetenz zur Zusammenbindung relevanter Akteure und die Verfügungsgewalt über zumindest
grundlegende Ressourcen. Eine Befragung von 328 Städten, Gemeinden und Landkreisen
in Deutschland [10] zeigt jedoch, dass in vielen Kommunen Gesundheitsförderung und Prävention als eigene
Gestaltungsaufgaben bislang nur von mittlerer Bedeutung sind und eine konzeptionell
orientierte Ausrichtung auf die Zielgruppe der Älteren bislang kaum stattgefunden
hat. Allerdings sehen jeweils ca. 80% der befragten Kommunen eine stärkere Teilhabe
älterer Menschen und die Erhöhung ihrer Selbstständigkeit als Ziele einer seniorenbezogenen
Gesundheitsförderung und Prävention an. Ca. 60% benennen die Stärkung bürgerschaflichen
Engagements Älterer als Ziel [10].
-
Empowerment von Organisationen wie Leistungsanbietern und Akteuren im Gesundheitswesen sowie von wirtschaftlichen
Unternehmen als Arbeitgeber für ältere Beschäftigte (provider bzw. organizational empowerment) umfasst einerseits die Professionellen, wie z. B. Ärzte und Pflegefachkräfte, mit
dem Ziel, ihre Kompetenz, Arbeitsplatzzufriedenheit und Management-Fähigkeiten sowohl
für ihre eigene Gesundheit als auch für die Stärkung des Patientenempowerment zu fördern.
Zum anderen bezieht sich Empowerment hier auf gesundheitsbezogene Organisationen in
der Absicht, die Versorgungsqualität zu erhöhen. Ähnliche Ziele und Ansätze können
für Betriebe definiert werden mit der Absicht, das Empowerment ihrer Mitarbeiter zu
stärken (s. u.).
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Gesellschaftliches Empowerment (societal empowerment) bezieht sich auf Teilpopulationen, die z. B. aufgrund von sozialer Diskriminierung
von Entscheidungsprozessen ausgeschlossen worden sind. Ziel ist es, soziale, ökonomische
oder politische Inbalancen zu verringern. Strategien sind mediale Informationen zur
Beeinflussung der öffentlichen Wahrnehmung und Diskussion, die Förderung von Rechten
sowie die Verabschiedung entsprechender Gesetze. Aufgrund der Bedeutung von sozialen
Determinanten für den Gesundheitszustand kann hierdurch auch ein Beitrag für die Gesundheitsförderung
geleistet werden.
In diesem Zusammenhang müssen auch Altersbilder, die sich im Wechselspiel zwischen
Individuum und Gesellschaft herausbilden, betrachtet werden. Einerseits prägen alte
Menschen Altersbilder durch ihr Handeln. Andererseits beeinflussen Altersbilder auf
gesellschaftlicher und individueller Ebene die Wahrnehmung und Beurteilung von älteren
Menschen sowie die Nutzung von Potenzialen und Kompetenzen für ein selbstbestimmtes
und aktives, gesundes Altern, verbunden mit Erwartungen an den eigenen Alterungsprozess.
Nicht zuletzt beeinflusst sowohl die Wahrnehmung der Älteren durch Dritte (Fremdbild)
als auch die Selbstwahrnehmung der Älteren (Selbstbild) Wertschätzung, gesellschaftliche
Akzeptanz sowie Gestaltung des Alterns [11]. Sollen ältere Menschen in einer Gesellschaft sozial, kulturell und politisch aktiv
teilhaben, ist ein differenziertes, die Unterschiede in den körperlichen, geistigen
und sozialen Ressourcen berücksichtigendes, Altersbild erforderlich [12].
Bedeutung von „Health Literacy” (Gesundheitskompetenz) für die Gesundheit von Älteren
Bedeutung von „Health Literacy” (Gesundheitskompetenz) für die Gesundheit von Älteren
Selbstbestimmung im Alter und Selbstgestaltung der Gesundheit erfordern ein hinreichendes
Wissen um gesundheitsbezogene Aspekte, ein Verständnis für gesundheitsbezogene Informationen,
eine gute Kenntnis der Unterstützungsangebote [13] sowie die Möglichkeiten ihrer Nutzung. Eine wesentliche Voraussetzung ist die Health
Literacy (Gesundheitskompetenz) [14]
[15]. Diese umfasst die Lesefähigkeit von Gesundheitsinformationen sowie die Kompetenzen,
diese zu verstehen, zu nutzen und daraus hervorgehende Gesundheitsleistungen in Anspruch
zu nehmen sowie angemessene Entscheidungen zur Förderung und zum Erhalt der eigenen
Gesundheit treffen zu können. Damit entspricht Health Literacy dem Verständnis der
Ottawa Charta [16] und ist Teil des (individuellen) Empowerment. Als wesentliches Konzept und eine
wichtige Determinante für Gesundheit hat Health Literacy im vergangenen Jahrzehnt
in der Gesundheitsförderung und Prävention, aber auch in der Versorgung chronisch
Kranker, eine zunehmende Bedeutung erlangt.
Health Literacy gilt als ein wesentlicher Prädiktor für die Gesundheit [17]
[18]. Unzureichende Health Literacy ist mit einem schlechten Gesundheitszustand, einer
hohen Inanspruchnahme medizinischer Versorgung und schlechten funktionalen sowie klinischen
Outcomes [19] assoziiert. Zu den Bevölkerungsgruppen, die gehäuft eine niedrige Gesundheitskompetenz
(Health Literacy) aufweisen, zählen nach US-amerikanischen Studien sowie systematischen
Reviews neben Personen mit einem geringeren sozio-ökonomischen Status bzw. geringerer
Bildung und Migranten auch Ältere [20]
[21]
[22].
In einer Befragung von ca. 3 000 neu eingeschriebenen, über 65 Jahre alten Patienten
der amerikanischen Krankenversicherung Medicare wurden Gesundheitsverhalten, Gesundheit
sowie Morbidität und Mortalität in Beziehung zu Health Literacy gesetzt. Ein Drittel
der Befragten wies dabei eine geringe bzw. unzulängliche Health Literacy auf, gemessen
an der Auffassungsfähigkeit von Texten und quantitativen Informationen. Nach dieser
Studie ist eine unzureichende Gesundheitskompetenz ein Prädiktor für die Gesamt- sowie
kardiovaskuläre Mortalität [18]. Ähnliche Ergebnisse zeigt eine prospektive Kohortenstudie bei 76- bis 81-Jährigen,
wonach eine geringe Health Literacy mit einer zweifach erhöhten vorzeitigen Mortalität
assoziiert ist [23].
Allerdings gaben Ältere mit geringer Health Literacy (anders als erwartet) häufiger
an, niemals geraucht sowie Alkohol getrunken zu haben und führten häufiger einen bewegungsarmen
Lebensstil. Eine unzureichende Health Literacy erwies sich jedoch nicht als unabhängiger
Prädiktor für Rauchverhalten, Alkoholkonsum, geringe körperliche Aktivität und Übergewicht
bzw. Adipositas [24]. Die Autoren konstatieren, dass es nach ihren Ergebnissen eher unwahrscheinlich
ist, dass geringe Health Literacy das Gesundheitsoutcome direkt über das Gesundheitsverhalten
beeinflusst. Möglicherweise spielen auch Faktoren wie das Wissen um chronische Krankheiten,
Fähigkeiten zum Selbstmanagement sowie eine angemessene und zeitnahe Nutzung präventiver
Maßnahmen eine Rolle.
Neben einer stärker eingeschränkten körperlichen Gesundheit weisen Ältere mit einer
niedrigeren Health Literacy eine reduzierte psychische Gesundheit auf [25]
[26]. In einer Studie mit über 1 000 Älteren unterschiedlicher Ethnien erwies sich das
Ausmaß an Health Literacy aufgrund seiner vermutlich sensitiveren Reflexion bildungsbezogener
Erfahrungen als besserer Prädiktor bezüglich einer Abnahme des Gedächtnisses, der
Führungsfunktion und Sprachfähigkeiten als die bloße Zählung der Bildungsjahre, die
bislang als Proxy für kognitive Reserven angesehen worden sind. Manly et al. [27] schlussfolgern, dass Health Literacy als Mediator der Interaktionen zwischen biologischen
und umweltbedingten Faktoren in Bezug auf die Verminderung kognitiver Fähigkeiten
angesehen werden sollte. Zukünftige Forschung sollte sich daher durch ein vertieftes
Verständnis für die Zusammenhänge zwischen Health Literacy und Health Outcome auszeichnen.
Durch die Verbesserung von Gesundheitswissen, Verstehen und Handlungsfähigkeit kann
das Niveau der Health Literacy eines Menschen erhöht werden [28]. Nutbeam [14] weist auf die Notwendigkeit hin, die Kommunikation stärker auf die Zielgruppe anzupassen,
wobei soziale und umfeldbezogene Einflüsse auf die Lebensweise einzubeziehen sind.
Fachlich qualifizierte, die Motivation und das Lebensumfeld der Zielgruppe berücksichtigende,
gesundheitsbezogene Informationen in leicht verständlicher Sprache müssen je nach
Zielpopulation durch individuelle Beratung und weitere Strategien ergänzt werden.
Ansätze zum Empowerment von Älteren im Rahmen der Prävention und gesundheitsbezogenen
Versorgung
Ansätze zum Empowerment von Älteren im Rahmen der Prävention und gesundheitsbezogenen
Versorgung
Der Ausbau der Bürger- und Patienteninformation und -beratung gilt als ein wichtiger
Schritt zur Stärkung von Health Literacy [29] und damit von Empowerment. Hierzu wurde in Deutschland die Förderung unabhängiger
Patientenberatungsstellen durch die Krankenkassen sozialgesetzlich verankert (§ 65b
Sozialgesetzbuch V). Diese Einrichtungen halten als „Komm-Strukturen” ein Beratungsangebot
für Bürgerinnen und Bürger zu gesundheitsbezogenen Themen vor. Erste Evaluationen
von Schaeffer et al. [29] zeigen, dass die Beratungsstellen eher von jüngeren Personen genutzt werden, während
ältere Menschen als eigentliche Hauptnutzer von Gesundheitsleistungen offenbar schlechter
erreicht werden (weniger als ein Fünftel der schriftlich Ratsuchenden sind älter als
60 Jahre).
Ein weiteres Beispiel für „Komm-Strukturen” sind die MiniMed-Schools in den USA [30], nach deren Vorbild mittlerweile auch in Europa und Deutschland „Patientenuniversitäten”
entstanden sind. In unterschiedlichen Modulen richtet sich z. B. die Patientenuniversität
an der Medizinischen Hochschule Hannover an gesunde Bürgerinnen und Bürger wie an
erkrankte Personen. Vermittelt wird Basiswissen aus der Humanmedizin in laiengerechter
Form und Sprache. Daneben soll auch die Systemkompetenz der Teilnehmer gestärkt werden,
in dem u. a. aufgezeigt wird, auf welche Weise seriöse, wissenschaftlich fundierte
Gesundheitsinformationen im Internet gefunden werden können. Nach ersten Evaluationen
der Teilnehmerstruktur liegt das Durchschnittsalter bei 60 Jahren; überwiegend wird
das Angebot von Frauen und Menschen mit hohem Bildungsniveau genutzt [31].
Deutlich wird, dass zur Förderung von Empowerment bei Älteren spezifische Ansätze
erforderlich sind. Ein Beispiel hierfür ist das Hamburger Programm „Aktive Gesundheitsförderung
im Alter”. Verschiedene Ansätze der Gesundheitsförderung und Primärprävention werden
miteinander kombiniert, um die Eigenverantwortung von älteren Menschen in Kleingruppenarbeit
zu stärken und durch professionelle Gesundheitsberater die Kompetenz für die selbstständige
Umsetzung gesundheitsfördernder Maßnahmen zu vermitteln. Als „Komm-Struktur” spricht
das Angebot in erster Linie mobile, motivierte und kontaktfreudige Personen an [32].
Ein Beispiel für eine „Bring-Struktur” hingegen ist ein Projekt, das im Rahmen des
„Active Ageing”-Programms der Weltgesundheitsorganisation in der nordrhein-westfälischen
Kleinstadt Radevormwald durchgeführt wurde. Zielgruppe waren Personen zwischen 55
und 80 Jahren in einer kritischen Lebensphase (Verlust des Partners oder Ausscheiden
aus dem Berufsleben). Die Teilnehmer wurden über zwei Jahre zu Hause von geschulten
Beratern (Sozialarbeiter, Pflegefachkräfte, Sozialpädagogen) aufgesucht, um individuelle
Möglichkeiten für Aktivitäten zu erarbeiten. Gezeigt werden konnte unter anderem,
dass sich bei Teilnehmern mit Verlust des Lebenspartners innerhalb der vorangegangenen
fünf Jahre eine Intensivierung sozialer Aktivitäten (z. B. vermehrte Teilnahme an
Gruppenaktivitäten) sehr positiv auf die Lebensqualität auswirkte. Die Ergebnisse
dieses Projekts unterstreichen auch die Notwendigkeit einer Risikogruppenstrategie,
denn identische Interventionsmaßnahmen führten beispielsweise bei älteren Menschen
in einer Übergangsphase wie dem Ausscheiden aus dem Erwerbsleben nicht zu verbesserter
Lebensqualität [33].
Neben der Identifikation und Nutzung wirksamer Zugangsstrukturen ist zur Steigerung
des Empowerments eine zielgruppenorientierte Ansprache erforderlich. Hierzu liegen
für die Bevölkerungsgruppe der Älteren bislang nur wenige Erfahrungen vor. Im Rahmen
eines eigenen, in Zusammenarbeit mit dem Institut für Allgemeinmedizin der Medizinischen
Hochschule Hannover und der AOK Niedersachsen durchgeführten BMBF-geförderten Projektes
wird derzeit untersucht, ob und inwieweit eine z. B. nach Alter und Geschlecht differenzierte
Ansprache erforderlich ist, um Ältere für eine Maßnahme des präventiven Hausbesuchs
zu gewinnen [34].
Ein wesentlicher Aspekt bei der Förderung der Selbstständigkeit im Alter ist die Vermeidung
durch „Entmündigung” infolge von Überbetreuung sowohl seitens der Professionellen
als auch der Angehörigen. Rahmenbedingungen wie ökonomisch festgelegte Zeitbudgets,
aber auch eine vermeintlich gut gemeinte Übernahme von Hilfeleistungen, fördern häufig
die Unselbstständigkeit der Adressaten. Ein schon klassisches Trainingsprogramm für
Pflegende der Arbeitsgruppe um Margret Baltes zeigt eindrucksvoll, wie die Selbstständigkeit
von Demenzkranken durch eine erhöhte Sensibilisierung der Pflegekräfte für die Bedürfnisse
und Ressourcen der Pflegebedürftigen sowie durch eine Veränderung der Arbeitsroutinen
gefördert werden kann [35]. Nomura et al. [36] konnten durch kognitive Rehabilitationsmaßnahmen (Wiedererarbeiten verlernter oder
vergessener Stärken) eine Steigerung des Selbstwertgefühls und des Vertrauens in die
eigenen Fähigkeiten bei Demenzkranken in frühen Stadien erreichen.
Zielgruppen des Empowerment-Programms von Nomura et al. [36] waren neben den Demenzkranken auch ihre (pflegenden) Angehörigen. Pflegende Angehörige,
oft die Lebenspartner der Demenzkranken, nehmen ihre eigene Gesundheit als erheblich
schlechter wahr, verglichen mit den altersspezifischen Normwerten der Allgemeinbevölkerung.
Darüber hinaus klagen sie weitaus häufiger über eigene körperliche und seelische Beschwerden
wie Erschöpfung, Herz-Kreislauf- und Magenprobleme als Pflegende von kognitiv nicht
wesentlich beeinträchtigten Patienten. In der Folge kommt es bei den Pflegenden gehäuft
zu depressiven Verstimmungen, psychosomatischen Störungen, Erkrankungen des Bewegungsapparats
oder zur Einnahme von Psychopharmaka. Oft ist die Überlastung der Angehörigen der
Grund für eine Heimunterbringung des Erkrankten [37]. Gezielte pflegetechnische sowie psychosoziale Unterstützung einschließlich konkreter
Entlastungsmaßnahmen und Hilfestellungen im Umgang mit den erforderlichen administrativen
Regelungen können hier dem Laien bei der Pflege seiner Angehörigen und dem Erhalt
seiner eigenen Gesundheit helfen. Um Empowerment bei pflegenden Angehörigen zu fördern,
sollten entsprechende Maßnahmen möglichst frühzeitig in den Pflegeprozess integriert
werden, so z. B. Beratung und Schulung in Stressbewältigung und Pflegetechniken [36]
[38].
Barrieren für Empowerment bei Älteren sind aufseiten der Gesundheitsprofessionen Qualifikationsdefizite
(z. B. Wissen zu Prävention und Health Literacy), Einstellungen (z. B. Altersbil-der)
und Rollenverständnis (z. B. berufliche Identität) [39]. Wichtig ist eine Qualifizierung der Professionellen hinsichtlich der Wirksamkeit
gezielter, auch präventiver und gesundheitsfördernder Maßnahmen im Alter und ihre
Umsetzung in der Praxis. Mit der kürzlich erfolgten Integration spezifischer alters-
sowie präventions- und gesundheitsförderungsbezogener Inhalte z. B. in die ärztliche
und pflegerische Ausbildung wird versucht, diesem Defizit zu begegnen [5].
Empowerment bei älteren Arbeitnehmern stärken: Arbeitsplatz-, individualressourcen-
und gesellschaftsbezogene Ansätze
Empowerment bei älteren Arbeitnehmern stärken: Arbeitsplatz-, individualressourcen-
und gesellschaftsbezogene Ansätze
In Zukunft wird das durchschnittliche Alter der arbeitenden Bevölkerung aufgrund der
demografischen Entwicklung und der Anhebung des Renteneintrittalters steigen. So ist
hinsichtlich der Alterung innerhalb der erwerbstätigen Bevölkerung zu erwarten, dass
der Anteil der mittleren Altersgruppe (30–49 Jahre) von derzeit 50% auf ca. 43% im
Jahr 2050 absinken wird. Im Gegenzug erhöht sich der Anteil der älteren Altersgruppe
(50–64 Jahre) von 30% auf ca. 40%. Somit sind diese beiden Altersgruppen im Erwerbsleben
nahezu gleich stark vertreten [40]. Diese Berechnungen weisen u. a. auf die zunehmende Bedeutung der älteren Erwerbstätigen
als Zielgruppe in der Arbeitswelt hin. Allerdings zeigt die Kultur der Frühverrentung,
die – zumindest in einigen Branchen – immer noch von Unternehmen gefördert wird, dass
diese Bedeutung bislang nicht gänzlich erkannt wurde. Die zukünftige Herausforderung
besteht von daher vor allem darin, die Einbindung der älteren Arbeitnehmer in den
Arbeitsmarkt beizubehalten und zu fördern. Dieses Ziel kann jedoch nur dann erreicht
werden, wenn ältere Arbeitnehmer die Möglichkeit haben, sich Fähigkeiten anzueignen,
die es ihnen erlauben, dem Arbeitsmarkt bis ins höhere Alter zur Verfügung zu stehen.
Ansätze des Umdenkens zeigen sich in den letzten Jahren auch innerhalb der Europäischen
Union, die sich im März 2001 auf einer Tagung des Europäischen Rates in Stockholm
u. a. das Ziel gesetzt hat, die Steigerung der durchschnittlichen EU-Beschäftigungsquote
für ältere Männer und Frauen (zwischen 55 und 64 Jahren) bis 2010 auf 50% zu steigern
[41]. Deutschland hat diesen Vorsatz 2007 mit einer Erwerbsquote älterer Erwerbstätiger
in Höhe von 51,5% erreicht (Frauen: 43,6%, Männer: 59,7%) [42].
Empfehlungen, die dazu beitragen können, dass ältere Erwerbstätige länger gesund und
motiviert arbeiten, können in drei Bereiche aufgeteilt werden [43]. Während der erste Bereich Empfehlungen zu arbeitsplatzbezogenen Rahmenbedingungen
aufzeigt, fokussiert sich der zweite auf persönliche Ressourcen und der dritte auf
gesellschaftliche Einstellungen. Alle drei Bereiche enthalten Elemente der Eigenverantwortung
und Selbstbestimmung und somit Inhalte des Empowerment-Konzepts ([Tab. 1]).
Tab. 1 Empfehlungen zum Empowerment älterer Arbeitnehmer (übersetzt und modifiziert nach
[43]).
<TD VALIGN="TOP">
Arbeitsplatzbezogene Empfehlungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Individualressourcenbezogene Empfehlungen
</TD><TD VALIGN="TOP">
Gesellschaftsbezogene Empfehlungen
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Psychologisch wirksame Rahmenbedingungen bei der Arbeit von älteren Erwerbstätigen
sollten dahingehend gestaltet werden, dass ihre Stärken unterstützt und entsprechend
genutzt werden können. Ältere Erwerbstätige benötigen zudem inspirierende und herausfordernde
Arbeit, durch die sie sich neue Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen können.
</TD><TD VALIGN="TOP">
Gesundheitsförderliche Maßnahmen hinsichtlich älterer Erwerbstätiger sollten verstärkt
werden – die eigene Verantwortung für die Lebensgewohnheiten ist von großer Bedeutung.
</TD><TD VALIGN="TOP">
Jeder sollte das Recht auf lebenslanges Lernen haben.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
Die Möglichkeiten älterer Erwerbstätiger, ihre eigene Arbeit zu planen und zu regeln,
sollten verbessert werden.
</TD><TD VALIGN="TOP">
Funktionelle Leistungsfähigkeit sollte unterstützt und multidimensional entstehen
können – Leistungsfähigkeit hinsichtlich physiologischer, mentaler und sozialer Funktionen
ist elementare Voraussetzung für ein gutes Arbeitsleben, eine hohe Lebensqualität
während der Arbeit sowie für erfolgreiches Altern.
</TD><TD VALIGN="TOP">
Die Neuausrichtung des Arbeitslebens in eine das höhere Alter befürwortende Richtung
sollte ein gemeinsames Ziel für Menschen aller Altersgruppen sein.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Älteren Erwerbstätigen sollte die Möglichkeit des lebenslangen Lernens angeboten werden,
und ihre berufliche Kompetenz sollte sich durch die Anwendung angemessener Lernprozesse
weiterentwickeln.
</TD><TD VALIGN="TOP">
Der Übergang in die Berentung sollte ein Prozess sein, auf den sich die Angestellten
in ihren letzten Arbeitsjahren vorbereiten können.
</TD>
<TD VALIGN="TOP">
</TD><TD VALIGN="TOP">
Personen mit reduzierter Arbeitsfähigkeit sind ebenfalls ein wichtiger Teil der gesamten
Arbeitskraft – ihre verbleibende Arbeitsfähigkeit sollte besser im Arbeitsleben genutzt
werden.
</TD><TD VALIGN="TOP">
</TD>
Zur Förderung ihres Empowerment sollten ältere Arbeitnehmer für Tätigkeiten zuständig
bzw. verantwortlich sein, die als inspirierend und herausfordernd empfunden werden.
Unter psychologisch geeigneten Rahmenbedingungen können ältere Arbeitnehmer sich neue
Fähigkeiten und Fertigkeiten aneignen und ihre Arbeit als Bereicherung sehen. Sie
sollen in die Lage versetzt werden, ihre Arbeit inhaltlich eigenständig zu planen
und ihre Arbeitszeit individuell zu gestalten.
Mit dem Ziel der eigenverantwortlichen Gestaltung ihrer Lebensgewohnheiten, sollten
gesundheitsförderliche Maßnahmen verstärkt werden. Die Aufrechterhaltung physischer
und psychischer Leistungsfähigkeit ist Voraussetzung eines als erfolgreich erlebten
Arbeitslebens und Alterns. Ist die Leistungsfähigkeit nicht mehr vollständig gegeben,
sollten die übrig gebliebenen Fertigkeiten in den Arbeitsprozess optimal integriert
werden.
Neben dem Recht auf lebenslanges Lernen besteht auch die Verpflichtung lebenslanges
Lernen zu ermöglichen. Ein gesamtgesellschaftliches Ziel sollte zudem eine positiv
konnotierte Wertschätzung älterer Menschen im Arbeitsleben sein. Es sollte den älteren
Arbeitnehmern ermöglicht werden, sich auf den Übergang in die Berentung vorbereiten
zu können.
Wie eine bundesweite Umfrage der Bertelsmann Stiftung zur „Beschäftigungsfähigkeit
und Aktivität bis ins Alter” zeigt, werden einige dieser Ansatzpunkte auch vonseiten
der Arbeitnehmer gewünscht, die sich derzeit mitten in der Erwerbsphase befinden [12]. Ungefähr drei Viertel der befragten 35- bis 55-jährigen Erwerbstätigen möchten
bis zum Erreichen ihres Renteneintrittsalters beruflich aktiv bleiben. Eine zentrale
Voraussetzung dafür ist u. a. die lebenslange Erhaltung der Beschäftigungs- und Lernfähigkeit.
Dabei sehen sich 94% der Erwerbstätigen selbst am stärksten in der Verantwortung,
wenn es um den Erhalt ihrer Beschäftigungsfähigkeit geht, und ca. drei Viertel der
Erwerbstätigen wollen diese durch kontinuierliche Weiterbildung sichern und stärken.
Den direkten Vorgesetzten und der Unternehmensleitung wird dabei eine Mitverantwortung
zugesprochen. Die Hälfte der befragten Erwerbstätigen sehen Bildungseinrichtungen
und Anbieter von Fort- und Weiterbildungen ebenfalls mitverantwortlich dafür, dass
sie in die Lage versetzt werden, den gegenwärtigen und zukünftigen Anforderungen im
Erwerbsleben standzuhalten. 70% der Befragten wünschen sich zudem mehr Anerkennung
ihrer Arbeitsleistungen durch ihre Vorgesetzten und sehen darin eine hauptsächliche
Motivation, ihrer derzeitigen beruflichen Tätigkeit bis zum 65. Lebensjahr nachzugehen.
Die Sicherung ihrer Beschäftigungsfähigkeit durch den Arbeitgeber in Form von angemessenen
Herausforderungen und anspruchsvolleren Tätigkeiten wünschen sich 86% der Befragten.
Fazit
Konzepte von Empowerment bei Älteren im Rahmen der Prävention lassen sich in der internationalen
Literatur ansatzweise finden. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels und der
Notwendigkeit der Förderung der Selbstständigkeit im Alter steigt die Bedeutung der
Umsetzung wirksamer Empowerment-Konzepte auf kommunaler Ebene auch für Akteure im
Gesundheits- und Sozialwesen.