Z Orthop Unfall 2008; 146(5): 570
DOI: 10.1055/s-0028-1103079
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© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Komplextrauma der unteren Extremität - Helfen Scores zur Beurteilung der Prognose weiter?

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Publication Date:
17 November 2008 (online)

 
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Ziel der vorliegenden Arbeit war es zu prüfen, ob nach gelungenem Extremitätenerhalt die 5 am meisten verbreiteten Scores Hinweise für die Prognose und das funktionelle Outcome liefern könnten. Es wurde vermutet, dass mit steigender Scoresumme eine schlechtere Funktion resultieren würde. Ability of lower-extremity injury severity scores to predict functional outcome after limb salvage. J. Bone Joint Surg Am 2008; 90: 1738 - 1743

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Problem

Die frühzeitige Entscheidung bei einer schweren Verletzung an der unteren Extremität darüber zu befinden, ob ein Extremitätenerhalt oder eine primäre Amputation für den Patienten günstiger ist, stellt den betroffenen Chirurgen vor eine schwierige Entscheidung. In den letzten beiden Dekaden sind deshalb mehrere gemischte Scoresysteme publiziert worden, die den Operateur bei dieser Entscheidungsfindung unterstützen sollen. 5 Scores haben weitere Verbreitung und Akzeptanz gefunden, darunter der

  • Mangled Extremity Severity Score (MESS),

  • der Limb Salvage Index (LSI),

  • der Predictive Salvage Index (PSI),

  • der Nerve Injury, Soft-Tissue Injury, Skeletal Injury, Shock, and Age of Patient Score (NISSSA) und

  • der Hannover Fracture Scale-98 (HFS-98).

Allerdings hatte die unter dem Akronym LEAP (Lower Extremity Assessment Project) zusammengeschlossene Gruppe bestehend aus 8 Zentren der Maximalversorgung bereits nachweisen können, dass die genannten Scores keine guten Prädiktoren hinsichtlich einer Entscheidungsfindung hin zur Amputation oder zum Extremitätenerhalt darstellen [1].

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Studiendesign

Die Einschlusskriterien waren u. a.:

  • Amputationsverletzungen jenseits des distalen Femurs,

  • ausgewählte offene Frakturen Typ Gustilo IIIA des Unterschenkels und

  • Unterschenkelfrakturen mit offenem Weichteilschaden Typ Gustilo IIIB- und IIIC

Unter Beachtung der genannten Einschlusskriterien wurden aus dem Gesamtkollektiv von 601 Patienten der Jahre 1994-1997 407 Verletzungen (darunter 21 bilaterale Läsionen) rekrutiert bei denen die betroffene Extremität 6 Monate nach Krankenhausentlassung erhalten geblieben war.

Das funktionelle Resultat wurde anhand des Sickness Impact Profile (SIP), eines reliablen und validierten Reports aus 136 Fragen zum Gesundheitszustand des Patienten, 6 und 24 Monate nach Klinikentlassung evaluiert. Der Gesamtscore des SIP beträgt 0-100 Punkte, 0-3 Punkte indizieren keine Behinderung, 4-9 Punkte eine milde, 10-19 Punkte eine moderate Einschränkung. Schwere Funktionsbeeinträchtigungen finden sich bei 20 und mehr Punkten.

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Ergebnisse

Der Median des SIP nach 6 und 24 Monaten lag bei 15,2 bzw. 6 Punkten. Keiner der 5 Scores konnte eine relevante Vorhersage des SIP leisten. Dies betrifft gleichermaßen die psychosozialen wie die physischen Funktionen. Selbst Patienten für die anhand der Scoregrenzwerte eine primäre Amputation nahe gelegt worden war, schnitten funktionell nicht schlechter als jene ab, für die anhand der Scorewerte der Extremitätenerhalt empfohlen worden war.

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Kommentar

Die heute üblichen Scores zur Bewertung der Verletzungsschwere an der unteren Extremität sind weder geeignet dem Operateur eine wesentliche Hilfestellung in der Frage Amputation oder Extremitätenerhalt zu leisten noch sind sie ein wertvolles prognostisches Kriterium für das kurz- oder längerfristige Outcome. In wie weit hier die Anwendung moderner unfallchirurgischer und plastisch-rekonstruktiver Techniken für das erfreulich gute funktionelle Resultat verantwortlich ist - schließlich wurden in der Studie der LEAP-Gruppe ausschließlich Zentren der Maximalversorgung aktiv - ist spekulativ. Allerdings entspricht dies nicht nur in den USA der klinischen Versorgungsrealität, dass Patienten mit Komplextraumata der unteren Extremitäten in einer Institution behandelt oder dorthin verlegt werden, die über die geeignete Infrastruktur und das entsprechende Know-how verfügt. Ansonsten wird die schwere Entscheidung zur primären Amputation nur streng individualisiert anhand der verfügbaren Parameter und der profunden Erfahrung des Chirurgen zu treffen sein.

Univ.-Prof. Dr. Thomas Mittlmeier

Univ.-Prof. Dr. Thomas Mittlmeier

Abt. für Unfall- und Wiederherstellungschirurgie

Chirurgische Klinik und Poliklinik der Universität Rostock

Email: thomas.mittlmeier@med.uni-rostock.de

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Literatur

  • 01 Bosse MJ, MacKenzie EJ, Kellam JF, Burgess AR, Webb LX, Swiontkowski MF, Sanders RW, Lones AL, McAndrew MP, Patterson BM, Mc Carthy ML, Cyril JK (2005): A prospective evaluation of the clinical utility of the lower-extremity injury-severity scores. J Bone Joint Surg 83-A: 3-14. 
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Literatur

  • 01 Bosse MJ, MacKenzie EJ, Kellam JF, Burgess AR, Webb LX, Swiontkowski MF, Sanders RW, Lones AL, McAndrew MP, Patterson BM, Mc Carthy ML, Cyril JK (2005): A prospective evaluation of the clinical utility of the lower-extremity injury-severity scores. J Bone Joint Surg 83-A: 3-14.