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DOI: 10.1055/s-0028-1098869
© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart ˙ New York
Sexuelle Gewalt gegenüber Frauen und Kindern – die ärztliche Herausforderung
Publication History
Publication Date:
16 April 2009 (online)

Kernaussagen
Nach verschiedenen Prävalenzstudien wird davon ausgegangen, dass in Deutschland mindestens jede 5. Frau im Laufe ihres Lebens sexuell orientierte Gewalt mit gesundheitlichen Folgen erfahren hat. Bei sexuellem Missbrauch von Minderjährigen kommen ca. 15 000 Fälle pro Jahr zur Anzeige; die Dunkelziffer wird auf 90 % geschätzt.
Mit den Folgen dieser Gewalt sehen sich nicht nur Gynäkologen, Kinder- oder Allgemeinärzte konfrontiert, sondern auch zahlreiche andere Berufsgruppen. Leider verweisen vorliegende Analysen auf einen unzureichenden Kenntnisstand im gesamten System der medizinischen Versorgung, der infolge Nichterkennens von Gewalt als Ursache zur Über-, Unter- und Fehlversorgung beitragen kann.
In jeder Altersgruppe können unspezifische Symptome Hinweis auf erfahrene sexuelle Gewalt sein. Es gibt kein einzelnes spezifisches oder eindeutiges Missbrauchssymptom, nur selten hinweisende und noch seltener beweisende Befunde.
Zur exakten Beurteilung muss eine lückenlose Inspektion des gesamten Körpers vorgenommen werden. Dabei ist eine weitere Traumatisierung auf jeden Fall zu verhindern. Das Vorgehen bei Anamnese und Befunderhebung sollte standardisiert anhand für alle zugänglicher Dokumentationsbögen erfolgen.
Nach einer Vergewaltigung sind Verletzungen am äußeren Genitale eher selten. Tatsächlich finden sich nur bei ca. 10 % körperliche Verletzungen. Bei Kindern gilt: Bis zu 75 % der präpubertären und bis zu 90 % der pubertären Hymenaleinrisse heilen ad integrum aus.
Voraussetzung für die Beschreibung und Bewertung pathologischer Befunde ist ein gründliches Verständnis und ausreichende Erfahrung, um die zahlreichen Normvarianten im Bereich des Hymens zu erkennen.
Bei Erwachsenen ist ein Screening auf sexuell übertragbare Erkrankungen in den meisten Fällen anzuraten. Bei Kindern sind STD als Folge sexuellen Missbrauchs selten und eine differenzierte Betrachtungsweise somit erforderlich.
Aufgrund der erheblichen psychosozialen und juristischen Implikationen einer falsch positiven Diagnose eines sexuellen Missbrauchs ist die Kenntnis von Normvarianten und Differenzialdiagnosen von besonderer Bedeutung. Enormer Wert sollte stets auf multiprofessionelle Kooperation, Betreuung und Kommunikation gelegt werden.
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Dr. med. K. Rall
Universitäts-Frauenklinik Tübingen
Calwer Str. 7
72076 Tübingen
Email: katharina.rall@med.uni-tuebingen.de