Klin Padiatr 2008; 220(4): 219-220
DOI: 10.1055/s-0028-1082057
Editorial

© Georg Thieme Verlag KG Stuttgart · New York

Pharmakotherapie bei Früh- und Neugeborenen – ein vernachlässigtes Forschungsgebiet?

Drug Utilisation in Preterm and Term Neonates: A Neglected Research Area?L. Gortner
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Korrespondenzadresse

Prof. Dr. L. Gortner

Kliniken für Kinder- und Jugendmedizin

Universitätsklinikum des Saarlandes

66421 Homburg/Saar

Email: Ludwig.gortner@uks.eu

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Publication Date:
24 July 2008 (online)

Table of Contents #

In den diesjährigen Ausgaben der Klinischen Pädiatrie wird die Pharmakotherapie in der Neonatalperiode als ein Themenschwerpunkt aufgegriffen. Hierbei werden Aspekte des Arzneimittelgebrauchs bei kritisch kranken Frühgeborenen in ihrer Entwicklung über zwei Zeitperioden beschrieben [7], daneben sind die über lange Zeit vernachlässigten Themen der Behandlung der pulmonalen Hypertension bei Frühgeborenen [1] sowie die Schmerz- und Sedierungstherapie bei Neugeborenen zu erwähnen [6] [9].

Die Untersuchungen von Lindner und Mitarbeiter [7] zeigen, dass es zu einer häufigeren Applikation von Diuretika und Methylxanthinen an kritisch kranke Frühgeborene <32 Wochen Gestationsalter beim Vergleich der Zeiträume 1989–1990 und 2001–2004 kam. Diese Daten belegen die Tendenz zu kürzeren Beatmungszeiten bei früherer Entwöhnung von der maschinellen Beatmung sowie die häufigere Therapie einer drohenden oder manifesten bronchopulmonalen Dysplasie. Die Häufigkeit von in den ersten 28 Lebenstagen verabfolgten analgetischen bzw. sedativen Therapien war rückläufig. Das akute Erleben der Nozizeption und die Kenntnis um die Ausbildung eines „Schmerzgedächtnisses” bei kritisch kranken Früh- und Neugeborenen als langfristige Konsequenz dessen waren für die Etablierung entsprechender Behandlungsmaßnahmen eine wesentliche Grundlage [6]. Die jeweils vorgestellten Daten sind ein Mosaikstein in der wissenschaftlichen Erörterung der Pharmakotherapie in Risikogruppen unter dem Aspekt der Pharmakovigilanz.

Nicht alle in der Neonatologie verabfolgten Pharmaka sind für den Gebrauch in dieser Patientengruppe zugelassen [8]. Die daraus resultierende öffentliche Diskussion um die Arzneimittelsicherheit für Früh- und Neugeborene mit restriktiven Ansätzen hinsichtlich entsprechender Studien bei gleichzeitig nötiger Partizipation der genannten Patientengruppe am Fortschritt in der Arzneimitteltherapie wurde als Spannungsbogen in der Öffentlichkeit diskutiert und auch in der Politik wahr genommen und in Ansätzen umgesetzt. In den USA wurde 1997 ein spezifisches Programm für die Entwicklung und Zulassung von Arzneimitteln in der Pädiatrie begonnen, der sog. „Food and Drug Administration Modernisation Act (FDAMA)” und zunächst auf eine Zeitdauer von 5 Jahren ausgelegt [4].

Der Erfolg dieses Programms mit verstärkter Neuzulassung von Pharmaka spezifisch für Kinder war die Grundlage für dessen weitere Verlängerung und Modifikation. Daher wurde im Jahre 2002 als Fortsetzung der „Best Pharmaceuticals for Children Act” begonnen [9]. Wesentliche Punkte sind Erleichterungen in der Zulassung von Arzneimitteln für Kinder und ein verbesserter Patentschutz bei Neuentwicklungen, die mit der Zulassung für das Kindesalter verbunden sind [4].

Die wesentlichen Eckpfeiler der dahinterstehenden Konzeption waren die o. g. Überlegungen, wobei für die pharmazeutische Industrie der unternehmerische Nutzen durch Verbesserung des Gewinns bei der Entwicklung von Arzneimitteln für die Pädiatrie bzw. bei der Testung von neu entwickelten Arzneimitteln in der Pädiatrie durch eine Verlängerung des Patentschutzes gemehrt werden sollte.

Als Resultat der beiden genannten gesetzgeberischen Schritte in den USA kam es seit Mitte der 90er-Jahre zu einer steigenden Zahl der Registrierung von Medikamenten, die neben ihrer primären Indikation im Erwachsenenalter auch im Kindesalter untersucht und registriert wurden.

In den USA wurde darüber hinaus spezifisch für Früh- und Neugeborene eine weitere Initiative entwickelt, die sich an dem Ziel der Entwicklung von sicheren und effizienteren Pharmaka orientiert, die „Newborn Drug Development Initiative” (NDDI) aus dem Jahr 2006 [2]. Diese Initiative definierte spezifisch die Bedürfnisse an umsetzbare, d. h. administrativ unter den klinischen Alltagsbedingungen machbare kontrollierte Studien bei Früh- und Neugeborenen und griff im Wesentlichen die Felder der inotropen Behandlung, Therapiestrategien für die Neuroprotektion nach Asphyxie, analgetische sowie pulmonale Behandlungsstrategien auf. Bei letzterem sieht die Gruppe die Netzwerkbildung zur Evaluation medikamentöser Therapiestrategien zur Prävention der bronchopulmonalen Dysplasie im Vordergrund [2]. Diese Entwicklung zeigt einen Weg auf, zu einer verbesserten Versorgung Frühgeborener bei noch ungelösten therapeutischen Optionen für schwere Grunderkrankungen und deren Komplikationen mit langfristigen gesundheitlichen Komplikationen zu kommen.

Parallel, wenngleich um rund eine Dekade versetzt, wurde innerhalb der europäischen Union eine legislative Initiative begonnen, die in die EU-Verordnung zu Arzneimitteln für Kinder mit Verabschiedung am 12.12.2006 mündete [Verordnung (EG) Nr. 1901/2006].

Durch eine Bonusregelung soll hier erreicht werden, dass neu entwickelte Pharmaka bei Berücksichtigung von Kindern im Rahmen der Zulassungsstudien einen verlängerten Patentschutz erfahren.

Vorausgehend waren unter anderem eine Initiative der Kom-mission für Arzneimittelsicherheit der Deutschen Gesellschaft für Kinder- und Jugendmedizin, die Grundlagen für diese Gesetzgebung erarbeitete [10].

Auf dem skizzierten Hintergrund ist es eines der wesentlichen Ziele der Redaktion, eine wissenschaftliche Plattform für weitere Verbesserungen der therapeutischpharmakologischen Optionen für Kinder und Jugendliche zu erreichen. Unter dem Aspekt der NDDI-Initiative sind daher die Artikel der Kölner Gruppe zur Therapie der pulmonalen Hypertension extrem unreifer Frühgeborener [1] sowie die Metaanalyse zur inhalativen Therapie mit Stickstoffmonoxid bei Frühgeborenen [5] zu interpretieren.

Neben diesen spezifisch therapeutischen Optionen ist die Pharmakovigilanz besonders bei Studien mit kleinen Fallzahlen als Basis für die Zulassung von Medikamenten eine wesentliche Grundlage die Arzneimittelsicherheit bei deren Anwendung in größeren Patientengruppen. Die Erfassung seltener oder sehr seltener unerwünschter Arzneimittelwirkungen kann im Rahmen der zuvor erwähnten Studien mit kleiner Fallzahl nur unvollständig sein, daher sollten auch die jüngst gemachten Vorschläge zur Verbesserung der Arzneimittelsicherheit Berücksichtigung finden [11]. Dafür bilden zu entwickelnde Register für Therapiestudien eine adäquate Grundlage.

Die gezielte Förderung von Arzneimittelstudien in Risikokollektiven durch Drittmittelgeber mit auch in der Praxis umsetzbaren Studienprotokollen ohne unnötige administrative Vorgaben sollte hierbei die Basis bilden. Die erneute kritische Beurteilung von zuvor gegebenen Therapieempfehlungen hat in diesem Rahmen einen bedeutsamen Stellenwert [3] [12].

Es bleibt zusammenfassend ein vordringliches Anliegen der wissenschaftlichen Gemeinschaft in der Pädiatrie, mittels klinisch kontrollierter Arzneimittelstudien in Hochrisikogruppen therapeutische Verbesserungen zu erreichen, ohne dass hierbei die Aspekte der Arzneimittelsicherheit, unter anderem durch die Pharmakovigilanz, vernachlässigt werden. Die politischen Rahmenbedingungen hierzu haben sich durch die neuen EU-Richtlinien und die Etablierung von Koordinationszentren für Klinische Studien [8] verbessert, ohne bislang optimal zu sein. Das Ziel einer quantitativen und qualitativen Verbesserung der Arzneimitteltherapie bei Kindern und Jugendlichen ist mittelfristig jedoch nur durch eine gezielte unabhängige und nachhaltige Förderung von Therapiestudien bei Minimierung des administrativen Aufwands zu erreichen.

Ludwig Gortner, Homburg/Saar

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References

  • 1 Eifinger F, Sreeram N, Mehler K, Huenseler C, Kribs A, Roth B. Aerosolized Iloprost in the Treatment of Pulmonary Hypertension in Extremely Preterm Infants: A Pilot Study.  Klin Pädiatr. 2008;  220 66-69
  • 2 Giacoia GP, Birenbaum DL, Sachs HC, Mattison DR. The newborn drug development initiative.  Pediatrics. 2006;  117 1-8
  • 3 Hansmann G, Humpl T, Zimmermann A. et al . ILCOR's new resuscitation guidelines in preterm and term infants: critical discussion and suggestions for implementation.  Klin Pädiatr. 2007;  219 50-57
  • 4 Hirschfeld S. The best pharmaceuticals for children act and pediatric research equity act.  ArzneimForsch Drug Res. 2004;  54 24-27
  • 5 Höhn T, Krause MF, Bührer C. Meta-analysis of inhaled nitric oxide in premature infants: an update.  Klin Pädiatr. 2006;  218 57-61
  • 6 Hünseler C, Roth B. Medikamentöse und nicht-medikamentöse Schmerztherapie in der Neonatologie: Zusammenstellung der aktuellen Datenlage.  Klin Pädiatr. 2008;  220 221-224
  • 7 Lindner U, Hilgendorff A, Frey G, Gortner L. Drug Utilisation in very preterm infants: Any changes during the past decade?.  Klin Pädiatr. 2008;  220 225-229
  • 8 Ohmann C. Klinische Studien in der Pädiatrie: Herausforderungen und aktuelle Entwicklungen.  Klin Pädiatr. 2008;  220 219-221
  • 9 Pöschl J, Kölker S, Bast T, Brüssau J, Ruef P, Linderkamp O, Bettendorf M. Gamma-hydroxybutyric acid sedation in neonates and children undergoing MR imaging.  Klin Pädiatr. 2007;  219 217-219
  • 10 Rascher W, Seyberth HW. Entwicklung eines Europäischen Rahmens für die Erforschung von Arzneimitteln für Kinder.  Monatsschr Kinderheilkd. 2005;  153 777-781
  • 11 Rascher W, Mentzer D, Seyberth HW. Verbesserung der Arzneimittelsicherheit durch Pharmakovigilanz.  Monatsschr Kinderheilkd. 2007;  155 692-699
  • 12 Wirbelauer J, Strotmann J, Kirchhoff A, Darge K, Thomas W. Die hypertensive Krise im Kindes- und Jugendalter.  Klin Pädiatr. 2008;  220 230-234
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Universitätsklinikum des Saarlandes

66421 Homburg/Saar

Email: Ludwig.gortner@uks.eu

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References

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