Rofo 2026; 198(01): 111-112
DOI: 10.1055/a-2729-6563
DRG-Mitteilungen

INTERVIEW – Weniger ist mehr: Wie Radiologie Ressourcen schonen kann

 

Auf dem 4. Forum der Historischen Kommission am 24. Oktober 2025 in Remscheid-Lennep zeigte Dr. Kerstin Jungnickel, wie Nachhaltigkeit und Radiologie zusammenpassen. Ihr Vortrag verband Geschichte, aktuelle Forschung und praktische Handlungsempfehlungen – und machte deutlich, dass verantwortungsvoller Ressourceneinsatz kein Widerspruch zu Hightech-Medizin ist. Im Interview erklärt sie, warum die Radiologie beim Thema Nachhaltigkeit vorangehen muss – und wie das ganz konkret gelingt.


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Dr. rer. nat. Kerstin Jungnickel, Klinikum Magdeburg

Warum spielt Nachhaltigkeit gerade in der Radiologie eine so große Rolle?

Dr. Jungnickel: Nachhaltigkeit betrifft uns alle – aber in der Radiologie ist das Thema besonders drängend, weil wir mit einigen der energieintensivsten Geräten der gesamten Medizin arbeiten. Der Gesundheitssektor insgesamt verursacht etwa fünf Prozent der deutschen Treibhausgasemissionen, das entspricht dem gesamten Flugverkehr. Innerhalb dieses Sektors sind radiologische Großgeräte wie CT und MRT Spitzenreiter im Energieverbrauch.

Lange Zeit wussten wir schlicht nicht, wie groß dieser Anteil wirklich ist. Während für Haushaltsgeräte wie Kühlschränke oder Fernseher detaillierte Effizienzlabels existieren, fehlen diese für medizinische Geräte völlig. Das hat zur Folge, dass der Energieverbrauch weder bekannt ist noch bei der Anschaffungen bewertet wurde. Erst eine Studie der Universität Basel brachte 2020 erstmals systematische Daten: Ein CT-Gerät verbraucht im Jahr rund 26 MWh Strom, was etwa fünf Vierpersonenhaushalten entspricht. Ein MRT-Gerät liegt sogar bei 120 MWh, also dem Verbrauch von 25 Haushalten.

Besonders überraschend war der Anteil des Leerlaufs: Rund zwei Drittel des CT-Stroms fließen, während das Gerät gar nicht aktiv scannt – schlicht, weil es in der Standby-Bereitschaft gehalten wird. Beim MRT kommt hinzu, dass auch im ausgeschalteten Zustand weiter Energie für Kühlung und Heliumverflüssigung benötigt wird.

Was können Radiolog:innen und Kliniken tun, um nachhaltiger zu werden?

Zunächst einmal lohnt sich der Blick auf das Naheliegende. Schon einfache Maßnahmen bringen spürbare Effekte: Rechner, Bildschirme und Arbeitsplätze wirklich ausschalten, statt sie im Standby-Modus laufen zu lassen, spart sofort Strom – und in großen Abteilungen mit Hunderten Arbeitsplätzen summiert sich das erheblich. Viele unterschätzen, dass Büro-IT und Workstations oft Tag und Nacht laufen, ohne genutzt zu werden.

Der nächste Schritt betrifft unsere Großgeräte. Moderne CTs und MRTs bieten heute die Möglichkeit, automatisch zwischen Betriebsmodi zu wechseln – etwa von „ready to scan“ in einen Low-Power- oder Sleep-Modus. Wenn das konsequent genutzt wird, lassen sich mehrere Tausend Kilowattstunden pro Jahr und Gerät einsparen. Dafür braucht es allerdings Bewusstsein und Schulung. Deshalb hat die DGMP im Rahmen ihrer Initiative „DGMP goes Green“ nicht nur Empfehlungen entwickelt, sondern auch Messgeräte zum Ausleihen, mit denen Kliniken und Praxen ihren tatsächlichen Energieverbrauch selbst erfassen können. Viele merken erst dann, wo die stillen Energiefresser stehen.

Doch Nachhaltigkeit beginnt schon bei der Gerätebeschaffung. Mit dem nachhaltigen Leistungsverzeichnis haben wir erstmals eine Vorlage geschaffen, die ökologische Kriterien systematisch in Ausschreibungen integriert. Neben Preis und Wartungskosten fließen dort auch CO₂-Fußabdruck, Energieeffizienz, Heliumverbrauch, Recyclingfähigkeit und Lebenszykluskosten ein. So können wir Geräte nicht nur nach technischer Leistung, sondern auch nach Umweltwirkung bewerten.

Geht es bei Nachhaltigkeit in der Radiologie nur ums Energiesparen – oder steckt mehr dahinter?

Definitiv mehr. Nachhaltigkeit ist kein rein technisches Thema, sondern gerade gerade im Gesundheitswesen von besonderer Bedeutung. Unter dem Leitbegriff „Planetary Health“ verstehen wir, dass die Gesundheit des Menschen untrennbar mit der Gesundheit des Planeten verbunden ist. Wenn wir Ressourcen schonen, schützen wir letztlich auch die Grundlagen unseres eigenen Handelns.

In der Radiologie reicht das vom Energieverbrauch über den Heliumbedarf bei MRTs bis hin zur Verwendung und Entsorgung von Kontrastmitteln und Verbrauchsmaterialien. Jede eingesparte Kilowattstunde, jedes reparierte statt entsorgte Gerät und jede umweltfreundlichere Beschaffung ist ein Beitrag zur Reduktion des CO₂-Fußabdrucks. Besonders spannend ist, dass selbst kleine Veränderungen große Wirkung haben können: Refurbished-Systeme beispielsweise benötigen bei der Herstellung deutlich weniger Energie und Ressourcen als Neugeräte – ohne Einbußen bei der Bildqualität und für einen geringeren Preis. Warum sollten wir uns also nicht für ein Refurbished-System bei der nächsten CT- oder MRT-Beschaffung entscheiden?

Auch internationale Kongresse wie der ECR 2025 stellten das Thema „Planetary Health and Radiology“ in den Mittelpunkt. Die Radiologie kann und sollte in dieser Entwicklung eine Vorreiterrolle übernehmen – nicht nur aus ökologischer, sondern auch aus ökonomischer Vernunft.

Ihr Vortrag endet mit dem Satz „Einfach mal abschalten“. Was steckt dahinter?

(lacht) Der Satz begleitet uns bei Nachhaltigkeit@DRG schon länger – weil er so gut passt. Natürlich sollten wir Geräte, Monitore und Scanner konsequent ausschalten, wenn sie nicht gebraucht werden. Doch „abschalten“ heißt für mich auch: innehalten, reflektieren und Verantwortung übernehmen. Wir alle sind Teil eines Systems, das enorme Ressourcen verbraucht. Wenn jede und jeder von uns anfängt, im eigenen Bereich bewusst zu handeln, können wir Schritt für Schritt zu einem nachhaltigeren Alltag beitragen.

Letztendlich geht es um die Frage, wie wir unseren medizinischen Fortschritt dauerhaft sichern, ohne unsere Umwelt zu belasten. Und das beginnt mit ganz simplen Schritten. Manchmal ist die nachhaltigste Entscheidung einfach, den Knopf auf „Aus“ zu drücken.

Liebe Frau Dr. Jungnickel, haben Sie Dank für das Gespräch.



Publication History

Article published online:
16 December 2025

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Dr. rer. nat. Kerstin Jungnickel, Klinikum Magdeburg