Handchir Mikrochir Plast Chir
DOI: 10.1055/a-2716-7046
Übersichtsarbeit

Amyloidose aus kardiologischer Sicht – Welche kardiologische Diagnostik ist bei positivem Nachweis von Amyloid in extrakardialem Gewebe zur Früherkennung einer Systemerkrankung sinnvoll?

Cardiac Perspective on Amyloidosis: Appropriate Cardiac Diagnostic Approaches Following Histological Amyloid Detection in Tendinopathies

Authors

  • Stéphanie Kristina Schwarting

    1   Medizinische Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Universität München, Munich, Germany
    2   Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pulmologie, UniversitätsKlinikum Heidelberg, Heidelberg, Germany
  • Steffen Massberg

    1   Medizinische Klinik und Poliklinik I, Klinikum der Universität München, Munich, Germany
  • Fabian Aus dem Siepen

    2   Klinik für Kardiologie, Angiologie und Pulmologie, UniversitätsKlinikum Heidelberg, Heidelberg, Germany
 

Zusammenfassung

Amyloidosen sind seltene, meist systemische Erkrankungen, die bei kardialer Beteiligung zu einer progredienten Herzinsuffizienz führen können. Die beiden häufigsten Subtypen mit kardialer Beteiligung – AL- und ATTR-Amyloidose – unterscheiden sich grundlegend in Diagnostik, Therapie und Prognose. Retrospektive Studien zeigen, dass muskuloskelettale Manifestationen wie das Karpaltunnelsyndrom, die Tendovaginitis stenosans, Morbus Dupuytren oder Sehnenrupturen häufig bereits Jahre vor der Diagnose einer kardialen Amyloidose auftreten und potenziell als frühe klinische Marker dienen können. Die risikoadaptierte gezielte histopathologische Abklärung, kombiniert mit einer strukturierten interdisziplinären Weiterbehandlung kann wesentlich zur frühzeitigen Erkennung bislang unentdeckter systemischer Amyloidosen beitragen. Diese Übersichtsarbeit hebt die zunehmende Bedeutung muskuloskelettaler Manifestationen im handchirurgischen Kontext als mögliche Frühzeichen systemischer Amyloidosen hervor und schlägt einen strukturierten Handlungspfad für die interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Kardiologie und Hämatologie vor.


Abstract

Amyloidosis is a rare, typically systemic disease that may cause progressive heart failure when cardiac involvement occurs. The two most common subtypes leading to cardiomyopathy – AL and ATTR amyloidosis – differ substantially in terms of diagnosis, treatment, and prognosis. Retrospective studies have shown that musculoskeletal manifestations such as carpal tunnel syndrome, stenosing tenosynovitis, Dupuytren’s contracture, or tendon ruptures often occur years before the diagnosis of cardiac amyloidosis and may serve as early clinical markers. A risk-adapted, targeted histopathological work-up, combined with structured interdisciplinary follow-up care, can significantly contribute to the early detection of previously unrecognized systemic amyloidosis. This review highlights the growing importance of musculoskeletal manifestations in the hand surgery setting as potential early indicators of systemic amyloidosis and proposes a structured clinical pathway for interdisciplinary collaboration with cardiology and haematology.


Einleitung

Amyloidosen sind überwiegend systemische Erkrankungen, die durch eine extrazelluläre Ablagerung unlöslicher Proteinfibrillen ausgelöst werden und unterschiedliche Organsysteme betreffen kann. Im Falle einer kardialen Beteiligung entwickelt sich eine infiltrative Kardiomyopathie, bei der das Myokard in seiner Funktion als kontraktiles und elektrisch leitendes Element geschädigt wird. Betroffene entwickeln mit der Zunahme der Ablagerungen eine fortschreitende Herzinsuffizienz.

Ein starker kardialer Organtropismus wird für mehrere Proteine beschrieben, die zwei prominentesten Vertreter sind die Leichtketten-Amyloidose (AL) und die Transthyretin-Amyloidose (ATTR). Beide Erkrankungen unterscheiden sich in ihrer Pathophysiologie, Behandlungsstrategie und Prognose.

Die AL findet ihren Ursprung in der pathologisch erhöhten Produktion monoklonaler Leichtketten (Kappa- oder Lambda-Subtyp) bei Plasmazelldyskrasie. Eine kardiale Beteiligung ist mit einer sehr schlechten Prognose assoziiert [1], da nicht nur die Amyloid-Ablagerungen zur Organdysfunktion führen, sondern auch die freien Leichtketten selbst eine direkte kardiotoxische Wirkung haben. Auf Grund der hohen Letalität zählt die AL-Kardiomyopathie (AL-CM) zu den hämato-onkologischen Notfällen. Mit der Therapie adressiert man primär den Leichtketten-produzierenden Plasmazellklon. Die Einleitung der Therapie sollte schnellstmöglich an einem Zentrum mit entsprechender interdisziplinärer Expertise erfolgen.

Die ATTR-Amyloidose entwickelt sich aus Bestandteilen des in physiologischer Form als Tetramer vorliegenden Transthyretins. Dieses wird überwiegend in den Hepatozyten, aber auch zu geringeren Anteilen im Plexus choroideus sowie in den Pigmentzellen der Retina gebildet und dient als Transportprotein für Vitamin A und in geringerem Anteil auch für Thyroxin [2]. Die pathophysiologischen Umstände, die zu einer TTR-Fibrillenformation und nachfolgend zu einer Ablagerung führen, sind bislang unzureichend verstanden. Neben einer alters-assoziierten oder genetisch bedingten Instabilität des Tetramers werden auch oxidative und Säure-induzierte Modifikationen sowie ein fehlerhafter proteolytischer Abbau als Ursache für die vermehrte Fibrillenaggregation diskutiert [2].

Bei der ATTR-Amyloidose unterscheidet man zwischen einer hereditären (ATTRv) und einer Wildtyp (ATTRwt) Form. Für die ATTRv wurden bislang mehr als 140 verschiedene genetische Varianten beschrieben, welche die Amyloidogenität des Proteins begünstigen [3]. Sie wird autosomal dominant vererbt und weist je nach Genotyp eine variable Penetranz auf. In Abhängigkeit der veränderten DNA-Basenpaare variiert die klinische Manifestation als Polyneuropathie (symmetrisch, axonal, distal sensomotorisch), Kardiomyopathie oder als kardial-neuropathischer Mischtyp [4]. Für vereinzelte pathogene Varianten bestehen zudem Unterschiede in der zeitlichen Erkrankungsmanifestation („early“ vs. „late“) [4] [5]. Bei Diagnosestellung einer ATTR-Amyloidose wird die Durchführung einer molekulargenetischen Diagnostik empfohlen [6].


Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie (ATTR-CM)

Die kardiale Manifestation der Transthyretin-Amyloidose (ATTR-Kardiomyopathie; ATTR-CM) wurde bislang den seltenen Erkrankungen (Orphanet) mit einer Prävalenz<5/10.000 Einwohner zugeordnet. Dies trifft auch weiterhin für die ATTRv zu. Seit der Etablierung eines vereinfachten Diagnosepfades, der den bisherigen Goldstandard der Myokardbiopsie weitgehend ersetzt hat [7], konnte jedoch in den letzten zehn Jahren ein weltweiter Anstieg der Prävalenz der ATTRwt-CM um das Dreifache beobachtet werden [8] [9]. Sie beläuft sich in Deutschland auf aktuell 48/100.000 Einwohner, Tendenz steigend.

Für die nicht-invasive Diagnosefindung wird ein Nachweis eines myokardialen Traceruptakes in den Spätphasen einer Skelettszintigraphie mit SPECT des Thorax und der Ausschluss einer Plasmazellerkrankung anhand der Immunfixation des Serums und des Urins sowie Bestimmung der freien Leichtketten im Serum gefordert ([Abb. 1]) [7]. Bei fehlendem oder unzureichendem Traceruptake (Perugini 0–1) oder bei Nachweis von freien Leichtketten im Sinne einer monoklonalen Gammopathie ist die bioptische Sicherung der Erkrankung unumgänglich [6], da auch die AL zu einem geringeren Anteil einen auffälligen Szintigraphie-Befund hervorrufen kann [7]. Als Tracer für die Skelettszintigraphie stehen [99mTc]Tc-3,3-Diphosphono-1,2-Propanodicarboxylen-Säure ([99mTc]Tc-DPD) oder [99mTc]Tc-hydroxy-Methylen-Diphosphonat ([99mTc]Tc-HMDP) auf dem europäischen Markt und [99mTc]Tc-Pyrophosphat (99mTc-PYP) in den USA zur Verfügung.

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Abb. 1 Altersadaptierter diagnostischer Pfad zur Erkennung einer kardialen Amyloidose einschließlich Differenzierung des Subtyps bei bestehender linksventrikulärer Hypertrophie. Bei Vorliegen einer linksventrikulären Hypertrophie sollte altersadaptiert eine erweiterte Abklärung der zu Grunde liegenden Ätiologie erfolgen. Um frühzeitig eine Leichtketten-Amyloidose auszuschließen, wird grundsätzlich in allen Altersstufen eine umgehende Immunfixation des Serums und des Urins sowie die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum empfohlen. Bei hiernach auffälligem Befund kann eine Bauchfett-Biopsie sowie ggf. ein Kardio-MRT angestrebt werden. Ab der 6. Lebensdekade sollte zudem eine Skelettszintigraphie mit den Tracern DPD oder HDP inklusive einer SPECT des Thorax durchgeführt werden. Zeigt sich hierbei ein auffälliger, semiquantitativer Traceruptake nach Perugini Grad 2–3 bei zuvor negativer Immunfixation bzw. unauffälliger Leichtkettenkonstellation, so kann die Diagnose einer TTR-Amyloidose gestellt werden. Findet sich ein auffälliger Traceruptake nach Perugini Grad 2–3 oder ein verminderter Uptake mit Grad 0–1 bei zudem positiver Immunfixation wird eine Myokardbiopsie empfohlen, um eine Subtypdifferenzierung sicher vornehmen zu können. Im Falle eines ATTR-CM Nachweises schließt sich eine genetische Diagnostik zum Ausschluss einer pathogenen TTR-Variante an. AL-CM: Leichtketten-Amyloid Kardiomyopathie; ATTR-CM: Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie; DPD: Diphosphono-1,2-propandicarbonsäure; HDP: Hydroxyehtylendiphosphonat; IFIX: Immunfixation; mm: Millimeter MRT: Magnetresonanztomographie; SPECT: Single photon emission computed tomography; TTE: transthorakale Echokardiographie.

In der Regel wird der Verdacht auf das Vorliegen der ATTR-CM auf Grund einer echokardiographisch auffälligen linksventrikulären Hypertrophie mit einer interventrikulären Septumdicke von≥12 mm und einer bereits eingeschränkten Relaxation geäußert. Darüberhinaus können sogenannte Red-Flags zur Erhärtung der Verdachtsdiagnose herangezogen werden ([Abb. 2]) [6]. Hierzu zählen insbesondere Erkrankungen aus dem muskuloskelettalen oder neurologischen Formenkreis. In der kardiologischen Basisdiagnostik lässt sich elektrokardiographisch bei fortgeschrittener Erkrankung eine paradoxe Niedervoltage und echokardiographisch eine nahezu pathognomonisch eingeschränkte longitudinale Kontraktilität des linken Ventrikels („apical sparing“) finden. N-terminales pronatriuretisches Peptid (NT-proBNP) und hoch sensitives Troponin T, zwei etablierte kardiale Biomarker, können abhängig vom Krankheitsstadium moderate bis deutliche Erhöhungen aufweisen. Sie sind nicht nur diagnostisch relevant, sondern spielen auch eine zentrale Rolle in der prognostischen Einschätzung der Erkrankung [10] [11]. Bei fortgeschrittener ATTR-CM Erkrankung beträgt die mediane Überlebenszeit ohne spezifische Therapie ca. 2 Jahre [10].

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Abb. 2 Interdisziplinäre Red Flags zur Identifizierung einer kardialen Amyloidose. Der Verdacht auf das Vorliegen einer kardialen Amyloidose kann durch das Vorliegen der Red Flags erhärtet werden. Dabei sollte anamnestisch nach muskuloskelettalen, neurologischen und anderen kardialen Symptomen und Erkrankungen aktiv gefragt werden. AV-Block: atrioventrikulärer Block; nsVTs: nicht-anhaltende ventrikuläre Tachykardien; RR: Blutdruck; PNP: Polyneuropathie; M. Dupuytren: Morbus Dupuytren.

Die kardialen Erstsymptome der betroffenen Patienten sind vielfältig und reichen von einer schleichend progredienten Belastungsdyspnoe über Beinödeme bis zu einem sich selbst regulierenden Bluthochdruck, Palpitationen oder Synkopen. Oftmals bestehen diese Symptome über mehr als zwei bis vier Jahre und Betroffene konsultieren im Schnitt vier Ärzte, bis die adäquate Diagnose gestellt wird.

Die Verfügbarkeit wirksamer Therapien und die Kenntnis über die weiteren nicht-kardialen Erkrankungsmanifestationen haben maßgeblich dazu beigetragen, dass die klinische Awareness deutlich zugenommen hat und eine frühere Erkennung der potenziell letalen kardialen Erkrankung möglich ist [12] [13].


Muskuloskelettale Beteiligung bei ATTR

Auf Grund der systemischen Eigenschaften beider Erkrankungen lassen sich die aggregierten Amyloidfibrillen in verschiedenen Organsystemen, peripheren und autonomen Nerven oder kollagenhaltigen Geweben nachweisen. Welches Organ dabei primär betroffen ist und in welchem zeitlichen Verlauf weitere Organmanifestationen auftreten, ist bislang nicht eindeutig geklärt.

Retrospektive Analysen belegen, dass bei etwa 60–70% der Patienten mit kardialer Amyloidose (subtypunabhängig) innerhalb der zehn Jahre vor Auftreten kardialer Symptome – und somit eigentlicher Diagnosestellung- muskuloskelettale Erkrankungen bestanden, die zumeist im Zusammenhang mit Tendinopathien auftraten [14] [15] [16] [17]. Hierzu zählen Spinalkanalstenosen, Rotatorenmanschettenrupturen, Bizepssehnenrupturen und das Karpaltunnelsyndrom (CTS) bzw. eine Tendovaginitis stenosans oder M. Dupuytren. So findet sich anamnestisch bei 38–60% der Patienten mit ATTR-CM ein zuvor operativ behandeltes Karpaltunnelsyndrom [18] [19] ([Tab. 1]).

Tab. 1 Prävalenz des Karpaltunnelsyndroms in Patienten mit gesicherter Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie.

Autoren

Jahr

Patientenzahl

Alter/männliches Geschlecht (%) der Kohorte

Prävalenz des CTS bei bekannter CA

Andere relevante Ergebnisse

Milandri et al., Eur J Heart F1

2020

538
166 ATTRh
107 ATTRwt
196 AL
69 Genträger

62.4 Jahre
64%

20.3% in ATTR-CM

  1. Insbesondere erhöht in der 8. Lebensdekade

  2. Inzidenzrate: 13% in ATTRh und 15.5% in ATTRwt

  3. Zumeist 5–9 Jahre vor kardialer Manifestation

Capelli et al., J Int Med

2021

342
141 ATTRwt
27 ATTRh

77.9 Jahre
90%

75% in ATTR-CM

  1. Bilateral: 60%

ATTRh/wt: hereditäre/wildtyp Transthyretin-Amyloidose; AL: Leichtketten-Amyloidose; ATTR-CM: Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie; CTS: Karpaltunnelsyndrom

Umgekehrt lässt sich in knapp jedem vierten Tenosynovien-Resektat immunhistochemisch ATTR-Amyloid nachweisen [20] [21] [22] [23] [24] [25] [26] [27]([Tab. 2]). Ein nachgeschaltetes Screening der operativ behandelten CTS-Patienten auf das Vorliegen einer kardialen Manifestation ergab jedoch eine Prävalenz der ATTR-CM von lediglich 5% [28] [29] [30] [31] [32]([Tab. 3]). Zusammengefasst entwickelt also nicht jeder Patient mit bioptisch im Tenosynovien nachgewiesenen TTR-Fibrillen auch eine kardiale Erkrankung. Aus einer prospektiven US-amerikanischen Analyse geht zum Beispiel hervor, dass das Risiko für eine Amyloidose bei Patienten mit CTS etwa dreimal höher ist im Vergleich zu Personen ohne CTS [33]. Darüberhinaus zeigt eine kleinere Studie, dass in 3% der CTS-operierten Patienten sich innerhalb von 3 Jahre der Nachbeobachtung eine kardiale Manifestation nachweisen lässt [13]. Weitere Studien untersuchen prospektiv, ob sich diese Prävalenz in einem zeitlichen Kontext verändert (Clinicaltrial.gov Identifier: NCT04611204 (PRATHYC-Trial)).

Tab. 2 Immunhistochemisch positiver Nachweis einer Amyloidose im CTS (Allgemeinbevölkerung)

Autoren

Jahr

Anzahl der Patienten mit CTS-Operation (bilateral/ unilateral)

Gesamtkohorte Medianes Alter/ männ. Geschlecht (%)

Prävalenz des Amyloids im CTS (Amyloid-positive Histologie)

Amyloidose (+) Kohorte; Medianes Alter/ männ. Geschlecht (%)

Andere relevante Ergebnisse

Ozdag et al., J Hand Surg Am 11

2024

148

66 Jahre
60%

31/148 (21%) TS und 33/148 TCL (22%)

71 Jahre
81%

DiBenedetto et al., J Hand Surg 12

2022

185

71 Jahre
52%

54 (29%) positiv Kongo-rot
44 ATTRwt

77 Jahre
65%

Elzinga et al., PRS Open 13

2023

13 bilateral

83 Jahre
85%

Die Entnahme der volaren Flexorensehnen-Synovium ist qualitativ besser als das transverse Karpaltunnelligament

Hahn et al.,
Handchir. Mikrochir Plast Chir 14

2018

582

78 Jahre
47%

11.7%

Brunet et al., J Hand Surg Euro 15

2023

254

72.3 Jahre
61%

47/254 (18.5%)

72.6 Jahre
83%

Gannon et al., J Hand Surg 16

2024

156

65.4 Jahre
53.2%

14/62 (22.5%)
Alle bilateral

69.6 Jahre
71%

Zhang et al., J Hand Surg 17

2025

320

63 Jahre
35%

49/320 (15.3%)

Bäcker et al., Ir J Med Sci 18

2022

699
2000–2018

67 y
37.5% male

10/699 (1.4%)
Kongorot-Positiv: 10/73

78 y
80% male

CTS: Karpaltunnelsyndrom; TS: Tenosynovium; TCL: Transverse Karpal-Band (ligamentum carpi transversum)

Tab. 3 Prävalenz einer kardialen Amyloidose (CA) bei Patienten mit immunhistochemisch positivem Nachweis einer Transthyretin-Ablagerung im CTS

Autoren

Jahr

Anzahl der Patienten mit CTS-Operation (bilateral/unilateral)

Gesamtkohorte Medianes Alter/ männ. Geschlecht (%)

Prävalenz des Amyloids im CTS (Amyloid-positive Histologie)

Kriterien für das weitere kardiale Screening/ Diagnostik

Prävalenz der CA (Evidenz mittels Skelettszinti-graphie)

ATTR-CM Kohorte Alter/ männ. Geschlecht (%)

IVSd LVEF GLS

Andere Ergebnisse

Takashio et al., Circ J 6

2023

700;
182 bilateral
618 unilateral

64 Jahre, 36%

261 (37%)

IVSd≥14 mm o.
IVSd>12≤14 mm+hsTropT oberhalb der Referenzwerte

Basisscreening: 14/120 (12%)
Positive Szintigraphie:
6/14 (5%)

71 Jahre,
59%

13.5 mm
59%
-13.9%

Positive ATTR-CM assoziiert mit:
Rotatorenmanschettenruptur (19%)
Spinalkanalstenose (29%)
Bilaterales CTS (82%)
Alter zum Zeitpunkt der CTS-OP:
69 y

Navarro-Saez et al., J Clin Med 7

2024

264

60 Jahre,
36%

31 (13%)

Basisscreening:31/31 (100%)
Positive Szintigraphie: positive
13 (42%), hiervon 8 mit Perugini-Score 2–3

80.5 Jahre
54%

11.5 mm,
63%
GLS nicht angegeben

Prädiktoren für den Nachweis von TTR im CTS:
Alter, bilaterales CTS und Trigger Finger (11%)

Sperry et al., JACC 8

2018

98

68 Jahre,
51%

10 (10.2%)
7 ATTR
2 AL
(congo red)

Differentierte Stufendiagnostik

2/10 (0.2%)

72.5 Jahre
60%

10.2 mm
61%
-18.6%

Saade et al., Hand Surg Rehab 9

2024

54

67 Jahre,
30%

16 (29.6%)
12 ATTR
4 nontyped

2/12 (17%)

78 Jahre
44%

Vennitti et al., Hand 10

2025

182

69 Jahre,
53%

46 (25.3%)

14/30 (47%) in Szintigraphie positiv
7 Grad I
7 Grad II-III

ATTR-CM: Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie; CTS: Karpaltunnelsyndrom; IVSd: Interventrikuläre Septumdicke; LVEF: Linksventrikuläre Ejektionsfraktion; GLS: Globaler longitudinaler Strain; hsTropT: hoch-sensitives Troponin T


Strukturierter Handlungsvorschlag für die handchirurgisch-kardiologische Schnittstelle

Vor dem Hintergrund der Komplexität der Amyloidose-Erkrankung und der Notwendigkeit einer frühzeitigen Diagnostik sowie eines ganzheitlichen Behandlungsansatzes ergeben sich drei zentrale Fragen, deren Klärung für eine effiziente und erfolgreiche interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Handchirurgie und Kardiologie unabdingbar ist:

1) Bei welchen Patientinnen und Patienten sollte eine immunhistochemische Untersuchung (inkl. Referenzbefundung) des operativen Resektates erfolgen, um eine hohe diagnostische Sensitivität für den Amyloid-Nachweis zu erreichen?

Durch eine geeignete Vorselektion der zur Operation vorstelligen Patienten kann die diagnostische Likelihood einer kardialen Beteiligung bei Nachweis von Amyloid im Resektat erhöht werden. Die Kollegen Sperry und Zhang et al. [26] [28] entwickelten hierzu bereits einen diagnostischen Algorithmus, der Faktoren wie das Alter, das Geschlecht, das Vorliegen eines bilateralen CTS sowie weiterer Tendinopathien, einer Herzinsuffizienz, Vorhofflimmern gewichtet integriert. Dieser Algorithmus berücksichtigt jedoch nicht, dass Betroffene beispielsweise bereits mit einem Diuretikum behandelt wurden oder an einer Niereninsuffizienz leiden, zwei für die kardiale Amyloidose typische Befunde.

In [Abb. 3] werden hier weitere Faktoren vorgeschlagen, die potenziell präoperativ abgefragt werden sollten und deren Vorhandensein (ungewichtet) die immunhistochemische Aufarbeitung der Tenosynovien bzw. Resektate bei Patienten mit CTS, aber auch M. Dupuytren oder schnellendem Finger indiziert. Eine referenzpathologische Begutachtung ist zu bevorzugen, um anhand weiterer (immun-) histologischer Färbungen sowie gegebenenfalls einer Massenspektrometrie die Typisierung einer vorliegenden Amyloidose vornehmen zu können.

2) Welche weiterführenden diagnostischen Maßnahmen sollen bei positivem Amyloidnachweis im Resektat eingeleitet werden?

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Abb. 3 Interdisziplinärer Algorithmus zur frühen Diagnose systemischer und kardialer Amyloidosen. Für die frühzeitige Diagnose einer systemischen und kardialen Amyloidose empfiehlt sich ein strukturiertes, interdisziplinäres Vorgehen. Die zur Behandlung des Karpaltunnels vorstellig gewordenen Patienten, sollten zunächst anamnestisch gezielt hinsichtlich der unter (1) aufgeführten Faktoren gefragt und untersucht werden. Bei Vorliegen eines oder mehrerer Faktoren sollte eine immunhistochemische Aufarbeitung des operativen Resektats mit entsprechender Subtypdifferenzierung des Amyloids in einem hierauf spezialisierten Zentrum erfolgen (2). Bei positivem Nachweis einer Amyloid-Ablagerung orientiert sich der weitere Patientenpfad anhand des vorliegenden Subtyps (3). Unter Nachweis einer Leichtketten-Amyloidose sollte eine umgehende Durchführung der Immunfixation im Serum und Urin sowie die quantitative Bestimmung der Leichtketten im Serum (hausärztlich) erfolgen und eine Anbindung des Patienten an die Hämatologie/Onkologie gebahnt werden. Bei Nachweis von Transthyretin-Ablagerungen sollte eine kardiologische Anbindung erfolgen. Die Basisdiagnostik umfasst dabei die Bestimmung der kardialen Biomarker. Bei positivem Nachweis sollte eine Echokardiographie nachgeschaltet und eine Skelettszintigraphie durchgeführt werden. Bei unauffälligen Biomarkern empfiehlt sich eine erneute kardiologische Kontrolle nach 5 Jahren. CTS: Karpaltunnelsyndrom; NT-proBNP: N-terminales pro-natriuretisches Peptid.

Bei positivem Amyloidnachweis im Resektat bestimmt der Subtyp das weitere diagnostische Vorgehen. Der Nachweis einer Leichtketten-Amyloidose impliziert die umgehende Bestimmung der freien Leichtketten im Serum sowie die Durchführung einer Immunfixation im Serum und Urin und die Anbindung des Patienten an ein hämato-onkologisches Zentrum. Bei Nachweis von ATTR-Amyloid empfiehlt sich eine kardiologische Vorstellung. Hier sollten eine umfassende Familienanamnese erhoben, die kardialen Biomarker (high-sensitive Troponin und NT-proBNP) laborchemisch bestimmt und ein EKG durchgeführt werden. Positive Biomarker (oberhalb des Normbereiches) implizieren die Notwendigkeit einer echokardiographischen Untersuchung zur Evaluation des Vorliegens einer ATTR-CM. Abhängig vom Ergebnis sollte eine Skelettszintigraphie durchgeführt und eine molekulargenetische Diagnostik zum Ausschluss einer ATTRv initiiert werden.

3 Wie kann im interdisziplinären Konsens der zeitlichen Diskrepanz zwischen muskuloskelettaler und kardialer Manifestation Rechnung getragen werden, um TTR-positive Patientinnen und Patienten ohne kardiale Beteiligung strukturiert weiter zu betreuen und eine frühe Therapieeinleitung zu ermöglichen?

Diese Frage muss insbesondere vor dem Hintergrund beantwortet werden, dass derzeit nur die kardiale und neuropathische Form der Erkrankung therapiert werden können. Der alleinige Nachweis einer ATTR-Amyloid im CTS oder in anderen Bandstrukturen reicht bislang nicht aus, um eine spezifische Therapie einzuleiten. Die Betroffenen müssen deshalb umfassend über diesen Sachverhalt sowie über das verbleibende, bislang noch unzureichend erforschte Risiko einer zukünftigen kardialen bzw. systemischen Manifestation aufgeklärt werden. Sofern sich also laborchemisch und echokardiographisch kein Hinweis auf eine kardiale Beteiligung zeigt, empfiehlt sich dennoch eine kardiologische Anbindung zur engmaschigen Kontrolle. Diese sollte initial und anschließend beispielsweise im 5-Jahres Abstand erfolgen, um eine kardiale Manifestation frühzeitig identifizieren zu können. Die kardiologische Basisdiagnostik umfasst hierbei EKG, die Bestimmung der Biomarker, die Durchführung einer Echokardiographie sowie gegebenenfalls eine Skelettszintigraphie.


Zusammenfassung

Aktuelle Literaturübersichten unterstreichen die wachsende Bedeutung muskuloskelettaler Manifestationen wie des Karpaltunnelsyndroms als potenzielle frühe klinische Hinweise auf eine systemische Transthyretin-Amyloidose (ATTR) mit kardialer Beteiligung. Insbesondere bei histopathologisch gesichertem TTR-Nachweis im Rahmen handchirurgischer Eingriffe rückt die Frage nach einem gezielten kardiologischen Screening zunehmend in den Fokus. Auch wenn die Prävalenz einer manifesten kardialen Beteiligung in diesem Patientenkollektiv aktuell noch gering ist, kann die frühzeitige Identifikation einer subklinischen Amyloidose (Subtypdifferenzierung) entscheidend zur rechtzeitigen Einleitung einer krankheitsmodifizierenden Therapie beitragen. Eine strukturierte interdisziplinäre Zusammenarbeit zwischen Handchirurgie und Kardiologie bildet eine wesentliche Säule zukünftiger Versorgungspfade der Amyloidose.



Frau Dr. Schwarting

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ist seit 2018 in der Medizinischen Klinik und Poliklinik I des LMU Klinikums München tätig. Mit Beginn ihrer kardiologischen Weiterbildung entwickelte sie ein starkes wissenschaftliches Interesse für die kardiale Amyloidose und etablierte eine hierauf spezialisierte Ambulanz am Standort Großhadern. Ihre wissenschaftliche Expertise vertiefte sie zwischen 2023–2025 im Rahmen eines von der International Society of Amyloidosis geförderten Fellowships am Universitätsklinikum Heidelberg (Mentoren: Dr. aus dem Siepen und Prof. Hegenbart). Für ihre wissenschaftliche Arbeit erhielt sie im Jahr 2024 den Young Investigator Award der Deutschen Gesellschaft für Amyloiderkrankungen (DGAK). Als Principal Investigator leitet sie aktuell vier Phase-3-Studien im Bereich der kardialen Transthyretin-Amyloidose (ATTR-CM) und erforscht Industrie-unabhängig die prognostische Wertigkeit bildmorphologischer Parameter in der ATTR-CM. Ihre Expertise auf dem Feld der kardialen Amyloidose bringt sie regelmäßig auf Symposien ein und engagiert sich für eine verbesserte, interdisziplinäre Patientenversorgung im Einklang mit wissenschaftlicher Evidenz.

Interessenkonflikt

S. Schwarting: Mitglied von Advisory Boards & Referentenhonorare – Alnylam, Pfizer Pharma, Bayer Pharma, AstraZeneca; sowie leitende Prüfärztin für klinische Studien, gesponsert von Alnylam, Intellia Pharmaceuticals, Novo Nordisk sowie Alexion/AstraZenecaF. aus dem Siepen: Mitglied von Advisory Boards & Referentenhonorare – Pfizer Pharma, Bayer Pharma; Leitender Prüfarzt für klinische Studien, gesponsert von Alnylam, Intellia Pharmaceuticals, Novo Nordisk sowie Alexion/AstraZeneca.


Korrespondenzadresse

Dr. Stéphanie Kristina Schwarting
Klinikum der Universität München
Medizinische Klinik und Poliklinik I
Marchioninistrasse 15
81377 Munich
Germany   
Phone: +49 89 4400 76077   

Publication History

Received: 16 July 2025

Accepted: 29 September 2025

Article published online:
17 November 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 Altersadaptierter diagnostischer Pfad zur Erkennung einer kardialen Amyloidose einschließlich Differenzierung des Subtyps bei bestehender linksventrikulärer Hypertrophie. Bei Vorliegen einer linksventrikulären Hypertrophie sollte altersadaptiert eine erweiterte Abklärung der zu Grunde liegenden Ätiologie erfolgen. Um frühzeitig eine Leichtketten-Amyloidose auszuschließen, wird grundsätzlich in allen Altersstufen eine umgehende Immunfixation des Serums und des Urins sowie die Bestimmung der freien Leichtketten im Serum empfohlen. Bei hiernach auffälligem Befund kann eine Bauchfett-Biopsie sowie ggf. ein Kardio-MRT angestrebt werden. Ab der 6. Lebensdekade sollte zudem eine Skelettszintigraphie mit den Tracern DPD oder HDP inklusive einer SPECT des Thorax durchgeführt werden. Zeigt sich hierbei ein auffälliger, semiquantitativer Traceruptake nach Perugini Grad 2–3 bei zuvor negativer Immunfixation bzw. unauffälliger Leichtkettenkonstellation, so kann die Diagnose einer TTR-Amyloidose gestellt werden. Findet sich ein auffälliger Traceruptake nach Perugini Grad 2–3 oder ein verminderter Uptake mit Grad 0–1 bei zudem positiver Immunfixation wird eine Myokardbiopsie empfohlen, um eine Subtypdifferenzierung sicher vornehmen zu können. Im Falle eines ATTR-CM Nachweises schließt sich eine genetische Diagnostik zum Ausschluss einer pathogenen TTR-Variante an. AL-CM: Leichtketten-Amyloid Kardiomyopathie; ATTR-CM: Transthyretin-Amyloid Kardiomyopathie; DPD: Diphosphono-1,2-propandicarbonsäure; HDP: Hydroxyehtylendiphosphonat; IFIX: Immunfixation; mm: Millimeter MRT: Magnetresonanztomographie; SPECT: Single photon emission computed tomography; TTE: transthorakale Echokardiographie.
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Abb. 2 Interdisziplinäre Red Flags zur Identifizierung einer kardialen Amyloidose. Der Verdacht auf das Vorliegen einer kardialen Amyloidose kann durch das Vorliegen der Red Flags erhärtet werden. Dabei sollte anamnestisch nach muskuloskelettalen, neurologischen und anderen kardialen Symptomen und Erkrankungen aktiv gefragt werden. AV-Block: atrioventrikulärer Block; nsVTs: nicht-anhaltende ventrikuläre Tachykardien; RR: Blutdruck; PNP: Polyneuropathie; M. Dupuytren: Morbus Dupuytren.
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Abb. 3 Interdisziplinärer Algorithmus zur frühen Diagnose systemischer und kardialer Amyloidosen. Für die frühzeitige Diagnose einer systemischen und kardialen Amyloidose empfiehlt sich ein strukturiertes, interdisziplinäres Vorgehen. Die zur Behandlung des Karpaltunnels vorstellig gewordenen Patienten, sollten zunächst anamnestisch gezielt hinsichtlich der unter (1) aufgeführten Faktoren gefragt und untersucht werden. Bei Vorliegen eines oder mehrerer Faktoren sollte eine immunhistochemische Aufarbeitung des operativen Resektats mit entsprechender Subtypdifferenzierung des Amyloids in einem hierauf spezialisierten Zentrum erfolgen (2). Bei positivem Nachweis einer Amyloid-Ablagerung orientiert sich der weitere Patientenpfad anhand des vorliegenden Subtyps (3). Unter Nachweis einer Leichtketten-Amyloidose sollte eine umgehende Durchführung der Immunfixation im Serum und Urin sowie die quantitative Bestimmung der Leichtketten im Serum (hausärztlich) erfolgen und eine Anbindung des Patienten an die Hämatologie/Onkologie gebahnt werden. Bei Nachweis von Transthyretin-Ablagerungen sollte eine kardiologische Anbindung erfolgen. Die Basisdiagnostik umfasst dabei die Bestimmung der kardialen Biomarker. Bei positivem Nachweis sollte eine Echokardiographie nachgeschaltet und eine Skelettszintigraphie durchgeführt werden. Bei unauffälligen Biomarkern empfiehlt sich eine erneute kardiologische Kontrolle nach 5 Jahren. CTS: Karpaltunnelsyndrom; NT-proBNP: N-terminales pro-natriuretisches Peptid.