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DOI: 10.1055/a-2669-6357
Änderungen in der sozialversicherungsrechtlichen Bewertung ärztlicher Tätigkeiten im vertragsärztlichen Notdienst durch den Gesetzgeber
- I. Einleitung
- II. Gesetzesentwurf zur Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst vom 06.08.2025
- IV. Rechtliche Bewertung der Änderungen
- V. Fazit
I. Einleitung
Bereits in früheren Beiträgen haben wir die Sozialversicherungspflicht von ärztlichen Tätigkeiten thematisiert.[ 1 ] Problematisch ist insbesondere, wenn eine Tätigkeit auf selbständiger Basis erbracht und abgerechnet wird und sodann die Einstufung als sozialversicherungspflichtig folgt, weil dies bei den betroffenen Ärzten und deren Vertragspartnern, wie Krankenhäusern oder Arztpraxen, zu zusätzlichen Ausgaben für Sozialversicherungsbeiträge führt. In diesem Zusammenhang wurden in der Vergangenheit bereits die Tätigkeitsfelder Honorar- bzw. Konsiliararzt, Vertretungsarzt und Poolärzte im vertragsärztlichen Notdienst von den Prüfdiensten der Deutschen Rentenversicherung Bund überprüft. Den ersten Fall einer Einschätzung als sozialversicherungspflichtige Tätigkeit bildeten die Honorarärzte.[ 2 ]
Angesichts eines aktuellen Gesetzesentwurfes der Bundesregierung, mit dem die sozialversicherungsrechtliche Einordnung der Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst neu geregelt werden soll[ 3 ] und zu der Thematik ergangener neuer sozialgerichtlicher Rechtsprechung greifen wir dieses Thema mit diesem Beitrag erneut auf und geben einen Ausblick auf die künftigen gesetzlichen Änderungen im vertragsärztlichen Notdienst.
II. Gesetzesentwurf zur Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst vom 06.08.2025
Eine wesentliche gesetzliche Änderung für die sozialversicherungsrechtliche Beurteilung der Tätigkeit von Vertragsärzten in dem von den Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) organisierten vertragsärztlichen Notdienst[ 4 ] ist in dem Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025 vorgesehen.[ 5 ]
1. Gesetzliche Neuregelung zur Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst
In § 95 SGB V soll folgender neuer Absatz 3a mit folgendem Inhalt eingefügt werden:[ 6 ]
„(3a) Tätigkeiten im Notdienst, zu denen ein Vertragsarzt aufgrund seiner jeweiligen Zulassung verpflichtet ist, sind sozialversicherungsrechtlich entsprechend seiner Tätigkeit im Rahmen der vertragsärztlichen Versorgung zu bewerten.“
Dies bedeutet, dass Vertragsärzte[ 7 ] mit eigener Zulassung, die hauptberuflich sozialversicherungsrechtlich als selbstständig anzusehen sind, zukünftig auch im Rahmen des vertragsärztlichen Notdienstes nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen sollen.
Die geplante Regelung beruht auf dem „Ergebnispapier des Dialogprozesses zum Erwerbsstatus von Ärztinnen und Ärzten im vertragsärztlichen Notdienst“, welches aufgrund einer Verständigung zwischen den beiden Bundesministerien für Arbeit (BMAS) und Gesundheit (BMG) sowie der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, der Deutschen Rentenversicherung Bund und des GKV-Spitzenverbandes im Jahr 2024 zustande gekommen war.[ 8 ] Anlass dieser Einigung war das Urteil des Bundessozialgerichts (BSG) aus dem Jahr 2023[ 9 ] zu den sog. Poolärzten, also Ärzten ohne eigene vertragsärztliche Zulassung, welches für erhebliche Aufregung gesorgt hat.
2. Ergebnispapier des BMG und BMAS zum Erwerbsstatus von Ärztinnen und Ärzten im vertragsärztlichen Notdienst
Das BSG hatte die Tätigkeit eines Zahnarztes im vertragszahnärztlichen Notdienst, der im Rahmen von Notdienstschichten und in angemieteten und mit Geräten und Material ausgestatteten Räumlichkeiten eines Notfalldienstzentrums einer Kassenzahnärztlichen Vereinigung (KZV) als sog. Poolarzt tätig war, als sozialversicherungspflichtige Beschäftigung eingeordnet. Die Kassenärztlichen Vereinigungen äußerten daraufhin ihre Sorge, dass eine derartige Einordnung und die damit einhergehende Abführung von Versicherungsbeiträgen für die Poolärzte dazu führe, dass der vertragsärztliche Notdienst künftig nicht mehr in der bestehenden Form aufrechterhalten werden könne und die Schließung zahlreicher Notfallpraxen drohe.[ 10 ]
Neben der Vereinbarung, dass Tätigkeiten von Vertragsärzten im verpflichtenden Notdienst stets als selbstständige Tätigkeit bewertet werden sollen, einigten sich das BMG und das BMAS noch unter der letzten Bundesregierung darauf, auch die Einordnung der Tätigkeiten der Poolärzte im Rahmen des ärztlichen Notdienstes in Bezug auf die Frage der Sozialversicherungspflicht anzupassen. In Anlehnung an die rechtlichen Bewertungskriterien und die bisherige BSG-Rechtsprechung soll jedenfalls dann von einer selbstständigen Tätigkeit ausgegangen werden, wenn die folgenden drei Voraussetzungen kumulativ erfüllt sind:
-
Die Ärzte erhalten als Vergütung keine Pauschale, sondern rechnen ihre Tätigkeit im Notdienst wie in einer eigenen Praxis ab und erhalten nur für tatsächlich erbrachte Leistungen eine Vergütung.
-
Die Ärzte zahlen Nutzungsentgelte für die von den KVen für den vertragsärztlichen Notdienst gestellten Räume, das Personal und die Betriebsmittel. Auch wenn die Ärzte keine Patienten behandeln, müssen sie das Nutzungsentgelt bezahlen.
-
Die Ärzte können sich von einer anderen entsprechend qualifizierten Person vertreten lassen. Die KVen sind berechtigt, einen Mindeststandard an die Qualifikation einer solchen Vertretungskraft festzulegen.[ 11 ]
Diese Voraussetzungen können nach dem aktuellen Gesetzesentwurf der Bundesregierung von den KVen selbständig umgesetzt werden. § 81 SGB V soll künftig um einen Absatz 6 erweitert werden und normieren, dass die Satzungen der KVen Bestimmungen über die Sicherstellung des Notdienstes enthalten sollen, sofern dies zum Zwecke der Sicherstellung des Notdienstes in einer Region erforderlich ist.[ 12 ]
3. Sicherstellungspauschalen
Die im Gesetzentwurf der Bundesregierung vorgesehene Regelung in § 81 Abs. 6 SGB V soll künftig außerdem festlegen, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen in ihren Satzungen die Gewährung von Sicherstellungspauschalen festlegen können, ohne dass der sozialversicherungsrechtliche Status der Ärzte im Notdienst hierdurch berührt wird. Voraussetzung ist allerdings, dass dies zum Zwecke der Sicherstellung des Notdienstes in einer Region erforderlich ist. Die Vorschrift bezweckt damit die Erfüllung des aus § 75 Absatz 1b SGB V folgenden Sicherstellungsauftrages der KVen auch in ländlichen und dünn besiedelten Gebieten.[ 13 ] Auch wenn also eine Sicherstellungspauschale aufgrund eines Versorgungsmangels geleistet wird, soll dieser Umstand allein nicht aufgrund des „pauschalen Entgelt-Charakters“ Zweifel über den Versicherungsstatus auslösen.
IV. Rechtliche Bewertung der Änderungen
Nach Darstellung der Rechtsgrundlagen und der einschlägigen Rechtsprechung des BSG folgt eine Bewertung der gesetzlichen Änderungen.
1. Rechtsgrundlagen
Gemäß § 1 Satz 1 Nr. 1, 1. Alt. SGB VI sind Personen, die gegen Arbeitsentgelt beschäftigt sind, in der Gesetzlichen Rentenversicherung versicherungspflichtig. Gleiches gilt gem. § 25 Abs. 1 S. 1, 1. Alt. SGB III im Recht der Arbeitsförderung. Maßgeblich für die Sozialversicherungspflicht ist somit das Vorliegen eines Beschäftigungsverhältnisses.
Der sozialversicherungsrechtliche Begriff der Beschäftigung ist in § 7 Abs. 1 SGB IV legaldefiniert:
„(1) Beschäftigung ist die nichtselbständige Arbeit, insbesondere in einem Arbeitsverhältnis. Anhaltspunkte für eine Beschäftigung sind eine Tätigkeit nach Weisungen und eine Eingliederung in die Arbeitsorganisation des Weisungsgebers.“
2. Rechtsprechung des BSG
Nach der ständigen Rechtsprechung des BSG setzt eine abhängige Beschäftigung voraus, dass der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber persönlich abhängig ist. Bei einer Beschäftigung in einem fremden Betrieb ist dies der Fall, wenn der Beschäftigte in den Betrieb eingegliedert ist und dabei einem nach Zeit, Dauer, Ort und Art der Ausführung umfassenden Weisungsrecht des Arbeitgebers unterliegt.[ 14 ] Die Kriterien Weisungsgebundenheit und Eingliederung stehen dabei weder in einem Rangverhältnis, noch müssen sie kumulativ vorliegen.[ 15 ]
Insbesondere kann das Kriterium der Weisungsgebundenheit bei hochqualifizierten oder spezialisierten Ärzten, also sog. Dienste höherer Art, dem auch Ärzte unterfallen, auf das Stärkste eingeschränkt sein.[ 16 ] Hintergrund ist, dass je höher die Qualifikation des Auftragnehmers ist, desto geringer sind in der betrieblichen Praxis die fachlichen Weisungen, die ihm zur Erfüllung der ihm gestellten Aufgaben erteilt werden (können).[ 17 ] Aus der fachlichen Unabhängigkeit, die grundsätzlich allen freien Berufen eigentümlich ist, darf deshalb nicht ohne Weiteres auf eine selbstständige Tätigkeit geschlossen werden.[ 18 ] Vielmehr verfeinert sich das Merkmal der Weisungsgebundenheit in solchen Fällen „zur funktionsgerechten, dienenden Teilhabe am Arbeitsprozess“. Dies ist auch der Grund, weshalb die Tätigkeit als Chefarzt in der Regel eine nichtselbstständige ist und der Sozialversicherungspflicht unterliegt.[ 19 ]
Demgegenüber ist eine selbstständige Tätigkeit vornehmlich durch das eigene Unternehmerrisiko, das Vorhandensein einer eigenen Betriebsstätte, die Verfügungsmöglichkeit über die eigene Arbeitskraft und die im Wesentlichen frei gestaltete Tätigkeit und Arbeitszeit gekennzeichnet.[ 20 ]
Eine immer wiederkehrende Argumentation des BSG im Hinblick auf das unternehmerische Risiko ist das Vergütungsmodell. Regelmäßig urteilte das BSG, dass ein nennenswertes Unternehmerrisiko im Sinne einer selbstständigen Tätigkeit fehle, wenn der Arzt ein fest definiertes Honorar erhält. In diesem Fall fehle nämlich die Möglichkeit, durch unternehmerisches Geschick die Arbeit so zu gestalten, dass das Verhältnis von Aufwand und Ertrag zum persönlichen finanziellen Vorteil beeinflusst werden könnte. Das Risiko, keine Folgeaufträge zu erhalten, könne hingegen nicht als unternehmerisches Risiko im Sinne einer selbstständigen Arbeit gewertet werden. Betrachtungsrahmen sei nämlich allein der jeweilige Einsatz.[ 21 ]
Soweit es um die Vergütung geht, ist ein hohes Honorar zwar ein wichtiges Indiz für eine selbstständige Tätigkeit.[ 22 ] Das BSG stellte jedoch klar, dass die Höhe der Vergütung nur dann ein zu berücksichtigender Umstand sein soll, wenn die übrigen Aspekte gleichermaßen für eine abhängige Beschäftigung wie für eine Selbstständigkeit sprechen. Dies erkläre sich damit, dass die Sozialversicherungspflicht eben nicht zur Disposition stünde, sodass auch ein „Freikaufen“ nicht möglich sein soll.[ 23 ]
Die entscheidende Frage ist, ob die jeweilige Tätigkeit hinsichtlich Gestaltung und Umfang der Arbeitsleistung Freiheiten gewährt, die mit den Freiheiten einer selbstständigen Tätigkeit vergleichbar sind oder ob die Tätigkeit vergleichbar mit der einer im Angestelltenverhältnis tätigen Person ist. Hierfür sind alle nach Lage des Einzelfalls in Betracht kommende Umstände festzustellen, in ihrer Tragweite zutreffend zu erkennen und zu gewichten und in die Gesamtschau mit diesem Gewicht einzustellen. Diese sind sodann nachvollziehbar, d. h. den Gesetzen der Logik entsprechend und widerspruchsfrei gegeneinander abzuwägen.[ 24 ]
Bereits 2021 entschied das BSG,[ 25 ] dass Notärzte regelmäßig aufgrund einer Beschäftigung sozialversicherungspflichtig sind, denn die hochgradig organisierte Ausgestaltung des Rettungsdienstes führe dazu, dass die Betroffenen regelmäßig in einer die Tätigkeit prägenden Art und Weise fremdbestimmt in den Rettungsdienstbetrieb eingegliedert sind. Dies zeige sich u. a. darin, dass die bereitgestellten Organisationsstrukturen, die Einrichtungen sowie die personellen und sächlichen Betriebsmittel zu nutzen sind.
In den zugrunde liegenden Fällen hatten die Betroffenen sich zwischen den Einsätzen in einem bestimmten Aufenthaltsbereich aufzuhalten, mussten bei Einsätzen mit Hilfe der zugewiesenen Fahrzeuge und dem zugewiesenen Fahrer zu dem zugewiesenen Einsatzort fahren, die Versorgung mit den bereitgestellten Rettungsmitteln und -personal vornehmen und schließlich entsprechend der Vorgaben ein Notarztprotokoll erstellen, das sodann in das bereitgestellte EDV-System einzutragen war. Auch waren die Dienstzeiten vorgegeben und jedenfalls in einem Fall bestand bei Verspätung der Ablösung die Verpflichtung, den Dienst über den im Dienstplan vorgesehenen Umfang hinaus fortzusetzen.
Dem Vorliegen der Voraussetzungen „Weisungsgebundenheit“ und „Eingliederung“ konnte auch nicht erfolgversprechend entgegengehalten werden, dass die hochorganisierte Struktur der Tätigkeiten, bei der strikte Abläufe und Procedere einzuhalten sind, „in der Natur der Sache“ von Notarzteinsätzen liegt und den regulatorischen Vorgaben entspricht. Weder folge hieraus zwingend eine entscheidende Indizwirkung für eine abhängige Beschäftigung, noch sei andersrum lediglich deshalb die Annahme einer abhängigen Beschäftigung ausgeschlossen. Vielmehr sei auch hier im Einzelfall abzuwägen, ob die Tätigkeit hinsichtlich Gestaltung und Umfang der Arbeitsleistung Freiheiten gewährt, die mit denen einer selbstständigen Tätigkeit vergleichbar sind oder eher Ähnlichkeit mit der Erbringung von Not- und Rettungsdiensten im Angestelltenverhältnis besteht.
Auf Basis der vorstehenden Grundsätze folgte das bezeichnete Urteil des BSG aus dem Jahr 2023[ 26 ] zu den Poolärzten, nach dem Ärzte ohne eigene vertragsärztliche Zulassung im vertragszahnärztlichen Notdienst, welche im Rahmen von Notdienstschichten in angemieteten und mit Geräten und Material ausgestatteten Räumlichkeiten eines Notfalldienstzentrums einer KZV tätig sind, als sozialversicherungspflichtig Beschäftige eingeordnet werden.
3. Bewertung der Änderungen
Das BSG nimmt nach den zuvor dargestellten Grundsätzen eine Beurteilung anhand sämtlicher Kriterien im Einzelfall vor. Von besonderer Bedeutung sind dabei die Eingliederung in den Betrieb und das Weisungsrecht des Auftraggebers, vgl. § 7 Abs. 1 SGB IV, und die Vergütung.
Nach der Regelung des geplanten § 95 SGB V sollen Ärzte, die hauptberuflich sozialversicherungsrechtlich als selbstständig anzusehen sind, zukünftig auch im Rahmen des vertragsärztlichen Notdienstes nicht der Sozialversicherungspflicht unterliegen. Damit soll die Beurteilung der Sozialversicherungspflichtigkeit der Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst gerade nicht von der konkreten Tätigkeit abhängen. Hierzu heißt es in der Gesetzesbegründung:
„Die Regelung stellt entsprechend klar, dass die Tätigkeit im vertragsärztlichen Notdienst, zu denen Vertragsärztinnen und Vertragsärzte aufgrund ihrer Zulassung verpflichtet sind, einen bloßen Annex zur selbständigen Haupttätigkeit in der Arztpraxis bzw. im medizinischen Versorgungszentrum darstellt und deshalb in ihrer sozialversicherungsrechtlichen Bewertung auch dieser Haupttätigkeit folgt.“ [ 27 ]
Die geplante gesetzliche Regelung ändert demnach die Beurteilungssystematik des BSG und stellt den vertragsärztlichen Notdienst von Vertragsärzten unter den Schutz vor Sozialversicherungspflicht, wenn der Notdienst aufgrund der Zulassung verpflichtend ist. Soweit dieser Fall nicht einschlägig ist, heißt es in der Gesetzesbegründung:
„Tätigkeiten im vertragsärztlichen Notdienst, die von Vertragsärztinnen und Vertragsärzten außerhalb der aus ihrer Zulassung folgenden Verpflichtung oder von anderen Ärztinnen und Ärzten erbracht werden, werden von der Regelung nicht erfasst.“ [ 28 ]
Demnach gilt die Regelung nicht für Notdiensttätigkeiten, soweit keine vertragsärztliche Verpflichtung besteht oder keine Vertragsärzte betroffen sind. Für diese Fälle greift die geplante Änderung in § 81 Abs. 6 SGB V, wonach die Satzungen der KVen Bestimmungen über die Sicherstellung des Notdienstes enthalten sollen. Diese Regelung soll sicherstellen, dass die KVen über eine hinreichende Gestaltungshoheit verfügen, ihren vertragsärztlichen Notdienst inhaltlich so auszugestalten, dass die Voraussetzungen für eine selbstständige Tätigkeit erfüllt sind.[ 29 ] Folglich gelten insbesondere für Poolärzte grundsätzlich weiterhin die bereits dargestellten Kriterien auf Basis der Einigung zwischen BMG und BMAS:
-
Vergütung nur für tatsächlich erbrachte Leistungen,
-
Nutzungsentgelt für die Notdienstpraxis,
-
Vertretung durch entsprechend qualifizierten Arzt möglich.
Modifiziert werden diese Kriterien durch die im Gesetzentwurf vorgesehene Regelung in § 81 Abs. 6 SGB V, nach dem die KVen in ihren Satzungen die Gewährung von Sicherstellungspauschalen festlegen können, ohne dass der sozialversicherungsrechtliche Status der Ärzte im Notdienst hierdurch berührt wird. Soweit KVen in ihren Satzungen von dieser Möglichkeit Gebrauch machen, wird die Vergütung nicht nur für tatsächlich erbrachte Leistungen gezahlt, sondern als Pauschale unabhängig von einer Leistung. Voraussetzung ist allerdings, dass dies zum Zwecke der Sicherstellung des Notdienstes in einer Region erforderlich ist.
Die geplanten gesetzlichen Regelungen schaffen damit allein für verpflichtende Notdiensttätigkeiten von Vertragsärzten abschließende Klarheit. Insbesondere für Notdiensttätigkeiten von Poolärzten kommt es auf die konkreten Umstände, insbesondere auf den Inhalt der angepassten Satzung der jeweiligen KV und im Falle einer Sicherstellungspauschale darauf an, ob die Sicherstellung des Notdienstes in der betroffenen Region erforderlich ist. Schon nach aktueller Rechtslage ist es den KVen möglich, den vertragsärztlichen Notdienst über einfaches Satzungsrecht auszugestalten, wovon auch zahlreiche KVen Gebrauch gemacht haben. Daher ist die explizite Ergänzung einer entsprechenden Regelung zum vertragsärztlichen Notdienst in § 81 Abs. 6 SGB V insoweit klarstellend vor dem Hintergrund der gewachsenen Bedeutung des vertragsärztlichen Notdienstes.[ 30 ]
Zu einer Änderung der gesetzlichen Rahmenbedingungen führt diese klarstellende Regelung nicht. Ob die konkrete Notdiensttätigkeit außerhalb der Geltung der geplanten Regelung in § 95 Abs. 3a SGB V im Einzelfall als selbstständige Tätigkeit oder abhängige Beschäftigung zu qualifizieren ist, muss im Zweifel weiterhin durch die Gerichte entschieden werden. Vor dem Hintergrund der Einigung zwischen BMG und BMAS ist jedoch davon auszugehen, dass Notdienste, die so ausgestaltet sind, dass sie die vereinbarten drei Voraussetzungen erfüllen, durch die Deutsche Rentenversicherung Bund und die Sozialgerichte als selbstständige Tätigkeit bewertet werden und damit nicht der Sozialversicherungspflicht unterfallen.
V. Fazit
Die geplante Gesetzesänderung bringt Rechtssicherheit für Vertragsärzte im Notdienst. Ob die geplante Änderung, insbesondere des § 95 Abs. 3a SGB, auch Auswirkungen auf die Frage der Sozialversicherungspflicht von Poolärzten und für sonstige ärztliche Tätigkeiten haben wird, bleibt hingegen abzuwarten. Vor dem Hintergrund der genannten Entscheidungen des BSG und der dahinterstehenden Wertung der streitentscheidenden Normen, nämlich der abhängig arbeitenden Bevölkerung den Schutz der Sozialversicherung (zwangsweise) zugutekommen zu lassen[ 31 ], dürfte eine künftige Änderung der Rechtsprechung des BSG wohl eher nicht zu erwarten sein. Gleichwohl dürfte dem BSG nicht verborgen geblieben sein, dass dessen Rechtsprechung zu ganz erheblichen Schwierigkeiten in der Praxis und letztlich zu einem – insbesondere zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung korrigierendem – Einschreiten des Gesetzgebers geführt hat.
Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Tilmann Kirsch
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht
Rechtsanwälte Wigge
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Telefon: (040) 3398 705–90
Telefax: (040) 3398 705–99
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E-Mail: kanzlei@ra-wigge.de
1 Wigge/Schütz, RoFo 2017, S. 579–584; Wigge/Kirsch, RoFo 2021, S. 1489–1491.
2 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 21.02.2017, Az. L 11 R 2433/16; BSG, Urt. v. 04.06.2019, Az. B 12 R 11/18 R.
3 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege, Gesetzentwurf der Bundesregierung vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25.
4 Zum Bereitschaftsdienst allgemein: Wigge/Kath, RoFo 2024, S. 628–631.
5 BR-Drucks. 365/25.
6 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Art. 3 Nr. 19, S. 55.
7 Die in diesem Beitrag verwendeten Personenbezeichnungen beziehen sich gleichermaßen auf weibliche und männliche Personen. Auf eine Doppelnennung wird zugunsten einer besseren Lesbarkeit verzichtet.
8 vgl. Artikel: „Einigung: Poolärzte im Notdienst sollen als Selbstständige gelten“, Ärzte-Zeitung vom 10.07.2024.
9 BSG, Urt. v. 24.10.2023, Az. B 12 R 9/21 R – juris.
10 Beispielhaft https://www.kvbawue.de/patienten/aktuelles/nachrichten-fuer-patienten/news-artikel/bsg-urteil-fuehrt-zu-einschraenkungen-im-aerztlichen-bereitschaftsdienst.
11 Zieglmeier, in: Körner/Krasney/Mutschler, beck-online GROSSKOMMENTAR, SGB IV, Stand: 15.05.2025, § 7 Rn. 231.1; „Regelungspaket soll Poolarztprobleme beheben“, Ärzte-Zeitung vom 12.07.2024.
12 Vgl. Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Art. 3 Nr. 17, S. 55.
13 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Begründung, Teil B, S. 83.
14 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19 R, Rn. 12 – juris; Wigge/Kirsch, RoFo 2021, S. 1489–1491 auf Basis des Terminberichts.
15 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19 R, Rn. 19 – juris.
16 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19 R, Rn. 20 – juris.
17 Zieglmeier, in: Körner/Krasney/Mutschler, beck-online GROSSKOMMENTAR, SGB IV, Stand: 15.05.2025, § 7 Rn. 92.
18 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R, Rn. 21 – juris.
19 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R, Rn. 21 – juris.
20 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19 R, Rn. 12 – juris.
21 Zu dem gesamten Absatz: BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19, Rn. 26 – juris; BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R, Rn. 27 – juris; BSG, Urt. v. 24.10.2023, Az. B 12 R 9/21 R, Rn. 21 – juris.
22 Zieglmeier in: Körner/Krasney/Mutschler, beck-online GROSSKOMMENTAR, SGB IV, Stand: 15.05.2025, § 7 Rn. 100.
23 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 1/21 R, Rn. 29 – juris.
24 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 KR 29/19 R, Rn. 12 – juris.
25 BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 10/20 R – juris; BSG, Urt. v. 19.10.2021, Az. B 12 R 9/20 R – juris.
26 BSG, Urt. v. 24.10.2023, Az. B 12 R 9/21 R – juris.
27 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Zu Nummer 19 (§ 95), S. 202.
28 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Zu Nummer 19 (§ 95), S. 202.
29 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Begründung, Teil B, S. 83.
30 Entwurf eines Gesetzes zur Befugniserweiterung und Entbürokratisierung in der Pflege vom 06.08.2025, BR-Drucks. 365/25, Zu Nummer 17 (§ 81), S. 201.
31 Zieglmeier in: Körner/Krasney/Mutschler, beck-online GROSSKOMMENTAR, SGB IV, Stand: 15.05.2025, § 7 Rn. 2.
Publication History
Article published online:
19 September 2025
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