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DOI: 10.1055/a-2661-4679
Mögliches Gadolinium-Depositionssyndrom – ein Fallbericht
Possible Gadolinium Deposition Disease – a case reportEinleitung
Durch die Ehefrau des Schauspieler Chuck Norris publik gemacht, steht das sogenannte Gadolinium-Depositionssyndrom (Gadolinium Deposition Disease, GDD) seit der Erstbeschreibung im Jahr 2016 [1] im Zentrum kontroverser Diskussionen und beschreibt eine Erkrankung, bei der Patienten trotz normaler Nierenfunktion nach Gabe gadoliniumhaltiger Kontrastmittel (GBCA) teils persistierende Symptome wie Fatigue, brennende Schmerzen der Extremitäten, Muskelfaszikulationen und Hautveränderungen entwickeln [2]. Pathophysiologisch vermutet man eine chronische oder schubartige Entzündungsreaktion durch im Gewebe retinierte Gadolinium-Ionen, insbesondere nach Verwendung linearer GBCA [3]. Zwar ist die Ablagerung von Gadolinium in Geweben wie Gehirn, Haut oder Knochen belegt, doch die klinische Relevanz bleibt fraglich und ist weiterhin Gegenstand intensiver Forschung. Besonders selten wurden bislang Fälle nach Verabreichung leberspezifischer linearer GBCA wie Gadoxetat (Primovist) beschrieben. Der vorliegende Fall schildert daher einen ungewöhnlichen Verlauf wiederholter Gadoxetat-Gaben und trägt zur laufenden Debatte um Existenz und klinische Bedeutung des GDD bei.
Fallbeschreibung
Wir schildern den Fall einer 32-jährigen Patientin, die sich zur Abklärung eines Mamma-Tastbefundes vorstellte. Als Vorerkrankungen waren eine operativ versorgte zervikale Bandscheibenextrusion und ein Heuschnupfen bekannt. Der Gesamtverlauf ist tabellarisch in [Tab. 1] aufgelistet.
Onkologische Aspekte
In der Initialdiagnostik ergab sich ein primär hepatisch und ossär metastasiertes Mammakarzinom mit einer Her2neu Überexpression und positiv für Östrogen- (100%) und Progesteronrezeptoren (90%). Es wurde eine Systemtherapie mit Paclitaxel, Trastuzumab und Pertuzumab analog der Cleopatra-Studie sowie eine Osteoprotektion mit Denosumab begonnen [4]. Nach gutem Ansprechen und bildgebender Komplettremission wurde 6 Monate nach Erstvorstellung auf eine Erhaltungstherapie mit Tamoxifen in Kombination mit den beiden Antikörpern Trastuzumab und Pertuzumab umgestellt.
Drei Jahre und einen Monat nach Erstvorstellung traten Hirnmetastasen auf, die operativ reseziert und nachbestrahlt wurden. Unter wiederholten Rezidiven wurde auf die Systemtherapie auf Trastuzumab-Emtansin (T-DM1), dann Capecitabine, Tucatinib und Trastuzumab sowie schließlich auf Trastuzumab-Deruxtecan (T-DXd) umgestellt, die bis zum Erscheinen des Artikels eine bildgebende Komplettremission erhält.
Radiologische Aspekte
Es wurde sich initial für ein Stagingkonzept mit Gadoxetat-gestützter Leber-MRT in Kombination mit einer nativen Thorax-CT entschieden. Die Bildgebungsintervalle waren auf drei Monate ausgelegt; in Phasen guten Therapieansprechens wurden sie auf sechs Monate ausgedehnt. Im Verlauf konnte unter der T-DM1- und T-DXd-Therapie eine abnehmende Hepatozytenaufnahme von Gadoxetat beobachtet werden ([Abb. 1]). Daher erfolgte im sechsten Jahr die Umstellung auf ein makrozyklisches Gadolinium-haltiges Kontrastmittel (Gadoterat bzw. Gadobutrol). Insgesamt waren in den sechs Jahren 40 MRT-Untersuchungen erfolgt, wobei 20 Untersuchungen mit einer kumulativen Gesamtmenge von 188,5 ml Gadoxetat (entsprechend 0,59 mmol/kg Körpergewicht), 8 Untersuchungen mit insgesamt 127 ml Gadotersäure (0,79 mmol/kg) und 12 Untersuchungen mit insgesamt 93,1 ml Gadobultrol (1,16 mmol/kg) durchgeführt wurden. Nach vollständigem Abklingen der neurologischen Symptomatik wurden in den folgenden drei Jahren 3 Untersuchungen mit insgesamt 49 ml Gadotersäure und 7 Untersuchungen mit insgesamt 58.6 ml Gadobutrol durchgeführt, ohne dass es zu neuerlichen Beschwerden kam.


Symptome
Mit Einleitung der Paclitaxel Chemotherapie stellte sich eine geringgradige Polyneuropathie der Finger ein, die sich nach Umstellung auf die Erhaltungstherapie langsam besserte. Erstmals im Jahr nach Therapiebeginn beschreibt die Patientin nächtliche Unruhe ähnlich einem Restless-Legs-Syndrom. Es traten Muskelkrämpfe auf, die die Patientin selbst mit oralem Magnesium und Calcium therapierte. Anderthalb Jahre später nahmen die Beschwerden etwas ab, verschwanden aber nie vollständig. Insgesamt wurde die Symptomatik auf die anhaltende Therapie und Belastung zurückgeführt. Im vierten Therapiejahr nahmen die Beschwerden wieder zu und wurden durch brennende Schmerzen und Berührungsempfindlichkeit im Bereich beider Fußrücken ergänzt. Eine Ultraschall-Untersuchung im Rahmen der Umfelddiagnostik bei zerebralem Rezidiv entdeckte eine Unterschenkelvenenthrombose, die mit Antikoagulation behandelt wurde – eine Besserung der Beschwerden stellte sich unter dieser Behandlung nicht ein.
Im fünften Jahr erfolgte eine erste Zuweisung zur neurologischen Spezialsprechstunde bei exazerbierter schmerzhafter Dysästhesie beider Fußrücken und Zehen, welche die Patientin in einen zeitlichen Zusammenhang mit der letzten T-DXd-Gabe brachte.
Die neurologische Untersuchung ergab:
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Keine Störungen der Motorik oder Koordination, sicherer Stand
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Geringe Hypästhesie, Hypalgesie und Hypthermästhesie der Fingerspitzen und des Fußrückens
Insgesamt wurde der Verdacht auf ein geringes polyneuropathisches Schmerzsyndrom vom distal-symmetrischen Typ, ggf. bei Paclitaxel- und T-DM1-induzierter Polyneuropathie, gestellt. Mittels lokaler Ultraschalluntersuchung konnte ein Entzündungsgeschehen und mittels MRT eine differenzialdiagnostisch diskutierte Läsion der Nervenwurzel L5 ausgeschlossen werden. Auf Basis der Befunde wurden eine Therapie mit Pregabalin (75mg; 1–0-1), lokalen Lidocain-Pflastern und eine Physiotherapie mit 2-Zellenbad eingeleitet, worunter sich eine leichte Besserung der Beschwerden ergab. In der folgenden neurografischen Verlaufskontrolle bestätigte sich ein Grenzbefund für eine (sehr geringe), nicht progrediente axonal-sensible Polyneuropathie, vereinbar mit einer Chemotherapie-induzierten Polyneuropathie; allerdings wurde die Symptomatik als untypisch eingeschätzt.
Im sechsten Jahr nahmen die Beschwerden wieder zu. Erstmals wurde ein deutlicher zeitlicher Zusammenhang zwischen den schubförmig auftretenden Schmerzen und den regelmäßig durchgeführten MRT-Untersuchungen durch die Patientin bemerkt. Eine Zunahme der Beschwerden trat regelhaft einige Tage nach intravenöser Gabe des hepatozytenspezifischen, linearen Gadolinium-Kontrastmittels (Gadoxetat) und unabhängig von den Zyklen der Systemtherapie und der Art der Medikation auf; die Symptome klangen dann langsam über mehrere Wochen, wenn auch unvollständig, wieder ab. Dabei standen nächtliche Bewegungsstörung, brennende Schmerzen der Fußrücken und Muskelkrämpfe und -faszikulationen im Vordergrund. Zeitgleich wurde der Verdacht auf einen Morbus Addison endokrinologisch ausgeschlossen, welcher bei dunkler Hautverfärbung der Hände, geäußert wurde.
Nach der Umstellung auf ein makrozyklisches Kontrastmittel sistierten alle Beschwerden vollständig und traten während der 10 folgenden Untersuchungen nicht mehr auf, was eine mögliche chronische Gadolinium-Toxizität nahelegt.
Diskussion
Das Krankheitskonzept GDD ist hoch umstritten; Überlappungen mit Fibromyalgie oder ähnlichen Konditionen werden beschrieben. Wir berichten hier einen Fall, bei dem Beschwerden in zeitlichem Zusammenhang zu häufiger Applikation von linearem leberspezifischem Kontrastmittel (Gadoxetat) aufgetreten sind und nach Umstellung auf makrozyklische Präparate sistierten.
Semelka und Ramalho [5] schlagen für die Diagnose nach Ausschluss anderer Erklärungen vor, dass die Symptome nach Applikation des Kontrastmittels auftreten, in einem zeitlichen Zusammenhang stehen und zuvor nicht vorhanden sein dürfen. Zusätzlich sollen akute Schübe unter Gabe hochwirksamer Chelatoren induzierbar sein. Letzteres wurde in dem hier beschriebenen Fall nicht getestet. Ebenso wenig wurde der Versuch unternommen, Gadolinium in Gewebe oder Urin nachzuweisen, sodass trotz der engen zeitlichen Korrelation eine Unsicherheit ob der richtigen Einschätzung bleibt.
GDD wird gegenwärtig nicht mehr primär als toxischer Effekt des Gadoliniums, sondern als komplexe zytokinvermittelte Reaktion verstanden, die ein anderes Muster als bei nephrogener systemischer Fibrose oder asymptomatischen Gadoliniumablagerungen aufweist [6]. Ein mitochondrialer Schaden, wie auch die Wirkung auf Ionenkanäle wie TRPC6, der bei der Entstehung von Juckreiz eine Rolle spielt, sind zudem plausibel, gegenwärtig aber kaum erforscht [7].
Besonders betroffen sind Frauen mitteleuropäischer Abstammung (wie die berichtete Patientin). Ein weiterer passender Risikofaktor sind allergische Konstellationen. Andere beschriebene Risikofaktoren sind autoimmune und genetische Konstellationen, besonders solche, die mit Eisenspeichererkrankungen einhergehen. Als Symptome werden Fatigue, „Brain Fog“, Schmerzen in Kopf, Muskulatur, Gelenken und Knochen beschrieben, brennende Schmerzen der Haut und Muskelfaszikulationen, gastrointestinale Symptome und Hautveränderungen. Damit bestehen klinische Ähnlichkeiten zu der akuten Kontrastmittelreaktion genauso wie zur nephrogenen systemischen Fibrose. Zumindest einige dieser Symptome waren in diesem Fall zu finden, auch wenn sie in Teilen auf die Systemtherapie zurückgeführt werden könnten.
Als ursächliche Therapie für das GDD werden Chelatoren eingesetzt und symptomatisch behandelt. Wichtigster Faktor ist allerdings die Vermeidung der Exposition mit gadolinium-haltigen Kontrastmitteln oder – wie in diesem Fall – der Wechsel des Kontrastmittels auf ein stabileres Präparat.
Schlussfolgerung
Der vorgestellte Fall verdeutlicht, dass gadoliniumhaltige Kontrastmittel – trotz ihrer hohen diagnostischen Relevanz – bei wiederholter Anwendung mit der gebotenen Sorgfalt und unter kritischer Indikationsstellung appliziert werden sollten. Die hier geschilderte Symptomatik entwickelte sich über Jahre, wurde jedoch erst spät mit der Kontrastmittelgabe in Verbindung gebracht. Dies spricht für eine mögliche hohe Dunkelziffer milder, bislang unerkannter Verläufe, insbesondere bei komplex vorbehandelten Tumorpatienten. Vor der Gabe insbesondere linearer Präparate wie Gadoxetat sollten Patienten über die seltene Möglichkeit eines GDD informiert und bei wiederholter Anwendung gezielt zu etwaigen Beschwerden befragt werden.
Treten neuartige Sensibilitätsstörungen oder unspezifische Beschwerden in zeitlicher Nähe zur Kontrastmittelgabe auf, sollten diese ernst genommen, systematisch dokumentiert und differenzialdiagnostisch abgeklärt werden. Die Sensibilisierung der Radiologie für das noch wenig verstandene Krankheitsbild ist dabei essenziell – nicht nur zur frühzeitigen Identifikation potenzieller GDD-Fälle, sondern auch, um das Vertrauen betroffener Patienten zu erhalten. Letztlich wird sich die Existenz und Häufigkeit des GDD nur durch kontinuierliche ärztliche Wachsamkeit, offene Kommunikation und wissenschaftlich fundierte Fallanalysen verlässlich beurteilen lassen.
Interessenkonflikt
Die Autorinnen/Autoren geben an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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References
- 1 Semelka RC, Ramalho J, Vakharia A. et al. Gadolinium deposition disease: Initial description of a disease that has been around for a while. Magnetic resonance imaging 2016; 34 (10) 1383-90
- 2 Burke LM, Ramalho M, AlObaidy M. et al. Self-reported gadolinium toxicity: a survey of patients with chronic symptoms. Magnetic resonance imaging 2016; 34 (08) 1078-80
- 3 Leyba K, Wagner B. Gadolinium-based contrast agents: why nephrologists need to be concerned. Current opinion in nephrology and hypertension 2019; 28 (02) 154-62
- 4 Swain SM, Baselga J, Kim SB. et al. Pertuzumab, trastuzumab, and docetaxel in HER2-positive metastatic breast cancer. The New England journal of medicine 2015; 372 (08) 724-34
- 5 Semelka RC, Ramalho M. Gadolinium Deposition Disease: Current State of Knowledge and Expert Opinion. Investigative radiology 2023; 58 (08) 523-9
- 6 Maecker HT, Siebert JC, Rosenberg-Hasson Y. et al. Dynamic Serial Cytokine Measurements During Intravenous Ca-DTPA Chelation in Gadolinium Deposition Disease and Gadolinium Storage Condition: A Pilot Study. Investigative radiology 2022; 57 (01) 71-6
- 7 Bouron A, Kiselyov K, Oberwinkler J. Permeation, regulation and control of expression of TRP channels by trace metal ions. Pflugers Arch 2015; 467 (06) 1143-64
Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Eingereicht: 14. Juni 2025
Angenommen nach Revision: 19. Juli 2025
Artikel online veröffentlicht:
04. August 2025
© 2025. The Author(s). This is an open access article published by Thieme under the terms of the Creative Commons Attribution License, permitting unrestricted use, distribution, and reproduction so long as the original work is properly cited. (https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/).
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References
- 1 Semelka RC, Ramalho J, Vakharia A. et al. Gadolinium deposition disease: Initial description of a disease that has been around for a while. Magnetic resonance imaging 2016; 34 (10) 1383-90
- 2 Burke LM, Ramalho M, AlObaidy M. et al. Self-reported gadolinium toxicity: a survey of patients with chronic symptoms. Magnetic resonance imaging 2016; 34 (08) 1078-80
- 3 Leyba K, Wagner B. Gadolinium-based contrast agents: why nephrologists need to be concerned. Current opinion in nephrology and hypertension 2019; 28 (02) 154-62
- 4 Swain SM, Baselga J, Kim SB. et al. Pertuzumab, trastuzumab, and docetaxel in HER2-positive metastatic breast cancer. The New England journal of medicine 2015; 372 (08) 724-34
- 5 Semelka RC, Ramalho M. Gadolinium Deposition Disease: Current State of Knowledge and Expert Opinion. Investigative radiology 2023; 58 (08) 523-9
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- 7 Bouron A, Kiselyov K, Oberwinkler J. Permeation, regulation and control of expression of TRP channels by trace metal ions. Pflugers Arch 2015; 467 (06) 1143-64

