Ein Rauschen im Takt des Pulses
Ein Rauschen im Takt des Pulses
Während der klassische Tinnitus meist beidseitig und konstant auftritt, ist der pulssynchrone
Tinnitus typischerweise einseitig – und folgt dem eigenen Herzschlag. „Das Ohr wird
zum Resonanzraum des Blutflusses“, erklärt PD Dr. Fabian Flottmann, Neuroradiologe
am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE). Ursache sind oft Veränderungen der
Blutgefäße in Kopf oder Hals, zum Beispiel Fisteln, Gefäßengstellen oder Missbildungen.
Einige dieser Veränderungen können gefährlich werden, etwa wenn sie den Blutabfluss
aus dem Gehirn behindern.
Noch junges Feld – mit wachsender Relevanz
Noch junges Feld – mit wachsender Relevanz
Der pulssynchrone Tinnitus ist als Symptom seit Langem bekannt, wurde jedoch in der
Vergangenheit eher Fachbereichen wie der Hals-Nasen-Ohren-Heilkunde oder der Neurologie
zugeordnet. Durch die Fortschritte in der Bildgebung und minimalinvasiven Therapieverfahren
rückt die Neuroradiologie zunehmend in eine Schlüsselrolle. „Uns eröffnen sich hier
ganz neue Aufgaben – sowohl diagnostisch als auch therapeutisch“, so Flottmann.
Warnzeichen: Wann das Rauschen gefährlich wird
Warnzeichen: Wann das Rauschen gefährlich wird
„Patientinnen und Patienten sollten besonders wachsam sein, wenn das Ohrgeräusch sich
verändert, Kopfschmerzen auftreten oder sogar neurologische Ausfälle wie Sehstörungen
oder Schwindel dazukommen“, warnt Flottmann. Denn: Anders als beim klassischen Tinnitus
lassen sich die Ursachen des pulssynchronen Tinnitus oft bildgebend nachweisen – und
sogar gezielt behandeln.
High-Tech-Diagnostik in der Neuroradiologie
High-Tech-Diagnostik in der Neuroradiologie
Bei der neuroradiologischen Diagnostik kommen moderne Bildgebungsverfahren wie Kontrastmittel-MRT,
zeitaufgelöste MR-Angiografie und gegebenenfalls CT oder Katheterangiografie zum Einsatz.
So lassen sich Gefäßveränderungen präzise lokalisieren. „Die Zeitauflösung ist häufig
entscheidend: Nur so erkennen wir, wie sich das Blut durch die Gefäße bewegt und ob
es zu Kurzschlüssen kommt“, so Flottmann.
Minimalinvasive Therapie: Kleben, verschließen, entlasten
Minimalinvasive Therapie: Kleben, verschließen, entlasten
Die Therapie erfolgt meist minimalinvasiv über die Pulsader oder die Leistenarterie.
Fisteln lassen sich beispielsweise mit sogenannten Embolisationen behandeln, bei denen
mit Platinspiralen oder Gewebekleber der „Kurzschluss“ zwischen Arterie und Vene verschlossen
wird. Engstellen in venösen Abflusswegen können durch Stents erweitert werden. „Wenn
wir die Ursache identifizieren, bestehen sehr gute Heilungschancen“, betont Flottmann.
Erkrankungen nehmen zu
Schätzungsweise etwa fünf Prozent der Patientinnen und Patienten mit starkem Tinnitus
leiden unter einem pulssynchronen Tinnitus – eine relevante Zahl Betroffener. „In
der Neuroradiologie sehen wir ein wachsendes Aufgabenfeld. Diagnose und Therapie vaskulärer
Ursachen für Tinnitus werden künftig eine größere Rolle spielen“, prognostiziert Flottmann.
Interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend
Interdisziplinäre Zusammenarbeit entscheidend
Pulssynchroner Tinnitus ist ein Paradebeispiel für interdisziplinäre Medizin: Die
Zusammenarbeit zwischen HNO-Heilkunde, Neurologie und Neuroradiologie ist entscheidend
für eine erfolgreiche Diagnose und Therapie. Am UKE, so Flottmann, finden bereits
regelmäßige Fachvorträge für HNO-Ärztinnen und -Ärzte statt, auch der Austausch mit
niedergelassenen Kolleginnen und Kollegen wird aktiv gesucht.
Neuroradiologische Kliniken und Institute bieten bundesweit spezialisierte Hilfe
Neuroradiologische Kliniken und Institute bieten bundesweit spezialisierte Hilfe
Prof. Dr. Peter Schramm, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie
(DGNR) und Neuroradiologe am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Lübeck,
erklärt: „Minimalinvasive Verfahren – sowohl gefäßöffnende als auch gefäßverschließende
Eingriffe – sind ein wesentlicher Bestandteil der modernen Neuroradiologie. Die Behandlung
von Fisteln und Engstellen in den Hirngefäßen ist Bestandteil eines Zertifizierungsprogramms,
das unsere Fachgesellschaft gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle
Radiologie und minimalinvasiver Therapie (DeGIR) entwickelt hat. Das Programm stellt
sicher, dass solche interventionellen Eingriffe auf hohem Qualitätsniveau flächendeckend
verfügbar gemacht werden.“
Wo finde ich eine neuroradiologische Klinik?
Wo finde ich eine neuroradiologische Klinik?
Zahlreiche Zentren in Deutschland bieten bereits gezielte Therapien bei gefäßbedingtem
Tinnitus an. Die DGNR fördert die interdisziplinäre Aufklärung und betont: Pulssynchroner
Tinnitus darf nicht unterschätzt werden, sondern eröffnet die Möglichkeit einer kausalen
Behandlung. Eine aktuelle Übersicht neuroradiologischer Kliniken finden Betroffene
auf der Internetseite der Deutschen Gesellschaft für Neuroradiologie e. V.: https://www.dgnr.org/de-DE/49/neuroradiologische-kliniken.
Abb. 1 MRT vor Intervention – Ein pathologisches Flusssignal mit verfrühter Füllung der
Venen deutet auf eine Fistel hin (Pfeil). © UKE Hamburg-Eppendorf/PD Dr. Fabian Flottmann.
Abb. 2 MRT nach der Embolisation: Es ist kein pathologisches Flusssignal mehr nachweisbar
und das Ohrgeräusch ist verstummt. © UKE Hamburg/PD Dr. Fabian Flottmann.
Abb. 3 Die digitale Subtraktionsangiografie über einen Katheter bestätigt den Fistelverdacht
(linkes Bild); über den Katheter kann mithilfe von kleinsten Platinspiralen die Fistel
minimalinvasiv verschlossen werden (Coiling, rechtes Bild). © UKE Hamburg-Eppendorf/PD
Dr. Fabian Flottmann.
Abb. 4 In diesem Fall wurde der pulsatile Tinnitus durch eine Engstelle im rechten Sinus
transversus, einem großen venösen Gefäß im Schädelinneren, bedingt. © Universitätsmedizin
Magdeburg/Dr. Roland Schwab.
Abb. 5 Zur Behandlung einer solchen venösen Engstelle wurde ein Stent implantiert. Nach
der Intervention normalisierte sich der Blutfluss. Der erhöhte Druckgradient sowie
das Ohrgeräusch konnten vollständig beseitigt werden. © Universitätsmedizin Magdeburg/Dr.
Roland Schwab.
Über die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie (DGNR):
Die Deutsche Gesellschaft für Neuroradiologie e. V. (DGNR) ist die zentrale Fachgesellschaft
für Neuroradiologinnen und Neuroradiologen im deutschsprachigen Raum. Gegründet wurde
die DGNR 1967 und ist mit circa 2.000 Mitgliedern die größte neuroradiologische Organisation
Europas. Angesichts eines dynamisch wachsenden Fachs mit ständig neuen diagnostischen
und therapeutischen Möglichkeiten setzt sich die DGNR für eine starke berufspolitische
Vertretung sowie die kontinuierliche Fort- und Weiterbildung ihrer Mitglieder ein.
Ein besonderer Schwerpunkt liegt auf der Entwicklung evidenzbasierter Leitlinien sowie
dem interdisziplinären Austausch mit anderen medizinischen Disziplinen. Auf dem jährlich
stattfindenden Kongress neuroRAD bringt die DGNR nationale und internationale Expertinnen
und Experten zusammen, um aktuelle Entwicklungen in der Neuroradiologie zu diskutieren
und neue Impulse für Klinik, Forschung und Praxis zu geben.
Gemeinsam mit der Deutschen Gesellschaft für Interventionelle Radiologie und minimal-invasive
Therapie (DeGIR) stellt die DGNR mit ihren Mitgliedern die minimalinvasive Versorgung
bei Schlaganfallpatient:innen und -Patienten in Deutschland sicher.