Nervenheilkunde 2025; 44(11): 813-814
DOI: 10.1055/a-2628-5783
Gesellschaftsnachrichten

Kopfschmerz News der DMKG

 

Zusammenfassung


Negative Studie zum PACAP-Antikörper LY3451838 wirft Fragen zur notwendigen Personalisierung der Migräneprophylaxe auf

Johnson MP, Krikke-Workel J, Patel CN et al. Preclinical and clinical evaluation of LY3451838, a PACAP-neutralizing monoclonal antibody, in randomized, double-blind, placebo-controlled phase 1 and phase 2 studies involving healthy adults and adults with treatment-resistant migraine. Cephalalgia. 2025 Aug;45(8):3331024251368757

Hintergrund:

PACAP (Pituitary Adenylate Cyclase-Activating Polypeptide) spielt eine Schlüsselrolle in der Migränepathophysiologie. Die Gabe von PACAP kann experimentell Attacken auslösen, und erhöhte Spiegel wurden während Migräneanfällen nachgewiesen. Dies machte PACAP zu einem potenziellen Ziel neuer Therapien, besonders für Patientinnen und Patienten, die nicht ausreichend auf CGRP-Antikörper ansprechen. Frühere Studien zu PACAP-Antikörpern mit AMG301 (Rezeptor) und Lu AG09222 (Ligand) zeigten bislang uneinheitliche Ergebnisse. In der vorliegenden Studie wurde mit LY3451838 nun ein weiterer PACAP-Ligandenantikörper in einer Phase-IIa-Studie bezüglich des therapeutischen Potentials exploriert.


Zusammenfassung:

In der präklinischen Charakterisierung zeigte LY3451838 eine sehr hohe Affinität zu PACAP-38 und PACAP-27 und blockierte effektiv deren Bindung an die Rezeptoren PAC1, VPAC1 und VPAC2. In Tiermodellen verhinderte der Antikörper die PACAP-induzierte Vasodilatation meningealer Gefäße und reduzierte die Aktivierung trigeminaler Neurone deutlich, was auf eine gezielte Beeinflussung migränerelevanter Signalwege hinweist.

In einer Phase-I-Studie mit gesunden Probandinnen und Probanden zeigte LY3451838 eine lineare Pharmakokinetik mit einer Halbwertszeit von rund 30 Tagen und wurde insgesamt gut vertragen, ohne schwerwiegende therapiebedingte Nebenwirkungen.

Die Phase-II-Studie umfasste insgesamt 38 Patientinnen und Patienten mit therapieresistenter episodischer (EM) oder chronischer Migräne (CM), die randomisiert eine einmalige intravenöse Gabe von LY3451838 (n = 19) oder Placebo (n = 19) erhielten. Von diesen schlossen 33 die Studie ab (LY3451838, n = 16; Placebo, n = 17). Die Teilnehmenden waren im Mittel 48,3 Jahre alt, hatten einen durchschnittlichen BMI von 30,0 kg/m² und wiesen zu Studienbeginn eine mittlere Anzahl von 13,5 monatlichen Migränetagen auf.

Ein Monat nach der Infusion zeigte sich bei CM-Patientinnen und -Patienten unter LY3451838 eine stärkere mittlere Reduktion der monatlichen Migränetage im Vergleich zu Placebo (−4.7 vs. −3.0 Tage). Bei EM-Patientinnen und -Patienten betrug die Reduktion −1.7 vs. −1.2 Tage. Diese Unterschiede waren jedoch nicht statistisch signifikant. Auch nach drei Monaten blieb der Unterschied zwischen den Gruppen ohne Signifikanz.

Das Sicherheitsprofil war insgesamt vergleichbar mit Placebo. Ein schwerwiegendes unerwünschtes Ereignis trat auf: ein B-Zell-Lymphom bei einer mit LY3451838 behandelten Person, was zum Studienabbruch führte.


Kommentar

Die aktuelle Studie liefert wichtige präklinische und klinische Daten zum PACAP-Ligandenantikörper LY3451838. Sie zeigt jedoch, dass die klinische Wirksamkeit in der aktuellen Phase-II-Studie begrenzt ist. Trotz klarer präklinischer Effekte auf PACAP-vermittelte Signalwege konnte weder bei episodischer noch bei chronischer Migräne ein statistisch signifikanter Vorteil gegenüber Placebo gezeigt werden. Bemerkenswert ist allerdings der numerische Benefit bei chronischer Migräne von –1.7 Tagen gegenüber Placebo, der ähnlich groß ist wie in der HOPE-Studie, die ebenfalls Patientin mit chronischer Migräne einschloss und einen PACAP-Antikörper untersuchte.

Diese Ergebnisse sollten nicht als Scheitern der Intervention des PACAP-Signalwegs gewertet werden. Vielmehr weisen die Daten auf die komplexe Pathophysiologie der Migräne hin, wobei neuropeptiderge Signalwege nur ein Element darstellen, wenngleich sie sicherlich eine Schlüsselrolle einnehmen. Nichtsdestotrotz ist es möglich, dass unter den Neuropeptiden eine Interaktion besteht, oder Subtypen innerhalb einer scheinbar phänotypisch homogenen Patientenpopulation bestehen. Künftige Studien mit größeren Stichproben, gezielterer Patientenselektion und möglicherweise Kombinationstherapien sind notwendig, um das therapeutische Potenzial von PACAP-Antikörpern besser einzuordnen.

Robert Fleischmann, Greifswald

INFORMATION

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Exzellente Arbeit, die bahnbrechende Neuerungen beinhaltet oder eine ausgezeichnete Übersicht bietet

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Gute experimentelle oder klinische Studie

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Gute Studie mit allerdings etwas geringerem Innovationscharakter

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Studie von geringerem klinischen oder experimentellen Interesse und leichteren methodischen Mängeln

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Studie oder Übersicht mit deutlichen methodischen oder inhaltlichen Mängeln

Die Kopfschmerz-News werden betreut von der Jungen DMKG, vertreten durch Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Greifswald, Dr. Katharina Kamm, München (Bereich Trigemino-autonomer Kopfschmerz & Clusterkopfschmerz), Dr. Laura Zaranek, Dresden (Bereich Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen) und Dr. Thomas Dresler, Tübingen (Bereich Psychologie und Kopfschmerz).

Ansprechpartner ist Priv.-Doz. Dr. Robert Fleischmann, Klinik und Poliklinik für Neurologie, Unimedizin Greifswald, Ferdinand-Sauerbruch-Str. 1, 17475 Greifswald,
Tel. 03834/86–6815,
robert.fleischmann@uni-greifswald.de

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Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
07. November 2025

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