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DOI: 10.1055/a-2614-7551
Editorial
Authors

Liebe Leserinnen und Leser der KJP up2date,
in der aktuellen gesundheitspolitischen Diskussion hat insbesondere ein Thema zentrale Bedeutung bekommen: Die Steuerung der Versorgung.
Im Koalitionsvertrag der deutschen Bundesregierung werden dabei drei Themen adressiert, die sehr direkt mit der Steuerungsfrage zu tun haben. Sie werden das Gesundheitswesen wohl grundlegender verändern als all die Reformen der letzten Jahrzehnte: Erstens die Idee zur Einführung eines Primärarztsystems, das es aktuell in Deutschland nicht gibt. Zweitens geht es um die Reform der Notfallversorgung und last but not least geht es drittens um die bereits in der letzten Legislaturperiode auf den Weg gebrachte Krankenhausreform. Betrifft die Einführung eines Primärarztsystems ganz überwiegend die ambulante ärztliche und psychotherapeutische Versorgungsebene und die Krankenhausreform, wie der Name schon sagt, ganz überwiegend den Krankenhaussektor, der neben dem stationären und teilstationären Bereich auch einen inhaltlich wichtigen Anteil an der ambulanten Versorgung hat, so geht es bei der Reform der Notfallversorgung um einen Bereich an der Schnittstelle zwischen ambulanter und stationärer Versorgung. Alle drei müssen gemeinsam gedacht werden. Reformen in einem der Bereiche müssen die Reformen der anderen genannten Bereiche mit im Blick haben. Die Reformen müssten bestenfalls aufeinander abgestimmt aus einem Guss erfolgen, um Nebenwirkungen und Kollateralschäden möglichst zu vermeiden. Machen wir uns nichts vor, dies kann kaum wirklich gelingen, aber es scheint zumindest allgemeiner Konsens, dass grundlegende Reformen erforderlich sind, um unser, trotz aller bestehenden Schwierigkeiten, nach wie vor sehr gutes System zukunftsfähig zu machen. Es ist deshalb zu hoffen, dass es gelingt, eine wirklich grundlegende Reform auf den Weg zu bringen, die bestehende Grenzen überwindet und wesentlich dazu beiträgt, dass die vorhandenen Ressourcen im Sinne einer guten medizinischen und psychotherapeutischen Versorgung, im Sinne derer, die diese benötigen optimal zur Verfügung gestellt werden können. Wir schimpfen immer wieder über wirtschaftliche Zwänge in unserer täglichen Arbeit, haben Angst vor einer Ökonomisierung unserer Arbeit. Wir sollten sie nutzen, sollten die Ökonomie als Wissenschaft nutzen, um am Ende für möglichst viele, am besten alle Menschen, eine gute Versorgung sicherzustellen.
Nach wie vor sind die beiden Sektoren im Gesundheitswesen, die ambulante und stationäre Versorgung in Deutschland in Bezug auf ihre Finanzierungslogik und deren Grundlagen sehr stark voneinander getrennt, was eine Zusammenarbeit zwischen dem Niedergelassenensystem und den Krankenhäusern immer wieder erschwert. Nach wie vor hängt vieles vom persönlichen Engagement und den persönlichen Beziehungen der handelnden Personen in der Versorgung ab, wenn es um die Frage einer patientenbezogenen sektorenverbindenden Zusammenarbeit geht.
In unserem Fachbereich, der psychiatrischen und psychotherapeutischen Versorgung, gibt es bereits zahlreiche Besonderheiten, die in den letzten Jahren versucht haben die Sektorengrenzen ein wenig zu schleifen und die in den politischen Gremien zum Teil sogar als Leuchttürme positiver, zukunftsweisender Entwicklungen gesehen werden. Anders als in der somatischen Medizin ist es für Kliniken wesentlich einfacher, eine psychiatrische Institutsambulanz zu betreiben, seit die Hürden für Zulassungsbedingungen dafür im SGB-V schon vor einigen Jahren deutlich gesenkt wurden. Es gibt wohl kaum noch eine Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie in Deutschland ohne eine Institutsambulanz. Erst kürzlich wurden die gesetzlichen Regelungen der Psychiatrie als Blaupause für pädiatrische Institutsambulanzen genutzt und in Analogie wurden pädiatrische Institutsambulanzen jetzt ebenfalls im SGB-V verankert.
Durch die Psychotherapierichtlinie wurde die Möglichkeit geschaffen, dass die ersten probatorischen Sitzungen einer ambulanten Psychotherapie bereits zum Zeitpunkt einer stationären kinder- und jugendpsychiatrischen Behandlung in den Räumen der Klinik von einem niedergelassenen Therapeuten durchgeführt werden können und mit den gesetzlichen Regelungen zur stationsäquivalenten Behandlung wurden Möglichkeiten eröffnet, Patientinnen und Patienten in ihrem häuslichen Umfeld durch das Team der Klinik zu Hause quasi „stationär“ zu behandeln.
Es ist sicher zu bemängeln, dass die Umsetzung all dieser Möglichkeiten oftmals an kaum oder nicht zu überwindenden Alltagshürden scheitert. Zu bemängeln ist auch, dass die Umsetzung auf Grund des bestehenden – in vielen Punkten durchaus auch als gut zu bewertenden – Systems und dessen Finanzierungs- und Verantwortungslogik nach wie vor viel zu sehr vom jeweiligen Bereich aus gedacht wird. Kliniken müssen natürlich in erster Linie von ihrer Organisation aus denken und handeln, genauso wie dies das KV-System tun muss. Beiden ist längst klar, dass die Grenze überwunden werden muss, aber beide sind in tatsächlichen und manchmal auch in vermeintlichen Sachzwängen gefangen, es ist keinem geholfen, wenn sich die Systeme durch zu viel Altruismus selbst zerstören.
Wir können das überwinden, indem wir unser Handeln, unsere Planungen maximal am Patienteninteresse, am Bedarf unserer Patientinnen und Patienten ausrichten und davon ausgehend die erforderlichen Veränderungen denken und planen. Ich meine hier nicht das Bedürfnis, sondern den Bedarf der Patienten, was sicher auch immer wieder zu Diskussionen und Herausforderungen in der Umsetzung führen wird, denn wer legt diesen Bedarf fest? Wieviel Einfluss haben finanzielle Grenzen auf diese Festlegungen? Wo ist die Grenze zwischen Bedürfnis und Bedarf zu ziehen? Sicher auch eine sehr komplexe Fragestellung.
Sarah Hohmann hat im letzten Editorial sehr auf die gegenseitige Wertschätzung als Grundlage multiprofessioneller und multisystemischer Zusammenarbeit hingewiesen. Dem kann ich nur beipflichten. Wir beschreiten als Herausgeberteam mit der vor Ihnen liegenden Zeitschrift KJPup2date diesen Weg der wertschätzenden, multiprofessionellen Zusammenarbeit, indem wir sehr bewusst ein Format gewählt haben, das die Ausbildungs-, Weiterbildungs- und Fortbildungsbedarfe sowohl von Psychotherapeuten und Ärzten in den Blick nimmt – und hoffentlich damit auch deren Bedürfnisse trifft.
Ich halte dies für den einzig sinnvollen Weg, in einer Zeit, in der sowohl der demografische Wandel als auch der Fachkräftemangel uns vor die Herausforderung stellt, die Versorgung von Kindern und Jugendlichen mit psychischen Erkrankungen auch in Zukunft auf einem fachlich hohen Niveau gewährleisten zu können. In diesem Sinne wünsche ich Ihnen eine spannende Lektüre der Arbeiten in diesem Heft. Mögen sie und Sie dazu beitragen, unsere wichtige und sehr erfüllende Arbeit mit den jungen Menschen weiterzuentwickeln.
Ihr Gundolf Berg
Publication History
Article published online:
30 September 2025
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