Z Sex Forsch 2025; 38(02): 119-121
DOI: 10.1055/a-2593-7499
Buchbesprechungen

Porno. Eine unverschämte Analyse

Pornopositiv. Was Pornografie mit Feminismus, Selbstbestimmung und gutem Sex zu tun hat

Marco Kammholz

Porno. Eine unverschämte Analyse

Zoom Image
Madita Oeming. Porno. Eine unverschämte Analyse. Hamburg: Rowohlt 2023. 256 Seiten. EUR 20,00

Um die Pornografie ranken sich nicht erst in der jüngeren Zeit Grabenkämpfe. Ob beispielsweise die zugleich von Sex aller Art sowie von sadistischer und masochistischer Gewalt nur so strotzenden Schriften des Marquis de Sade als gefährlicher Schund verboten oder als Ausdruck revolutionärer Literalität bewundert werden sollten, wird seit bald 250 Jahren diskutiert. Der Schriftstellerin und Kulturkritikerin Susan Sontag kommt es zu, noch zu Zeiten der Kriminalisierung und Zensur pornografischer Filmproduktionen in den Vereinigten Staaten der 1960er-Jahre, der Pornografie in Schriftform den Status der Literatur zugesprochen zu haben (Sontag 1967 The Pornographic Imagination). In ästhetischer Hinsicht ist die pornografische Schrift für Sontag im wahrsten Sinne des Wortes unerhört. Was die darin enthaltene pornografische Fantasie zu sagen hat, muss in diesem Verständnis erst einmal angehört werden. Trotz dieser weitsichtigen Analyse noch vor der sog. sexuellen Revolution der 1968er-Bewegung hält sich die Debatte um die Pornografie noch bis in die Gegenwart als eine auffallend polarisierte. Ob sexualpolitisch, -wissenschaftlich oder -pädagogisch, in jeder Hinsicht finden sich entsetzt ablehnende oder begeistert zustimmende Stellungnahmen zur Bedeutung und vor allem zu den Folgen des Konsums des mittlerweile hauptsächlich virtuellen pornografischen Video- und Filmmaterials. Wenn die einen Pornografie als prinzipiell schädigend, die anderen als prinzipiell harmlos einschätzen, kommen sich beide Seiten in der Art und Weise ihrer Werturteile teils ziemlich nah: Sie werden obszön – weil ihre zum Himmel schreiende Einseitigkeit Entrüstung hervorrufen muss.

Als eine dritte Position neben Anti-Pornografie und Anti-Zensur hat Nicola Döring auf eine pro-pornografische hingewiesen, die zur ethischen Bewertung von Pornografie Fragen der Produktion, Repräsentation und Rezeption in den Mittelpunkt stellen würde (vgl. Döring 2011 Pornografie-Kompetenz: Definition und Förderung, S. 234f). Nun haben sich aktuell zwei Autorinnen mit eher pop- und netzfeministischen Büchern über Pornos zu Wort gemeldet, die recht eindeutig jener letztgenannten Position zuzurechnen sind. Die sich selbst als Pornowissenschaftlerin und „Lustaktivistin“ bezeichnende Madita Oeming möchte gerne, dass Porno. Eine unverschämte Analyse ein „ähnlich augenöffnender Pornoerweckungsmoment“ (Oeming 2023, S, 12) für seine Leser*innen wird, wie es einst Moby[‘s] Dick für sie selbst gewesen sei. Der bei einer Literaturrecherche zufällige Fund von Moby Dick als Pornoinhalt hat die Kulturwissenschaftlerin schließlich veranlasst, ihr akademisches Schaffen den Porn Studies zu widmen und sie zu einer der gefragtesten Stimmen in Deutschland im öffentlichen Diskurs um Pornos werden lassen. In den sieben Kapiteln ihres Buches nimmt Oeming eine je andere Analyseperspektive auf Pornos ein, nämlich den gesellschaftlichen Umgang mit, die Erfindung von, die politischen Debatte über, die Panik vor, die Pathologisierung von und nicht zuletzt das Schauen der Pornos. Dabei merkt man der Autorin an, dass sie es zu schätzen weiß, sich in ihrer Publikation auf eine recht breite Quellenlage zu beziehen, dabei aber eher populärwissenschaftlich und immer wieder politisch äußern zu können. Für Oeming mangelt es außerdem im Hier und Heute ganz offensichtlich an einem adäquaten Umgang mit Pornografie. Ihr Buch lässt sich dabei als ein programmatischer Vorschlag verstehen, Pornos schlicht als Hilfen zur Erregung und „nicht mehr als soziale Gefahr, sondern als fiktionale Mediengattung, sexuelles Unterhaltungsangebot und lustbringende kulturelle Praxis“ (ebd., S. 219) zu betrachten. Zwar behandelt die auch als Sexualpädagogin tätige Autorin an einigen Stellen die möglicherweise negativen Auswirkungen von Pornografiekonsum, beispielsweise in Bezug auf Performancedruck und Körperbildern von Jugendlichen (vgl. ebd., S. 119), auch klammert sie Heterosexismus und sexuelle Gewalt nicht aus. Im Kern geht es ihr aber um eine Verteidigung des Pornos und eine Kritik an der die Jugendsexualität und die Lust am Pornoschauen skandalisierenden und emotionalisierenden Debatte der vergangenen vier Jahrzehnte. „Mein Ziel ist es“, so Oeming, „davon wegzukommen, Porno ausschließlich als soziales Problem, gar als Gefahr zu denken, sondern als gängige Alltagspraxis, als Unterhaltungsmedium, als Inszenierung sexueller Fantasien und im besten Falle sogar als Inspirationsquelle und Hilfsmittel sexueller Befreiung“ (ebd., S. 24). Wer sich bereits eingehender mit der wissenschaftlichen und sexualpädagogischen Literatur über Pornografie(konsum) beschäftigt hat, wird bei der Lektüre zwar auf wenig Neues stoßen, könnte sich aber dennoch von einigen von Oemings Analysevorschlägen inspirieren lassen. So können die Leser*innen zwar an ihrer Überzeugung von feministischen Pornografieformaten, die stereotype Geschlechterdarstellungen unterlaufen und die weibliche Sexualität in ihr Zentrum rücken, teilhaben, zu einer einseitigen Befürwortung dieses Subgenres lässt sie sich aber zugleich nicht hinreisen. Vielmehr bekräftigt Oeming das Anrüchige und Seltsame an Pornos und spricht sich gegen das Distinktionsgehabe einer „Zwei-Klassen-Pornogesellschaft“ (ebd., S. 84) aus, in der die alternativen Pornoproduzent*innen und ihre Nutzer*innen sich selbst gegenüber der Mainstreampornografie als wert- oder stilvoller erachten. Oemings Diktum einer unaufgeregten Pornobejahung könnte somit schlicht und ergreifend heißen: Pornos können Kunst sein, sie können bilden, verbinden und empowern, aber sie müssen es nicht und gelten häufig einfach nur der Masturbationsbegleitung. Dieses gelassene Plädoyer Oemings reagiert nicht zuletzt auch auf eine von ihr beobachtete, von christlich-fundamentalistischen, rechtskonservativen Netzwerken nicht unbeeinflusste, „Medikalisierung des Pornodiskurses“ (ebd., S. 135) in der jüngeren Vergangenheit. So leugnet die Autorin klinisch relevanten Leidensdruck im Sinne einer Sexualverhaltensstörung bspw. in Form von „zwanghaftem oder suchtähnlichem Pornokucken“ (ebd., S. 142; Hervorh. i. Orig.) nicht, weigert sich aber, sich mit jenen re-traditionalisierenden Kräften gemein zu machen, die die möglichen negativen Begleiterscheinungen von Pornos gegenwärtig politisch auszuschlachten versuchen. Frei von Bezügen auf die Gesundheit ist Porno. Eine unverschämte Analyse derweil aber nicht, schließlich kommt Oemings Argumentation nicht ohne reißerisch anmutende Masturbationsaufforderungen wie „Wichsen ist gesund!“ (ebd., S. 162) aus. Möglicherweise zeichnet sich hier eine immer stärkere Orientierung der Sexualpädagogik und der sogenannt sexpositiven Konzeptualisierungen auf die Herstellung „sexueller Gesundheit“ ab (hierzu kritisch Hartmann et al. 2024 ‚Übe dich im Genuss!‘. Zur Optimierung sexueller Lust in sexualpädagogischen Angeboten am Beispiel von lilli.ch). Die tendenzielle Reduktion von Pornografienutzung auf eine masturbatorische Lusttätigkeit und die verstärkte Aufmerksamkeit gegenüber dem im Porno manifest Dargestellten, Repräsentierten und Produzierten haben allerdings ihren Preis: Die mit den oberflächlichen Erscheinungen verwobene, unbewusste Dynamik aus Wünschen, Träumen und Konflikten, gerät so allzu schnell aus dem Blickfeld. Im Falle von Oemings Abhandlung einmal mehr, da sie psychoanalytischen Ansätzen dezidiert kritisch bis ablehnend gegenübersteht.[ 1 ] Ohne Psychoanalyse ist die Pornografie und ihre Nutzung dann vor allem relativ ungebrochen originell, entzückend und entspannend. Und sollte im Sinne der sexpositiven Pornowissenschaft vor allem unverschämt sein dürfen. Schuld und Scham sind aber psychische Konfliktlagen, die mit lustbejahender Pädagogik und Moral schlicht und ergreifend nicht bewerkstelligt werden können.



Publication History

Article published online:
11 June 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany