Psychiatr Prax 2025; 52(04): 184-185
DOI: 10.1055/a-2576-4496
Debatte: Pro & Kontra

Anti-Amyloid-Antikörper: Ein Meilenstein in der Behandlung der Alzheimer-Krankheit: Pro

Frank Jessen
 

Pro

Vor 120 Jahren identifizierte Alois Alzheimer die Amyloid-Plaques als eine Grundlage der Demenz bei der jungen Patientin Auguste Deter. 1976 postulierte der Neurologe Katzman, dass die seltene, früh beginnende Erkrankung, die Alzheimer beschrieben hatte, und die häufige Demenz im hohen Lebensalter neuropathologisch vergleichbare Erkrankungen sind [1]. In der Folge wurde gezeigt, dass alle monogen bedingten Alzheimer-Erkrankungen auf Mutationen in dem Gen für das Amyloid-Vorläuferprotein (APP) oder den das APP schneidenden Sekretasen Präsenlin 1 und 2 zurückzuführen sind. Diese Befunde führten zur Amyloid-Kaskaden-Hypothese der Alzheimer-Krankheit, die postuliert, dass aggregiertes Aß-Peptid der Startpunkt nachfolgender pathologischer Prozesse ist, die zu Neurodegeneration und Demenz führen [2]. 1999 konnte erstmals gezeigt werden, dass durch aktive Immunisierung die Amyloid-Plaques im Gehirn transgener Mäuse abgebaut werden [3]. Im Anschluss wurden Studien sowohl zu aktiven als auch zu passiven Anti-Amyloid-Immunbehandlungen bei Patienten mit Alzheimer-Demenz durchgeführt, die allerdings zunächst nicht die erwarteten klinischen Effekte zeigten. Als ein Grund hierfür wird angenommen, dass in den ersten Immunisierungsstudien Patienten mit leichter bis mittelschwerer Alzheimer-Demenz ohne Biomarkernachweis für Amyloid-Pathologie eingeschlossen wurden. Es ist bekannt, dass 10–30% der Patienten, die die klinischen Kriterien für einer Alzheimer-Demenz erfüllen, keine Alzheimer-Pathologie aufweisen. Ferner geht man heute davon aus, dass ein Behandlungsbeginn im Stadium der mittelgradigen Demenz für die Wirksamkeit einer Immuntherapie zu spät ist.

Die ersten überzeugenden Daten wurden mit den Antikörpern Lecanemab und Donanemab erreicht. In den entsprechenden Phase-3-Studien wurden Patienten mit leichter kognitiver Störung oder leichter Demenz und nachgewiesener Amyloid-Pathologie über 18 Monate behandelt. Beide Antikörper führten zu einer starken Reduktion der Amyloid-Plaques, zumeist bis unter die Nachweisgrenze, und im Vergleich zu Placebo zu einer Verzögerung des Fortschreitens der Symptome um ca. 30%. Der Übergang von einer leichten kognitiven Störung zur leichten Demenz oder von einer leichten Demenz zur mittelschweren Demenz wurde um ca. 35% reduziert. Als Nebenwirkung traten, insbesondere bei Trägern des Apolipoprotein-E4-Genotyps (APOE4), Amyloid Related Imaging Abnormalities (ARIA) in Form von Gewebswasserveränderungen oder Mikroblutungen im Gehirn auf, die mittels Magnetresonanztomografie (MRT) dargestellt werden können [4]. Die Therapie wird in Abhängigkeit von der Größe der Veränderungen und dem Auftreten hierdurch bedingter Symptome gegebenenfalls unterbrochen. Aus diesem Grund sind bei der Behandlung mit den Antikörpern mindestens 3 MRT im ersten Jahr erforderlich. In sehr seltenen Einzelfällen kam es zu tödlichen Blutungen, z.T. bei spezifischen Behandlungskonstellationen wie z. B. der Lysetherapie bei v. a. Schlaganfall.

Nutzen der Anti-Amyloid-Antikörper für den Einzelnen

Mit diesen Therapien stehen erstmals ursächlich wirksame Medikamente gegen die Alzheimer-Krankheit zur Verfügung. Erstmals kann eine signifikante Verzögerung des Krankheitsverlaufs erreicht werden. Eine aktuelle Übersichtsarbeit zeigt, dass die Effektgrößen und die Nebenwirkungsraten dieser Therapien vergleichbar sind mit Antikörpertherapien in anderen Indikationen wie onkologischen Erkrankungen, rheumatoider Arthritis oder Multiple Skerose [5]. Die primären Endpunkte der Studien messen die klinischen Kernsymptome der Demenz, nämlich die Abnahme von Kognition und Alltagsfunktionen. Studien mit Befragung von Patienten und Angehörigen zu Therapieeffekten zeigen, dass Kognition und Alltagsfunktion zu den von Patienten und Angehörigen am meisten gewünschten Zielsymptomen möglicher Therapien gehören [6]. Darüber hinaus konnte eine signifikante Überlegenheit der Therapien gegenüber Placebo auf die krankheitsbezogene Lebensqualität und die Angehörigenbelastung gezeigt werden [7]. Die Behandlung beginnt im klinischen Frühstadium der Krankheit, das durch einen hohen Grad an Autonomie und Selbstbestimmung gekennzeichnet ist, was den stabilisierenden Effekt aus der Perspektive der Betroffenen besonders wertvoll macht.


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Bedeutung für die Weiterentwicklung von Alzheimer-Therapien

Die beschriebenen Substanzen stellen die erste Generation kausal wirksamer Therapieansätze für die Alzheimer-Krankheit dar. Sie zeigen, dass Amyloid eine wichtige Rolle in der Pathophysiologie der Erkrankung spielt. Sie zeigen auch, dass zusätzliche Mechanismen relevant sind und adressiert werden müssen, um noch größere Stabilisierungseffekte zu erreichen. Derzeit befinden sich mehr als 120 Medikamente in klinischen Studien, von denen viele andere molekulare Ansatzpunkte als Amyloid haben, z. B. Tau-Pathologie, Entzündung oder synaptische Funktion [8]. In Zukunft werden wahrscheinlich Kombinationstherapien zum Standard der Behandlung der Alzheimer-Krankheit werden. Hier zeichnet sich eine Analogie zu z. B. onkologischen oder infektiologischen Erkrankungen ab, die ebenfalls in vielen Fällen mit komplexen Kombinationstherapien erfolgreicher behandelt werden als mit Monotherapien. Wichtig für das gesamte Feld ist, dass es ohne den Durchbruch in der Anti-Amyloid-Therapie möglicherweise in der Zukunft zu einem Nachlassen der Investitionen in die Alzheimer-Forschung gekommen wäre, was mittel- und langfristig erhebliche Nachteile für die Betroffenen mit sich gebracht hätte. Heute stehen wir dagegen am Anfang einer Entwicklung, die hoffen lässt, dass in Zukunft neurodegenerative Erkrankungen sehr früh diagnostiziert und wirksam stabilisiert werden können und damit der Schrecken, der heute mit ihnen verbunden ist, genommen werden kann.


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Prof. Dr. med. Frank Jessen

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Interessenkonflikt

Der Autor hat zwischen 2021 und 2025 Honorare für Beratung und Vorträge erhalten von: Abbvie, AC immune, Biogen, Eli Lilly, Eisai, GE Healthcare, Grifols, Janssen-Cliag und Roche Pharma sowie institutionelle Forschungsförderung von Roche Pharma und Roche Diagnostics.

  • Literatur

  • 1 Katzman R. Editorial: The prevalence and malignancy of Alzheimer disease. A major killer. Arch Neurol 1976; 33: 217-218
  • 2 Hardy JA, Higgins GA. Alzheimer’s disease: the amyloid cascade hypothesis. Science 1992; 256: 184-185
  • 3 Schenk D, Barbour R, Dunn W. et al. Immunization with amyloid-beta attenuates Alzheimer-disease-like pathology in the PDAPP mouse. Nature 1999; 400: 173-177
  • 4 Heneka MT, Morgan D, Jessen F. Passive anti-amyloid β immunotherapy in Alzheimer’s disease-opportunities and challenges. Lancet 2024; 404: 2198-2208
  • 5 Jicha GA, Abner EL, Coskun EP. et al. Perspectives on the clinical use of anti-amyloid therapy for the treatment of Alzheimer’s disease: Insights from the fields of cancer, rheumatology, and neurology. Alzheimers Dement (N Y) 2024; 10: e12500
  • 6 DiBenedetti DB, Slota C, Wronski SL. et al. Assessing what matters most to patients with or at risk for Alzheimer’s and care partners: a qualitative study evaluating symptoms, impacts, and outcomes. Alzheimers Res Ther 2020; 12: 90
  • 7 Cohen S, van Dyck CH, Gee M. et al. Lecanemab Clarity AD: Quality-of-Life Results from a Randomized, Double-Blind Phase 3 Trial in Early Alzheimer’s Disease. J Prev Alzheimers Dis 2023; 10: 771-777
  • 8 Cummings J, Zhou Y, Lee G. et al. Alzheimer’s disease drug development pipeline: 2024. Alzheimers Dement (N Y) 2024; 10: e12465

Korrespondenzadresse

Prof. Dr. med. Frank Jessen
Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie
Uniklinik Köln, Medizinische Fakultät
Kerpener Straße 62
50937 Köln
Deutschland   

Publication History

Article published online:
14 May 2025

© 2025. Thieme. All rights reserved.

Georg Thieme Verlag KG
Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany

  • Literatur

  • 1 Katzman R. Editorial: The prevalence and malignancy of Alzheimer disease. A major killer. Arch Neurol 1976; 33: 217-218
  • 2 Hardy JA, Higgins GA. Alzheimer’s disease: the amyloid cascade hypothesis. Science 1992; 256: 184-185
  • 3 Schenk D, Barbour R, Dunn W. et al. Immunization with amyloid-beta attenuates Alzheimer-disease-like pathology in the PDAPP mouse. Nature 1999; 400: 173-177
  • 4 Heneka MT, Morgan D, Jessen F. Passive anti-amyloid β immunotherapy in Alzheimer’s disease-opportunities and challenges. Lancet 2024; 404: 2198-2208
  • 5 Jicha GA, Abner EL, Coskun EP. et al. Perspectives on the clinical use of anti-amyloid therapy for the treatment of Alzheimer’s disease: Insights from the fields of cancer, rheumatology, and neurology. Alzheimers Dement (N Y) 2024; 10: e12500
  • 6 DiBenedetti DB, Slota C, Wronski SL. et al. Assessing what matters most to patients with or at risk for Alzheimer’s and care partners: a qualitative study evaluating symptoms, impacts, and outcomes. Alzheimers Res Ther 2020; 12: 90
  • 7 Cohen S, van Dyck CH, Gee M. et al. Lecanemab Clarity AD: Quality-of-Life Results from a Randomized, Double-Blind Phase 3 Trial in Early Alzheimer’s Disease. J Prev Alzheimers Dis 2023; 10: 771-777
  • 8 Cummings J, Zhou Y, Lee G. et al. Alzheimer’s disease drug development pipeline: 2024. Alzheimers Dement (N Y) 2024; 10: e12465

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