Schlüsselwörter Diabetes - schmerzhafte Neuropathie - therapierefraktär - Rückenmarkstimulation
Keywords Diabetes - painful neuropathy - treatment resistant - spinal cord stimulation
Einleitung
Im Jahr 2021 waren weltweit schätzungsweise 537 Millionen Menschen von einem Diabetes
mellitus betroffen und für das Jahr 2045 lauten die Schätzungen auf 783 Millionen,
wobei allerdings eine hohe Dunkelziffer besteht. So wussten 45% der Menschen mit Diabetes
im Alter von 20–79 Jahren nicht, dass sie daran erkrankt waren [1 ]. Unter dem Begriff „diabetische Neuropathie“ wird eine Vielzahl klinischer Manifestationen
am somatischen und/oder dem autonomen Nervensystem infolge des Diabetes mellitus unter
Ausschluss anderer Ursachen einer peripheren Neuropathie zusammengefasst. Die häufigste
und klinisch bedeutsamste Form ist die distal-symmetrische sensomotorische Polyneuropathie,
von der etwa jeder dritte Mensch mit Diabetes betroffen ist [2 ]
[3 ]. Aktuelle Daten weisen darauf hin, dass die diabetische sensomotorische Polyneuropathie
(DSPN) in der Praxis häufig unerkannt bleibt und nicht hinreichend therapiert wird
[2 ]
[4 ]. Dies gilt ungeachtet der Tatsache, dass neuropathische Defizite eindeutige Prädiktoren
für die Entstehung von neuropathischen Fußulzera darstellen, die ihrerseits für die
bei Menschen mit Diabetes massiv erhöhte Häufigkeit von Krankenhausaufenthalten, Pflegebedürftigkeit,
Arbeitsunfähigkeit und deren Kosten sowie für Amputationen an den unteren Extremitäten
verantwortlich sind [2 ]
[3 ]. Darüber hinaus sind sowohl die DSPN als auch diabetesbedingte neuropathische Schmerzen
als Prädiktoren für ein erhöhtes Mortalitätsrisiko anzusehen [5 ]
[6 ]
[7 ].
Epidemiologie, Klinik und Diagnostik
Epidemiologie, Klinik und Diagnostik
Eine einfache klinische Definition der DSPN für die Praxis ist das Vorliegen von Symptomen
und/oder Zeichen (in der Regel Defiziten) der peripheren Nervendysfunktion bei Menschen
mit Diabetes nach Ausschluss anderer Ursachen [2 ]. In Analogie zur allgemeinen Definition von chronischen peripheren neuropathischen
Schmerzen [8 ] kann die schmerzhafte DSPN definiert werden als chronische Schmerzen, die als direkte
Konsequenz einer Läsion oder von Erkrankungen am peripheren somatosensiblen System
bei Menschen mit Diabetes entstehen. Während die DSPN bei bis zur Hälfte der Betroffenen
asymptomatisch sein kann, beträgt die Prävalenz der schmerzhaften DSPN bei Diabetes
je nach Definition 13–26% [2 ]
[3 ]. Eine schmerzlose DSPN ist entweder asymptomatisch oder durch nicht-schmerzhafte
Symptome wie Parästhesien oder Taubheitsgefühl charakterisiert.
Das Risiko für DSPN steigt mit höherem Alter, zunehmender Diabetesdauer, unzureichender
Diabeteseinstellung, übermäßigem Alkoholkonsum, Rauchen und mangelnder körperlicher
Aktivität. Häufige Komorbiditäten sind diabetische Retino- und Nephropathie, Adipositas,
Hypertonie, periphere arterielle Verschlusskrankheit, Mediasklerose vom Typ Mönckeberg
und Depression [9 ]. Die DSPN ist keine Spät-, sondern Frühkomplikation des Diabetes, die bereits bei
Prädiabetes gehäuft auftritt, insbesondere bei gleichzeitigem Vorliegen einer gestörten
Glucosetoleranz (IGT) und Nüchternglukose (IFG) [10 ].
Typische neuropathische Symptome bei DSPN sind Schmerzen sowie nicht schmerzhafte
Symptome wie Parästhesien, Dysästhesien und Taubheitsgefühl vor allem in Füßen und
Unterschenkeln, motorisch stehen Muskelkrämpfe und eine Stolperneigung wegen Fußheberschwäche
im Vordergrund. Die DSPN manifestiert sich bevorzugt symmetrisch in den distalen Abschnitten
der unteren Extremitäten, seltener auch der oberen Extremitäten (strumpf- bzw. handschuhförmige
Verteilung). Häufig werden die Schmerzen als brennend („burning feet“), bohrend, einschießend,
krampfartig oder stechend (lanzinierend) typisiert. Charakteristisch ist die nächtliche
Exazerbation der Beschwerden sowie ihre Besserung beim Gehen. Schmerzen können auch
durch nicht-noxische Reize (z.B. Berührung) evoziert (Allodynie) oder durch noxische
Reize (z.B. Nadelstich) verstärkt werden (Hyperalgesie).
Die klinisch-neurologische Basisuntersuchung umfasst die allgemeine medizinische und
neurologische Anamnese, die Fußinspektion und -palpation zur Untersuchung der Trophik
und Durchblutung sowie die neurologische Untersuchung der Sensibilität mit Hilfe einfacher
semiquantitativer Bedside-Instrumente wie z.B. 10g-Semmes-Weinstein-Monofilament (Druck/Berührung),
Tiptherm (Temperatur semiquantitativ), C64 Hz Stimmgabel nach Rydel-Seiffer (Vibration),
Nadel (Schmerz) sowie des Lagesinns, der Muskelkraft und der Muskeleigenreflexe.
Neuropathische Schmerzen können mit Hilfe von Fragebögen wie dem DN-4 Interview verifiziert
werden, während Schmerzskalen der Quantifizierung der Schmerzstärke dienen. Im Allgemeinen
gilt ein Schmerzniveau von ≥4 Punkten auf der numerischen Rating-Skala (NRS) als klinisch
relevanter Indikator zur Schmerztherapie.
Nur selten bedarf es einer Diagnosesicherung durch Elektroneurografie (Goldstandard
für Funktionsprüfung der großen Fasern) und/oder Bestimmung der intraepidermalen Nervenfaserdichte
mittels Hautbiopsie (Goldstandard für Quantifizierung der kleinen Fasern) [2 ]
[3 ]
[9 ]
[11 ]
[12 ].
Therapie
Allgemeine Therapieprinzipen
Die Behandlung der DSPN umfasst drei Eckpfeiler im Sinne eines holistischen multimodalen
Konzeptes unter Berücksichtigung des individuellen Risikoprofils mit dem Ziel einer
dauerhaften Verbesserung der Lebensqualität:
kausale Therapie: optimale Diabeteseinstellung einschließlich Lebensstiländerung als
Basismaßnahme sowie multifaktorielle kardiovaskuläre Risikointervention,
pathogenetisch begründete Pharmakotherapie und
symptomatische pharmakologische und nicht-pharmakologische Therapie neuropathischer
Schmerzen.
Im Rahmen eines multimodalen Therapiekonzeptes erfordert die analgetische Pharmakotherapie
der schmerzhaften DSPN ein abgestuftes individualisiertes Vorgehen, wenn nötig als
Kombinationstherapie, unter Berücksichtigung von Wirkung, Nebenwirkungen und Komorbiditäten.
Die multimodale Schmerztherapie sollte nicht allein auf eine Schmerzlinderung abzielen,
sondern auch eine nachhaltige Verbesserung der Mobilität, Schlafqualität sowie der
allgemeinen Lebensqualität ermöglichen [11 ]
[13 ]
[14 ]. [Abb. 1 ] zeigt eine Consensus-Empfehlung für einen Algorithmus zur Therapieauswahl bei DSPN
in der Praxis [11 ].
Abb. 1 Consensus-Empfehlung eines Algorithmus zur Therapieauswahl bei DSPN in der Praxis.
Fußnoten/Abkürzungen: + Falls verfügbar. Verbessert auch Defizite/Beeinträchtigungen/Zeichen;
*nach Pop-Busui et al.; ** für mehr Details vgl. Abb. 4 (Algorithmus für analgetische
Kombinationen); CVD: kardiovaskuläre Erkrankungen; DSPN: diabetische sensomotorische
Polyneuropathie; eGFR: geschätzte glomeruläre Filtrationsrate; TSH: Thyreoidea-stimulierendes
Hormon. Quelle: https://www.diabetesresearchclinicalpractice.com/article/S0168–8227(21)00422–8/fulltext . DOI: 10.1016/j.diabres.2021.109063. Urheber: Dan Ziegler. CC BY 4.0, publiziert
unter der Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0 International. https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ . Übersetzt von: Dan Ziegler.
Kausale Therapie
Die Lebensstilmodifikation gilt allgemein als Basismaßnahme bei der Behandlung sowohl
des Diabetes als auch der DSPN. Bei Typ-1-Diabetes konnte insbesondere die DCCT/EDIC
Studie zeigen, dass eine langfristige Nahe-Normoglykämie das Risiko der Ausbildung
der DSPN senkt. Hingegen liegt für den Typ-2-Diabetes keine hinreichende Evidenz dafür
vor, dass das Risiko der Ausbildung und Progression durch eine intensive Diabetestherapie
bzw. multifaktorielle Risikointervention insgesamt langfristig verbessert wird [15 ].
Es besteht jedoch ein Konsens, dass bei allen Diabetestypen Risikofaktoren für die
Neuropathie (Rauchen, übermäßiger Alkoholkonsum) und assoziierte mikrovaskuläre Komplikationen
(Nephropathie, Retinopathie) sowie kardiovaskuläre Begleiterkrankungen und Risikofaktoren
(Hypertonie, Adipositas, Dyslipidämie) erfasst und konsequent behandelt werden müssen
[3 ]
[11 ]
[13 ]
[14 ]
[16 ] ([Abb. 1 ]).
Pathogenetisch begründete Therapie
Die pathogenetisch begründete Therapie soll gezielt in die Pathomechanismen der diabetischen
Neuropathie eingreifen und dadurch versuchen, neuropathische Defizite und Symptome
langfristig zu beheben. Hingegen zielt die symptomatische Schmerztherapie lediglich
auf eine Schmerzlinderung ab, ohne in den neuropathischen Prozess einzugreifen oder
die Nervenfunktion zu verbessern (s.u.) [11 ]
[15 ]
[16 ]. Die größte Verbreitung davon hat die antioxidative Therapie mit α-Liponsäure. Mehrere
Meta-Analysen zeigten, dass die antioxidative Therapie mit α-Liponsäure über 3 bzw.
5 Wochen mit 600 mg/Tag als intravenöse Infusion bzw. oral zu einem klinisch relevanten
Rückgang der neuropathischen Symptome wie Schmerzen, Parästhesien und Taubheitsgefühl
führt ([Abb. 1 ]). Als weitere Substanz kann Benfotiamin, ein fettlösliches Vitamin-B1-Derivat mit
deutlich höherer Resorption im Vergleich zu Thiamin, bei symptomatischer DSPN eingesetzt
werden [11 ]
[15 ]
[16 ].
Im Gegensatz zu Analgetika (s.u.) kommt der Einsatz von α-Liponsäure und Benfotiamin
auch bei schmerzloser DSPN zur Linderung von nicht-schmerzhaften Symptomen wie Parästhesien
und Taubheitsgefühl in Betracht ([Abb. 1 ]). Ein wesentlicher Vorteil beider Substanzen liegt in ihrer Nebenwirkungsarmut und
damit sehr gutem Sicherheitsprofil auch unter langfristiger Therapie [17 ]
[18 ]. Sie sind in Deutschland zugelassen, allerdings im Rahmen der gesetzlichen Krankenversicherung
als rezeptfreie Substanzen nicht erstattungsfähig.
Symptomatische Schmerztherapie
Die Pharmakotherapie der schmerzhaften DSPN umfasst im Wesentlichen Analgetika aus
der Gruppe der trizyklischen Antidepressiva (TZA) (bevorzugt Amitriptylin), Serotonin-Noradrenalin-Reuptake-Inhibitoren
(SNRI) (bevorzugt Duloxetin), Gabapentinoide (Pregabalin, Gabapentin), Opioide (Tramadol,
Oxycodon, Tapentadol) (Einzelsubstanzen mit stärkstem Evidenzgrad) sowie das Capsaicin
8%-Pflaster zur lokalen Anwendung, während die Evidenz zu Natriumkanalblockern und
Cannabinoiden insgesamt schwach ist [3 ]
[11 ]
[15 ]
[16 ].
Generell ist lediglich etwa bei der Hälfte der Patienten eine mindestens 50%ige durch
eine Einzelsubstanz bedingte Schmerzreduktion zu erwarten. Neben der begrenzten Wirksamkeit
erweisen sich nicht selten unerwünschte Arzneimittelwirkungen (UAW) (v.a. Schwindel,
Benommenheit, Müdigkeit, Somnolenz, Gewichtszunahme, gastrointestinale oder anticholinerge
UAW) als therapielimitierend. Darüber hinaus betrug die Therapiedauer in kontrollierten
Studien zur Wirksamkeit von Analgetika bei schmerzhafter DSPN nicht länger als 3 Monate,
sodass kaum Daten zur Langzeitanwendung verfügbar sind. Diese insgesamt unbefriedigende
Situation wird zusätzlich durch die heterogene Evidenzlage zur Wirksamkeit und deren
zum Teil widersprüchliche Beurteilung durch systematische Reviews und Meta-Analysen
erschwert [19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ].
Eine systemische Pharmakotherapie sollte in regelmäßigen Abständen, z.B. alle drei
bis sechs Monate, kritisch reflektiert werden.
Systematische Reviews
Die Evidenzstärken für die Pharmakotherapie der schmerzhaften diabetischen Neuropathie
aus systematischen Reviews zeigt [Abb. 2 ]. Der SNRI Duloxetin wird sehr homogen mit guter/mittlerer Evidenzstärke beurteilt
[19 ]
[20 ]
[21 ]
[22 ]
[23 ]
[24 ], während Pregabalin, trizyklische Antidepressiva und Tramadol in zwei systematischen
Reviews mit niedriger Evidenzstärke bewertet werden [20 ]
[21 ]. Uneinigkeit besteht über die Evidenzstärke von Natruimkanalblockern, Gabapentin
und Opioiden (gut/mittel bis ineffektiv).
Abb. 2 Evidenzstärken aus systematischen Reviews zur Pharmakotherapie der schmerzhaften diabetischen
Neuropathie (19–24). Daten nach: [15 ]. * ≥50% Schmerzreduktion vs Placebo; AHRQ: Agency for Healthcare Research and Quality.
Der SNRI Venlafaxin wird zwar mit einer Ausnahme positiv beurteilt, ist aber für diese
Indikation nicht zugelassen. Capsaicin (selektiver Agonist für den TRPV1-[Transient
Receptor Potential Vanilloid 1] Rezeptor) als 8%-Pflaster und α-Liponsäure werden
jeweils nur in einem Review mit niedriger Evidenzstärke bewertet [21 ]
[23 ].
Eine Verordnung von Cannabinoiden (z.B. Dronabinol, Tetrahydrocannabinol/Cannabidiol
(THC/CBD)-Spray, Nabilon) zu Lasten der gesetzlichen Krankenkassen ist bei Patienten
mit schwerwiegenden Erkrankungen und bei fehlenden Therapiealternativen möglich. Ein
Cochrane-Review kam jedoch zu dem Schluss, dass es für Cannabis-abgeleitete Produkte
bei jeglichen chronischen neuropathischen Schmerzen an guter Evidenz mangelt [25 ].
Leitlinienempfehlungen
Die Empfehlungen der aktuellen internationalen Leitlinien zur Pharmakotherapie der
schmerzhaften DSPN zeigt [Abb. 3 ]
[3 ]
[14 ]
[26 ]
[27 ]
[28 ]. In gewissem Gegensatz zu den systematischen Reviews ([Abb. 2 ]) werden TZA, SNRI und Gabapentinoide stets als Mittel der ersten Wahl eingestuft,
mit Ausnahme der kanadischen Leitlinie [27 ], in welcher dies nur für Pregabalin gilt. Starke Opioide werden als Mittel der 2.
oder 3. Wahl bewertet.
Abb. 3 Leitlinienempfehlungen zur Pharmakotherapie der schmerzhaften diabetischen Neuropathie.
Daten nach: [11 ]
[15 ]. * intravenös ohne Empfehlungsgrad; § Valproat nicht empfohlen; + nur Valproat empfohlen;
# Oxycodon NR (normal-release).
Die Leitlinie zur Langzeitanwendung von Opioiden bei nichttumorbedingten Schmerzen
(LONTS) [29 ]
[30 ] formulierte die Leitsätze zur Anwendung von Opioiden u.a. bei schmerzhafter DSPN.
Opioidhaltige Analgetika werden als Option in der kurzfristigen Therapie (4–12 Wochen)
angesehen, während von einer Langzeittherapie (≥26 Wochen) nur ca. 25% der Patienten
profitieren. Um die möglichen Risiken einer Therapie mit opioidhaltigen Analgetika
zu minimieren (missbräuchliche Verwendung, sexuelle Störungen, erhöhte Mortalität),
müssen die Wirksamkeit und Nebenwirkungen regelmäßig überprüft werden.
Die Nationale VersorgungsLeitlinie (NVL) Neuropathie bei Diabetes im Erwachsenenalter
formulierte folgende Leitsätze und realistische Ziele der Pharmakotherapie bei schmerzhafter
DSPN [13 ]:
Die Therapie der schmerzhaften DSPN ist symptomatisch, nicht ursächlich.
Die medikamentöse Therapie chronischer neuropathischer Schmerzen bei Diabetes mellitus
sollte möglichst früh beginnen.
Die Schmerztherapie sollte nicht allein eine Schmerzlinderung, sondern auch eine Verbesserung
der Schlafqualität, der Mobilität und der allgemeinen Lebensqualität ermöglichen.
Die Wahl des Medikaments richtet sich nach der Wirksamkeit und den Risiken der Substanzen.
Bei gleicher analgetischer Wirksamkeit sollten Medikamente bevorzugt werden, deren
Organtoxizität und insbesondere deren Risiko für kardiovaskuläre und renale Nebenwirkungen
am niedrigsten sind.
Die Wirksamkeit ist individuell zu erproben.
Die erforderliche Dosis ist bei Beachtung der zugelassenen Höchstdosen individuell
zu titrieren. Es ist die minimale, aber wirksame Dosis anzustreben.
Die Wirksamkeit einer Pharmakotherapie sollte bei adäquater Dosis frühestens nach
zwei Wochen beurteilt werden. Analgetisch unwirksame Medikamente sollten nicht weiter
verschrieben werden.
Analgetika-Kombinationen sind nur empfehlenswert, wenn sie individuell die Wirksamkeit
verbessern und/oder das Risiko durch eine Dosisreduktion der Einzelkomponenten verringert
wird.
Psychopharmaka ohne analgetische Potenz sind für die Schmerztherapie nicht indiziert.
Kombinationspräparate mit Koffein, Benzodiazepinen oder Muskelrelaxantien sind nicht
indiziert und bergen die Gefahr von Missbrauch und Abhängigkeit.
Substanzen mit renalen und kardiovaskulären Langzeitrisiken (z.B. NSAID, Coxibe) sind
bei der Therapie neuropathischer Schmerzen zu vermeiden.
Als realistische Ziele einer medikamentösen Therapie bei neuropathischen Schmerzen
sind in der Regel anzustreben [13 ]:
Eine Schmerzreduktion um 30–50% auf der 11-Punkte visuellen Analogskala (VAS) oder
der Numerischen Ratingskala (NRS)
Eine Verbesserung des Schlafes
Eine Verbesserung der Lebensqualität
Die Erhaltung sozialer Aktivitäten und der sozialen Teilhabe
Die Erhaltung der Arbeitsfähigkeit
Analgetische Kombinationstherapie
Obwohl nur wenige Daten zur Kombinationstherapie vorliegen [31 ]
[32 ], werden in der Praxis häufig Kombinationen verschiedener Substanzklassen bei therapierefraktären
Schmerzen verwendet, insbesondere wenn die Monotherapie (bei maximal tolerierter Dosis)
nur zu einem partiellen Schmerzrückgang (<30%) geführt hat. Die Consensus-Empfehlung
für einen Algorithmus zur Therapieauswahl bei schmerzhafter DSPN in der Praxis unter
Berücksichtigung der vorliegenden Evidenz zeigt [Abb. 4 ]
[11 ].
Abb. 4 Consensus-Empfehlung eines Algorithmus zur Therapieauswahl bei schmerzhafter DSPN
in der Praxis. Fußnoten/Abkürzungen: * Pathogenetisch orientierte Behandlungsansätze
können ebenfalls in Betracht gezogen werden; DSPN: diabetische sensomotorische Polyneuropathie;
TCA: trizyklische Antidepressiva; SNRI: Serotonin- und Noradrenalin-Wiederaufnahme-Hemmer;
TENS: transkutane elektrische Nervenstimulation; FREMS: Frequenz-modulierte elektromagnetische
Nervenstimulation; + Möglichst nur zur Kurzzeitanwendung. Quelle: https://www.diabetesresearchclinicalpractice.com/article/S0168–8227(21)00422–8/fulltext . DOI: 10.1016/j.diabres.2021.109063. Urheber: Dan Ziegler. CC BY 4.0, publiziert
unter der Creative Commons-Lizenz CC BY 4.0 International. https://creativecommons.org/licenses/by/4.0/ . Übersetzt von: Dan Ziegler.
Nicht-pharmakologische Therapie
Nicht-pharmakologische Therapieoptionen wie die transkutane elektrische Nervenstimulation
(TENS) bzw. Muskelstimulation (sog. Hochtontherapie) oder Physiotherapie sollten stets
im Sinne einer multimodalen Schmerztherapie mitberücksichtigt werden, da sie praktisch
frei von Nebenwirkungen sind. Allerdings ist der Evidenzgrad im Vergleich zur Pharmakotherapie
als deutlich niedriger zu bewerten [33 ]
[34 ]
[35 ]
[36 ]
[37 ]
[38 ]. Aufgrund der vielfältigen Wechselbeziehungen zwischen Diabetes und Depression sowie
Schmerzen und Depression ist die Notwendigkeit einer psychologischen Unterstützung
der Patienten stets zu überprüfen.
Bei Patienten mit Pharmakotherapie-refraktärer schmerzhafter DSPN kommt der epiduralen
Rückenmarkstimulation (engl. Spinal Cord Stimulation [SCS]) eine besondere Bedeutung
zu (siehe Kapitel 4 und 5). Die SCS kann dazu dienen, die Versorgungslücke für diese
stark belasteten Patienten zu schließen.
Definition von therapierefraktärem Schmerz bei schmerzhafter DSPN
Definition von therapierefraktärem Schmerz bei schmerzhafter DSPN
Entwicklung von chronischen Schmerzen
Schätzungen zur Prävalenz chronischer Schmerzen sprechen von ca. 19% der erwachsenen
Bevölkerung in Europa und den USA, und 40% davon berichten über eine unzureichende
Schmerzlinderung [39 ]. Die Prävalenz von Depressionen ist bei Menschen mit chronischen Schmerzen mehr
als doppelt so hoch wie in der Normalbevölkerung [40 ]. Es ist noch unbekannt, warum manche Menschen, die derselben Krankheit, demselben
Trauma oder derselben Operation ausgesetzt waren, chronische Schmerzen entwickeln,
während andere sich erholen.
In einer multivariaten Analyse unter Verwendung eines großen Datensatzes der britischen
Biobank, an dem über 493000 beim britischen National Health Service registrierte Personen
beteiligt waren, wurden schlechter Schlaf, Niedergeschlagenheit, Müdigkeit, Stress
und ein höherer Body-Mass-Index als die wichtigsten Risikofaktoren für die Entwicklung
von lokalisierten zu ausgedehnten Schmerzen und von akuten zu chronischen Schmerzen
identifiziert [41 ]. Diese gemeinsamen biopsychosozialen Faktoren waren völlig unabhängig von der den
Schmerzen zugrunde liegenden Erkrankung. Neuropathische Schmerzen, wie bei schmerzhafter
DSPN, sind oft primär chronisch, da die zugrunde liegende Läsion des Nervensystems
nicht heilen kann. Dennoch können o.g. Faktoren hilfreich sein, um Therapierefraktärität
bei schmerzhafter DSPN zu verstehen.
Wann ist ein chronischer neuropathischer Schmerz therapierefraktär?
Chronisch neuropathischer Schmerz wird als therapierefraktär betrachtet, wenn trotz
angemessener Therapie keine ausreichende Schmerzlinderung erreicht wird. Dies kann
eine Kombination aus pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Ansätzen umfassen.
Die Prävalenz von therapierefraktären chronischen neuropathischen Schmerzen ist nicht
hinreichend bekannt. Entsprechend einer Definition einer Gruppe von internationalen
Experten wurde geschätzt, dass bei 5% der Patienten mit möglichen neuropathischen
Schmerzen diese therapierefraktär waren [42 ]. Allerdings wird angenommen, dass auf Bevölkerungsebene mit einer ungleich höheren
Anzahl von Patienten mit persistierenden neuropathischen Schmerzen, die nicht bzw.
untertherapiert sind, zu rechnen ist. Bevor solche Patienten keiner adäquaten Therapie
zugeführt werden, wird sich der tatsächliche Anteil von therapierefraktären neuropathischen
Schmerzen nicht bestimmen lassen [42 ].
Weder für neuropathische Schmerzen im Allgemeinen noch für die schmerzhafte DSPN im
Besonderen existieren generell anerkannte Definitionen für therapierefraktären Schmerz.
Die meisten Definitionen von therapierefraktärem Schmerz wurden für Studien mit neuen
Pharmaka (z.B. Cannabinoide, Ketamin) [43 ]
[44 ] oder interventionellen Therapieverfahren entwickelt [45 ], sodass bei der Definition die jeweilige Intention zu beachten ist. Meist wird von
therapierefraktärem Schmerz gesprochen, wenn pharmakologische Mittel der ersten und
zweiten Wahl entsprechend aktuellen Leitlinien oder Metaanalysen verwendet wurden,
ohne dass eine relevante Verbesserung erzielt wurde. Die Pharmakotherapieversuche
müssen eine angemessene Dosis und Dauer (z.B. ≥3 Monate) gehabt haben und die Kriterien
für unzureichende Schmerzlinderung (z.B. <30% Verbesserung der Schmerzwerte) müssen
definiert werden. Darüber hinaus können Schmerzen aufgrund unerträglicher Nebenwirkungen,
die zu einer unzureichenden Dosierung führen oder einen Abbruch der Behandlung erforderlich
machen, als refraktär definiert werden [45 ].
Eine für epidemiologische Zwecke entwickelte Definition pharmakoresistenter neuropathischer
Schmerzen beinhaltet einen Behandlungsversuch mit mindestens vier Medikamenten, deren
Wirksamkeit bei neuropathischen Schmerzen belegt ist. Jedes dieser Medikamente sollte
mindestens drei Monate lang ausprobiert worden sein oder bis Nebenwirkungen eine angemessene
Dosierung verhindern. Wenn sich trotz der oben genannten Behandlung die Schmerzintensität
um weniger als 30% verringert oder auf einem Niveau von mindestens 5 auf einer Skala
von 0–10 bleibt oder der Schmerz weiterhin zu einer schlechten Lebensqualität beiträgt,
wird von Pharmakoresistenz gesprochen [39 ]. Entsprechend dem Scottish Medicines Consortium wurden Patienten mit refraktären
neuropathischen Schmerzen allgemein als diejenigen definiert, die unter konventionellen
Mitteln der ersten und zweiten Wahl keine adäquate Schmerzlinderung erreicht oder
diese nicht toleriert haben [46 ]. Komplexere Definitionen von refraktären neuropathischen Schmerzen, die für klinische
Studien entwickelt wurden, erfordern eine Schmerzdauer von 6 Monaten, Schmerzstärke
von ≥40 mm (von 100) auf der VAS, intolerable UAW und/oder mindestens 2 Wochen Therapie
mit der empfohlenen Minimaldosis für jede Substanz [47 ].
Eine italienische Arbeitsgruppe definierte pharmakoresistenten neuropathischen Schmerz
noch etwas präziser: „keine 50%ige Schmerzreduktion oder Verbesserung um mindestens
2 Punkte auf der Schmerzskala von 0–10 nach Anwendung aller Medikamentenklassen der
ersten, zweiten oder dritten Linie gemäß internationaler Leitlinien, unter Anwendung
für mindestens einen Monat nach der Titration auf die höchste tolerierbare Dosis.“
[48 ]. Viele Autoren fordern zusätzlich zur Pharmakoresistenz noch einen Therapieversuch
mit multimodalen, auf dem bio-psychosozialen Schmerzmodell basierenden Verfahren,
bevor von Therapierefraktärität gesprochen werden darf [49 ]. Bei all diesen Definitionen ist zu beachten, dass eine Beobachtung der Therapierefraktärität
über eine längere Zeit als 3 Monate ggf. selbst über Chronifizierungsvorgänge die
Prognose verschlechtern kann. Die Patienten sollten so früh wie möglich, spätestens
nach 9 Monaten mit frustraner Therapie in einem spezialisierten Zentrum vorgestellt
werden.
Kognitiv-affektive und soziale Einflüsse
Psychologische Faktoren wie Depression, Angst und kognitive Veränderungen können die
Wahrnehmung von Schmerz verstärken und die Therapierefraktärität beeinflussen. Soziale
Einflüsse, wie soziale Isolation und familiäre Unterstützung, spielen ebenfalls eine
Rolle. Das Fear-Avoidance Modell (Angst–Vermeidung) erklärt wie Schmerzen durch Vermeidung
und Hypervigilanz chronisch werden können. Neuere Konzepte ergänzen das Fear-Avoidance
Modell durch assoziatives Lernen, Motivation und Emotionsregulation [50 ]. Ein Modell postuliert, dass inadäquate Emotionsregulation über noziplastische Prozesse
chronischen Schmerz konsolidiert [51 ]. Obwohl generell angenommen wird, dass negativer Affekt mit verstärkter Schmerzwahrnehmung
assoziiert ist, konnten neuere Studien mittels Ecological momentary assessment (EMA)
zeigen, dass es auch hier große individuelle Unterschiede gibt [52 ]. Von den emotionalen Faktoren ist am besten die Rolle des „Katastrophisierens“,
d.h. einer übertrieben negativen Schmerzwahrnehmung, untersucht. Dieses spiegelt sich
in der Aktivität von Gehirnregionen wider, die mit an der Schmerzverarbeitung, der
Aufmerksamkeit für Schmerzen, Emotionen und Motorik beteiligt sind und bewirkt einen
verminderte zentrale Schmerzhemmung [53 ].
Soziale Unterstützung ist mit weniger Depressionen, Angstzuständen und schmerzbedingtem
Stress verbunden. Es gibt jedoch nur begrenzte Forschungsergebnisse, die den Längsschnittzusammenhang
zwischen sozialer Unterstützung und emotionalem Stress bei Personen mit chronischen
Schmerzen untersucht haben. Auch müssen Geschlecht, Demografie und Art der sozialen
Interaktion beachtet werden [54 ].
Neurobiologische Faktoren der Therapierefraktärität/maladaptive Netzwerke
Die Neurobiologie von therapierefraktärem Schmerz ist komplex und umfasst Veränderungen
in den Schmerzverarbeitungszentren des Gehirns, einschließlich des limbischen Systems
und des präfrontalen Kortex. Ein Merkmal ist die veränderte Kommunikation zwischen
Gehirnbereichen, die an der Verarbeitung von Schmerzsignalen und der Modulation der
damit verbundenen Schmerzwahrnehmung beteiligt sind, was sich in einer dysfunktionalen
Konnektivität der rechten anterioren Insula zeigt [55 ]. Maladaptive neuronale Netzwerke entstehen durch wiederholte Schmerzreize und können
zu einer anhaltenden Überempfindlichkeit des Nervensystems führen. Die Plastizität
des Gehirns, die dazu dient, sich an Schmerz anzupassen, kann in diesen Fällen kontraproduktiv
werden und zu einer verstärkten Schmerzwahrnehmung und verminderten Schmerzhemmung
führen, was die Effektivität von Standardtherapien beeinträchtigen kann [56 ].
Solche maladaptiven Netzwerke können eine langfristige Schmerzchronifizierung fördern
und sind oft schwer aufzubrechen [57 ]. Zusätzlich spielen Neurotransmitter eine wichtige Rolle. Eine gesteigerte Freisetzung
von Substanzen wie Glutamat und Substanz P kann zu einer verstärkten Schmerzübertragung
beitragen. Dieser neurochemische Ungleichgewichtszustand erschwert die Kontrolle des
Schmerzes u.a. über pathologische Netzwerke im anterioren zingulären Kortex [57 ]. Solche maladaptiven Phänomene wurden auch bei schmerzhafter DSPN gezeigt (siehe
[58 ] für Review).
Therapierefraktärität bei schmerzhafter DSPN
Etwa die Hälfte aller Patienten mit schmerzhafter DSPN in den USA, denen Gabapentin,
Pregabalin oder Duloxetin verordnet worden war, setzen diese innerhalb von drei Monaten
wegen fehlender Wirkung oder unerwünschter Wirkungen ab [59 ]. [Abb. 5 ] zeigt einen Algorithmus zur Identifizierung der Schlüsselfaktoren, die auf das Vorhandensein
einer refraktären schmerzhaften DSPN hinweisen [60 ].
Abb. 5 Schlüsselfaktoren, die auf das Vorhandensein einer refraktären schmerzhaften DSPN
hinweisen. Daten nach: [60 ].
Aktuelle Forschung konzentriert sich auf die Entwicklung personalisierter Therapien.
Dies beinhaltet möglicherweise den Nachweis von Biomarkern, um Patienten zu identifizieren,
die wahrscheinlich eine Therapierefraktärität entwickeln, sowie die Anpassung von
Therapieplänen basierend auf individuellen neurobiologischen Profilen. Psychologische
Interventionen, wie kognitive Verhaltenstherapie, können auch einen positiven Einfluss
haben, indem sie maladaptive Denkmuster und Emotionen, die den Schmerz verstärken,
adressieren. Zusätzlich werden innovative Technologien, wie neuromodulatorische Ansätze
und Neurostimulation, als vielversprechende Optionen erforscht. Diese Ansätze zielen
darauf ab, die neurobiologischen Prozesse direkt zu modulieren.
Therapie der schmerzhaften DSPN mittels epiduraler Rückenmarkstimulation
Therapie der schmerzhaften DSPN mittels epiduraler Rückenmarkstimulation
Einleitung, Historie und Literaturübersicht
Die epidurale Rückenmarkstimulation wird weltweit seit Jahrzehnten erfolgreich zur
Behandlung von chronischen Schmerzen unterschiedlicher Ursache eingesetzt [61 ]. Im deutschen Gesundheitswesen ist die Methode seit mehr als 20 Jahren im Operationen-
und Prozedurenschlüssel (OPS) repräsentiert und kann sowohl als stationäre als auch
ambulante Prozedur durchgeführt werden.
In den letzten Jahren sind bedeutende Fortschritte in der Technologie der SCS-Implantate
zu verzeichnen, die diese Therapie vereinfacht und verbessert haben. Hierbei spielen
u.a. die Entwicklung der Hardware (z.B. Größe der implantierbaren Neurostimulatoren),
die Art der Energiequelle (z.B. wiederaufladbare Stimulatoren) oder die MRT-Tauglichkeit
eine Rolle. Mit der technischen Weiterentwicklung steht bei einigen Stimulatoren auch
die Option zur Verfügung, eine Vielzahl von verschiedenen Stimulationsarten nutzen
zu können, sodass hier auch niederfrequente und hochfrequente Stimulationsformen kombiniert
werden können [62 ].
Die Wirkungsweise der SCS bezog sich viele Jahre auf die sogenannte „Gate-Control-Theorie“.
Diese besagt, dass im hinteren (dorsalen) Abschnitt des Rückenmarks die eingehenden
Reize aus der Peripherie moduliert werden, bevor sie an das Gehirn weitergeleitet
werden. Ein gestörtes Zusammenspiel von verstärkenden und dämpfenden Nervenfunktionen
ist demnach bei der Entstehung von Schmerz involviert und die Schmerzwahrnehmung kann
von außen durch Reize (z.B. taktile Stimuli) beeinflusst werden [63 ]. Inzwischen geht man davon aus, dass es durch die SCS neben der vermehrten Ausschüttung
von verschiedenen Neurotransmittern auf Ebene des Rückenmarks auch zu einer Modulation
von kortikalen und subkortikalen Schmerzzentren kommt [64 ].
Im Rahmen dieser Consensus-Empfehlung wird aufgrund unzureichender Datenlage nicht
auf die dorsale Spinalganglienstimulation bei schmerzhafter DSPN eingegangen.
Die Behandlung der schmerzhaften DSPN mittels SCS wird seit vielen Jahren bei entsprechender
engmaschiger Indikationsstellung durchgeführt. Dabei lassen sich derzeit im Wesentlichen
zwei Stimulationsarten unterscheiden:
die niederfrequente Rückenmarkstimulation (tonische Rückenmarkstimulation – tSCS)
mit 50–100 Hertz,
die hochfrequente Rückenmarkstimulation (hfSCS) mit 10.000 Hertz (10kHz).
Indikationsstellung und präoperative Vorbereitung
Die SCS wird zur Behandlung von Patienten mit chronischen, refraktären, Schmerzsyndromen
empfohlen, wenn konservative, interdisziplinäre Therapieformen nicht zu einer effektiven
Schmerzlinderung geführt haben und/oder die medikamentöse Behandlung mit schweren,
intolerablen Nebenwirkungen einhergeht. Die detaillierte und nachvollziehbare Dokumentation
der Vorbehandlungen, Medikamentendosierungen, stationären Aufenthalte etc. sind zwingend
notwendig. Darüber hinaus sollten für die Therapieplanung, Verlaufsbeurteilung, Objektivierung
und Dokumentation im Rahmen der Qualitätssicherung digitale Schmerz-Tagesprotokolle,
standardisierte Fragebögen (z.B. Deutscher Schmerzfragebogen der DGS) und ein Verlaufsfragebogen
eingesetzt werden (z.B.: www.schmerzgesellschaft.de/schmerzfragebogen ).
Eine multimodale Schmerztherapie inklusive eines psychologischen Screenings zur Beurteilung
von psychopathologischen Komorbiditäten sollte durchgeführt worden sein. Die „International Association for the Study of Pain (IASP)“ definiert multimodale Behandlung als „die gleichzeitige Anwendung separater
therapeutischer Interventionen mit unterschiedlichen Wirkmechanismen, die auf unterschiedliche
Schmerzentstehungsmechanismen abzielen“ [65 ]. Dementsprechend sollen Patienten mit chronischen Schmerzsyndromen vor einer invasiven
Behandlung eine leitliniengerechte analgetische Pharmakotherapie erhalten. Eine spezifische
schmerzpsychotherapeutische Begleitbehandlung wird empfohlen. Insgesamt sollte die
SCS in das individuelle Gesamt-Behandlungskonzept des Patienten eingebunden sein und
eine umfangreiche interdisziplinäre Kommunikation aller Therapeuten ist essenziell.
Indikationen:
Chronischer postoperativer Wirbelsäulenschmerz (Persistent Spinal Pain Syndrome (PSPS)
Typ II, ehemals Failed Back Surgery Syndrome (FBSS))
Komplexes regionales Schmerzsyndrom (Complex Regional Pain Syndrome (CRPS I/II))
Phantom-/Stumpfschmerzen
Schmerzhafte diabetische Polyneuropathie
Refraktäre Angina pectoris
Ischämieschmerzen bei peripherer arterieller Verschlusskrankheit (pAVK), Raynaud-Syndrom,
Thrombangiitis obliterans, etc.
Chronische neuropathische Schmerzen nach Nervenläsionen (z.B. postop. Leistenschmerz,
Post-Thorakotomie-Syndrom, etc.)
Vor der invasiven Prozedur einer Rückenmarkstimulation müssen generelle Kontraindikationen
für eine operative Behandlung und Fremdkörper-Implantation geprüft und ausgeschlossen
werden. Eine individuelle Abwägung des Risikos und des zu erwartenden Nutzens für
den Patienten sollte vorgenommen werden.
Kontraindikationen:
Koagulopathie, Immunsuppression oder andere internistische Erkrankungen, die mit einem
inakzeptablen chirurgischen Risiko verbunden sind
Therapie mit Antikoagulanzien oder Thrombozytenaggregationshemmern
Lokale oder systemische Infektion
Fortgeschrittene, aktive maligne Erkrankung mit stark verkürzter Lebenserwartung
Kardiale Erkrankung mit inakzeptabel erhöhtem Narkoserisiko
Schwangerschaft
Aktive und unbehandelte Substanzmissbrauchsstörung
Unbehandelte schwerwiegende psychiatrische Komorbidität
Eingeschränkte Compliance z.B. im Rahmen eines laufenden Rentenverfahrens
Im Vorfeld der Operation sollten die Patienten-spezifischen Risikofaktoren und Ein-
bzw. Ausschlusskriterien zur Therapie anhand einer detaillierten Checkliste überprüft
werden (z.B. auch „Surgical Safety Checklist“ der WHO). Eine präoperative Bildgebung
mittels MRT oder CT des betroffenen Wirbelsäulenabschnitts sollte vorliegen (nicht
älter als 6 Monate). Die präoperative Planung der Elektrodenimplantation beinhaltet
auch die Beurteilung der individuellen Anatomie des Patienten, als Beispiel seien
hier eine massive Adipositas oder vorangegangene Wirbelsäulen-Operationen erwähnt.
Unter Berücksichtigung der Komorbiditäten und Kontextfaktoren sollte der weitere Ablauf
als ambulante Prozedur oder als ein stationärer Krankenhausaufenthalt geplant werden.
Das SCS-Verfahren erfordert eine schriftliche Einwilligung des Patienten, die im Rahmen
einer ausführlichen Beratung und nach Bedenkzeit des Patienten eingeholt und dokumentiert
wird.
Zumeist wird ein zweizeitiges Vorgehen favorisiert. Dies bedeutet das zunächst als
erster Schritt eine oder zwei Elektroden zur SCS implantiert werden und sich dann
eine Testphase mit einem externen Test-Stimulator anschließt. Nach erfolgreicher Testphase
kann dann die Implantation eines Neurostimulators zur dauerhaften Therapie erfolgen
(siehe unten).
SCS-Operationsablauf und Testung der Therapie
Die operative Anlage von Elektroden zur epiduralen Rückenmarkstimulation sollte in
einem Operationssaal der Reinraumklasse 1a durchgeführt werden. Die perioperative
intravenöse Gabe eines Antibiotikums wird empfohlen, eine eindeutige Evidenz hierfür
gibt es nicht.
Die Implantation von temporären oder permanenten Stabelektroden erfolgt in Bauch-
oder Seitenlagerung. Bei hfSCS kann die Elektrodenanlage nach radiologisch-anatomischen
Kriterien in Vollnarkose erfolgen und es werden zwei perkutane Stabelektroden leicht
Lage-versetzt in Höhe des 8. bis 10. Brustwirbelkörpers rechts und links parasagittal
epidural dorsal implantiert [66 ]. Bei tSCS erfolgt die Anlage in Lokalanästhesie oder intravenöser Analgosedierung.
In diesen Fällen kann eine intraoperative Testung zur Optimierung der Elektrodenlage
mit Hilfe der Patientenangaben zu evozierten Parästhesien für die Parästhesieabdeckung
des Schmerzareals erfolgen. Die offene chirurgische Implantation von Plattenelektroden
erfolgt in der Regel in Intubationsnarkose und Bauchlagerung über eine erweiterte
interlaminäre Fensterung oder Hemilaminektomie.
In jedem Fall sollte eine intraoperative Fluoroskopie, nach Möglichkeit auch in 2
Durchleuchtungs-Ebenen (Strahlengang anterior-posterior und lateral), zur Elektrodenpositionierung
verwendet werden. Bei einer schmerzhaften DSPN werden zwei perkutane Stabelektroden
bilateral empfohlen.
Ist die korrekte Lage gesichert erfolgt eine Wundinzision um die liegenden Kanülen
der perkutanen Punktion und die Darstellung der Fascia thoracolumbalis mit Bildung
einer lokalen subkutanen Tasche. Unter fluoroskopischer Sicht können nun die Kanülen
entfernt werden, auf die Beibehaltung der korrekten anatomisch-radiologischen Position
der Elektroden sollte geachtet werden. Eine digitale Dokumentation der intraoperativen
Röntgenaufnahmen ist empfehlenswert.
Im Anschluss erfolgt dann die Fixierung der Elektroden an der Fascia thoracolumbalis.
Hierfür stehen verschiedene, Hersteller-spezifische, Fixationshilfen zur Verfügung.
Bei Implantation von permanenten Elektroden kann eine Verbindung an temporäre Extensionen
erfolgen, welche dann perkutan nach lateral ausgeleitet und mit einem Teststimulator
verbunden werden.
Empfohlen wird eine Impedanzmessung der liegenden Elektroden und Extensionen vor Wundverschluss.
Zur Prävention einer Elektrodendislokation sollte der Patient angehalten werden, im
Rahmen der Testphase keine ruckartigen Bewegungen der Wirbelsäule durchzuführen und
das Tragen schwerer Lasten (>5 kg) zu vermeiden. [Abb. 6 ] zeigt die Lage eines implantierten Neurostimulationssystems zur epiduralen SCS.
Abb. 6 Darstellung eines implantierten Neurostimulationssystems zur epiduralen Rückenmarkstimulation
(SCS). Quelle: Nevro Germany GmbH.
SCS-Testphase, Impulsgeberimplantation und Follow-up
Im Anschluss an die operative Implantation der Elektroden zur SCS kann eine Testphase
mit einem externen Teststimulator durchgeführt werden. Dies ist sowohl unter stationären
Bedingungen als auch im ambulanten Setting möglich. Eine Vorgabe in Bezug auf die
genaue Dauer der Testphase existiert nicht. Empfohlen wird ein Zeitraum von 5–10 Tagen,
in denen unterschiedliche Stimulationsparameter ausgetestet werden sollten. Dies kann
die Anwendung von tSCS, als auch die Testung von hfSCS beinhalten. Bei der Anwendung
von hfSCS sollten diese mindestens 24–48 Stunden aktiv sein, es sei denn, der Patient
berichtet von einer bedeutsamen Schmerzaggravation. Eine Einweisung des Patienten
in die Handhabung des Bediengerätes ist obligat. Die konkrete individuelle Nutzung
und Einstellung der Stimulationsintensität sollte abgesprochen und dokumentiert werden.
Im Ablauf der Testphase kann mit dem Patienten auch ein Auslassversuch der SCS zur
Beurteilung des Stimulations-Effektes zwischen aktiver und wissentlich inaktiver Therapie
abgesprochen werden. Im gesamten Test-Zeitraum sollte der Patient eigenständig ein
analoges oder digitales Schmerztagebuch führen und sowohl die Schmerzintensität (als
Zahlenwert der visuellen Analogskala oder der Numerischen Rating-Skala) als auch die
Analgetika-Einnahme dokumentieren. Darüber hinaus sollten alle weiteren Auffälligkeiten,
wie zum Beispiel tägliche Aktivitäten, Nachtschlaf, Gehstrecke, körperliches Wohlbefinden
etc., dokumentiert werden. Im stationären Rahmen empfiehlt sich hier auch die Begleitung
des Patienten durch erfahrene Pflegekräfte oder spezialisierte Pain-Nurses.
Eine konventionelle Röntgenaufnahme der Elektrodenposition kann radiologisch erfolgen,
z.B. thorakolumbaler Übergang in 2 Ebenen, um die anatomische Lage der Elektrode zu
dokumentieren, falls im weiteren klinischen Verlauf der Verdacht auf eine Elektroden-Dislokation
auftritt.
Die prophylaktische Gabe eines oralen Antibiotikums während der Testphase ist empfohlen,
eine Evidenz in Bezug auf die Wirksamkeit zur Vermeidung von Infektionen liegt nicht
vor [66 ].
Der Verlauf der Testphase sollte fortlaufend mit dem Patienten kommuniziert werden.
Lassen sich keine signifikanten Verbesserungen des subjektiven Schmerzempfindens des
Patienten feststellen und dokumentieren, so sollten die Implantate ersatzlos entfernt
werden. Dies kann bei den Stabelektroden in Lokalanästhesie erfolgen, bei Plattenelektroden
ist in der Regel eine kurze Vollnarkose notwendig. Die Anbindung des Patienten an
eine ambulante Spezialsprechstunde ist im (nach-stationären) Verlauf empfohlen, um
ggf. weitere Behandlungsmöglichkeiten mit dem Patienten zu besprechen.
Die Indikation zur Implantation eines Neurostimulators zur dauerhaften Nutzung der
SCS wird im Rahmen der Testphase bei einer für den Patienten bedeutsamen Schmerzlinderung
oder einer anderen bedeutsamen Verbesserung, von z.B. dem Nachtschlaf, gestellt.
Die Implantation des Neurostimulators erfolgt zumeist in Vollnarkose und der Impulsgeber
kann gluteal oder abdominell im subkutanen Fettgewebe implantiert werden. Hierbei
sollte auf eine nicht zu tiefe, aber auch eine nicht zu oberflächige Lage des Implantates
geachtet werden, damit nicht Probleme im Rahmen der perkutanen Telemetrie auftreten.
Prinzipiell kann zwischen wiederaufladbaren und nicht-wiederaufladbaren Neurostimulatoren
unterschieden werden. Lassen sich im Rahmen der Testphase eine hohe Stimulationsamplitude,
eine signifikante Körperpositionsabhängigkeit oder die Wirksamkeit der hfSCS evaluieren
(und dokumentieren), sollte ein wiederaufladbarer Impulsgeber implantiert werden.
Eine Einweisung des Patienten in die korrekte Anwendung und Durchführung des perkutanen
Ladevorganges des Neurostimulators ist obligat. Empfohlen wird eine erste Aufladung
des Impulsgebers nach Abschluss der Wundheilung und Entfernung des Nahtmaterials.
Besonders hingewiesen werden soll an dieser Stelle auf die gesetzlich vorgeschriebene
Implantatdokumentation und die obligate Ausstellung eines nationalen (und internationalen)
Implantatausweises für den Patienten. Ebenso sollten alle Hersteller-spezifischen
Informations- und Produktbroschüren an den Patienten ausgehändigt werden.
Im postoperativen Verlauf sollten regelmäßige ambulante Verlaufskontrollen und Re-Evaluierungen
in einem erfahrenen Behandlungszentrum erfolgen. Eine Kontrolle und Anpassung der
Stimulationseinstellungen sind im Verlauf erfahrungsgemäß ebenso notwendig wie die
Überprüfung und Anpassung einer dauerhaften Einnahme von Analgetika.
Insofern soll der Patient weiterhin in einem interdisziplinären Behandlungskonzept
eingebunden sein. Verlaufsbeurteilungen nach 3, 6 und 12 Monaten oder nach individueller
Absprache bei Bedarf werden empfohlen. Auf die unbedingte Dokumentation mittels Schmerz-Tagesbüchern
(z.B. als App) und Verlaufsfragebögen sei erneut hingewiesen.
Evidenz
Einen Überblick zu der aktuell verfügbaren Literatur und Evidenz zeigen [Tab. 1 ] und [Tab. 2 ]
[67 ]
[68 ]
[69 ]
[70 ]
[71 ]
[72 ]
[73 ]. Kurz zusammengefasst wurden die ersten RCTs zur tSCS bei schmerzhafter DSPN im
Jahr 2014 publiziert [67 ]
[68 ]. Ein RCT mit hfSCS wurde 2021 veröffentlicht [71 ]. Bei der tSCS lagen die Ansprechraten auf die Behandlung nach 6 Monaten bei ca.
60%, während in einer separaten, prospektiven 5-Jahres-Analyse bei 55% der untersuchten
Personen ein anhaltendes Ansprechen auf die Behandlung festgestellt wurde [70 ]. Der RCT zur hfSCS konnte bei etwa 80% der Patienten ein frühes und anhaltendes
Ansprechen (definiert als 50% Schmerzlinderung anhand der VAS) über einen Zeitraum
von bis zu 24 Monaten zeigen [73 ] ([Abb. 1 ]).
Tab. 1 Randomisierte kontrollierte Studien zur Rückenmarkstimulation bei therapierefraktärer
schmerzhafter diabetischer Polyneuropathie (Evidenz-Level Ib).
Autor, Jahr (Quelle)
Studiendesign
Randomisierung (n)
Studiendauer (Monate)
Outcomes
Primär
Sekundär
↑ = signifikante Verbesserung bei SCS + CMM gegenüber CMM, ↔ = kein signifikanter
Unterschied zwischen SCS + CMM und CMM.
Abkürzungen: BDI: Beck Depression Inventory; CMM: conventional medical management;
EQ-5D: European Quality of Life 5 Dimensions Fragebogen; HF-SCS: high-frequency spinal
cord stimulation; LF-SCS: low-frequency spinal cord stimulation; mBPI-DPN: modified
Brief Pain Inventory – Diabetic Peripheral Neuropathy; MPQ: McGill Pain Questionnaire;
MOS SF-36: Medical Outcomes Study Short Form 36 Scale; MOS-SS: Medical Outcomes Study
Sleep Scale; MQS: Medication Quantification Scale III; NPS: Neuropathic Pain Scale;
PGIC: patient global impression of change; QoL: quality of life; VAS: Wert auf der
visuellen Analogskala für Schmerz.
de Vos et al. 2014 [67 ]
Multizentrisch (B, D, DK, NL), Parallelgruppen
2:1 Randomisierung: Intervention (CMM + LF-SCS): n=40 ; Kontrollgruppe (CMM): n=20
6
SCS + CMM vs CMM nach 6 Monaten:
Anteil mit VAS-Reduktion um ≥50%: 60% vs 5% (P<0,001)
Nach 6 Monaten: VAS ↑, MPQ ↑, MPQ QoL ↑, MQS ↑, EQ-5D ↑, PGIC ↑, Opioid-Medikation
↑
Slangen et al. 2014 [68 ]
van Beek et al. 2015, 2018 [69 ]
[70 ]
Bizentrisch (NL), Parallelgruppen
3:2 Randomisierung: Intervention (CMM + LF-SCS): n=22; Kontrollgruppe (CMM): n=14
6
Follow-up: 24, 60
SCS + CMM vs CMM nach 6 Monaten:
Anteil mit VAS-Reduktion um ≥50% oder PGIC für Schmerz und Schlaf um ≥6 (much/very
much improved): 59% vs 7% (P <0,009)
Nach 6 Monaten: VAS ↑, mBPI-DPN ↑, NPS ↑, EQ-5D ↑, MOS SF-36 ↑, MOS-SS ↑, BDI ↑
Nach 24 Monaten: VAS ≥50%/PGIC ↑: 71%; VAS ≥50% : 43%
Nach 60 Monaten: VAS ≥50%/PGIC ↑: 55%; VAS ≥50% : 36% ; SCS-behandelt: 80%
Petersen et al. 2021, 2022, 2023 [71 ]
[72 ]
[73 ]
Multizentrisch (USA), Parallelgruppen mit Crossover-Option nach 6 Monaten
1:1 Randomisierung: Intervention (HF-SCS+CMM): n=113; Kontrollgruppe (CMM): n=103
6
Follow-up: 12, 24
SCS + CMM vs CMM nach 3 Monaten:
Anteil mit VAS-Reduktion um ≥50%: 79% vs 5% (P<0,0001)
Nach 6 Monaten: VAS ≥50% ↑: 85% vs 5%, VAS ↑, EQ-5D ↑, MPQ QoL ↑, neuropathische Defizite
↑
Nach 24 Monaten: VAS ≥50% ↑: 90%, neuropathische Defizite ↑ (klinisch relevant) bei
66% ; SCS-behandelt : 74%
Tab. 2 Meta-Analysen randomisierter kontrollierter Studien über 6 Monate zur Niederfrequenz-
(n=2) und Hochfrequenz-Rückenmarkstimulation (n=1) bei therapierefraktärer schmerzhafter
diabetischer Polyneuropathie.
Autor, Jahr (Quelle)
Behandlungsarme
LF-CSC/HF-CSC/CMM (n)
Schmerz Outcomes
LF-SCS
Schmerz Outcomes
HF-SCS
Indirekter Vergleich
HF-SCS vs LF-SCS
VAS
VAS≥50%
VAS
VAS≥50%
VAS
VAS≥50%
* P<0,05 für HF-SCS vs LF-SCS als Referenz
a Mittlere Differenz (95% Konfidenzintervall), b Relatives Risiko (95% Konfidenzintervall), c Anteil der Responder, d Prozentuale Schmerzreduktion.
Abkürzungen: CMM: conventional medical management; HF-SCS: high-frequency spinal cord
stimulation; LF-SCS: low-frequency spinal cord stimulation; n.v.: nicht verfügbar;
VAS: visuelle Analogskala für Schmerz.
Raghu et al. (2021) [74 ]
59/n.v./34
–3,78 (–4,69, –2,88)
n.v.
n.v.
n.v.
n.v.
n.v.
Duarte et al. 2022 [75 ]
62/113/137
–3,13 (–4,19, -2,08)a
12,69 (2,61, 61,73)a
–5,20 (–5,77, –4,63)b
15,82 (6,72, 37,31)b
–2,07 (–3,26, –0,87)a *
1,25 (0,21, 7,52)b
Hoelzer et al. 2022 [76 ]
62/113/137
–3,42 (-3,95, –2,89)a
54,8%c
–5,60 (–6,09, –5,11)a
72,1%c
–2,18*
1,32 (1,02, 1,70)b *
Burkey et al. 2023 [77 ]
62/113/137
44 und 55%+
n.v.
76%d
n.v.
n.v.
n.v.
Die älteren Studien [67 ]
[68 ]
[69 ]
[70 ] wurden mit tSCS durchgeführt, während in den neueren Studien hfSCS eingesetzt wurde
[71 ]
[72 ]
[73 ]. Die Technik der SCS hat sich über Jahrzehnte weiterentwickelt, wobei zunehmend
neue und weiterentwickelte Stimulationsparameter genutzt und in Studien untersucht
wurden. Somit kann, mittels der aktuell zur Verfügung stehenden SCS-Parameter, die
Therapie im allgemeinen indikationsbezogen besser an die individuellen Bedürfnisse
der Patienten angepasst werden. Zahlreiche und langjährige klinische Erfahrungen bestehen
hauptsächlich bei chronischem neuropathischem Schmerz unterschiedlicher Genese wie
zum Beispiel PSPS Typ I/II, CRPS Typ I/II und der schmerzhaften DSPN. Technologisch
gesehen kann die Evidenz im zeitlichen Verlauf als mindestens vergleichbar, eher verbessert,
angesehen werden.
Mehrere systematische Reviews (Stand März 2024) werteten die Daten für die verfügbaren
RCTs sowohl für die tSCS als auch für die hfSCS aus ([Tab. 2 ]) und bestätigten, dass Patienten von der Behandlung mittels SCS profitieren [74 ]
[75 ]
[76 ]
[77 ]. Allerdings haben diese Meta-Analysen aufgrund der geringen Anzahl der eingeschlossenen
RCTs eine begrenzte Aussagekraft. Eine prospektive, randomisierte Vergleichsstudie
von tSCS und hfSCS bei schmerzhafter DSPN liegt bislang nicht vor.
In diesem Zusammenhang sei auf einen aktuellen internationalen interdisziplinären
Expertenkonsensus zum Stellenwert der SCS bei schmerzhafter DSPN [60 ] sowie auf das Kompendium der American Diabetes Association [16 ] hingewiesen.
Fazit
Die Behandlung von Patienten mit schmerzhafter DSPN sollte Leitlinien-gerecht erfolgen.
Im Falle von therapierefraktärer schmerzhafter DSPN sollte den Patienten spätestens
nach 9 Monaten eine SCS angeboten werden und eine Vorstellung in einem erfahrenen
Zentrum für Neuromodulation oder invasive Schmerztherapie erfolgen.
Die Evidenz für die Wirksamkeit der SCS, insbesondere der hfSCS, bei therapierefraktärer
schmerzhafter DSPN ist sehr gut (Level Ib) und der Experten-Konsens hoch.
Durch die SCS kann, in einem spezialisierten Zentrum für Neuromodulation, bei ca.
60–85% der geeigneten Patienten mit schmerzhafter DSPN eine >50%ige Schmerzlinderung
nach 6 Monaten erreicht werden.
Empfehlung
Die SCS wird bei hohem Evidenzgrad und Expertenkonsens als integraler Bestandteil
der Behandlung der therapierefraktären schmerzhaften DSPN unter Berücksichtigung der
individuellen Patienten-Gegebenheiten und Vorbehandlung empfohlen.