Viele Ärztinnen und Ärzte sind immer noch der Meinung, es sei Lege artis, infiltrative Schmerztherapien blind nach „ärztlichem Gespür“ durchzuführen. Die
dabei erwartbaren Effekte sind meist überschaubar [1], haben wohl dominant mit Placebo-Effekten zu tun [2] und ähneln oft mehr „Kunst“ als Präzision; nebenbei sind vergleichsweise häufiger
Komplikationen wie (transiente) neurologische Ausfälle, Blutungen, aber auch schwere
Ischämien (selten sogar mit spinalem Querschnitt) oder Infektionen zu erwarten [3]. Daher stammt offenbar auch die nachrangige Einordnung dieser fokalen Instillationen
in schmerztherapeutische Algorithmen und Leitlinien: meist anderen Prozeduren und
Therapien nachgereiht – als wenig verlässliche „Letztoptionen“ [4]
[5].
Der wichtigste Qualitätsschritt war deshalb die Entwicklung der bildgesteuerten Navigation,
zuerst durchleuchtungs-, später CT-gesteuert: Beide Möglichkeiten brachten (allerdings
unter Anwendung ionisierender Strahlung auf Knochenpunkte, als Landmarken zentriert)
eine eklatante Verbesserung der Präzision und Verlässlichkeit fokaler Instillationen
– und damit auch berechenbare Effekte [6]. Durch die Realisierung dieses Potenzials wurden fokal-interventionelle Schmerztherapien
zu dem, wofür sie geschätzt werden sollten: präzise Prozeduren, welche mit fokal hohen
Therapeutika-Dosen Schmerzen und dadurch provozierte klinische Effekte behandelten,
ohne wesentliche systemische Nebeneffekte (wie z. B. durch Kortikoide) zu provozieren.
Knochenpunkte als Landmarken bedeuten (schlussendlich auch in der Sonografie; siehe
unten) – und hier jedenfalls im Vergleich zu blinden Injektionen – einen erheblichen
Qualitätssprung: Sie sind eindeutig definierbar, gut nachvollziehbar und erzeugen
damit hohe Konfidenz; in Fällen von z. B. periradikulären Schmerztherapien (PRT) am
Achsenskelett sind sie weiterhin ausreichend präzise für eine verlässliche Navigation
[7]. Auch diese Landmarken bedeuten allerdings immer nur eine relative Näherung an einen
therapierelevanten Focus, wobei die eigentlichen Zielstrukturen – wie Nerven bzw.
Nervenwurzeln – damit nur indirekt erfasst werden. Dies wird standardisiert so bei
segmentalen Neuroforamina gehandhabt, da diese eben segmentale Nervenwurzeln definieren
und somit 1:1-Indikatoren für eine präzise Zielung darstellen [7].
Pioniere begannen schon vor vielen Jahren mit der – im Vergleich zu heute – noch schlechteren
Darstellungskapazität der Sonografie damit, knöcherne Landmarken, auch im B-Bild,
zu definieren und zu reproduzieren – und damit entsprechende, jedoch strahlungsfreie
Führungskontrollen in Echtzeit zu entwickeln: Die Qualität und Effektivität des Goldstandards
„CT“ konnte damit erreicht und nachgewiesen werden [8]
[9]
[10]
[11], um dadurch eine ebenso sichere, aber unvergleichbar schnellere und banalere, d. h.
effizientere Zielführung, z. B. für PRTs und fokale Facettengelenk-Instillationen,
an allen relevanten Abschnitten der Wirbelsäule anzubieten. Der recht große Geräte-Aufwand
(Fluoroskopie, CT) kann damit einfach umgangen werden, und sonografisch geführte,
fokale Schmerztherapien wurden dadurch mit Standard-Equipment und -Presets direkt
am Krankenbett, oder in Spitalsambulanzen in hoher Güte als First-Line-Prozeduren
durchführbar [8]
[9]
[10]
[11]
[12].
Die technischen Entwicklungen und somit das fast galoppierende sonografische Darstellungspotential
(über-/)forderten über die Jahre die Anwender*innen der Sonografie am Bewegungsapparat
grundlegend. Dies führte dazu, dass (mikro-)anatomische Kenntnisse erstmals ausgesprochen
relevant wurden: (Mikro-)anatomische Strukturen – bzw. jetzt erstmals abbildbare (Mikro-)Topografien
kleinster Strukturen wie Nerven(äste), Bänder, Sehnen, Muskeln und Faszien, inkl.
deren funktionelle Interaktionen, – wurden eindeutig darstellbar und müssen dem Anwender
und der Anwenderin seither immer genauer bekannt und bewusst sein. Das Zusammenspiel
exakter Kenntnisse mit ehemals ungeahnter sonomorphologischer Präzision änderte die
Ansprüche, sogar bis hin zu den Begrifflichkeiten, sowie den vermeintlichen „Stand
des Wissens“ nachhaltig: Ehemals fatal als „vielleicht funktionell“ abgetane Schmerzen
oder „Störungen“ konnten erstmals mittels hochfrequenter Sonografie als morphologische
Veränderungen lokalisiert und somit nachvollzogen werden und Funktionelles konnte
als in seiner Funktion Pathologisches provoziert und dargestellt werden: Besonders
beim „Beobachten von Funktionen“ im Bewegungsapparat ist die sonografische Bildgebung
weiterhin konkurrenzlos [13]
[14].
Offenbar ist aktuell damit aber noch nicht das Ende der Fahnenstange erreicht: Die
Sonografie maßt es sich zunehmend an, nicht nur in ungeahnter Präzision zu diagnostizieren
und Schmerzen fokussiert zu therapieren, sondern neuerdings auch primär chirurgisch
zu agieren. Da auch die Führung von Werkzeugen jenseits von Instillationsnadeln in
Echtzeit – bei entsprechend robusten anatomischen Kenntnissen einer „OP-Region“ –
kein größeres Problem mehr darstellt, waren diese Entwicklungen grundsätzlich ohnehin
abzusehen, der durchschlagende Erfolg trotzdem aber durchaus überraschend: Dort, wo
reine Spaltungen, z. B. von krankhaft veränderten und strangulierenden Bandsystemen
bzw. Faszien, bekanntlich eine nachhaltige therapeutische Lösung darstellen, kann
die sonografische Bildgebung nur mithilfe kleinster Stich-Inzisionen als Zugang in
ein OP-Areal, mithilfe spezieller Werkzeuge, zumindest dieselbe Leistung erbringen
wie eine eröffnende OP durch eine/n Chirurg*in. Außerdem wird der weitere Heilungsverlauf
optimiert, damit die postoperative Arbeitsunfähigkeit reduziert wird. Anders als bei
ihren entsprechenden chirurgischen OP-Pendants ist die jeweilige Funktion des operativen
Areals so gut wie unmittelbar wiederhergestellt und zumindest für Alltagstätigkeiten
prompt wieder einsetzbar. Sonografisch geführte Karpaltunnel- und Cubitaltunnel-OPs,
sonografisch geführte Ringband-Spaltungen bzw. die Sanierung spezifischer Sehnenscheiden-Entzündungen
sind damit wohl nur erste Schritte, welche auf Weiteres hoffen lassen [15]
[16]
[17]
[18]
[19]. Jedenfalls konnten schon diese Prozeduren das Spektrum der sonografisch geführten
interventionellen Therapien maßgeblich erweitern.
Was wird aber aus der gezielten Schmerztherapie? Auch deren Entwicklung steht nicht
still: Selbst an feinsten Hautnerven [14] können Schäden nachgewiesen bzw. Beschwerden eindeutig morphologisch zugeordnet
werden [20]
[21] und natürlich gelingt es, diese auch hochspezifisch mit unvergleichbar niedrigem
Risiko zu blockieren und/oder fokal zu therapieren [22]
[23]
[24]. Neben solchen, meist kortikoidbasierten Instillationstherapien [25] eröffnen aktuell feinste Thermo-Ablationssonden (mit Dimensionen > 20 Gauge), welche
kleinstflächige Ablationen an Nervenästen erlauben [26], wiederum neue Optionen: Dabei sind neue Entwicklungen zum Verständnis der Schmerzphysiologie
und -verarbeitung maßgeblich, was eine Optimierung bzw. Neuausrichtung von nachhaltigeren
Ablationstherapien (i. e. Thermoablationen, pRFA) bei entsprechender Präzision in
Aussicht stellt und somit eine Verbesserung der therapeutischen Optionen für Schmerzpatient*innen
verspricht [27]
[28]
[29].
Dennoch: Auch hier ist das Ende der Fahnenstange sicher noch nicht erreicht! Wir denken,
wir können alle neugierig sein, wie diese spannende Reise mit der „therapierenden
Sonografie“ weitergeht!