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DOI: 10.1055/a-2506-5538
Polyarthritis bei Kindern: Eine seltene genetische Variante als Ursache für therapierefraktäre Symptome
Authors
Autoinflammatorische Erkrankungen im Kindesalter stellen häufig eine diagnostische und therapeutische Herausforderung dar – insbesondere, wenn sie sich als therapierefraktäre Polyarthritis präsentieren und nicht den klassischen Kriterien bekannter Entitäten entsprechen.
Fallbeschreibung: Wir berichten über eine 14-jährige Patientin afghanischer Herkunft, Tochter konsanguiner Eltern, bei der im Alter von 2 Jahren erstmals eine Arthritis auftrat. Im Verlauf kam es zu rezidivierenden Arthritiden großer Gelenke mit ausgeprägter Leukozytose im sterilen Gelenkpunktat. Trotz zahlreicher immunmodulatorischer Therapieversuche (u. a. Methotrexat, TNF-α-, IL-6-, IL-1-Inhibition, JAK-Inhibitoren) zeigtesich die Erkrankung therapieresistent. Erst unter einer Kombination aus Secukinumab und Anakinra wurde eine stabile Remission der Gelenke erzielt. Ab dem 13. Lebensjahr traten jedoch rezidivierende Bauchschmerzschübe mit CRP-Anstieg auf. Die Re-Evaluation eines WES-Datensatzes ergab letztendlich eine homozygote c.398 C > T p.(Ala133Val) Variante im PMVK-Gen (Phosphomevalonatkinase), die kürzlich als neue Form einer autoinflammatorischen Erkrankung beschrieben wurde.
Schlussfolgerung: Die Kombination aus therapierefraktärer Polyarthritis und atypischer Entzündungsaktivität unterstreicht die Bedeutung genetischer Reanalysen bei unklaren Verläufen und betont die Rolle interdisziplinärer Diagnostik in der pädiatrischen Rheumatologie.
Kasuistik
Wir beschreiben den Fall einer heute 14 ½ -jährigen Patientin mit ungewöhnlicher, therapierefraktärer Polyarthritis. Das Mädchen stammt aus Afghanistan und ist das erste Kind konsanguiner Eltern. Die jüngeren Geschwister sind bislang gesund.
Bereits im Alter von 2 Jahren manifestierte sich eine Arthritis am linken Ellenbogen, die initial als traumatische Schwellung durch Sturz auf den Ellenbogen fehlgedeutet und operativ im Iran behandelt wurde. In der Folge kam es zu rezidivierenden Arthritiden großer Gelenke und einer jahrelangen Behandlung mit oralen Kortikosteroiden. Im Alter von etwa 5 Jahren kam die Patientin nach Deutschland, wo sie erstmals eine kinderrheumatologische Abklärung erhielt.
Zu diesem Zeitpunkt bestand eine Polyarthritis der großen Gelenke sowie ein ausgeprägter Kleinwuchs (–4,6 SD für Körperlänge), der der jahrelangen Steroid-Therapie zugeschrieben wurde. Unklare Fieberschübe, Bauchschmerzepisoden, Durchfälle oder Hautausschläge bestanden nicht. In der weiterführenden Diagnostik zeigten sich ANA-Titer, CCP-Antikörper, Rheumafaktor, ANCA, dsDNA-Antikörper sowie HLA-B27 negativ. Augenärztlich zeigte sich zu keinem Zeitpunkt eine Uveitis.
Klinisch zeigte sich im Verlauf das Bild einer therapierefraktären Polyarthritis mit jedoch einigen Besonderheiten: Es fielen rezidivierend deutlich erhöhte CRP-Werte (> 100 mg/l) ohne Fieber oder Infektfokus auf sowie wiederholt eine ausgeprägte Leukozytose (Leukozyten > 80 000/μl bei > 90 % Granulozyten) im sterilen Gelenkpunktat.
Trotz multipler Behandlungsversuche mit NSAR (Ibuprofen, Naproxen), Methotrexat, Etanercept, Adalimumab, Tocilizumab, Canakinumab, Anakinra, Abatacept, Ciclosporin A, Colchicin, Baricitinib sowie Tofacitinib kam es weiter zu rezidivierenden Gelenkentzündungen. Zusätzliche Gelenkpunktionen mit Steroidinjektion (Triamcinolonhexacetonid), orale Prednisolon-Gaben sowie wiederholt Methylprednisolon-Stöße intravenös blieben erforderlich ([ Abb. 1 ]).


Eine genetische Panel-Diagnostik auf autoinflammatorische Erkrankungen (einschließlich des PSTPIP1- und des LACC1-Gens) sowie eine Interferonsignatur waren unauffällig.
Letztendlich konnte erst unter einer Kombinationstherapie von Secukinumab 75 mg 1 × /4 Wochen und Anakinra 50 mg 1 × /Tag (2 mg/kg/Tag) im Alter von 11 4/12 Jahren eine stabile Remission seitens der Gelenke erreicht werden ohne zusätzliche Steroidgaben. Die Patientin zeigte ein Aufholwachstum und erreichte die Perzentile P3 ([ Abb. 2 ]).


Im Alter von 12 3/12 Jahren erfolgte eine umfangreiche Abklärung aufgrund rezidivierender Kopfschmerzen. Hierbei zeigte sich das Schädel-MRT sowie der augenärztliche Befund unauffällig. Eine Reduktion des Anakinra auf 50 mg (ca. 2 mg/kg) 1 × /48 h führte zu einer deutlichen Besserung der Kopfschmerzen.
Im Alter von 13 Jahren traten erstmals rezidivierende Bauchschmerzepisoden auf (Dauer: 3–5 Tage) ohne Fieber, Erbrechen oder Durchfall. Im Bauchschmerzschub zeigten sich wiederholt erhöhte Entzündungswerte (CRP 130–180 mg/l). Zwischen den Bauchschmerzepisoden (freies Intervall zwischen den Schüben ca. 6–8 Wochen) waren die Entzündungsparameter vollständig normalisiert.
Die Bauchschmerzepisoden konnten durch eine punktuelle, orale Steroidgabe (Prednisolon 1 mg/kg KG) über 3–5 Tage ab den ersten Symptomen verkürzt werden. Auch eine kurzfristige Dosiserhöhung des Anakinra (bis zu 5 mg/kg/Tag auf 2 Gaben verteilt) ab den ersten Schmerzen konnte die Schübe durchbrechen. Eine zusätzliche Therapie mit Colchicin über 3 Monate zeigte keinen Einfluss auf die Frequenz der Bauchschmerzepisoden.
Unter Intensivierung der Basistherapie (Secukinumab 150 mg 1 × /Monat und Anakinra 100 mg jeden 2. Tag bei einem Körpergewicht von aktuell 42,5 kg) traten zuletzt keine Bauchschmerzepisoden mehr auf (seit mittlerweile 6 Monaten).
Bezüglich der Gelenke ist die Patientin unter der aktuellen Kombinationstherapie seit gut 3 Jahren in stabiler Remission.
Weitere genetische Abklärung
Der WES-Datensatz mit initial unauffälliger Paneldiagnostik auf autoinflammatorische Erkrankungen wurde im Rahmen einer Re-Evaluation im Herbst 2023 erneut geprüft. Dabei konnte eine homozygote c.398 C > T p.(Ala133Val) Variante im PMVK-Gen (Phosphomevalonatkinase [PMVK, ENST00000368467.0]) identifiziert werden, identisch zu einer kürzlich publizierten Variante bei einem indischen Patienten [3] mit neu definierter PMVK-Defizienz als autoinflammatorische Erkrankung.
Bis zum jetzigen Zeitpunkt wurden in der Literatur nur 3 Patienten mit einer Phosphomevalonatkinase-Defizienz als neue autoinflammatorische Erkrankung beschrieben [1], [2], [3].
Die Phosphomevalonatkinase ist beim Abbau der Mevalonsäure für den Schritt nach der Mevalonatkinase verantwortlich ([ Abb. 3 ]). In Anlehnung an die Mevalonatkinase-Defizienz bestimmten wir das IgD sowie die Mevalonsäure im Urin im Bauchschmerzschub, beide Werte zeigten sich erhöht: IgD mit 18,30 mg/dl (Norm < 13,2 mg/dl) nur leicht erhöht, jedoch unter Therapie. Die Mevalonsäure im Urin war mit 4,16–4,57 mmol/mol Krea im Bauchschmerzschub (normal 0–0,84 mmol/mol Krea) signifikant erhöht.


Diskussion
Die klinischen Merkmale ähneln den 3 bisher beschriebenen PMVK-Defizienz-Fällen: Manifestation im frühen Kindesalter, Arthritis v. a. der großen Gelenke, Wachstumsrestriktion (< P3), Bauchschmerzepisoden (2 der 3 beschriebenen Fälle), Herkunft Naher Osten/Asien, Konsanguinität der Eltern. Rezidivierende Fieberepisoden stehen bei unserer Patientin im Gegensatz zu den bereits publizierten Fällen nicht im Vordergrund. Besonders auffällig ist bei unserer Patientin jedoch die sterile Granulozytose im Gelenkpunktat. Leider gibt es keine Angaben zu Gelenkpunktaten der 3 bereits beschriebenen Patienten. Die Wachstumsrestriktion unserer Patientin ist sicherlich im Zusammenhang mit der langfristigen Kortikosteroid-Therapie sowie der über Jahre persistierenden Entzündungsaktivität zu sehen.
Die vorliegende Fallstudie beleuchtet die Herausforderungen bei der Diagnose und Behandlung von therapierefraktärer Polyarthritis, insbesondere bei Kindern mit ungewöhnlichen Befunden und komplexer medizinischer Vorgeschichte. Die Phosphomevalonatkinase-Defizienz erweitert das Spektrum der möglichen Ursachen für autoinflammatorische Erkrankungen mit Polyarthritis. Die Parallelen zu den 3 kürzlich publizierten Fällen [1], [2], [3] betonen die Bedeutung genetischer Analysen bei unklaren Krankheitsbildern und die Chancen einer Re-Evaluation bereits vorliegender Datensätze unterstreicht die Rolle von interdisziplinären Ansätzen in der pädiatrischen Rheumatologie.
Einhaltung ethischer Richtlinien
Die korrespondierende Autorin bestätigt, dass die Patientin und ihre Eltern mit der Publikation des Falls einverstanden sind.
Interessenkonflikt
Die korrespondierende Autorin gibt an, dass kein Interessenkonflikt besteht.
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Literatur
- 1 Yıldız C, Yildirim DG, Inci A. et al. A possibly new autoinflammatory disease due to compound heterozygous phosphomevalonate kinase gene mutation. Joint Bone Spine 2023; 90 (1) 105490
- 2 Berner J, van de Wetering C, Jimenez Heredia R. et al. Phosphomevalonate kinase deficiency expands the genetic spectrum of systemic autoinflammatory diseases. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2023; 152 (4) 1025-1031.e2
- 3 Jairaman A, Badiger VA, Raj S. et al. A novel homozygous variant in PMVK is associated with enhanced IL1β secretion and a hyper-IgD syndrome-like phenotype. Clin Genet 2024; 105 (3) 302-307 Epub 2023 Nov 28
Korrespondenzadresse
Publikationsverlauf
Artikel online veröffentlicht:
06. Oktober 2025
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Literatur
- 1 Yıldız C, Yildirim DG, Inci A. et al. A possibly new autoinflammatory disease due to compound heterozygous phosphomevalonate kinase gene mutation. Joint Bone Spine 2023; 90 (1) 105490
- 2 Berner J, van de Wetering C, Jimenez Heredia R. et al. Phosphomevalonate kinase deficiency expands the genetic spectrum of systemic autoinflammatory diseases. Journal of Allergy and Clinical Immunology 2023; 152 (4) 1025-1031.e2
- 3 Jairaman A, Badiger VA, Raj S. et al. A novel homozygous variant in PMVK is associated with enhanced IL1β secretion and a hyper-IgD syndrome-like phenotype. Clin Genet 2024; 105 (3) 302-307 Epub 2023 Nov 28







