Schlüsselwörter Längsschnittstudie - Burnout - Erschöpfung - Arbeitsunfähigkeit - Arbeitslosigkeit
- Frühberentung
Keywords longitudinal study - burnout - exhaustion - sickness absence - unemployment - early
retirement
Einleitung
Die vorliegende Studie untersucht Beeinträchtigungen der Erwerbsteilhabe nach
vorausgehender emotionaler Erschöpfung und damit einen bislang wenig untersuchten
Zusammenhang mit Burnout. In der aktuellen 11. Version der International
Classification of Diseases, kurz ICD 11 [1 ], wird Burnout als Code QD85 im Kapitel 24 zu „Sonstige Faktoren,
welche die Gesundheit beeinflussen“ und nicht als Störung im Kapitel 06 für
Psychische Störungen, Verhaltensstörungen oder neuronale Entwicklungsstörungen
verortet. In der ICD 11 wird Burnout als ein Syndrom infolge eines nicht erfolgreich
bewältigten chronischen Stresses am Arbeitsplatz definiert, der – kurz gefasst –
durch die drei Dimensionen Erschöpfung, Distanz zur Arbeit/Zynismus und
Leistungsbeeinträchtigung gekennzeichnet wird. Zur Erfassung des Syndroms kommen
verschiedene – testtheoretisch geprüfte – Instrumente zum Einsatz. Beispiele finden
sich bei de Beer und Bianchi [2 ] für
das häufig verwendete Maslach Burnout Inventory (MBI), bei Demerouti et al. [3 ] zum Oldenburg Burnout Inventory
(OLBI) oder bei Hadžibajramović et al. [4 ] zum Burnout Assessment Tool (BAT).
Der Arbeitsbezug von Burnout infolge eines nicht erfolgreich bewältigten chronischen
Stresses am Arbeitsplatz ist Teil der Definition und nicht Ergebnis
wissenschaftlicher Befunde. Das ist zum Teil durch Formulierungen der Items in
Burnoutskalen bedingt, die direkt nach Sachverhalten während oder nach der Arbeit
fragen. Ein Beispiel aus dem OLBI wäre „Nach der Arbeit fühle ich mich in der Regel
schlapp und abgespannt“ [3 ]. Durch die
Antwort auf diesen Frageteil stellt die befragte Person selbst eine Attribution zur
Arbeit her. Unabhängig von dieser Problematik bei der Interpretation der Antworten
liegen empirische Befunde zu Studien vor, in denen Zusammenhänge zwischen
Arbeitsbedingungen und Burnoutskalen untersucht wurden. Das Review von Seidler et
al. [5 ] und die Metaanalyse von
Aronsson et al. [6 ] zeigen, dass am
häufigsten Primärstudien vorliegen, in denen Burnout durch die Kernkomponente
(emotionale) Erschöpfung repräsentiert wird und sie belegen darüber hinaus einen
Zusammenhang mit quantitativen Arbeitsbedingungen bzw. der Arbeitsmenge. Die Befunde
zum Arbeitsbezug sind nicht auf epidemiologische Studien außerhalb Deutschlands
beschränkt. So zeigt eine Untersuchung von Kersten und Formazin [7 ] auf Basis der Studie zur Mentalen
Gesundheit bei der Arbeit (S-MGA), die auch der vorliegenden Untersuchung als
Datenbasis zugrundeliegt, dass längjährige Veränderungen in den psychosozialen
Arbeitsbedingungen, wie in der Arbeitsmenge, zu Veränderungen im Grad der
emotionalen Erschöpfung führen.
In Analogie zur Klassifikation psychischer Störungen (s. VersorgungsLeitlinie
Unipolare Depression [8 ]) liegt es
nahe, beim Burnout nicht nur den vorauslaufenden Arbeitsbedingungen nachzugehen,
sondern auch den nachfolgenden funktionalen Beeinträchtigungen in der
Erwerbsteilhabe als einem wichtigen Lebensbereich. Indikatoren für diese
Beeinträchtigungen oder Nichtteilhabe sind Arbeitsunfähigkeit>6 Wochen
(Langzeit-AU, LAU) sowie, Zeiten der Arbeitslosigkeit (AL) und der Frühberentung
(FB) einschließlich der Erwerbsminderungsrente, in der keine Erwerbstätigkeit
stattfindet. Es liegen nur wenige Befunde vor, die den Zusammenhang dieser
Indikatoren mit vorauslaufender Erschöpfung oder Burnout und auf Basis von Daten
zufällig ausgewählter Erwerbstätiger untersuchten. Zu diesen Studien zählt eine
populationsbezogene Kohortenstudie in Finnland von Ahola et al. [9 ], in der zuerst die Dimensionen des
MBI und im Follow-up nach vier Jahren inzidente Fälle mit einer
Erwerbsminderungsrente (Disability Pension) erfasst wurden.
Der Hauptfokus bisheriger Studien liegt jedoch nicht bei Erwerbsminderungsrenten als
Zielgröße, sondern bei LAU. Ahola und Koautoren untersuchten diesbezüglich auf
Grundlage des Querschnitts in der Baselineerhebung den Zusammenhang zwischen MBI und
ärztlich bescheinigten Erkrankungszeiten von>9 Tagen [10 ].
Mit Ausnahme der Studien von Ahola anhand bevölkerungsrepräsentativer Auswahlen
beruhen die bisherigen Längsschnittstudien auf heterogenen Grundgesamtheiten, die
sich in der Regionalität, dem Wirtschaftszweig und den Berufsgruppen der verwendeten
Stichproben unterscheiden [11 ]
[12 ]
[13 ]. Bei den assoziierten Indikatoren
stehen LAU und vereinzelte Unterschungen zu Erwerbsminderungsrenten im Zentrum der
Erhebungen. Sonstige Indikatoren wie Frühberentung oder Zeiten der Arbeitslosigkeit
stehen nicht im Fokus der Aufmerksamkeit. Ein Manko trifft nach unserer Kenntnis
alle bisherigen Studien: In den Untersuchungen werden lediglich Ereignisse von LAU
oder Erwerbsminderungsrente berücksichtigt. Es wird nicht geschätzt, wie sich bei
Eintreten dieser Ereignisse die Zeitdauer der Nichtteilhabe verhält. Daher soll im
Folgenden anhand einer Zufallsstichprobe von Beschäftigten im Längsschnitt nicht nur
geprüft werden, wie Burnout – erfasst durch die Dimension emotionale Erschöpfung im
OLBI – mit den Ereignissen der Nichterwerbsteilhabe assoziiert ist, sondern auch
–mittels eines neuen Verfahrens– abgeschätzt werden, wie sich die Zeitdauer einer
Nichterwerbsteilhabe mit der Ausprägung des Burnouts verändert. Dabei werden die
verschiedenen Größen LAU, AL und FB nicht nur einzeln erfasst, sondern auch zu einem
globalen Indikator für (Nicht-)Erwerbsteilhabe (NET) aggregiert.
Methode
Stichprobe
Die Analysen beruhten auf Daten der deutschen Studie „Mentale Gesundheit bei der
Arbeit“ (S-MGA), in der Beschäftigte in einer landesweiten Baselineerhebung
2011/2012 (N=4511) und 2017 in einem Follow-up (N=2640) untersucht wurden [14 ]. Die Grundgesamtheit sind
Beschäftigte, die in der integrierten Erwerbsbiografie (IEB) beim Institut für
Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) der Bundesagentur für Arbeit
zusammengeführt wurden. Verbeamtete Personen, Selbständige und Angestellte auf
Basis von Vertragsarbeiten sind nicht Teil der Datenbasis. Die Zielpopulation in
der Baselinererhebung 2011/12 besteht aus allen sozialversicherungspflichtig
Beschäftigten, die in Deutschland am 31.12.2010 erwerbstätig waren und in den
Jahren 1951 bis 1980 geboren wurden. Die Ziehung erfolgte zweistufig auf der
Ebene von Gemeinden und anschließend durch Zufallsziehung innerhalb der
Gemeinden [14 ].
In die Analysestichprobe wurden Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Kohorte
eingeschlossen, die zum Zeitpunkt der Baselineerhebung beschäftigt waren und auf
der zu diesem Zeitpunkt verwendeten Skala (zur Emotionalen Erschöpfung), den
Kontrollvariablen (Geschlecht, Alter, Ausbildungslevel) und in der
darauffolgenden Erwerbshistorie bis zum Follow-up keine fehlenden Werte
aufwiesen. Die finale Stichprobe umfasst N=2308 Teilnehmerinnen und Teilnehmer
(s. Flussdiagram in [Abb. 1 ] und
Stichprobenbeschreibung in [Tab.
1 ]).
Abb. 1 Flussdiagramm der S-MGA Teilnehmerinnen und Teilnehmer in
der Basiserhebung 2011/12.
Tab. 1 Stichprobencharakteristik
Männer (n=1138)
Frauen (n=1170)
n
%
n
%
Alter (Baseline)
31 – 40
270
24
250
21
41 – 50
481
42
508
43
51 – 60
387
34
412
35
ISCO
Hilfsarbeitskräfte (9)
43
4
88
8
Fachkräfte (4-8)
527
46
427
37
Gehobene Fachkräfte (3)
249
22
390
33
Ps. m. Hochschulabschluss/Führungskräfte (1,2)
319
28
265
23
OLBI
2,27
2,27
SD
0,51
0,54
NET
Q1
3
3
Md
5
6
Q3
15,5
14
Variablen
Burnoutdimension Emotionale Erschöpfung
Das Oldenburg Burnout Inventory (OLBI) ist ein Screeninginstrument für Burnout.
Es ist für alle Erwerbstätigen unabhängig von der Berufszugehörigkeit anwendbar.
In S-MGA wurden 8 Items der Skala Emotionale Erschöpfung mit jeweils
vierstufigen Antwortkategorien [3 ]
genutzt. Der Score für die Erschöpfungsskala wird aus dem Durchschnittswert
aller acht Antworten gebildet, der in einem Range von 1 bis 4 liegt. Die
Befragung erfolgte über einen Fragebogen, der in einem Umschlag an die
Interviewerinnen und Interviewer bzw. das Befragungsinstitut zurückgegeben
wurde. Näheres zu den Iteminhalten findet sich bei Kersten & Formazin [7 ].
Nichtteilhabe am Erwerbsleben (NET)
Mit den Ereignissen LAU, AL und FB in den fünf Jahren zwischen Baseline und
Follow-up-Erhebung werden unterschiedliche Formen der Nichtteilhabe am
Erwerbsleben betrachtet. Für jedes Ereignis wurde Jahr und Monat des Beginns und
des Endes festgehalten[15 ].
Bezüglich LAU wurden nur Ereignisse registriert, die mindestens 6 Wochen
andauerten. Diese Restriktion gab es für AL und FB nicht. Die untersuchten
Ereignisse schließen sich gegenseitig aus; es wird für einen Zeitraum jeweils
nur ein Ereignis betrachtet. Da es in der Erhebung grundsätzlich möglich war,
Langzeiterkrankungen parallel – und überlappend – zur AL und FB zu berichten,
wurden AL und FB jeweils bei Überlappung mit Langzeiterkrankungen priorisiert
und nur diesen Kategorien auch zugeordnet. Wir berechneten aus LAU, AL und FB
einen Gesamtindex NET für das Auftreten und die Dauer (in Monaten) aller
Ereignisse mit einer Nichterwerbsteilhabe im Verlauf von fünf Jahren,
einschließlich der Zeiten der Nichterwerbsteilhabe, die nicht unter die
genannten Ereignisse LAU, AL und FB fallen. FB umfasst auch eine geringe Anzahl
von Renten aufgrund von Erwerbsunfähigkeit/Erwerbsminderung.
Confounder
Als Kovariaten wurden das Geschlecht, Alter zum Zeitpunkt der Stichprobenziehung
und das Qualifikationsniveau berücksichtigt. Das Alter zum Zeitpunkt der
Stichprobenziehung wurde in drei Dekaden (31–40, 41–50, 51–60) kategorisiert.
Das Qualifikationsniveau der Berufe basierend auf der International Standard
Classification of Occupations (ISCO 08) des International Labour Office [16 ] wurde in vier Gruppen
eingeteilt: Hilfsarbeitskräfte (ISCO Level 9), Fachkräfte (4–8), gehobene
Fachkräfte (3), und Personen mit Hochschulabschluss/Führungskräfte (1,2). In den
Analysen fungierte die Klasse mit der größten Häufigkeit (Fachkräfte) als
Referenzgruppe.
Statistische Analyse
Die beobachtete Anzahl der Monate besitzt eine semikontinuierliche Verteilung,
die ausschließlich nichtnegative Werte annimmt. Es liegt eine Häufung von Werten
auf der Null vor, die übrigen Werte verteilen sich oberhalb der Null. Eine
Möglichkeit zur Analyse solcher Verteilungen ist die Verwendung des
Two-Part-Models [17 ]
[18 ]. Der logistische, übergeordnete
Teil des Modells wird genutzt, die ereignisbezogenen Daten zu analysieren. Der
metrische, bedingte Teil wird dann verwendet, um den erwarteten Zuwachs in der
Anzahl der Monate ohne Erwerbsteilhabe zu schätzen.
Mit Blick auf Interaktionseffekte zwischen Geschlecht und Erschöpfung auf die
Zielgrößen, wie diese zum Beispiel in der Studie von Ahola et al. [9 ] für die Erwerbsminderungsrente
ermittelt wurden, erfolgten die Analysen stratifiziert nach Geschlecht. Für die
Analysen wurden jeweils die unadjustierten Effekte und die für Alter und
Qualifikationsniveau nach ISCO 08 adjustierten Effekte berechnet. Die
statistischen Analysen erfolgten mittels IBM SPSS Statistics, Version
27.01.0.
Ergebnisse
Deskription Stichprobe
In der Baselineerhebung nahmen 4511 Personen teil ([Abb. 1 ]), diese waren zum
Zeitpunkt der Stichprobenziehung alle sozialversicherungspflichtig beschäftigt.
Durch die Zeitverzögerung zwischen Ziehung und Befragung mit einem Durchschnitt
von 13 Monaten waren 308 Teilnehmerinnen und Teilnehmer zum Zeitpunkt der
Baselineerhebung nicht mehr beschäftigt. Diese wurden wie auch Individuen mit
fehlenden Informationen zu emotionaler Erschöpfung, ISCO-Kodierung und/oder
Erwerbshistorie aus der Analyse ausgeschlossen. Der größte Dropout war durch die
Nichtteilnahme beim Follow-Up (n=1406) bedingt. Die resultierende Stichprobe
bestand aus 2308 Individuen (n=1138 Männer und n=1170 Frauen). [Tab. 1 ] beschreibt die
Stichprobenstatistiken und [Abb.
1 ] das Flussdiagramm. Die gesamte Beobachtungszeit (Follow-up time)
umfasst 71182 Monate bei den Männern und 73216 Monate bei den Frauen.
Ergebnisse der ereignisbezogenen Analysen (logistische Regression)
Ergebnisse der ereignisbezogenen Analysen (logistische Regression)
Die [Tab. 2 ] beschreibt den
Zusammenhang zwischen der OLBI-Skala der Emotionalen Erschöpfung mit den einzelnen
Indikatoren der Nichtteilhabe am Erwerbsleben und dem globalen Indikator NET.
Tab. 2 Ergebnisse der logistischen Regression zum
Zusammenhang zwischen OLBI und Ereignissen der Nichterwerbsteilhabe im
Verlauf von fünf Jahren
Modell 1*
Modell 2**
Männer (n=1138)
OR***
95% CI
OR***
95% CI
NET
1,69
1,32; 2,16
1,65
1,28; 2,13
LAU
1,76
1,34; 2,31
1,72
1,31; 2,27
AL
1,43
0,88; 2,33
1,44
0,89; 2,34
FB
1,45
0,92; 2,29
1,36
0,83; 2,22
Frauen
(n=1170)
NET
1,81
1,44; 2,27
1,79
1,42; 2,26
LAU
2,23
1,74; 2,87
2,23
1,73; 2,88
AL
0,82
0,54; 1,24
0,84
0,56; 1,28
FB
1,44
0,94; 2,21
1,27
0,80; 2,01
NET: Nichterwerbsteilhabe (gesamt); LAU: Langzeit-AU; AL: Arbeitslosigkeit;
FB: Frühberentung; *unadjustierte Zusammenhänge; **adjustiert für Alter und
ISCO-Qualifikationsniveau an der Ersterhebung; *** Die in den Tabellen
dargestellten Effekte für OR beziehen sich auf ein Inkrement von jeweils
einem Punktwert auf der OLBI-Skala, die einen Gesamtrange von vier Punkten
aufweist. Ein Inkrement von einem Punkt entspricht einer doppelten
Standardabweichung (s. [Tab.
1 ])
Bei den Männern ist lediglich der globale Indikator NET (OR=1,69; 95% KI=1,32; 2,16)
und die Langzeiterkrankung mit dem OLBI-Score assoziiert. Die Effekte bzgl. NET
(OR=1,65; 95% KI=1,28; 2,13 ) und LAU (OR=1,72; 95% KI=1,31; 2,27) bleiben bei
Adjustierung signifikant.
Auch bei den Frauen zeigt sich lediglich ein Zusammenhang mit NET und LAU. Die
Chancenverhältnisse bei den Frauen waren für NET mit einem adjustierten OR=1,79 (95%
KI=1,42; 2,26) und für LAU mit einem OR=2,23 (95% KI=1,73; 2,88) deskriptiv höher
als bei den Männern.
Analyse der Dauer der Nichtteilhabe am Erwerbsleben mittels GLM
Analyse der Dauer der Nichtteilhabe am Erwerbsleben mittels GLM
Traten bei den Männern ([Tab. 3 ]) die
Ereignisse NET, LAU und AL auf, so nahm die Dauer dieser Ereignisse mit jedem
Punktwert auf der OLBI-Skala mit einem Faktor von 1,4 zu. Der Zusammenhang mit AL
wurde nach Adjustierung der Kofaktoren signifikant Exp(β)=1,46 (95% KI=1,00;
2,12).
Tab. 3 Ergebnisse des GLM zum Zusammenhang von OLBI mit der
Dauer der Nichterwerbsteilhabe (in Monaten)
Männer
Model 1*
Model 2**
N
(n=357)
Exp(β0 )
Exp(β)***
95% CI
Exp(β0 )
Exp(β)***
95% CI
NET
4,83
1,44
1,20; 1,72
6,76
1,44
1,21; 1,71
357
LAU
2,57
1,45
1,23; 1,70
2,68
1,44
1,23; 1,69
259
AL
7,60
1,32
0,90; 1,94
8,45
1,46
1,00; 2,12
65
FB
9,00
1,37
0,94; 2,00
8,87
1,34
0,93; 1,95
74
Frauen
(n=420)
NET
9,18
1,09
0,93; 1,28
11,54
1,13
0,96; 1,33
420
LAU
3,66
1,29
1,10; 1,51
3,76
1,29
1,09; 1,52
306
AL
5,42
1,41
0,92; 2,14
6,68
1,29
0,84; 1,99
82
FB
20,39
0,99
0,72; 1,38
19,93
0,98
0,71; 1,36
77
NET: Nichtteilhabe (gesamt); LAU: Langzeit-AU; AL: Arbeitslosigkeit; FB:
Frühberentung; *unadjustiert; **adjustiert für Alter und
ISCO-Qualifikationsniveau an der Ersterhebung; *** Die in den Tabellen
dargestellten Effekte für Exp(β) beziehen sich auf ein Inkrement von jeweils
einem Punktwert auf der OLBI-Skala, die einen Gesamtrange von vier Punkten
aufweist. Ein Inkrement von einem Punkt entspricht einer doppelten
Standardabweichung (s. [Tab.
1 ]).
Bei den Frauen ([Tab. 3 ]) ist ein
höherer Score im OLBI – auch unter Berücksichtigung der Adjustierung – mit einer
längeren Dauer von LAU assoziiert (Exp(β)=1,29; 95% KI=1,10; 1,51).
Diskussion
Insgesamt zeigte sich ein deutlicher Effekt von emotionaler Erschöpfung auf die
Erwerbsteilhabe, erfasst durch den Indikator LAU. Wir gehen davon aus, dass der
globale Indikator NET hauptsächlich durch LAU determiniert wird, weil dieser Effekt
für LAU konsistent mit dem Effekt für NET einherging. Der Zusammenhang bestand bei
den ereignisbezogenen Analysen sowohl für Männer als auch für Frauen. Bei den
Analysen zur Dauer der Nichtteilhabe bestand bei den Frauen nur ein Effekt für eine
verlängerte Dauer von LAU. Die Adjustierung durch Kovariaten führte
geschlechtsspezifisch bei den Männern zu einer signifikanten Assoziation zwischen
Werten in der Erschöpfungsskala und Dauer der AL. Das bedeutet, dass unter
Berücksichtigung der Kovariaten Qualifikationsniveau und Alter eine verlängerte
Dauer von AL zu erwarten ist. Die Zusammenhänge zwischen Emotionaler Erschöpfung und
Frühberentung waren nicht signifikant.
Die internationalen Befunde zum Zusammenhang zwischen Burnout/Erschöpfung und LAU,
die außerhalb von Deutschland bei unterschiedlichen Stichproben festgestellt wurden
[10 ]
[11 ]
[12 ]
[13 ], werden durch die vorliegenden
Ergebnisse aus Deutschland gestützt. Keine Erklärung haben wir für den umgekehrten
Geschlechtereffekt in Aholas et al. Querschnittsanalyse [10 ], die im Unterschied zur
vorliegenden Studie höhere OR-Werte für Männer und geringere für die Frauen
aufweist. Der Zusammenhang, den Ahola et al. [9 ] für Erwerbsminderungsrente mit
Burnout fanden, lässt sich durch die in der vorliegenden Studie ermittelten
Zusammenhänge emotionaler Erschöpfung mit FB nicht stützen. Wir gehen davon aus,
dass unser Indikator FB viel weniger gesundheitsbezogen ist und zu wenige Fälle mit
einer Erwerbsminderungsrente umfasst und daher Burnout in diesem Fall für eine
gesundheitsbezogene Erwerbsminderungsrente nicht prädiktiv ist. Internationale
Studien, die Befunde zur Dauer der Nichterwerbsteilhabe und Burnout untersuchen,
sind uns nicht bekannt, obwohl ähnliche Studien in Skandinavien zu Krankheiten und
zur Erwerbsteilhabe vorliegen [19 ].
Zu den Stärken der vorliegenden Studie zählt die Verwendung einer Kohortenstudie und
die Verwendung einer repräsentativen Ausgangsstichprobe von
sozialversicherungspflichtig Beschäftigten, für die keine Hinweise für einen
Selektionsbias zum Zeitpunkt der Baselineerhebung vorlagen [14 ]. Eine zusätzliche Stärke erfährt
diese Studie durch Verwendung einer umfangreichen Erwerbs- und Krankheitshistorie.
Eine Studie zum Vergleich von Selbstberichten und Registerdaten stützt die Annahme,
dass es sich um ein valides Werkzeug zur Erfassung von Ausfallzeiten handelt [20 ]. Die aufgezeichneten Daten erlauben
es, nicht nur Ereignisse festzuhalten, sondern auch eine Quantifizierung der
(Gesamt-)Dauer der Ereignisse vorzunehmen.
Zu den Einschränkungen zählt, dass mit Verwendung der Subskala Emotionale Erschöpfung
nur eine Dimension des Burnoutkonstrukts berücksichtigt wird. Mit Blick auf die
häufige Auswahl dieser Dimension in der internationalen Forschung und auf
forschungsökonomische Gründe bei einem Face-To-Face Interview halten wir diese
Einschränkung für vertretbar und sehen unsere Ergebnisse als einen ersten
Ausgangspunkt für eine Diskussion deutscher Befunde.
Ein möglicher Bias bei Kohortenstudien mit einem längeren Follow-up ergibt sich durch
Unterschiede, die auf Attrition zurückgehen. In einer weiteren Studie zur
vorliegenden Datenbasis [21 ] wurden
moderate Effekte bedingt durch Alter und Qualifikationsniveau gefunden. Wir gehen
jedoch davon aus, dass dies in den Analysen keinen relevanten Einfluss hatte, da
genau diese Kovariaten zur Adjustierung genutzt wurden und dennoch die Effekte für
die Adjustierung geringfügig ausfielen.
Eine dritte Einschränkung in der Interpretation ergibt sich durch die Verwendung des
Kriteriums von 42 Tagen für das Vorliegen einer Langzeiterkrankung. Nach Angaben des
Bundesministeriums für Gesundheit [22 ]
hat die Hälfte der AU-Tage eine Dauer von weniger als 42 Tagen.
Von einem klinischen Gesichtspunkt aus ist es ein relevanter Befund, dass die
Burnoutdimension Emotionale Erschöpfung mit Auftreten und Dauer der
Nichterwerbsteilhabe einhergeht. Dieser Befund belegt eine Funktionsbeeinträchtigung
durch Burnout. Er weist damit auf das Vorliegen eines wichtigen Kriteriums wie bei
anderen Störungen nach der ICD hin. Unter einem gesundheitsökonomischen
Gesichtspunkt ist jedoch die Dauer der Einschränkungen relevant. Durch die
Quantifizierung der Gesamtdauer ergeben sich Hinweise auf die ökonomischen Kosten
durch die erfassten Einschränkungen. Diesbezüglich sind jedoch zwei Voraussetzungen
zentral: Erstens sollte nicht nur ein Typ von Einschränkung erfasst werden (z. B.
LAU), sondern eine Aggregation über verschiedene Typen von NET erfolgen. Zweitens
ist es erforderlich, sich bei statistischen Analysen nicht nur auf das Auftreten von
Ereignissen zu beschränken, sondern auch die Dauer von Ereignissen zu
berücksichtigen. Hier liegt der innovative Teil der vorliegenden Arbeit, der
erstmalig diesen Konsequenzen von Burnout – gemessen als emotionale Erschöpfung –
bei einer zufällig gezogenen Kohorte von Beschäftigten in Deutschland nachgeht, in
seiner Methodik aber nicht auf Burnout beschränkt ist. Die vorliegenden Ergebnisse
zeigen, dass es sich beim Konstrukt Burnout durchaus um ein Syndrom handelt, das mit
relevanten Konsequenzen assoziiert ist.