Rofo 2025; 197(03): 339-342
DOI: 10.1055/a-2503-8735
DRG-Mitteilungen

Die Sonderbedarfszulassung im Fachgebiet Radiologie – aktuelle Entwicklungen aufgrund der sozialgerichtlichen Rechtsprechung

 

Einführung

§ 99 Abs. 1 S. 1 Sozialgesetzbuch (SGB) V bestimmt, dass die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) im Einvernehmen mit den Landesverbänden der Krankenkassen und den Ersatzkassen nach Maßgabe der vom Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA) erlassenen Bedarfsplanungs-Richtlinie (BPlRi) gemäß § 92 Abs. 1 S. 2 Nr. 9 SGB V[ 1 ] auf Landesebene einen Bedarfsplan zur Sicherstellung der vertragsärztlichen Versorgung aufzustellen und jeweils der Entwicklung anzupassen haben. Die Bedarfsplanung regelt die vertragsärztliche Versorgung innerhalb eines bestimmten Planungsbereichs.


Den Landesausschüssen der Ärzte und Krankenkassen obliegt gemäß § 100 Abs. 1 S. 1 SGB V die Feststellung, dass in bestimmten Gebieten eine Unterversorgung eingetreten ist oder droht. § 100 Abs. 1 S. 2 SGB V enthält die Anweisung an die betroffene KV, die Unterversorgung zu beseitigen bzw. abzuwenden. Besteht eine Unterversorgung oder droht eine solche in absehbarer Zeit, schreibt die KV zur Beseitigung bzw. Abwendung in erster Linie freie Zulassungen aus.

Für Überversorgung sieht § 101 SGB V insbesondere vor, dass der G-BA in Richtlinien Bestimmungen beschließt, insbesondere über einheitliche Verhältniszahlen für den allgemeinen bedarfsgerechten Versorgungsgrad in der vertragsärztlichen Versorgung und diese Verhältniszahlen erforderlichenfalls anpasst oder neu festlegt. Sofern die festgesetzten Verhältniszahlen erreicht oder überschritten sind, trifft der jeweilige Landesausschuss der Ärzte und Krankenkassen eine Feststellung hierüber und ist verpflichtet, Zulassungsbeschränkungen anzuordnen (§ 103 Abs. 1 S. 2 SGB V).

In einem Planungsbereich kann jedoch trotz Überversorgung und Zulassungsbeschränkungen tatsächlicher Bedarf an zusätzlicher ärztlicher Versorgung bestehen, beispielsweise aufgrund zeitlicher Ausfälle von Behandlern, abweichender Morbidität in einem Gebiet oder geografischer Besonderheiten des Gebietes.[ 2 ] Ein zusätzlicher Bedarf kann im Rahmen eines Sonderbedarfs oder einer Ermächtigung gedeckt werden. Vorangegangene Beiträge thematisierten die Sonderbedarfszulassung in Bezug auf die Rechtsprechung zu dem Schwerpunkt Kinderradiologie[ 3 ] und in Abgrenzung zur Ermächtigung.[ 4 ] Im Folgenden behandeln wir die rechtlichen Anforderungen an die Erteilung einer Sonderbedarfszulassung unter Berücksichtigung von zwei aktuellen sozialgerichtlichen Urteilen und der jüngeren Rechtsprechung des Bundessozialgerichts (BSG) unter Berücksichtigung der Besonderheiten im Fachgebiet Radiologie.

Sonderbedarf

Die Ermächtigungsgrundlage für einen Sonderbedarf ist § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V. Hiernach soll der G-BA in der Bedarfsplanungs-Richtlinie Bestimmungen über „Vorgaben für die ausnahmsweise Besetzung zusätzlicher Vertragsarztsitze, soweit diese zur Gewährleistung der vertragsärztlichen Versorgung in einem Versorgungsbereich unerlässlich sind, um einen zusätzlichen lokalen oder einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf insbesondere innerhalb einer Arztgruppe zu decken“ erlassen. Diese Bestimmungen über die Zulassung oder Anstellungsgenehmigung im Rahmen eines Sonderbedarfs sind in den §§ 36, 37 BPlRi geregelt. Gemäß § 36 Abs. 1 S. 3 BPlRi bedeutet die Feststellung eines Sonderbedarfs die ausnahmsweise Zulassung eines zusätzlichen Vertragsarztes in einem Planungsbereich trotz Zulassungsbeschränkungen.

Grundsätzlich ist zwischen einem zusätzlichen lokalen und einem qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf zu unterscheiden, vgl. § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V und § 36 Abs. 1 S. 2 BPlRi. Voraussetzung für beide Formen des Sonderbedarfs ist gemäß § 36 Abs. 4 S. 3, Abs. 5 S. 1 BPlRi, dass aufgrund von durch den Zulassungsausschuss festzustellenden Besonderheiten des maßgeblichen Planungsbereichs (zum Beispiel in Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geografische Besonderheiten, Verkehrsanbindung, Verteilung der niedergelassenen Ärzte) ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet ist und aufgrund dessen dauerhafte Versorgungsdefizite bestehen. Zusätzliche Voraussetzung für einen qualifikationsbezogenen Versorgungsbedarf ist nach § 37 Abs. 3 BPlRi, dass die ärztliche Tätigkeit des qualifizierenden Inhalts in dem betreffenden Planungsbereich nicht oder nicht ausreichend zur Verfügung steht und dass der beantragende Arzt die für den besonderen Versorgungsbedarf erforderlichen Qualifikationen durch die entsprechende Facharztbezeichnung sowie die besondere Arztbezeichnung oder Qualifikation (die Subspezialisierung muss Leistungen beinhalten, die die gesamte Breite des spezialisierten Versorgungsbereichs ausfüllen) nachweisen kann.

Für den Fall, dass lediglich vorübergehender Bedarf besteht, schreibt § 36 Abs. 5 S. 2 BPlRi vor, dass von der Möglichkeit der Ermächtigung Gebrauch zu machen ist. Mit der Ermächtigung nach § 116 SGB V und § 31a Abs. 1 Ärzte-ZV besteht die Möglichkeit, dass der Zulassungsausschuss Krankenhausärzte zur Teilnahme an der vertragsärztlichen Versorgung zulässt. Voraussetzung ist, dass eine ausreichende ärztliche Versorgung der Versicherten ohne die besonderen Untersuchungs- und Behandlungsmethoden oder Kenntnisse von hierfür geeigneten Ärzten nicht sichergestellt ist. Gemäß § 31a Abs. 3 in Verbindung mit § 31 Abs. 7 S. 1 Ärzte-ZV ist die Ermächtigung zeitlich, räumlich und ihrem Umfang nach zu bestimmen, also insbesondere befristet zu erteilen.


Urteilsbesprechung

Das Sozialgericht (SG) Nürnberg und das Landessozialgericht (LSG) Baden-Württemberg haben aktuelle Entscheidungen mit Bezug zum Sonderbedarf im Bereich Radiologie getroffen. Außerdem liegt ein Urteil des BSG zu Grundsätzen des Sonderbedarfs vor, welches die in den vorangegangenen Beiträgen thematisierte Entscheidung des BSG über den Sonderbedarf im Schwerpunkt Kinderradiologie[ 5 ] modifiziert.

Sozialgericht Nürnberg

Das SG Nürnberg wies die Klage eines Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) auf Anstellung eines Facharztes für Strahlentherapie im Rahmen des Sonderbedarfs ab.[ 6 ] Bedeutsam ist die Entscheidung für den Bereich Radiologie insbesondere vor dem Hintergrund, dass ein langjährig tätiger Radiologe schwerpunktmäßig strahlentherapeutische Leistungen erbrachte und zugunsten der Anstellung als Radiologe bei dem MVZ auf seine Zulassung verzichtete. Mit Beendigung der Tätigkeit dieses Radiologen entfällt die Möglichkeit, die bisherigen strahlentherapeutischen Leistungen zu erbringen.

Der Arzt verfügte über eine Abrechnungsgenehmigung der GOP 25 310 des EBM, der Weichstrahl- oder Orthovolttherapie, da strahlentherapeutische Leistungen zu dem Zeitpunkt seiner Ausbildung Bestandteil der Weiterbildung waren. Die Abrechnung strahlentherapeutischer Leistungen wird Radiologen nach Anpassung der Weiterbildungsordnung nicht mehr genehmigt,[ 7 ] sodass eine Nachbesetzung der Arztstelle des bisherigen Radiologen mit einem Radiologen nach aktueller Weiterbildung zu einem Entfall der strahlentherapeutischen Behandlung für das MVZ führt.

Nach Ansicht des SG Nürnberg lagen die Voraussetzungen für einen qualifikationsbezogenen Sonderbedarf nach § 36, 37 BPlRi nicht vor. Nach § 37 Abs. 1 Nr. 1 BPlRi sei die Prüfung und Feststellung einer bestimmten Qualifikation nach § 37 Abs. 2 BPlRi erforderlich. Danach sei eine besondere Qualifikation anzunehmen, wie sie durch den Inhalt des Schwerpunktes, einer fakultativen Weiterbildung oder einer besonderen Fachkunde für das Facharztgebiet nach der Weiterbildungsordnung beschrieben ist. Auch eine Zusatzweiterbildung oder eine Zusatzbezeichnung könne einen qualifikationsbezogenen Sonderbedarf begründen, wenn sie den vorgenannten Qualifikationen vom zeitlichen und qualitativen Umfang her gleichsteht. Ein besonderer qualifikationsbezogener Versorgungsbedarf könne schließlich auch bei einer Facharztbezeichnung vorliegen, wenn die Arztgruppe gemäß §§ 11 bis 14 BPlRi mehrere unterschiedliche Facharztbezeichnungen umfasse. Der Facharzt für Strahlentherapie besitze keine spezifische Qualifikation. Die Arztgruppe der Strahlentherapeuten umfasse auch keine unterschiedlichen Facharztbezeichnungen.

Die Voraussetzungen für einen lokalen Sonderbedarf gemäß § 101 Abs. 1 Nr. 3 SGB V in Verbindung mit §§ 36, 37 BPlRi waren nach Ansicht des SG Nürnberg ebenfalls nicht erfüllt. Die Regelung setze u. a. voraus, dass aufgrund der festzustellenden Besonderheiten des maßgeblichen Planungsbereichs (z. B. in Struktur, Zuschnitt, Lage, Infrastruktur, geographische Besonderheiten, Verkehrsanbindung, Verteilung der niedergelassenen Ärzte) ein zumutbarer Zugang der Versicherten zur vertragsärztlichen Versorgung nicht gewährleistet sei und aufgrund dessen Versorgungsdefizite bestünden. Bei der Beurteilung sei den unterschiedlichen Anforderungen der Versorgungsebenen der §§ 11 bis 14 BPlRi Rechnung zu tragen (§ 36 Abs. 4 BPlRi). Ein lokaler Sonderbedarf werde typischerweise bejaht, wenn in einer begrenzten Region eine besondere Häufung von Krankheiten vorkommt, die eine strahlentherapeutische Behandlung erforderlich machen, oder wenn es sich um eine sogenannte Enklavenlage handele. Letzteres sei vorliegend nicht der Fall.

Da jedoch auch eine besonders ungünstige bzw. ungleichmäßige Verteilung der niedergelassenen Ärzte eine Besonderheit im vorstehenden Sinn darstellen könne, sei richtigerweise weiter zu prüfen, ob die Verteilung der Strahlentherapeuten für Patienten im Umkreis des MVZ von 60 km derart ungünstig sei, dass eine Sonderbedarfszulassung zur Bedarfsdeckung vonnöten wäre. Bei der Entscheidung über Sonderbedarfszulassungen müssten sich die Zulassungsgremien ein möglichst genaues Bild der Versorgungslage im betroffenen Planungsbereich machen und ermitteln, welche Leistungen in welchem Umfang zur Wahrung der Qualität der vertragsärztlichen Versorgung im Sinne des § 101 Abs. 1 S. 1 Nr. 3 SGB V im Planungsbereich erforderlich sind, von den dort zugelassenen Ärzten aber nicht angeboten werden. Die Sachverhaltsermittlungen dürfen sich typischerweise nicht in Befragungen der im Einzugsbereich tätigen Vertragsärzte erschöpfen, weil die Gefahr bestehe, dass die Äußerungen der befragten Ärzte in starkem Maße auf deren subjektiven Einschätzungen beruhen und von deren individueller Interessenlage beeinflusst sein könnten. Daher fordere das BSG[ 8 ] in ständiger Rechtsprechung, dass die Zulassungsgremien die Antworten kritisch würdigen und sie objektivieren und verifizieren; auf jeden Fall seien die Aussagen der befragten Ärzte nicht ohne Weiteres als Entscheidungsgrundlage ausreichend. Ausgehend von diesen Maßstäben bestehe im Einzugsbereich des MVZ kein Bedarf für die begehrte Anstellungsgenehmigung im Sonderbedarf.

Dass die umliegenden befragten Praxen die strahlentherapeutische Behandlung gutartiger Erkrankungen nicht mit einer Weichteil- bzw. Orthovolttherapie behandeln und deshalb die GOP 25 310 nicht abrechnen, rechtfertige ebenfalls nicht die Annahme eines Sonderbedarfs. Ungeachtet der Frage, welche Vor- und Nachteile Weichteil- bzw. Orthovolttherapie einerseits oder Behandlung mittels Linearbeschleuniger andererseits haben, sei festzuhalten, dass damit jedenfalls eine ausreichende und zweckmäßige strahlentherapeutische Behandlung gutartiger Erkrankungen gewährleistet sei. Im Übrigen käme eine Anstellungsgenehmigung wegen lokalen Sonderbedarfs nur dann in Betracht, wenn der Bedarf in Bezug auf das gesamte Leistungsspektrum des Fachgebiets der betreffenden Arztgruppe bestünde. Die Nichtabdeckung von Teilaspekten eines Fachgebiets könne keinen lokalen Sonderbedarf gemäß § 36 BPlRi rechtfertigen,[ 9 ] hier käme allenfalls eine Ermächtigung in Betracht.


Landessozialgericht Baden-Württemberg

Das LSG Baden-Württemberg[ 10 ] wies die Klage eines vertragsärztlichen Strahlentherapeuten auf Anstellung einer Fachärztin für Strahlentherapie im Sonderbedarf ab. Das Urteil ist gleichermaßen für Radiologen von Bedeutung, weil die entscheidungserheblichen Vorgaben des Strahlenschutzes auch für sie gelten. Hinzu kommt, dass das LSG Baden-Württemberg dem Verfahren grundsätzliche Bedeutung beigemessen und die Revision zum BSG zugelassen hat.

Der Praxisinhaber machte geltend, dass sich seit der Gründung der Praxis die Zahl der zu versorgenden Patienten nahezu verdoppelt habe, daher habe die Praxis einen zweiten Linearbeschleuniger in Betrieb genommen. Allein durch den beantragten Sonderbedarf könne den Vorgaben gemäß Ziffer 2.1.2 der Richtlinie zur Strahlenschutzverordnung (RL-StrlSchV) zum Betrieb von Linearbeschleunigern zum Personenbedarf Rechnung getragen werden.

Das LSG Baden-Württemberg wendete zunächst die durch das BSG[ 11 ] zuletzt aufgestellten allgemeinen Grundsätze zum Sonderbedarf an und verneint deren Vorliegen. In Auswertung der Ermittlungen sei zutreffend, dass sich schon kein ungedeckter Bedarf in der Versorgungsregion der Praxis feststellen lasse.

Dabei könnten die Vorgaben in Ziffer 2.1.2 RL-StrlSchV zur personellen Ausstattung zu keinem anderen Ergebnis führen. Eine analoge Anwendung komme nicht in Betracht. Zunächst stehe es im Gestaltungsermessen des G-BA, einzelne spezielle qualifikationsbezogene Sonderbedarfstatbestände zu regeln, wie er es im Bereich der Dialyseversorgung getan habe.[ 12 ] Darüber hinaus stünde einer Implementierung der RL-StrlSchV entgegen, dass es sich dabei (anders als bei den zwingenden Bestimmungen der Qualitätssicherungsvereinbarung zu den Blutreinigungsverfahren gemäß § 135 Abs. 2 SGB V) um eine bloße Verwaltungsvorschrift handele und die in Tabelle 1 zu Ziff. 2.1.2 enthaltenen Zahlen zum Personalbedarf bloße „Anhaltszahlen“ darstellten; die Ermittlung des konkreten Personalbedarfs obliege demjenigen, der eine Genehmigung für den Betrieb eines Linearbeschleunigers beantragt. Zudem könne auch zusätzliches, externes Personal (mit Fachkunde) eingesetzt werden. Damit könne flexibel auf einen erhöhten Personalbedarf reagiert werden, wenn sich am Ende des Jahres eine Überschreitung der Bestrahlungsserien abzeichnen sollte. Einen zwingenden Zusammenhang zwischen der Anzahl der Versorgungsaufträge in einer Praxis und den Bestrahlungsserien und/oder der Fallzahl pro Versorgungsauftrag gebe es nicht.

Das LSG hat die Revision zum BSG wegen grundsätzlicher Bedeutung gemäß § 160 Abs. 2 Nr. 1 Sozialgerichtsgesetz (SGG) zugelassen,[ 13 ] um höchstrichterlich klären zu lassen, ob und inwieweit die Sicherheitsvorgaben der RL-StrlSchV bei der Bedarfsplanung von Bedeutung sind.


Bundessozialgericht

Das BSG hat in einem Urteil über den Antrag eines MVZ zur Erhöhung der Tätigkeit eines angestellten Facharztes für Innere Medizin mit Schwerpunkt Hämatologie und Onkologie im Rahmen eines Sonderbedarfs die ablehnende Entscheidung des Berufungsausschusses aufgehoben und dabei die Grundsätze für Sonderbedarf in der spezialisierten fachärztlichen Versorgung zusammengefasst.[ 14 ] Gemäß § 13 Abs. 1 Nr. 4 BPlRi gehören auch Radiologen der spezialisierten fachärztlichen Versorgung an.

Nach der Entscheidung des BSG kann Ärzten aus Arztgruppen, die in der Bedarfsplanung der spezialisierten fachärztlichen Versorgung zugeordnet sind, eine Sonderbedarfszulassung nur erteilt werden, wenn die Patienten Behandlungsangebote in anderen Praxen dieser Fachrichtung nicht innerhalb von 45 Minuten erreichen können. Dabei ist es für Versicherte zumutbar, wenn eine Praxis im ländlichen Raum mit dem PKW innerhalb von 45 Minuten erreichbar ist.

Die Zulassungsgremien können in Ausübung ihres Beurteilungsspielraums im Einzelfall zu dem Ergebnis kommen, dass auch längere Wegzeiten zumutbar sind, wobei die Grenze von 60 Minuten aber regelmäßig nicht überschritten werden darf.

§ 36 Abs. 3 Nr. 1 BPlRi verweist betreffend die Mindestbedingungen bei der Feststellung von Sonderbedarf nun auf die „Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll“ und nicht auf den Planungsbereich. Darüber hinaus stellt die BPlRi auch bei der Feststellung eines zusätzlichen lokalen Versorgungsbedarfs in nicht unterversorgten Planungsbereichen durch den Landesausschuss im Rahmen der Frage der Erreichbarkeit[ 15 ] darauf ab, dass die Erreichbarkeit „auch nicht durch Vertragsärzte in einem angrenzenden Planungsbereich sichergestellt werden kann“.[ 16 ]

In einem Revisionsverfahren betreffend eine Sonderbedarfszulassung für einen Facharzt für Kinderheilkunde und Diagnostische Radiologie mit dem Schwerpunkt Kinderradiologie hat es das BSG für möglich erachtet, einen Kinderkardiologen aus dem benachbarten Planungsbereich zu befragen.[ 17 ] Soweit das BSG in diesem Zusammenhang regelmäßig darauf verwiesen hat, dass es nach dem Wortlaut der BPlRi alter Fassung „in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich“ ankomme, kann dies aufgrund des geänderten Wortlauts der BPlRi jedenfalls für die spezialisierte ärztliche Versorgung nur in modifizierter Form fortgeführt werden.

Auch unter der Geltung der §§ 36, 37 BPlRi neue Fassung kann die Berücksichtigung der Versorgungsangebote von Praxen in benachbarten Raumordnungsregionen nur mit Vorbehalt erfolgen, weil das System einer auf Planungsbereiche abstellenden Planung nicht unterlaufen werden darf. Bevor die Zulassungsgremien solche Praxen im Rahmen der Bedarfsdeckung berücksichtigen, müssen sie genau prüfen, ob diese Praxen nicht den Bedarf in ihrer eigenen Region abdecken und eventuell dort vorhandene Kapazitäten schon zur (fiktiven) Bedarfsdeckung in Verfahren von zulassungswilligen Ärzten aus dieser Region herangezogen worden sind. Die ohnehin nur begrenzte Aussagekraft von (fiktiv) freien Kapazitäten wird noch weiter gemindert, wenn auf solche Praxen abgestellt wird, die auch Patienten aus Orten versorgen, die bei der konkreten Entscheidung gar nicht im Blick sein können.



Fazit

In tatsächlicher Hinsicht erscheint das Urteil des SG Nürnberg sowohl für den Behandelnden als auch dessen Patienten misslich, als dass mit Beendigung der Tätigkeit des Radiologen die Weichstrahl- oder Orthovolttherapie in der Praxis nicht in einen Sonderbedarf Strahlentherapie transferiert werden kann und daher endet. Gleichwohl ist dies eine Folge in Einzelfällen, welche auf einer bereits viele Jahre zurückliegenden Änderung der Weiterbildung beruht und zeitlichen Vorlauf für die Umstellung bot, währenddessen der status quo zugunsten des Behandlers erhalten blieb. In rechtlicher Hinsicht verweist das SG Nürnberg auf eine Entscheidung des LSG Sachsen-Anhalt, nach der die Beschränkung der Zulassung auf bestimmte Leistungen lediglich bei qualifikationsbezogenem Sonderbedarf gemäß § 36 Abs. 6 BPlRi möglich ist, was als einschränkende Regelung nicht auf den lokalen Sonderbedarf übertragbar sei.[ 18 ] Mit Verweis des LSG Sachsen-Anhalt auf die Rechtsprechung des BSG[ 19 ] setze die Zulassung wegen eines lokalen Versorgungsbedarfs dementsprechend voraus, dass auch in der gesamten Breite der Leistung der jeweiligen Facharztgruppe ein Versorgungsdefizit besteht.[ 20 ] Ein Defizit lediglich in Bezug auf die Weichstrahl- oder Orthovolttherapie reicht demnach nicht aus. Die Entscheidung des SG Nürnberg ist daher nicht zu beanstanden.

Zu dem Urteil des LSG Baden-Württemberg und dessen Einschätzung, die Angaben in Ziffer 2.1.2 RL-StrlSchV zur personellen Ausstattung könnten nicht einen Sonderbedarf rechtfertigen, ist eine Überlegung nicht von der Hand zu weisen: die personellen Anforderungen steigen, wenn ein – die Voraussetzungen erfüllender – Versorgungsbedarf gedeckt wird. Ob der Versorgungsbedarf die Voraussetzungen erfüllt, bestimmt sich nach den §§ 36, 37 BPlRi. Würden allein die personellen Anforderungen, deren Ermittlung Aufgabe der Praxis ist, einen – qualifikationsbezogenen – Versorgungsbedarf rechtfertigen, würde der Ursachenzusammenhang verdreht werden und zu einer Umgehung der Voraussetzungen des lokalen Versorgungsbedarfs führen.[ 21 ]

Das BSG hat entschieden, dass auch nach Neufassung[ 22 ] der §§ 36, 37 BPlRi seit der letzten Entscheidung betreffend einen Sonderbedarf im Schwerpunkt Kinderradiologie eine Berücksichtigung der Versorgungsangebote von Praxen in benachbarten Raumordnungsregionen nur mit Vorbehalt und in engen Grenzen erfolgen kann. Dieser Grundsatz verwundert insoweit, als dass der Wortlaut der einschlägigen Vorschriften für das maßgebliche Gebiet der zu berücksichtigenden Versorgung von „dem betreffenden fachärztlichen Planungsbereich“,[ 23 ] wonach es laut BSG in erster Linie auf die tatsächliche Versorgungssituation in dem betreffenden Planungsbereich ankam,[ 24 ] zu „Region, die vom beantragten Ort der Niederlassung aus versorgt werden soll“[ 25 ] geändert wurde. Insoweit verweist die BPlRi nicht mehr in erster Linie auf den Planungsbereich. Dennoch oder vielleicht gerade deswegen stellt das BSG klar, dass es durch das System einer auf Planungsbereiche abstellenden Planung weiterhin in erster Linie auf den Planungsbereich ankommt und benachbarte Raumordnungsregionen nur ausnahmsweise und eingeschränkt zu berücksichtigen sind. Hinsichtlich der zumutbaren Erreichbarkeit von ländlichen Praxen, welche an die Zeit anknüpft, die Versicherte zum Erreichen der Praxen mit dem PKW zurücklegen, ist offengeblieben, ob und wie dieser Maßstab auch in städtischen Gebieten anzuwenden ist.[ 26 ]

Prof. Dr. Peter Wigge
Rechtsanwalt
Fachanwalt für Medizinrecht

Tilmann Kirsch
Rechtsanwalt
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Malin Hildebrandt
Wissenschaftliche Mitarbeiterin

Rechtsanwälte Wigge
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1 Letzte Änderung vom 19.12.2024 (BAnz AT 28.01.2025 B3 und BAnz AT 29.01.2025 B2), in Kraft getreten am 31.12.2024.


2 Fahrinsland/Ruppel, in: Bieresborn/Schafhausen, Münchener Anwaltshandbuch Sozialrecht, 6. Aufl. 2024, § 18, Rn. 40.


3 Wigge/Sczuka, RoFo 2007, S. 982–983; Sczuka, RoFo 2009, S. 503–505.


4 Wigge/Kaufhold/Dawe, RoFo 2018, S. 890–894.


5 BSG, Urt. v. 05.11.2008, Az. B 6 KA 56/07 R; Sczuka, RoFo 2009, S. 503–505.


6 SG Nürnberg, Urt. v. 01.08.2024, Az. S 13 KA 5/22 – juris.


7 Vgl. Wigge/Schütz, RoFo 2017, S. 171–174 mit Besprechung BSG, Urt. v. 04.05.2016, Az. B 6 KA 13/15 R.


8 Vgl. insgesamt BSG, Urt. v. 17.03.2021, Az. B 6 KA 2/20 R – juris, welches nachstehend ebenfalls behandelt wird.


9 Unter Verweis auf Kremer/Wittmann, in: Vertragsärztliche Zulassungsverfahren, 2. Aufl. 2018, Rn. 652 f. und LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 24.11.2021, Az. L 9 KA 1/18.


10 LSG Baden-Württemberg, Urt. v. 15.05.2024, Az. L 5 KA 2346/22 – juris.


11 Vgl. insgesamt BSG, Urt. v. 17.03.2021, Az. B 6 KA 2/20 R – juris, welches nachstehend ebenfalls behandelt wird.


12 Vgl. § 37 Abs. 4 BPlRi.


13 BSG, kein Datum verfügbar, Az. B 6 KA 5/24 R.


14 BSG, Urt. v. 17.03.2021, Az. B 6 KA 2/20 R – juris.


15 § 35 Abs. 5 S. 1 Nr. 7 BPlRi.


16 Vgl. § 35 Abs. 5 S. 2 aE BPlRi.


17 BSG, Urt. v. 05.11.2008, Az. B 6 KA 56/07 R; Sczuka, RoFo 2009, S. 503–505.


18 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 24.11.2021, Az. L 9 KA 1/18, Rn. 40 – BeckRS 2021, 51 406.


19 BSG, Urt. v. 28.06.2017, Az. B 6 KA 28/16 R, Rn. 33 – juris.


20 LSG Sachsen-Anhalt, Urt. v. 24.11.2021, Az. L 9 KA 1/18, Rn. 41 – BeckRS 2021, 51 406.


21 So im Ergebnis auch Daum, NZS 2024, 956.


22 Beschluss des G-BA vom 16.05.2013 über eine Änderung der BPlRi: zusätzlicher lokaler Versorgungsbedarf und Sonderbedarf.


23 Nr. 24 lit. b S. 2 Bedarfsplanungs-Richtlinien-Ärzte aF.


24 BSG, Urt. v. 05.11.2008, Az. B 6 KA 56/07 R, Rn. 43 – juris.


25 § 36 Abs. 3 Nr. 1 BPlRi.


26 Vgl. Diehm, NZS 2021, 861.



Publication History

Article published online:
18 February 2025

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