Arthritis und Rheuma 2025; 45(01): 51-54
DOI: 10.1055/a-2490-2205
Kasuistik Kinderrheumatologie

Inflammatorischer Tumor als Differenzialdiagnose bei Hyperinflammation

Timmy Strauß
,
Normi Brück
,
Jessica Pablik
,
Katrin Schuchardt
,
Christoph Meißner
,
Heike Taut
,
Reinhard Berner
,
Judith Lohse
,
Catharina Schuetz
 

Der inflammatorische myofibroblastische Tumor ist eine intermediär maligne Neoplasie des Kindesalters. Betroffene fallen durch B-Symptomatik und laborchemische Hyperinflammation auf. Therapieziel ist die vollständige chirurgische Entfernung des Tumors, ggf. muss eine neoadjuvante/adjuvante Polychemotherapie durchgeführt werden. Die 3-Jahres-Überlebensrate liegt bei > 90 %. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aus pädiatrischer Rheumatologie, Immunologie, Radiologie, Hämatoonkologie und Pathologie beschleunigt die Diagnosestellung und optimiert das Patientenmanagement.

Kasuistik

Wir präsentieren den Fall eines 9-jährigen Patienten, der aufgrund rezidivierender Fieberepisoden mit Fieber bis 40 °C unter dem Verdacht einer autoinflammatorischen Erkrankung in unsere Klinik eingewiesen wurde.

Anamnese

Zur Vorstellung bei uns berichteten die Eltern über seit 2 Monaten auftretende 2-wöchentliche Fieberepisoden, welche über 3–5 Tage anhielten und schlecht auf konventionelle Antipyretika ansprächen. Zudem beklagte der Junge eine ausgeprägte Müdigkeit, Abgeschlagenheit, einen Gewichtsverlust von 5 kg in 2 Monaten sowie Nachtschweiß. Bis dahin zeigte der Junge eine unauffällige und altersentsprechende Entwicklung; Vorerkrankungen lagen nicht vor. Die Familie hatte kürzlich eine Reise an die polnische Ostsee unternommen. Der Großvater väterlicherseits ist wegen einer Thyreoiditis unklarer Ursache in Behandlung; die übrige Familienanamnese ist unauffällig.


Klinische und laborchemische Untersuchung

In unserer Notfallambulanz imponierte der Patient in einem deutlich reduzierten Allgemeinzustand mit auffallender Blässe sowie einer Hepatosplenomegalie. Laborchemisch zeigte sich eine Anämie (Hämoglobin 5,8 mmol/9,34 g/dl, Referenzbereich (RB) > 6,9 mmol/l/ > 10,6 g/dl), Thrombozytose (847 GPt/l, RB 150–400 GPt/l) sowie deutlich erhöhte Entzündungsparameter (C-reaktives Protein 75,7 mg/l; RB < 5,0 mg/l, Blutsenkungsgeschwindigkeit > 110 mm/h; RB < 15 mm/h, Serum-Amyloid A 1430 mg/l; RB < 6,4 mg/l, Ferritin 505,8 μg/l RB < 200 μg/l). Das Gesamt-IgG sowie IgG4 im Serum waren leicht erhöht (Gesamt-IgG: 23,3 g/l, RB 6,9–15,6 g/l; IgG4: 2,05 g/l, RB 0,04–1,9 g/l). Leukozyten, Lymphozyten, IgA, IgM sowie LDH und Harnsäure waren normwertig. Eine breite differenzialdiagnostische Erregersuche (u. a. Hepatitis B, CMV, EBV, VZV, FSME, Borrelien, Mycobacterium tuberculosis, Mycoplasma pneumoniae, Coxiella burnetii) erbrachte keinen Hinweis auf infektiöse Ursache für die Symptomatik; eine Blut- und Urinkultur blieben steril.


Apparative Diagnostik

Die Sonografie des Abdomens ergab neben der Hepatosplenomegalie eine echoarme, inhomogene und vaskularisierte Raumforderung im rechten Unterbauch ohne weiteren Organbezug ([ Abb. 1a ]). Zur weiteren Sicherung der Diagnose erfolgte eine MRT des Abdomens, welche den Befund einer beckenwandnahen Raumforderung mit einem Durchmesser von 5,5 cm, Diffusionsstörung und Kontrastmittel-Enhancement bestätigte; abdominelle Metastasen konnten nicht nachgewiesen werden ([ Abb. 1b ]).

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Abb. 1 a Sonografie des Abdomens: Echoarme, inhomogene Raumforderung im rechten Unterbauch ohne weiteren Organbezug. b MRT des Abdomens (T2-Sequenz coronar). Beckenwandnahe Raumforderung mit einem Durchmesser von 5,5 cm; abdominelle Metastasen konnten nicht nachgewiesen werden.

Therapie und Verlauf

Es erfolgte die Besprechung der Befunde im interdisziplinären pädiatrischen Tumorboard. Unsere Kolleg*innen der Kinderchirurgie führten im Anschluss zeitnah eine vollständige Entfernung des Tumors (R0-Resektion) durch. Die Histologie ergab eine mesenchymale Neoplasie aus spindeligen Tumorzellen mit lymphoplasmazellulärem Entzündungsinfiltrat, sodass die Diagnose eines inflammatorischen myofibroblastischen Tumors gestellt werden konnte ([ Abb. 2 ]). Zudem gelang der positive immunhistochemische Nachweis einer ALK-Expression sowie mittels FISH der molekularpathologische Nachweis der ALK-Translokation (anaplastische Lymphomkinase). Aufgrund der intermediären Malignität des Tumors wurde ein Staging empfohlen: Die CT-Thorax war unauffällig, eine Ganzkörper-MRT war ohne Anhalt für Fernmetastasen.

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Abb. 2 a Mesenchymale Neoplasie aus teilweise in Bündeln gelagerten epitheloiden blass eosinophilen, teils rundlich ovalären, teils auch angedeutet spindeligen Tumorzellen mit einem teils schütteren, teils auch dichteren gemischtzelligen, vorwiegend lymphoplasmazellulären Entzündungszellinfiltrat. b Positive Expression von ALK in der Immunhistologie, molekularpathologische ALK-FISH-Untersuchung (Vysis ALK Break Apart FISH, Fa. Abbott) mit 65 % Translokations-positiven Tumorzellkernen.

Die Entzündungswerte sind seit der Tumorexstirpation komplett normalisiert; erneute Fieberepisoden sind nicht mehr aufgetreten. Der Patient zeigt eine stetige Besserung des Allgemeinzustandes mit kontinuierlicher Gewichtszunahme und guter Leistungsfähigkeit. Die onkologische Nachsorge erfolgt über unsere kinderonkologische Spezialambulanz mit regelmäßiger Sonografie des Abdomens. Eine MRT-Bildgebung ist nur bei erneuten Auffälligkeiten indiziert.



Inflammatorischer myofibroblastischer Tumor

Es handelt sich beim inflammatorischen myofibroblastischen Tumor (IMT) um eine seltene Tumorentität (Gesamt-Inzidenz von Kindern und Erwachsenen in den USA: 150–200 Fälle jährlich [1]) mit einem mittleren Erkrankungsalter um das 7. Lebensjahr, wobei bereits Neugeborene erkranken können [2], [3]. Das Vorkommen dieses seltenen Tumors ist bis in das 80. Lebensjahr beschrieben. Die häufigsten Lokalisationen sind Becken/Abdomen (75 % aller Fälle), Thorax, ZNS sowie Extremitäten [4]. Hierbei tritt die Neoplasie häufig unifokal und nur in seltenen Fällen multifokal auf [5]. Klinisch äußerst sich der inflammatorische Tumor wie bei unserem Patienten mit unspezifischen Allgemeinsymptomen mit Fieber, Fatigue, Gewichtsverlust, Anämie, Thrombozytose sowie je nach Lokalisation mit weiteren organspezifischen Symptomen wie Bauchschmerzen, Luftnot etc. ([ Abb. 3 ]) [6]. Die Tumorentität besitzt ein als intermediär eingestuftes Malignitätspotenzial und kann lokal aggressiv wachsen, maligne transformieren und metastasieren [7].

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Abb. 3 Auswahl an klinischen und laborchemischen Präsentationen des inflammatorischen myofibroblastischen Tumors; nach [6]. Neben allgemeinen Symptomen wie Fieber, Gewichtsverlust, Fatigue ergeben sich organspezifische Symptome je nach Lokalisation des Tumors.

Pathogenetisch wird eine inflammatorische Infiltration von IgG4-positiven Plasmazellen, Lymphozyten und eosinophilen Granulozyten diskutiert, welche zur Sekretion von proinflammatorischen Zytokinen wie IL-1 führt [8]. Die genaue Pathogenese bleibt aktuell aufgrund fehlender Daten jedoch weiterhin unklar. Die Erkrankung wird nicht dem Spektrum der IgG4-assoziierten Erkrankungen zugeordnet, da beim inflammatorischen myofibroblastischen Tumor eine geringere Anzahl an Lymphozyten und Plasmazellen, eine geringere zelluläre Atypie sowie eine niedrigere IgG4/IgG-Ratio (< 50 %) vorliegt [9]. Andere Malignome wie u. a. Rhabdomyosarkome, Lymphome und Neuroblastome oder lymphoproliferative Erkrankungen wie der Morbus Castleman [10] sollten in die differenzialdiagnostischen Überlegungen einbezogen werden. Durch FISH/RNA-Sequencing-Analysen kann der Nachweis einer Anaplastische-Lymphom-Kinase(ALK)-Translokation gelingen. Primäres Therapieziel ist die vollständige chirurgische Resektion. Bei operativ schwer zugänglichem Tumor oder fehlender R0-Resektion kann eine neoadjuvante/adjuvante Polychemotherapie analog dem CWS-Protokoll für Weichteiltumore der Gesellschaft für pädiatrische Hämatologie und Onkologie (GPOH) mit u. a. Methotrexat und Vinblastin durchgeführt werden. Bei positiver ALK-Translokation (50–60 % der Fälle [11]) steht mit Crizotinib (Tyrosinkinaseinhibitor) eine zielgerichtete Therapie zur Verfügung [12]. ALK-negative Tumore treten eher nach dem 9. Lebensjahr auf und metastasieren häufiger [3]. Mediastinale und retroperitoneale IMTs zeigen eine Rezidivrate von 15–37 % im Mittel ein Jahr nach Resektion [13]. Die 3-Jahres-Überlebensrate des inflammatorischen myofibroblastischen Tumors liegt erfreulicherweise bei 96,8 % [14].

FAZIT

Bei rekurrierenden Fieberepisoden und laborchemischen Zeichen der Hyperinflammation muss insbesondere bei Vorliegen weiterer verdächtiger Symptome wie Gewichtsverlust und Abgeschlagenheit eine maligne Erkrankung sicher ausgeschlossen werden. Eine interdisziplinäre Zusammenarbeit aus pädiatrischer Rheumatologie, Immunologie, Radiologie und Hämatoonkologie ist für die rasche differenzialdiagnostische Abklärung, Diagnosesicherung und Einleitung spezifischer Therapiemaßnahmen förderlich.



Timmy Strauß


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich päd. Rheumatologie und UniversitätsCentrum für Chronische Immundefizienzen

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Normi Brück


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich päd. Rheumatologie

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Jessica Pablik


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Institut für Pathologie

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Katrin Schuchardt

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinderchirurgie

Christoph Meißner


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Institut und Poliklinik für diagnostische und interventionelle Radiologie, Fachbereich päd. Radiologie

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Heike Taut


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich päd. Sonographie

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Reinhard Berner


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich päd. Rheumatologie

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Judith Lohse

Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, Fachbereich päd. Hämatoonkologie

Catharina Schuetz


Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Carl Gustav Carus Dresden, Klinik u. Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin, UniversitätsCentrum für Chronische Immundefizienzen

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Interessenkonflikt

Der korrespondierende Autor gibt an, dass keine Interessenkonflikte bestehen.


Korrespondenzadresse

Dr. med. Timmy Strauß
Universitätsklinikum Carl Gustav Carus Dresden
Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendmedizin
Fetscherstraße 74
01307 Dresden
Deutschland   

Publikationsverlauf

Artikel online veröffentlicht:
26. Februar 2025

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Oswald-Hesse-Straße 50, 70469 Stuttgart, Germany


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Abb. 1 a Sonografie des Abdomens: Echoarme, inhomogene Raumforderung im rechten Unterbauch ohne weiteren Organbezug. b MRT des Abdomens (T2-Sequenz coronar). Beckenwandnahe Raumforderung mit einem Durchmesser von 5,5 cm; abdominelle Metastasen konnten nicht nachgewiesen werden.
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Abb. 2 a Mesenchymale Neoplasie aus teilweise in Bündeln gelagerten epitheloiden blass eosinophilen, teils rundlich ovalären, teils auch angedeutet spindeligen Tumorzellen mit einem teils schütteren, teils auch dichteren gemischtzelligen, vorwiegend lymphoplasmazellulären Entzündungszellinfiltrat. b Positive Expression von ALK in der Immunhistologie, molekularpathologische ALK-FISH-Untersuchung (Vysis ALK Break Apart FISH, Fa. Abbott) mit 65 % Translokations-positiven Tumorzellkernen.
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Abb. 3 Auswahl an klinischen und laborchemischen Präsentationen des inflammatorischen myofibroblastischen Tumors; nach [6]. Neben allgemeinen Symptomen wie Fieber, Gewichtsverlust, Fatigue ergeben sich organspezifische Symptome je nach Lokalisation des Tumors.