Einleitung[1 ]
Angesichts häufiger werdender Großschadensfälle wurden vermehrt seit den 1980er-Jahren
Initiativen unternommen, nach dem Notarztwesen auch die Funktion eines Leitenden Notarztes
(LNA) zu definieren und zu organisieren. Bestärkt durch das Flugzeugunglück auf der
US-amerikanischen Air Base in Ramstein mit zahlreichen Toten und hunderten Verletzten
hat die Bundesärztekammer 1988 erstmals Empfehlungen zur Fortbildung des LNA veröffentlicht
[1 ]. In der Folge wurden die Ausbildungsinhalte durch die Notarztarbeitsgemeinschaften
unter der Leitung der Bundesvereinigung der Arbeitsgemeinschaften der Notärzte Deutschlands
(BAND) e. V. spezifiziert [2 ]. Zuletzt wurden das Curriculum 2011 aktualisiert [3 ] und ein Seminar LNA über 40 Unterrichtseinheiten à 45 min sowie ein Aufbauseminar
LNA über 8 Unterrichtseinheiten definiert, wobei das Aufbauseminar als Fortbildung
für Leitende Notärzte zu verstehen ist.
Seit diesen wesentlichen Schritten zum bundesweiten Aufbau von LNA-Gruppen und der
damit verbundenen Strukturierung medizinischer Einsatzleitungen bzw. Einsatzabschnittsleitungen
haben sich sowohl die Ausprägungen als auch die rettungsdienstlichen Mittel und Möglichkeiten
sowie das einsatztaktische Vorgehen zur Bewältigung größerer Schadensereignisse unterhalb
der Katastrophenschwelle verändert. Neben den altbekannten Szenarien treten neue Herausforderungen,
wie z. B. Schadensereignisse in hochkomplexer Infrastruktur, sowie der Klimawandel
und dessen Folgen auf. Nicht zuletzt durch die vergangenen Großschadensereignisse
und die sich ändernden (sicherheitspolitischen) Bedrohungen und Herausforderungen
mit teils voneinander abhängigen und sich gegenseitig verstärkenden Krisen ist es
daher an der Zeit, sowohl die Herausforderungen, denen LNA bei der Einsatzbewältigung
begegnen, als auch die Mittel und Partner in der Einsatzleitung anzupassen. Infolgedessen
müssen auch die
erforderlichen Ausbildungsinhalte, deren Umfang und geeignete Lehrmethoden sowie die
notwendigen Maßnahmen zu Training und Kompetenzerhalt reevaluiert und adaptiert werden.
Mit diesem Ziel hat sich am 6. und 7. März 2024 auf Einladung der Deutschen Gesellschaft
für Anästhesiologie und Intensivmedizin e. V. (DGAI), des Instituts für Rettungs-
und Notfallmedizin des Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, der Arbeitsgemeinschaft
Südwestdeutscher Notärzte e. V. und des Zentralbereichs Katastrophenschutz der RKH
Regionale Kliniken Holding und Services GmbH aus Ludwigsburg eine Expertengruppe im
Kieler Institut für Notfall- und Rettungsmedizin getroffen. Dabei wurde festgestellt,
dass zunächst die Aufgaben des LNA neu definiert werden müssen. Originär ist der LNA
als Funktion des Rettungsdienstes zu begreifen, der abhängig von Anlass, Art und Umfang
der Lage unmittelbar an der Einsatzstelle oder in einer abgesetzten Führungseinrichtung
in der Führungsstufe C (Führen mit einer Führungsgruppe) oder in der Führungsstufe
D (Einsatzleitung mit einem Führungsstab) tätig werden soll.
Überschreitet das Ausmaß der Lage eine gewisse Schwelle, werden notfallmedizinischer
Sachverstand und ärztliche Expertise über die erstgenannten Funktionen hinaus auch
in Stäben oder überregionalen politischen Leitungsebenen erforderlich sein. Es scheint
daher sinnvoll, die Qualifizierung der LNA, über die aktuellen Empfehlungen der Bundesärztekammer
hinaus, in einem gestuften Fortbildungskonzept aufzubauen, wobei die Grundqualifizierung
auf die rettungsdienstlichen Aufgaben und Funktionen im gesundheitlichen Bevölkerungsschutz
fokussiert sein sollte und weiterführende Inhalte in zusätzlichen Modulen abgebildet
werden könnten.
Der LNA bringt eine spezifische notfallmedizinische Kompetenz in die Einsatzleitung
ein und setzt sie, zusammen mit dem Organisatorischen Leiter Rettungsdienst (OrgL),
zur gemeinsamen Bewältigung der Schadenslage ein. Aufgabe von LNA und OrgL ist die
Organisation und Führung des medizinischen Einsatzes, um eine schnellstmögliche Lebensrettung,
Erstversorgung und Behandlung durch die Bildung von Einsatzschwerpunkten sowie Ordnung
von Raum, Zeit und Kräften zu gewährleisten.
Durch die Zuständigkeiten der Bundesländer für den Rettungsdienst und Katastrophenschutz
gibt es viele verschiedene Umsetzungen der ärztlichen Rolle im Führungssystem und
der Ausbildung der LNA unter der prinzipiell gleichen Zielsetzung der Menschenrettung.
Die Ergebnisse der Beratungen werden im Folgenden detailliert dargestellt, wobei die
wesentlichen Ergebnisse der Beratungen das im Folgenden vorgestellte Stufenmodell
und die dazugehörigen Rollenprofile sind.
Rollenprofile für Leitende Notärzte – ein 4-Stufen-Modell für (Groß-)Schadenslagen,
Krisen, Katastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen
Rollenprofile für Leitende Notärzte – ein 4-Stufen-Modell für (Groß-)Schadenslagen,
Krisen, Katastrophen und kriegerische Auseinandersetzungen
Je nach Art und Umfang eines Großschadensereignisses werden im Bereich der Führung
und Strukturierung des medizinischen Einsatzes unterschiedliche Kompetenzen bei einer
medizinischen Führungskraft notwendig. Um dieser Tatsache gerecht zu werden, ist die
Einführung eines 4-stufigen Modells sinnvoll. Dabei orientieren sich diese Stufen
an den Schutz- und Versorgungsstufen der subsidiär angelegten, nicht polizeilichen
Sicherheitsarchitektur Deutschlands (aus der Neuen Strategie zum Schutz der Bevölkerung),
wenngleich hier eine strikte Abgrenzung der einzelnen Stufen nicht immer möglich ist
bzw. die Stufen aufeinander aufbauen [4 ]. Insbesondere auf Ebene der niedrigeren Stufen kann es zu notwendigen Abweichungen
aufgrund lokaler und regionaler Gegebenheiten kommen. Dennoch repräsentieren die Schutz-
und Versorgungsstufen ein flexibles, aufwuchsfähiges und integriertes (ebenenübergreifendes)
Hilfeleistungssystem, welches bei der alltäglichen Gefahrenabwehr beginnt und auch
größere Szenarien des Katastrophen- bis Zivilschutzes (gemeinsam = Bevölkerungsschutz)
umfasst [4 ].
Ferner liegt dem Modell der sogenannte All-Gefahren-Ansatz zugrunde, welcher alle
natürlichen und menschengemachten (anthropogenen) Gefahren umfasst, also sowohl beispielsweise
Starkregenereignisse oder Erdbeben wie auch Havarien in Betrieben mit chemischen,
biologischen, radioaktiven oder nuklearen Gefahrstoffen (CBRN) oder auch Terrorlagen
und kriegerische Konflikte [4 ]
[5 ]
[6 ]
[7 ]. Dem All-Gefahren-Ansatz folgend kann es durch die diversen auslösenden Ereignisse
zu Großschadenslagen unterschiedlich skalierten Ausmaßes kommen. Diese Skalierung
beinhaltet sowohl die unmittelbare Beeinträchtigung der Gesundheit mit diversen auslöserassoziierten
(spezifischen) Verletzungen oder Erkrankungen als auch mittelbar die Störung der Versorgungsinfrastruktur
[8 ]
[9 ]. Das hier nachfolgend beschriebene Konzept integriert alle Akteure im Bevölkerungsschutz
und ist ferner passfähig zur Deutschen Strategie zur Stärkung der Resilienz gegenüber
Katastrophen (kurz: Resilienzstrategie) und zur Nationalen Sicherheitsstrategie [2 ]
[6 ]. Ziel ist eine bestmögliche medizinische Versorgung für jedes Schadensausmaß, welches
die einzelnen Versorgungsprinzipien der Individual- und Taktischen Medizin, des Medizinischen
CBRN-Schutzes und der Katastrophenmedizin umfasst, je nachdem, wie umfang- oder gefährdungsreich
die Schadenslage und die vorhandenen Bewältigungsressourcen sind [8 ]
[9 ]. Die einzelnen Stufen werden nachfolgend beschrieben.
In allen Stufen ist es eine zentrale Aufgabe des LNA, ein Gesundheitslagebild zu erheben
und zu beurteilen, welches das Schadensausmaß (Anzahl und Art Verletzter/Erkrankter,
Sichtung der Verletzten/Erkrankten bzw. Feststellung der medizinischen Prioritäten)
und die Bewältigungsressourcen sowie besondere Aspekte (z. B. Gefährdungslage, Entwicklungspotenziale)
umfasst, um eine adäquate medizinische Lagebewältigung sicherstellen zu können. Hierzu
zählen das Erreichen der taktischen Ziele mit dem Treffen von wirksamen Maßnahmen
zur Schadensabwehr und vor allem die korrekte Allokation der Ressourcen zu den Bedarfen.
In der ersten Stufe ist der LNA noch unmittelbar an der Lageerkundung und Ressourcenzuordnung
beteiligt, in höheren Stufen erfolgt dies eher „aus der Ferne“ (z. B. Technische Einsatzleitung
(TEL), Leitungsstab) [10 ]
[11 ]. Die Funktion und die personelle Besetzung der LNA-Funktion erfolgen anhand des
Aufwuchses der Führungsstufen. Dadurch liegt je nach Stufe der Tätigkeit des LNA ein
anderes Rollenprofil zugrunde. Erfahrung in der Arbeit auf den jeweils vorhergehenden
Stufen ist dabei unerlässlich für eine effektive und effiziente Aufgabenwahrnehmung
höherer Stufen bzw. baut die Expertise sinnvollerweise aufeinander auf [7 ]
[12 ]
[13 ]
[14 ].
Stufe 1: LNA vor Ort
Die Stufe 1 beschreibt den normalen Einsatzbetrieb innerhalb eines kommunal gegliederten
Rettungsdienstbereichs mit alltäglichen Gefahren, die durch den Regelrettungsdienst
gegebenenfalls unter Einbeziehung überörtlicher Hilfe abgearbeitet werden können.
Die Gefahrenabwehr in der Versorgungsstufe 1 betrifft das gesamte Bundesgebiet gleichermaßen
ohne spezielle Schwerpunkte aufgrund von Geografie oder Infrastruktur [4 ]
[15 ]. Als Beispiele für Einsatzlagen der Stufe 1 können unter anderem Brände in Mehrfamilienhäusern
mit mehreren exponierten Personen oder größere Verkehrsunfälle angesehen werden. Die
medizinischen Führungsaufgaben werden in der Regel zunächst durch den ersteintreffenden
Notarzt und je nach Lage im Folgenden bzw. bei Aufwachsen der Lage durch einen LNA
vor Ort bewältigt. Vorrangiger Aufgabenschwerpunkt ist hier das operativ-taktische
Führen der medizinischen Einsatzkräfte mit dem Ziel, die Patienten schnellstmöglich
einer indizierten und geeigneten Behandlung zuzuführen.
Stufe 2: LNA in einer (größeren) Gesamteinsatzleitung („LNA-Koordinator“)
Die Versorgungsstufe 2 beschreibt den flächendeckenden, standardisierten Grundschutz
und bezieht sich auf außergewöhnliche, nicht alltägliche Schadensereignisse mit einer
größeren Anzahl an Verletzten. Schadensereignisse dieser Kategorie können im gesamten
Bundesgebiet ohne spezifische Häufung gleichermaßen auftreten [4 ]. Für die Bewältigung des Schadensereignisses müssen neben dem Regelrettungsdienst
und der überörtlichen Hilfe zusätzlich Einheiten des erweiterten Rettungsdienstes
sowohl als Teil der (erweiterten) allgemeinen Gefahrenabwehr als auch des Bevölkerungsschutzes
herangezogen werden. Als beispielhafte Lagen der Stufe 2 können unter anderem Unfälle
mit Schienenfahrzeugen dienen [4 ]
[15 ]. Die medizinischen Führungsaufgaben erstrecken sich nicht mehr nur auf das operativtaktische
Führen mit dem geordneten und sich ergänzenden Zusammenwirken der verschiedenen Einsatzkräfte
und Ressourcen. Es werden ab der Stufe 2 zunehmend strategische Überlegungen hinsichtlich
ihrer 3 Faktoren „Ziel“ (Was), „Mittel“ (Womit) und „Wege“ bzw. „Einsatz“ (Wie) zur
Bewältigung der medizinischen Gefahren- und Schadenslage relevant. Aufgrund der Komplexität
und der Größe der Lage wird hier neben dem LNA vor Ort (dem Prinzip nach ein LNA der
Stufe 1) zur Bewältigung der medizinischen Lage zumindest ein weiterer LNA im Bereich
der Gesamteinsatzleitung tätig sein müssen. Lageabhängig wird es darüber hinaus erforderlich
sein, mehrere LNA vor Ort in (Unter-)Abschnittsleitungen einzusetzen. Dabei müssen
die Zuständigkeiten und Verantwortlichkeiten klar definiert sein. Der LNA in der Gesamteinsatzleitung
hat die Aufgabe, die medizinische Versorgung in den Abschnitten
übergeordnet zu koordinieren, und trägt z. B. die Bezeichnung „LNA-Koordinator“ oder
„Medizinischer Koordinator“. Dem LNA-Koordinator obliegt die medizinische Gesamtverantwortung
im Einsatz. In einigen Fällen kann der Einsatz des LNA-Koordinators auch bereits in
der Stufe 1 sinnvoll sein. Denkbar sind hier beispielsweise Lagen mit mehreren dislozierten
Einsatzstellen in einem großflächigen Schadensgebiet, die eine übergeordnete medizinische
Koordination erforderlich machen. Des Weiteren kann der Einsatz des LNA-Koordinators
auch in Sonderlagen, die einen Wechsel von der Führung vor Ort in eine rückwärtige
Führung (z. B. Polizeilagen mit einer größeren Anzahl Verletzter) erforderlich machen,
zur Lagebewältigung sinnvoll sein.
Stufe 3: der Leitende (Not-)Arzt im Stab
Die Versorgungsstufe 3 beschreibt den erhöhten Schutz für gefährdete Regionen und
Einrichtungen, wo zur Bewältigung der Lage länderübergreifende Hilfe notwendig ist
[4 ]. Im Gegensatz zu den niedrigeren Stufen liegt hier in Ballungsräumen oder bei Vorliegen
entsprechender Infrastruktur eine höhere Eintrittswahrscheinlichkeit vor. Neben den
in den niedrigeren Stufen benötigten Einsatzkräften muss in der Stufe 3 auf große
Kontingente des Bevölkerungsschutzes zurückgegriffen werden. Zur Bewältigung der Lage
werden bei Schadensereignissen dieser Größenordnung Führungsstäbe gemäß DV 100 eingesetzt.
Je nach Lage und regionaler bzw. länderspezifischer Vorgabe kommen ein oder mehrere
Stäbe zum Aufruf. Die Tätigkeit des Leitenden (Not-)Arztes bekommt zunehmend einen
administrativ-strategischen Schwerpunkt als Fachberater im Stab. Je nach Ausrichtung
des Stabs (operativ-taktisch versus administrativ-organisatorisch) ist hier der Einsatz
eines aktiv tätigen LNA mit zusätzlicher Qualifikation zur Stabsarbeit oder eines
für Stabsarbeit qualifizierten Arztes mit LNA-Kenntnissen sinnvoll. Hierbei geht es
im Wesentlichen um die
fachspezifische Bewertung der Lage hinsichtlich der medizinischen Schwerpunkte mit
Handlungsprioritäten, deren Beurteilung und Planung von Entscheidungsoptionen zur
Schadensabwehr und deren Umsetzung in einem Stab. Neben der medizinisch fundierten
Beratung von entsprechenden entscheidungsbefugten Leitungspersonen soll im Bedarfsfall
ein fachspezifisches medizinisches Netzwerk aufgerufen werden, um breite Expertise
für den Stab zu bündeln und zu bahnen.
Hierzu kann der Leitende (Not-)Arzt im Stab je nach Lage beispielsweise Epidemiologen,
Infektiologen, Psychotraumatologen oder Pädiater hinzuziehen, um die Fachberatung
zu optimieren. Er dient dann als „Brücke“ zum Stab, da er in Stabsarbeit geschult
ist, ein taktisch einheitliches Denken mitbringt und die notwendigen medizinischen
Kenntnisse einbringt.
Stufe 4: der Leitende (Not-)Arzt als Behördenberater (ärztlicher Single-Point-of-Contact
– SPoC)
Die Stufe 4 beschreibt den Sonderschutz unter Zuhilfenahme von Spezialkräften auf
Basis der Bund-Länder-Vereinbarungen und gegebenenfalls auch Inanspruchnahme internationaler
Hilfe [4 ]. Die für diese Stufe angenommenen Lagen sind beispielsweise großflächige Katastrophen
oder kriegerische Auseinandersetzungen. Der Leitende (Not-)Arzt ist hier als Fachberater
für die obersten Behördenleitungen und Ministerien in allen medizinischen Fragen eingesetzt.
Das Aufgabenspektrum im Stab ist rein administrativ-organisatorisch. Der Leitende
(Not-)Arzt in diesem Aufgabenfeld ist stabserfahren, hat Kenntnisse in der adressatengerechten
Beratung politischer Entscheidungsträger und Behördenvertreter (inklusive Lagezentren)
und kann auf ein Netzwerk von Fachexperten zurückgreifen. Dieser ärztliche Single-Point-of-Contact
(SPoC) einer Behörde vermag, ein überregionales bis nationales Gesundheitslagebild
mit politisch-strategischer Tragweite zu beurteilen und größere Ressourcenkontingente
und übergeordnete Bewältigungsmechanismen zu allokieren. Es obliegt dabei selbstverständlich
der jeweiligen Behörde, welche Berufungskritierien sie an solche Personen
richtet bzw. wen sie als ärztlichen Behörden-SPoC einsetzt. Die Kenntnis der übrigen
Stufen und LNA-Rollen ist dabei notwendig.
Das Stufenmodell und die Rollenprofile sind in [Abb. 1 ] in einer Übersicht dargestellt.
Abb. 1
Übersicht über das Stufenmodell und die Rollenprofile.
Kompetenzen und Kompetenzniveaus
Kompetenzen und Kompetenzniveaus
Diese Empfehlung listet bewusst keine konkreten Inhalte der LNA-Fortbildung auf, sondern
folgt vielmehr den international seit Langem etablierten Grundsätzen der postgradualen
„Competency-based medical education“, deren konsequente Anwendung unter anderem durch
die Gesellschaft für medizinische Ausbildung (GMA) empfohlen wird [16 ]
[17 ]. Neben der Beschreibung der für die LNA-Tätigkeit erforderlichen Kompetenzen ist
es ebenso wichtig, ein Kompetenzniveau zu beschreiben, das für die tatsächliche Tätigkeit
erforderlich und demnach in der Ausbildung vermittelt werden muss. Es reicht z. B.
nicht, den Führungsvorgang nach FwDV 100 als Inhalt der Ausbildung oder als Kompetenz
eines LNA zu beschreiben. Zusätzlich wäre hier – unter Nutzung der „Revised Bloom’s
Taxonomy“ – das Niveau mit „kann umsetzen, anwenden“ zu beschreiben [18 ]. Zur Erhebung von Schlüsselkompetenzen zur erfolgreichen Bewältigung von medizinischen
Großschadenslagen wurden bei einem Kongress in den USA 132 Einsatz- und Führungskräfte
befragt. Sie nannten folgende Kompetenzen (King et al. 2016):
Kenntnisse des Führungssystems (65%)
Zusammenarbeit/interpersonelle Fähigkeiten (56%)
Rollenkongruenz (54%)
Kognitive Fähigkeiten (51%)
Kommunikationsvermögen (32%)
Anpassungsfähigkeit/Flexibilität (31%)
Problemlösungsvermögen /Entscheidungsfähigkeit (22%)
Ruhe/Regenerationsfähigkeit (21%)
Charakter (21%)
Allgemeinwissen (9%)
Zu ähnlichen Ergebnissen kommt eine Auswertung bisheriger „Lessons learned“ aus der
medizinischen Versorgung und Organisation bei Terroreinsätzen [19 ].
Sobald als erster Schritt die Kompetenzen mit den dazugehörigen Kompetenzniveaus definiert
sind, lassen sich dann geeignete Lehraktivitäten und Lehrformate ableiten.
Durch die Expertengruppe wurde eine Liste der notwendigen Kompetenzen in den Domänen
Fachkompetenz, Methodenkompetenz und persönliche Kompetenz für die LNA-Ausbildung
erarbeitet. Daneben wurde eine Liste von Spezialthemen erstellt, die im besonderen
Maße einer regelmäßigen Erweiterung und Aktualisierung bedarf – nicht zuletzt dieser
Umstand macht eine kontinuierliche, spezifische Fortbildung zum Erhalt und zur Erweiterung
der Kompetenzen von aktiven LNA essenziell. Auch hier bedeutet die reine Kenntnis
des Führungssystems noch nicht den Einsatzerfolg. Es bedarf vielmehr des Trainings
in praktischer Umsetzung und der Beteiligung der relevanten Schnittstellen.
Besonders hervorzuheben sind noch das Informationsmanagement sowie die Dokumentation.
Diese sind vor allem in länger andauernden Lagen hoch relevant, wenn die Ablösung
von Personal notwendig ist oder in hoch dynamischen Lagen schnelle Informationsverarbeitung
und -bewertung stattfinden müssen. Dazu ist ein gemeinsames Lagebild mit der Einsatzleitung
unerlässlich [20 ]. Mit dem Aufbau und der Weiterführung eines gemeinsamen Lagebildes können Wahrnehmungs-
und Bewertungsfehler minimiert werden, die in komplexen Lagen mit hohem Stress einhergehen.
Mit der Verbesserung der Lagefeststellung, Bewertung und Entscheidung können Menschen
geschützt und Leben besser gerettet werden.
Nicht zuletzt dieser Umstand macht eine kontinuierliche, spezifische Fortbildung zum
Erhalt und zur Erweiterung der Kompetenzen von aktiven LNA essenziell.
Kurs- und Tätigkeitsvoraussetzungen
Kurs- und Tätigkeitsvoraussetzungen
Der LNA bringt eine spezifische notfallmedizinische Kompetenz in die Einsatzleitung
ein und setzt sie in den Kontext mit einsatztaktischen Erwägungen. Der LNA benötigt
gleichermaßen methodische, fachliche und persönliche Kompetenz als Qualifikation zur
Ausübung seiner Rolle. Die LNA-Ausbildung baut auf den bereits vorhandenen Erfahrungen
in der Medizin auf. Angehende LNA sollten über kommunikative Kompetenzen, einen kooperativen
Arbeitsstil sowie Erfahrungen in Führungsfunktionen und Führungspositionen verfügen.
Insbesondere die sogenannten Soft Skills sind nicht formal prüfbar, aber essenziell
für die erfolgreiche Absolvierung der Ausbildung und vor allem der späteren Einsatztätigkeit.
Als Eingangsvoraussetzungen für die Teilnahme an der Ausbildung werden folgende formalen
Qualifikationen gefordert:
Facharztstandard in einem Fach mit intensivmedizinischem Bezug
Zusatzbezeichnung Notfallmedizin
Langjährige Erfahrung in der prähospitalen Notfallmedizin mit mehr als 500 eigenständig
absolvierten Einsätzen als Notärztin oder Notarzt auf NEF und/oder RTH
Die erfolgreiche Absolvierung der LNA-Ausbildung führt nicht automatisch zur Tätigkeit
als LNA. Für die eigentliche Tätigkeit sind weitere fachliche und formale Voraussetzungen
gefordert. Basierend auf dem Stufenmodell sind dies für die Stufen 1 und 2:
Facharztstatus, idealerweise in einem Fach mit intensivmedizinischem oder notfallmedizinischem
Bezug
Erfolgreiche Teilnahme an der LNA-Fortbildung
Fortgesetzte Tätigkeit im Notarztdienst
Bestallung durch den Träger des Rettungsdienstes bzw. durch die Gebietskörperschaft
Eintragsfreies Führungszeugnis
Formale Führungserfahrung in Positionen als (Funktions-) Oberärztin/Oberarzt
Eingehende Kenntnisse des Führungssystems und des Führungsvorgangs sowie von Abläufen
in der Gefahrenabwehr (DV 100)
Profunde Kenntnisse der lokalen Strukturen von Feuerwehr, Rettungsdienst, Leitstelle,
Bevölkerungsschutz, Krankenhäusern und Einrichtungen der Gesundheitsvorsorge
Regelmäßige, LNA-fachspezifische Fortbildung im Umfang von 8 Stunden (à 60 min) pro
Jahr
Regelmäßige Evaluation durch den Träger des Rettungsdienstes bzw. durch die Gebietskörperschaft
Für die Tätigkeit in den Stufen 3 und 4 sind weitere Qualifikationen essenziell, die
aufgabengerecht durch weitere Fortbildungsmodule ergänzt werden müssen. Dazu zählen
unter anderem:
Die Befähigung zum Arbeiten in der Führungsstufe D (Stabsarbeit)
Fachberatung Gesundheit
Kenntnisse über Aufgaben und Möglichkeiten des öffentlichen Gesundheitsdienstes
Profunde Kenntnisse über Möglichkeiten und Prozessabläufe der zivilmilitärischen Zusammenarbeit
und der Zuständigkeiten im Katastrophenschutz, Zivilschutz und in der Zivilen Verteidigung
Mögliche Lehrformate und Art der Wissensvermittlung
Mögliche Lehrformate und Art der Wissensvermittlung
Um die Fortbildung erfolgreich zu gestalten, braucht es ein Zusammenspiel von Kompetenzen
und Kompetenzniveaus einerseits und den Lehraktivitäten, Lehrformaten und Assessments
anderseits.
Klassische Lehrformate wie Frontalvorträge eignen sich allenfalls dazu, ein niedrigeres
Kompetenzniveau („kennt, kann benennen“) zu erreichen, das häufig nur als Grundlage
zum Erreichen eines höheres Kompetenzniveau („beherrscht, reflektiert kritisch“) dient.
Diese höheren Kompetenzniveaus müssen dann in Übung der Anwendung z. B. durch Fallbesprechungen,
Skill-Trainings, Entscheidungsfindungstrainings oder Full-Scale-Simulationen erarbeitet
werden. Diese Auswahl der Methoden, insbesondere Simulationen und Planspiele, ermöglicht
es den Teilnehmenden, in einem Lernumfeld durch das Ausführen von Führungstätigkeiten
in einem performativen Charakter konkrete und vor allem neue Erkenntnisse bzw. Schlussfolgerungen
für ihr späteres eigenes Aufgabenfeld im Einsatz gewinnen zu lassen.
Die Expertengruppe ist sich einig, dass trotz der umfangreichen zu berücksichtigenden
neuen Inhalte der Umfang der Präsenzzeit eines zukünftigen Kursformates die bisher
angesetzten 40 Unterrichtseinheiten in der Stufe 1 nicht überschreiten sollte. Kursinhalte,
die nur dem grundlegenden Wissenserwerb dienen, sollten daher – im Sinne eines „Flipped
Classroom“-Konzeptes – im Vorfeld durch Selbststudium, Onlinevorlesungen oder andere
zeitgemäße Formen des E-Learnings vermittelt werden. Die Präsenzzeit kann so für intensives
Training der Anwendung genutzt werden. Die zeitliche Ausdehnung des Lernprozesses
über eine 40-h-Kompaktveranstaltung hinaus (Distributed Practice) führt zusätzlich zu einem nachhaltigeren Lernen.
Zur Vertiefung von Spezialthemen müssen erweiternde Module angeboten werden, die für
die Ausbildung zur Stufe 2 und ggf. auch gleichzeitig als kompetenzerhaltende Fortbildungen
für nach dem bestehenden Curriculum ausgebildete LNA dienen können.
Die produktive Zusammenarbeit von LNA und OrgL ist im Realeinsatz ein wesentlicher
Erfolgsfaktor. Daher sollten zumindest Teile der Ausbildung interprofessionell durchgeführt
werden. Zukünftige LNA und OrgL können so nicht nur miteinander, sondern besonders
auch voneinander lernen und so ein klares Verständnis von den Aufgaben, Fähigkeiten
und Fertigkeiten des jeweils anderen entwickeln, um in einem späteren Einsatz als
sog. „Team an der Spitze“ in der medizinischen Gefahrenabwehr gemeinsam zu agieren.
Die Umsetzung der hier dargestellten Prinzipien und somit das Design der eigentlichen
Lehrveranstaltungen liegt bei den durchführenden Bildungseinrichtungen. Innerhalb
des vorgegebenen Rahmens können lokale und strukturelle Gegebenheiten berücksichtigt
werden.
Die angepassten Ausbildungsinhalte müssen dort, wo sie bereits vor dem Eintreffen
des LNA durch den ersteintreffenden Notarzt umgesetzt oder zumindest eingeleitet werden
müssen, auch in die Ausbildung von Notärzten integriert und entsprechend angepasst
werden. Des Weiteren sollte für die Zukunft eine regelmäßige Reevaluation des Curriculums
und der für den Kompetenzerhalt erforderlichen Fortbildungen angestrebt werden.
Um ein möglichst einheitliches Vorgehen zu erreichen und den Einsatz des LNA so zu
gestalten, dass er nicht zu Bagatelleinsätzen, aber doch so alarmiert wird, dass durch
die Einsatztätigkeit ein Trainingseffekt erzielt werden kann, sollte eine über die
hier ausgesprochene Empfehlung hinausgehende bundesweite Empfehlung für einen Indikationskatalog
des LNA erarbeitet und an die aktuellen Gegebenheiten angepasst werden.
Neben der hier vorgestellten Reform des Konzepts zur LNA-Ausbildung bedarf es auch
einer damit einhergehenden inhaltlichen Überarbeitung der LNA-Ausbildung.
Fazit
Die Empfehlungen zur LNA-Fortbildung und die verschiedenen Einsatzoptionen (Indikationskatalog)
sind nach fast 40 Jahren seit Erstellung dringend überarbeitungswürdig. Gerade vor
dem Hintergrund der sich ändernden politischen Lage und den zukünftigen Herausforderungen
sollten die medizinische Einsatzleitung bei Großschadensfällen und die medizinische
Fachberatung bei Katastrophen bis hin zum Zivilschutz sowohl in der Ausbildung auf
den unterschiedlichen Stufen als auch konzeptionell neu aufgestellt werden. Dieser
Artikel gibt mit dem vorgestellten Stufenmodell und den Rollenprofilen einen Anstoß
zur Diskussion.